Language of document : ECLI:EU:T:2011:178

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

13. April 2011(*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Wettbewerb – Zahlung einer Geldbuße – Bankbürgschaft – Antrag auf einstweilige Anordnung (Verzicht auf Stellung einer Bankbürgschaft)“

In der Rechtssache T‑393/10 R

Westfälische Drahtindustrie GmbH mit Sitz in Hamm (Deutschland),

Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG mit Sitz in Hamm,

Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG mit Sitz in Iserlohn (Deutschland),

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwälte C. Stadler und N. Tkatchenko,

Antragstellerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch V. Bottka, R. Sauer und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt R. Van der Hout,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses K (2010) 4387 endg. der Kommission vom 30. Juni 2010 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen (COMP/38.344 – Spannstahl) in Gestalt des Änderungsbeschlusses K (2010) 6676 endg. vom 30. September 2010, soweit den Antragstellerinnen darin eine Geldbuße auferlegt worden ist,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt und Verfahren

1        Die Antragstellerinnen gehören der sogenannten „Pampus-Gruppe“ (PIB+-Gruppe) an, die insbesondere im industriellen Stahl- und Drahtsektor tätig ist und vier Holdinggesellschaften umfasst: die Pampus Stahlbeteiligungsgesellschaft mbH, die Pampus Umformtechnik GmbH, die Pampus Logistikbeteiligungsgesellschaft mbH sowie die Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG (im Folgenden: PIB). Sämtliche Anteile an diesen Holdinggesellschaften, für die es keine gemeinsame Holdinggesellschaft gibt, werden von drei Mitgliedern der Familie Pampus gehalten.

2        Unternehmensgegenstand der ersten Antragstellerin, der Westfälische Drahtindustrie GmbH (im Folgenden: WDI), ist die Erzeugung von und der Handel mit Stahlprodukten, ferner der Erwerb und die Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen, vorwiegend auf dem Gebiet der Drahtver- und -bearbeitung. Die WDI befindet sich zu 98 % im Besitz der zweiten Antragstellerin, der Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG (im Folgenden: WDV). An der WDV sind die PIB zu zwei Dritteln und die ArcelorMittal Hamburg GmbH (im Folgenden: ArcelorMittal) zu einem Drittel beteiligt. Geschäftszweck der PIB ist insbesondere der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Industriebeteiligungen sowie der Handel mit Stahlerzeugnissen.

3        Mit dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung begehren die Antragstellerinnen im Kern, den Vollzug des Beschlusses K (2010) 4387 endg. der Kommission vom 30. Juni 2010 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen (COMP/38.344 – Spannstahl) in Gestalt des Änderungsbeschlusses K (2010) 6676 endg. vom 30. September 2010 (im Folgenden zusammen: angefochtener Beschluss), soweit ihnen darin Geldbußen auferlegt worden sind, ohne Verpflichtung zur Beibringung einer Bankbürgschaft auszusetzen.

4        In dem angefochtenen Beschluss wirft die Kommission einer Reihe von Spannstahl-Herstellern im Wesentlichen vor, viele Jahre lang im Spannstahlsektor Lieferquoten und Preise festgesetzt, Abnehmer untereinander aufgeteilt sowie sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht und durch diese fortdauernde Zuwiderhandlung die gesamte europäische Bauindustrie geschädigt zu haben. Die Kommission hat daher Geldbußen im Gesamtvolumen von fast 460 Mio. Euro festgesetzt. Dabei hat sie speziell den Antragstellerinnen Geldbußen von insgesamt 46,55 Mio. Euro auferlegt, und zwar allen dreien gesamtschuldnerisch in Höhe von 15,485 Mio. Euro, der WDI und der WDV gesamtschuldnerisch in Höhe von 23,37 Mio. Euro sowie der WDI allein in Höhe von 7,695 Mio. Euro. Außerdem hat die Kommission gegen vier Gesellschaften der ArcelorMittal-Gruppe eine Geldbuße von zunächst 276,48 Mio. Euro festgesetzt, die später auf 230,4 Mio. Euro reduziert wurde.

5        Mit Klageschrift, die am 14. September 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen Klage mit dem Ziel erhoben, den ursprünglichen Beschluss vom 30. Juni 2010 für nichtig zu erklären, soweit ihnen darin Geldbußen auferlegt worden sind, hilfsweise, die gegen sie festgesetzten Geldbußen angemessen herabzusetzen. Nach Zustellung des Änderungsbeschlusses vom 30. September 2010 haben sie mit Schriftsatz, der am 16. November 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, ihre Anträge und Klagegründe im Wege der Klageänderung dem Änderungsbeschluss angepasst.

6        Mit besonderem Schriftsatz, der am 3. Dezember 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, der im Kern darauf abzielt,

–        den Vollzug des angefochtenen Beschlusses bis zur Verkündung des Urteils in der Hauptsache ohne Beibringung einer Bankbürgschaft oder sonstigen finanziellen Sicherheit auszusetzen, soweit ihnen darin die Verpflichtung zur Zahlung von Geldbußen in Höhe von 15,485 Mio. Euro (WDI, WDV und PIB gesamtschuldnerisch), in Höhe von 23,37 Mio. Euro (WDI und WDV gesamtschuldnerisch) sowie in Höhe von 7,695 Mio. Euro (WDI) auferlegt wird;

–        hilfsweise, ihnen Zahlungserleichterungen ohne Beibringung einer Bankbürgschaft oder sonstigen finanziellen Sicherheit für die Zahlung der gegen sie festgesetzten Geldbußen nach Maßgabe eines angemessenen und sachverständig festgestellten Zahlungsplans zu gewähren;

–        der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

7        In ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 14. Februar 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt die Kommission,

–        die Anträge insgesamt (Haupt- und Hilfsantrag) zurückzuweisen;

–        den Antragstellerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

8        Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 haben die Antragstellerinnen gebeten, auf die Stellungnahme der Kommission erwidern zu dürfen, da das von Letzterer durchgeführte und mit Schreiben vom 14. Februar 2011 abgeschlossene Verwaltungsverfahren zur Überprüfung ihrer Leistungsfähigkeit (sogenanntes „ITP-Verfahren“) neue Elemente ergeben habe, die für die Dringlichkeit ihres Eilantrags relevant seien. Nachdem dieser Bitte stattgegeben worden ist, haben die Antragstellerinnen mit Schriftsatz vom 25. Februar 2011 die von ihnen angekündigten zusätzlichen Ausführungen gemacht. Die Kommission hat dazu mit Schriftsatz vom 21. März 2011 abschließend Stellung genommen.

9        In dem genannten Verwaltungsschreiben vom 14. Februar 2011 hat die Kommission eine Ermäßigung der den Antragstellerinnen auferlegten Geldbußen mit der Begründung abgelehnt, WDI sei in der Lage, die gesamte Geldbuße in Höhe von 46,55 Mio. Euro zu finanzieren oder eine Bankbürgschaft für diesen Betrag zu erhalten.

10      Es ist gerichtsbekannt, dass parallel zu dem bei der Kommission anhängigen ITP-Verfahren zur Überprüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerinnen die vorerwähnten Gesellschaften der ArcelorMittal-Gruppe (siehe oben, Randnr. 4) am 4. April 2011 eine Ermäßigung ihrer Geldbuße von 230,4 Mio. Euro auf 45,7 Mio. Euro erwirkt haben, wobei die Kommission ihre begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit anerkannt hat. Zuvor waren drei dieser Gesellschaften noch mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz u. a. wegen der beträchtlichen Finanzkraft der ArcelorMittal-Gruppe (konsolidierter Gesamtumsatz von mehr als 46 Mrd. Euro im Geschäftsjahr 2009) gescheitert (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 7. Dezember 2010, ArcelorMittal Wire France u. a./Kommission, T‑385/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).

 Gründe

11      Nach Art. 278 AEUV und Art. 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

12      Gemäß Art. 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann somit die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass diese Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig (fumus boni iuris) und dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Juli 1995, Kommission/Atlantic Container Line u. a., C‑149/95 P[R], Slg. 1995, I‑2165, Randnr. 22). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen ist, sofern es an einer von ihnen fehlt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Oktober 1996, SCK und FNK/Kommission, C‑268/96 P[R], Slg. 1996, I‑4971, Randnr. 30). Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat, C‑445/00 R, Slg. 2001, I‑1461, Randnr. 73, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 4. April 2002, Technische Glaswerke Ilmenau/Kommission, T‑198/01 R, Slg. 2002, II‑2153, Randnr. 50).

13      Im Übrigen verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen dieser Gesamtprüfung über ein weites Ermessen; er kann im Einzelfall die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Unionsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (Beschluss Kommission/Atlantic Container Line u. a., oben in Randnr. 12 angeführt, Randnr. 23, und Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. April 2007, Vischim/Kommission, C‑459/06 P[R], nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).

14      Die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten enthalten alle für die Entscheidung über den Antrag erforderlichen Informationen. Es besteht somit kein Anlass zu einer mündlichen Anhörung.

 Zum Gegenstand des Eilantrags

15      Nach Art. 2 des angefochtenen Beschlusses hat das mit einer Geldbuße belegte Unternehmen bei Erhebung einer Nichtigkeitsklage die Wahl zwischen der vorläufigen Zahlung der Geldbuße und der Bereitstellung einer für die Kommission akzeptablen Bankgarantie. Auf diese Wahlmöglichkeit hat die Kommission die Antragstellerinnen mit Schreiben vom 5. Juli und vom 1. Oktober 2010, mit denen der angefochtene Beschluss zugestellt wurde, speziell hingewiesen und dabei präzisiert, dass der Betrag einer etwa gestellten Bankgarantie zu einem Satz von 2,5 % verzinst werde.

16      Außerdem hat die Kommission in ihrer Stellungnahme vom 14. Februar 2011 (Randnrn. 52 und 59) ausdrücklich erklärt, wegen der genannten Wahlmöglichkeit scheide eine Dringlichkeit des in Rede stehenden Eilantrags von vornherein dann aus, wenn den Antragstellerinnen die Beibringung einer Bankbürgschaft – als weniger belastende Alternative zur provisorischen Zahlung der Geldbußen – möglich sei. Auf die in diesem Antrag thematisierte Frage bestehender Liquidität für die vorläufige Zahlung der Geldbußen komme es daher vorliegend nicht an.

17      Daraus folgt zum einen, dass die Kommission selbst bereit ist, unter einer bestimmten Bedingung (Beibringung einer Bankgarantie) den Vollzug des angefochtenen Beschlusses gegenüber den Antragstellerinnen auszusetzen. Mithin kann sich der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs dieses Beschlusses sinnvollerweise nur darauf beziehen, die Antragstellerinnen von der Obliegenheit zur Stellung einer Bankgarantie als Voraussetzung für die Abwendung der sofortigen Beitreibung der gegen sie verhängten Geldbußen zu entbinden (vgl. Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 13. Juli 2006, Romana Tabacchi/Kommission, T‑11/06 R, Slg. 2006, II‑2491, Randnrn. 23 bis 26).

18      Zum anderen beschränkt die Kommission ihre Ausführungen zur Dringlichkeit selbst auf die Frage, ob den Antragstellerinnen die Stellung einer Bankgarantie tatsächlich unmöglich ist oder jedenfalls den behaupteten Schaden einer Insolvenz nach sich ziehen würde. Nach ihrer Ansicht wäre insbesondere WDI aufgrund ihrer gegenwärtigen und prognostizierten Unternehmensdaten (Cashflow) objektiv in der Lage, eine solche Garantie für die Gesamtgeldbuße beizubringen. In diesem Fall würde die Kommission von den beiden anderen Antragstellerinnen keine zusätzliche Bankgarantie verlangen, wodurch die Insolvenzgefahr ausgeschlossen würde (Stellungnahme vom 14. Februar 2011, Randnr. 60).

19      Aus diesem Vorbringen der Kommission – sowie aus ihrer Feststellung in dem angefochtenen Beschluss (Randnrn. 1178 und 1179), WDI und PIB könnten wegen ihrer ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten die Geldbußen nicht bezahlen und seien wahrscheinlich gar nicht überlebensfähig – ist zu schließen, dass auch nach Ansicht der Kommission eine provisorische Zahlung der den Antragstellerinnen auferlegten Geldbußen keine realistische Option darstellt, da die Antragstellerinnen derzeit finanziell außerstande sind, eine solche Zahlung zu leisten.

20      Gegenstand des vorliegenden Eilantrags – und damit auch der Dringlichkeitsprüfung – ist daher allein die Befreiung der Antragstellerinnen von der Obliegenheit zur Stellung einer Bankgarantie als Voraussetzung für die Abwendung der sofortigen Beitreibung der gegen sie verhängten Geldbußen.

 Zur Dringlichkeit

21      Die Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ist nach ständiger Rechtsprechung danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, dass dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht. Der Antragsteller ist dafür beweispflichtig, dass er die Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen solchen Schaden zu erleiden (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. November 2001, Duales System Deutschland/Kommission, T‑151/01 R, Slg. 2001, II‑3295, Randnr. 187 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Dezember 2007, Cheminova u. a./Kommission, T‑326/07 R, Slg. 2007, II‑4877, Randnr. 50).

22      Was die hier relevante Problematik einer Bankgarantie betrifft, so kann nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Obliegenheit, eine solche Garantie als Voraussetzung dafür zu stellen, dass eine Geldbuße nicht sofort beigetrieben wird, nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände stattgegeben werden (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. Mai 1982, AEG/Kommission, 107/82 R, Slg. 1982, 1549, Randnr. 6, und vom 14. Dezember 1999, DSR-Senator Lines/Kommission, C‑364/99 P[R], Slg. 1999, I‑8733, Randnr. 48). Die Stellung einer finanziellen Sicherheit ist nämlich für Verfahren der einstweiligen Anordnung in den Verfahrensordnungen des Gerichtshofs und des Gerichts ausdrücklich vorgesehen und entspricht einer allgemeinen und vernünftigen Vorgehensweise der Kommission (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 5. August 2003, IRO/Kommission, T‑79/03 R, Slg. 2003, II‑3027, Randnr. 25, und vom 21. Januar 2004, FNSEA u. a./Kommission, T‑245/03 R, Slg. 2004, II‑271, Randnr. 77).

23      Das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände wird in der Rechtsprechung grundsätzlich dann angenommen, wenn die Partei, die von der Stellung der verlangten Bankgarantie befreit werden möchte, den Beweis dafür erbringt, dass es ihr entweder objektiv unmöglich ist, diese Garantie beizubringen, oder aber, dass die Stellung der Bankgarantie ihre Existenz gefährden würde (Beschluss Romana Tabacchi/Kommission, oben in Randnr. 17 angeführt, Randnr. 98, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 20. Oktober 2003, Leali/Kommission, T‑46/03 R, Slg. 2003, II‑4473, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Bei den beiden vorerwähnten außergewöhnlichen Umständen handelt es sich um Voraussetzungen, die von der betreffenden Partei alternativ, nicht kumulativ zu erfüllen sind.

25      Sollte den Antragstellerinnen im vorliegenden Fall somit der Beweis gelingen, dass es ihnen objektiv unmöglich ist, eine Bankgarantie für die ihnen auferlegten Geldbußen beizubringen, wäre nach dieser Rechtsprechung die Dringlichkeit des Erlasses der von ihnen begehrten einstweiligen Anordnung zu bejahen.

26      Die Antragstellerinnen machen insoweit geltend, die Beibringung einer Bankbürgschaft sei ihnen sowohl aus eigenen Kräften als auch unter Einschaltung der Gesellschafter und der gesamten PIB+-Gruppe objektiv unmöglich. Nach Zustellung des ursprünglichen Beschlusses hätten sie sich intensiv, jedoch erfolglos, um die Beibringung einer Bankgarantie für die Deckung der ursprünglich festgesetzten Geldbuße in Höhe von 56,05 Mio. Euro bei allen rund [vertraulich](1) zum Finanziererkreis der Gruppe zählenden Kreditinstituten und Warenkreditversicherern bemüht. Nach Zustellung des Berichtigungsbeschlusses hätten sie erneut versucht, eine Bankbürgschaft für die reduzierte Geldbuße (46,55 Mio. Euro) beizubringen, jedoch wieder ohne Erfolg. Sämtliche Kreditinstitute und Warenkreditversicherer hätten die Anfragen abgelehnt.

27      Die Kommission entgegnet, die von den Antragstellerinnen vorgelegten Ablehnungsschreiben erschienen in mehrfacher Hinsicht fraglich. So seien ausschließlich Banken angesprochen worden, die bereits Gläubiger der PIB+-Gruppe seien und somit ein Interesse daran hätten, eine Veränderung des finanziellen Status quo durch Herbeiführung einer Bußgeldreduzierung zu vermeiden. Dabei dränge sich nach der der Kommission vorliegenden Korrespondenz zwischen WDI und (einzelnen) Banken der Eindruck auf, dass auf beiden Seiten kein echtes Interesse an einer ernsthaften Diskussion über die Realisierbarkeit einer Bankbürgschaft bestanden habe, sondern die Ablehnung als notwendige Voraussetzung einer angestrebten Ermäßigung der Geldbuße angesehen worden sei. Dies würde auch erklären, warum Banken scheinbar ohne eingehende Prüfung (insbesondere der isolierten Finanzsituation von WDI) pauschal die Ablehnung erklärt hätten. Zudem seien nur neun der vorgelegten Schreiben eindeutig direkt an WDI adressiert. Dabei begründeten [vertraulich] Banken ihre Ablehnung unter Verweis auf die wirtschaftliche Situation der gesamten Pampus-Gruppe. Bei WDI handele es sich jedoch um ein wirtschaftlich erfolgreiches, zahlungskräftiges und somit kreditwürdiges Unternehmen. Da es keine überzeugenden Hinweise gebe, dass eine etwaige Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Pampus-Gruppe auf WDI durchschlagen würde, bleibe der eigentliche Ablehnungsgrund unklar.

28      Nach Ansicht der Kommission sind die vorgelegten Ablehnungsschreiben auch deshalb ungeeignet, weil die Banken lediglich in pauschaler Form und überwiegend unter allgemeinem Verweis auf die schwierige wirtschaftliche und finanzielle Situation der Pampus-Gruppe eine Garantieleistung ablehnten. Maßgeblich könne aber nur die objektive wirtschaftliche Lage von WDI sein. Angesichts des positiven operativen Cashflows in den kommenden Jahren sowie der den Banken zur Verfügung stehenden Sicherungsmittel verfüge WDI über die Möglichkeit, eine Bankgarantie zu erhalten. Aus der von den Antragstellerinnen selbst vorgelegten Cashflow-Prognose folge, dass WDI sogar ein Darlehen in Höhe des Bußgelds mit jährlichen Ratenzahlungen über einen Zeitraum von sieben Jahren aus dem freien Cashflow zurückzahlen könnte. Damit sollte erst recht die Bestellung einer Bankgarantie realisierbar sein.

29      Dazu ist festzustellen, dass die Antragstellerinnen ausweislich der Akten zunächst 14 Kreditinstitute erfolglos wegen einer Bankgarantie angesprochen haben. So haben WDI, WDV und PIB am 20. Juli 2010 im Wesentlichen gleichlautende Schreiben „an die kreditgebenden Banken“ gerichtet und um Stellung einer Bankgarantie für den Gesamt- oder einen Teilbetrag der verhängten Geldbußen (56,05 Mio. Euro) gebeten. Mit E-Mail vom selben Tag hat WDI eine entsprechende Bitte an folgende Banken adressiert: [vertraulich].

30      Die Ablehnungsschreiben stellen durchweg auf die angespannte wirtschaftliche und finanzielle Situation der Antragstellerinnen ab, die es den Banken unmöglich mache, die gewünschte Garantie abzugeben. Wenngleich manche Schreiben sehr kurz gehalten sind, enthalten andere eine detaillierte Begründung. So weist die [vertraulich] (Schreiben an WDI vom 26. Juli 2010) auf die „Größe des bereits bestehenden Engagements“ sowie darauf hin, dass sich die Pampus-Gruppe „in der Sanierungsphase“ befinde. Die [vertraulich] (drei gleichlautende Schreiben an WDI, WDV und PIB vom 23. Juli 2010) verweist auf die „erst vor Kurzem vorgenommene ausführliche Prüfung“ der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens und auf dessen derzeit angespannte finanzielle Lage. Die [vertraulich] (Schreiben an WDI, WDV und PIB vom 22. Juli 2010) teilt mit, dass sie eine Bankgarantie „aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der gesamten Unternehmensgruppe sowie der Einzelunternehmen nicht – auch nicht für einen Teilbetrag –“ zur Verfügung stellen könne. Die [vertraulich] (Schreiben an WDI vom 22. Juli 2010) stellt auf den „anspruchsvollen Sanierungs- und Restrukturierungsprozess, durch den mittelfristig die Kapitaldienstfähigkeit wiederhergestellt werden soll“, ab und betont, dass sie „bei einer weiteren Ausweitung der Finanzverbindlichkeiten in Verbindung mit einer Belastung des Finanzergebnisses … die Sanierungsfähigkeit der Unternehmensgruppe für stark gefährdet“ halte, weshalb sie es „für nicht vertretbar [erachte], einen entsprechenden Anteil an der Bürgschaftsstellung zu übernehmen“. Die [vertraulich] (Schreiben an WDI, WDV und PIB vom 22. Juli 2010) teilt mit, „nach eingehender Kreditprüfung“ sei sie zu dem Ergebnis gekommen, dass „keine Voraussetzungen für eine Ausweitung [ihres] bestehenden Kreditengagements gegeben“ seien.

31      Mit Schreiben bzw. E-Mail vom 10. November 2010 haben die Antragstellerinnen dieselben Banken erneut um Stellung einer Bankgarantie – diesmal für die inzwischen ermäßigten Geldbußen (46,55 Mio. Euro) – ersucht. In den Ablehnungsschreiben vom 11. bis 26. November 2010 wird im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass die zuvor bereits angeführten Ablehnungsgründe auch auf die ermäßigten Geldbußen zuträfen.

32      Außerdem hat WDI am 19. Februar 2011 die vorerwähnten Banken ein drittes Mal um die Stellung einer Bankgarantie speziell für die ihr allein auferlegte (ermäßigte) Geldbuße ersucht und den Banken dabei die von der Kommission angeführten Gründe für die Ablehnung ihres ITP-Antrags zugänglich gemacht. Die dazu eingegangenen Antworten der Banken sind erneut negativ. So begründet die [vertraulich] in ihrem Schreiben vom 22. Februar 2011 die Ablehnung einer Bürgschaft mit ihrer „ausschließlichen Funktion als langfristiger Objektfinanzierer und [ihrer] von der Position der EU-Kommission abweichenden weiterhin kritischen Beurteilung [der] wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Unternehmens. Die [vertraulich] führt in ihrem Schreiben vom 23. Februar 2011 aus, dass sie „nach Abwägung aller Informationen und weiteren internen Diskussionen die Grenze [ihrer] Kreditbereitschaft sowohl für die PIB+ im Allgemeinen als auch für die WDI im Besonderen als erreicht ansehe“, weshalb sie das „Ersuchen zur Erstellung einer Bankbürgschaft zu Gunsten der EU-Kommission erneut ablehnen müsse“. Sie bittet um Verständnis dafür, dass sie nicht alle Einzelheiten ihrer Kreditentscheidung darlegen könne, weist aber darauf hin, dass ihre internen Geschäftsprozesse so ausgerichtet seien, dass sie Entscheidungen über Kreditvergaben bei Konzernen nicht allein auf Einzelkreditnehmerbasis treffen könne, sondern Kreditkompetenzen und Prozesse auf die Kreditnehmereinheit, d. h. den Konzern (hier: die PIB+-Gruppe) ausgerichtet seien. Im Übrigen stelle sie ihre Kreditbereitschaft nicht allein auf den gegenwärtigen oder zukünftigen Cashflow ab, sondern auch auf die Höhe der bereits bestehenden Kredite, die Besicherung, die Konstellation bestehender Kreditverträge und die gemachten Erfahrungen.

33      Schließlich haben die Antragstellerinnen unwidersprochen vorgetragen, dass sie und die gesamte Unternehmensgruppe, der sie angehörten, von den finanzierenden Banken unter besondere Beobachtung gestellt worden seien, wobei wöchentliche Telefonkonferenzen mit dem koordinierenden Kreis der Banken ([vertraulich]) sowie bedarfsabhängige Treffen sowohl mit einzelnen Banken als auch mit dem gesamten Finanziererkreis stattfänden. Die Kommission schließt daraus [vertraulich]. Aus den Akten geht weiter hervor, dass die Antragstellerinnen seit März 2010 den Banken ausführliche monatliche Berichte über ihre wirtschaftliche Situation (vorläufige Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Cashflows usw.) vorlegen, die ein umfassendes Bild über ihre wirtschaftliche Situation wie auch die der gesamten PIB+-Gruppe vermitteln.

34      Nach alledem kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nicht umhin, festzustellen, dass sich die Antragstellerinnen rechtzeitig, wiederholt und ernsthaft darum bemüht haben, eine Bankgarantie für die ihnen auferlegten Geldbußen zu beschaffen. Ausweislich der Akten beruht die Erfolglosigkeit dieser Bemühungen auf einer eingehenden sachlichen Prüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Antragstellerinnen seitens der kontaktierten Banken, wie sich aus deren Ablehnungsschreiben sowie daraus ergibt, dass sie über die Lage der Antragstellerinnen im Verbund der gesamten PIB+-Gruppe (einschließlich der Mitglieder der Pampus-Familie) und über die Lage speziell der Antragstellerin WDI umfassend informiert waren. Vor diesem Hintergrund deutet nichts darauf hin, dass die Ablehnungen den Antragstellerinnen aus reiner Gefälligkeit allein für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens übermittelt worden wären.

35      Da die dergestalt begründeten Ablehnungen der beantragten Bankgarantie von insgesamt 14 Banken ausgesprochen wurden, haben die Antragstellerinnen rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass es ihnen objektiv unmöglich ist, diese Garantie beizubringen, zumal die Rechtsprechung in vergleichbaren Fallkonstellationen bereits zwei bzw. drei Verweigerungen für ausreichend erachtet hat (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 2. März 2011, 1. garantovaná/Kommission, T‑392/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 56, und Romana Tabacchi/Kommission, oben in Randnr. 17 angeführt, Randnrn. 102 und 103). Es ist daher unerheblich, dass die Antragstellerinnen keine schriftlichen Ablehnungen der von ihnen ebenfalls angesprochenen Warenkreditversicherer [vertraulich] vorgelegt haben, ohne dass der Frage nachgegangen zu werden braucht, ob es überhaupt zur Geschäftstätigkeit eines Warenkreditversicherers gehört, Bankgarantien zur Verfügung zu stellen.

36      Keines der von der Kommission vorgebrachten Gegenargumente greift durch.

37      Soweit die Kommission erstens geltend macht, in diesem Zusammenhang seien die finanziellen Mittel des Anteilseigners ArcelorMittal zu Unrecht unberücksichtigt geblieben, der seit Langem einen Anteil von einem Drittel an WDV halte, ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Prüfung der finanziellen Lebensfähigkeit eines Unternehmens sowie seiner Möglichkeiten, eine Sicherheit zu stellen, in der Tat dessen materielle Lage unter Berücksichtigung u. a. der Besonderheiten des Konzerns beurteilt werden, dem das Unternehmen über seine Gesellschafter unmittelbar oder mittelbar angehört (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. März 1995, Transacciones Marítimas u. a./Kommission, C‑12/95 P, Slg. 1995, I‑467, Randnr. 12, und des Präsidenten des Gerichts vom 11. Oktober 2007, MB Immobilien Verwaltungs-GmbH/Kommission, T‑120/07 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Diese Betrachtungsweise wurde in der Rechtsprechung damit begründet, dass die objektiven Interessen des betroffenen Unternehmens nicht unabhängig von den Interessen der Personen zu sehen sind, die es kontrollieren, so dass bei der Beurteilung der Frage, ob der behauptete Schaden schwer und irreparabel ist, auch die finanzielle Situation der das Unternehmen kontrollierenden Personen berücksichtigt werden muss (Beschluss MB Immobilien Verwaltungs-GmbH/Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese „Konzern-Rechtsprechung“ wurde inzwischen auf Minderheitsbeteiligungen (50 %, 40 % und sogar 30 %) ausgedehnt, da auch solche – substanziellen – Beteiligungen je nach der Kapitalstruktur des betreffenden Unternehmens für die Beurteilung von dessen finanzieller Leistungsfähigkeit relevant sein können, so dass ein Eilantrag jedenfalls hinreichende Informationen über derartige Minderheitsbeteiligungen enthalten muss (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 7. Mai 2010, Almamet/Kommission, T‑410/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 57 und 58, sowie vom 24. Januar 2011, Rubinetterie Teorema/Kommission, T‑370/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 39 bis 42). Diese Rechtsprechung statuiert zunächst nur eine Informationspflicht im Hinblick auf die Möglichkeit einer Interessenübereinstimmung, während in den beiden ihr zugrunde liegenden Eilsachen kein Anlass zu der Prüfung bestand, ob eine solche Übereinstimmung zwischen dem betreffenden Unternehmen und dem jeweiligen Minderheitsgesellschafter tatsächlich bestand.

39      Im vorliegenden Fall haben die Antragstellerinnen in ihrem Eilantrag die Minderheitsbeteiligung von ArcelorMittal erwähnt und vorgetragen, dass sie sich am 26. Juli und am 22. November 2010 wegen einer Bankgarantie für die ihnen auferlegten Geldbußen – erfolglos – an ArcelorMittal gewandt hätten. Allerdings erübrigt sich eine nähere Prüfung der Ernsthaftigkeit sowohl dieser Anfragen als auch der Ablehnungsschreiben von ArcelorMittal vom 30. Juli und vom 25. November 2010. Die vorerwähnte Konzern-Rechtsprechung findet nämlich keine Anwendung auf das Verhältnis zwischen den Antragstellerinnen und ArcelorMittal.

40      Zwar ist ArcelorMittal ebenso wie jede der Antragstellerinnen auf dem Stahlmarkt tätig, sie gehören jedoch jeweils unterschiedlichen Konzernen an, dem ArcelorMittal-Konzern einerseits und der PIB+-Gruppe andererseits, die miteinander im Wettbewerb stehen und unterschiedliche (strategische) Geschäftsinteressen verfolgen. Es kann also keine Rede davon sein, dass ArcelorMittal und die Antragstellerinnen objektiv die gleichen grundlegenden Interessen verfolgten. Insbesondere erscheint es ausgeschlossen, dass ArcelorMittal als Gesellschafter etwa eine aggressive Geschäftspolitik der PIB+-Gruppe unterstützen würde, die darauf gerichtet wäre, dem ArcelorMittal-Konzern Kunden und ganze Märkte wegzunehmen. Die Minderheitsbeteiligung von ArcelorMittal ist daher nicht geeignet, die Anwendung der Konzern-Rechtsprechung auszulösen.

41      Dem steht nicht entgegen, dass ArcelorMittal und die eine oder andere Antragstellerin durchaus gleichgerichtete pekuniäre Interessen verfolgen können, soweit es etwa um den Werterhalt der Minderheitsbeteiligung von ArcelorMittal geht. Dieses Interesse von ArcelorMittal – zu dem auch das Interesse hinzukommen mag, Zugang zu Unternehmensdaten von WDV und WDI zu erhalten, soweit die Stellung als Minderheitsgesellschafter dazu berechtigt – kommt in seiner Intensität nicht den grundlegenden strategischen Interessen gleich, die ein Konzern in der Ausrichtung seiner Geschäftspolitik verfolgt und die allein bei objektiver Interessenübereinstimmung die Anwendung der Konzern-Rechtsprechung rechtfertigt. Daran ändert auch der von der Kommission hervorgehobene Umstand nichts, dass ArcelorMittal bereit ist, [vertraulich].

42      Zweitens kann nach Ansicht der Kommission aus den Ablehnungsschreiben der Banken deshalb nicht auf die Unmöglichkeit einer Bürgschaftsbeschaffung geschlossen werden, weil die Banken ein erhebliches Eigeninteresse daran hätten, bei gleichzeitiger Aussetzung der verhängten Geldbußen so schnell wie möglich ihre eigenen Forderungen zu decken. Alle Gläubiger des PIB+-Netzwerks einschließlich der Banken und der Kommission konkurrierten nämlich um die bestmögliche Absicherung und die spätere maximale Realisierung ihrer jeweiligen Forderungen. [vertraulich] Dabei seien sie objektiv an der Aufrechterhaltung des operativen Geschäfts der WDI interessiert, und zwar wegen der guten Ertragslage und der Wettbewerbsfähigkeit von WDI sowie wegen des von dieser generierten Cashflows. Das operative Geschäft von WDI nicht fortzuführen würde für die Banken bedeuten, die Haupteinkommensquelle des Netzwerks trotz mittel- und langfristig erwarteter Cashflow-Zuwächse aufzugeben. Deshalb sei objektiv zu erwarten, dass die Banken letztlich die Stellung einer Bankgarantie für die Geldbußen finanzieren würden, sobald keine Aussicht mehr auf eine Aussetzung des Vollzugs bestehe. Im Übrigen sei jede vernünftige, nach ökonomischem Kalkül rational abwägende Bank bei Kenntnis der positiven Unternehmensdaten von WDI zur Stellung einer Bürgschaft für den Gesamtbetrag der den Antragstellerinnen auferlegten Geldbußen bereit.

43      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Soweit die Kommission das „erhebliche Eigeninteresse“ der 14 Banken nicht anerkennen will, die den Antragstellerinnen eine Bankgarantie verweigert haben, ist darauf hinzuweisen, dass eine Bank bei der – positiven wie negativen – Entscheidung über Kredit- und Garantieanfragen stets ihre eigenen Interessen als Kreditinstitut verfolgt und im Blick auf ihre Anteilseigner auch verfolgen muss. In der vorliegenden Situation müssten sich diese Interessen nur dann den Interessen der Kommission unterordnen, wenn die vorerwähnte Konzern-Rechtsprechung auf die 14 Banken anwendbar wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

44      Zum einen geht aus den Akten nicht hervor, dass die Banken zu Anteilseignern der Antragstellerinnen geworden wären oder sich durch Kapitaleinlagen irgendwie an der PIB+-Gruppe beteiligt hätten. Ihre Geschäftsbeziehungen zu Letzteren beschränken sich auf den Kreditbereich, wobei ihre Interessen darauf gerichtet sind, ihre Tilgungs- und Zinsforderungen bestmöglich abzusichern und zu realisieren. Insofern besteht keine objektive Identität zwischen den strategischen Interessen dieser Kreditinstitute und denjenigen der im Stahlsektor hauptsächlich operativ tätigen Antragstellerinnen (siehe oben, Randnrn. 1 und 2).

45      Zum anderen genügt der Hinweis, [vertraulich], für sich allein nicht, um darzutun, dass zwischen den Banken und diesen Gesellschaften so starke personelle Verflechtungen bestehen – wie sie etwa zwischen den drei Mitgliedern der Pampus-Familie bestehen mögen und eine gemeinsame Holdinggesellschaft überflüssig machen (siehe oben, Randnr. 1) –, dass dies die Anwendung der Konzern-Rechtsprechung rechtfertigen würde.

46      Soweit die Kommission den Antragstellerinnen drittens vorwirft, keine Fremdbank eingeschaltet zu haben, genügt die Feststellung, dass die [vertraulich] es von vornherein aussichtslos erscheinen ließ, von Seiten einer diesem Finanziererkreis nicht angehörenden Bank die gewünschte Bankgarantie zu erlangen, nachdem dieser Kreis insoweit seine totale Ablehnung manifestiert hat. Im Übrigen ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Verweigerung einer Bankgarantie gerade durch die Hausbanken des Antragstellers, bei denen dieser fester Kunde ist, die objektive Unmöglichkeit begründet, sich die verlangte Garantie zu besorgen (Beschluss Romana Tabacchi/Kommission, oben in Randnr. 17 angeführt, Randnrn. 105, 109 und 110).

47      Da nach alledem die mehrfachen Ablehnungsschreiben der vorerwähnten [vertraulich] Banken für die Feststellung ausreichen, dass es den Antragstellerinnen unmöglich ist, eine Bankgarantie für ihre Geldbußen beizubringen, ist das auf zahlreiche Finanzunterlagen und wirtschaftliche Kenndaten der Antragstellerinnen gestützte Vorbringen der Kommission irrelevant, diese Banken würden letztlich doch die fragliche Bankgarantie stellen, da jede vernünftige Bank bei Kenntnis der positiven Unternehmensdaten insbesondere von WDI dazu bereit wäre.

48      Dieses Vorbringen der Kommission steht in Kontrast zu ihrer eigenen [vertraulich] Einschätzung in dem angefochtenen Beschluss (Randnr. 1179), „[vertraulich]“. Zudem ist es bemerkenswert, dass die Kommission im vorliegenden Fall meint, das Verhalten einer „vernünftigen, nach ökonomischem Kalkül rational abwägenden Bank“ beurteilen zu können, wo sie bisher stets betont hat – und das Gericht ist ihr insoweit gefolgt (Urteil vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2005, II‑1181, Randnr. 479) –, sie sei keine Bank und verfüge weder über die Infrastruktur noch die Fachabteilungen einer Bank.

49      Das Vorbringen der Kommission erscheint auch unvereinbar mit der Rechtsprechung, wonach die Dringlichkeit eines Eilantrags sich nach den Umständen zum Zeitpunkt seiner Einreichung, spätestens aber seiner Bescheidung durch den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter bemisst (vgl. Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 23. Januar 2009, Pannon Hőerőmű/Kommission, T‑352/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 29 und 30, und vom 8. Juni 2009, Z/Kommission, T‑173/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22). Während die Antragstellerinnen im vorliegenden Fall rechtlich hinreichend nachgewiesen haben, dass es ihnen vor Erlass des gegenwärtigen Beschlusses objektiv unmöglich war, eine Bankgarantie beizubringen, will die Kommission mit ihrem Vorbringen – es sei zu erwarten, dass die Banken „letztlich“ die Stellung einer Bankgarantie finanzieren würden, „sobald keine Aussicht mehr auf eine Aussetzung des Vollzugs bestehe“ – auf einen zeitlich nach dem gegenwärtigen Beschluss liegenden Zeitpunkt abstellen und es somit „darauf ankommen lassen“, dass die Antragstellerinnen zu diesem späteren Zeitpunkt, falls trotz allem keine Bankgarantie gestellt werden sollte, Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (§§ 17 und 15a der deutschen Insolvenzordnung in Verbindung mit §§ 177a und 130a des deutschen Handelsgesetzbuchs) anmelden müssen.

50      Schließlich kann die Kommission den Antragstellerinnen nicht mit Erfolg vorwerfen, sie hätten ihre heikle Finanzsituation dadurch sachwidrig mitverursacht, dass WDI nach Zustellung der Beschwerdepunkte umfangreiche Kapitaltransfers an dritte Konzerngesellschaften, gleichzeitig jedoch nur eine Minimalrückstellung von [vertraulich] Mio. Euro für eine 18-jährige Beteiligung am Spannstahl-Kartell vorgenommen habe.

51      Soweit die Kommission in diesem Zusammenhang vorträgt, es müsse verhindert werden, dass durch derartige Kapitaltransfers ihre Geldbußenpolitik „ausgehebelt“ werde, genügt es festzustellen, dass mit den hier fraglichen Kapitaltransfers unwidersprochen das Ziel verfolgt wurde, die Insolvenz einzelner Gesellschaften der PIB+-Gruppe und somit letztlich den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern. Ebenfalls unbestritten ist, dass die Anteilseigner weder aus den bebußten Gesellschaften noch aus den Empfängern der konzerninternen Kapitaltransfers irgendwelche Mittel „herausgezogen“ haben, mit Ausnahme einer Ausschüttung in Höhe von [vertraulich] Mio. Euro zugunsten des – konzernfremden – Minderheitsgesellschafters ArcelorMittal im Jahr 2008. Unter diesen Umständen kann weder der PIB-Holding noch der PIB+-Gruppe insgesamt ein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie WDI als Finanzquelle für andere, Not leidende, Konzerngesellschaften herangezogen haben, um deren Geschäftsbetrieb zu stützen.

52      Was die Rückstellung in Höhe von [vertraulich] Mio. Euro betrifft, erscheint der Vorwurf der „Unterdeckung“ irrelevant, hat doch die Kommission in dem angefochtenen Beschluss (Randnrn. 1178 und 1179) selbst mehrere Elemente angeführt, die a priori darauf hindeuteten, dass [vertraulich]. Angesichts dessen dürfte die Höhe einer buchmäßigen Rückstellung kaum eine Rolle spielen. Im Übrigen erscheint der Betrag von [vertraulich] Mio. Euro im Rahmen des Spannstahl-Kartells keineswegs abwegig. Die Kommission hat sich nämlich bereits zweimal veranlasst gesehen, die gegen einzelne Kartellunternehmen festgesetzten Geldbußen berichtigend herabzusetzen. Dabei hat sie die gegen den weltgrößten Stahlkonzern, ArcelorMittal, verhängte Geldbuße wegen Zahlungsunfähigkeit einzelner Konzernunternehmen zuletzt sogar um rund 80 % herabgesetzt (siehe oben, Randnr. 10).

53      Nach alledem haben die Antragstellerinnen die Dringlichkeit des Erlasses der von ihnen begehrten einstweiligen Anordnung rechtlich hinreichend dargetan.

 Zum fumus boni iuris

54      Nach der Rechtsprechung ist ein fumus boni iuris gegeben, wenn das Vorbringen des Antragstellers zumindest hinsichtlich eines einzigen Klagegrundes auf den ersten Blick erheblich und jedenfalls nicht ohne Grundlage erscheint bzw. wenn dieses Vorbringen nicht ohne eine eingehende Prüfung zurückgewiesen werden kann, die dem für die Entscheidung zur Hauptsache zuständigen Spruchkörper vorbehalten ist (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 28. April 2009, United Phosphorus/Kommission, T‑95/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 10. März 1995, Atlantic Container Line u. a./Kommission, T‑395/94 R, Slg. 1995, II‑595, Randnr. 49, bestätigt durch den Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs Kommission/Atlantic Container Line u. a., oben in Randnr. 12 angeführt, Randnrn. 26 und 27).

55      Im vorliegenden Fall machen die Antragstellerinnen sieben Klagegründe geltend, auf die sie ihren Hauptantrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses und ihren Hilfsantrag auf angemessene Herabsetzung ihrer Geldbußen stützen.

56      Wie die Kommission zu Recht bemerkt, ist die Darstellung der meisten Klagegründe zu knapp und nicht aus sich selbst heraus verständlich. Sie genügt somit nicht den Anforderungen der Rechtsprechung, wonach die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände eines Eilantrags sich zusammenhängend und verständlich aus dem Text der Antragsschrift ergeben müssen, damit der Antragsgegner seine Stellungnahme vorbereiten und der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter seine Entscheidung, gegebenenfalls ohne weitere Informationen, mit der gebotenen Schnelligkeit treffen kann (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. Januar 2001, Stauner u. a./Parlament und Kommission, T‑236/00 R, Slg. 2001, II‑15, Randnr. 34, vom 7. Mai 2002, Aden u. a./Rat und Kommission, T‑306/01 R, Slg. 2002, II‑2387, Randnr. 52, und vom 23. Mai 2005, Dimos Ano Liosion u. a./Kommission, T‑85/05 R, Slg. 2005, II‑1721, Randnr. 37).

57      Dies trifft jedoch nicht auf den Klagegrund zu, mit dem die unrichtige Annahme einer einzigen fortdauernden Zuwiderhandlung geltend gemacht wird. Dazu heißt es in dem Eilantrag im Wesentlichen, die Kommission mache WDI für eine Zuwiderhandlung vom 1. Januar 1984 bis zum 19. September 2002 und WDV für eine Zuwiderhandlung vom 3. September 1987 bis zum 19. September 2002 haftbar. WDI und WDV könne jedoch nur für einen wesentlich kürzeren Zeitraum, nämlich vom 12. Mai 1997 bis zum 19. September 2002, eine Zuwiderhandlung angelastet werden. Für die Zuwiderhandlungen vor dem 12. Mai 1997 sei nämlich eine Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Kommission verkenne insoweit, dass im Verlauf der Absprachen eine zeitliche Zäsur von fast eineinhalb Jahren eingetreten sei. Sie lasse unberücksichtigt, dass die Absprachen vor bzw. nach dieser Zäsur wegen ihrer unterschiedlichen Natur und Organisation nicht als eine einzige fortdauernde Zuwiderhandlung angesehen werden könnten. Zudem hätten sich die Antragstellerinnen – für alle anderen Unternehmen ersichtlich – bei einem Treffen am 9. Januar 1996 von den Kartellabsprachen distanziert, was durch schriftliche Vermerke eindeutig bewiesen sei. Auch aufgrund dieser Distanzierung könne den Antragstellerinnen keine Teilnahme an einer einzigen fortdauernden Zuwiderhandlung vorgeworfen werden.

58      Dieses Vorbringen der Antragstellerinnen, das im Erfolgsfall eine deutliche Ermäßigung der gegen WDI und WDV verhängten Geldbußen zur Folge haben könnte, ist so präzise, dass es die Kommission in die Lage versetzt hat, eine mehrseitige, eingehende Stellungnahme abzugeben. Außerdem ermöglicht es dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter, zu beurteilen, dass der betreffende Klagegrund auf den ersten Blick nicht ganz ohne Grundlage erscheint und jedenfalls nicht ohne eine eingehende Prüfung zurückgewiesen werden kann, die dem für die Entscheidung zur Hauptsache zuständigen Spruchkörper vorbehalten ist.

59      Auch der Klagegrund, mit dem die Antragstellerinnen die Nichtberücksichtigung ihrer Zahlungsunfähigkeit rügen, ist aus sich selbst heraus verständlich und hat die Kommission ebenfalls zu einer mehrseitigen, eingehenden Stellungnahme veranlasst.

60      Insoweit ist festzustellen, dass das Gericht gemäß Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bei seiner Entscheidung über die angefochtenen Bußgeldentscheidungen der Kommission über die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung verfügt. Im vorliegenden Fall kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass das Gericht in der Hauptsache von dieser Befugnis Gebrauch machen und die den Antragstellerinnen auferlegten Geldbußen herabsetzen wird. Dazu trägt die Kommission selbst vor, soweit die Bewertung zur Leistungsfähigkeit im angefochtenen Beschluss von den Antragstellerinnen gerügt werde, lege das Gericht im Fall der Feststellung eines Rechtsfehlers die Geldbußen selbst fest, wobei die Tatsachen zugrunde zu legen wären, wie sie sich aufgrund der zwischenzeitlich vorgelegten Informationen darstellten; soweit daher vorliegend die Dringlichkeit zu verneinen sei, gelte Gleiches für die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Diese Ausführungen der Kommission treffen auch für den Fall zu, dass – wie vorstehend – die Dringlichkeit bejaht wird.

61      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass dem ersten Anschein nach ein fumus boni iuris zumindest für eine Herabsetzung der den Antragstellerinnen auferlegten Geldbußen gemäß deren Hilfsantrag gegeben ist.

 Zur Interessenabwägung

62      Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Risiken jeder der möglichen Lösungen gegeneinander abgewogen werden. Konkret bedeutet dies, dass insbesondere zu prüfen ist, ob das Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung schwerer wiegt als das Interesse an einem sofortigen Vollzug dieser Entscheidung (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs Kommission/Atlantic Container Line u. a., oben in Randnr. 12 angeführt, Randnr. 50, vom 12. Juli 1996, Vereinigtes Königreich/Kommission, C‑180/96 R, Slg. 1996, I‑3903, Randnr. 89, und vom 26. Juni 2003, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 R und C‑217/03 R, Slg. 2003, I‑6887, Randnr. 142).

63      Im vorliegenden Fall haben die Antragstellerinnen sowohl die Dringlichkeit ihres Eilantrags nachgewiesen, da es ihnen objektiv unmöglich war, eine Bankgarantie für ihre Geldbußen beizubringen, als auch einen fumus boni iuris für ihren auf die Herabsetzung der Geldbußen gerichteten Hilfsantrag dargetan. Es ist daher anzuerkennen, dass sie grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse an der Aussetzung der Obliegenheit haben, eine Bankgarantie für diese Geldbußen zu stellen. Wenn ihrem Eilantrag nicht stattgegeben würde, wäre die Kommission nämlich befugt, die sofortige Vollstreckung der Geldbußen zu betreiben, was höchstwahrscheinlich die Insolvenz der Antragstellerinnen wegen Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung zur Folge hätte (siehe oben, Randnr. 49).

64      Die Kommission beruft sich demgegenüber auf das öffentliche Interesse an der Erhaltung der Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln der Europäischen Union und damit der abschreckenden Wirkung der von ihr verhängten Geldbußen sowie auf das finanzielle Interesse der Union. Dabei weist sie insbesondere darauf hin, dass eine Geldbuße nach ihrer höchstrichterlichen Bestätigung Teil des öffentlichen Haushalts der Union werde.

65      Zu den finanziellen Interessen der Union, deren fundamentale Bedeutung nicht bestritten werden kann, ist zu bemerken, dass im vorliegenden Fall die Antragstellerinnen nicht über die notwendige Liquidität verfügen, um die ihnen auferlegten Geldbußen zu zahlen (siehe oben, Randnrn. 16 und 19), und dass es ihnen objektiv unmöglich ist, die erforderliche Bankbürgschaft zu stellen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Kommission, wenn sie die Zwangsvollstreckung dieser Geldbußen betreiben würde, nicht den festgesetzten Betrag erlangen würde. Ferner haben die Antragstellerinnen unwidersprochen vorgetragen, dass im Fall ihrer – zu befürchtenden – Insolvenz die Forderung der Kommission gegenüber den Forderungen anderer Gläubiger nach deutschem Insolvenzrecht keinen Vorrang hätte und die Kommission sich mit der Konkursquote zufriedengeben müsste. Unter diesen Umständen würden die finanziellen Interessen der Kommission nicht besser geschützt, wenn eine sofortige Zwangsvollstreckung eingeleitet würde, anstatt es den Antragstellerinnen zu ermöglichen, ihre Geschäftstätigkeit fortzusetzen und aus dem daraus erzielten Erlös ihre Geldbußen zu zahlen (vgl. in diesem Sinne Beschluss Romana Tabacchi/Kommission, oben in Randnr. 17 angeführt, Randnr. 136).

66      Im Übrigen scheint die Kommission im vorliegenden Fall selbst eine Durchsetzung der finanziellen Interessen der Union von vornherein als eher unwahrscheinlich eingeschätzt zu haben. Sie war nämlich zu dem Zeitpunkt, als sie den angefochtenen Beschluss erlassen hat, der Auffassung, mehrere Elemente deuteten darauf hin, dass PIB und WDI die Geldbußen nicht bezahlen könnten und sehr wahrscheinlich nicht überlebensfähig seien (Randnrn. 1178 und 1179 des angefochtenen Beschlusses). Dies deutet darauf hin, dass sie sich ursprünglich mit der Uneinbringlichkeit der Geldbußen abgefunden zu haben scheint. Hinzu kommt, dass die Kommission nach Erlass des angefochtenen Beschlusses mehrere ITP-Verfahren zur Überprüfung der Zahlungsfähigkeit bebußter Unternehmen durchgeführt hat. Daraus ist zu schließen, dass sie durchaus bereit ist, auf Geldbußen (teilweise) zu verzichten, selbst nachdem sie Teil des öffentlichen Haushalts der Union geworden sind. Einen solchen Verzicht in Höhe von rund 80 % hat die Kommission zuletzt zugunsten des ArcelorMittal-Konzerns manifestiert. Vor diesem Hintergrund erscheint das Bestreben der Kommission, die finanziellen Interessen der Union speziell gegenüber den Antragstellerinnen „wiederaufleben“ zu lassen, nicht besonders schutzwürdig.

67      Nach alledem ist festzustellen, dass den Interessen der Antragstellerinnen Vorrang vor den finanziellen Interessen der Kommission einzuräumen ist.

68      Es ist jedoch zu beachten, dass vorstehend ein fumus boni iuris nur für den auf eine Geldbußenherabsetzung gerichteten Hilfsantrag bejaht wurde und dass die Antragstellerinnen selbst ihre Bereitschaft zu Ratenzahlungen ab Juli 2011 nach Maßgabe eines angemessenen Zahlungsplans angedeutet haben (siehe oben, Randnr. 6). Mit Schreiben vom 7. Februar 2011 haben die Antragstellerinnen im Rahmen des ITP-Verfahrens vor der Kommission einen aktualisierten Zahlungsplan vorgelegt und ausgeführt, bei einer Reduzierung ihrer Geldbußen um 75 %, d. h. auf rund 12 Mio. Euro, seien sie in der Lage, ab Juli 2011 Zahlungen in 39 Raten anzubieten. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass WDI seit Längerem eine Rückstellung in Höhe von [vertraulich] Mio. Euro für die Zahlung ihrer Geldbuße gebildet hatte.

69      Den finanziellen Interessen der Union ist somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt dadurch Rechnung zu tragen, dass den Antragstellerinnen die begehrte einstweilige Anordnung – ohne dass es in diesem Stadium einer Entscheidung über die angesprochene 75%ige Reduzierung der Geldbußen bedarf – nur unter der Bedingung gewährt wird, dass sie an die Kommission bis zum 30. Juni 2011 den Betrag von [vertraulich] Mio. Euro entrichten und vom 15. Juli 2011 an monatliche Raten in Höhe von 300 000 Euro (zum 15. jedes Monats) bis auf Weiteres zahlen, längstens aber bis zur Verkündung des Urteils in der Hauptsache.

70      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nach Art. 108 der Verfahrensordnung die einstweilige Anordnung jederzeit wegen veränderter Umstände abändern oder aufheben kann, wobei als „veränderte Umstände“ insbesondere tatsächliche Gegebenheiten anzusehen sind, die die Beurteilung des Kriteriums der Dringlichkeit im konkreten Fall ändern können (Beschluss des Gerichtshofs vom 14. Februar 2002, Kommission/Artegodan, C‑440/01 P[R], Slg. 2002, I‑1489, Randnrn. 62 bis 64). Es ist also gegebenenfalls Sache der Parteien, sich an das Gericht zu wenden, wenn sich ihres Erachtens die Umstände in einer Weise verändert haben, die zu einer Abänderung des vorliegenden Beschlusses führen kann.

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Die Obliegenheit der Westfälische Drahtindustrie GmbH, der Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG und der Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG, zugunsten der Kommission eine Bankbürgschaft zu stellen, um die sofortige Beitreibung der gegen sie nach Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses K (2010) 4387 endg. der Kommission vom 30. Juni 2010 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen (COMP/38.344 – Spannstahl) in Gestalt des Änderungsbeschlusses K (2010) 6676 endg. vom 30. September 2010 verhängten Geldbußen zu vermeiden, wird unter folgenden Bedingungen ausgesetzt:

a)      Bis zum 30. Juni 2011 entrichten die Westfälische Drahtindustrie GmbH, die Westfälische Drahtindustrie Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG und die Pampus Industriebeteiligungen GmbH & Co. KG an die Kommission den Betrag von [vertraulich] Mio. Euro.

b)      Vom 15. Juli 2011 an zahlen sie der Kommission bis auf Weiteres monatliche Raten in Höhe von 300 000 Euro (zum 15. jedes Monats), längstens aber bis zur Verkündung des Urteils in der Hauptsache.

2.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 13. April 2011

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

       M. Jaeger


* Verfahrenssprache: Deutsch.


1 – Nicht wiedergegebene vertrauliche Daten.