Language of document : ECLI:EU:T:2015:637

Rechtssache T‑472/12

Novartis Europharm Ltd

gegen

Europäische Kommission

„Humanarzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen des Generikums Zoledronic acid Teva Pharma – Zoledronsäure – Regelung des Schutzzeitraums der Daten für die Referenzarzneimittel Zometa und Aclasta, die den Wirkstoff Zoledronsäure enthalten – Richtlinie 2001/83/EG – Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 und Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen – Regelung des Schutzzeitraums der Daten“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite Kammer) vom 15. September 2015

1.      Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Abgekürztes Verfahren – Umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen – Bedeutung –Entwicklungen eines Arzneimittels, das mit einer gesonderten Zulassung und einem eigenen Namen genehmigt wurde – Einbeziehung – Keine Gewährung einer neuen Regelung des Schutzzeitraums der Daten

(Verordnung Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates; Verordnung Nr. 2309/93 des Rates; Verordnungen der Kommission Nr. 1085/2003 und Nr. 1234/2008; Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 1 und 10 Abs. 1)

2.      Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Abgekürztes Verfahren – Generikum eines Referenzarzneimittels – Befreiung von der Pflicht zur Vorlage der Ergebnisse der pharmazeutischen, vorklinischen und klinischen Versuche – Ziele

(Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 1, 8 Abs. 3 Buchst. i und 10 Abs. 1)

3.      Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Unterschiedlicher Schutz je nachdem, ob ein nationales oder ein zentralisiertes Genehmigungsverfahren zur Anwendung kommt – Unzulässigkeit

(Verordnung Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates; Verordnung Nr. 2309/93 des Rates; Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates; Richtlinie 65/65 des Rates)

1.      Der in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel verankerte Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen (Zulassung) wird dahin ausgelegt, dass für die neuen therapeutischen Indikationen, die neuen Stärken, Dosierungen und Verabreichungswege sowie für die neuen pharmazeutischen Formen eines ersten Arzneimittels keine eigenständige Regelung eines Schutzzeitraums für Daten gilt. Wenn daher die Zulassung für diese Entwicklungen in die Zulassung des ersten Arzneimittels einbezogen ist, führt die Erteilung der Zulassung für diese Entwicklungen nicht zu einer eigenständigen Regelung eines Schutzzeitraums der Daten.

Diese Auslegung wird bestätigt durch den Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83, der nicht unterscheidet zwischen einer Entwicklung des Ursprungsarzneimittels, die auf der Grundlage der Änderung einer Erstzulassung genehmigt wurde, und einer Entwicklung des Ursprungsarzneimittels, die auf der Grundlage der Erteilung einer gesonderten Zulassung und eines eigenen Namens genehmigt wurde: In beiden Fällen gehören das ursprüngliche Arzneimittel wie auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen im Hinblick auf die Anwendung der Regelung des Schutzzeitraums der Daten zu derselben umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen. Die umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen wird demnach inhaltlich und nicht aus einem formalen Blickwinkel definiert, was bedeutet, dass eine so verstandene umfassende Genehmigung für das Inverkehrbringen mehrere in formeller Hinsicht gesonderte Zulassungen umfassen kann.

Da die Einreichung eines Antrags mit dem Ziel, für das neue Arzneimittel eine gesonderte Zulassung und einen neuen Namen zu erhalten, anstelle eines Antrags auf Änderung und Erweiterung der Zulassung des ersten Arzneimittels auf einer unternehmerischen Entscheidung des Herstellers beruht, darf die Marktstrategie eines Unternehmens keinen Einfluss auf die Anwendung der Regelung des Schutzzeitraums der Daten haben. Denn die Möglichkeit, auf ein abgekürztes Verfahren zurückzugreifen, immer dann auszuschließen, wenn eine später zugelassene Änderung eines Referenzerzeugnisses eine neue Bezeichnung erhalten hat, würde die Form über die Sache stellen und es den Antragstellern einfach machen, unter Umgehung der im Allgemeininteresse liegenden Ziele, die mit der Einführung dieses abgekürzten Verfahrens verfolgt werden, zusätzlichen Datenschutz zu erlangen.

(vgl. Rn. 45, 46, 52, 59)

2.      Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel – der die Möglichkeit vorsieht, von dem Erfordernis abzusehen, zum Zweck des Erhalts einer Zulassung für ein Arzneimittel die Ergebnisse der pharmazeutischen, vorklinischen und klinischen Versuche gemäß Art. 8 Abs. 3 Buchst. i dieser Richtlinie vorlegen zu müssen, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass das Arzneimittel, das Gegenstand des Antrags ist, ein Generikum eines in der Union genehmigten Referenzarzneimittels ist und dass die Regelung des Schutzzeitraums der Daten abgelaufen ist – verfolgt das Ziel, den ausreichenden Schutz der von den innovativen pharmazeutischen Unternehmen unternommenen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf der einen Seite mit dem Bestreben, überflüssige Versuche an Menschen und Tieren zu vermeiden, auf der anderen Seite in Einklang zu bringen.

Im Übrigen trägt der Begriff der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 dem Zweck des sogenannten abgekürzten Verfahrens Rechnung, das es ermöglichen soll, die Zeit und die Kosten zu sparen, die für die Sammlung der Ergebnisse der pharmakologischen, toxikologischen und klinischen Versuche erforderlich sind, und zu vermeiden, dass Versuche am Menschen oder am Tier wiederholt werden. Diese Zielsetzung wäre offensichtlich beeinträchtigt, wenn der Hersteller des ursprünglichen Arzneimittels die Regelung des Schutzzeitraums der Daten unbegrenzt verlängern und auf diese Weise die Hersteller generischer Arzneimittel daran hindern könnte, es nach Ablauf der Regelung des Schutzzeitraums der Daten als Referenzarzneimittel zu verwenden, die vom Gesetzgeber ausdrücklich dafür vorgesehen wurde, die Interessen der innovativen Unternehmen mit dem öffentlichen Interesse in Einklang zu bringen.

(vgl. Rn. 62, 63)

3.      Die in den Verordnungen Nr. 2309/93 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln und Nr. 726/2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur sowie in der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel und zuvor in der Richtlinie 65/65 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten enthaltenen Regelungen dürfen nicht voneinander isoliert betrachtet werden, sondern müssen miteinander in Einklang gebracht werden.

Während die Regelung in den Verordnungen vor allem aus Verfahrensbestimmungen besteht, enthält die Regelung in der Richtlinie eine materielle Festlegung der Kriterien, die zum Zweck der Gewährleistung der Qualität der Erzeugnisse und der menschlichen Gesundheit beachtet werden müssen. Die Arzneimittel müssen daher unabhängig vom jeweiligen Verfahren denselben materiellen Anforderungen genügen, und es muss für sie derselbe Schutz gelten.

Eine Auslegung, wonach im Rahmen des zentralisierten Genehmigungsverfahrens anders als bei den nationalen Verfahren der Inhaber einer Zulassung die Möglichkeit hätte, eine neue Zulassung für ein anderes Erzeugnis, das denselben Wirkstoff enthält und für das der Zugang zum zentralisierten Verfahren auf der Grundlage besonderer Zugangskriterien der Innovation genehmigt worden wäre, zu beantragen, läuft den in der Verordnung Nr. 726/2004 aufgestellten Grundsätzen zuwider. Während es gemäß der Regelung der Verordnung Nr. 2309/93 keine Beschränkungen in Bezug auf die Zahl der Zulassungsanträge gab, die ein Antragsteller für ein einziges Arzneimittel einreichen konnte, bestimmt nämlich Art. 82 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004, dass – abgesehen von begründeten Ausnahmefällen, insbesondere aus objektiven, die öffentliche Gesundheit betreffenden Gründen – nur ein einziger Zulassungsantrag für ein und dasselbe Arzneimittel und ein und denselben Inhaber zum Zweck des Erhalts einer Zulassung im Wege des zentralisierten Verfahrens eingereicht werden kann, obwohl die Richtlinie 2001/83 keine derartigen Beschränkungen im Hinblick auf nationale Genehmigungsverfahren kennt.

Es ist nicht vertretbar, die Anwendung der Regelung der Schutzrechte im Hinblick auf Arzneimittel unterschiedlich zu handhaben, je nachdem, ob die Arzneimittel nach den nationalen Verfahren oder nach dem zentralisierten Verfahren gemäß der Verordnung Nr. 2309/93 und nunmehr gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 genehmigt werden. Denn die Zulässigkeitskriterien des zentralisierten Verfahrens haben nicht zum Ziel, für innovative Arzneimittel die Möglichkeit zu eröffnen, dass eine neue Regelung des Schutzzeitraums der Daten auch dann gilt, wenn es sich um eine neue Variante eines früher genehmigten Arzneimittels handelt. Vielmehr besteht ihr Zweck allein darin, den Zugang zum zentralisierten Verfahren zu regeln.

(vgl. Rn. 70, 71, 73, 74, 77, 80)