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Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 8. September 2015 (Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Cuneo - Italien) – Strafverfahren gegen Ivo Taricco u. a.

(Rechtssache C-105/14)1

(Vorlage zur Vorabentscheidung – Strafverfahren betreffend Mehrwertsteuerdelikte – Art. 325 AEUV – Nationale Regelung, die absolute Verjährungsfristen vorsieht, die zur Straffreiheit der Delikte führen können – Potenzielle Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Europäischen Union – Pflicht des nationalen Gerichts, jede Bestimmung des innerstaatlichen Rechts, die die unionsrechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann, unangewendet zu lassen)

Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht

Tribunale di Cuneo

Parteien des Ausgangsverfahrens

Ivo Taricco, Ezio Filippi, Isabella Leonetti, Nicola Spagnolo, Davide Salvoni, Flavio Spaccavento, Goranco Anakiev

Tenor

Eine nationale Verjährungsregelung für Straftaten wie die des Art. 160 letzter Absatz in Verbindung mit Art. 161 des Codice penale in der Fassung des Gesetzes Nr. 251 vom 5. Dezember 2005, die zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit vorsah, dass eine Unterbrechungshandlung im Rahmen der Strafverfolgung von schwerem Mehrwertsteuerbetrug die Wirkung hat, die Verjährungsfrist um lediglich ein Viertel ihrer ursprünglichen Dauer zu verlängern, kann die den Mitgliedstaaten durch Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV auferlegten Verpflichtungen beeinträchtigen, falls diese nationale Regelung die Verhängung von wirksamen und abschreckenden Sanktionen in einer beträchtlichen Anzahl von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichteten schweren Betrugsfällen verhindern oder für die Betrugsfälle zum Nachteil der finanziellen Interessen des betreffenden Mitgliedstaats längere Verjährungsfristen als für die Betrugsfälle zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union vorsehen sollte, was zu überprüfen Sache des nationalen Gerichts ist. Das nationale Gericht ist verpflichtet, Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV volle Wirkung zu verleihen, indem es erforderlichenfalls die Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet lässt, die die Wirkung hätten, den betreffenden Mitgliedstaat an der Erfüllung der ihm durch Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV auferlegten Verpflichtungen zu hindern.

Eine Verjährungsregelung für Mehrwertsteuerdelikte wie die des Art. 160 letzter Absatz in Verbindung mit Art. 161 des Codice penale in der Fassung des Gesetzes Nr. 251 vom 5. Dezember 2005 kann nicht im Licht der Art. 101 AEUV, 107 AEUV und 119 AEUV beurteilt werden.

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1 ABl. C 194vom 24.6.2014..