Language of document : ECLI:EU:C:2018:425

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 12. Juni 2018(1)

Rechtssache C594/16

Enzo Buccioni

gegen

Banca d’Italia,

Beteiligte:

Banca Network Investimenti SpA in liquidazione coatta amministrativa

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Staatsrat, Italien])

„Vorabentscheidungsersuchen – Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – Geheimhaltungspflicht – Insolvenz oder Zwangsabwicklung von Kreditinstituten – Weitergabe vertraulicher Informationen in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren – Antrag auf Zugang zu Dokumenten vor Einleitung eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens – Schadensersatzklage“






I.      Einleitung

1.        Herr Enzo Buccioni war Kontoinhaber bei der Banca Network Investimenti SpA. Gegen diese Bank wurde 2012 ein Zwangsabwicklungsverfahren eröffnet. Auf seine Kontoeinlagen erhielt er lediglich eine Teilrückzahlung, die ihm vom italienischen Einlagensicherungssystem geleistet wurde. Herrn Buccioni entstand hierdurch ein Verlust von mehr als 81 000 Euro.

2.        Herr Buccioni stellte einen Antrag auf Zugang zu die Aufsicht über diese Bank betreffenden Dokumenten bei der Banca d’Italia, der italienischen Bankenaufsichtsbehörde. Er ersuchte um Informationen, um prüfen zu können, ob er wegen des ihm entstandenen finanziellen Schadens möglicherweise eine Klage gegen die Banca d’Italia erheben konnte. Letztere lehnte den Zugang zu einigen der begehrten Dokumente mit der Begründung ab, dass diese vertrauliche Informationen enthielten.

3.        Gegen diese Entscheidung hat Herr Buccioni Klage vor den italienischen Verwaltungsgerichten erhoben. Der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) legt dem Gerichtshof unter Verweis auf eine Reihe von unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere auf Art. 53 der Richtlinie 2013/36/EU(2), Fragen vor. Er möchte im Wesentlichen wissen, ob einer Person in der Situation von Herrn Buccioni, der die Erhebung einer Schadensersatzklage gegen die nationale Bankenaufsichtsbehörde erwägt, um einen finanziellen Schaden ersetzt zu erhalten, der ihm seiner Ansicht nach infolge einer zur Zwangsabwicklung einer Bank führenden mangelnden Aufsicht entstanden ist, Zugang zu Dokumenten gewährt werden kann, die zur Verfolgung eines solchen Anspruchs erforderlich sind.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2013/36

4.        Die Richtlinie 2013/36 legt Regelungen über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen fest. Sie regelt ferner Aufsichtsbefugnisse und Instrumente für die Beaufsichtigung dieser Institute.

5.        Art. 53 („Geheimhaltungspflicht“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass alle Personen, die für die zuständigen Behörden tätig sind oder waren, sowie die von den zuständigen Behörden beauftragten Wirtschaftsprüfer und Sachverständigen der beruflichen Geheimhaltungspflicht unterliegen.

Vertrauliche Informationen, die diese Personen, Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen in ihrer beruflichen Eigenschaft erhalten, dürfen nur in zusammengefasster oder aggregierter Form weitergegeben werden, so dass einzelne Kreditinstitute nicht identifiziert werden können; dies gilt nicht für Fälle, die unter das Strafrecht fallen.

Wurde jedoch gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet, dürfen vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des betreffenden Kreditinstituts beteiligt sind, in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden.“

B.      Italienisches Recht

6.        Der Zugang zu Verwaltungsdokumenten ist in Italien durch das Legge 7 agosto 1990, n. 241, recante nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi, e successive modificazioni (Gesetz Nr. 241 vom 7. August 1990 in später geänderter Fassung über neue Vorschriften für Verwaltungsverfahren und das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen) (im Folgenden: Gesetz Nr. 241/1990) geregelt.

7.        Art. 22 Abs. 2 und 3 des Gesetzes Nr. 241/1990 lautet:

„2.      Angesichts seiner wichtigen Ziele des Allgemeininteresses stellt das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen einen allgemeinen Grundsatz dar, der auf dem Handeln der Verwaltungsbehörden beruht, um die Beteiligung zu fördern und die Unparteilichkeit und Transparenz dieses Handelns zu gewährleisten.

3.      Der Zugang ist zu allen Verwaltungsunterlagen mit Ausnahme der in Art. 24 Abs. 1, 2, 3, 5 und 6 genannten Unterlagen, zu gewähren.“

8.        Art. 24 des Gesetzes Nr. 241/1990 sieht Ausnahmen vom Recht auf Zugang vor. Er bestimmt in den Abs. 1a, 2 und 7:

„1.      Das Recht auf Zugang wird nicht gewährt

a)      für Unterlagen, die Staatsgeheimnissen im Sinne des Gesetzes Nr. 801 vom 24. Oktober 1977 in später geänderter Fassung unterliegen, und bei nach gesetzlichen Bestimmungen, nach der in Abs. 6 genannten Verwaltungsverordnung oder von den in Abs. 2 dieses Artikels genannten Behörden ausdrücklich angeordneter Vertraulichkeit oder ausdrücklich angeordneten Weitergabeverboten.

2.      Die einzelnen Behörden legen die Kategorien von ihnen erstellter oder ihnen zumindest zugänglicher Unterlagen fest, die nach Abs. 1 vom Zugang ausgenommen sind.

7.      Antragstellern muss jedoch der Zugang zu Verwaltungsunterlagen gewährt werden, soweit die Kenntnis dieser Unterlagen zur Wahrung oder zur Wahrnehmung ihrer eigenen rechtlichen Interessen erforderlich ist. …“

9.        Art. 7 („Geheimhaltungspflicht und Zusammenarbeit der Behörden“) Abs. 1 des Decreto legislativo 1º settembre 1993, n. 385, recante il testo unico delle leggi in materia bancaria e creditizia (Decreto legislativo Nr. 385 vom 1. September 1993 in später geänderter Fassung über das italienische Bankwesengesetz) lautet:

„Alle Informationen und Daten, über die die Banca d’Italia im Zusammenhang mit ihren Aufsichtstätigkeiten verfügt, unterliegen auch gegenüber Behörden, mit Ausnahme des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen, das dem CICR (Comitato interministeriale per il credito e il risparmio – dem interministeriellen Ausschuss für das Kredit- und Sparwesen) vorsteht, dem Amtsgeheimnis. Eine Weitergabe kann gegenüber Gerichten nicht aus Gründen des Amtsgeheimnisses verweigert werden, soweit die angeforderten Informationen für Vorermittlungen oder Verfahren über strafbare Verstöße erforderlich sind.“

10.      Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Entscheidung des Gouverneurs der Banca d’Italia vom 16. Mai 1994 über Regelungen betreffend Ausnahmen vom Zugangsrecht im Sinne von Art. [24 Abs. 2] des Gesetzes Nr. 241/1990 (im Folgenden: Entscheidung des Gouverneurs der Banca d’Italia) lautet:

„Von der Weitergabe ausgenommen sind nach Art. 24 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 241/1990:

a)      Verwaltungsunterlagen allgemeinen oder konkreten Inhalts, die Informationen oder Daten enthalten, über die die Banca d’Italia im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Bereich der Informationsüberwachung, Regulierung, Prüfung und des Krisenmanagements in Bezug auf Banken, Bankengruppen … oder im Zusammenhang mit sonstigen Aufsichtstätigkeiten in Bezug auf die Erbringung von Bank- oder Finanzvermittlungsdienstleistungen und der Ausübung solcher Vermittlungsdienstleistungen, die unter die Geheimhaltungspflicht nach Art. 7 des Decreto legislativo Nr. 385 vom 1. September 1993 [sowie verschiedene andere nationale Rechtsvorschriften] fallen, verfügt.“

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorabentscheidungsfragen

11.      Herr Buccioni (im Folgenden: Rechtsmittelführer) eröffnete 2004 ein Konto bei der Banca Network Investimenti SpA (im Folgenden: BNI), einer italienischen Bank. Der Saldo seines Kontos belief sich am 5. August 2012 auf 181 325,31 Euro. Nachdem gegen die BNI ein Zwangsabwicklungsverfahren eröffnet worden war, wurden ihm auf seine Kontoeinlagen vom Fondo Interbancario di Tutela dei Depositi (dem italienischen Einlagensicherungssystem) lediglich 100 000 Euro zurückgezahlt.

12.      Der Rechtsmittelführer beantragte am 3. April 2015 Zugang zu Dokumenten bei der Banca d’Italia, der italienischen Bankenaufsichtsbehörde, die Letztere als Aufsichtsbehörde der BNI in ihrem Besitz hatte. Wie von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung bestätigt, begehrte er Einsicht in Dokumente, anhand derer er hätte prüfen können, ob es relevante Informationen gab, die ihm die Erhebung einer Klage gegen die Banca d’Italia mit dem Ziel ermöglicht hätten, diese für den ihm infolge der Zwangsabwicklung der BNI entstandenen finanziellen Schaden haftbar zu machen.

13.      Mit Entscheidung vom 20. Mai 2015 gewährte die Banca d’Italia Zugang zu einem Teil der vom Rechtsmittelführer begehrten Dokumente, lehnte die Offenlegung bestimmter anderer Dokumente jedoch ab. Sie vertrat die Ansicht, dass die letzteren Unterlagen Daten beträfen, die sich zu Zwecken der Bankenaufsicht in ihrem Besitz befänden und zu denen deshalb nach Art. 24 Abs. 1 und 2 des Gesetzes Nr. 241/1990 in Verbindung mit Art. 2 der Entscheidung des Gouverneurs der Banca d’Italia kein Zugang gewährt werden könne.

14.      Der Rechtsmittelführer erhob Klage beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio-Roma (Regionales Verwaltungsgericht Lazio-Rom, Italien) auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Banca d’Italia sowie auf die sich daraus ergebende Feststellung seines Rechts, alle in seinem Antrag auf Zugang aufgeführten Dokumente einzusehen und Kopien davon zu fertigen. Das Gericht des ersten Rechtszugs wies diese Klage mit Urteil vom 2. Dezember 2015 ab.

15.      Der Rechtsmittelführer legte sodann Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht, dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), ein. Im Rahmen dieses Rechtsmittels rügte er u. a., dass das Gericht des ersten Rechtszugs Art. 53 der Richtlinie 2013/36(3) nicht richtig angewendet habe. Der Rechtsmittelführer machte ferner geltend, dass die Dokumente, zu denen er Zugang begehrte, der Geheimhaltungspflicht nicht mehr unterlägen, weil die BNI sich in einem Zwangsabwicklungsverfahren befinde und somit keine Bankgeschäfte mehr tätigen könne.

16.      Die Banca d’Italia brachte vor, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt seines Antrags auf Zugang noch keinen Zivilprozess eingeleitet gehabt habe. Art. 53 der Richtlinie 2013/36 sei daher nicht anwendbar. Die Banca d’Italia betonte auch, dass die Zwangsabwicklung der BNI noch nicht abgeschlossen sei und daher Vertraulichkeitserfordernisse fortbestünden.

17.      Vor diesem Hintergrund hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

a)      Steht der Grundsatz der Transparenz, der in Art. 15 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union als allgemeines verbindliches Ziel klar niedergelegt ist, wenn er dahin verstanden wird, dass (dieser Grundsatz) durch die dort in Abs. 3 vorgesehenen Rechtsquellen oder gleichwertige Quellen geregelt werden kann, deren Inhalt Ausdruck eines übermäßig weiten Ermessens ohne Grundlage in höherrangigen unionsrechtlichen Vorschriften über die notwendige Festsetzung von nicht zur Disposition stehenden Mindestgrundsätzen sein könnte, nicht im Widerspruch zu einer beschränkenden Absicht auf dem Gebiet des europäischen Bankenaufsichtsrechts, die so weit geht, dass dieser Grundsatz der Transparenz auch in dem Fall seines Sinnes entleert würde, in dem das Interesse am Zugang seine Grundlage in wesentlichen Interessen des Antragstellers hat, die offensichtlich denen gleichstehen, für die begünstigende Ausnahmen vonden Einschränkungsfällen auf diesem Gebiet bestehen?

b)      Sind folglich Art. 22 Abs. 2 sowie Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank nicht als nicht außergewöhnliche Fälle, in denen von der Nichtzugänglichkeit der Dokumente abgewichen werden kann, auszulegen, sondern als Vorschriften, die nach den umfassenderen Zielen von Art. 15 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union auszulegen und als solche auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts zurückzuführen sind, wonach der Zugang nach einer angemessenen und verhältnismäßigen Abwägung der Erfordernisse der Kreditwirtschaft gegen die grundlegenden Interessen des von einem „burden sharing“ betroffenen Sparers, je nach den maßgeblichen, von einer Aufsichtsbehörde, die ähnliche organisatorische Merkmale und Bereichszuständigkeiten hat wie die Europäische Zentralbank, gesammelten Umständen, nicht eingeschränkt werden kann?

c)      Sind daher Art. 53 der Richtlinie 2013/36 und die Vorschriften des nationalen Rechts, soweit sie mit dieser Bestimmung im Einklang stehen, mit den übrigen in Frage a angeführten Vorschriften und Grundsätzen des Unionsrechts in dem Sinne unvereinbar, dass der Zugang im Fall eines entsprechenden Antrags, der nach der Eröffnung des Zwangsliquidationsverfahrens gegen das Bankinstitut gestellt wurde, gewährt werden kann, auch wenn der Antragsteller den Zugang nicht ausschließlich im Rahmen von zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren, die tatsächlich zum Schutz von aufgrund der Eröffnung des Zwangsliquidationsverfahrens über das Bankinstitut beeinträchtigten Vermögensinteressen eingeleitet wurden, beantragt, sondern auch in dem Fall, dass dieser Antragsteller, gerade um die konkrete Möglichkeit solcher zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren vorsorglich zu prüfen, ein vom Staat zum Schutz des Rechts auf Zugang und Transparenz befugtes Gericht gerade zur vollen Wahrung seines Verteidigungs- und Klagerechts anruft, insbesondere im Hinblick auf den Antrag eines Sparers, der bereits von den Auswirkungen des „burden sharing“ in einem Insolvenzverfahren gegen das Kreditinstitut, bei dem er seine Ersparnisse angelegt hatte, betroffen ist?

18.      Schriftliche Erklärungen sind von der Banca d’Italia, der italienischen und der portugiesischen Regierung sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Herr Buccioni, die Banca d’Italia, die italienische Regierung und die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2018 mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

19.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut: Ich werde mit der Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens beginnen (A). Zweitens werde ich prüfen, welche der vom vorlegenden Gericht angeführten unionsrechtlichen Bestimmungen auf die vorliegende Rechtssache anwendbar ist (B). Sodann werde ich auf die Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 eingehen (C).

A.      Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

20.      Die italienische Regierung und die Banca d’Italia haben im Laufe des schriftlichen Teils des vorliegenden Verfahrens die Ansicht vertreten, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären sei. Dem vom Rechtsmittelführer gestellten Antrag auf Zugang zu Dokumenten sei entsprochen worden. Somit liege kein beim vorlegenden Gericht schwebender Rechtsstreit mehr vor.

21.      Es ist in der Tat offenbar so, dass der Rechtsmittelführer das vorlegende Gericht am 10. März 2017, nach Eingang des Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof, davon in Kenntnis gesetzt hat, dass er alle in seinem ursprünglichen Antrag auf Zugang aufgeführten Dokumente von der Banca d’Italia erhalten habe. Dies wurde von der Banca d’Italia am 14. März 2017 bestätigt.

22.      Mit Schreiben vom 18. Juli 2017 fragte der Gerichtshof beim vorlegenden Gericht an, ob es in Anbetracht dieser Umstände sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalte. Mit Beschluss vom 22. September 2017 erklärte das vorlegende Gericht, dass es sein Ersuchen aufrechterhalte, und bestätigte, dass die Rechtssache seiner Auffassung nach bei ihm weiterhin anhängig und schwebend sei. Es wies insbesondere darauf hin, dass der Rechtsmittelführer erklärt habe, dass er das Ausgangsverfahren fortzusetzen wünsche, da noch nicht alle von ihm geltend gemachten Ansprüche erfüllt worden seien.

23.      Grundsätzlich ist daran zu erinnern, dass für Fragen zur Auslegung des Unionsrechts, die ein nationales Gericht vorlegt, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit spricht(4). Fragestellungen wie etwa ob, wie lange und bis wann eine Rechtssache bei einem nationalen Gericht anhängig sein muss, damit ein bei diesem Gericht schwebendes Verfahren im Sinne von Art. 267 AEUV vorliegt, sind Sache des nationalen Gerichts, das hierüber nach seinem Verständnis sowohl des ihm vorliegenden Sachverhalts als auch des nationalen Verfahrensrechts zu entscheiden hat(5). Maßgebend für den Gerichtshof ist, dass das vorlegende Gericht mit seiner eindeutigen Stellungnahme bestätigt hat, dass seiner Auffassung nach bei ihm nach nationalem Recht weiterhin eine Rechtssache anhängig ist(6).

24.      Ausgehend von dieser Bestätigung sollte der Gerichtshof daher meines Erachtens zu dem Schluss gelangen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zu beantworten ist.

B.      Anwendbare Bestimmungen des Unionsrechts

25.      Mit seiner ersten Frage ersucht das vorlegende Gericht um eine Auslegung von Art. 15 AEUV. Mit seiner zweiten Frage ersucht es um eine Auslegung von Art. 22 Abs. 2 und Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013(7) in Verbindung mit Art. 15 AEUV. Die dritte Frage betrifft Art. 53 der Richtlinie 2013/36 ebenfalls in Verbindung mit Art. 15 AEUV. Mit diesen Fragen soll im Wesentlichen geklärt werden, ob die vorgenannten Bestimmungen die Weitergabe von Dokumenten der vom Rechtsmittelführer beantragten Art zulassen.

26.      Was die ersten beiden Fragen angeht, finden meines Erachtens tatsächlich weder Art. 15 AEUV noch die Verordnung Nr. 1024/2013 in der vorliegenden Rechtssache Anwendung.

27.      Art. 15 Abs. 1 AEUV regelt den Grundsatz der Offenheit des Handelns der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Ebenso begründet Art. 15 Abs. 3 AEUV „das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“. Der Wortlaut dieser Bestimmungen und die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigen, dass Art. 15 AEUV nur für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union und die in ihrem Besitz befindlichen Dokumente gilt, auch wenn diese Dokumente von einem anderen Organ oder von einem Mitgliedstaat erstellt wurden(8). Selbst wenn Art. 15 AEUV in Verbindung mit anderen Bestimmungen des Primärrechts betrachtet wird, die den Grundsatz der Offenheit betreffen, wie etwa Art. 1 Abs. 2 EUV und Art. 298 AEUV oder Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(9), bleibt es dabei, dass in diesen Bestimmungen ähnlich wie in Art. 15 AEUV das Ziel einer offenen europäischen – nicht aber nationalen – Verwaltung verankert ist(10).

28.      Maßgebend für den Zugang zu Dokumenten im Besitz der nationalen Verwaltungen ist somit nicht Art. 15 AEUV, sondern nationale Regelungen über den Zugang zu Dokumenten. Im Ausgangsverfahren ist also für einen Antrag gegenüber der Banca d’Italia auf Zugang zu Dokumenten, die diese erstellt oder in ihrem Besitz hat, grundsätzlich italienisches Recht maßgeblich.

29.      Was die zweite Frage angeht, werden nach Art. 1 („Gegenstand und Geltungsbereich“) Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 „[d]urch diese Verordnung … der [Europäischen Zentralbank, im Folgenden: EZB] … besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen …“. Die Verordnung Nr. 1024/2013 findet somit eindeutig nur auf die EZB und nicht auf die für die Aufsicht über Kreditinstitute zuständigen nationalen Behörden, wie die Banca d’Italia, Anwendung. Dies verdeutlicht Unterabs. 5 dieses Artikels, wonach „[d]iese Verordnung … nicht die Verantwortlichkeiten und dazu gehörenden Befugnisse der zuständigen Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten zur Wahrnehmung von Aufsichtsaufgaben, die der EZB nicht durch diese Verordnung übertragen wurden, [berührt]“. Der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache, in dem es um eine Prüfung der Pflichten einer nationalen Aufsichtsbehörde im Zusammenhang mit der Weitergabe vertraulicher Informationen geht, dürfte somit nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1024/2013 fallen.

30.      Die einzige unionsrechtliche Bestimmung, die für die vorliegende Rechtssache unmittelbar relevant ist, dürfte daher die vom vorlegenden Gericht in seiner dritten Frage angeführte Bestimmung sein: Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36. Bevor auf die Auslegung dieser konkreten Bestimmung einzugehen ist, möchte ich jedoch zwei Punkte klarstellen.

31.      Erstens kann, da Art. 15 AEUV nicht auf Anträge auf Zugang zu Dokumenten gegenüber nationalen Behörden anwendbar ist, Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 meines Erachtens nicht in Verbindung mit Art. 15 AEUV oder, allgemeiner, einem unionsrechtlichen Grundsatz der Offenheit oder Transparenz ausgelegt werden. Dies würde einer Umgehung des Geltungsbereichs des Unionsrechts und seiner Ausdehnung auf Bereiche und Fragen, die es eindeutig nicht regeln soll, gefährlich nahe kommen.

32.      Zweitens sind jedoch, wie oben in Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge bereits erwähnt, für einen Antrag (wie den des Rechtsmittelführers) gegenüber einer nationalen Aufsichtsbehörde (wie der Banca d’Italia) auf Zugang zu Dokumenten, die diese zu Zwecken der Bankenaufsicht in ihrem Besitz hat, die einschlägigen nationalen Regelungen über den Zugang zu Dokumenten maßgebend. Somit besteht die erste Regelungsebene, die in der vorliegenden Rechtssache Anwendung findet, in den nationalen Regelungen über den Zugang zu Dokumenten. Die zweite Regelungsebene bildet dann die allgemeine Bestimmung über die Geheimhaltungspflicht nach Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/36. Diese Bestimmung stellt eine unionsrechtlich veranlasste Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Zugangs zu Dokumenten dar, den das nationale Recht offenbar vorsieht. Schließlich ist die dritte Regelungsebene Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3, der eine Ausnahme von der zweiten Regelungsebene vorsieht. Daher führt in der vorliegenden Rechtssache, wie im Übrigen in jeder Rechtssache ähnlicher Art, in der ein Antragsteller Zugang zu im Besitz einer nationalen Behörde befindlichen Dokumenten begehrt, die Bestimmung des Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie praktisch zu einer Rückverweisung auf den Grundsatz der ersten Regelungsebene: den allgemeinen Grundsatz des Zugangs zu Dokumenten.

33.      Wenn mit anderen Worten die im nationalen Recht vorgesehene Grundregel für den Zugang zu Dokumenten darin besteht, Zugang zu gewähren, dann besteht die Ausnahme von dieser Regel tatsächlich in dem allgemeinen Grundsatz des Art. 53 Abs. 1 (Unterabs. 1) der Richtlinie 2013/36 (und den diese Bestimmung umsetzenden nationalen Regelungen).

C.      Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36

1.      Ursprung der Regelung

34.      In der vorliegenden Rechtssache ergibt sich für den Gerichtshof erstmals die Notwendigkeit einer Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 bzw. der ihm entsprechenden Vorläuferregelungen, nämlich Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/48 und Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2000/12/EG(11).

35.      Zuvor bestand eine weitere entsprechende Bestimmung auch in Art. 12 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 77/780/EWG des Rates(12) (im Folgenden: Erste Richtlinie des Rates). Diese Bestimmung war jedoch in der ursprünglichen Fassung der Ersten Richtlinie des Rates nicht enthalten. Letztere enthielt lediglich eine Bestimmung, die der aktuell in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/36 enthaltenen Bestimmung weitgehend ähnlich war. Sie legte die allgemeine Verpflichtung zur Wahrung des Berufsgeheimnisses fest und stellte insoweit das Verbot auf, wonach vertrauliche Auskünfte „nur auf Grund von Rechtsvorschriften an irgendeine Person oder Behörde weitergegeben werden“ durften.

36.      Die Erste Richtlinie des Rates wurde 1989 durch die Zweite Richtlinie 89/646/EWG des Rates(13) (im Folgenden: Zweite Richtlinie des Rates) geändert, indem Art. 12 Abs. 1 durch einen neuen Wortlaut ersetzt wurde, der die aktuell in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/36 enthaltenen Regelungen einschloss.

37.      Die Änderung durch die Zweite Richtlinie des Rates wurde im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Hillenius(14) erlassen. Die Klägerin in jener Rechtssache war die Gemeinde Hillegom in den Niederlanden. Sie hatte Geld bei einer niederländischen Bank eingezahlt, über deren Vermögen später das Konkursverfahren eröffnet wurde. Die Klägerin beantragte erfolgreich einen Beschluss zur Vernehmung von Zeugen in einem Verfahren, das im niederländischen Recht vor Einleitung des Verfahrens über den materiellen Anspruch angewendet werden konnte. Der Beklagte, Herr Hillenius, war für De Nederlandsche Bank (niederländische Zentralbank) tätig, die die Aufsichtsbehörde im Sinne der Ersten Richtlinie des Rates war. Er war einer der Zeugen, die zur Frage des Konkurses aussagen sollten. Mit den ihm vorgelegten Fragen sollte die Ansicht der Klägerin erhärtet werden, dass die Zentralbank die Tätigkeit des in Konkurs gefallenen Instituts nicht ordnungsgemäß überwacht hatte. Er verweigerte die Beantwortung einiger Fragen unter Verweis auf das Bankgeheimnis, da Gegenstand der Fragen war, wie die niederländische Zentralbank ihre Aufsicht wahrgenommen hatte.

38.      In seinem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Verpflichtung zur Wahrung des Berufsgeheimnisses nach Art. 12 Abs. 1 der Ersten Richtlinie des Rates auch für Aussagen von Mitarbeitern einer Aufsichtsbehörde galt, die sie als Zeugen in einem Zivilprozess machen(15). In Bezug auf die in dieser Bestimmung geregelte Ausnahme vom Verbot der Weitergabe vertraulicher Auskünfte – „nur auf Grund von Rechtsvorschriften“ – stellte der Gerichtshof fest, dass es in Ermangelung klarer Vorgaben des nationalen Rechts Sache des nationalen Gerichts sei, den Ausgleich herzustellen „zwischen dem Interesse an der für die Rechtspflege unerlässlichen Wahrheitsfindung zum einen und dem Interesse an der Wahrung der Vertraulichkeit bestimmter Auskünfte zum anderen … In diesem Rahmen hat das Gericht gegebenenfalls insbesondere zu würdigen, welche Bedeutung dem Umstand beizumessen ist, dass die fraglichen Informationen gemäß Artikel 12 Absatz 2 der Richtlinie von den zuständigen Behörden anderer Mitgliedstaaten erteilt worden sind.“(16)

39.      Vier Jahre nach dem Urteil Hillenius wurde Art. 12 Abs. 1 durch die Zweite Richtlinie des Rates erheblich geändert. An die Stelle der Formulierung „nur auf Grund von Rechtsvorschriften“ trat ein Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen, „es sei denn, in zusammengefasster oder allgemeiner Form, so dass die einzelnen Institute nicht zu erkennen sind; [außer in] Fälle[n], die unter das Strafrecht fallen“. Dies kam somit dem Wortlaut des aktuellen Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/36 sehr nahe. Ferner wurde die aktuell in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 enthaltene Regelung hinzugefügt, die seitdem praktisch unverändert geblieben ist.

40.      Aus der Geschichte und dem Kontext von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 werden zwei Punkte deutlich.

41.      Erstens zeigt die Geschichte des Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36, dass der Unionsgesetzgeber ursprünglich keine Notwendigkeit sah, spezifische unionsrechtsbasierte Ausnahmen vom Grundsatz der Wahrung der Geheimhaltungspflicht vorzusehen. Er überließ dies einfach den im nationalen Recht vorgesehenen Ausnahmen. Erst später wurden auch die Ausnahmen selbst „europäisiert“.

42.      Zweitens hat der Wortlaut von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 (vor dem Hintergrund seiner Vorläuferregelungen betrachtet) eine erhebliche Entwicklung insbesondere im Hinblick auf die darin vorgesehenen Ausnahmen durchlaufen. Der Wortlaut dieser Ausnahmen ist somit sicherlich nicht in Stein gemeißelt.

43.      Diese Aussage wird dadurch noch verstärkt, dass parallele Rechtsnormen des Unionsrechts, die Bestimmungen ähnlicher Art enthalten, offenbar anders formuliert sind. So haben beispielsweise Art. 76 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/65/EU(17) (die die identischen Bestimmungen des Art. 54 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/39/EG(18) ersetzten) einen ähnlichen Wortlaut hat wie Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36. Eine Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 ähnliche – jedoch nicht identische – Bestimmung ist vor allem Art. 76 Abs. 2 der Richtlinie 2014/65(19). Eine weitere ähnliche – jedoch nicht identische – Bestimmung ist Art. 102 Abs. 1 der Richtlinie 2009/65/EG(20). Dies steht in deutlichem Gegensatz zu dem Ansatz in Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2004/109/EG(21), der einfach auf etwaige, im nationalen Recht vorgesehene Ausnahmen verweist und somit demselben Grundgedanken folgt wie die ursprüngliche Fassung der Ersten Richtlinie des Rates. Was die Offenlegung durch die europäischen Aufsichtsbehörden angeht, enthalten sowohl Art. 70 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010(22) als auch Art. 70 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010(23) die allgemeine Regelung zum Berufsgeheimnis und die Ausnahme für das Strafrecht sowie für eine Offenlegung in zusammengefasster oder aggregierter Form, lassen jedoch keine Ausnahme für zivil- oder handelsrechtliche Verfahren zu.

44.      Im Ergebnis dürfte meines Erachtens angesichts dieser historischen und kontextuellen Diversität nicht nur im genauen Wortlaut, sondern auch in den Ansätzen ein gesundes Maß an Skepsis gegenüber Argumenten angezeigt sein, wonach dann, wenn Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36, in seiner jetzt gerade aktuellen Formulierung, nicht so restriktiv wie möglich ausgelegt wird, die wirksame Aufsicht über Kreditinstitute und Wertpapierfirmen in fataler Weise gefährdet sein soll. Sowohl in der Vergangenheit als auch in parallelen Regelungen (die sicherlich nicht weniger sensibel sind) dürften die Regelungen anders, bisweilen weniger restriktiv, formuliert sein oder gewesen sein, offenbar ohne dass das ganze Gebäude sofort in sich brüchig oder zusammenbrechen würde.

2.      Auslegung des Begriffs „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“: Urteil Altmann

45.      Das vorlegende Gericht geht ohne Weiteres davon aus, dass die Informationen, zu denen der Rechtsmittelführer Zugang begehrt, vertraulich sind und sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung der BNI beteiligt sind. Das vorlegende Gericht gibt ferner an, dass gegen die BNI (immer noch) ein Zwangsabwicklungsverfahren anhängig sei (was in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde). Fraglich bleibt somit im Hinblick auf die Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36(24) in der vorliegenden Rechtssache nur der Geltungsbereich des Ausdrucks „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“.

46.      Der Rechtsmittelführer nimmt insoweit für sich ein Recht auf Zugang zu den von der Banca d’Italia angeforderten Dokumenten in Anspruch, um sie für die Zwecke eines (möglichen) zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens zu verwenden. Nach Ansicht der Banca d’Italia kann Zugang zu diesen Dokumenten dagegen nur als Teil eines (schwebenden) zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens gewährt werden.

47.      In der vorliegenden Rechtssache ergibt sich für den Gerichtshof erstmalig die Gelegenheit zur Auslegung des Begriffs „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“ im Sinne von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36. Allerdings hat der Gerichtshof im Kontext einer ähnlichen Bestimmung einen parallelen, in Art. 54 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/39 enthaltenen Begriff bereits im Urteil Altmann u. a.(25) ausgelegt.

48.      Herr und Frau Altmann und andere Anleger beantragten Zugang zu Dokumenten und Informationen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: BaFin) über die Phoenix Kapitaldienst GmbH (im Folgenden: Phoenix), eine Wertpapierfirma, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen in groß angelegtem Anlagebetrug bestand. Phoenix wurde aufgelöst und nachfolgend einem Zwangsabwicklungsverfahren unterzogen. Es kam zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen zwei Führungskräfte von Phoenix. Herr und Frau Altmann und die anderen Anleger beantragten nachfolgend Zugang zu Dokumenten, der von der BaFin nur zum Teil gewährt wurde. Der Zugang zu einigen der Dokumente wurde mit der Begründung verweigert, dass sie der Geheimhaltungspflicht nach den die Richtlinie 2004/39 umsetzenden deutschen Rechtsvorschriften unterlägen. Gegen die Entscheidung der BaFin erhoben die Antragsteller daraufhin Klage vor einem deutschen Gericht. Dieses Gericht legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob es in Anbetracht dessen, dass die begehrten Informationen sich auf strafbare Handlungen oder sonstige schwerwiegende Rechtsverstöße bezögen, ausnahmsweise von den sich aus der Richtlinie ergebenden Pflichten zur Wahrung des Berufsgeheimnisses abweichen könne.

49.      Unter Verweis auf das Urteil Hillenius stellte der Gerichtshof fest, dass „das wirksame Funktionieren [der] Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen [es] erfordert …., dass sowohl die überwachten Firmen als auch die zuständigen Behörden sicher sein können, dass die vertraulichen Informationen grundsätzlich auch vertraulich bleiben“(26), und fügte hinzu, dass das Fehlen eines solchen Vertrauens „die reibungslose Übermittlung der vertraulichen Informationen gefährden [könnte], die zur Ausübung der Überwachungstätigkeit erforderlich sind“(27).

50.      Allerdings sah auch Art. 54 der Richtlinie 2004/39 Ausnahmen vom allgemeinen Verbot der Offenlegung vertraulicher Informationen vor. Im Rahmen der Prüfung dieser Ausnahmen ging der Gerichtshof auf die Ausnahme „davon unberührt bleiben Fälle, die unter das Strafrecht … fallen“ in Art. 54 Abs. 1(28) sowie auf die Ausnahme „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“ in Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie ein. In Bezug auf die Letztere stellte der Gerichtshof fest, dass „von der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses – unbeschadet der Fälle, die unter das Strafrecht fallen – nur dann abgewichen werden [kann], wenn die drei in [Art. 54 Abs. 2] genannten Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar, dass sich die vertraulichen Informationen nicht auf Dritte beziehen, dass ihre Weitergabe in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren stattfindet und dass sie für das betreffende Verfahren erforderlich sind“(29). Der Gerichtshof kam zu folgendem Ergebnis: „Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch [nicht] hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit, der ein Verwaltungsverfahren über einen Antrag auf Zugang zu Informationen und Dokumenten betrifft, über die eine nationale Aufsichtsbehörde aufgrund [der einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften] verfügt, … Teil zivil- oder handelsrechtlicher Verfahren ist, die von den Klägern des Ausgangsverfahrens angestrengt wurden.“(30)

51.      Interessant ist, dass die Formulierung „in the course of“, die in der englischen Fassung des Urteils verwendet wird, im englischen Wortlaut des Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 nicht enthalten ist(31). Zudem fügte der Gerichtshof hinzu, dass der Antrag in jener Rechtssache nicht Teil von Verfahren sei, die „von den Klägern … angestrengt“ worden seien, was dahin verstanden werden könnte, dass die Regelung nur Anwendung findet, wenn ein Verfahren bereits angestrengt worden ist.

52.      Der Gerichtshof traf jedoch keine ausdrückliche Aussage dahin, dass ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren bereits anhängig sein muss, damit Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 Anwendung findet. Dies steht im Gegensatz zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Jääskinen in jener Rechtssache, der betonte, dass die Regelung eng auszulegen sei. Er hob hervor, dass „der Unionsgesetzgeber die Weitergabe im Rahmen zivil- und handelsrechtlicher Verfahren und nicht für die Zwecke solcher Verfahren gestattet hat. Folglich erfordert die Anwendbarkeit von Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 nach dem Wortlaut dieser Ausnahme, die eng auszulegen ist, stets ein rechtshängiges zivil- oder handelsrechtliches Verfahren“(32). „Nicht unter diese Ausnahme fällt“ seiner Ansicht nach „ein Antrag, der darauf abzielt, Zugang zu den der zuständigen Aufsichtsbehörde vorliegenden vertraulichen Informationen zu erhalten, um zu prüfen, ob sich darunter bestimmte Informationen befinden, die für einen späteren und unabhängigen Rechtsstreit dienlich sein könnten, denn ein solcher Rechtsstreit findet nicht im Rahmen eines laufenden zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens statt“(33).

3.      Warum das Urteil Altmann nicht weiter ausgedehnt werden sollte

53.      Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 und Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 haben einen weitgehend ähnlichen Wortlaut. Es könnte somit die Ansicht vertreten werden, dass der Ansatz des Urteils Altmannauf die vorliegende Rechtssache übertragen werden sollte, wie von der Banca d’Italia, der italienischen und der portugiesischen Regierung sowie von der Kommission vertreten. Sie sind in der Tat alle der Ansicht, dass das Urteil Altmanndahin auszulegen sei, dass Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 nur anwendbar sei, wenn ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren bereits anhängig sei.

54.      Würde diese Auslegung in entsprechender Weise auf die vorliegende Rechtssache übertragen, wäre die Ausnahme in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 vom (allgemeinen) Verbot der Weitergabe von Informationen nicht anwendbar. Der Antrag auf Zugang zu Dokumenten war nicht Teil eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens, sondern wurde vielmehr für die Zwecke eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens gestellt. Dem Rechtsmittelführer würde somit der Zugang zu Dokumenten oder Informationen verwehrt.

55.      Ich möchte noch einmal betonen, dass der Gerichtshof im Urteil Altmann – anders als Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen – keine ausdrückliche Aussage dahin getroffen hat, dass die Anwendbarkeit dieser Bestimmung voraussetze, dass ein Verfahren anhängigsei. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Gerichtshof eine solche Voraussetzung implizit aufgestellt hätte, sehe ich jedoch eine Reihe von Gründen, warum eine solche entsprechende Anwendung auf die vorliegende Rechtssache problematisch wäre und zu hoch fragwürdigen Ergebnissen führen würde. Bevor ich verschiedene dieser Probleme skizzieren werde (c), werde ich die rechtlichen (a) und tatsächlichen (b) Unterschiede darstellen, aufgrund deren zwischen dem Urteil Altmann und der vorliegenden Rechtssache zu differenzieren ist.

a)      Rechtliche Unterschiede

56.      Auch wenn sie in der Tat weitgehend ähnliche Bestimmungen sind, weisen Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 und Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 auch Unterschiede in ihrem genauen Wortlaut auf.

57.      Erstens lässt Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 die Weitergabe vertraulicher Informationen zu, wenn „sie sich nicht auf Dritte beziehen“, während Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 die Weitergabe vertraulicher Informationen zulässt, sofern sie „sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des betreffenden Kreditinstituts beteiligt sind“ (Hervorhebung nur hier). In der letzteren Bestimmung wird somit der Geltungsbereich des Verbots der Weitergabe von Informationen, die sich auf Dritte beziehen, enger gefasst: Dieses Verbot gilt nur für vertrauliche Informationen, die sich nicht nur auf irgendeinen Dritten beziehen (wie im Fall der Richtlinie 2004/39), sondern die sich auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des Kreditinstituts beteiligt sind, gegen das durch Gerichtsbeschluss das Konkursverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet worden ist. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass nach der Richtlinie 2013/36 eine weiter gehende Möglichkeit der Weitergabe besteht als nach der Richtlinie 2004/39.

58.      Zweitens lässt Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 die Weitergabe vertraulicher Informationen in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren zu, „sofern dies für das betreffende Verfahren erforderlich ist“(34), während die Richtlinie 2013/36 eine solche Einschränkung, dies erscheint durchaus wichtig, nicht enthält. Der Wortlaut der Richtlinie 2004/39 ist deshalb enger als der der Richtlinie 2013/36. Dass eine solche Voraussetzung in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 fehlt, lässt wiederum einen größeren Spielraum für die Weitergabe als nach der Richtlinie 2004/39.

59.      Drittens ist eher am Rande auch anzumerken, dass sich in einigen Sprachfassungen die Begriffe „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“ selbst in beiden Richtlinien nicht entsprechen. Dies gilt insbesondere für die italienische Fassung der Richtlinien, wie vom Rechtsmittelführer in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, aber auch für weitere Sprachfassungen(35). In anderen Sprachfassungen sind die in beiden Richtlinien verwendeten Begriffe indes die gleichen(36).

60.      Im Ergebnis ist Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 eine breiter angelegte Bestimmung als Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39. Oder, von der anderen Seite der Medaille her betrachtet, ist die Möglichkeit, von einer Weitergabe abzusehen, in Fällen, in denen gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Konkursverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet worden ist, enger. Dieser Unterschied lässt, wiederum im Kontext sowohl der historischen Entwicklung dieser Bestimmung als auch der sonstigen parallelen Rechtsnormen mit gleichem Regelungsgegenstand betrachtet(37), Zweifel daran aufkommen, ob der Unionsgesetzgeber, so es denn eine solche gesetzgeberische Koordination gab, beiden Bestimmungen den gleichen Geltungsbereich zuerkennen wollte.

b)      Tatsächliche und kontextuelle Unterschiede

61.      Außer den rechtlichen Unterschieden zwischen der vorliegenden und der dem Urteil Altmann zugrunde liegenden Rechtssache möchte ich zwei tatsächliche und kontextuelle Unterschiede zwischen diesen Rechtssachen auf der nationalen Ebene hervorheben.

62.      Erstens betrifft in prozessualer Hinsicht die vorliegende Rechtssache eine Fallgestaltung, in der es allein um den Zugang zu Dokumenten geht und die vom Insolvenzverfahren als solchem weitgehend losgelöst ist. In der mündlichen Verhandlung wurde bestätigt, dass das Verfahren der Abwicklung der BNI noch nicht abgeschlossen ist und der Rechtsmittelführer an diesem Verfahren als Gläubiger unbesicherter Forderungen beteiligt ist. Der Zugang zu Dokumenten wie denjenigen, die er von der Banca d’Italia begehrte, konnte ihm jedoch im Rahmen des Abwicklungsverfahrens durch eine Anforderung bei den Liquidatoren offenbar nicht gewährt werden. Der Grund ist einfach, dass die Liquidatoren über Dokumente der begehrten Art nicht verfügen. Die Erörterung der Frage, ob das Konkursverfahren an sich als „zivil- oder handelsrechtliches Verfahren“ im Sinne von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 anzusehen sein könnte und ob der Zugang zu Dokumenten der vom Rechtsmittelführer begehrten Art vielleicht dort hätte eingefordert werden können, ist somit eher müßig, da der Rechtsmittelführer Dokumente der Art, zu denen er Zugang begehrt, im Rahmen dieses Verfahrens niemals hätte erhalten können.

63.      Zweitens haben, im Hinblick auf die Art der begehrten Dokumente, sowohl der Rechtsmittelführer als auch die Banca d’Italia in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass der Antrag des Rechtsmittelführers auf Zugang zu Dokumenten sich nur und ausschließlich auf von der Banca d’Italia erstellte Dokumente in Bezug auf ihre Aufsicht über die BNI bezogen habe. Der Rechtsmittelführer begehrt somit Zugang zu von einer Behörde im Rahmen ihrer Aufsichtsaufgaben verfassten Dokumenten, um zu klären, ob es eine hinreichende Grundlage für eine Staatshaftungsklage gegen diese Behörde geben könnte.

64.      Dagegen handelte es sich in der Rechtssache Altmann bei den Dokumenten, zu denen die Antragsteller Zugang erhalten wollten, um Berichte der Wirtschaftsprüfer, interne Stellungnahmen, Berichte, Korrespondenz, Unterlagen, Absprachen, Verträge, Aktennotizen und Schreiben, die interne Vorgänge des Unternehmens betrafen, gegen das ein Zwangsabwicklungsverfahren eingeleitet worden war(38). Die Dokumente, um die es ging, waren daher private oder unternehmensinterne Dokumente im Besitz der deutschen Aufsichtsbehörde, der BaFin.

65.      Diese Unterschiede rücken eine grundlegende und breitere Frage, die der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegt, ganz in den Mittelpunkt: Wollte der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36, indem er zu dieser Frage schwieg, die Möglichkeit völlig ausschließen, dass Verwaltungsbehörden jemals Zugang zu Dokumenten gewährt werden könnte, die die Geheimhaltungspflicht auf der nationalen Ebene berühren, und ebenso ausschließen, dass Verwaltungsgerichte als Teil der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, mit denen der Zugang zu solchen Dokumenten verweigert wird, Zugang zu solchen Dokumenten erhalten? Oder ist dies vielmehr Folge eines einfachen gesetzgeberischen Unterlassens, diese Form des Zugangs mit einzubeziehen, das, wenn es mit einer sehr engen Wortlautauslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 zusammentrifft, zu eher absurden Ergebnissen führt?

c)      Praktische Probleme einer Ausdehnung des Urteils Altmann

66.      Schließlich, und meines Erachtens vor allem anderen, würde eine Ausdehnung des Ansatzes des Urteils Altmann in entsprechender Weise auf die vorliegende Rechtssache, wonach wiederum anzunehmen wäre, dass in dieser Rechtssache ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren anhängig sein müsste, aus praktischer Sicht zu einer Reihe von Problemen führen.

67.      Erstens hat dieser Ansatz einen deutlichen Anklang, sich im Kreis zu drehen: Zur Klärung der Frage, ob eine Klageerhebung sinnvoll ist, muss zunächst eine Klage erhoben werden. Ein Zyniker (oder, je nach eigener Ansicht, ein Realist) könnte sich vielleicht zu der Bemerkung veranlasst sehen, dass mit der Einleitung gerichtlicher Schritte zwangsläufig Unsicherheit verbunden ist. Im Unterschied vielleicht zu den unvermeidlichen Grenzen, die der Möglichkeit gesetzt sind, eine genaue Bestimmung der Position subatomarer Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorzunehmen, sollte die Anwendung des (Heisenbergschen) Unschärfeprinzips(39) auf gerichtliche Verfahren die Ausnahme bleiben. Dies gilt umso mehr für Kläger, denen bereits erhebliche Schäden entstanden sind und die sich zur Klärung der Frage, ob sie für diese Schäden möglicherweise Ersatz erhalten können, auf einen unsicheren gerichtlichen „Fischzug“ begeben müssen, der mit weiteren erheblichen Kosten verbunden ist. Dieses Ergebnis erscheint nicht nur für den einzelnen Kläger recht problematisch, sondern ist auch für die geordnete Rechtspflege auf der nationalen Ebene wenig sinnvoll.

68.      Eine weitere Frage steht hiermit in Verbindung: Viele Mitgliedstaaten sehen im nationalen Verfahrensrecht für Rechtssachen ähnlicher Art kein Vorverfahren zur Offenlegung von Informationen vor. Um eine gerichtliche Anordnung der Offenlegung von Informationen erwirken zu können, müsste der Einzelne somit eine vollumfängliche Schadensersatzklage erheben. Sofern eine solche Klage vom nationalen Gericht nicht umgehend als offensichtlich unbegründet oder gar missbräuchlich zurückgewiesen wird, kann der Kläger dann nur darauf hoffen, dass der Verstoß (die Rechtswidrigkeit) und die Kausalverbindung zwischen dem Verstoß und dem geltend gemachten Schaden (der wahrscheinlich das einzige Element einer Schadensersatzklage sein wird, das der Einzelne darlegen könnte), vom Gericht selbst ermittelt wird.

69.      Wie von der italienischen Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt, gibt es in Italien in Verfahren dieser Art kein Vorverfahren zur Offenlegung von Informationen. Es ließe sich sicherlich die Ansicht vertreten, dass ein Mitgliedstaat im Interesse der wirksamen Durchsetzung unionsrechtsbasierter Rechte eine solche Offenlegung vorsehen sollte, um den Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf und/oder ein faires Verfahren, die durch Art. 47 der Charta garantiert sind, zu ermöglichen.

70.      Dies wäre meines Erachtens kein sehr vernünftiger Ansatz. Letztlich würde so statt einer Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Problem, das in der fragwürdigen Formulierung von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 besteht, und einer Lösung dieses Problems an seiner Quelle, nämlich durch eine sinnvolle Auslegung dieser Bestimmung, das Problem auf der Auslegungsebene eingefroren und dann praktisch bei den Gerichtssystemen der Mitgliedstaaten abgeladen. Dass in den meisten zivilrechtlichen Zivilprozesssystemen ein Vorverfahren zur Offenlegung von Informationen nicht ohne Weiteres geregelt ist, war gerade der Grund dafür, dass der Unionsgesetzgeber auf dem Gebiet von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht Regelungen über die Offenlegung von Beweismitteln in die Richtlinie 2014/104/EU(40) aufgenommen hat.

71.      Im Gegensatz dazu gibt es entsprechende unionsrechtliche Regelungen über die Offenlegung von Informationen auf dem Gebiet der Bankenaufsicht nicht. Personen wie der Rechtsmittelführer im Ausgangsverfahren hätten somit wenig Aussicht darauf, Zugang zu Dokumenten über die von einer Aufsichtsbehörde wahrgenommenen Aufgaben zu erhalten, sofern diese Möglichkeit nicht nach den Regelungen über den Zugang zu Dokumenten besteht. In der vorliegenden Rechtssache gilt dies umso mehr angesichts des oben in Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge erwähnten Umstands, dass der Rechtsmittelführer im Rahmen des Konkursverfahrens durch eine Anforderung bei den für die Abwicklung der BNI verantwortlichen Liquidatoren keinen Zugang zu diesen Dokumenten erhalten konnte.

72.      Zweitens ist zu unterstreichen, dass der Begriff „vertrauliche Informationen“ potenziell sehr weit ausgelegt werden kann(41). Wird dieser weite Ansatz auf die Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 ausgedehnt, könnte dies zu einer übermäßigen Verengung der dort vorgesehenen Ausnahme führen. Letztlich wären dann sämtliche, ein Kreditinstitut betreffende Informationen als vertrauliche Informationen anzusehen.

73.      Drittens ist aus systematischer Sicht kein zwingender Grund ersichtlich, warum Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 dahin ausgelegt werden müsste, dass er die Möglichkeit ausschlösse, dass Verwaltungsgerichte, die eine gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen vornehmen(42), Zugang zu vertraulichen Informationen von Kreditinstituten erhalten, gegen die durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder ihre Zwangsabwicklung eingeleitet worden ist, wenn sie diese Informationen für die Zwecke der Durchführung ihres Verfahrens benötigen. Die einzigen in dieser Bestimmung ausdrücklich vorgesehenen Fälle sind „Fälle, die unter das Strafrecht fallen“, und „zivil- oder handelsrechtliche Verfahren“. Ist dies dahin zu verstehen, dass Verwaltungsgerichte, die eine Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen vornehmen, vom Zugang zu vertraulichen Informationen kategorisch ausgeschlossen sind?

74.      Zur Beantwortung dieser Frage ist der mögliche Sinn und Zweck der in Art. 53 Abs. 1 geregelten Ausnahmen vom Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen zu berücksichtigen. Wenn einerseits der hinter diesen Ausnahmen stehende Gedanke darin bestände, dass der Zugang zu vertraulichen Informationen nur gewährt werden könnte, wenn dieser Zugang unter Kontrolle eines Richters stattfindet, dann ist meines Erachtens kein Grund dafür ersichtlich, den Zugang unter der Leitung eines Verwaltungsgerichts auszuschließen. Ich kann mir eine Reihe verschiedener Rechtsansprüche vorstellen(43), wegen derer Verwaltungsgerichte Zugang zu solchen vertraulichen Informationen benötigen.

75.      Wenn andererseits der Gedanke hinter diesen Ausnahmen vielmehr darin bestände, einer sachkundigen Person die Entscheidung zu überlassen, welche Informationen offengelegt werden dürfen und welche Informationen vertraulich bleiben müssen, dann sind meines Erachtens tatsächlich die Aufsichtsbehörden (im vorliegenden Fall die Banca d’Italia) am besten in der Lage, aufgrund ihrer Sachkunde und Kenntnisse eine solche Prüfung vorzunehmen. Die Möglichkeit einer Offenlegung nach den nationalen Rechtsvorschriften über den Zugang zu Dokumenten auszuschließen und gleichzeitig indirekt davon auszugehen, dass jeder Zivilrichter des ersten Rechtszugs besser in der Lage ist, eine solche Offenlegung in jedwedem bei ihm gegebenenfalls anhängigen zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren anzuordnen, erscheint somit eher seltsam. Jedenfalls können die Entscheidungen der Aufsichtsbehörden in dieser Hinsicht jederzeit Gegenstand einer Überprüfung durch einen Verwaltungsrichter sein.

76.      Im Ergebnis habe ich zugestandenermaßen erhebliche gedankliche Schwierigkeiten damit, mich der von der Banca d’Italia, der italienischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission vertretenen Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 anzuschließen.

4.      (Alternative) Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36

77.      Im Licht der vorstehend dargestellten rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede zwischen der vorliegenden Rechtssache und dem Urteil Altmann und insbesondere der praktischen Probleme, die eine enge Auslegung dieser Bestimmung aufwirft, schlage ich eine differenziertere Auslegung von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 vor. Die Möglichkeit einer Offenlegung vertraulicher Informationen „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“ im Sinne dieser Bestimmung sollte meines Erachtens dahin verstanden werden, dass sie „für die Zwecke eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens“ gilt.

78.      Dem möchte ich sofort drei Klarstellungen hinzufügen.

79.      Erstens fänden eindeutig selbst bei einer solchen Auslegung der Formulierung „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“ die sonstigen in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 vorgesehenen Voraussetzungen weiterhin Anwendung. Dies bedeutet, dass diese Bestimmung nur geltend gemacht werden könnte, wenn erstens gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet worden ist und damit zweitens, noch wichtiger, Zugang zu vertraulichen Informationen begehrt wird, die sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des betreffenden Kreditinstituts beteiligt sind.

80.      Zweitens ist ebenfalls ganz eindeutig, dass diese Auslegung sicherlich nicht dazu führen würde, jeder Person plötzlich den uneingeschränkten Zugang zu vertraulichen Informationen über ein Kreditinstitut, gegen das durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet worden ist, zu gewähren, die geltend macht, künftig vielleicht irgendwann einen zivil- oder handelsrechtlichen Anspruch geltend machen zu wollen. Insoweit bedeutet „für den Zweck eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens“ im Wesentlichen für den Zweck, ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren einleiten zu können. Dies kann logisch immer nur für Personen gelten, die von der Insolvenz oder der Zwangsabwicklung des Kreditinstituts unmittelbar betroffen sind, wie etwa Anleger, Kunden oder Mitarbeiter. Der Kreis derjenigen Personen, denen Zugang gewährt werden könnte, wäre somit auf Personen begrenzt, die vernünftigerweise glaubhaft machen können, durch die Insolvenz oder die Abwicklung unmittelbar geschädigt worden zu sein.

81.      Drittens, und dies erscheint durchaus wichtig, belässt diese Auslegung den Aufsichtsbehörden die volle Kontrolle über die Informationen, die tatsächlich offengelegt werden können. Die Kontrolle sowohl darüber, wer Zugang zu vertraulichen Informationen erhalten kann, als auch darüber, zu welchen vertraulichen Informationen Zugang gewährt wird, läge nämlich in den Händen der Behörden, die auf der nationalen Ebene mit dem Zugang zu Dokumenten befasst sind. In einer Rechtssache wie derjenigen des Ausgangsverfahrens würde der Antrag auf Offenlegung zuerst an die nationale Aufsichtsbehörde gerichtet. Die Entscheidung dieser Behörde könnte sodann natürlich von einem Verwaltungsgericht überprüft werden. Der Grundgedanke der kontrollierten Weitergabe vertraulicher Informationen, der Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie zugrunde liegen dürfte, würde somit vollständig gewahrt. Bei dieser zweifachen Kontrolle bestände sicherlich kaum eine Gefahr überschießender Folgen: Wer Zugang erhalten kann und wozu Zugang gewährt wird, würde immer von der Aufsichtsbehörde unter der Kontrolle des zuständigen nationalen Richters entschieden.

82.      Drei abschließende Anmerkungen zum breiteren Kontext, in dem der Gerichtshof die Auslegung einer konkreten Bestimmung der Richtlinie 2013/36 vornehmen muss, sind angezeigt.

83.      Erstens sind die beteiligten Einzelinteressen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Dies wurde bereits im Urteil Hillenius(44) bestätigt, wo der Gerichtshof feststellte, dass die nationalen Gerichte die verschiedenen Interessen, die bei der Anwendung (der Vorläuferregelung) von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 in Erscheinung treten, in einen angemessenen Ausgleich bringen müssen.

84.      Im „normalen“ Leben eines Kreditinstituts ist die Wahrung der Geheimhaltungspflicht und der Schutz vertraulicher Informationen nach der Richtlinie 2013/36 von herausragender Bedeutung. Die Geheimhaltungspflicht und Vertraulichkeit sind nämlich die Regel. Wie in Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 selbst geregelt, beginnt sich diese Grundregel jedoch zu ändern, sobald gegen ein Kreditinstitut „durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet“ worden ist.

85.      Ich möchte natürlich nicht andeuten, dass die Notwendigkeit des Schutzes vertraulicher Informationen einfach entfällt, sobald das Kreditinstitut insolvent ist oder abgewickelt wird. Die Notwendigkeit des Schutzes bestimmter vertraulicher Informationen (z. B. in Bezug auf das Know-how des Unternehmens, seine Geschäftspraktiken, usw.) besteht immer noch fort, soweit es weiterhin einen Vermögenswert darstellen kann, der als Teil der Abwicklung des Unternehmens realisiert werden kann(45). Was Informationen angeht, die sich auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des betreffenden Kreditinstituts beteiligt sind, wird die Vertraulichkeit zudem in jedem Fall durch Art. 53 Abs. 1 garantiert. Schließlich besteht auch die Notwendigkeit des Schutzes des Allgemeininteresses am reibungslosen Funktionieren des Aufsichtssystems.

86.      Auch wenn diese Vorbehalte voll anzuerkennen sind, geht die von mir vertretene Ansicht tatsächlich dahin, dass sich, sobald ein Kreditinstitut insolvent ist, die gesamte Interessenabwägung zu verschieben beginnt. Das (fortdauernde) Gebot des Schutzes der in der vorstehenden Nummer aufgeführten Interessen muss gegen zwei zusätzliche und neu hinzutretende Interessen abgewogen werden: Erstens bestehen die (privaten) Interessen derjenigen, die durch die Abwicklung des Kreditinstituts geschädigt worden sind, insbesondere dahin, dass ihnen ermöglicht wird, Schadensersatz zu verlangen. Zweitens besteht auch das legitime (Allgemein‑)Interesse daran, zu erfahren, zu welchen Fehlentwicklungen es kam, um feststellen zu können, ob das Kreditinstitut lediglich durch eigenes Handeln insolvent geworden ist oder ob die Ursache hierfür zumindest zum Teil auf die Aufsichtsbehörde zurückgehen könnte.

87.      Dass allen diesen legitimen Interessen Rechnung zu tragen ist, sobald gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, spricht wiederum für eine differenziertere Auslegung von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36.

88.      Zweitens werden die beiden neuen Interessen, die auf den Plan treten, sobald gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, einander wahrscheinlich weitgehend ergänzen. Wenn denjenigen der Zugang zu Dokumenten ermöglicht wird, die zur Wahrung ihrer privaten Interessen Klage erheben wollen, wird dies, sofern und sobald die Klage erhoben wird, mittelbar zur Wahrung des Allgemeininteresses an der Beaufsichtigung der Tätigkeiten der Aufsichtsbehörden beitragen. Dies könnte ferner dem Allgemeininteresse am gesamten reibungslosen Funktionieren des Aufsichtssystems dienen. Wenn ein höheres Maß an Kontrolle über die Aufsichtsbehörden gewährleistet wird – selbst wenn dies mittelbar über Klagen privater Parteien vor einem nationalen Gericht geschieht – wird dies nämlich wahrscheinlich nicht nur die Verantwortlichkeit dieser Behörden, sondern auch die Qualität ihrer Arbeit erhöhen(46).

89.      Eine dritte und letzte Anmerkung ist dazu angezeigt, welche Außenwahrnehmung der Aufsicht zuteilwird. Der Gerichtshof hat allgemein anerkannt, dass die Wahrung der Vertraulichkeit bestimmter Arten von Informationen erforderlich ist, um die Übermittlung von Informationen zwischen den überwachten Unternehmen und den Aufsichtsbehörden nicht zu gefährden, was letztlich dem Ziel dient, das reibungslose Funktionieren des Aufsichtssystems über Kreditinstitute und Wertpapierfirmen zu schützen(47).

90.      Ich erkenne noch einmal ganz entschieden die herausragende Bedeutung des reibungslosen Funktionierens des durch die Richtlinie 2013/36 geschaffenen Aufsichtssystems an. Problematisch an diesem Argument ist jedoch, wie sich auch im Lauf des vorliegenden Verfahrens zeigt, dass es offenbar auf einer recht hohen Abstraktionsebene geltend gemacht wird und im Einzelnen sehr wenig tatsächlich darüber aussagt, inwieweit genau diese Aufsicht gefährdet würde. In einem konkreten Fall wie dem vorliegenden ist meines Erachtens nicht ersichtlich, warum dieses Argument in der Praxis zu einer Schadloshaltung der Kreditinstitute und möglicherweise der Aufsichtsbehörden selbst von Klagen einer geschädigten Partei führen sollte, die geltend macht, dass ihr infolge der behaupteten mangelhaften Geschäftsführung des Kreditinstituts und/oder des Versagens des Aufsichtssystems ein Schaden entstanden sei(48). Es ist somit kein Grund dafür ersichtlich, dass ein begrenzter Weitergabemechanismus, der nur im Fall der Insolvenz oder Abwicklung verfügbar ist und unter der Kontrolle der Aufsichtsbehörde und der zuständigen Gerichte steht, das reibungslose Funktionieren des Aufsichtssystems notwendigerweise in dem Sinne gefährden würde, dass er die Übermittlung vertraulicher Informationen von den überwachten Unternehmen an die Aufsichtsbehörde gefährden würde.

91.      Im Ergebnis ist ungeachtet der die Bedeutung des Vertrauens und gegenseitigen Vertrauens betonenden Rhetorik, die bisweilen eher an die Kommunikation zwischen Gleichen erinnert, vielleicht der Hinweis darauf angebracht, dass die Übermittlung von Informationen durch Kreditinstitute oder Wertpapierfirmen an die Aufsichtsbehörden nach der Richtlinie 2013/36 nicht eine Frage des Wohlwollens, sondern eine öffentlich-rechtlich vorgesehene Verpflichtung der auf bestimmten Märkten tätigen Unternehmen ist. Auch wenn Vertrauen und gegenseitiges Vertrauen sicherlich willkommen und unterstützenswert sind, sollten sie somit nicht so weit überdehnt werden, dass aus dem Blick verloren wird, dass das, was zu leisten ist, nicht Vertrauen, sondern Aufsicht ist.

V.      Ergebnis

92.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) wie folgt zu beantworten:

Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG ist dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Weitergabe vertraulicher Informationen „in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“ auf den Fall Anwendung findet, dass eine Person nach den nationalen Regelungen über den Zugang zu Dokumenten für die Zwecke der Prüfung einer möglichen Klageerhebung gegen die zuständige Aufsichtsbehörde auf Ersatz des dieser Person ihrer Ansicht nach infolge der Insolvenz oder Abwicklung eines Kreditinstituts entstandenen Schadens Zugang zu Dokumenten in Bezug auf die Aufsicht über dieses Kreditinstitut begehrt.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338).


3      Oder vielmehr dessen Vorläuferregelung, auf die der Rechtsmittelführer sich ursprünglich stützte, nämlich Art. 44 der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 2006, L 177, S. 1). Die Richtlinie 2006/48 war jedoch zwischenzeitlich durch die Richtlinie 2013/36 aufgehoben und ersetzt worden. Auf die vorliegende Rechtssache anwendbar ist daher die letztere Richtlinie, auf die das vorlegende Gericht auch seine dritte Frage bezieht.


4      Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a. (C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 45).


5      Vgl. z. B. Urteil vom 27. Februar 2014, Pohotovosť (C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 30). Vgl. auch Urteil vom 26. Februar 2015, Matei (C‑143/13, EU:C:2015:127, Rn. 39 bis 41), oder vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 29 bis 31).


6      Unerheblich ist, ob der Grund hierfür darin liegt, dass der Rechtsmittelführer noch ein rechtliches Interesse an einem Feststellungsurteil haben könnte oder, wie von den Parteien in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass der Rechtsmittelführer nach Vorlage des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens durch das vorlegende Gericht Zugang zu weiteren Dokumenten beantragt hat, zu denen die Banca d’Italia noch keinen Zugang gewährt hat.


7      Verordnung des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63).


8      Urteil vom 18. Juli 2017, Kommission/Breyer (C‑213/15 P, EU:C:2017:563, Rn. 49). Mit Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) wurde die sogenannte „Urheberregel“ abgeschafft (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 56), so dass es für die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1049/2001 entscheidend darauf ankommt, ob das Dokument sich im Besitz eines Organs befindet, unabhängig davon, wer sein Urheber ist.


9      Wo „das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“ verankert ist.


10      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2017, Kommission/Breyer (C‑213/15 P, EU:C:2017:563, Rn. 52).


11      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 2000, L 126, S. 1).


12      Erste Richtlinie des Rates vom 12. Dezember 1977 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 1977, L 322, S. 30).


13      Zweite Richtlinie des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG (ABl. 1989, L 386, S. 1).


14      Urteil vom 11. Dezember 1985, Hillenius (110/84, EU:C:1985:495).


15      Urteil vom 11. Dezember 1985, Hillenius (110/84, EU:C:1985:495, Rn. 28 und 29).


16      Urteil vom 11. Dezember 1985, Hillenius (110/84, EU:C:1985:495, Rn. 33).


17      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. 2014, L 173, S. 349).


18      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. 2004, L 145, S. 1).


19      Er lautet wie folgt: „Wurde gegen eine Wertpapierfirma, einen Marktbetreiber oder einen geregelten Markt durch Gerichtsbeschluss das Konkursverfahren eröffnet oder ihre Zwangsabwicklung eingeleitet, so dürfen vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden, sofern dies für das betreffende Verfahren erforderlich ist.“ Hervorhebung nur hier.


20      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. 2009, L 302, S. 32). Art. 102 Abs. 1 Unterabs. 2 bestimmt: „In Fällen, in denen für einen OGAW oder ein Unternehmen, das an seiner Geschäftstätigkeit mitwirkt, durch Gerichtsbeschluss das Konkursverfahren eröffnet oder die Zwangsabwicklung eingeleitet worden ist, können jedoch vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, welche an Rettungsversuchen beteiligt sind,in zivilgerichtlichen oder handelsgerichtlichen Verfahren weitergegeben werden.“ Hervorhebung nur hier.


21      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. 2004, L 390, S. 38). Art. 25 Abs. 1 Satz 2 lautet wie folgt: „Die unter das Berufsgeheimnis fallenden Informationen dürfen keiner anderen Person oder Behörde bekannt gemacht werden, es sei denn, dies ist in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehen.“ Hervorhebung nur hier.


22      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (ABl. 2010, L 331, S. 12).


23      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. 2010, L 331, S. 84).


24      Angeführt oben in Nr. 5 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362).


26      Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 31).


27      Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 32).


28      Zu dieser Ausnahme vgl. jüngst die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache UBS Europe u. a. (C‑358/16, EU:C:2017:606).


29      Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 38).


30      Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 39).


31      In der französischen Fassung wird die neutralere Formulierung des Art. 54 Abs. 2 verwendet („dans le cadre de“), ohne sie einzuschränken. Was die Fassung im Deutschen angeht, das Verfahrenssprache war, heißt es dort, dass das Verwaltungsverfahren nicht „Teil zivil- oder handelsrechtlicher Verfahren“ ist.


32      Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2168, Nr. 52).


33      Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2168, Nr. 56).


34      Der Gerichtshof hat dies als eine der drei Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Art. 54 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39 bezeichnet: vgl. Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 38).


35      In der italienischen Fassung wird in der Richtlinie 2013/36 die Formulierung „nell’ambito di procedimenti civili o commerciali“ und in der Richtlinie 2004/39 die Formulierung „nel quadro di procedimenti civili o commerciali“ verwendet; Gleiches gilt z. B. für die polnische („w postępowaniach cywilnych“ bzw. „w ramach sądowej procedury cywilnej prawa handlowego“), die portugiesische („no âmbito de processos do foro cível ou comercial“ bzw. „em processos de direito civil ou comercial“), die rumänische („în cursul unor acțiuni în instanțe civile sau comerciale“ bzw. „în cadrul unor proceduri civile sau comerciale“) und die spanische Fassung („en el marco de procedimientos civiles o mercantiles“ bzw. „en el curso de procedimientos civiles o mercantiles“).


36      Außer für die englische Fassung gilt dies z. B. auch für die tschechische („v občanském soudním řízení“), niederländische („in het kader van civiele of handelsrechtelijke procedures“), französische („dans le cadre de procédures civiles ou commerciales“) und deutsche Fassung („in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren“).


37      Siehe oben, Nrn. 34 bis 44 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 14 und 15).


39      Vgl. Heisenberg, W., „Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik“, Zeitschrift für Physik, Bd. 43 (3‑4), 1927, S. 172.


40      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1).


41      Vgl. jüngst die Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (C‑15/16, EU:C:2017:958, Nrn. 64 und 65). In jenen Schlussanträgen legte Generalanwalt Bot den Begriff „vertrauliche Informationen“ im Kontext von Art. 54 der Richtlinie 2004/39 aus. Es spricht indes wenig dafür, dass sich die Auslegung dieses Begriffs im Sinne der Richtlinie 2013/36 davon wesentlich unterscheiden sollte.


42      Wie das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren, das die Verwaltungsentscheidung der Banca d’Italia überprüft, zu den vom Rechtsmittelführer begehrten Dokumenten keinen Zugang zu gewähren. Mit dieser (etwas schwerfälligen) Formulierung möchte ich den Blick auf den Bereich der funktionell definierten Verwaltungsjustiz richten, d. h., hiervon diejenigen Fälle ausnehmen, in denen in einigen Mitgliedstaaten als Verwaltungsgerichte bezeichnete Stellen möglicherweise in zivil- oder handelsrechtlichen Rechtssachen zur Entscheidung berufen sind.


43      Etwa Staatshaftungsklagen gegen Aufsichtsbehörden in Rechtsordnungen, in denen diese Rechtssachen den Verwaltungsgerichten zugewiesen sind, die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen oder Sanktionen im Zusammenhang mit der Zwangsabwicklung, wie etwa eine gerichtliche Anfechtung von Abberufungsbeschlüssen gegen Mitglieder der Geschäftsleitung solcher Kreditinstitute, usw.


44      Urteil vom 11. Dezember 1985, Hillenius (110/84, EU:C:1985:495, Rn. 33).


45      Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2168, Nrn. 43 bis 45).


46      Das öffentliche Interesse hieran könnte noch größer sein, wenn für Versuche zur Rettung eines der Kreditinstitute oder einer der Wertpapierfirmen, gegen die nun durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, zuvor öffentliche Gelder in erheblicher Höhe eingesetzt worden sind.


47      Zur Vorläuferregelung von Art. 53 Abs. 1, nämlich Art. 12 Abs. 1 der Ersten Richtlinie des Rates, vgl. Urteil vom 11. Dezember 1985, Hillenius (110/84, EU:C:1985:495, Rn. 27); zu Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39 vgl. Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362, Rn. 31 bis 33).


48      Betonen möchte ich, dass mit dieser allgemeinen Ansicht in keiner Weise zur Begründetheit einer solchen etwaigen Staatshaftungsklage Stellung genommen werden soll, insbesondere nicht dazu, auf welche Rechtsgrundlage eine solche Klage gegebenenfalls genau gestützt werden könnte. Die vorliegende Rechtssache ist von diesen Fragen einige Schritte entfernt. Außerdem unterläge eine solche Klage vor allem auch grundsätzlich dem nationalen Recht und nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, dem Unionsrecht. Vgl. dagegen die völlig andere Fallgestaltung im Urteil vom 12. Oktober 2004, Paul u. a. (C‑222/02, EU:C:2004:606), zu der Frage, ob mehrere Richtlinien, einschließlich der Ersten Richtlinie des Rates, einer nationalen Regelung entgegenstanden, wonach der Einzelne keinen Ersatz des durch eine unzureichende Aufsicht der Aufsichtsbehörde entstandenen Schadens verlangen konnte. Der Gerichtshof stellte fest, dass unter diesen drei in Rede stehenden Richtlinien lediglich Art. 7 Abs. 1 der damaligen Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme (ABl. 1994, L 135, S. 5) Einzelnen ein eindeutig bestimmtes Recht verlieh (das Einlagensicherungssystem bis zu 20 000 ECU), hinsichtlich dessen nach einer Entscheidung der nationalen Gerichte Schadensersatz bereits geleistet worden war. Der Gerichtshof bestätigte im Weiteren, dass die drei zu jenem Zeitpunkt gültigen Richtlinien Einlegern darüber hinaus keine konkreten Ansprüche darauf verliehen, dass die zuständigen nationalen Behörden unter diesen Umständen Aufsichtsmaßnahmen in ihrem Interesse trafen (Rn. 30, 41 und 46) und das Unionsrecht daher der in Rede stehenden nationalen Regelung nicht entgegenstand.