Language of document : ECLI:EU:T:2023:847

Rechtssache T113/17

(auszugsweise Veröffentlichung)

Crédit agricole SA
und
Crédit Agricole Corporate and Investment Bank

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 20. Dezember 2023

„Wettbewerb – Kartelle – Sektor der Euro-Zinsderivate – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens festgestellt wird – Manipulation der Euribor-Referenzzinssätze im Interbankengeschäft – Austausch vertraulicher Informationen – Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – ‚Hybrides‘, zeitlich gestuftes Verfahren – Unschuldsvermutung – Unparteilichkeit – Geldbußen – Grundbetrag – Umsatz – Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Begründungspflicht – Änderungsbeschluss, mit dem die Begründung ergänzt wird – Gleichbehandlung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nichtanwendbarkeit von Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts – Grundsatz der guten Verwaltung – Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens – Grundsatz der Unschuldsvermutung – Verstoß – Fehlen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 und 48)

(vgl. Rn. 42-51, 65-71)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Anhörung der Unternehmen – Weigerung der Kommission, die von den betroffenen Unternehmen in der Anhörung gestellten Fragen zu beantworten – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27; Verordnung Nr. 773/2004 der Kommission, Art. 14)

(vgl. Rn. 54-60)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Vergleichsverfahren – Verfahren, das nicht alle Teilnehmer an einem Kartell erfasst – Zeitversetzter Erlass eines Vergleichsbeschlusses und eines ein ordentliches Verfahren abschließenden Beschlusses – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Wahrung der Pflicht zur Unparteilichkeit und der Unschuldsvermutung – Wahrung der Verteidigungsrechte – Umfang

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 und 48; Verordnung Nr. 773/2004 der Kommission, Art. 10a)

(vgl. Rn. 75-107, 137-139)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Verpflichtung der Kommission, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen – Öffentliche, im Laufe des Verwaltungsverfahrens getätigte Äußerungen des für Wettbewerb zuständigen Mitglieds der Kommission – Äußerungen, die möglicherweise auf fehlende subjektive Unparteilichkeit schließen lassen – Keine Auswirkung auf die unparteiische Würdigung der Sache durch die Kommission

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 111-121)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Gegenstand – Übermittlung der Antworten auf eine Mitteilung der Beschwerdepunkte – Voraussetzungen – Notwendigkeit, zwischen belastenden und entlastenden Schriftstücken zu unterscheiden

(Art. 101 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27 Abs. 2)

(vgl. Rn. 146-170)

6.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Verpflichtung, Einsicht in die gesamte Akte zu gewähren – Grenzen – Akte mit vertraulichen Informationen anderer Verfahrensbeteiligter – Ausgleich zwischen den Verteidigungsrechten und dem Schutz der Vertraulichkeit – Zugang zu den vertraulichen Informationen im Rahmen eines Informationsraumverfahrens – Zulässigkeit

(Art. 101 und 339 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27 Abs. 2; Verordnung Nr. 773/2004 der Kommission, Art. 15)

(vgl. Rn. 171-183)

7.      Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen und abgestimmte Verhaltensweisen – Begriff – Teilnahme an Zusammenkünften mit wettbewerbswidrigem Zweck – Einbeziehung – Voraussetzung – Fehlende Distanzierung von den getroffenen Beschlüssen – Voraussetzung erfüllt

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 213-228)

8.      Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten autonom zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit – Informationsaustausch unter Wettbewerbern – Austausch vertraulicher Informationen zwischen Händlern von Finanzinstituten – Austausch in Bezug auf versuchte Manipulationen der Euribor-Referenzzinssätze im Interbankengeschäft – Austausch von Informationen über Handelspositionen und Preisstrategien im Sektor der an den Euribor oder den EONIA gekoppelten Produkte – Fehlen wettbewerbsfördernder Auswirkungen, die erwiesen, relevant, allein auf die betreffende Vereinbarung zurückzuführen und hinreichend erheblich sind – Austausch, der eine hinreichende Beeinträchtigung darstellt, um als bezweckte Beschränkung eingestuft zu werden

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 238-254, 260-335)

9.      Wettbewerb – Regeln der Union – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Zurechenbarkeit des Verhaltens von Beschäftigten an ihr Unternehmen – Voraussetzungen – Beschäftigte, die für das Unternehmen und unter dessen Leitung tätig sind

(Art. 101 AEUV)

(vgl. Rn. 338-350)

10.    Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Verantwortlichmachung eines Unternehmens für die gesamte Zuwiderhandlung – Voraussetzungen – Rechtswidrige Praktiken und Verhaltensweisen, die sich in einen Gesamtplan einfügen – Beurteilung – Kriterien – Beitrag zum einheitlichen Ziel der Zuwiderhandlung – Kenntnis oder Vorhersehbarkeit des Gesamtplans des Kartells und seiner wesentlichen Elemente

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 353-364, 375-432)

11.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast – Fortgesetzte Zuwiderhandlung

(Art. 101 AEUV)

(vgl. Rn. 438-449)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung – Umfang – Festsetzung des Betrags der verhängten Geldbuße – Beurteilungskriterien

(Art. 101 Abs. 1 und Art. 261 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 3 und Art. 31)

(vgl. Rn. 459, 460, 656-683)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Ermittlung des Umsatzes – Anwendung der in den Leitlinien vorgesehenen Methode – Ersatzwert, der auf der Grundlage der durch Anwendung eines Abzinsungsfaktors aktualisierten Bareinnahmen ermittelt wird – Begründungsmangel in Bezug auf die Ermittlung des Abzinsungsfaktors

(Art. 101 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung der Kommission 2006/C 210/02, Ziff. 13 und 37)

(vgl. Rn. 474-488, 496-512)

14.    Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beschluss über die Anwendung der Wettbewerbsregeln – Heilung eines Begründungsmangels im Lauf des gerichtlichen Verfahrens durch Erlass eines Änderungsbeschlusses – Nicht gegeben

(Art. 101 Abs. 1 und Art. 296 Abs. 2 AEUV)

(vgl. Rn. 519-526)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Ermittlung des Umsatzes – Anwendung der in den Leitlinien vorgesehenen Methode – Ersatzwert, der auf der Grundlage der durch Anwendung eines Abzinsungsfaktors aktualisierten Bareinnahmen ermittelt wird – Berechnung der Bareinnahmen der an derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen nach unterschiedlichen Methoden – Vernachlässigbarer Einfluss auf die herangezogenen Werte – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 532-556, 571-587)

16.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Auskunftsverlangen – Pflicht der Kommission, alle übermittelten Informationen zu überprüfen – Fehlen – Hinreichende Indizien für Zweifel an der Richtigkeit der erteilten Auskünfte – Pflicht der Kommission, zusätzliche Untersuchungsmaßnahmen zu ergreifen

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18)

(vgl. Rn. 559-569)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Eintrittsgebühr – Zu berücksichtigende Faktoren

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 25)

(vgl. Rn. 617-624)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Geringere Intensität der Beteiligung an der Zuwiderhandlung im Vergleich zur Beteiligung der Hauptakteure – Herabsetzung des Grundbetrags um zehn Prozent – Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung oder der individuellen Sanktionsfestsetzung – Fehlen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)

(vgl. Rn. 628-652)

Zusammenfassung

Im Jahr 2011 beantragte die Bankengruppe Barclays bei der Europäischen Kommission die Anwendung der Kronzeugenregelung und informierte sie über das Bestehen eines Kartells im Sektor der Euro-Zinsderivate (Euro Interest Rate Derivatives, im Folgenden: EIRD).

Die EIRD sind bzw. waren an den Euribor (Euro Interbank Offered Rate) – eine Gesamtheit von Referenzzinssätzen, die die Kosten von Krediten in Euro im Interbankengeschäft widerspiegeln soll – oder an den EONIA (Euro Over-Night Index Average) gebunden, der seinerzeit eine mit dem Euribor vergleichbare Funktion erfüllte, sich aber auf Übernacht-Zinssätze bezog. Der Euribor beruht auf der individuellen Notierung, die von den Banken übermittelt wird, die einem aus 47 Finanzinstituten bestehenden Panel (im Folgenden: Euribor-Panel) angehören.

Nach Eröffnung eines Zuwiderhandlungsverfahrens durch die Kommission entschieden sich die Finanzinstitute Barclays, Deutsche Bank, Royal Bank of Scotland und Société générale an einem Vergleichsverfahren nach Art. 10a der Verordnung (EG) Nr. 773/2004(1) teilzunehmen. Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission am 4. Dezember 2013 einen Beschluss(2), in dem sie feststellte, dass sich diese Finanzinstitute an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt hätten, die eine Störung des normalen Verlaufs der Preisfestsetzung auf dem EIRD-Markt zum Gegenstand gehabt habe.

Da die Finanzinstitute Crédit agricole SA und Crédit agricole Corporate and Investment Bank (im Folgenden zusammen: Crédit agricole), JP Morgan und HSBC keine Vergleichsausführungen vorlegten, führte die Kommission die Untersuchung gegen sie fort.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2016(3) stellte die Kommission fest, dass Crédit agricole gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens verstoßen habe, indem sie sich vom 16. Oktober 2006 bis zum 19. März 2007 an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt habe, die eine Störung des normalen Verlaufs der Preisfestsetzung auf dem EIRD-Markt zum Gegenstand gehabt habe, und verhängte eine Geldbuße von 114 654 000 Euro gegen sie.

Nach Ansicht der Kommission bestanden die rechtswidrigen Verhaltensweisen von Crédit agricole in einem Austausch zwischen ihren Händlern und einem Händler eines anderen dem Euribor-Panel angehörenden Finanzinstituts. Dabei sei es im Wesentlichen um die Manipulation der Quotierungen ihrer Banken beim Euribor-Panel für die Zwecke der Berechnung des Euribor, um Handelspositionen in Bezug auf EIRD sowie um ihre Absichten und Strategien in Bezug auf die Festsetzung der EIRD-Preise gegangen.

Vor dem Gericht beantragt Crédit agricole zum einen die teilweise Nichtigerklärung dieses Beschlusses und zum anderen, hilfsweise, die Aufhebung oder Herabsetzung der verhängten Geldbuße.

Nach Erhebung der Klage hat die Kommission einen Änderungsbeschluss(4) erlassen, um die Begründung des angefochtenen Beschlusses nach Maßgabe des Urteils HSBC Holdings u. a./Kommission zu ergänzen, welches das Gericht in einem Parallelverfahren erlassen hatte(5).

Mit ihrem Urteil präzisiert die Zehnte erweiterte Kammer des Gerichts die Kriterien, anhand deren die Beteiligung eines Unternehmens an wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, insbesondere durch Informationsaustausch, im Sektor der Finanzprodukte festgestellt werden kann. Das Gericht erklärt den angefochtenen Beschluss jedoch für nichtig, soweit damit gegen Crédit agricole eine Geldbuße verhängt wird. Es übt sodann seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung aus und verhängt gegen Crédit Agricole eine Geldbuße in Höhe von 110 000 000 Euro.

Würdigung durch das Gericht

Da Crédit agricole u. a. eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens geltend gemacht hat, weil bei der Anhörung vor dem Anhörungsbeauftragten einige ihrer Fragen zu den Modalitäten der Berechnung der vorgesehenen Sanktion nicht beantwortet worden seien, stellt das Gericht fest, dass der Anhörungsbeauftragte den Parteien zwar fakultativ gestatten kann, in der Anhörung Fragen zu stellen, der Hauptzweck dieser Anhörung jedoch darin besteht, insbesondere den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Gelegenheit zu geben, sich zu den vorläufigen Feststellungen der Kommission zu äußern. Außerdem ist die Kommission nicht verpflichtet, im Stadium des Verwaltungsverfahrens nähere Angaben dazu zu machen, wie sie die Kriterien der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung für die Bemessung der Geldbußen anzuwenden beabsichtigt.

Die Kommission hat die Verteidigungsrechte von Crédit agricole auch nicht dadurch verletzt, dass sie ihr bestimmte Aktenstücke anderer Parteien nur über einen Informationsraum zugänglich machte. Da die in Rede stehenden Daten ihre Vertraulichkeit trotz ihres Alters nicht verloren hatten, war das Informationsraumverfahren nämlich ein geeignetes Instrument, um die Verteidigungsrechte von Crédit agricole mit den Vertraulichkeitsinteressen in Einklang zu bringen, auf die sich die anderen Banken, die diese Daten geliefert hatten, berufen konnten. Im Übrigen hat Crédit agricole nicht nachgewiesen, dass sie sich besser hätte verteidigen können, wenn sie den vollständigen Zugang zu diesen Daten unmittelbar und nicht über ihre externen Berater erhalten hätte.

Das Gericht bestätigt sodann das Vorliegen einer Zuwiderhandlung, die Crédit agricole zuzurechnen ist.

Was die Beteiligung von Crédit agricole an den Praktiken der Manipulation des Euribor betrifft, weist das Gericht darauf hin, dass aus dem Informationsaustausch zwischen den Händlern, der Crédit agricole im angefochtenen Beschluss zur Last gelegt wurde, klar ersichtlich wird, dass es Mitteilungen über die Zinspräferenzen, die damit verbundenen Handelspositionen und ein Angebot bzw. eine Absicht der Händler von Crédit Agricole, die Quotierung ihrer Bank beim Euribor-Panel zu beeinflussen, gab.

Im Übrigen geht das Vorbringen von Crédit agricole, mit dem dargetan werden soll, dass dieses Institut bei den in Rede stehenden Manipulationen eine untergeordnete Rolle gespielt habe, ins Leere, da diese Gesichtspunkte, die die Anzahl und die Intensität der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen betreffen, nicht für den Nachweis des Vorliegens einer Zuwiderhandlung eines Unternehmens relevant sind, sondern nur für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung oder der mildernden Umstände und gegebenenfalls für die Bemessung der Geldbuße.

Was die von der Kommission vorgenommene Einstufung als einheitliche Zuwiderhandlung anbelangt, weist das Gericht darauf hin, dass für die Feststellung der Beteiligung eines Unternehmens an einer solchen Zuwiderhandlung drei Gesichtspunkte entscheidend sind:

i) Die verschiedenen in Rede stehenden Verhaltensweisen müssen Teil eines „Gesamtplans“ mit einheitlichem Ziel sein.

ii) Das Unternehmen muss von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung derselben Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten gewusst haben oder in der Lage gewesen sein, es vernünftigerweise vorherzusehen, und bereit gewesen sein, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

iii) Das Unternehmen muss die Absicht gehabt haben, durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Teilnehmern verfolgten gemeinsamen Ziele beizutragen.

Zum ersten Gesichtspunkt stellt das Gericht fest, dass der gesamte in Rede stehende Informationsaustausch Teil des einheitlichen, von der Kommission zugrunde gelegten Ziels ist, den im Rahmen von EIRD geschuldeten Cashflow zum Nachteil der Marktteilnehmer zu beeinflussen, die nicht an diesem Informationsaustausch teilnehmen.

Zum zweiten Gesichtspunkt weist das Gericht darauf hin, dass die Kommission über unmittelbare Beweise dafür verfügte, dass Crédit agricole wusste, dass sie mit anderen Banken an abgestimmten Maßnahmen zur Manipulation des Euribor beteiligt war, durch die die im Rahmen der EIRD geschuldeten Cashflows verändert werden sollten. Aus den im angefochtenen Beschluss angeführten Gesichtspunkten ergibt sich nämlich, dass ihre Händler wussten oder vernünftigerweise vorhersehen konnten, dass ihr Informationsaustausch zur Manipulation des Euribor Teil eines über den Rahmen des bilateralen Informationsaustauschs hinausgehenden „Gesamtplans“ war.

Dagegen ist dies nicht der Fall bei einem Informationsaustausch über die Preisfestsetzungsabsichten und ‑strategien, in Bezug auf den die im angefochtenen Beschluss herangezogenen Beweise nicht den Nachweis ermöglichen, dass Crédit agricole wusste oder hätte wissen müssen, dass er über den bilateralen Rahmen hinausging und Teil eines Gesamtplans war, in den auch andere Banken einbezogen waren. In Bezug auf diesen Informationsaustausch konnte Crédit agricole keine Beteiligung an der einheitlichen Zuwiderhandlung zugerechnet werden.

Was den dritten Gesichtspunkt betrifft, geht aus dem Crédit agricole von der Kommission zur Last gelegten Informationsaustausch hervor, dass die beteiligten Händler beabsichtigten, wettbewerbswidrige Praktiken an den Tag zu legen.

Nachdem das Gericht somit die Feststellung der Beteiligung von Crédit agricole an der in Rede stehenden einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung teilweise bestätigt hat, weist es den Antrag auf Nichtigerklärung in Bezug auf die Feststellung einer Zuwiderhandlung insofern zurück, als diese Feststellung durch die Feststellungen, die nicht fehlerhaft sind, rechtlich hinreichend gerechtfertigt ist. Dagegen gibt das Gericht dem Antrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses statt, soweit damit gegen Crédit agricole eine Geldbuße in Höhe von 114 654 000 Euro verhängt wird.

Hierzu stellt das Gericht zum einen fest, dass diese Sanktion nicht die Beteiligung von Crédit agricole an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung widerspiegelt, da die Kommission ihr zu Unrecht die Verhaltensweisen der anderen Banken in Bezug auf den Informationsaustausch über die Preisfestsetzungsabsichten und ‑strategien zugerechnet hat, der nicht mit Blick auf Manipulationen der Zinssätze stattfand.

Zum anderen stellt das Gericht fest, dass die Festsetzung der Höhe der gegen Crédit agricole verhängten Geldbuße unzureichend begründet ist.

Die Kommission hat zwar keinen Beurteilungsfehler begangen, indem sie sich bei der Festsetzung der Höhe der gegen Crédit agricole verhängten Geldbuße auf die abgezinsten Bareinnahmen als Ersatzwert für den Umsatz gestützt hat, doch hat sie nicht hinreichend erläutert, warum der auf diese Einnahmen angewandte Abzinsungsfaktor auf 98,849 % festgesetzt wurde. Da die Kommission im Übrigen nicht dargetan hat, dass es ihr praktisch unmöglich gewesen sei, den angefochtenen Beschluss in diesem Punkt rechtlich hinreichend zu begründen, kann auch die insoweit im Änderungsbeschluss vorgenommene Ergänzung der Begründung, mit der der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses nicht geändert wird, nicht akzeptiert werden.

Nach Ansicht des Gerichts hat die Kommission außerdem gegen ihre Pflicht zu sorgfältiger Prüfung verstoßen, da sie trotz hinreichender Indizien für Zweifel an der Einheitlichkeit der von den betreffenden Banken zur Berechnung ihrer Bareinnahmen angewandten Methoden keine zusätzlichen Untersuchungsmaßnahmen ergriffen hat. Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der guten Verwaltung könnte jedoch nur dann zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen, wenn Crédit Agricole nachwiese, dass die in Rede stehenden methodischen Unterschiede dazu geführt haben, dass die Grundbeträge der verhängten Geldbußen unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung berechnet wurden. Da diese Unterschiede nur unerhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Bareinnahmen gehabt haben, können sie im vorliegenden Fall nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung führen.

Schließlich prüft das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung den Antrag von Crédit agricole auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße.

Unter Betonung der Tatsache, dass die Festsetzung einer Geldbuße kraft seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung kein streng mathematischer Vorgang ist, verwendet das Gericht entsprechend der Vorgehensweise der Kommission den Wert der abgezinsten Bareinnahmen als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße, da dieser Wert die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das Gewicht des Unternehmens bei der Zuwiderhandlung widerspiegelt.

Zur Ermittlung des Abzinsungsfaktors – dessen Anwendung erforderlich ist, um die Verhängung einer übermäßig abschreckenden Geldbuße zu vermeiden – weist das Gericht darauf hin, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass sich dieser Faktor auf mindestens 98,849 % beläuft.

Zur Schwere der Zuwiderhandlung stellt das Gericht fest, dass die in Rede stehenden Verhaltensweisen, soweit sie die für die Bestimmung der EIRD-Preise maßgeblichen Faktoren betrafen, ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsbeschränkungen gehören. Zudem sind diese Verhaltensweisen insofern besonders schwerwiegend und schädlich, als sie nicht nur den Wettbewerb auf dem EIRD-Markt verfälschen, sondern auch, allgemeiner, das Vertrauen in das Bankensystem und die Finanzmärkte insgesamt sowie ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigen können.

Zu den mildernden Umständen stellt das Gericht fest, dass Crédit agricole bei der Zuwiderhandlung zwar eine weniger wichtige Rolle gespielt hat als die Hauptakteure. Jedoch war ihre Beteiligung an den rechtswidrigen Verhaltensweisen vorsätzlich. Darüber hinaus sind die in Rede stehenden Verhaltensweisen besonders schwerwiegend. Folglich können die festgestellten mildernden Umstände nur eine geringe Auswirkung haben.

Im Ergebnis hält es das Gericht bei angemessener Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles für geboten, die Geldbuße auf 110 000 000 Euro festzusetzen.

Nach alledem erklärt das Gericht den angefochtenen Beschluss für nichtig, soweit damit eine Geldbuße gegen Crédit agricole verhängt wird, setzt die Geldbuße auf 110 000 000 Euro fest und weist die Klage im Übrigen ab.


1      Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) in geänderter Fassung.


2      Beschluss C(2013) 8512 final der Kommission in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39914, Euro Interest Rate Derivatives [EIRD] [Settlement]) (im Folgenden: Vergleichsbeschluss).


3      Beschluss C(2016) 8530 final der Kommission vom 7. Dezember 2016 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39914 – Euro-Zinsderivate [EIRD]) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).


4      Beschluss C(2021) 4610 final der Kommission vom 28. Juni 2021 zur Änderung des angefochtenen Beschlusses.


5      Urteil vom 24. September 2019, HSBC Holdings u. a./Kommission (T‑105/17, EU:T:2019:675). Dieses Urteil wurde durch das Urteil des Gerichtshofs vom 12. Januar 2023, HSBC Holdings u. a./Kommission (C‑883/19 P, EU:C:2023:11), teilweise aufgehoben.