Language of document : ECLI:EU:T:2011:365

Rechtssache T‑151/07

Kone Oyj u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für die Montage und Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Manipulation bei Ausschreibungen – Aufteilung der Märkte – Festsetzung der Preise“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Rechtsnatur

(Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

2.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Kohärenz zwischen den mehreren Unternehmen auferlegten Beträgen

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

3.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Verpflichtung zur Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen auf den Markt – Fehlen – Vorrangige Rolle des Kriteriums der Art der Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

4.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit – Ermessen der Kommission

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Kontrollbefugnisse der Kommission – Entscheidung, mit der eine Nachprüfung angeordnet wird – Begründungspflicht – Umfang

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 20 Abs. 4)

6.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen als Gegenleistung für die Zusammenarbeit der beschuldigten Unternehmen – Zwingender Charakter für die Kommission

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

7.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung – Voraussetzungen – Vergleichbarkeit der Situationen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

8.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Umfang – Weigerung, ein Dokument zu übermitteln – Folgen – Notwendigkeit, bei der dem betroffenen Unternehmen obliegenden Beweislast zwischen belastenden und entlastenden Schriftstücken zu unterscheiden

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Verhalten des Unternehmens während des Verwaltungsverfahrens

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 Abs. 1 und 20 Abs. 3)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit – Herabsetzung wegen Nichtbestreitens außerhalb dieser Mitteilung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilungen 96/C 207/04 und 2002/C 45/03 der Kommission)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Herabsetzung wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitt D Nr. 2)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Verhalten des Unternehmens während des Verwaltungsverfahrens – Rechtswidrigkeit von Bußgeldermäßigungen für Unternehmen, die die Tatsachenbehauptungen der Kommission nicht ausdrücklich anerkannt haben

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23)

1.      Zwar können die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, nicht als Rechtsnorm qualifiziert werden, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat, jedoch stellen sie eine Verhaltensnorm dar, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind. Die Kommission hat dadurch, dass sie derartige Verhaltensnormen erlassen und durch ihre Veröffentlichung angekündigt hat, dass sie sie von nun an auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werde, die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und kann nicht von diesen Normen abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes geahndet würde. Diese Leitlinien legen allgemein und abstrakt die Methode fest, die sich die Kommission zur Festsetzung der Geldbußen auferlegt hat, und schaffen damit Rechtssicherheit für die Unternehmen.

(vgl. Randnrn. 34-36)

2.      Selbst unterstellt, dass die Kommission, wenn sie mit ein und derselben Entscheidung mehrere besonders schwere Verstöße feststellt, ein proportionales Verhältnis zwischen den allgemeinen Ausgangsbeträgen und der Größe der verschiedenen betroffenen Märkte wahren muss, deutet doch nichts darauf hin, dass ein solcher für das Kartell in einem Mitgliedstaat festgesetzter Betrag nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den für die Kartelle in anderen Mitgliedstaaten festgesetzten allgemeinen Ausgangsbeträgen steht, wenn die Kommission Ausgangsbeträge angemessen und kohärent festgesetzt hat, ohne jedoch dabei eine genaue mathematische Formel anzuwenden, wozu sie ohnehin nicht verpflichtet ist.

(vgl. Randnrn. 54-55)

3.      Die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union ist anhand einer Vielzahl von Faktoren zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten. Insoweit ist die Größe des betroffenen Marktes bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung grundsätzlich kein obligatorischer, sondern nur ein relevanter Faktor unter anderen, wobei im Übrigen die Kommission nicht zur Abgrenzung des betroffenen Marktes oder der Beurteilung seiner Größe verpflichtet ist, wenn die betreffende Zuwiderhandlung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt.

Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, sehen nämlich nicht vor, dass die Höhe von Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern.

Hat insoweit die Kommission für die Festsetzung des allgemeinen Ausgangsbetrags einer Geldbuße wegen einer einen Mitgliedstaat betreffenden Zuwiderhandlung nicht auf die Größe des betroffenen Markts abgestellt, sondern ihre Entscheidung auf die Art und den räumlichen Umfang dieser Zuwiderhandlung gestützt, beruht die Erwägung, dass der in Bezug auf das Kartell in diesem Mitgliedstaat festgesetzte allgemeine Ausgangsbetrag der Geldbuße die behauptete geringe Größe des betroffenen Markt widerspiegeln müsse, auf einer irrigen Prämisse, so dass die Entscheidung der Kommission nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

Gleiches gilt für die Nichtberücksichtigung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt. Nach Nr. 1 Abschnitt A Abs. 1 der genannten Leitlinien muss die Kommission nämlich bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung die konkreten Auswirkungen auf den Markt nur dann prüfen, wenn sie messbar erscheinen. Bei der Beurteilung dieser Auswirkungen muss sie sich auf den Wettbewerb beziehen, der normalerweise ohne eine Zuwiderhandlung geherrscht hätte. Vertritt die Kommission jedoch die Auffassung, dass es nicht möglich gewesen sei, die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt zu messen, ohne dass die betroffenen Unternehmen das Gegenteil nachgewiesen hätten, kann sie ihre Entscheidung auf die Schwere und den geografischen Umfang der Zuwiderhandlung stützen.

Die Auswirkung einer wettbewerbswidrigen Praxis ist nämlich bei der Beurteilung der Schwere eines Verstoßes kein ausschlaggebendes Kriterium. Gesichtspunkte, die die Intention eines Verhaltens betreffen, können größere Bedeutung haben als solche, die dessen Wirkungen betreffen, vor allem, wenn es sich dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie die Marktaufteilung handelt. Die Art der Zuwiderhandlung spielt somit insbesondere bei der Einstufung der Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ eine vorrangige Rolle. Aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den genannten Leitlinien ergibt sich, dass Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die insbesondere auf die Marktaufteilung abzielen, allein schon aufgrund ihrer Natur als „besonders schwer“ eingestuft werden können, ohne dass diese Verhaltensweisen durch eine besondere Auswirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet sein müssen. Dies wird dadurch bestätigt, dass in der Beschreibung der schweren Verstöße ausdrücklich erwähnt wird, dass sie Auswirkungen auf den Markt haben und in einem größeren Teil des Gemeinsamen Markts zum Tragen kommen, während die Beschreibung der besonders schweren Verstöße kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder von Auswirkungen in einem besonderen räumlichen Bereich enthält.

In einer Entscheidung der Kommission festgestellte Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln der Union, die aus geheimen Absprachen zwischen Kartellmitgliedern zu dem Zweck bestehen, durch die Zuteilung von Projekten für den Verkauf und den Einbau neuer Aufzüge und/oder Fahrtreppen die Märkte aufzuteilen oder Marktanteile einzufrieren sowie den gegenseitigen Wettbewerb bei der Wartung und Modernisierung von Aufzügen und Fahrtreppen zu unterlassen, gehören daher ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Verstößen gegen Art. 81 EG. Außer der schweren Störung des Wettbewerbs, die diese Absprachen mit sich bringen, bewirken sie, da sie die Parteien dazu verpflichten, gesonderte, oft durch Staatsgrenzen abgegrenzte Märkte zu respektieren, eine Abschottung dieser Märkte und konterkarieren so das Hauptziel des Vertrags, die Integration des Gemeinschaftsmarkts. Daher werden derartige Zuwiderhandlungen, insbesondere wenn es sich um horizontale Absprachen handelt, als besonders schwer oder als offenkundige Zuwiderhandlungen qualifiziert.

(vgl. Randnrn. 32, 46-47, 56, 61-62, 64, 67-69)

4.      Die Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (Mitteilung über Zusammenarbeit) ist ein Instrument, mit dem unter Beachtung des höherrangigen Rechts die Kriterien präzisiert werden sollen, die die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens im Rahmen der Zumessung von Geldbußen anzuwenden gedenkt, die wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union verhängt werden. Daraus resultiert eine Selbstbeschränkung dieses Ermessens, die jedoch mit dem Fortbestand des erheblichen Wertungsspielraums der Kommission nicht unvereinbar ist.

Somit verfügt die Kommission über einen weiten Wertungsspielraum, wenn sie zu prüfen hat, ob Beweismittel, die von einem Unternehmen vorgelegt worden sind, das erklärt hat, es wolle die Mitteilung über Zusammenarbeit in Anspruch nehmen, einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 dieser Mitteilung darstellen.

Ebenso verfügt die Kommission, nachdem sie festgestellt hat, dass Beweismittel einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 der Mitteilung über Zusammenarbeit darstellen, über einen Wertungsspielraum, wenn sie den genauen Umfang der dem betreffenden Unternehmen zu gewährenden Ermäßigung der Geldbuße zu bestimmen hat. Randnr. 23 Buchst. b Abs. 1 dieser Mitteilung sieht nämlich für die verschiedenen Kategorien von Unternehmen, auf die er sich bezieht, jeweils Bandbreiten vor, innerhalb deren Geldbußen ermäßigt werden können. Angesichts dieses Wertungsspielraums kann nur ein offensichtliches Überschreiten dieses Spielraums vom Unionsrichter beanstandet werden.

Um einen Geldbußenerlass nach Randnr. 8 Buchst. b der Mitteilung über Zusammenarbeit erwirken zu können, muss das Unternehmen als erstes Unternehmen Beweismittel vorlegen, die es der Kommission ihrer Ansicht nach ermöglichen, eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festzustellen.

Für die Gewährung eines Geldbußenerlasses an ein Unternehmen nach dieser Bestimmung ist zudem die Qualität der Zusammenarbeit dieses Unternehmens entscheidend. Es genügt nämlich nicht, dass das Unternehmen eine Information gab und Beweismittel vorlegte, die die tatsächliche Verfolgung des Verstoßes ermöglichten. Zwar ist nicht erforderlich, dass die vorgelegten Beweismittel ausreichen, um die Zuwiderhandlung vollständig oder in allen Einzelheiten nachzuweisen, sie müssen jedoch so geartet, so genau und so beweiskräftig sein, dass sie der Kommission die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 81 EG ermöglichen.

Insoweit reichen Erklärungen, die von den leitenden Angestellten des betreffenden Unternehmens angefertigt wurden und bei denen Ungenauigkeiten nicht auszuschließen sind, für die Feststellung einer Zuwiderhandlung nicht aus, wenn sie nicht durch eindeutige und übereinstimmende schriftliche Beweise bekräftigt werden. Denn es ist notwendig, dass die Kommission in ihrer Entscheidung ihre feste Überzeugung, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde, auf eindeutige und übereinstimmende Beweise stützt.

Unter diesen Umständen überschreitet die Kommission nicht offensichtlich ihr Ermessen, wenn sie es ablehnt, einem Unternehmen einen Geldbußenerlass zu gewähren, das Beweismittel von begrenztem Beweismittel vorgelegt hat, die nicht aus der Zeit der Zuwiderhandlung stammen und zum Teil undatiert sind. Dass dieses Unternehmen einen solchen Geldbußenerlass bei einer in anderen Mitgliedstaaten begangenen gleichartigen Zuwiderhandlung erwirkt hat, ist insoweit unerheblich, da die in jedem Einzelfall gegebenen Informationen unterschiedlich geartet und unterschiedlich genau waren.

Auch überschreitet die Kommission das Ermessen, das ihr bei der Beurteilung der Zusammenarbeit im Hinblick auf eine Herabsetzung der festgesetzten Beihilfe zusteht, nicht, wenn sie der Auffassung ist, dass nicht aus dem Untersuchungszeitraum stammende Beweismittel, die den wettbewerbswidrigen Zweck eines Kartells leugnen und zwiespältig sind, nicht genau genug sind, als dass man ihnen einen erheblichen Mehrwert im Sinne der Randnr. 21 dieser Mitteilung über Zusammenarbeit zuerkennen könnte. Denn wenn ein Unternehmen, das der Kommission in seinem Antrag auf Kronzeugenbehandlung keine aus dem Untersuchungszeitraum stammenden Beweismittel vorlegt, sie über Umstände informiert, von denen sie vorher keine Kenntnis hatte, kann nur dann davon ausgegangen werden, dass diese Informationen die Fähigkeit der Kommission, ein Kartell nachzuweisen, stärken, wenn das betreffende Unternehmen sie mit dem Bestehen dieses Kartells in Verbindung bringt, da der Beitrag des Unternehmens die Fähigkeit der Kommission, den Nachweis für die Zuwiderhandlung zu erbringen, tatsächlich stärken muss. Jede Ermäßigung der von der Kommission festgesetzten Geldbuße muss daher dem Beitrag des Unternehmens entsprechen, den es tatsächlich zum Nachweis des Kartells durch die Kommission erbracht hat.

(vgl. Randnrn. 80-81, 83-84, 91, 94, 97-99, 100, 102-103, 108, 111-113, 117-119, 122-124, 162, 165, 169, 174-176, 179)

5.      Die Kommission muss in ihren Nachprüfungsentscheidungen klar angeben, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt. Die genaue Abgrenzung des relevanten Marktes, die exakte rechtliche Qualifizierung der vermuteten Zuwiderhandlungen und der Zeitraum, in dem diese angeblich begangen worden sind, brauchen jedoch in der Nachprüfungsentscheidung nicht angegeben zu werden.

(vgl. Randnr. 116)

6.      Die Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen begründet berechtigte Erwartungen, auf die sich die Unternehmen, die der Kommission das Bestehen eines Kartells darlegen, berufen können. Angesichts des berechtigten Vertrauens, das die zur Zusammenarbeit mit der Kommission bereiten Unternehmen aus dieser Mitteilung ableiten können, ist die Kommission verpflichtet, sich bei der Beurteilung der Kooperation eines Unternehmens im Rahmen der Bemessung seiner Geldbuße an die Mitteilung zu halten. Insoweit kann ein Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich kein berechtigtes Vertrauen auf die Gewährung eines Geldbußenerlasses allein auf das Schweigen der Kommission stützen.

(vgl. Randnrn. 127, 130, 186)

7.      Die Kommission darf im Rahmen ihrer Beurteilung der Kooperation der an einem Kartell Beteiligten nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Dieser Grundsatz ist – wegen fehlender Vergleichbarkeit der beiden Situationen – dann nicht verletzt, wenn die Kommission einem Unternehmen, dessen Informationen die Auslösung der ersten Nachprüfungen ermöglicht haben, einen Geldbußenerlass gewährt, diesen Erlass jedoch einem anderen Unternehmen verwehrt, das erst nach Durchführung dieser ersten Nachprüfungen durch die Kommission Informationen geliefert hat.

(vgl. Randnrn. 135, 137-138, 140)

8.      Die Beachtung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder zu Zwangsgeldern, führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts dar, der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet werden muss.

Der Zweck der Akteneinsicht in Wettbewerbssachen besteht insbesondere darin, es den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den in den Akten der Kommission enthaltenen Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie auf deren Grundlage sinnvoll zu den Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist, Stellung nehmen können. Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen und insbesondere die effektive Ausübung des Anhörungsrechts sicherstellen sollen.

Die Kommission ist daher verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden oder entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

Der Umstand, dass ein belastendes Schriftstück nicht übermittelt wurde, stellt im Übrigen nur dann eine Verletzung der Verteidigungsrechte dar, wenn das betroffene Unternehmen nachweisen kann, dass sich die Kommission zur Bestätigung ihrer das Bestehen einer Zuwiderhandlung betreffenden Rüge auf dieses Schriftstück gestützt hat und wenn diese nur durch eine Bezugnahme auf dieses Schriftstück bewiesen werden konnte.

Wurde dagegen ein entlastendes Schriftstück nicht übermittelt, so muss das betroffene Unternehmen nur nachweisen, dass die Vorenthaltung dieses Schriftstücks den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte. Es genügt mithin, dass das Unternehmen dartut, dass es die fraglichen entlastenden Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können, und zwar in dem Sinne, dass das Unternehmen, wenn es sich im Verwaltungsverfahren auf diese Schriftstücke hätte berufen können, Gesichtspunkte hätte geltend machen können, die nicht mit den in diesem Stadium von der Kommission gezogenen Schlüssen übereinstimmten und daher, in welcher Weise auch immer, die von der Kommission in ihrer etwaigen Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen zumindest in Bezug auf Schwere und Dauer des dem Unternehmen zur Last gelegten Verhaltens und damit die Höhe der Geldbuße hätten beeinflussen können.

(vgl. Randnrn. 143-147,151)

9.      Im Rahmen der Bemessung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union zu verhängenden Geldbuße ist es nur dann gerechtfertigt, diese aufgrund einer Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens herabzusetzen, wenn das Verhalten des betreffenden Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung leichter festzustellen und diese gegebenenfalls zu beenden. Bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, dass es die Tatsachenbehauptungen, auf die die Kommission ihre Rügen stütze, nicht bestreite, kann davon ausgegangen werden, dass es zur Erleichterung der Aufgabe der Kommission beigetragen hat, Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union festzustellen und zu verfolgen.

Die Unternehmen sind nach Art. 18 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 verpflichtet, Auskunftsverlangen zu beantworten und sich den Nachprüfungen zu unterwerfen. Eine Mitarbeit bei der Untersuchung, die nicht über die Verpflichtungen der Unternehmen nach diesen Bestimmungen hinausgeht, rechtfertigt keine Ermäßigung der Geldbuße.

Im Übrigen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die angeblich flexible Haltung eines Unternehmens in Bezug auf die vertrauliche Behandlung der der Kommission gegebenen Informationen die Aufgabe der Kommission erleichtert. Eine Untersuchung wird durch vernünftige Anträge auf vertrauliche Behandlung nicht behindert; jedenfalls ist das betreffende Unternehmen befugt, die vertrauliche Behandlung der Angaben zu verlangen, die seiner Meinung nach Dritten nicht bekannt gegeben werden sollten.

Eine sich innerhalb dieser Grenzen bewegende Zusammenarbeit kann folglich kein berechtigtes Vertrauen auf eine Ermäßigung der Geldbuße wecken.

(vgl. Randnrn. 204, 222)

10.    Auf den Vertrauensschutz kann sich jeder berufen, bei dem die Unionsverwaltung durch bestimmte Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat. Dagegen kann niemand eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes geltend machen, dem die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat. Präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte von zuständiger und zuverlässiger Seite stellen solche Zusicherungen dar.

11.    Im Rahmen der Bemessung einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union kann die Ankündigung der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, zu prüfen, ob Ermäßigungen der Geldbuße außerhalb der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gewährt werden könnten, keine bestimmte Zusicherung hinsichtlich des Umfangs oder des Satzes der Ermäßigung darstellen, der den betreffenden Unternehmen gegebenenfalls gewährt würde. Eine solche Äußerung kann daher keinesfalls ein irgendwie geartetes berechtigtes Vertrauen hierauf begründen.

Ebenso wenig kann eine frühere Entscheidungspraxis der Kommission ein berechtigtes Vertrauen der betroffenen Unternehmen hinsichtlich des Umfangs der Ermäßigung der Geldbuße begründen.

Jedenfalls können die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Aufrechterhaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die von den Organen im Rahmen ihres Ermessens abgeändert werden kann. So erfordert die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union, dass die Kommission die Höhe der Geldbußen jederzeit an die Bedürfnisse dieser Politik anpassen kann.

(vgl. Randnrn. 206-208, 210, 212)

12.    Um nach Abschnitt D Nr. 2 zweiter Gedankenstrich der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen eine Herabsetzung der Geldbuße wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts zu erlangen, muss ein Unternehmen nach Kenntnisnahme von der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission ausdrücklich mitteilen, dass es den Sachverhalt nicht bestreite. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine allgemeine Erklärung des betreffenden Unternehmens, es stelle nicht in Abrede, dass die geheimen Absprachen, soweit sie durch in den Akten der Kommission enthaltene Tatsachen bestätigt würden, eine einzige und andauernde Zuwiderhandlung dargestellt hätten, die Aufgabe der Kommission erleichtert, Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union festzustellen und zu verfolgen. Gleiches gilt, wenn das Nichtbestreiten rein formal und zwiespältig ist und keine positiven Auswirkungen auf die Feststellung des Sachverhalts hat, wobei das betreffende Unternehmen lediglich seine Beteiligung entweder in rein hypothetischer Form oder in der Weise beschreibt, dass es die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der rechtswidrigen Vorkehrungen herunterspielt.

(vgl. Randnrn. 227, 230-231)

13.    Im Rahmen der Bemessung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union zu verhängenden Geldbuße darf die Kommission bei ihrer Beurteilung der von den an einem Kartell Beteiligten geleisteten Zusammenarbeit nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Die Beachtung dieses Grundsatzes muss allerdings mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden, das besagt, dass sich niemand zu seinem Vorteil auf einen gegenüber anderen begangenen Rechtsverstoß berufen kann.

Insoweit kann bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, dass es die Tatsachenbehauptungen, auf die die Kommission ihre Rügen stütze, nicht bestreite, davon ausgegangen werden, dass es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat. Die Kommission ist berechtigt, ein solches Verhalten in ihren Entscheidungen, in denen sie eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln feststellt, als Eingeständnis der behaupteten Tatsachen und damit als Beweis für die Begründetheit der fraglichen Behauptungen zu werten. Dieses Verhalten kann daher eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen.

Anders verhält es sich, wenn ein Unternehmen in seiner Antwort diese Behauptungen im Wesentlichen bestreitet. Durch ein solches Verhalten während des Verwaltungsverfahrens trägt das Unternehmen nämlich nicht zur Erleichterung der Aufgabe der Kommission bei.

(vgl. Randnrn. 234-235)