Language of document : ECLI:EU:C:2017:963

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 13. Dezember 2017(1)

Rechtssache C240/17 

E

(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus [Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland])

„Vorabentscheidungsersuchen – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Schengen-Raum – Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot gegen einen Drittstaatsangehörigen – Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem – Straffällig gewordener Drittstaatsangehöriger – Drittstaatsangehöriger mit gültigem Aufenthaltstitel in einem anderen Mitgliedstaat des Schengen-Raums – Konsultationspflicht – Auswirkungen laufender Konsultationen auf den Vollzug der Rückkehrentscheidung und das Wirksamwerden des Einreiseverbots – Art. 25 Abs. 2 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (Schengener Durchführungsübereinkommen, SDÜ) – Richtlinie 2008/115/EG“






I.      Einleitung

1.        Der Name der luxemburgischen Gemeinde Schengen steht seit 1985 für die Vision des freien Reisens in einem Europa ohne Kontrollen an den Binnengrenzen. Inzwischen ist diese Vision in den allermeisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie auch in einigen benachbarten Drittstaaten, die gemeinsam den Schengen-Raum bilden, zur Realität geworden. Das Schengen-System gehört heute zu den Grundpfeilern des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts(2).

2.        Um aber sicherzustellen, dass besagtes System auf Dauer funktioniert und sich auch weiterhin größtmöglicher Akzeptanz erfreut, sind gemeinsame Regeln unabdingbar, die in wirksamer und kohärenter Weise gewährleisten, dass der Zugewinn an Freiheit in diesem Raum ohne Binnengrenzen nicht auf Kosten der Sicherheit geht. Dazu gehört, dass die beteiligten Staaten die Kontrolle über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen behalten, ohne zugleich die Vorgaben des Unionsrechts sowie die individuellen Rechte und Interessen der betroffenen Personen zu vernachlässigen.

3.        In diesem Spannungsfeld bewegt sich das Vorabentscheidungsersuchen, mit dem der Gerichtshof im vorliegenden Fall befasst wird. Es gilt zu klären, wie zu verfahren ist, wenn ein Drittstaatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat des Schengen-Raums über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, von einem anderen Mitgliedstaat des Schengen-Raums mit einem Einreiseverbot belegt wird. Ein solches Einreiseverbot hat angesichts fehlender Kontrollen an den Binnengrenzen grundsätzlich eine europäische Dimension und beansprucht für den gesamten Schengen-Raum, ja sogar darüber hinaus für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Geltung.

4.        Konkret geht es um Herrn E, einen nigerianischen Staatsangehörigen, der in Finnland straffällig geworden ist. Die finnischen Behörden wollen ihn in sein Heimatland Nigeria zurückführen und haben ihn mit einem schengenweiten Einreiseverbot belegt, obwohl er in Spanien noch aufenthaltsberechtigt ist.

5.        Die unionsrechtlichen Regeln des Schengen-Systems sehen für derartige Fälle eine Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten vor, um allen beteiligten Behörden ein kohärentes und widerspruchsfreies Vorgehen zu ermöglichen. Derjenige Mitgliedstaat, der das Einreiseverbot verhängt, muss den anderen Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, dazu befragen, ob dieser den Aufenthaltstitel einzuziehen gedenkt. Was aber, wenn der konsultierte Mitgliedstaat – hier: das Königreich Spanien – über längere Zeit nicht antwortet, obwohl der konsultierende Mitgliedstaat – hier: die Republik Finnland – die betroffene Person als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einstuft und sie deshalb umgehend in ihr Herkunftsland abschieben möchte?

6.        Diese praktisch bedeutsame Frage ist bislang noch ungeklärt. Mit ihrer Beantwortung kann der Gerichtshof einen Beitrag zur Fortentwicklung der im Schengen-Raum anwendbaren gemeinsamen Regeln leisten und dabei zugleich auf die richtige Balance zwischen den Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten sowie den individuellen Rechten und Interessen der Drittstaatsangehörigen(3) achten.

II.    Rechtlicher Rahmen

7.        Der unionsrechtliche Rahmen dieses Falles wird zum einen durch das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen(4) (Schengener Durchführungsübereinkommen, SDÜ) sowie zum anderen durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger(5) bestimmt. Daneben ist der Schengener Grenzkodex in der Fassung der Verordnung (EU) 2016/399(6) von Belang(7).

A.      Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)

8.        Das SDÜ wurde am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) von fünf Mitgliedstaaten(8) unterzeichnet und ist am 26. März 1995 in Kraft getreten. Es ist heute gemäß dem Protokoll Nr. 19 zum EU-Vertrag und zum AEU-Vertrag(9) Teil des Schengen-Besitzstands, welcher in den Rahmen der Europäischen Union einbezogen ist und für den Schengen-Raum Gültigkeit hat, d. h. für fast alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter sowohl die Republik Finnland als auch das Königreich Spanien. Darüber hinaus umfasst der Schengen-Raum auch eine Handvoll Drittstaaten, so etwa die Schweizerische Eidgenossenschaft(10).

9.        In Titel II des SDÜ („Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und Personenverkehr“) befindet sich in Kapitel 5 („Aufenthaltstitel und Ausschreibung zur Einreiseverweigerung“) die Vorschrift des Art. 25 SDÜ, dessen Abs. 2 folgenden Wortlaut hat:

„Stellt sich heraus, dass der Drittausländer, der über einen von einer der Vertragsparteien erteilten gültigen Aufenthaltstitel verfügt, zum Zwecke der Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, konsultiert die ausschreibende Vertragspartei die Vertragspartei, die den Aufenthaltstitel erteilt hat, um zu prüfen, ob ausreichende Gründe für die Einziehung des Aufenthaltstitels vorliegen.

Wird der Aufenthaltstitel nicht eingezogen, so zieht die ausschreibende Vertragspartei die Ausschreibung zurück, wobei es ihr unbenommen bleibt, den betroffenen Drittausländer in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen.“

10.      Ebenfalls in Titel II des SDÜ ist außerdem ein Art. 19 enthalten, der zu Kapitel 4 („Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern“) gehört und dessen Abs. 1 ein Reiserecht von Drittausländern innerhalb des Schengen-Raums vorsieht:

„Drittausländer, die Inhaber eines einheitlichen Sichtvermerks sind und rechtmäßig in das Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien eingereist sind, können sich während der Gültigkeitsdauer des Sichtvermerks und soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a), c), d) und e) aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen, frei in dem Hoheitsgebiet aller Vertragsparteien bewegen.“

11.      Unter einem „Drittausländer“ wird in diesem Zusammenhang ausweislich der Begriffsbestimmungen in Art. 1 SDÜ eine Person verstanden, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist. Damit ist der Begriff gleichbedeutend mit dem des „Drittstaatsangehörigen“, der ebenfalls häufig im Unionsrecht verwendet wird. Ein „zur Einreiseverweigerung ausgeschriebener Drittausländer“ ist gemäß derselben Vorschrift „ein Drittausländer, der … zur Einreiseverweigerung in dem Schengener Informationssystem ausgeschrieben ist“. Unter „Aufenthaltstitel“ versteht das Regelwerk „jede von einer Vertragspartei ausgestellte Erlaubnis gleich welcher Art, die zum Aufenthalt in deren Hoheitsgebiet berechtigt …“.

B.      Der Schengener Grenzkodex

12.      Ergänzend ist auf den Schengener Grenzkodex in der Fassung der Verordnung 2016/399 hinzuweisen, dessen Art. 6 zu den Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige Folgendes bestimmt:

„(1)      Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen folgende Einreisevoraussetzungen:

d)      Er darf nicht im [Schengener Informationssystem] zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.

(5)       Abweichend von Absatz 1 gilt Folgendes:

a)      Drittstaatsangehörigen, die nicht alle Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen, aber Inhaber eines Aufenthaltstitels oder eines Visums für einen längerfristigen Aufenthalt sind, wird die Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Durchreise zur Erreichung des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats gestattet, der den Aufenthaltstitel oder das Visum für einen längerfristigen Aufenthalt ausgestellt hat, es sei denn, sie sind auf der nationalen Ausschreibungsliste des Mitgliedstaats, an dessen Außengrenzen sie einreisen wollen, mit einer Anweisung ausgeschrieben, ihnen die Einreise oder die Durchreise zu verweigern.

…“

13.      Ferner heißt es in Art. 14 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex unter der Überschrift „Einreiseverweigerung“:

„Einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 erfüllt und der nicht zu dem in Artikel 6 Absatz 5 genannten Personenkreis gehört, wird die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verweigert. Davon unberührt bleibt die Anwendung besonderer Bestimmungen zum Asylrecht und zum internationalen Schutz oder zur Ausstellung von Visa für längerfristige Aufenthalte.“

C.      Die Richtlinie 2008/115

14.      Schließlich verdient die Richtlinie 2008/115 Erwähnung, deren Kapitel I („Allgemeine Bestimmungen“) in Art. 3 Nrn. 3, 4, 6 und 8 folgende Begriffsbestimmungen enthält:

„…

3.      ‚Rückkehr‘: die Rückreise von Drittstaatsangehörigen – in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung – in

–        deren Herkunftsland oder

–        ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder

–        ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird;

4.      ‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

6.      ‚Einreiseverbot‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht;

8.      ‚freiwillige Ausreise‘: die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist;

…“

15.      In Kapitel II der Richtlinie 2008/115 („Beendigung des illegalen Aufenthalts“) sind u. a. die Art. 6, 7 und 11 enthalten.

16.      Art. 6 der Richtlinie 2008/115 steht unter der Überschrift „Rückkehrentscheidung“. Seine ersten beiden Absätze haben diesen Wortlaut:

„(1)      Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

(2)      Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind, sind zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Kommen die betreffenden Drittstaatsangehörigen dieser Verpflichtung nicht nach, oder ist die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit geboten, so findet Absatz 1 Anwendung.“

17.      In den ersten beiden Absätzen von Art. 7 der Richtlinie 2008/115 ist zur „Freiwilligen Ausreise“ Folgendes bestimmt:

„(1)      Eine Rückkehrentscheidung sieht unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise vor. Die Mitgliedstaaten können in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorsehen, dass diese Frist nur auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen eingeräumt wird. In einem solchen Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die betreffenden Drittstaatsangehörigen davon, dass die Möglichkeit besteht, einen solchen Antrag zu stellen.

Die Frist nach Unterabsatz 1 steht einer früheren Ausreise der betreffenden Drittstaatsangehörigen nicht entgegen.

(2)      Die Mitgliedstaaten verlängern – soweit erforderlich – die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – um einen angemessenen Zeitraum.“

18.      Art. 8 der Richtlinie 2008/115, welcher der „Abschiebung“ gewidmet ist, lautet auszugsweise wie folgt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, wenn nach Artikel 7 Absatz 4 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Artikel 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.

(2)      Hat ein Mitgliedstaat eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Artikel 7 eingeräumt, so kann die Rückkehrentscheidung erst nach Ablauf dieser Frist vollstreckt werden, es sei denn, innerhalb dieser Frist entsteht eine der Gefahren im Sinne von Artikel 7 Absatz 4.

(3)      Die Mitgliedstaaten können eine getrennte behördliche oder gerichtliche Entscheidung oder Maßnahme erlassen, mit der die Abschiebung angeordnet wird.

…“

19.      In Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115, der vom „Aufschub der Abschiebung“ handelt, heißt es:

„Die Mitgliedstaaten können die Abschiebung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls um einen angemessenen Zeitraum aufschieben. …“

20.      Ferner bestimmt Art. 11 der Richtlinie 2008/115 unter der Überschrift „Einreiseverbot“:

„(1)      Rückkehrentscheidungen gehen mit einem Einreiseverbot einher,

a)      falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder

b)      falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.

In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen.

(2)      Die Dauer des Einreiseverbots wird in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. …

…“

21.      Erläuternde Hinweise zu diesen Vorschriften finden sich außerdem in den Erwägungsgründen 4, 6 und 14 der Richtlinie 2008/115:

„(4)      Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.

(6)      Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Wege eines fairen und transparenten Verfahrens beendet wird. …

(14)      Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen sollte durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt erhalten. …“

III. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

22.      Herr E ist nigerianischer Staatsangehöriger. Am 24. Januar 2014 wurde er von einem finnischen Strafgericht wegen mehrerer in Finnland im Jahr 2013 begangener schwerer Betäubungsmitteldelikte(11) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Strafurteil ist rechtskräftig. Einen Teil der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe hat Herr E in Finnland verbüßt.

23.      In Spanien, wo er zuvor 14 Jahre lang gelebt hatte und wo sich auch seine Familie aufhält, verfügt Herr E über einen Aufenthaltstitel, der bis 11. Februar 2018 gültig ist. Dementsprechend beantragte Herr E bei den finnischen Behörden, nach Spanien ausgewiesen zu werden.

24.      Das Maahanmuuttovirasto (finnisches Immigrationsamt) ordnete jedoch am 21. Januar 2015 die Ausweisung von Herrn E in sein Heimatland Nigeria an und begründete dies mit den von Herrn E in Finnland begangenen schweren Straftaten, die ihn zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung machten. Zusammen mit der Ausweisungsverfügung wurde gegen Herrn E ein bis auf Weiteres geltendes Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum verhängt. Ihm wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt.

25.      Am 26. Januar 2015 nahm das Immigrationsamt gemäß Art. 25 Abs. 2 SDÜ Konsultationen mit dem Königreich Spanien auf und bat die Behörden dieses Mitgliedstaats, ihm ihren Standpunkt zu einer möglichen Einziehung des dort bestehenden Aufenthaltstitels von Herrn E mitzuteilen. Da die spanischen Behörden nicht antworteten, erneuerte das Immigrationsamt sein Ersuchen am 20. Juni 2016 und übermittelte außerdem am 21. Juni 2016 den von Spanien erbetenen Tenor des gegen Herrn E ergangenen Strafurteils. Am 28. Juni 2016 und am 9. November 2016 wiederholte das Immigrationsamt nochmals seine Anfrage gegenüber den spanischen Behörden. Nach den Angaben im Vorlagebeschluss haben die spanischen Behörden bislang keine inhaltliche Stellungnahme abgegeben.

26.      Mit seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung hatte Herr E in erster Instanz vor dem Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland) keinen Erfolg(12). Auf ein Rechtsmittel des Herrn E hin ist der Rechtsstreit nunmehr in zweiter Instanz vor dem Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland), dem vorlegenden Gericht, anhängig.

27.      Die mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichte gehen davon aus, dass Herr E eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Bis auf Weiteres hat aber der Korkein hallinto-oikeus mit Beschluss vom 27. Oktober 2016 die Abschiebung von Herrn E ausgesetzt.

IV.    Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

28.      Mit Zwischenbeschluss vom 2. Mai 2017, eingegangen am 10. Mai 2017, hat der Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1)      Hat die Konsultationspflicht der Vertragsstaaten im Sinne von Art. 25 Abs. 2 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ) eine Rechtswirkung, auf die sich ein Drittstaatsangehöriger berufen kann, wenn ein Vertragsstaat gegen ihn ein Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum verhängt und seine Rückkehr in sein Heimatland mit der Begründung anordnet, dass er die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde?

2)      Wenn Art. 25 Abs. 2 SDÜ bei der Verhängung eines Einreiseverbots Anwendung findet:

Ist die Konsultation vor der Verhängung des Einreiseverbots einzuleiten, oder kann sie erst vorgenommen werden, nachdem die Rückkehrentscheidung und die Verhängung eines Einreiseverbots ergangen ist?

3)      Falls die Konsultation erst vorgenommen werden kann, nachdem die Rückkehrentscheidung und die Verhängung eines Einreiseverbots ergangen ist:

Steht es der Rückkehr eines Drittstaatsangehörigen in sein Heimatland und dem Wirksamwerden eines Einreiseverbots für den gesamten Schengen-Raum entgegen, dass die Konsultation zwischen den Vertragsstaaten noch läuft und der andere Vertragsstaat nicht mitgeteilt hat, ob er den Aufenthaltstitel des Drittstaatsangehörigen einzuziehen beabsichtigt?

4)      Wie hat ein Vertragsstaat vorzugehen, wenn sich der Vertragsstaat, der den Aufenthaltstitel erteilt hat, trotz wiederholter Bitten nicht zu einer etwaigen Einziehung des Aufenthaltstitels geäußert hat?

29.      Zusammen mit seinem Vorabentscheidungsersuchen hat das vorlegende Gericht ferner beim Gerichtshof beantragt, in diesem Fall gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung ein Eilvorabentscheidungsverfahren durchzuführen. Auf ein Ersuchen des Gerichtshofs nach Art. 101 der Verfahrensordnung hin hat das vorlegende Gericht jedoch am 2. Juni 2017 klargestellt, dass die Freiheitsstrafe des Herrn E seit dem 24. Januar 2016 zur Bewährung ausgesetzt ist und er sich gegenwärtig nicht in Haft befindet. Unter diesen Umständen hat die für Eilverfahren bestimmte Kammer des Gerichtshofs nach Art. 108 der Verfahrensordnung beschlossen, kein Eilvorabentscheidungsverfahren durchzuführen. Allerdings hat der Präsident des Gerichtshofs am 12. Juni 2017 in Anwendung von Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung entschieden, dass die Rechtssache mit Vorrang behandelt wird.

30.      Im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof haben die Regierungen Finnlands, Belgiens, Deutschlands, Polens und der Schweiz(13) sowie die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 waren Herr E, das Maahanmuuttovirasto, die finnische und die spanische Regierung sowie die Kommission vertreten. Hervorzuheben ist, dass sich die spanische Regierung auf ausdrückliche Aufforderung des Gerichtshofs an der mündlichen Verhandlung beteiligt und dabei zu den Vorlagefragen wie auch zu einigen Fragen des Gerichtshofs Stellung genommen hat.

V.      Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

31.      Wie die mündliche Verhandlung vor dem Gerichtshof ergeben hat, haben die spanischen Behörden am 2. November 2017 vom Immigrationsamt den gegenüber Herrn E in Finnland erlassenen Ausweisungsbescheid angefordert, mit dem Ziel, in Spanien das Verfahren zur Rücknahme des Aufenthaltstitels von Herrn E einzuleiten. Am 6. November 2017 ist das Immigrationsamt diesem Wunsch nachgekommen und hat Spanien den Ausweisungsbescheid in Kopie übermittelt.

32.      Selbst wenn man davon absieht, dass diese neueren Entwicklungen im Ausgangsrechtsstreit dem Gerichtshof nicht offiziell vom vorlegenden Gericht mitgeteilt wurden, sondern nur von den Verfahrensbeteiligten(14), mag man sich bei vordergründiger Betrachtung fragen, ob sich das Vorabentscheidungsersuchen erledigt hat(15), weil die ursprünglich zulässigen Vorlagefragen durch die Ereignisse vom November 2017 zu rein hypothetischen Fragen geworden sein könnten.

33.      Zu bedenken ist jedoch, dass die spanischen Behörden bislang noch keine definitive Entscheidung über die Rücknahme des Aufenthaltstitels von Herrn E getroffen haben. Vielmehr soll lediglich das Verfahren eingeleitet werden, dass zur Rücknahme dieses Aufenthaltstitels führen kann. Wie die spanische Regierung auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichtshofs klargestellt hat, ist nicht absehbar, wann und mit welchem Ergebnis das besagte nationale Verfahren gegebenenfalls abgeschlossen wird. Auch stünden Herrn E gegen eine etwaige Rücknahme seines Aufenthaltstitels die üblichen Rechtsbehelfe vor den spanischen Gerichten offen.

34.      Solange keine bestandskräftige Entscheidung der spanischen Behörden über die Rücknahme des Aufenthaltstitels von Herrn E vorliegt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne von Art. 25 Abs. 2 SDÜ ausreichende Gründe für die Einziehung des Aufenthaltstitels vorliegen oder dieser Aufenthaltstitel gar schon eingezogen wurde.

35.      Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Vorlagefragen nichts von ihrer Relevanz für die Lösung des Ausgangsrechtsstreits eingebüßt haben und der Gerichtshof auch weiterhin gehalten ist, sie zu beantworten.

VI.    Inhaltliche Würdigung der Vorlagefragen

36.      Im Mittelpunkt des Interesses steht im vorliegenden Fall die Vorschrift des Art. 25 Abs. 2 SDÜ, um deren Auslegung das vorlegende Gericht unseren Gerichtshof ersucht.

37.      Diese zum Schengen-Besitzstand gehörende Bestimmung sieht eine Konsultationspflicht zwischen Mitgliedstaaten des Schengen-Raums vor, wenn einer dieser Staaten einen Drittstaatsangehörigen mit einem schengenweiten Einreiseverbot belegt, obwohl ein anderer Mitgliedstaat demselben Drittstaatsangehörigen einen noch gültigen Aufenthaltstitel ausgestellt hat. Auf diese Weise soll auf die Effizienz, Kohärenz und Widerspruchsfreiheit des Handelns der nationalen Behörden im Schengen-Raum hingewirkt werden.

38.      Mit seinen insgesamt vier Fragen möchte der Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) in diesem Zusammenhang in Erfahrung bringen, welche konkreten Auswirkungen ein noch nicht abgeschlossener, aber schon seit geraumer Zeit andauernder Konsultationsprozess nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ auf den Vollzug der gegen den Drittstaatsangehörigen verhängten Entscheidungen über Rückführung und Einreiseverbot hat (zweite, dritte und vierte Vorlagefrage) und ob der Drittstaatsangehörige selbst sich vor nationalen Gerichten unmittelbar auf jene Vorschrift berufen kann (erste Vorlagefrage).

39.      Bei der Beantwortung dieser Fragen zu Art. 25 Abs. 2 SDÜ muss auf eine harmonische Handhabung aller relevanten unionsrechtlichen Bestimmungen über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geachtet werden. Deshalb sind die Vorschriften der Richtlinie 2008/115 wie auch die des Schengener Grenzkodex in die Überlegungen zum vorliegenden Fall mit einzubeziehen.

40.      Ich halte es für sinnvoll, zunächst die zweite, die dritte und die vierte Frage zur inhaltlichen Auslegung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ zu erörtern, bevor ich mich abschließend im Rahmen der ersten Frage der unmittelbaren Wirkung jener Vorschrift zuwende.

41.      Eingedenk der Aufgabenteilung zwischen dem Gerichtshof und dem vorlegenden Gericht sehe ich es bei all meinen Ausführungen zu diesem Fall als gegeben an, dass Herr E tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, so wie es im Vorabentscheidungsersuchen ausdrücklich festgestellt und von keinem der Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen wird(16).

42.      Nur eine solche von Herrn E ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erlaubt es im Übrigen den finnischen Behörden im vorliegenden Fall, den Betroffenen direkt in sein Heimatland Nigeria abzuschieben, ohne ihm zuvor die Möglichkeit zu geben, nach Spanien auszureisen, wo er über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 der Richtlinie 2008/115).

A.      Der richtige Zeitpunkt für den Beginn von Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ (zweite Frage)

43.      Die zweite Vorlagefrage dient der Bestimmung des Anfangszeitpunkts für Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ. Konkret begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob derartige Konsultationen schon vor dem etwaigen Erlass einer Rückkehrentscheidung und der etwaigen Verhängung eines Einreiseverbots gegen einen Drittstaatsangehörigen eingeleitet werden müssen oder ob eine unionsrechtliche Konsultationspflicht erst dann einsetzt, wenn die behördlichen Entscheidungen über Rückführung und Einreiseverbot bereits getroffen sind.

44.      Schon nach seinem Wortlaut in den meisten Sprachfassungen – nicht zuletzt in der deutschen, französischen und englischen Version – betrifft Art. 25 Abs. 2 SDÜ Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger zum Zweck der Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist (vgl. Unterabs. 1 dieser Vorschrift), und die Konsultationen zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten führen gegebenenfalls dazu, dass die Ausschreibung zurückgezogen wird (vgl. Unterabs. 2 derselben Vorschrift). Anders ausgedrückt, schreibt also Art. 25 Abs. 2 SDÜ Konsultationen lediglich nach bereits erfolgter Ausschreibung des Drittstaatsangehörigen zur Einreiseverweigerung zwingend vor. Demgegenüber ist eine vorherige Konsultationspflicht in dieser Vorschrift – anders als im aktuellen Reformvorschlag der Europäischen Kommission zu dem betreffenden Rechtsgebiet(17) – derzeit nicht angelegt.

45.      Diese Einschätzung bestätigt sich, wenn man Art. 25 Abs. 2 SDÜ im Zusammenhang mit der Richtlinie 2008/115 betrachtet, in der gemeinsame Normen und Verfahren zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vorgesehen sind. Denn auch diese Richtlinie schreibt derzeit keine zwingenden vorherigen Konsultationen mit anderen Mitgliedstaaten vor, wenn sich die Behörden eines Mitgliedstaats anschicken, eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot (Art. 6 in Verbindung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115) zu treffen.

46.      Zur Verwirklichung des Ziels einer wirksamen Rückkehrpolitik, wie es sich die Europäische Union auf die Fahnen geschrieben hat(18), ist es im Übrigen entscheidend, dass die mitgliedstaatlichen Behörden im Bedarfsfall schnell vorgehen können, insbesondere, wenn der illegal aufhältige Drittstaatsangehörige – wie hier – eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Eine Rechtspflicht zur systematischen vorherigen Konsultation anderer womöglich betroffener Mitgliedstaaten könnte diesem Ziel zuwiderlaufen.

47.      Das Fehlen einer Pflicht zur Konsultation anderer Mitgliedstaaten vor Erlass von Entscheidungen über Rückkehr und Einreiseverbot bedeutet allerdings keineswegs, dass Art. 25 Abs. 2 SDÜ der Durchführung einer solchen vorherigen Konsultation entgegenstünde(19). Wie die deutsche Regierung und die Kommission zu Recht betonen, ist es sogar wünschenswert, dass die Behörden des Mitgliedstaats, die gegenüber einem illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung mit gleichzeitigem Einreiseverbot in Erwägung ziehen, sich schnellstmöglich mit allen anderen betroffenen Mitgliedstaaten ins Benehmen setzen. Zum einen erhalten diese anderen Mitgliedstaaten auf diese Weise frühestmöglich die notwendigen Informationen, die auch ihnen etwaige Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ermöglichen. Zum anderen wird auf diese Weise auf größtmögliche Konvergenz im Vorgehen der Mitgliedstaaten des Schengen-Raums hingewirkt, mit dem Ziel der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen.

 Zwischenergebnis

48.       Folglich ist als Antwort auf die zweite Vorlagefrage Art. 25 Abs. 2 SDÜ dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift vorgeschriebenen Konsultationen beim derzeitigen Stand des Unionsrechts frühestmöglich durchgeführt werden sollen, aber nicht zwingend vor einer Entscheidung über Rückkehr und Einreiseverbot eingeleitet werden müssen.

B.      Die Auswirkungen laufender Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ auf den Vollzug der Entscheidungen über Rückführung und Einreiseverbot (dritte und vierte Frage)

49.      Mit seiner dritten und vierten Vorlagefrage, die ich aufgrund ihrer engen inhaltlichen Verknüpfung zusammen erörtern werde, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Rückkehrentscheidung(20) vollzogen und ein schengenweites Einreiseverbot wirksam werden kann, bevor die nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ geführten Konsultationen abgeschlossen sind.

50.      Anders als mit der zuvor erörterten zweiten Frage(21), die allein den Erlass einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots betraf, wird also mit der dritten und der vierten Frage das Problem aufgeworfen, ob solche Entscheidungen vollzogen werden bzw. in Kraft gesetzt werden dürfen, solange die Konsultationen im Sinne von Art. 25 Abs. 2 SDÜ noch andauern.

 Vorbemerkung zur Tragweite der dritten und der vierten Frage

51.      Die polnische Regierung trägt mit Nachdruck vor, dass Konsultationen im Sinne von Art. 25 Abs. 2 SDÜ keine Rückkehrentscheidungen zum Gegenstand haben, mit der Folge, dass sich das Ergebnis solcher Konsultationen von vornherein nicht auf den Vollzug dieser Rückkehrentscheidungen auswirken könne.

52.      Diese Argumentation greift meines Erachtens zu kurz. Zwar mag es sein, dass sich Art. 25 Abs. 2 SDÜ seinem Wortlaut nach nur auf Einreiseverbote bezieht, genauer gesagt auf einen besonderen praktischen Aspekt solcher Einreiseverbote, nämlich die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem. Zu bedenken ist aber, dass ein Einreiseverbot in einem Fall wie dem vorliegenden mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht (vgl. Art. 3 Nr. 6 am Ende und Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115) und erst dann wirksam wird, wenn der illegal aufhältige Drittstaatsangehörige tatsächlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen hat, also effektiv aus dem Territorium der Europäischen Union ausgereist ist(22).

53.      Dementsprechend ist es für das Wirksamwerden eines Einreiseverbots von erheblicher praktischer Bedeutung, wann die an den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung ihrerseits vollzogen werden darf und inwieweit dieser Vollzug durch laufende Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ berührt wird.

54.      Folgerichtig erwartet das vorlegende Gericht eine sachdienliche Antwort des Gerichtshofs nicht nur zu den Auswirkungen laufender Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ auf das Einreiseverbot, sondern auch zu den Auswirkungen solcher Konsultationen auf die dem Einreiseverbot zugrunde liegende Rückkehrentscheidung.

 Die praktischen Probleme der Funktionsweise von Art. 25 Abs. 2 SDÜ

55.      Wird – wie hier – gegenüber einem Drittstaatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat des Schengen-Raums über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, seitens eines anderen Mitgliedstaats des Schengen-Raums eine Rückkehrentscheidung getroffen und ein schengenweites Einreiseverbot mit Ausschreibung zur Einreiseverweigerung verhängt, so sieht Art. 25 Abs. 2 SDÜ vor, dass der zweite Mitgliedstaat den ersten zu der Frage konsultieren muss, ob hinreichende Gründe für die Einziehung des Aufenthaltstitels vorliegen.

56.      Die Koexistenz von Rückkehrentscheidung und schengenweitem Einreiseverbot auf der einen Seite mit einem gültigen Aufenthaltstitel auf der anderen führt zu einem Zustand der Inkohärenz des Handelns der Behörden im Schengen-Raum, der durch die Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ einer Lösung zugeführt werden soll.

57.      Sofern der konsultierte Mitgliedstaat den von ihm ausgestellten Aufenthaltstitel einzieht oder der Aufenthaltstitel aus anderen Gründen – insbesondere wegen Ablaufs der darin bewilligten Aufenthaltsdauer – seine Gültigkeit verliert, kann es bei dem schengenweiten Einreiseverbot bleiben.

58.      Ergeben hingegen die Konsultationen, dass der Aufenthaltstitel nicht eingezogen wird, sondern weiterhin Bestand hat, so muss derjenige Mitgliedstaat, der das schengenweite Einreiseverbot verhängt hat, dieses in ein rein nationales, allein sein eigenes Hoheitsgebiet betreffendes Einreiseverbot umwandeln und kann den betroffenen Drittstaatsangehörigen dann allenfalls in seine nationale Ausschreibungsliste zur Einreiseverweigerung aufnehmen (Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 2 SDÜ).

59.      In einer Art Grauzone befindet sich der Drittstaatsangehörige beim derzeitigen Stand des Unionsrechts, wenn die Rückkehrentscheidung vollzogen und somit auch das Einreiseverbot in Kraft gesetzt werden, obwohl die Konsultationen zwischen den Mitgliedstaaten nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ noch andauern. Der Drittstaatsangehörige unterliegt in dieser Zeit einem schengenweiten Einreiseverbot und bleibt im Schengener Informationssystem für den gesamten Schengen-Raum zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben. Gleichwohl muss aber nach den im Schengen-System geltenden gemeinsamen Regeln derjenige Mitgliedstaat, der den gültigen Aufenthaltstitel ausgestellt hat, den Drittstaatsangehörigen weiterhin in sein eigenes Hoheitsgebiet einreisen lassen, und jeder andere Mitgliedstaat des Schengen-Raums hat ihm die Durchreise dorthin zu gestatten, es sei denn, der Betroffene wäre auf dessen nationaler Ausschreibungsliste zur Einreiseverweigerung eingetragen (vgl. dazu Art. 21 SDÜ in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex).

60.      Letztlich konfrontiert also das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen den Gerichtshof mit der praktisch äußerst relevanten Problematik, wie die beschriebene Grauzone möglichst klein gehalten werden kann, ohne die Wirksamkeit der Rückkehrpolitik der Europäischen Union sowie den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im gesamten Schengen-Raum aufs Spiel zu setzen.

 Die Pflicht zur Berücksichtigung laufender Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ beim Vollzug von Rückkehrentscheidungen mit Einreiseverbot

61.      Betrachtet man allein den Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 SDÜ wie auch jenen der Richtlinie 2008/115, so scheinen sich aus laufenden Konsultationen zwischen Mitgliedstaaten für den Vollzug einer Rückkehrentscheidung und für das daran anknüpfende Wirksamwerden eines Einreiseverbots gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen keinerlei Beschränkungen zu ergeben. Im Gegenteil verpflichtet die Regelung über die Abschiebung gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 die Mitgliedstaaten zur Ergreifung aller erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen.

62.      Zu bedenken ist allerdings die Zielsetzung des in Art. 25 Abs. 2 SDÜ vorgesehenen Konsultationsverfahrens. Diese besteht darin, auf ein möglichst kohärentes und widerspruchsfreies Vorgehen der Behörden aller beteiligten Mitgliedstaaten im Schengen-Raum hinzuwirken und sicherzustellen, dass ein gültiger Aufenthaltstitel und ein schengenweites Einreiseverbot nicht auf Dauer koexistieren. Insbesondere muss, wie bereits erwähnt(23), ein schengenweites Einreiseverbot gemäß Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 2 SDÜ in ein nationales Einreiseverbot umgewandelt werden, falls der Mitgliedstaat, der dem betroffenen Drittstaatsangehörigen einen gültigen Aufenthaltstitel ausgestellt hat, diesen Aufenthaltstitel nicht einzieht.

63.      Gleichzeitig soll der betroffene Drittstaatsangehörige fair behandelt(24) und in die Lage versetzt werden, in den Mitgliedstaat auszureisen, der ihm den Aufenthaltstitel erteilt hat, um dort von seinem Aufenthaltsrecht Gebrauch zu machen, statt in den Drittstaat seiner Herkunft zurückkehren zu müssen (vgl. dazu Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 und Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 2 SDÜ).

64.      Beide Zielsetzungen des Konsultationsverfahrens nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ – das kohärente und widerspruchsfreie Verhalten der Behörden einerseits und die Möglichkeit zum Genuss eines gültigen Aufenthaltstitels andererseits – könnten weit weniger gut verwirklicht werden, wenn es dem konsultierenden Mitgliedstaat freistünde, die von seinen Behörden getroffene Rückkehrentscheidung auf jeden Fall schon vor Abschluss der Konsultationen zu vollziehen, mit der Folge, dass der betroffene Drittstaatsangehörige das Territorium der Europäischen Union verlassen müsste und fortan einem wirksamen Einreiseverbot unterläge.

65.      Somit folgt aus der Zielsetzung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ, dass laufende Konsultationen nach dieser Vorschrift dem Vollzug einer Rückkehrentscheidung und dem Wirksamwerden eines Einreiseverbots grundsätzlich entgegenstehen. Ein solches anhängiges Konsultationsverfahren ist im Übrigen meines Erachtens als ein besonderer Umstand des Einzelfalls anzusehen, dessentwegen es in der Regel nach Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 zu einem Aufschub der Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in sein Heimatland kommen muss.

 Die Möglichkeit des Vollzugs von Rückkehrentscheidungen vor Abschluss der Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ

66.       Dessen ungeachtet kann es selbstverständlich Situationen geben, in denen es angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht gerechtfertigt wäre, bis zum Abschluss der laufenden Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ zuzuwarten, sondern der Drittstaatsangehörige sogleich nach Art. 8 der Richtlinie 2008/115 abzuschieben ist.

67.      Stimmt man die konkrete Handhabung des Konsultationsverfahrens in möglichst harmonischer Weise auf die anderen einschlägigen Vorschriften zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ab und betrachtet Art. 25 Abs. 2 SDÜ im Zusammenhang mit den Bestimmungen der Richtlinie 2008/115, so drängen sich insbesondere zwei Fallgruppen auf, in denen der Vollzug der Rückkehrentscheidung und das Wirksamwerden des Einreiseverbots ausnahmsweise schon vor dem Abschluss von Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ geboten erscheinen:

–        zum einen, wenn die Stellungnahme des konsultierten Mitgliedstaats trotz Ablaufs einer angemessenen Antwortfrist ausbleibt (erste Fallgruppe);

–        zum anderen, wenn der betroffene Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (zweite Fallgruppe).

In beiden Fallgruppen entspricht es der grundlegenden Zielsetzung einer wirksamen Rückkehrpolitik(25), die Rückkehrentscheidung gegenüber dem illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen schnell zu vollziehen und damit auch das ihn betreffende Einreiseverbot effektiv in Kraft zu setzen.

 Erste Fallgruppe: Überschreiten einer angemessenen Antwortfrist

68.      Was die erste Fallgruppe betrifft, so ist festzustellen, dass das SDÜ als solches keine konkrete Frist vorsieht, innerhalb derer ein nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ konsultierter Mitgliedstaat seine Stellungnahme abzugeben hat. Aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV)(26) folgt jedoch, dass der konsultierte Mitgliedstaat innerhalb einer angemessenen Frist unter Verwendung des dafür eigens vorgesehenen Formulars(27) Stellung nehmen muss.

69.      In Anlehnung an Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115(28) lässt sich überdies konkretisieren, welche Antwortfrist als angemessen anzusehen ist: Im Normalfall sollten dem konsultierten Mitgliedstaat sieben bis 30 Tage bis zur Abgabe seiner Stellungnahme eingeräumt werden, also letztlich eine vergleichbare Frist wie jene, die dem betroffenen Drittstaatsangehörigen für eine freiwillige Ausreise gesetzt werden kann.

70.      Eine solche Antwortfrist von sieben bis 30 Tagen für Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ mag zwar vergleichsweise kurz anmuten, wenn man bedenkt, dass im konsultierten Mitgliedstaat die Einschaltung regionaler oder lokaler Behörden sowie die Prüfung der persönlichen Verhältnisse des betroffenen Drittstaatsangehörigen erforderlich werden können(29). Die Kürze der Antwortfrist ist aber im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts keineswegs eine Seltenheit(30). Im vorliegenden Kontext erklärt sie sich aus dem bereits erwähnten grundlegenden Ziel, der Rückkehrpolitik der Europäischen Union Wirksamkeit zu verleihen, was allen beteiligten nationalen Stellen erhebliche Anstrengungen und ein äußerst rasches Vorgehen abverlangt(31). Die kurze Frist dient im Übrigen auch der Kohärenz des Handelns aller Behörden im Schengen-Raum.

71.      Darüber hinaus wahrt eine kurze Antwortfrist zum einen das Interesse des betroffenen Drittstaatsangehörigen an Rechtssicherheit und – im Fall seiner Inhaftierung – an einem möglichst kurzen Freiheitsentzug. Zum anderen dient eine kurze Frist den Interessen des konsultierenden Mitgliedstaats, der nicht über Gebühr mit dem Aufwand und etwaigen Kosten für den illegalen Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen belastet werden soll.

72.      Sollte der konsultierte Mitgliedstaat gleichwohl mehr Zeit zur Abgabe seiner Stellungnahme gemäß Art. 25 Abs. 2 SDÜ benötigen, so gebietet es der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV), dass er sich mit dem konsultierenden Mitgliedstaat ins Benehmen setzt und diesem ausreichende Gründe für eine Verlängerung der Antwortfrist nennt. Der konsultierende Mitgliedstaat ist seinerseits gehalten, sich mit dem Vorbringen des konsultierten Staates im Geiste der loyalen Zusammenarbeit konstruktiv auseinanderzusetzen. Im Idealfall sollten beide Staaten sich in Anlehnung an Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 auf eine angemessene Fristverlängerung einigen. Mindestens eine Verlängerung der Antwortfrist um weitere 30 Tage sollte der konsultierende Mitgliedstaat dem konsultierten Mitgliedstaat in der Regel zugestehen.

73.      Verstreicht auch die verlängerte Frist ergebnislos, so kann zwar in Ermangelung einer eindeutigen Regelung keine positive oder negative Antwort des konsultierten Mitgliedstaats fingiert werden(32). Jedoch darf der konsultierende Mitgliedstaat dann ohne Weiteres davon ausgehen, dass der zeitliche Rahmen einer angemessenen Antwortfrist überschritten wurde.

74.      Der konsultierende Mitgliedstaat darf dann seine Rückkehrentscheidung ungeachtet des noch fehlenden Ergebnisses der Konsultationen vollziehen und so das Einreiseverbot in Kraft setzen. Dieses Einreiseverbot gilt schengenweit (und übrigens auch für alle Mitgliedstaaten der Union, die nicht dem Schengen-Raum angehören(33)), allerdings – wie schon oben erwähnt(34) – mit der Maßgabe, dass dem betroffenen Drittstaatsangehörigen die Einreise bzw. Durchreise in den konsultierten Mitgliedstaat, in dem er (noch) über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, zu ermöglichen ist (vgl. dazu Art. 21 SDÜ in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex).

 Zweite Fallgruppe: Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung

75.      Was die zweite Fallgruppe anbelangt, in der von dem betroffenen Drittstaatsangehörigen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, so versteht es sich von selbst, dass die Rückkehrentscheidung vollzogen und damit auch das Einreiseverbot in Kraft gesetzt werden darf, ohne dass auf den Ausgang der Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ gewartet werden müsste.

76.      Denn angesichts der fehlenden Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums ist regelmäßig zu erwarten, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die in einem Mitgliedstaat des Schengen-Raums von dem betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgeht, sich schnell auch in allen anderen Staaten des Schengen-Raums manifestieren kann. Dementsprechend handelt der Mitgliedstaat, der die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot verhängt, zum Schutz der Sicherheit und Ordnung nicht allein auf seinem eigenen Hoheitsgebiet, sondern im gesamten Schengen-Raum.

77.      Die Sicherheitsinteressen aller Mitgliedstaaten des Schengen-Raums und der auf ihrem Hoheitsgebiet lebenden Bevölkerung haben in einem solchen Fall Vorrang vor dem Streben nach kohärenten und widerspruchsfreien behördlichen Entscheidungen im Schengen-Raum und auch vor dem Interesse des betroffenen Drittstaatsangehörigen, von seinem bestehenden Aufenthaltstitel in dem konsultierten Mitgliedstaat Gebrauch zu machen(35).

78.      Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man den Blick auf Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 richtet, wonach Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, keine oder nur eine sehr kurze Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt werden muss. In Anlehnung an diese Regelung kann dem konsultierenden Mitgliedstaat nicht abverlangt werden, vor dem Vollzug seiner Rückkehrentscheidung und dem Wirksamwerden seines Einreiseverbots die Stellungnahme des konsultierten Mitgliedstaats abzuwarten.

 Konsequenzen für das Ausgangsverfahren

79.      Ein Fall wie der des Herrn E fällt nach allen dem Gerichtshof vorliegenden Informationen unter beide oben dargestellten Fallgruppen: Zum einen hat Spanien die im Rahmen von Art. 25 Abs. 2 SDÜ angemessene Antwortfrist bei Weitem überschritten(36), ohne – soweit ersichtlich – irgendeine Fristverlängerung zu erbitten, geschweige denn ausreichende Gründe für eine solche Fristverlängerung zu nennen (erste Fallgruppe). Zum anderen geht von Herrn E nach den Feststellungen der nationalen Behörden und Gerichte eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus (zweite Fallgruppe). Aus dem einen wie auch aus dem anderen Grund, von denen jeder schon für sich alleine ausreichen würde, steht dem Vollzug der Rückkehrentscheidung und dem Wirksamwerden des Einreiseverbots in einem Fall wie dem vorliegenden nicht entgegen, dass die Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ noch nicht abgeschlossen sind.

 Zwischenergebnis

80.      Alles in allem lässt sich somit zur Auslegung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ als Antwort auf die dritte und die vierte Vorlagefrage festhalten:

Die Rückkehrentscheidung darf erst vollzogen und das Einreiseverbot erst in Kraft gesetzt werden, wenn der nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ konsultierte Staat seine Stellungnahme abgegeben hat oder die Konsultationen trotz Verstreichens einer angemessenen Antwortfrist ohne Ergebnis geblieben sind. Schon vor Ablauf dieser Frist dürfen beide Entscheidungen vollzogen werden, sofern der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.

C.      Die unmittelbare Wirkung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ (erste Frage)

81.      Zu guter Letzt bleibt im Rahmen der ersten Vorlagefrage zu prüfen, ob sich der betroffene Drittstaatsangehörige vor innerstaatlichen Gerichten unmittelbar auf Art. 25 Abs. 2 SDÜ berufen kann.

82.      Ursprünglich handelte es sich bei Art. 25 Abs. 2 SDÜ nicht um einen Unionsrechtsakt, sondern um eine Vorschrift, die in einer zwischenstaatlichen Vereinbarung außerhalb des Rahmens der Europäischen Union enthalten war. Mit dem Vertrag von Amsterdam, der die Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union bewirkt hat(37), ist jedoch diese Übereinkunft integraler Bestandteil des Unionsrechts geworden, das von den am Schengen-Raum teilnehmenden Mitgliedstaaten anzuwenden ist.

83.      Anders als im Fall von Rahmenbeschlüssen(38) ist die unmittelbare Wirkung von Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht ausgeschlossen. Auch das SDÜ selbst verbietet keinesfalls die unmittelbare Anwendung seiner Bestimmungen(39).

84.      Die unmittelbare Wirkung von Vorschriften des SDÜ ist somit nach den gleichen allgemeinen Kriterien zu beurteilen wie jene von internationalen Übereinkünften, an die die Union gebunden ist(40), sowie von anderen Bestimmungen des Sekundärrechts der Union.

85.      Voraussetzung für die unmittelbare Anwendung einer unionsrechtlichen Vorschrift ist, dass diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheint. Dies ist der Fall, wenn sie eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Akts abhängen(41).

86.      Art. 25 Abs. 2 SDÜ verpflichtet einen Mitgliedstaat des Schengen-Raums, der im Schengener Informationssystem einen Drittstaatsangehörigen zur Einreiseverweigerung ausschreibt, jeden anderen Mitgliedstaat des Schengen-Raums, der dem Drittstaatsangehörigen einen gültigen Aufenthaltstitel ausgestellt hat, zu konsultieren, um in Erfahrung zu bringen, ob letzterer Mitgliedstaat diesen Aufenthaltstitel einzuziehen gedenkt.

87.      Insoweit enthält also Art. 25 Abs. 2 SDÜ eine klare und eindeutige Verpflichtung, deren Erfüllung oder Wirkungen im Übrigen auch nicht vom Erlass weiterer Maßnahmen gleich welcher Art abhängen. Mögen auch die genauen Konsequenzen einer fehlenden oder fehlerhaften Konsultation nicht ausdrücklich in Art. 25 Abs. 2 SDÜ geregelt sein, so sind doch das Erfordernis einer Konsultation sowie der Gegenstand dieser Konsultation in jener Vorschrift so klar geregelt, dass jedes Gericht sie ohne Weiteres anwenden kann(42). Folglich sind in Bezug auf Art. 25 Abs. 2 SDÜ die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung erfüllt.

88.      Gegen die unmittelbare Anwendung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ lässt sich im Übrigen nicht einwenden, dass es sich bei dieser Bestimmung um eine reine Verfahrensvorschrift handle, die zudem lediglich das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten regle. Denn zum einen ist im Unionsrecht anerkannt, dass auch Vorschriften, die sich ihrem Wortlaut nach allein an die Mitgliedstaaten richten, unmittelbare Wirkung entfalten können(43). Und zum anderen dürfen, wie der Gerichtshof erst kürzlich im Zusammenhang mit einem anderen Aspekt des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geurteilt hat, auch reine Verfahrensvorschriften des Unionsrechts von Einzelnen vor den innerstaatlichen Gerichten ins Feld geführt werden(44).

89.      Jedenfalls dann, wenn die Anwendung oder Nichtanwendung einer Verfahrensvorschrift, die sich an die Mitgliedstaaten richtet und das Verhältnis zwischen ihnen regelt, ganz konkrete Auswirkungen auf die Rechte und Interessen von Einzelnen haben kann, müssen diese Einzelnen sich vor innerstaatlichen Gerichten zum Schutz ihrer Rechte und Interessen unmittelbar auf die besagte Verfahrensvorschrift berufen können, immer vorausgesetzt, die Vorschrift ist inhaltlich unbedingt und hinreichend genau.

90.      Anhand der hier in Rede stehenden Vorschrift des Art. 25 Abs. 2 SDÜ zeigt sich dies besonders plastisch: Gibt nämlich der konsultierte Mitgliedstaat eine Stellungnahme des Inhalts ab, dass keine ausreichenden Gründe zur Einziehung des Aufenthaltstitels des betroffenen Drittstaatsangehörigen bestehen, so ist der konsultierende Mitgliedstaat gemäß Art. 25 Abs. 2 Unterabs. 2 SDÜ seinerseits verpflichtet, das von ihm ausgesprochene schengenweite Einreiseverbot in ein rein nationales, allein auf sein eigenes Hoheitsgebiet beschränktes Einreiseverbot umzuwandeln, und kann den Drittstaatsangehörigen nur in seine nationale Ausschreibungsliste zur Einreiseverweigerung aufnehmen.

91.      Das Konsultationsverfahren nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ führt also – entgegen der von einigen Verfahrensbeteiligten geäußerten Einschätzung – keineswegs zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Drittstaatsangehörigen im Wege der Einziehung seines gültigen Aufenthaltstitels. Vielmehr kann das Konsultationsverfahren durchaus auch zu einer signifikanten Verbesserung dieser Rechtsstellung führen, und zwar dann, wenn der konsultierte Mitgliedstaat den von ihm ausgestellten Aufenthaltstitel aufrechterhält und auf diese Weise den konsultierenden Mitgliedstaat zwingt, statt eines schengenweiten Einreiseverbots nur ein nationales Einreiseverbot zu verhängen.

92.      Wie ich außerdem im Rahmen der dritten und der vierten Vorlagefrage erörtert habe(45), darf der konsultierende Mitgliedstaat eine Rückkehrentscheidung – von Fällen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einmal abgesehen – erst dann vollziehen und ein schengenweites Einreiseverbot erst dann in Kraft setzen, wenn er die Stellungnahme des konsultierten Mitgliedstaats nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ eingeholt oder diesem jedenfalls zur Abgabe einer solchen Stellungnahme eine angemessene Frist eingeräumt hat, die fruchtlos verstrichen ist.

93.      Alles in allem können also dem betroffenen Drittstaatsangehörigen aus der Anwendung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ konkrete Vorteile für seine Rechtsstellung und seine Interessen erwachsen, und aus der fehlenden oder fehlerhaften Anwendung dieser Vorschrift drohen ihm konkrete Nachteile. Dementsprechend muss sich dieser Drittstaatsangehörige vor nationalen Gerichten auf die in Art. 25 Abs. 2 SDÜ verankerte Konsultationspflicht berufen dürfen, um die Rechtmäßigkeit oder den Vollzug einer ihn betreffenden Rückkehrentscheidung oder eines ihm auferlegten schengenweiten Einreiseverbots im Sinne der Richtlinie 2008/115 zu bestreiten. In diesem Sinne haben sich nicht zuletzt die finnische, die spanische und die Schweizer Regierung sowie die Kommission zutreffend geäußert(46).

 Zwischenergebnis

94.      Zusammenfassend ergibt sich somit folgende Antwort auf die erste Vorlagefrage:

Ein Drittstaatsangehöriger kann sich vor innerstaatlichen Gerichten unmittelbar auf Art. 25 Abs. 2 SDÜ berufen, um die Rechtmäßigkeit und den Vollzug einer ihm gegenüber ergangenen Rückkehrentscheidung sowie eines ihm gegenüber verhängten Einreiseverbots im Sinne der Richtlinie 2008/115 zu bestreiten.

VII. Ergebnis

95.      Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, das Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) zur Auslegung des am 19. Juni 1990 unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ) wie folgt zu beantworten:

1)      Ein Drittstaatsangehöriger kann sich vor innerstaatlichen Gerichten unmittelbar auf Art. 25 Abs. 2 SDÜ berufen, um die Rechtmäßigkeit und den Vollzug einer ihm gegenüber ergangenen Rückkehrentscheidung sowie eines ihm gegenüber verhängten Einreiseverbots im Sinne der Richtlinie 2008/115/EG zu bestreiten.

2)      Art. 25 Abs. 2 SDÜ ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift vorgeschriebenen Konsultationen beim derzeitigen Stand des Unionsrechts frühestmöglich durchgeführt werden sollen, aber nicht zwingend vor einer Entscheidung über Rückkehr und Einreiseverbot eingeleitet werden müssen.

3)      Die Rückkehrentscheidung darf erst vollzogen und das Einreiseverbot erst in Kraft gesetzt werden, wenn der nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ konsultierte Staat seine Stellungnahme abgegeben hat oder die Konsultationen trotz Verstreichens einer angemessenen Antwortfrist ohne Ergebnis geblieben sind. Schon vor Ablauf dieser Frist dürfen beide Entscheidungen vollzogen werden, sofern der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.


1      Originalsprache: Deutsch.


2      Vgl. dazu Art. 3 Abs. 2 EUV und Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie Protokoll Nr. 19 zum EUV und AEUV (Protokoll über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand, ABl. 2008, C 115, S. 290; dieses Protokoll geht auf den Vertrag von Amsterdam zurück).


3      Speziell zu letzterem Aspekt siehe die Urteile vom 5. Juni 2014, Mahdi (C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320, Rn. 46), vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 39), und vom 11. Juni 2015, Zh. und O. (C‑554/13, EU:C:2015:377, Rn. 38).


4      ABl. 2000, L 239, S. 19.


5      ABl. 2008, L 348, S. 98.


6      Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (ABl. 2016, L 77, S. 1).


7      Mit der Verordnung 2016/399 wurde die zuvor geltende Version des Schengener Grenzkodex gemäß Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl. 2006, L 105, S. 1) aufgehoben und ersetzt. Die im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen haben sich jedoch inhaltlich nicht geändert, so dass ich mich im Folgenden allein auf die gegenwärtig geltende Fassung des Schengener Grenzkodex beziehe.


8      Es handelte sich um das Königreich Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg und das Königreich der Niederlande.


9      Mit Beschluss 1999/436/EG des Rates vom 20. Mai 1999 (ABl. 1999, L 176, S. 17) wurden ferner die einzelnen Vorschriften, die zusammen den Schengen-Besitzstand bilden, den diversen Rechtsgrundlagen der Grundverträge der Europäischen Union zugeordnet; gemäß Anhang A jenes Beschlusses fällt Art. 25 SDÜ in den Anwendungsbereich von Art. 62 Nr. 3 und Art. 63 Nr. 3 EG (heute Art. 77 und 79 AEUV).


10      Vgl. dazu das Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, unterzeichnet in Luxemburg am 26. Oktober 2004 und in Kraft getreten am 1. März 2008 (ABl. 2008, L 53, S. 52), im Folgenden: Abkommen über die Schengen-Assoziierung der Schweiz.


11      Der Rechtsmittelführer hatte u. a. mindestens 850 Ecstasy-Tabletten in seinem Besitz gehabt und verkauft, insgesamt 438 g Kokain in der Absicht nach Finnland eingeführt, es zu verkaufen oder abzugeben, und versucht, mindestens 30 g Kokain zu erwerben, in der Absicht, es zu verkaufen.


12      Das erstinstanzliche Urteil erging am 5. April 2016.


13      Zum Recht der Schweiz, sich am Vorabentscheidungsverfahren zu beteiligen, vgl. Art. 8 Abs. 2 des Abkommens über die Schengen-Assoziierung der Schweiz in Verbindung mit Art. 23 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union.


14      Das Immigrationsamt und der Vertreter der spanischen Regierung haben hierzu übereinstimmende Erklärungen gegenüber dem Gerichtshof abgegeben.


15      In diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2005, García Blanco (C‑225/02, EU:C:2005:34), sowie Beschlüsse vom 3. März 2016, Euro Bank (C‑537/15, EU:C:2016:143), und vom 23. März 2016, Overseas Financial und Oaktree Finance (C‑319/15, EU:C:2016:268).


16      Ich unterstelle dabei, dass die besagte Feststellung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach den im Unionsrecht geltenden Standards getroffen wurde und insbesondere auf einer sorgfältigen Prognose im Einzelfall beruht, bei der nicht nur die in der Vergangenheit von der betroffenen Person begangenen Straftaten, sondern ganz maßgeblich die tatsächlich und gegenwärtig von ihr ausgehenden Gefahren in Rechnung gestellt wurden und letztlich den Ausschlag gegeben haben; vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2015, Zh. und O. (C‑554/13, EU:C:2015:377, insbesondere Rn. 50 bis 52 und 54).


17      Art. 26 Abs. 2 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 515/2014 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006, von der Kommission vorgelegt am 21. Dezember 2016, COM(2016) 882 final.


18      Vgl. dazu den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 sowie die Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 39), vom 23. April 2015, Zaizoune (C‑38/14, EU:C:2015:260, Rn. 34), und vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C‑225/16, EU:C:2017:590, Rn. 51).


19      Wie Art. 26 Abs. 2 Satz 2 des Vorschlags COM(2016) 882 final (zitiert in Fn. 17) zeigt, ist es durchaus vorstellbar, im Schengen-System eine vorherige Konsultation durchzuführen.


20      Das vorlegende Gericht spricht in diesem Zusammenhang – wohl in Anlehnung an den Sprachgebrauch der einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts – von „Ausweisung“. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte gehe ich aber davon aus, dass es sich hierbei um nichts anderes als eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie 2008/115 handelt, und werde dementsprechend diese aus der Richtlinie vertraute Terminologie zugrunde legen.


21      Vgl. dazu oben, Rn. 43 bis 48 dieser Schlussanträge.


22      Urteil vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C‑225/16, EU:C:2017:590, Rn. 45 bis 53, insbesondere Rn. 45 und 53).


23      Vgl. dazu oben, Rn. 58 dieser Schlussanträge.


24      Zum Anspruch des Drittstaatsangehörigen auf ein faires und transparentes Verfahren vgl. den sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 sowie die Urteile vom 5. Juni 2014, Mahdi (C‑146/14 PPU, EU:C:2014:1320, Rn. 40), und vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 61).


25      Vgl. dazu nochmals den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 sowie die Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 39), vom 23. April 2015, Zaizoune (C‑38/14, EU:C:2015:260, Rn. 34), und vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C‑225/16, EU:C:2017:590, Rn. 51).


26      Allgemein zum Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten siehe Urteile vom 22. März 1983, Kommission/Frankreich (42/82, EU:C:1983:88, Rn. 36), vom 27. September 1988, Matteucci (235/87, EU:C:1988:460, Rn. 19), und vom 11. Juni 1991, Athanasopoulos u. a. (C‑251/89, EU:C:1991:242, Rn. 57). In jüngerer Zeit hat der Gerichtshof die Bedeutung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaaten auch im Zusammenhang mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hervorgehoben, und zwar einerseits in Bezug auf das Schengen-System (Urteil vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien, C‑503/03, EU:C:2006:74, Rn. 56) und andererseits mit Blick auf die Bearbeitung von Anträgen auf internationalen Schutz (Urteil vom 26. Juli 2017, Jafari, C‑646/16, EU:C:2017:586, Rn. 88 am Ende).


27      Vgl. Punkt 4.5.1 des SIRENE-Handbuchs, abgedruckt im Anhang zum Durchführungsbeschluss 2013/115/EU der Kommission vom 26. Februar 2013 (ABl. 2013, L 71, S. 1).


28      Eine Orientierung an den in der Richtlinie 2008/115 enthaltenen Fristen erscheint umso mehr geboten, als diese Richtlinie ausweislich ihres Art. 21 bestimmte Vorschriften des SDÜ ersetzt.


29      Vgl. zu letzterem Aspekt insbesondere Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44).


30      So etwa bestimmte im Rahmen des „Dublin-III“-Systems geltende Antwortfristen, wie sie in dem anhängigen Fall X (verbundene Rechtssachen C‑47/17 und C‑48/17) eine Rolle spielen; vgl. dazu Art. 22 Abs. 1 und 6 sowie Art. 25 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).


31      Noch strenger ist die Sichtweise der Kommission in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 ihres Vorschlags COM(2016) 882 final (zitiert in Fn. 17), in dem sie die äußerst kurze Antwortfrist von sieben Tagen für angemessen hält.


32      Zu einzelnen Rechtsgebieten, in denen der Unionsgesetzgeber dem Schweigen einer Behörde ausdrücklich einen Inhalt gegeben hat, vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Housieaux (C‑186/04, EU:C:2005:70, Rn. 35).


33      Vgl. dazu Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115, wonach mit einem Einreiseverbot im Sinne dieser Richtlinie die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten untersagt wird; vgl. außerdem den 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, in dem bekräftigt wird, dass die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt erhalten solle.


34      Vgl. dazu oben, Rn. 59 dieser Schlussanträge.


35      Dementsprechend sieht Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115 für einen derartigen Fall auch keine Verpflichtung zur Ermöglichung der Ausreise in den Mitgliedstaat vor, der den Aufenthaltstitel für den betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgestellt hat, sondern verweist schlicht auf die in Art. 6 Abs. 1 geltende Regel der Rückkehr des Drittstaatsangehörigen in sein Heimatland.


36      Die Konsultationen nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ dauerten zum Zeitpunkt des Eingangs des Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof schon mehr als zwei Jahre an, ohne dass das Königreich Spanien endgültig Stellung genommen hätte.


37      Vgl. dazu heute Protokoll Nr. 19 zum EU-Vertrag und zum AEU-Vertrag.


38      Vgl. dazu Art. 34 Abs. 2 Buchst. b Satz 3 EUV in der Fassung des Vertrags von Amsterdam.


39      Ganz im Gegenteil ist es anerkannt, dass Bestimmungen des SDÜ vor innerstaatlichen Gerichten zur Verdrängung anderslautender nationaler Rechtsvorschriften oder Praktiken führen können (vgl. grundlegend Urteil vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge, C‑187/01 und C‑385/01, EU:C:2003:87, insbesondere Rn. 33 am Ende, bezogen auf Art. 54 SDÜ).


40      Dabei kann es sich nach ständiger Rechtsprechung auch um Übereinkommen handeln, an denen die Union nicht selbst als Vertragspartei beteiligt ist; vgl. hierzu insbesondere die Urteile vom 12. Dezember 1972, International Fruit Company u. a. (21/72 bis 24/72, EU:C:1972:115, Rn. 18), und vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 62).


41      Urteile vom 30. September 1987, Demirel (12/86, EU:C:1987:400, Rn. 14), und vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 54 und 55); von grundlegender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang außerdem das Urteil vom 5. Februar 1963, van Gend & Loos (26/62, EU:C:1963:1, S. 25 und 26 der deutschen Sprachfassung).


42      Urteil vom 22. Mai 1980, Santillo (131/79, EU:C:1980:131, Rn. 13); ähnlich Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall (152/84, EU:C:1986:84, Rn. 55), und vom 2. August 1993, Marshall (C‑271/91, EU:C:1993:335, Rn. 37), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven in der Rechtssache Banks (C‑128/92, EU:C:1993:860, Rn. 27, letzter Absatz).


43      Urteile vom 5. Februar 1963, van Gend & Loos (26/62, EU:C:1963:1, S. 25 und 26 der deutschen Sprachfassung), und vom 8. April 1976, Defrenne (43/75, EU:C:1976:56, Rn. 30 bis 37).


44      Urteil vom 26. Juli 2017, Mengesteab (C‑670/16, EU:C:2017:587, insbesondere Rn. 56); im selben Sinne Urteil vom 25. Oktober 2017, Shiri (C‑201/16, EU:C:2017:805, insbesondere Rn. 39 und 44).


45      Vgl. dazu oben, insbesondere Rn. 61 bis 80 dieser Schlussanträge.


46      Auch die belgische Regierung spricht sich für die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung von Art. 25 Abs. 2 SDÜ aus, soweit dadurch dem betroffenen Drittstaatsangehörigen ermöglicht werden soll, eine ihn betreffende Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem löschen zu lassen.