Language of document : ECLI:EU:T:2024:49

URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)

31. Januar 2024(*)

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionswortmarke BANDIT – Ältere nicht eingetragene Wortmarke BANDIT – Relatives Eintragungshindernis – Art. 8 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 2 Abs. 2 Buchst. g der Delegierten Verordnung (EU) 2018/625 – Bestimmung der Waren und Dienstleistungen, auf die sich der Widerspruch stützt“

In der Rechtssache T‑173/23,

Simpson Performance Products, Inc., mit Sitz in New Braunfels, Texas (Vereinigte Staaten), vertreten durch Rechtsanwältin J. Götz,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch E. Nicolás Gómez als Bevollmächtigte,

Beklagter,

anderer Beteiligter im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelfer im Verfahren vor dem Gericht:

Andreas Freundlieb, wohnhaft in Berlin (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwältin J. Vogtmeier,

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin K. Kowalik-Bańczyk (Berichterstatterin), des Richters E. Buttigieg und der Richterin B. Ricziová,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die Simpson Performance Products, Inc., die Abänderung oder Aufhebung der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. Januar 2023 (Sache R 784/2022-2) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 13. Januar 2020 meldete der Streithelfer, Andreas Freundlieb, beim EUIPO das Wortzeichen BANDIT als Unionsmarke an.

3        Die Marke wurde für Waren der Klassen 9, 18, 25 und 28 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet.

4        Am 25. Juni 2020 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für sämtliche mit der angemeldeten Marke bezeichneten Waren ein.

5        Der Widerspruch war auf eine nicht eingetragene Wortmarke BANDIT gestützt. In dem Feld „Waren und Dienstleistungen/Geschäftstätigkeit“ des Widerspruchsformulars führte die Klägerin aus: „Beliefert internationale Teams und Rennfahrer mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“.

6        Als Widerspruchsgrund wurde Art. 8 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) angeführt.

7        Am 11. März 2022 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch zurück.

8        Am 9. Mai 2022 legte die Klägerin beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

9        Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde u. a. mit der Begründung zurück, dass sich die von der Klägerin vorgelegten Beweise für das Bestehen der nicht eingetragenen älteren Marke nicht auf die Dienstleistungen „Belieferung von internationalen Teams und Rennfahrern mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“ bezögen, sondern auf Helme als Waren.

 Anträge der Parteien

10      Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,

–        die angefochtene Entscheidung abzuändern und ihrem Widerspruch stattzugeben;

–        hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

11      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Klägerin – im Fall der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung – zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

12      Der Streithelfer beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

 Rechtliche Würdigung

13      Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Klagegründe, wobei sie mit dem ersten Klagegrund im Wesentlichen geltend macht, dass die Beschwerdekammer die Waren und Dienstleistungen, auf die der Widerspruch gestützt werde, falsch bestimmt habe, und mit dem zweiten Klagegrund, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 94 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 2017/1001 verstoßen habe.

14      Im Rahmen des ersten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin sich auf die ältere, nicht eingetragene Marke für die Dienstleistungen „Belieferung von internationalen Teams und Rennfahrern mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“, aber nicht für Helme als Waren berufen habe. Sie rügt somit, dass die Beschwerdekammer die Beweise für die Benutzung dieser Marke in Bezug auf die Waren „Helme“ als irrelevant angesehen habe.

15      Das EUIPO und der Streithelfer erwidern, es sei Sache der Klägerin, die Waren und Dienstleistungen zu identifizieren, für die sie sich auf eine nicht eingetragene ältere Marke berufe. Aus dem von der Klägerin ausgefüllten Widerspruchsformular gehe hervor, dass die Marke nur für Dienstleistungen und nicht für die Waren „Helme“ geltend gemacht worden sei.

16      Nach Art. 8 Abs. 4 der Verordnung 2017/1001 ist die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer nicht eingetragenen Marke oder eines sonstigen im geschäftlichen Verkehr benutzten Kennzeichenrechts von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung von der Eintragung ausgeschlossen, wenn und soweit nach dem für den Schutz des Kennzeichens maßgeblichen Recht der Europäischen Union oder des Mitgliedstaats zum einen Rechte an diesem Kennzeichen vor dem Tag der Anmeldung der Unionsmarke, gegebenenfalls vor dem Tag der für die Anmeldung der Unionsmarke in Anspruch genommenen Priorität, erworben worden sind und zum anderen dieses Kennzeichen seinem Inhaber das Recht verleiht, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen.

17      Somit kann nach Art. 8 Abs. 4 der Verordnung 2017/1001 der Inhaber eines Zeichens, das keine eingetragene Marke ist, der Eintragung einer Unionsmarke widersprechen, wenn dieses Zeichen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt: Es muss im geschäftlichen Verkehr benutzt werden, von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung sein, das Kennzeichenrecht muss nach den Rechtsvorschriften der Union oder nach dem Recht des Mitgliedstaats erworben worden sein, in dem das Zeichen vor dem Tag der Anmeldung der Unionsmarke benutzt wurde, und schließlich muss dieses Zeichen seinem Inhaber die Befugnis verleihen, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen (Urteil vom 24. März 2009, Moreira da Fonseca/HABM – General Óptica [GENERAL OPTICA], T‑318/06 bis T‑321/06, EU:T:2009:77, Rn. 32).

18      Im Übrigen stellt Art. 2 Abs. 2 Buchst. g der Delegierten Verordnung (EU) 2018/625 der Kommission vom 5. März 2018 zur Ergänzung der Verordnung 2017/1001 und zur Aufhebung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/1430 (ABl. 2018, L 104, S. 1) klar, dass die Widerspruchsschrift eine Angabe der Waren oder Dienstleistungen enthalten muss, auf die sich die einzelnen Widerspruchsgründe stützen. Schließlich benachrichtigt das EUIPO gemäß Art. 5 Abs. 5 der Delegierten Verordnung 2018/625 den Widersprechenden, wenn die Widerspruchsschrift u. a. nicht die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 2 Buchst. g dieser Verordnung erfüllt, und fordert ihn auf, die festgestellten Mängel binnen zwei Monaten zu beheben.

19      Im vorliegenden Fall stellte die Beschwerdekammer fest, die Klägerin habe im Widerspruchsformular angegeben, dass sie den in Art. 8 Abs. 4 der Verordnung 2017/1001 genannten Widerspruchsgrund auf eine nicht eingetragene ältere Marke in mehreren Mitgliedstaaten stütze. Sie stellte ferner fest, die Klägerin habe in dem auf „Waren und Dienstleistungen“ bezogenen Feld dieses Formulars angegeben: „Beliefert internationale Teams und Rennfahrer mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“. Sie schloss daraus, dass sich die Benutzung des Begriffs „beliefert“ durch die Klägerin auf die Tätigkeit beziehe, „etwas an einen Abnehmer zu liefern“, und folglich auf eine Dienstleistung, die den Transport oder das Zusammensetzen von entsprechenden Waren umfassen könne, nicht aber auf deren Herstellung.

20      Unter diesen Umständen sei „davon auszugehen“, dass die Klägerin die nicht eingetragene ältere Marke für die Dienstleistungen „Belieferung von internationalen Teams und Rennfahrern mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“ geltend gemacht habe. Die Klägerin habe den Beweis über die Benutzung der Marke für diese Dienstleistungen gemäß Art. 8 Abs. 4 der Verordnung 2017/1001 erbringen müssen. Daher wies die Beschwerdekammer die von der Klägerin vorgelegten Beweise in erster Linie mit der Begründung zurück, dass sich die Beweise auf die Benutzung der Marke für die Waren „Helme“ und nicht für die genannten Dienstleistungen bezögen.

21      Hierzu ist mit der Klägerin festzustellen, dass das Feld des Widerspruchsformulars, in das sie „beliefert internationale Teams und Rennfahrer mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“ eingetragen hatte, mit „Waren und Dienstleistungen/Geschäftstätigkeit“ überschrieben war. Dieses Feld bezog sich somit nicht nur auf die von der nicht eingetragenen älteren Marke erfassten Waren und Dienstleistungen, sondern auch auf die Geschäftstätigkeit der Klägerin.

22      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Klägerin mit der Benutzung des Verbs „beliefern“ in der dritten Person Singular ihre Geschäftstätigkeit beschreiben und nicht ein Verzeichnis der Waren oder Dienstleistungen erstellen wollte, für die sie die nicht eingetragene ältere Marke benutzt hatte. Daher konnte entgegen den Ausführungen der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung der Umstand, dass die Klägerin angegeben hatte, Teams und Rennfahrer mit verschiedenen Artikeln, darunter Helme, zu beliefern, nicht als Hinweis darauf verstanden werden, dass sie die von ihr an diese Teams und Rennfahrer vertriebenen Helme nicht herstelle und dass sie sich folglich nicht auf die Benutzung der nicht eingetragenen älteren Marke für die Waren „Helme“ berufe.

23      Das EUIPO macht zwar geltend, dass die Bezugnahme auf die Geschäftstätigkeit im Widerspruchsformular speziell andere in Art. 8 Abs. 4 der Verordnung 2017/1001 genannte Rechte als nicht eingetragene Marken betreffe. Ebenso weist der Streithelfer darauf hin, dass die Klägerin für die Erhebung ihres Widerspruchs nicht ihre Geschäftstätigkeit hätte beschreiben, sondern vielmehr die Waren und Dienstleistungen hätte angeben müssen, für die sie sich auf die nicht eingetragene ältere Marke berufe.

24      Das Widerspruchsformular stellt jedoch in keiner Weise klar, dass die Inhaber einer nicht eingetragenen älteren Marke das Feld „Waren und Dienstleistungen/Geschäftstätigkeit“ des Widerspruchsformulars ausfüllen müssen, ohne den Hinweis auf die Geschäftstätigkeit zu berücksichtigen. Folglich kann der Umstand, dass die Klägerin im vorliegenden Fall ihre Geschäftstätigkeit nicht beschreiben musste, kein Indiz dafür sein, dass sie beim Ausfüllen dieses Feldes in Wirklichkeit ein Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen erstellen wollte.

25      Daher ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Unrecht angenommen hat, dass die Klägerin durch das Ausfüllen des Feldes „Waren und Dienstleistungen/Geschäftstätigkeit“ des Widerspruchsformulars die Dienstleistungen habe aufführen wollen, für die sie sich auf die nicht eingetragene ältere Marke berufe.

26      Unter diesen Umständen hätte die Beschwerdekammer feststellen müssen, dass die Klägerin im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. g der Delegierten Verordnung 2018/625 kein Verzeichnis der Waren oder Dienstleistungen erstellt hatte, auf die sich der Widerspruchsgrund des Art. 8 Abs. 4 der Verordnung 2017/1001 stützte. Folglich hätte sie die Klägerin gemäß Art. 5 Abs. 5 der Delegierten Verordnung 2018/625 darüber benachrichtigen und sie auffordern müssen, diesen Mangel binnen zwei Monaten zu beheben.

27      Folglich hat die Beschwerdekammer zu Unrecht angenommen, dass sich die Klägerin nur im Hinblick auf die Dienstleistungen „Belieferung von internationalen Teams und Rennfahrern mit Helmen, Handschuhen, Gurtsystemen, Fahreranzügen, Kopfstützen, Schuhen etc.“ auf die nicht eingetragene ältere Marke berufen habe, und dass daher die Beweise für die Benutzung dieser Marke in Bezug auf Helme nicht relevant gewesen seien.

28      Nach alledem ist dem ersten Klagegrund der Klägerin stattzugeben, so dass die angefochtene Entscheidung insgesamt aufzuheben ist, ohne dass der zweite Klagegrund geprüft zu werden braucht.

29      Was hingegen den Antrag der Klägerin auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die dem Gericht zustehende Abänderungsbefugnis nicht bewirkt, dass es dazu ermächtigt wäre, seine eigene Beurteilung an die Stelle der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung zu setzen, oder dazu, eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat. Die Ausübung der Abänderungsbefugnis ist folglich grundsätzlich auf Situationen zu beschränken, in denen das Gericht nach einer Überprüfung der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung auf der Grundlage der erwiesenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände die Entscheidung zu finden vermag, die die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen (Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 72).

30      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer nicht geprüft hat, ob alle vier oben in Rn. 17 genannten Voraussetzungen erfüllt waren. Mangels eines im Widerspruchsformular angeführten Waren- oder Dienstleistungsverzeichnisses konnte sie sich insbesondere nicht zu der Frage äußern, ob die von der Klägerin vorgelegten Beweise die Benutzung der nicht eingetragenen älteren Marke für diese Waren oder Dienstleistungen belegen können. Folglich sind die Voraussetzungen für die Ausübung der Abänderungsbefugnis des Gerichts im vorliegenden Fall nicht erfüllt, so dass der Abänderungsantrag zurückzuweisen ist.

 Kosten

31      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das EUIPO unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Klägerin seine eigenen Kosten und die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

32      Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt der Streithelfer seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. Januar 2023 (Sache R 784/2022-2) wird aufgehoben.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Das EUIPO trägt seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Simpson Performance Products, Inc.

4.      Andreas Freundlieb trägt seine eigenen Kosten.

Kowalik-Bańczyk

Buttigieg

Ricziová

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 31. Januar 2024.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.