Language of document : ECLI:EU:T:2023:253

URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)

17. Mai 2023(*)

„Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Deutscher Strommarkt – Beschluss, mit dem der Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Fehlende Klagebefugnis – Keine aktive Teilnahme – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑321/20,

enercity AG mit Sitz in Hannover (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt C. Schalast und Rechtsanwältin H. Löschan,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Meessen und I. Zaloguin als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte F. Haus und F. Schmidt,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und S. Costanzo als Bevollmächtigte,

durch

E.ON SE mit Sitz in Essen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte C. Grave, C. Barth und D.‑J. dos Santos Goncalves,

und durch

RWE AG mit Sitz in Essen, vertreten durch Rechtsanwälte U. Scholz und J. Siegmund sowie Rechtsanwältin J. Ziebarth,

Streithelferinnen,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni, der Richter L. Madise und P. Nihoul, der Richterin R. Frendo sowie des Richters J. Martín y Pérez de Nanclares (Berichterstatter),

Kanzler: S. Jund, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die enercity AG, die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2019) 1711 final der Kommission vom 26. Februar 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8871 – RWE/E.ON Assets) (ABl. 2020, C 111, S. 1, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

 In Rede stehende Unternehmen

2        Die RWE AG ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die zum Zeitpunkt der Anmeldung des geplanten Zusammenschlusses auf den verschiedenen Stufen der Energieversorgungskette tätig war, u. a. in den Bereichen Stromerzeugung, ‑übertragung und ‑verteilung, im Stromgroß- und ‑einzelhandel sowie in energiebezogenen Kundenlösungen (wie Verbrauchsmessung, Elektromobilität usw.). RWE und ihre Tochtergesellschaften, darunter die innogy SE (im Folgenden: Innogy), sind in mehreren europäischen Staaten tätig, nämlich in Belgien, in der Tschechischen Republik, in Deutschland, in Frankreich, in Italien, in Luxemburg, in Ungarn, in den Niederlanden, in Polen, in Rumänien, in der Slowakei und im Vereinigten Königreich.

3        Die E.ON SE ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, die zum Zeitpunkt der Anmeldung des geplanten Zusammenschlusses auf den verschiedenen Stufen der Stromversorgungskette, der Stromerzeugung und ‑verteilung sowie dem Stromgroß- und ‑einzelhandel, tätig war. E.ON besitzt und betreibt Stromerzeugungsanlagen in mehreren europäischen Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und das Vereinigte Königreich.

4        Die Klägerin ist ein deutsches Stadtwerk, das in Deutschland Energie erzeugt und liefert.

 Kontext des Zusammenschlusses

5        Der im vorliegenden Fall in Rede stehende Zusammenschluss fügt sich ein in den Rahmen eines komplexen Austauschs von Vermögenswerten zwischen RWE und E.ON, der von den beiden beteiligten Unternehmen am 11. und 12. März 2018 angekündigt wurde. So möchte RWE mit der ersten Transaktion, d. h. dem vorliegend in Rede stehenden Zusammenschluss, die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON erwerben. Die zweite Transaktion besteht darin, dass E.ON die alleinige Kontrolle über die Sparten Verteilung und Vertrieb sowie bestimmte Erzeugungsanlagen der von RWE kontrollierten Innogy erwirbt. Die dritte Transaktion sieht vor, dass RWE eine Beteiligung in Höhe von 16,67 % an E.ON erwirbt.

6        Die Klägerin übersandte am 24. Juli 2018 ein Schreiben an die Europäische Kommission, in dem sie dieser mitteilte, dass sie am den ersten und den zweiten Zusammenschluss betreffenden Verfahren beteiligt werden und daher die entsprechenden Unterlagen erhalten möchte.

7        Am 3. Oktober 2018 fand eine Besprechung zwischen der Klägerin und der Kommission statt.

8        Der zweite Zusammenschluss wurde am 31. Januar 2019 bei der Kommission angemeldet. Im Hinblick auf diese zweite Transaktion erließ die Kommission den Beschluss C(2019) 6530 final vom 17. September 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8870 – E.ON/Innogy) (ABl. 2020, C 379, S. 16, im Folgenden: Zusammenschluss M.8870).

9        Der dritte Zusammenschluss wurde beim Bundeskartellamt (Deutschland) angemeldet, das ihn mit Bescheid vom 26. Februar 2019 genehmigte (Sache B8‑28/19).

 Verwaltungsverfahren

10      Am 22. Januar 2019 ging bei der Kommission die Anmeldung eines beabsichtigten Zusammenschlusses nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 2004, L 24, S. 1) ein, mit dem RWE im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON erwerben wollte.

11      Am 31. Januar 2019 veröffentlichte die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 139/2004 die vorherige Anmeldung dieses Zusammenschlusses (Sache M.8871 – RWE/E.ON Assets) im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2019, C 38, S. 22, im Folgenden: Zusammenschluss M.8871).

12      Im Rahmen ihrer Prüfung des Zusammenschlusses M.8871 führte die Kommission eine Marktbefragung durch und übermittelte daher bestimmten Unternehmen einen Fragebogen.

13      Mit Schreiben vom 28. Januar 2019 beantragte die Klägerin beim Anhörungsbeauftragten, ihr die Stellung eines betroffenen Dritten zuzuerkennen, um im Rahmen des den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahrens angehört zu werden. Der Anhörungsbeauftragte kam diesem Antrag mit Schreiben vom 7. Februar 2019 nach.

 Angefochtener Beschluss

14      Am 26. Februar 2019 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss. Der Zusammenschluss M.8871 wurde in der Prüfungsphase gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 139/2004 und Art. 57 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt.

 Anträge der Parteien

15      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16      Die Kommission, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland, E.ON und RWE, beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf sechs Klagegründe, nämlich erstens auf die Verletzung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, zweitens auf die Verletzung ihres Rechts auf Anhörung, drittens auf die fehlerhafte Aufspaltung der Analyse der Gesamttransaktion, viertens auf offensichtliche Beurteilungsfehler, fünftens auf einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht und sechstens auf einen Missbrauch von Befugnissen.

18      Ohne ausdrücklich eine Einrede der Unzulässigkeit nach Art. 130 der Verfahrensordnung des Gerichts zu erheben, macht die Kommission, unterstützt von RWE, geltend, dass die Klage unzulässig sei, da die Klägerin nicht klagebefugt sei.

19      Als Erstes macht die Kommission geltend, dass lediglich eine einfache Beteiligung der Klägerin am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren vorliege. Die von der Klägerin vorgetragenen Bedenken hätten sich auch fast vollumfänglich auf den Zusammenschluss M.8870 bezogen.

20      Aus dem Umstand, dass anlässlich der Besprechung vom 3. Oktober 2018 ein Treffen zwischen der Klägerin und der Kommission stattgefunden habe, könne nicht auf eine hinreichende Verfahrensbeteiligung der Klägerin geschlossen werden, da sich die Kommission mit anderen Wettbewerbern in einem ähnlichen Rahmen getroffen habe. Jedenfalls habe die Klägerin nur sehr wenige Bedenken zum Ausdruck gebracht, die später auch nicht mehr aufgegriffen worden seien, und sie habe die Marktbefragung der Kommission nicht beantwortet.

21      Was den Mangel an individueller Betroffenheit der Klägerin aufgrund ihrer Wettbewerbsstellung betrifft, ist die Kommission als Zweites der Ansicht, dass die Klägerin Wettbewerberin von RWE und E.ON sei, dass dieser Umstand jedoch eine rein objektive Eigenschaft darstelle, die die Klägerin gegenüber anderen Wettbewerbern, die sich tatsächlich und potenziell in einer identischen Situation befänden, nicht hervorhebe und damit keine individuelle Betroffenheit begründen könne. Es lägen auch keine Umstände vor, die die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Abnehmerin von RWE im Vergleich zu anderen Abnehmern von RWE individualisieren könnten.

22      Die Klägerin meint, sie sei von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen.

23      Als Erstes macht die Klägerin geltend, sie habe sich aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren beteiligt sowie den Ablauf des Verfahrens und die Entscheidungsfindung der Kommission beeinflusst. Die von der Kommission durchgeführte Marktbefragung habe sie nicht erhalten.

24      Als Zweites trägt die Klägerin vor, von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen zu sein, da sie und ihre Tochtergesellschaften zu den größten regionalen Energieversorgungs- und Energiedienstleistungsunternehmen Deutschlands gehörten, wo die am Zusammenschluss Beteiligten ihre unmittelbaren Wettbewerberinnen seien und der Zusammenschluss M.8871 die Gefahr berge, dass sich die Wettbewerbschancen der Klägerin verschlechterten.

25      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann eine natürliche oder juristische Person nur dann eine Klage gegen einen an eine andere Person gerichteten Beschluss erheben, wenn dieser Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft.

26      Um festzustellen, ob die Klägerin klagebefugt ist, ist also zu prüfen, ob sie vom angefochtenen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen ist.

27      Was die unmittelbare Betroffenheit der Klägerin betrifft, ist als Erstes festzustellen, dass der angefochtene Beschluss, da er die sofortige Durchführung des Zusammenschlusses M.8871 gestattete, zu einer unmittelbaren Änderung der Lage auf den betroffenen Märkten führen konnte. Da der Wille der am Zusammenschluss M.8871 Beteiligten, diesen zu bewirken, nicht in Frage stand, konnten die auf dem oder den betroffenen Märkten tätigen Wirtschaftsunternehmen im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses eine unmittelbare oder schnelle Änderung des Marktzustands als sicher erachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2006, easyJet/Kommission, T‑177/04, EU:T:2006:187, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt, dass die Klägerin vom angefochtenen Beschluss unmittelbar betroffen ist.

28      Zur individuellen Betroffenheit der Klägerin ist als Zweites darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Personen, die nicht Adressat eines Beschlusses sind, nur dann geltend machen können, individuell betroffen zu sein, wenn dieser Beschluss sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten des Beschlusses (vgl. Urteil vom 4. Juli 2006, easyJet/Kommission, T‑177/04, EU:T:2006:187, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Wird in einem Beschluss die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt festgestellt, so ist bei der Prüfung, ob ein Drittunternehmen individuell betroffen ist, zum einen darauf abzustellen, ob es am Verwaltungsverfahren beteiligt war, und zum anderen darauf, ob seine Marktstellung beeinträchtigt ist. Die bloße Teilnahme am Verfahren genügt zwar allein nicht, um festzustellen, dass der Kläger von dem Beschluss individuell betroffen ist, zumal wenn es sich um Zusammenschlüsse handelt, deren eingehende Prüfung regelmäßige Kontakte mit zahlreichen Unternehmen erfordert, doch ist die aktive Teilnahme am Verwaltungsverfahren ein Faktor, den die Rechtsprechung bei Wettbewerbsfragen einschließlich des spezielleren Gebietes der Kontrolle von Zusammenschlüssen regelmäßig berücksichtigt, um in Verbindung mit anderen spezifischen Umständen die Zulässigkeit der Klage festzustellen (vgl. Urteil vom 4. Juli 2006, easyJet/Kommission, T‑177/04, EU:T:2006:187, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Dass die Klägerin am Verwaltungsverfahren beteiligt war, ist im vorliegenden Fall zwischen den Parteien unstreitig. Hinsichtlich der Frage, ob es sich um eine „aktive“ Teilnahme handelt, sind sie sich jedoch nicht einig. Daher ist die Art der Beteiligung der Klägerin am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren zu prüfen.

31      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin am 24. Juli 2018 bei der Kommission beantragt hat, sowohl im den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren als auch im den Zusammenschluss M.8870 betreffenden Verfahren angehört zu werden. Dies ergibt sich daraus, dass sie in ihrem Schreiben bei der Angabe der Aktenzeichen „M.8870 & M.8871“ angegeben hat. Die Klägerin hat in ihrem Schreiben zur Begründung dieses Antrags allgemein erläutert, welcher Art ihre Interessen seien und wie die Genehmigung dieser beiden Zusammenschlüsse sie beeinträchtigen könnte.

32      Am 3. Oktober 2018 hat die Klägerin sodann an einer individuellen Besprechung mit der Kommission zu den Zusammenschlüssen M.8870 und M.8871 teilgenommen. Es ist jedoch festzustellen, dass von den 20 Seiten der Präsentation, die von der Klägerin für diese Besprechung vorbereitet worden war, nur eine den Zusammenschluss M.8871 zum Gegenstand hatte und dass diese zudem nur auf den von RWE erlangten Wettbewerbsvorteil bei der Gewährung von Förderungen für die Entwicklung und den Bau neuer Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien Bezug nahm. Der Rest der Präsentation betraf den Zusammenschluss M.8870. Dem Besprechungsprotokoll lässt sich außerdem entnehmen, dass sich diese Besprechung im Wesentlichen auf den Zusammenschluss M.8870 bezog, da nur drei der 42 Punkte des Protokolls RWE betrafen.

33      Im Anschluss an diese Besprechung hat die Klägerin nach neuerlicher Aufforderung der Kommission vom 4. Dezember 2018 mit E‑Mail vom 14. Dezember 2018 außerdem die mit E‑Mail vom 31. Oktober 2018 gestellten Fragen der Kommission beantwortet. Mit diesen Fragen wurde darum ersucht, der Kommission gegenüber das Vorbringen der Klägerin zu präzisieren, wonach E.ON und Innogy bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen wie Smarthome-Systemen aufgrund ihres großen Kundenstamms einen Wettbewerbsvorteil hätten, was eine den Zusammenschluss M.8870 betreffende Problematik sei.

34      Mit E‑Mail vom 28. Januar 2019 an den Anhörungsbeauftragten hat die Klägerin schließlich beantragt, im Rahmen des den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahrens als betroffene Dritte angehört zu werden. Am 7. Februar 2019 hat der Anhörungsbeauftragte der Klägerin geantwortet und ihr mitgeteilt, dass sie in diesem Verfahren als betroffene Dritte anerkannt werde.

35      Daraus folgt, dass sich, was den eigentlichen Zusammenschluss M.8871 anbelangt, die Stellungnahme der Klägerin in einer Seite ihrer Präsentation erschöpft, deren Inhalt vollumfänglich in den drei den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Punkten des Protokolls der Besprechung vom 3. Oktober 2018 wiedergegeben wurde. Die Ausführungen der Klägerin in ihrem Schreiben vom 24. Juli 2018 sind allgemein gehalten und zielen in erster Linie darauf ab, das Interesse der Klägerin am Verfahren darzutun, um später gegenüber der Kommission ausführlicher und eingehender Stellung nehmen zu können; diese Ausführungen sind also nicht maßgeblich.

36      Eine derart geringfügige Beteiligung reicht nicht aus, um als aktive Beteiligung eingestuft zu werden. Es trifft hierbei zwar zu, dass die von der Klägerin zum Ausdruck gebrachten Bedenken zum Wettbewerbsvorteil, den RWE aufgrund des Zusammenschlusses M.8871 für Ausschreibungen im Bereich der erneuerbaren Energien erlangt habe, von der Kommission berücksichtigt und geprüft wurden, wie es den Rn. 68 und 69 des angefochtenen Beschlusses entnommen werden kann.

37      Trotzdem ist festzustellen, dass die von der Klägerin zum Ausdruck gebrachten Bedenken in Abschnitt 5.1.7. („Weitere Bedenken Dritter“) des angefochtenen Beschlusses geprüft wurden, der auf Abschnitt 5.1.6. („Schlussfolgerung“) folgt, in dem die Kommission zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses M.8871 mit dem Binnenmarkt bestünden. Die von der Kommission in Abschnitt 5.1.7. durchgeführte Prüfung wird also nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Dass diese Prüfung nur der Vollständigkeit halber erfolgt ist, wird dadurch bestätigt, dass die Kommission in Rn. 67 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, dass auf Bedenken hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Zusammenschlusses M.8871 auf andere Märkte als den Markt der Stromerzeugung und des Stromgroßhandels in Deutschland eingegangen werden sollte, der – wie Rn. 13 des angefochtenen Beschlusses entnommen werden kann – für die Prüfung der Auswirkungen dieses Zusammenschlusses auf den Binnenmarkt als relevanter Markt erachtet worden ist.

38      Daraus folgt, dass das Vorbringen der Klägerin zum Zusammenschluss M.8871 zwar von einem gewissen Interesse war und von der Kommission berücksichtigt wurde, dass es aber für die Beurteilung der Auswirkungen dieses Zusammenschlusses auf den relevanten Markt nicht maßgeblich war.

39      Daher ist nicht davon auszugehen, dass sich die Klägerin aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verwaltungsverfahren beteiligt hat.

40      Das Vorbringen der Klägerin vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen.

41      Erstens macht die Klägerin geltend, dass sie die Marktbefragung der Kommission nicht erhalten habe.

42      Hierzu hat das Gericht die Kommission am 29. März 2022 im Rahmen von prozessleitenden Maßnahmen nach Art. 89 Abs. 3 Buchst. d der Verfahrensordnung ersucht, nachzuweisen, dass sie der Klägerin die Marktbefragung zugesandt habe, wie in Rn. 10 ihrer Gegenerwiderung ausgeführt. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen. Im Übrigen hat die Klägerin am 19. April 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs unaufgefordert ein Schreiben eingereicht, in dem sie zu dieser Angelegenheit Stellung nahm. Der Präsident der vierten erweiterten Kammer hat am 3. Mai 2022 entschieden, dieses Schreiben zu den Akten zu nehmen. Die Parteien wurden schließlich in der mündlichen Verhandlung vom Gericht zu diesem Thema befragt.

43      Die Kommission hat auf das Ersuchen des Gerichts hin drei Beweise übermittelt. Zunächst hat sie auf die den Namen der Klägerin enthaltende Übersicht der Unternehmen verwiesen, an die die Marktbefragung versandt wurde. Sodann hat sie einen Auszug aus der EDV-Anwendung vorgelegt, die für den Versand der Befragung verwendet wurde. Aus diesem Auszug ist ersichtlich, dass die Marktbefragung am 23. Januar 2019 um 16.35 Uhr an die Klägerin gesandt und der 30. Januar 2019 als Antwortfrist festgelegt wurde. Dem Auszug kann ebenfalls entnommen werden, dass am 27. Januar 2019 eine Erinnerung verschickt wurde. Schließlich hat die Kommission zwei Auszüge aus ihren Datenbanken versendeter E‑Mails und Faxnachrichten vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Klägerin eine E‑Mail und ein Fax geschickt wurden. Datum und Uhrzeit des Versands stimmen mit den Angaben im Auszug aus der EDV-Anwendung überein.

44      Daraus folgt, dass die Kommission der Klägerin die Marktbefragung zugesandt hat.

45      Die Klägerin hat sowohl in ihrem Schreiben vom 19. April 2022 als auch in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Marktbefragung an ihren Pressesprecher gesandt worden sei. Zum einen versichert dieser aber, die Marktbefragung nicht erhalten zu haben, und zum anderen führt die Klägerin aus, dass er nicht die richtige Kontaktperson gewesen sei. Dazu merkt sie in ihrem Schreiben vom 19. April 2022 an, dass die Marktbefragung zum Zusammenschluss M.8870 nicht an den Pressesprecher, sondern an den zuständigen Geschäftsbereichsleiter gesandt worden sei.

46      Es ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht, da von der Klägerin nicht der Beweis einer negativen Tatsache verlangt werden kann – nämlich der Nichterhalt der Marktbefragung –, die Kommission ersucht hat, den Versand dieser Befragung nachzuweisen. Aus der obigen Rn. 44 geht hervor, dass der Kommission dieser Nachweis gelungen ist. Vor diesem Hintergrund oblag es der Klägerin, dem Gericht Umstände aufzuzeigen, die die Verlässlichkeit der von der Kommission vorgelegten Beweise in Frage stellen, was sie nicht getan hat.

47      Was den Versand der Marktbefragung an den falschen Adressaten betrifft, muss selbst unter der Annahme, dass dies zutrifft, festgestellt werden, dass die Klägerin nicht in Abrede gestellt hat, dass die in Rede stehende Person zum Zeitpunkt der Zusendung der Marktbefragung ihr Pressesprecher war.

48      Von einem Pressesprecher kann indessen vernünftigerweise erwartet werden, dass er bei Erhalt nicht nur einer E‑Mail, sondern auch eines Faxes eines Organs der Europäischen Union dieses Organ unverzüglich über den Irrtum hinsichtlich des Adressaten informiert. Außerdem hätte er, da sich diese Dokumente in seinem Besitz befanden, auch mit der Rechtsabteilung oder der Vertriebsabteilung seines Unternehmens Fühlung nehmen und sie über den Erhalt der in Rede stehenden Dokumente informieren können.

49      Jedenfalls hätte, auch wenn die Klägerin die Gelegenheit gehabt hätte, an der Marktbefragung teilzunehmen, dieser Umstand nicht ausgereicht, um ihre Beteiligung als aktiv einzustufen.

50      Die bloße Tatsache, dass der ausgefüllte Fragebogen zurückgeschickt wird, kann nämlich nicht als ein Faktor angesehen werden, der ausreicht, um den betreffenden Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV zu individualisieren (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. September 2006, Wirtschaftskammer Kärnten und best connect Ampere Strompool/Kommission, T‑350/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2006:257, Rn. 50 und 51).

51      Dies kann auch nicht anders sein, da die Kommission, wie sie in der mündlichen Verhandlung zu Recht geltend gemacht hat, gegebenenfalls für die Entscheidung über einen bei ihr angemeldeten Zusammenschluss viele Marktteilnehmer zu befragen hat. Dies ergibt sich aus der ihr durch Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 139/2004 eingeräumten Möglichkeit des Auskunftsverlangens; gemäß dieser Bestimmung kann die Kommission zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben alle natürlichen und juristischen Personen befragen, die dieser Befragung zum Zweck der Einholung von Informationen über einen Untersuchungsgegenstand zustimmen.

52      Zweitens macht die Klägerin geltend, dass sie beim Anhörungsbeauftragten die Anerkennung als betroffene Dritte beantragt habe. Ein solcher Antrag kann zwar ein Indiz für die von der Klägerin zum Ausdruck gebrachte Absicht darstellen, sich am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren zu beteiligen, vermag aber ihre Teilnahme nicht als „aktiv“ zu charakterisieren; eine aktive Teilnahme müsste sich nämlich allein in den Handlungen der Klägerin widerspiegeln, die den Ausgang des in Rede stehenden Verfahrens hätten beeinflussen können.

53      Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Kommission ihr entgegen der Ankündigung in der Entscheidung des Anhörungsbeauftragten vom 7. Februar 2019 keine Frist zur schriftlichen Äußerung zum Zusammenschluss M.8871 gesetzt habe.

54      Dieses Vorbringen steht im Widerspruch zu dem, was die Klägerin anderweitig in ihren verschiedenen Schriftsätzen geltend gemacht hat, nämlich dass sie sich aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verwaltungsverfahren beteiligt habe. Die Klägerin kann nämlich, um ihre Klagebefugnis darzutun, nicht ihr Vorbringen aufrechterhalten, dass sie aktiv am Verfahren teilgenommen habe, und zugleich zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung rügen, dass die Kommission ihr keine Frist zur Äußerung gesetzt habe. Denn nach dem richterrechtlichen Grundsatz „nemo potest venire contra factum proprium“, auch als „venire contra factum proprium non valet“ bekannt, kann niemand in Abrede stellen, was er zuvor anerkannt hat (Urteile vom 22. April 2016, Irland und Aughinish Alumina/Kommission, T‑50/06 RENV II und T‑69/06 RENV II, EU:T:2016:227, Rn. 192, und vom 6. April 2017, Regione autonoma della Sardegna/Kommission, T‑219/14, EU:T:2017:266, Rn. 63; vgl. in diesem Sinne auch Beschluss vom 13. Februar 2014, Marszałkowski/HABM, C‑177/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:183, Rn. 73). Dieses Vorbringen ist daher als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.

55      Drittens macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Zusammenschluss M.8871 und der Zusammenschluss M.8870 einen einzigen Zusammenschluss darstellten und dass die Kommission diese beiden Zusammenschlüsse gemeinsam behandelt habe. In der mündlichen Verhandlung hat sie klargestellt, dass sie die Anhörung im den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verwaltungsverfahren beim Anhörungsbeauftragten erst beantragt habe, als sie die Marktbefragung betreffend diesen Zusammenschluss erhalten habe.

56      Dieses Vorbringen ist als ins Leere gehend zurückzuweisen. Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit sind nämlich sowohl die Frage, ob die Zusammenschlüsse M.8870 und M.8871 einen einzigen Zusammenschluss darstellen, als auch die Frage, wie die Kommission diese beiden Zusammenschlüsse nach Ansicht der Klägerin behandeln wollte, unerheblich, weil die Klägerin außer auf einer Seite ihrer Präsentation vom 3. Oktober 2018 jedenfalls nicht zum Zusammenschluss M.8871 Stellung genommen hat.

57      Da sich die Klägerin nicht aktiv am den Zusammenschluss M.8871 betreffenden Verfahren beteiligt hat, ist ferner unter Berücksichtigung dessen, dass in Bezug auf die Beeinträchtigung der Marktstellung der Klägerin keine besonderen Umstände vorliegen, festzustellen, dass sie vom angefochtenen Beschluss im Sinne der oben in Rn. 29 angeführten Rechtsprechung nicht individuell betroffen ist.

58      Da die Klägerin vom angefochtenen Beschluss nicht individuell betroffen ist, hat sie nicht ihre Klagebefugnis nachgewiesen, so dass ihre Klage als unzulässig abzuweisen ist.

 Kosten

59      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend den Anträgen der Kommission, von E.ON und RWE ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission, von E.ON und RWE aufzuerlegen.

60      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Bundesrepublik Deutschland trägt daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die enercity AG trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission, der E.ON SE und der RWE AG.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

Gervasoni

Madise

Nihoul

Frendo

 

Martín y Pérez de Nanclares

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2023.

Der geschäftsführende Kanzler

 

Der Präsident

T. Henze

 

M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.