Language of document : ECLI:EU:T:2013:490

BESCHLUSS DES GERICHTS (Achte Kammer)

9. September 2013(*)

„Nichtigkeitsklage – Staatliche Beihilfen – Beihilferegelung, die eine steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen ermöglicht – Entscheidung, die die Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt und nicht die Rückforderung der Beihilfen anordnet – Rechtsakt mit Durchführungsbestimmungen – Keine individuelle Betroffenheit – Fehlende Rückzahlungspflicht – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑400/11

Altadis, SA mit Sitz in Madrid (Spanien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Buendía Sierra, E. Abad Valdenebro, M. Muñoz de Juan und R. Calvo Salinero,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal, C. Urraca Caviedes und P. Němečková als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Teilnichtigerklärung des Beschlusses 2011/282/EU der Kommission vom 12. Januar 2011 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts‑ oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien (ABl. L 135, S. 1)

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten L. Truchot (Berichterstatter) sowie der Richterin M. E. Martins Ribeiro und des Richters A. Popescu,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        In den Jahren 2005 und 2006 richteten Mitglieder des Europäischen Parlaments an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mehrere schriftliche Anfragen (E‑4431/05, E‑4772/05, E‑5800/06 und P‑5509/06), ob die Regelung des Art. 12 Abs. 5 der Ley del Impuesto sobre Sociedades (Körperschaftsteuergesetz), der durch die Ley 24/2001 de Medidas Fiscales, Administrativas y del Orden Social (Gesetz Nr. 24/2001 über Steuer-, Verwaltungs- und soziale Maßnahmen) vom 27. Dezember 2001 (BOE Nr. 313 vom 31. Dezember 2001, S. 50493) in das Körperschaftsteuergesetz eingefügt und in das Real Decreto Legislativo 4/2004, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Impuesto sobre Sociedades (Königliches gesetzesvertretendes Dekret Nr. 4/2004 zum Erlass der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes) vom 5. März 2004 (BOE Nr. 61 vom 11. März 2004, S. 10951) übernommen wurde (im Folgenden: streitige Regelung), als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sei. Die Kommission antwortete im Wesentlichen, dass die streitige Regelung nach den ihr vorliegenden Informationen wohl nicht in den Geltungsbereich der Vorschriften über staatliche Beihilfen falle.

2        Mit Schreiben vom 15. Januar und 26. März 2007 ersuchte die Kommission die spanischen Behörden um Auskünfte, um den Geltungsbereich und die Auswirkungen der streitigen Regelung prüfen zu können. Mit Schreiben vom 16. Februar und 4. Juni 2007 übermittelte das Königreich Spanien ihr die angeforderten Informationen.

3        Mit Telefax vom 28. August 2007 ging bei der Kommission die Beschwerde eines privaten Marktteilnehmers ein, der die streitige Regelung als eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe qualifizierte.

4        Mit Entscheidung vom 10. Oktober 2007 (Zusammenfassung in ABl. C 311, S. 21) eröffnete die Kommission hinsichtlich der streitigen Regelung ein förmliches Prüfverfahren.

5        Mit Schreiben vom 5. Dezember 2007 ging die Stellungnahme des Königreichs Spanien zu dieser Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens bei der Kommission ein. Zwischen dem 18. Januar und dem 16. Juni 2008 erhielt die Kommission auch Stellungnahmen von 32 Beteiligten, darunter die der Klägerin Altadis, SA. Mit Schreiben vom 30. Juni 2008 und vom 22. April 2009 übermittelte das Königreich Spanien seine Anmerkungen zu den Stellungnahmen der Beteiligten.

6        Am 18. Februar 2008, 12. Mai und 8. Juni 2009 fanden Fachsitzungen mit den spanischen Behörden statt. Weitere Fachsitzungen wurden auch mit einigen der 32 Beteiligten, darunter die Klägerin, abgehalten.

7        Mit Schreiben vom 14. Juli 2008 und E‑Mail vom 16. Juni 2009 erteilte das Königreich Spanien der Kommission ergänzende Auskünfte.

8        Die Kommission schloss das Verfahren hinsichtlich der innerhalb der Europäischen Union erworbenen Beteiligungen mit ihrer Entscheidung 2011/5/EG vom 28. Oktober 2009 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien (ABl. 2011, L 7, S. 48) ab. Diese Entscheidung erklärt die streitige Regelung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, da mit ihr ein steuerlicher Vorteil in der Form gewährt werde, dass die spanischen Gesellschaften den Geschäfts‑ oder Firmenwert abschreiben könnten, der sich aus dem Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen ergebe, wenn diese Regelung auf den Erwerb von Beteiligungen an in der Union ansässigen Gesellschaften angewandt werde. Die Kommission hielt das Verfahren hinsichtlich der außerhalb der Union erworbenen Beteiligungen offen, da sich die spanischen Behörden verpflichtet hatten, weitere Auskünfte über die Hindernisse, die grenzüberschreitenden Verschmelzungen außerhalb der Union entgegenstehen, zu übermitteln.

9        Das Königreich Spanien übermittelte der Kommission Informationen zu den Direktinvestitionen spanischer Unternehmen außerhalb der Union am 12., 16. und 20. November 2009 sowie am 3. Januar 2010. Bei der Kommission gingen auch Stellungnahmen von mehreren Beteiligten ein.

10      Am 27. November 2009 sowie am 16. und 29. Juni 2010 fanden Fachsitzungen zwischen der Kommission und Spanien statt.

11      Am 12. Januar 2011 erließ die Kommission den Beschluss 2011/282/EU über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts‑ oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien (ABl. L 135, S. 1) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

12      Der angefochtene Beschluss erklärt die streitige Regelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar, sofern sie auf die Durchführung von Erwerben außerhalb der Union ansässiger Unternehmen anwendbar ist (Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses). Nach Art. 1 Abs. 2 und 3 des angefochtenen Beschlusses darf die streitige Regelung nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes jedoch weiterhin auf Beteiligungen angewandt werden, die vor der am 21. Dezember 2007 erfolgten Veröffentlichung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens im Amtsblatt der Europäischen Union erworben wurden, sowie auf Beteiligungen, zu deren Erwerb vor dem 21. Dezember 2007 die unwiderrufliche Verpflichtung eingegangen wurde, sofern dieser Erwerb von der Genehmigung einer Aufsichtsbehörde abhängig gemacht wurde, bei der die Transaktion vor diesem Zeitpunkt angemeldet wurde. Nach Art. 1 Abs. 4 und 5 des angefochtenen Beschlusses darf die streitige Regelung ferner weiterhin auf Beteiligungen an in China, Indien oder in anderen Ländern ansässigen ausländischen Unternehmen, in denen das Vorliegen ausdrücklicher rechtlicher Hindernisse für grenzüberschreitende Unternehmensverschmelzungen nachgewiesen wird, angewandt werden, die bis zur Veröffentlichung des genannten Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union am 21. Mai 2011 erfolgten, sowie auf solche Beteiligungen, zu deren Erwerb vor dem 21. Mai 2011 die unwiderrufliche Verpflichtung eingegangen wurde, sofern dieser Erwerb von der Genehmigung einer Aufsichtsbehörde abhängig gemacht wurde, bei der die Transaktion vor diesem Zeitpunkt angemeldet wurde.

 Verfahren und Anträge der Parteien

13      Mit Klageschrift, die am 29. Juli 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

14      Mit Schriftsatz, der am 10. November 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

15      Mit Schriftsatz vom 6. Januar 2012 hat die Klägerin zur Unzulässigkeitseinrede der Kommission Stellung genommen.

16      Am 5. Oktober und 13. Dezember 2012 hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen die Klägerin aufgefordert, anzugeben, welche Folgerungen sie für die vorliegende Klage aus dem Urteil des Gerichts vom 8. März 2012, Iberdrola/Kommission (T‑221/10), und dem Beschluss des Gerichts vom 21. März 2012, Modelo Continente Hipermercados/Kommission (T‑174/11), zu ziehen beabsichtige, sowie die Kommission aufgefordert, sich zur Antwort der Klägerin auf diese Frage zu äußern. Die Klägerin und die Kommission haben diese Fragen fristgemäß beantwortet.

17      Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,

–        die Klage für zulässig zu erklären und die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen;

–        Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, Art. 4 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit darin eine Pflicht zur Rückforderung von Beihilfen vorgesehen ist, die für vor dem 21. Mai 2011 getätigte Transaktionen gewährt wurden;

–        weiter hilfsweise, Art. 1 Abs. 1 und, äußerst hilfsweise, Art. 4 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit sie sich auf in Marokko getätigte Transaktionen beziehen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

19      Nach Art. 114 § 1 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Unzulässigkeit entscheiden. Nach Art. 114 § 3 wird mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall ist das Gericht in der Lage, aufgrund des Akteninhalts ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

20      Die Kommission trägt vor, die vorliegende Klage sei unzulässig, da die Klägerin weder nachgewiesen habe, dass sie ein Rechtsschutzinteresse habe, noch, dass sie vom angefochtenen Beschluss individuell betroffen sei.

21      Zunächst ist der zweite von der Kommission geltend gemachte Unzulässigkeitsgrund zu prüfen.

22      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV „[kann j]ede natürliche oder juristische Person … unter den Bedingungen nach den Abs. 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben“.

23      Da der angefochtene Beschluss am Ende des förmlichen Prüfverfahrens ergangen und nicht an die Klägerin gerichtet worden ist, ist deren individuelle Betroffenheit anhand der im Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, Slg. 1963, 213, 238), festgelegten Kriterien zu prüfen. Demnach hat die Klägerin darzutun, dass der angefochtene Beschluss sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten dieses Beschlusses (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Die Klägerin beruft sich auf ihre Eigenschaft als durch die streitige Regelung Begünstigte, um darzutun, dass sie von dem angefochtenen Beschluss, mit dem diese Regelung für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt worden sei, individuell betroffen sei.

25      Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Unternehmen einen Beschluss der Kommission, mit der eine sektorielle Beihilferegelung verboten wird, grundsätzlich nicht mit einer Nichtigkeitsklage anfechten, wenn es von ihm nur wegen seiner Zugehörigkeit zum fraglichen Sektor und seiner Eigenschaft als durch diese Regelung potenziell Begünstigter betroffen ist. Ein solcher Beschluss ist nämlich für dieses Unternehmen eine generelle Rechtsnorm, die für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber einer allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppe erzeugt (vgl. Urteil Italien/Kommission, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil des Gerichts vom 11. Juni 2009, Acegas/Kommission, T‑309/02, Slg. 2009, II‑1809, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Ist das klagende Unternehmen von dem fraglichen Beschluss jedoch nicht nur als Unternehmen des fraglichen Sektors und damit als durch die Beihilferegelung potenziell Begünstigter betroffen, sondern auch in seiner Eigenschaft als tatsächlich Begünstigter einer nach dieser Regelung gewährten individuellen Beihilfe, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat, ist es von diesem Beschluss individuell betroffen und seine dagegen gerichtete Klage zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission, C‑15/98 und C‑105/99, Slg. 2000, I‑8855, Randnrn. 34 und 35, sowie Urteil des Gerichts vom 10. September 2009, Banco Comercial dos Açores/Kommission, T‑75/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 44).

27      Es ist daher zu prüfen, ob die Klägerin tatsächlich Begünstigte einer Einzelbeihilfe ist, die nach der von dem angefochtenen Beschluss betroffenen Beihilferegelung gewährt wurde und deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, Slg. 2011, I‑4727, Randnr. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil Iberdrola/Kommission, Randnr. 27).

28      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ihre Eigenschaft als tatsächliche Begünstigte der streitigen Regelung nachgewiesen. Sie hat ihrer Klageschrift ein Schriftstück beigefügt, das belegt, dass sie die streitige Regelung für den Erwerb von Beteiligungen an einer in Marokko ansässigen Gesellschaft 2003 und 2006 in Anspruch genommen hatte. Nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses ist sie von der in diesem Beschluss vorgesehenen Rückforderungsverpflichtung jedoch nicht betroffen.

29      Hierzu führt die Klägerin erstens unter Berufung auf die Rechtsprechung aus, dass ihre Eigenschaft als tatsächlich Begünstigte der streitigen Regelung ausreiche, um nachzuweisen, dass sie individuell betroffen sei, da die Pflicht zur Rückzahlung der nach der genannten Regelung erlangten Beihilfen insoweit keine unabdingbare Voraussetzung sei. Insbesondere aus dem Urteil Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission sei abzuleiten, dass ein Unternehmen als individuell betroffen angesehen werden könne, wenn es Begünstigter einer im Rahmen einer Beihilferegelung gewährten Beihilfe sei, deren Rückforderung allgemein angeordnet worden sei, ohne dass diese Rückzahlungspflicht für es selbst gelte.

30      Hierzu ist Randnr. 53 des Urteils Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission anzuführen, auf die die Klägerin ihr Vorbringen stützt:

„[D]ie tatsächlich Begünstigten von aufgrund einer Beihilferegelung gewährten Einzelbeihilfen, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat, [sind] aus diesem Grund … individuell betroffen …“

31      Diese Passage wurde in den sie aufgreifenden Entscheidungen des Gerichtshofs und des Gerichts in dem Sinne ausgelegt, dass der tatsächlich Begünstigte einer Beihilfenregelung nur dann als von einem Beschluss der Kommission über diese Regelung individuell betroffen angesehen wird, wenn er eine in den Geltungsbereich der Rückforderungsverpflichtung des genannten Beschlusses fallende Beihilfe erhalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Italien und Sardegna Lines/Kommission, Randnrn. 31 und 34, Urteil des Gerichts vom 11. Juni 2009, AEM/Kommission, T‑301/02, Slg. 2009, II‑1757, Randnrn. 46 bis 48, und Beschluss Modelo Continente Hipermercados/Kommission, Randnr. 30). Die Rückforderung, auf die in Randnr. 53 des Urteils Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission Bezug genommen wird, bezieht sich daher auf die Beihilfe, die die betreffende klagende Partei erhielt, und nicht auf allgemein nach der fraglichen Beihilferegelung gewährte Beihilfen.

32      Diese Auslegung wird im Übrigen in Randnr. 56 des Urteils Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission bestätigt, die wie folgt lautet:

„[D]ie Rückforderungsanordnung [betrifft bereits] alle durch die fragliche Regelung Begünstigten individuell, da diese bereits vom Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung an dem Risiko einer Wiedereinziehung der von ihnen empfangenen Vorteile ausgesetzt und damit in ihrer rechtlichen Stellung beeinträchtigt sind. Diese Begünstigten gehören somit zu einem beschränkten Personenkreis …, ohne dass es einer Prüfung weiterer Voraussetzungen bedürfte, die Fälle betreffen, in denen die Entscheidung der Kommission nicht mit einer Rückforderungsanordnung versehen ist. Zudem schließt die Möglichkeit, dass die für rechtswidrig erklärten Vorteile später von ihren Empfängern nicht zurückgefordert werden, deren individuelle Betroffenheit nicht aus.“

33      Zum einen ergibt sich aus dem ersten und dem zweiten Satz dieser Randnummer des Urteils Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission in Verbindung mit der davor stehenden Randnr. 55, dass der Gerichtshof nur den in diesem Urteil allein streitigen Fall geprüft hat, dass die angefochtene Handlung eine Rückforderungsverpflichtung gegenüber der klagenden Partei vorsah. Der Gerichtshof hat nämlich im ersten Satz festgestellt, dass die Rückforderungsanordnung alle durch die fragliche Beihilferegelung Begünstigten individuell betrifft, die dem Risiko ausgesetzt sind, die empfangenen Beihilfen zurückzahlen zu müssen, und es im zweiten Satz abgelehnt, den Fall zu prüfen, dass die Entscheidung der Kommission nicht mit einer Rückforderungsanordnung versehen ist. Zum anderen ergibt sich aus dem dritten Satz der Randnr. 56 des Urteils Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission auch in Verbindung mit Randnr. 55 dieses Urteils, dass eine solche Rückforderungsverpflichtung gegenüber einer klagenden Partei ausreicht, sie zu individualisieren, ohne dass es erforderlich wäre, zu prüfen, ob diese Verpflichtung auf nationaler Ebene umgesetzt wird (Beschluss Modelo Continente Hipermercados/Kommission, Randnr. 29).

34      Der Gerichtshof hat im Urteil Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, auf das sich die Klägerin beruft, die individuelle Betroffenheit der klagenden Partei durch die angefochtene Handlung in der fraglichen Rechtssache aus einer Rückforderungsverpflichtung bezüglich der von ihr empfangenen Beihilfen abgeleitet, und zwar unabhängig von der Umsetzung einer solchen Verpflichtung. Daher kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Eigenschaft als tatsächliche Begünstigte einer Beihilferegelung ausreicht, diese Begünstigte zu individualisieren, wenn sie nicht von der in der angefochtenen Handlung vorgesehenen Verpflichtung zur Rückforderung der nach dieser Regelung gewährten Beihilfen betroffen ist.

35      Auch das Urteil des Gerichts vom 21. Mai 2010, Frankreich u. a./Kommission (T‑425/04, T‑444/04, T‑450/04 und T‑456/04, Slg. 2010, II‑2099), ist im vorliegenden Fall nicht erheblich. Zwar hat das Gericht, wie die Klägerin geltend macht, in Randnr. 123 dieses Urteils entschieden, dass die Nichtigerklärung der Bestimmung der streitigen Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, zur Folge hat, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Beihilfemaßnahme, einer die Klägerin begünstigenden Einzelmaßnahme, ungültig wäre, was eine Rechtsfolge darstellt, die ihre Rechtsstellung verändert und ihr einen Vorteil verschafft. Jedoch hat sich das Gericht, wie die Kommission zu Recht feststellt, in dieser Randnummer zur Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses geäußert, das sich von der Voraussetzung der individuellen Betroffenheit insbesondere dadurch unterscheidet, dass es den dem Kläger durch das Ergebnis seiner Klage verschafften Vorteil, nicht aber eine besondere Verbindung zwischen diesem Kläger und der klagegegenständlichen Entscheidung betrifft (siehe oben, Randnr. 23, und auch unten, Randnr. 38).

36      Schließlich ist das Vorbringen zum Vermögensrisiko des von einer Beihilfe, die aufgrund einer für unvereinbar erklärten Regelung gewährt wurde, tatsächlich Begünstigten, das sich aus den möglichen Auswirkungen einer solchen Unvereinbarerklärung auf die Anwendung der Regeln über die Kumulierung von Beihilfen und die De‑minimis‑Beihilfen ergäbe, zurückzuweisen, da die Klägerin insoweit lediglich eine Behauptung aufgestellt hat, ohne diese möglichen Auswirkungen und damit das behauptete Vermögensrisiko zu erläutern.

37      Die Klägerin macht zweitens geltend, dass sie, wenn man annähme, dass die Verpflichtung zur Rückforderung der von ihr erhaltenen Beihilfen erforderlich sei, damit sie als von dem angefochtenen Beschluss individuell betroffen angesehen werden könne, einer solchen Verpflichtung im vorliegenden Fall unterliege. Denn der Ausschluss der vor dem 21. Dezember 2007 getätigten Transaktionen vom Geltungsbereich der Rückforderungsverpflichtung nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes sei wegen der gegen diesen Teil des verfügenden Teils des angefochtenen Beschlusses erhobenen Klage der Deutsche Telekom AG in der Rechtssache T‑207/10 nicht endgültig.

38      Die Klägerin verwechselt auch bei diesem Vorbringen die Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit mit derjenigen des Rechtsschutzinteresses. Während nämlich das Rechtsschutzinteresse insbesondere aufgrund von nach Erhebung der Klage beim Unionsrichter aufgetretenen Umständen, die außerhalb der klagenden Partei und des angefochtenen Beschlusses liegen, bejaht oder aber verneint werden kann, ist die individuelle Betroffenheit einer natürlichen oder juristischen Person zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage zu beurteilen und richtet sich nur nach dem angefochtenen Beschluss. Eine Person, die von einem Beschluss individuell betroffen ist, mit der eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und mit der deren Rückforderung angeordnet wurde, bleibt somit von dieser individuell betroffen, auch wenn sich in der Folge zeigt, dass von ihr keine Rückzahlung verlangt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, Randnr. 56, und Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in dieser Rechtssache, Slg. 2011, I‑4732, Nrn. 81 und 82; siehe auch oben, Randnr. 33).

39      Außerdem ist zu beachten, dass der Kläger zur Feststellung seiner individuellen Betroffenheit durch die angefochtene Maßnahme seine Zugehörigkeit zu einem geschlossenen Kreis nachweisen muss, d. h. zu einer Gruppe, die nach Erlass der angefochtenen Maßnahme nicht mehr erweitert werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 26. Juni 1990, Sofrimport/Kommission, C‑152/88, Slg. 1990, I‑2477, Randnr. 11, und vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 und C‑217/03, Slg. 2006, I‑5479, Randnr. 63).

40      Im vorliegenden Fall lassen eine etwaige Nichtigerklärung des Art. 1 Abs. 2 der in der Rechtssache T‑207/10 angefochtenen Entscheidung durch das Gericht und die anschließende Rückforderung der streitigen Beihilfen von der Klägerin – die zudem rein hypothetisch sind – daher nicht die Annahme zu, dass die Klägerin individuell betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Iberdrola/Kommission, Randnr. 42).

41      Daraus folgt, dass die Klägerin von dem angefochtenen Beschluss nicht individuell betroffen ist.

42      Die Klägerin trägt jedoch vor, dass sie im vorliegenden Fall nicht zum Nachweis verpflichtet sei, dass sie von dem angefochtenen Beschluss individuell betroffen sei, da dieser Beschluss als Rechtsakt mit Verordnungscharakter qualifiziert werden könne, der keine Durchführungsmaßnahmen im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV nach sich ziehe.

43      Die Kommission entgegnet, dass der angefochtene Beschluss kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, sei, und weist auf mehrere nationale Maßnahmen zur Durchführung des angefochtenen Beschlusses, insbesondere die Aufhebung der streitigen Regelung durch den spanischen Gesetzgeber, die Rückforderung der nach der streitigen Regelung rechtswidrig gewährten Beihilfen von den Begünstigten durch die Steuerbehörden sowie die Anerkennung oder Versagung des betreffenden Steuervorteils durch diese Behörden.

44      Die Klägerin entgegnet, dass die von der Kommission genannten Maßnahmen keine Durchführungsmaßnahmen im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV darstellten. Die angeführten Rückforderungsmaßnahmen könnten nämlich nicht als Durchführungsmaßnahmen angesehen werden, da die in dem angefochtenen Beschluss enthaltene Rückforderungsanordnung für das Königreich Spanien in allen Teilen verbindlich sei, ohne dass dieses über einen Ermessensspielraum verfüge. Ebenso sei die Aufhebung der für unvereinbar erklärten streitigen Regelung sowie die Anerkennung oder Versagung des betreffenden Steuervorteils schon in dem angefochtenen Beschluss festgelegt und seien nur dessen Rechtsfolge.

45      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass ein Beschluss wie der vorliegende nach Art. 288 Abs. 4 AEUV nur für die Adressaten, an die er gerichtet ist, in allen seinen Teilen verbindlich ist. Daher ist die Verpflichtung, die Vorteile der streitigen Regelung nicht zu gewähren, die gewährten Steuervorteile für nichtig zu erklären und die nach dieser Regelung gewährten Beihilfen zurückzufordern, die zwingende Rechtsfolge des angefochtenen Beschlusses für das Königreich Spanien als dessen Adressat.

46      Dagegen erzeugt der angefochtene Beschluss keine solchen Rechtswirkungen gegenüber den Begünstigten der streitigen Regelung. Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses regelt nicht, welche Auswirkungen die Unvereinbarkeit der streitigen Regelung mit dem Binnenmarkt auf den jeweiligen Begünstigten dieser Regelung hat, da aus dieser Unvereinbarerklärung selbst für die Begünstigten weder ein Verbot noch ein Gebot resultiert. Darüber hinaus sind die Folgen der Unvereinbarkeit nicht notwendigerweise für jeden der Begünstigten der streitigen Regelung gleich. Die Auswirkungen der Unvereinbarkeit sind daher durch einen Rechtsakt der zuständigen nationalen Behörden wie z. B. einen Steuerbescheid zu individualisieren, der eine Maßnahme zur Durchführung des Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV darstellt.

47      Dabei ist es, wie die Klägerin vorträgt, unerheblich, dass das Königreich Spanien über keinerlei Ermessensspielraum bei der Durchführung des angefochtenen Beschlusses verfügt. Zwar ist das Fehlen eines Ermessensspielraums ein Merkmal, das zwecks Feststellung, ob die Bedingung der unmittelbaren Betroffenheit eines Klägers erfüllt ist, geprüft werden muss (vgl. Urteil des Gerichts vom 26. September 2000, Starway/Rat, T‑80/97, Slg. 2000, II‑3099, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). Bei dem in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Erfordernis eines Rechtsakts, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, handelt es sich jedoch um eine Voraussetzung, die sich von jener der unmittelbaren Betroffenheit unterscheidet (Beschlüsse des Gerichts vom 4. Juni 2012, Eurofer/Kommission, T‑381/11, Randnr. 59, und vom 5. Februar 2013, BSI/Rat, T‑551/11, Randnr. 56).

48      Daraus folgt, dass der angefochtene Beschluss Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht und dass er daher nicht als Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV qualifiziert werden kann. Das auf den letzten Satzteil dieser Bestimmung gestützte Vorbringen der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

49      Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin, mit dem eine Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerügt wird, in Frage gestellt, da sie gegen die Feststellung der Unvereinbarkeit der streitigen Regelung in Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses keine Klage erheben könnte.

50      Die Europäische Union ist eine Rechtsunion, in der die Handlungen ihrer Organe daraufhin kontrolliert werden, ob sie mit dem Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, zu denen auch die Grundrechte gehören, vereinbar sind. Die Einzelnen müssen daher einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die sie aus der Unionsrechtsordnung herleiten (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. März 2011, Freistaat Sachsen u. a./Kommission, T‑443/08 und T‑455/08, Slg. 2011, II‑1311, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist der Klägerin jedoch ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz keineswegs abgeschnitten. Selbst wenn nämlich die vorliegende Klage für unzulässig erklärt wird, ist die Klägerin nicht daran gehindert, die Maßnahmen zur Durchführung des angefochtenen Beschlusses und insbesondere die Steuerbescheide, mit denen die Vorteile der streitigen Regelung versagt werden, vor einem nationalen Gericht anzufechten. Das nationale Gericht kann die Gültigkeit des Art. 1 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses inzident prüfen und gegebenenfalls dem Gerichtshof eine Frage zur Beurteilung der Gültigkeit nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorlegen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Beschluss Eurofer/Kommission, Randnr. 60).

51      Demnach ist die vorliegende Klage als unzulässig abzuweisen, ohne dass es der Prüfung des ersten von der Kommission geltend gemachten Unzulässigkeitsgrundes bedarf, der auf das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin gestützt wird.

 Kosten

52      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission gemäß deren Antrag aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Altadis, SA trägt die Kosten.

Luxemburg, den 9. September 2013

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

      L. Truchot


* Verfahrenssprache: Spanisch.