Language of document : ECLI:EU:C:2005:251

Rechtssache C-376/02

Stichting „Goed Wonen“

gegen

Staatssecretaris van Financiën

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)

„Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG – Vorsteuerabzug – Änderung der nationalen Rechtsvorschriften – Rückwirkung – Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit“

Leitsätze des Urteils

1.        Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Rückwirkungsverbot – Ausnahmen – Voraussetzungen – Rückwirkung durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel geboten – Beachtung des berechtigten Vertrauens der Betroffenen

2.        Steuerrecht – Harmonisierung – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Vorsteuerabzug – Gesetzesänderung, mit der Finanzkonstruktionen bekämpft werden sollen und ein zuvor der Mehrwertsteuer unterliegendes Grundstücksgeschäft von der Steuer befreit wird und die bewirkt, dass die Berichtigung der Mehrwertsteuer rückgängig gemacht wird – Rückwirkung – Zulässigkeit im Hinblick auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit – Voraussetzungen

1.        Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es zwar im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen; dies kann aber ausnahmsweise dann anders sein, wenn ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist.

Derselbe Grundsatz ist vom nationalen Gesetzgeber zu beachten, wenn er ein Gesetz erlässt, das unter das Gemeinschaftsrecht fällt.

(vgl. Randnrn. 33-34)

2.        Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit untersagen es nicht, dass ein Mitgliedstaat ausnahmsweise und um zu verhindern, dass während des Gesetzgebungsverfahrens in großem Umfang Finanzkonstruktionen zur Verminderung der Mehrwertsteuerbelastung angewandt werden, die mit einem Änderungsgesetz gerade bekämpft werden sollen, diesem Gesetz Rückwirkung zukommen lässt, wenn die Wirtschaftsbeteiligten, die die mit dem Gesetz zu erfassenden wirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben, von dem bevorstehenden Erlass dieses Gesetzes und der beabsichtigten Rückwirkung derart in Kenntnis gesetzt worden sind, dass sie zu verstehen in der Lage sind, wie sich die beabsichtigte Gesetzesänderung auf ihre Tätigkeiten auswirkt.

Wenn dieses Gesetz ein zuvor der Mehrwertsteuer unterliegendes Grundstücksgeschäft von der Steuer befreit, darf es bewirken, dass die Berichtigung der Mehrwertsteuer rückgängig gemacht wird, die deshalb erfolgte, weil zum Zeitpunkt der Bestimmung einer Immobilie zu einem damals als besteuert angesehenen Umsatz ein Recht auf Vorsteuerabzug der auf die Lieferung dieser Immobilie entrichteten Mehrwertsteuer ausgeübt wurde.

(vgl. Randnr. 45 und Tenor)