Language of document : ECLI:EU:C:2021:153

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

2. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Rechtsstaatlichkeit – Wirksamer Rechtsschutz – Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit – Verfahren zur Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) – Ernennung durch den Präsidenten der Republik Polen auf der Grundlage einer Entschließung des Landesjustizrats – Fehlende Unabhängigkeit dieses Rates – Fehlende Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine solche Entschließung – Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen), mit dem die Bestimmung, auf der die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts beruht, aufgehoben wird – Erlass von Rechtsvorschriften, die anhängige Rechtssachen von Rechts wegen für erledigt erklären und in Zukunft jeden gerichtlichen Rechtsbehelf in solchen Rechtssachen ausschließen – Art. 267 AEUV – Befugnis und/oder Pflicht der nationalen Gerichte, ein Vorabentscheidungsersuchen einzureichen und es aufrechtzuerhalten – Art. 4 Abs. 3 EUV – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Vorrang des Unionsrechts – Befugnis, nicht mit dem Unionsrecht im Einklang stehende nationale Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen“

In der Rechtssache C‑824/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 21. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Dezember 2018, ergänzt mit Entscheidung vom 26. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juli 2019, in dem Verfahren

A. B.,

C. D.,

E. F.,

G. H.,

I. J.

gegen

Krajowa Rada Sądownictwa,

Beteiligte:

Prokurator Generalny,

Rzecznik Praw Obywatelskich,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, der Richter D. Šváby, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und N. Jääskinen,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von A. B., vertreten durch M. Dębska-Koniecek, adwokat,

–        von C. D., vertreten durch M. Bogdanowicz, radca prawny,

–        von E. F., vertreten durch M. Gajdus, adwokat,

–        von I. J., vertreten durch P. Strumiński, radca prawny,

–        der Krajowa Rada Sądownictwa, vertreten durch L. Mazur, J. Dudzicz und D. Pawełczyk-Woicka,

–        des Prokurator Generalny, vertreten durch B. Górecka, R. Hernand, A. Reczka, S. Bańko und B. Marczak,

–        des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch A. Bodnar, M. Taborowski und P. Filipek,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, A. Grajewski, A. Dalkowska und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer, P. J. O. Van Nuffel, A. Stobiecka-Kuik und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Dezember 2020

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, von Art. 267 AEUV, Art. 15 Abs. 1, Art. 20, Art. 21 Abs. 1, Art. 47 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen A. B., C. D., E. F., G. H. und I. J. auf der einen Seite und der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) (im Folgenden: KRS) auf der anderen Seite über Entschließungen, mit denen die KRS entschieden hat, dem Präsidenten der Republik Polen (im Folgenden: Präsident der Republik) nicht vorzuschlagen, die betreffenden Personen auf Richterstellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) zu ernennen, und die Besetzung dieser Stellen mit anderen Kandidaten vorzuschlagen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 EU-Vertrag und AEU-Vertrag

3        Art. 2 EUV lautet:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

4        Art. 4 Abs. 3 EUV sieht vor:

„Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.

Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“

5        Art. 19 Abs. 1 EUV bestimmt:

„Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.

Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“

6        Art. 267 AEUV lautet:

„Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung

a)      über die Auslegung der Verträge,

b)      über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.

Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.

Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.

…“

 Charta

7        Titel VI („Justizielle Rechte“) der Charta umfasst u. a. Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“), der bestimmt:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …

…“

 Richtlinie 2000/78

8        Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

9        Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.“

10      Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie lautet:

„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

a)      die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit …“

11      Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg … geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist.“

 Polnisches Recht

 Verfassung

12      Art. 45 Abs. 1 der Verfassung sieht vor:

„Jedermann hat das Recht auf gerechte und öffentliche Verhandlung der Sache ohne unbegründete Verzögerung vor dem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen Gericht.“

13      Art. 60 der Verfassung bestimmt:

„Polnische Staatsangehörige, die die vollen bürgerlichen Rechte genießen, haben das Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst.“

14      Nach Art. 179 der Verfassung werden die Richter vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS auf unbestimmte Zeit berufen.

15      Art. 184 der Verfassung sieht vor, dass der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) und die Verwaltungsgerichte für die Kontrolle der Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung zuständig sind.

16      In Art. 186 Abs. 1 der Verfassung heißt es:

„Die [KRS] schützt die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“

17      Art. 187 der Verfassung bestimmt:

„1.      „Die [KRS] besteht aus:

1)      dem Ersten Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], dem Justizminister, dem Präsidenten des [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] und einer vom Präsidenten der Republik berufenen Person,

2)      fünfzehn Mitgliedern, die aus der Mitte der Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungs- und Militärgerichte gewählt worden sind,

3)      vier Mitgliedern, die vom Sejm [(Erste Kammer des Parlaments, Polen)] aus der Mitte der Abgeordneten und zwei Mitgliedern, die vom Senat aus der Mitte der Senatoren gewählt worden sind.

3.      Die Amtszeit der gewählten Mitglieder [der KRS] beträgt vier Jahre.

4.      Die Ordnung, den Umfang der Tätigkeit und die Arbeitsweise [der KRS] sowie die Wahl ihrer Mitglieder regelt ein Gesetz.“

 KRS-Gesetz

18      Die KRS unterliegt der Ustawa o Krajowej Radzie Sądownictwa (Gesetz über den Landesjustizrat) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. 2011, Nr. 126, Pos. 714) in der durch die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter anderer Gesetze) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 3) und der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte und einiger anderer Gesetze) vom 20. Juli 2018 (Dz. U. 2018, Pos. 1443) geänderten Fassung (im Folgenden: KRS-Gesetz).

19      Nach Art. 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des KRS-Gesetzes fallen in die Zuständigkeit der KRS:

„1.      die Prüfung und Bewertung von Kandidaten für Richterstellen am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] und um Richterstellen an den ordentlichen Gerichten, Verwaltungsgerichten und Militärgerichten sowie um Stellen als beisitzende Richter an Verwaltungsgerichten;

2.      die Vorlage von Vorschlägen an den [Präsidenten der Republik] für die Ernennung von Richtern am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], an den ordentlichen Gerichten, Verwaltungsgerichten und Militärgerichten sowie für die Ernennung von beisitzenden Richtern an den Verwaltungsgerichten“.

20      Art. 9a dieses Gesetzes bestimmt:

„1.      Der Sejm wählt aus den Reihen der Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], an den ordentlichen Gerichten, an den Verwaltungsgerichten und an den Militärgerichten 15 Mitglieder [der KRS] für eine gemeinsame Amtszeit von vier Jahren.

2.      Bei der Wahl nach Abs. 1 trägt der Sejm so weit wie möglich dem Erfordernis Rechnung, dass Richter verschiedener Arten und Ebenen von Gerichten [in der KRS] vertreten sein sollten.

3.      Die gemeinsame Amtszeit der aus den Reihen der Richter gewählten neuen Mitglieder [der KRS] beginnt an dem auf ihre Wahl folgenden Tag. Die scheidenden Mitglieder [der KRS] üben ihre Tätigkeit bis zu dem Tag aus, an dem die gemeinsame Amtszeit der neuen Mitglieder [der KRS] beginnt.“

21      Nach Art. 11a Abs. 2 des KRS-Gesetzes haben das Vorschlagsrecht für die Kandidaten für eine Stelle in der KRS, die aus der Mitte der Richter gewählt werden, eine Gruppe aus mindestens 2 000 polnischen Bürgern oder eine Gruppe aus mindestens 25 Richtern im aktiven Dienst. Das Verfahren für die Wahl der Mitglieder der KRS durch den Sejm ist in Art. 11d des KRS-Gesetzes festgelegt.

22      Art. 37 Abs. 1 des KRS-Gesetzes bestimmt:

„Hat sich mehr als ein Kandidat um eine Stelle als Richter beworben, prüft und bewertet [die KRS] alle eingereichten Bewerbungen gemeinsam. In diesem Fall verabschiedet [die KRS] eine Entschließung, die ihre Entscheidungen über die Einreichung eines Vorschlags zur Ernennung auf eine Richterstelle für alle Kandidaten enthält.“

23      Art. 43 dieses Gesetzes lautet:

„1.      Eine Entschließung [der KRS] wird bestandskräftig, wenn sie nicht angefochten werden kann.

2.      Wird die in Art. 37 Abs. 1 genannte Entschließung nicht von allen Verfahrensteilnehmern angefochten, so wird sie vorbehaltlich von Art. 44 Abs. 1b für den Teil bestandskräftig, der die Entscheidung enthält, die Teilnehmer, die keinen Rechtsbehelf eingelegt haben, nicht zur Ernennung zum Richter vorzuschlagen.“

24      Zum Zeitpunkt der Vorlage des ursprünglichen Vorabentscheidungsersuchens sah Art. 44 des KRS-Gesetzes vor:

„1.      Ein Teilnehmer an dem Verfahren kann gegen die Entschließung [der KRS] einen Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] mit der Begründung einlegen, dass diese rechtswidrig sei, soweit nicht besondere Bestimmungen etwas anderes vorsehen. …

1a.      In Individualverfahren, die eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, kann ein Rechtsbehelf beim [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] eingelegt werden. In diesen Fällen kann kein Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] eingelegt werden. Der Rechtsbehelf zum [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] kann nicht damit begründet werden, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Vorschlags für die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] berücksichtigt werden.

1b.      Haben in Individualverfahren, die eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, nicht alle Teilnehmer an dem Verfahren die in Art. 37 Abs. 1 genannte Entschließung angefochten, wird diese Entschließung für die Teilnehmer, die keinen Rechtsbehelf eingelegt haben, in dem Teil bestandskräftig, in dem die Entscheidung über die Einreichung eines Vorschlags für die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] bzw. die Entscheidung, keinen Vorschlag für die Ernennung zum Richter an diesem Gericht einzureichen, enthalten ist.

4.      In Individualverfahren, die die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, kommt die Aufhebung der Entschließung [der KRS], den Vorschlag für eine Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] nicht einzureichen, durch den [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] der Zulassung der Bewerbung des Verfahrensteilnehmers, der den Rechtsbehelf eingelegt hat, um eine freie Richterstelle am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] gleich, und zwar für die Stelle, für die das Verfahren vor [der KRS] zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] noch nicht abgeschlossen ist, oder mangels eines solchen Verfahrens, für die nächste freie Richterstelle am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], die ausgeschrieben wird.“

25      Abs. 1a von Art. 44 des KRS-Gesetzes wurde durch das Gesetz vom 8. Dezember 2017 zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und einiger anderer Gesetze, das am 17. Januar 2018 in Kraft trat, und die Abs. 1b und 4 wurden durch das Gesetz vom 20. Juli 2018 zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte und einiger anderer Gesetze, das am 27. Juli 2018 in Kraft trat, in diesen Artikel aufgenommen. Vor der Einführung dieser Änderungen wurden die in Abs. 1a genannten Rechtsbehelfe beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gemäß Art. 44 Abs. 1 des KRS-Gesetzes eingelegt.

26      Mit Urteil vom 25. März 2019 erklärte das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen) Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes für unvereinbar mit Art. 184 der Verfassung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die dem Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) durch Abs. 1a übertragene Zuständigkeit in Anbetracht der Art der betroffenen Fälle, der organisatorischen Merkmale dieses Gerichts und des von ihm angewandten Verfahrens nicht gerechtfertigt sei. In diesem Urteil stellte das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) außerdem fest, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit „zwangsläufig die Einstellung aller auf der Grundlage der aufgehobenen Bestimmung geführten Gerichtsverfahren zur Folge hat“.

27      In der Folge wurde Art. 44 des KRS-Gesetzes durch die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz ustawy – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und des Gesetzes über die Organisation der Verwaltungsgerichte) vom 26. April 2019 (Dz. U. 2019, Pos. 914) (im Folgenden: Gesetz vom 26. April 2019) geändert, das am 23. Mai 2019 in Kraft trat. Art. 44 Abs. 1 lautet seitdem:

„Ein Teilnehmer an dem Verfahren kann gegen die Entschließung [der KRS] einen Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] mit der Begründung einlegen, dass diese rechtswidrig sei, soweit nicht besondere Bestimmungen etwas anderes vorsehen. In Individualverfahren, die die Ernennung zum Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, kann kein Rechtsbehelf eingelegt werden.“

28      Darüber hinaus sieht Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019 vor, dass „Verfahren über Rechtsbehelfe gegen die Entschließungen [der KRS] in Individualverfahren, die die Ernennung zum Richter [am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet und nicht entschieden wurden, … von Rechts wegen eingestellt [werden]“.

 Neues Gesetz über das Oberste Gericht

29      In Art. 30 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 23. November 2002 (Dz. U. 2002, Pos. 240) war das Ruhestandsalter für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) auf 70 Jahre festgesetzt.

30      Die Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5, im Folgenden: neues Gesetz über das Oberste Gericht) trat am 3. April 2018 in Kraft.

31      Nach den Art. 37 und 111 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht wurde das Ruhestandsalter für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) auf 65 Jahre gesenkt, vorbehaltlich der Möglichkeit für den Präsidenten der Republik, ihnen zu genehmigen, über dieses Alter hinaus im Amt zu verbleiben.

32      Nach dem Beschluss des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2018, Kommission/Polen (C‑619/18 R, EU:C:2018:1021), wurde dieser Genehmigungsmechanismus durch die Ustawa o zmianie ustawy o Sądzie Nawyższym (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht) vom 21. November 2018 (Dz. U. 2018, Pos. 2507) abgeschafft, die Anwendung des neuen Ruhestandsalters von 65 Jahren auf Richter beschränkt, die ihr Amt am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) nach dem 1. Januar 2019 angetreten hatten, und die Wiedereinstellung von Richtern bei diesem Gericht erlaubt, die ihr Amt vor diesem Datum angetreten hatten und gemäß den in der vorstehenden Randnummer genannten Bestimmungen in den Ruhestand versetzt worden waren.

 Ausgangsverfahren und ursprüngliches Vorabentscheidungsersuchen

33      Mit Entschließungen vom 24. und 28. August 2018 entschied die KRS, dem Präsidenten der Republik keine Vorschläge zur Ernennung von A. B. und C. D. zur Besetzung einer Richterstelle in der Strafkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und von E. F., G. H. und I. J. zur Besetzung von sieben Richterstellen in der Zivilkammer dieses Gerichts vorzulegen. Diese Entschließungen enthielten darüber hinaus Vorschläge für die Besetzung der betreffenden Stellen mit anderen Kandidaten.

34      A. B., C. D., E. F., G. H. und I. J. legten gegen diese Entschließungen beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) Rechtsbehelfe ein und beantragten vorsorglich die Aussetzung dieser Entschließungen. Mit Beschlüssen vom 25. und 27. September 2018 sowie vom 8. Oktober 2018 ordnete das angerufene Gericht die Aussetzung der Vollziehung dieser Entschließungen an.

35      In seiner Vorlageentscheidung führt der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) zunächst aus, dass Art. 44 Abs. 1b des KRS-Gesetzes im Unterschied zu den zuvor geltenden Bestimmungen vorsehe, dass in Individualverfahren, die eine Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beträfen, die in Art. 37 Abs. 1 dieses Gesetzes genannte Entschließung, wenn sie nicht von allen Teilnehmern des Auswahlverfahrens angefochten worden sei, hinsichtlich des Teils bestandskräftig werde, der die Entscheidung zur Vorlage eines Ernennungsvorschlags in Bezug auf die Teilnehmer, die keinen Rechtsbehelf eingelegt hätten, enthalte. Zu diesen Teilnehmern gehörten auch diejenigen, deren Ernennung vorgeschlagen werde und die daher kein Interesse daran hätten, gegen eine solche Entschließung vorzugehen, so dass der Teil der Entschließung, in dem Kandidaten zur Ernennung vorgeschlagen würden, de facto immer bestandskräftig werde.

36      Sodann vertritt das vorlegende Gericht die Auffassung, dass Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes die gerichtliche Funktion, die es in Bezug auf solche Entschließungen auszuüben habe, sehr allgemein und ohne Festlegung klarer Beurteilungskriterien definiere.

37      Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach Art. 44 Abs. 4 des KRS-Gesetzes im Fall der Aufhebung des Teils einer Entschließung der KRS, der sich auf die Nichtvorlage eines Vorschlags für die Ernennung eines Kandidaten zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beziehe, die eventuelle Zulassung der Bewerbung des Kandidaten um eine solche Richterstelle nur dann möglich sei, wenn zum Zeitpunkt der Aufhebung noch ein Verfahren vor der KRS laufe, andernfalls gelte diese Zulassung nur für die nächsten freien Richterstellen bei diesem Gericht. Alle Möglichkeiten einer erneuten Prüfung der Bewerbung auf die freie Stelle, auf die sich der Betroffene beworben habe, und einer etwaigen Vergabe dieser Stelle an ihn im Anschluss an seinen Rechtsbehelf seien somit in der Praxis ausgeschlossen.

38      Unter diesen Umständen entfalte der Rechtsbehelf, der den Kandidaten zur Verfügung stehe, deren Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) von der KRS nicht vorgeschlagen worden sei, keinerlei Wirkung. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wäre es für die Wirksamkeit eines solchen Rechtsbehelfs nämlich erstens erforderlich, dass der von einem solchen Kandidaten eingelegte Rechtsbehelf die Aussetzung der Entschließung der KRS zur Folge habe, so dass diese nicht bestandskräftig werden und nicht dem Präsidenten der Republik im Hinblick auf die Ernennung der vorgeschlagenen Kandidaten vorgelegt werden könne, solange der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) nicht über den Rechtsbehelf entschieden habe. Zweitens müsste die KRS, wenn dem Rechtsbehelf stattgegeben würde, verpflichtet sein, die Bewerbung des Rechtsbehelfsführers im Hinblick auf die etwaige Vergabe der betreffenden Stelle erneut zu prüfen.

39      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen hat das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der in den Rn. 35 bis 37 des vorliegenden Urteils genannten nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich insoweit, dass nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen und dafür, wie in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorgesehen, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, um den Einzelnen ihren Anspruch auf einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu gewährleisten. Ein solcher Schutz sei ein wesentliches Merkmal der in Art. 2 EUV festgelegten Rechtsstaatlichkeit und müsse unter Beachtung der sich aus Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ergebenden Bedingungen gewährleistet werden.

40      Der Zweck von Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes sei in Bezug auf die Bestandskraft der Entschließungen der KRS, mit denen eine Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgeschlagen werde, auch unter Berücksichtigung des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht zu beurteilen, dessen Art. 37 und 111 das Ruhestandsalter für Richter im aktiven Dienst am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) auf 65 Jahre herabgesetzt und die Möglichkeit, über dieses Alter hinaus im Amt zu bleiben, von der Genehmigung durch den Präsidenten der Republik abhängig gemacht hätten.

41      Überdies seien die nationalen Vorschriften über die gerichtlichen Rechtsbehelfe gegen die Entschließungen der KRS, mit denen Ernennungen auf andere Richterstellen als die am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgeschlagen würden, unverändert geblieben und sähen die in den Rn. 35 bis 37 des vorliegenden Urteils genannten Beschränkungen nicht vor. Somit bestehe zwischen den Kandidaten für die Ernennung zum Richter an diesem Gericht und den Kandidaten für die Ernennung zum Richter an einem anderen Gericht als diesem ein Unterschied beim Zugang zur gerichtlichen Kontrolle der Entschließungen der KRS, mit denen die Kandidaten von dieser Einrichtung nicht zur Ernennung vorgeschlagen würden. Ein solcher Unterschied könnte, wenn er nicht durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt sei, gegen das Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst und das Recht auf einen Rechtsbehelf zur Gewährleistung dieses Rechts verstoßen, die in den Art. 45 und 60 der Verfassung verankert seien.

42      Diese unterschiedliche Behandlung könne zudem umso weniger gerechtfertigt sein, als der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eine entscheidende Stellung einnehme, da er eine richterliche Oberaufsicht über alle Untergerichte ausübe, so dass der Ablauf des Verfahrens zur Auswahl der an diesem Gericht tätigen Richter ganz besonders eine echte und strenge Kontrolle durch das zuständige Gericht erfordere.

43      Insoweit sei die festgestellte Unwirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle für Verfahren zur Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in Anbetracht der neuen Zusammensetzung der KRS Anlass für zusätzliche Bedenken. Wie sich nämlich aus Art. 9a des KRS-Gesetzes ergebe, seien die 15 in der KRS tätigen Vertreter der Judikative nicht mehr wie zuvor von ihren Kollegen, sondern vom Sejm aus den Kandidaten ausgewählt worden, die von einer Gruppe aus mindestens 2 000 polnischen Bürgern oder aus 25 Richtern vorgeschlagen worden seien, was die Gefahr mit sich bringe, dass sich die Mitglieder der KRS den im Sejm vertretenen politischen Kräften unterordnen würden. Außerdem bestünden hinsichtlich der neuen Zusammensetzung der KRS mangels jeglicher diesbezüglicher Transparenz Zweifel daran, ob die oben genannten Voraussetzungen für die Einreichung von Bewerbungen um eine Stelle als Mitglied der KRS tatsächlich erfüllt worden seien.

44      Schließlich sei auch problematisch, dass unter den 15 Mitgliedern der KRS, die die Judikative verträten, 14 Richter der ordentlichen Gerichte und ein Richter der Verwaltungsgerichte seien, aber entgegen Art. 187 Nr. 2 der Verfassung kein einziger Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht). Gleiches gelte für den Umstand, dass unter diesen 14 Richtern der ordentlichen Gerichte auch die von der Exekutive ernannten Präsidenten und Vizepräsidenten der ordentlichen Gerichte seien, die an die Stelle von Personen träten, die von der Exekutive abberufen worden seien, was bedeuten könne, dass der Einfluss der Exekutive innerhalb der KRS auf diese Weise an Bedeutung gewonnen habe.

45      Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 2 EUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sowie Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip sowie das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz vorliegt, wenn der nationale Gesetzgeber in Individualverfahren betreffend die Ausübung des Richteramts am letztinstanzlichen Gericht eines Mitgliedstaats (dem Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht]) zwar ein Beschwerderecht vorsieht, die Entscheidung über die gemeinsame Prüfung und Bewertung aller Kandidaten für den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in dem Auswahlverfahren, das der Weiterleitung des Antrags auf Ernennung zum Richter an diesem Gericht vorangeht, aber bestandskräftig und wirksam wird, wenn sie nicht von allen Teilnehmern des Auswahlverfahrens angefochten wird, unter denen sich auch ein Kandidat befindet, der an der Anfechtung dieser Entscheidung nicht interessiert ist, weil der ihn betreffende Antrag auf Ernennung zum Richter weitergeleitet wurde, wobei dies zur Folge hat,

–        dass der Rechtsbehelf seine Wirksamkeit verliert und keine Möglichkeit der Durchführung einer wirklichen Kontrolle des Verlaufs des vorbezeichneten Auswahlverfahrens durch das zuständige Gericht gegeben ist und

–        in der Situation, dass dieses Verfahren auch diejenigen Richterstellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) umfasst, die bisher mit Richtern besetzt waren, die dem neuen niedrigeren Rentenalter unterworfen wurden, ohne dass allein der betreffende Richter darüber entscheiden konnte, ob er die Regelung zum niedrigeren Rentenalter in Anspruch nehmen möchte, im Hinblick auf den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern – wenn man annimmt, dass er dadurch verletzt wird – auch nicht ohne Einfluss auf den Umfang und das Ergebnis der gerichtlichen Kontrolle des angeführten Auswahlverfahrens bleibt?

2.      Sind Art. 2 EUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 und Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 und Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 sowie Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen,

–        dass ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, den Gleichbehandlungsgrundsatz und den Grundsatz des gleichen Zugangs zum öffentlichen Dienst – Ausübung des Richteramts am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) – vorliegt, wenn in Individualverfahren betreffend die Ausübung des Richteramts an diesem Gericht zwar das Recht auf Einlegung einer Beschwerde beim zuständigen Gericht vorgesehen ist, aber infolge der in der ersten Frage beschriebenen Regelungen zur Bestandskraft die Berufung ins Richteramt am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), die eine unbesetzte Richterstelle betrifft, ohne Durchführung einer Kontrolle des vorbezeichneten Auswahlverfahrens durch das zuständige Gericht – sofern eine solche Kontrolle beantragt wurde – erfolgen kann und diese fehlende Kontrollmöglichkeit das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und damit auch das Recht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst verletzt, was dem öffentlichen Interesse widerspricht, und

–        dass es gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts verstößt, wenn die Einrichtung des Mitgliedstaats, die über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wachen soll (die KRS), vor der das Verfahren betreffend die Ausübung des Richteramts am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) durchgeführt wird, so zusammengesetzt ist, dass die Vertreter der Judikative in dieser Einrichtung durch die Legislative gewählt werden?

 Verfahren vor dem Gerichtshof und ergänzendes Vorabentscheidungsersuchen

 Antrag auf beschleunigtes Verfahren und vorrangige Behandlung

46      In seiner Vorlageentscheidung hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Stützung seines Antrags hat das vorlegende Gericht geltend gemacht, dass ein solches Verfahren in Anbetracht der Bedeutung und der Art der Ausgangsrechtsstreitigkeiten und der Entscheidungen, die es in diesen Streitigkeiten zu treffen habe, gerechtfertigt sei.

47      Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung sieht vor, dass der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden kann, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

48      Insoweit ist daran zu erinnern, dass ein solches beschleunigtes Verfahren ein Verfahrensinstrument ist, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017, M. A. u. a., C‑661/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:1024, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 1. Oktober 2018, Miasto Łowicz und Prokuratura Okręgowa w Płocku, C‑558/18 und C‑563/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:923, Rn. 18).

49      Außerdem geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch hervor, dass das beschleunigte Verfahren keine Anwendung finden kann, wenn die Sensibilität und die Komplexität der durch einen Fall aufgeworfenen rechtlichen Fragen kaum mit der Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu vereinbaren sind, insbesondere, wenn es nicht angebracht erscheint, das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof zu verkürzen (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 31. Januar 2019 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, dem Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren nicht stattzugeben, da die Vorlageentscheidung keine hinreichenden Angaben enthält, um außergewöhnliche Umstände darzutun, die eine rasche Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen rechtfertigen könnten. Aus den Ausführungen in der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass es in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten um Rechtsbehelfe geht, die von Kandidaten für die Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gegen Entschließungen der KRS eingelegt wurden, mit denen diese nicht für eine solche Ernennung vorgeschlagen wurden, und dass das vorlegende Gericht außerdem die Aussetzung der Vollziehung dieser Entschließungen angeordnet hat.

51      Unter diesen Umständen ist auf der Grundlage dieser Angaben und Erläuterungen des vorlegenden Gerichts, das, wie sich aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils ergibt, ohne weitere Hinweise lediglich auf die Bedeutung und die Art der Ausgangsrechtsstreitigkeiten Bezug genommen hat, nicht ersichtlich, dass die vorliegende Rechtssache, die im Übrigen Fragen mit einem hohen Grad an Sensibilität und Komplexität aufwirft, so dringlich wäre, dass es gerechtfertigt wäre, ausnahmsweise von den allgemeinen Vorschriften für Vorlagen zur Vorabentscheidung abzuweichen.

52      In Beantwortung eines vom Gerichtshof an das vorlegende Gericht gerichteten Ersuchens um zusätzliche Informationen hat dieses mit Schreiben vom 14. Februar 2019 ausgeführt, dass der Präsident der Republik am 10. Oktober 2018 acht neue Richter zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ernannt habe, die von der KRS in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entschließungen vorgeschlagen worden seien, obwohl die Vollziehung dieser Entschließungen ausgesetzt worden sei. Diese acht neuen Richter seien jedoch nicht tatsächlich den Spruchkörpern der betreffenden Kammern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zugewiesen worden, da die Präsidenten dieser Kammern angesichts der Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ernennung der betreffenden Personen und aus Gründen der Rechtssicherheit deren Einstellung bis zum Erlass der Urteile des vorlegenden Gerichts in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten ausgesetzt hätten.

53      In Anbetracht dieser Klarstellungen hat der Präsident des Gerichtshofs am 26. Februar 2019 beschlossen, die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang zu entscheiden.

 Ergänzendes Vorabentscheidungsersuchen und Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens

54      Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens hat das vorlegende Gericht am 26. Juni 2019 eine Entscheidung erlassen, mit der es das Verfahren über einen Antrag des Prokurator Generalny (Generalstaatsanwalt, Polen) auf Feststellung der Erledigung der Ausgangsverfahren ausgesetzt hat, der zum einen auf das in Rn. 26 des vorliegenden Urteils erwähnte Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 und auf den in Rn. 28 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019 gestützt ist.

55      Zu der im Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 enthaltenen Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes führt das vorlegende Gericht zum einen aus, dass diese Feststellung nur für die Zukunft Wirkungen entfalte und das Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf, das Einzelne – wie in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten – vor dieser Feststellung und in Bezug auf vor dieser Feststellung liegende Sachverhalte ausgeübt hätten, nicht beeinträchtigen könne. Zum anderen ergebe sich aus diesem Urteil ausdrücklich, dass das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) nicht die Erforderlichkeit eines solchen Rechtsbehelfs an sich in Frage stelle, die sich ganz im Gegenteil aus der Verfassung und der eigenen Rechtsprechung ergebe, sondern nur die Bestimmung des für die Entscheidung über diesen Rechtsbehelf zuständigen Gerichts. Sei dies der Fall, müsse nach diesem Urteil somit im vorliegenden Fall zumindest ein anderes Gericht als das vorlegende Gericht zuständig bleiben.

56      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die neue Schwierigkeit, mit der es nunmehr konfrontiert sei, sich eher aus dem Gesetz vom 26. April 2019 ergebe, das zum einen Rechtsstreitigkeiten wie die der Ausgangsverfahren von Rechts wegen für erledigt erklärt habe und zum anderen für die Zukunft jede Möglichkeit ausgeschlossen habe, in Individualverfahren im Zusammenhang mit der Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) Rechtsbehelfe einzulegen anstatt die Prüfung einem anderen Gericht zu übertragen.

57      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnten die Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich die beiden dem Gerichtshof in seinem ursprünglichen Vorabentscheidungsersuchen vorgelegten Fragen bezögen, und die sich aus diesen Bestimmungen ergebende Notwendigkeit, zum einen das Bestehen des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und zum anderen die mit diesem Ersuchen eingeleitete Zusammenarbeit nicht zu neutralisieren, solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die auf diese Weise die fehlende Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit diesen unionsrechtlichen Bestimmungen verschärften.

58      Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) mit Entscheidung vom 26. Juni 2019 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof eine zusätzliche Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen (im Folgenden: dritte Frage), die lautet:

Sind Art. 2 EUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta, Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sowie Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip sowie das Recht auf Zugang zu einem Gericht und einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz vorliegt, wenn der nationale Gesetzgeber die entsprechenden Vorschriften über die Zuständigkeit des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) und über das Recht auf Einlegung einer Beschwerde gegen Entschließungen der KRS bei diesem Gericht aus der Rechtsordnung entfernt und zudem eine Regelung einführt, nach der die Verfahren betreffend die angeführten Beschwerden, die vor der Einführung der Änderungen (Derogation) eingeleitet und nicht beendet wurden, von Rechts wegen einzustellen sind, was zur Folge hat, dass

–        das Recht auf Zugang zu einem Gericht vereitelt wird, soweit dieses die Prüfung der angeführten Entschließungen der KRS und die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verlaufs der Auswahlverfahren umfasst, in deren Rahmen sie gefasst wurden,

–        und in der Situation, dass das nationale Gericht, das ursprünglich für die angeführten Streitigkeiten zuständig war, nach der wirksamen Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der betreffenden Entschließungen der KRS den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, das Recht auf Zugang zu einem Gericht auch insoweit vereitelt wird, als in dem vor dem (ursprünglich) zuständigen Gericht anhängigen Individualverfahren diesem Gericht die Möglichkeit genommen wird, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen und dessen Entscheidung abzuwarten, was den unionsrechtlichen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aushöhlt?

59      Dieses ergänzende Vorabentscheidungsersuchen ist den Beteiligten zugestellt und das schriftliche Verfahren wiedereröffnet worden, um es ihnen zu ermöglichen, zur dritten Frage Stellung zu nehmen.

 Anträge auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

60      Nach der Mitteilung des Datums der Verkündung des vorliegenden Urteils an das vorlegende Gericht und die Verfahrensbeteiligten haben der Generalstaatsanwalt und die polnische Regierung mit Schriftsätzen, die am 4. bzw. 15. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

61      Zur Begründung seines Antrags führt der Generalstaatsanwalt im Wesentlichen aus, dass er mit einigen Behauptungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts in Bezug auf die Notwendigkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Verfahren zur Ernennung von Richtern nicht einverstanden sei. Diese Behauptungen seien fragwürdig, ungenau und voll von Widersprüchen und beruhten zudem auf Erwägungen, die zwischen den Beteiligten nicht hinreichend erörtert worden seien. Die in diesen Schlussanträgen enthaltene Analyse weiche ferner in bestimmten Punkten von der Analyse in den Schlussanträgen des Generalanwalts Hogan in der Rechtssache Repubblika (C‑896/19, EU:C:2020:1055) ab. Schließlich habe der Generalanwalt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Island (CE:ECHR:2020:1201JUD002637418), erwähnt. Dabei handele es sich aber um eine neue Tatsache, die zwischen den Beteiligten nicht habe erörtert werden können.

62      Die polnische Regierung macht in ihrem Antrag geltend, dass auch sie mit den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht einverstanden sei, die eine zu weite Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zugrunde legten und zudem von der Auslegung in den Schlussanträgen des Generalanwalts Hogan in der Rechtssache Repubblika (C‑896/19, EU:C:2020:1055) und im Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 10. September 2020, Rat/Sharpston (C‑424/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:705), abwichen. Eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens ermöglichte es den Beteiligten auch, sich zu etwaigen Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Island (CE:ECHR:2020:1201JUD002637418), zu äußern.

63      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Der Gerichtshof kann jedoch gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

66      Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er am Ende des schriftlichen Verfahrens und der vor ihm abgehaltenen mündlichen Verhandlung über alle für die Urteilsfindung erforderlichen Informationen verfügt. Auch ist die vorliegende Rechtssache nicht auf der Grundlage eines zwischen den Beteiligten nicht erörterten Vorbringens zu entscheiden. Die Anträge auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens lassen überdies keine neuen Tatsachen erkennen, die geeignet wären, die Entscheidung des Gerichtshofs in dieser Rechtssache zu beeinflussen. Aus diesen Gründen ist das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

67      Nach Ansicht des Generalstaatsanwalts ist das Problem der gerichtlichen Überprüfung von Verfahren zur Ernennung von Richtern ein Bereich, der in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle. Daher gehöre dieser Bereich nicht zur Zuständigkeit des Gerichtshofs.

68      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben (Urteile vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich um nationale Vorschriften über die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten handelt, die für den Erlass von Entscheidungen über die Ernennung von Richtern maßgebend sind, und gegebenenfalls bei Vorschriften über die im Zusammenhang mit solchen Ernennungsverfahren anwendbare gerichtliche Kontrolle (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, im Folgenden: Urteil A. K. u. a., EU:C:2019:982, Rn. 134 bis 139 und 145).

69      Zum anderen betreffen diese Einwände des Generalstaatsanwalts im Wesentlichen die Tragweite der in Rn. 1 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen des Unionsrechts und damit ihre Auslegung. Eine solche Auslegung fällt jedoch offensichtlich in die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV (vgl. entsprechend Urteil A. K. u. a., Rn. 74).

70      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Gerichtshof für die Entscheidung über die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zuständig ist.

 Zur dritten Frage

71      Mit seiner dritten Frage, die als Erstes zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob zum einen Art. 2 EUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sowie zum anderen Art. 267 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie Änderungen der nationalen Rechtsordnung entgegenstehen, die erstens einem nationalen Gericht seine Zuständigkeit nehmen, in erster und letzter Instanz über Rechtsbehelfe zu entscheiden, die von Kandidaten für Richterämter an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gegen Entscheidungen einer Einrichtung wie der KRS, ihre Bewerbung nicht dem Präsidenten der Republik im Hinblick auf eine Ernennung in diese Ämter vorzulegen, sondern die anderer Kandidaten, die zweitens solche Rechtsbehelfe von Rechts wegen für erledigt erklären, wenn diese noch anhängig sind, und so ausschließen, dass diese weiter geprüft oder erneut eingelegt werden können, und die damit drittens einem solchen nationalen Gericht die Möglichkeit nehmen, eine Antwort auf Fragen zu erhalten, die es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Ist dies der Fall, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er es verpflichtet, die Änderungen unangewendet zu lassen und seine frühere Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rechtsstreitigkeiten, mit denen es vor diesen Änderungen befasst wurde, weiterhin wahrzunehmen.

 Zur Zulässigkeit der dritten Frage

72      Der Generalstaatsanwalt und die polnische Regierung halten erstens die dritte Frage für unzulässig, weil ihre Beantwortung nicht „zum Erlass [eines] Urteils“ im Sinne von Art. 267 AEUV „erforderlich“ sei, da keine Ausgangsrechtsstreitigkeiten fortbestünden, in denen das vorlegende Gericht zum Erlass eines solchen Urteils berufen wäre.

73      Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes, auf dem die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten bisher beruht habe, sei durch das Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 endgültig und allgemeinverbindlich aufgehoben worden. In diesem Urteil sei weiter entschieden worden, dass die auf der Grundlage dieser Bestimmung eingeleiteten Verfahren folglich einzustellen seien. In der Folge habe Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019 diese Verfahren von Rechts wegen für erledigt erklärt. Außerdem sei nach Art. 44 Abs. 1 des KRS-Gesetzes in der durch das Gesetz vom 26. April 2019 geänderten Fassung auch jede weitere Prüfung dieser Rechtsbehelfe durch ein anderes Gericht oder ihre erneute Einlegung ausgeschlossen.

74      Insoweit ist zum einen in Bezug auf diese in Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019 enthaltene Regelung darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits zu ähnlichen nationalen Bestimmungen entschieden hat, dass sie ihn ohne eine Entscheidung des Gerichts, das ihn im Wege der Vorabentscheidung angerufen hat, das Ausgangsverfahren einzustellen oder in der Hauptsache für erledigt zu erklären, grundsätzlich nicht zu dem Schluss veranlassen können, dass er nicht mehr über die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen entscheiden kann (Urteil A. K. u. a., Rn. 102).

75      Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sich der Gerichtshof so lange mit einem gemäß Art. 267 AEUV eingereichten Vorabentscheidungsersuchen für befasst hält, wie dieses nicht vom vorlegenden Gericht zurückgenommen worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 10).

76      Zum anderen ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht, das überdies beschlossen hat, das Verfahren über den Antrag auf Feststellung der Erledigung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten auszusetzen, mit der dritten Frage gerade wissen möchte, ob die sich aus dem Gesetz vom 26. April 2019 ergebenden normativen Änderungen mit dem Unionsrecht im Einklang stehen, und, falls nicht, ob das Unionsrecht es ihm erlaubt, diese Änderungen außer Acht zu lassen und folglich den Antrag auf Feststellung der Erledigung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten zurückzuweisen und deren Prüfung fortzusetzen.

77      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine Antwort auf die dritte Frage erforderlich ist, damit das vorlegende Gericht nach Maßgabe der sich aus dieser Antwort ergebenden Erkenntnisse Entscheidungen treffen kann, von denen der Ausgang der Ausgangsrechtsstreitigkeiten abhängt. Die Einwände des Generalstaatsanwalts und der polnischen Regierung sind daher zurückzuweisen.

78      Die polnische Regierung macht zweitens geltend, dass die dritte Frage unzulässig sei, weil die fehlende Zuständigkeit der Union für Verfahren zur Ernennung von Richtern in den Mitgliedstaaten es verbiete, das Unionsrecht dahin auszulegen, dass es die Mitgliedstaaten verpflichte, den Kandidaten für ein Richteramt ein Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung, sie nicht zu ernennen, einzuräumen, zumal das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Rechts die Unabhängigkeit der am Ende des betreffenden Ernennungsverfahrens tatsächlich ernannten Richter nicht berühre. Ein Urteil wie das, um das der Gerichtshof im vorliegenden Fall ersucht werde, hätte normative und keine auslegende Wirkung, da es dem vorlegenden Gericht ermöglichte, über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten zu entscheiden, obwohl es keine allgemein anwendbaren Rechtsvorschriften gebe, die ihm dafür eine Zuständigkeit verliehen. Eine solche Folge verstieße gegen Art. 4 Abs. 2 EUV, wonach die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in ihren verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck komme, zu achten habe, und untergrübe die Unabhängigkeit des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof), das die Bestimmung, auf die sich die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts gestützt habe, für verfassungswidrig erklärt habe.

79      Insoweit ist zum einen in Rn. 68 des vorliegenden Urteils bereits darauf hingewiesen worden, dass die Mitgliedstaaten bei Ausübung ihrer Befugnisse, insbesondere der Befugnis zum Erlass nationaler Vorschriften über das Verfahren zur Ernennung von Richtern, die Verpflichtungen zu beachten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.

80      Zum anderen ist festzustellen, dass dieses Vorbringen der polnischen Regierung im Wesentlichen die Tragweite und damit die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich die dritte Frage bezieht, sowie die Wirkungen betrifft, die sich aus diesen Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts ergeben können. Solche Argumente, die die inhaltliche Prüfung der vorgelegten Frage betreffen, können daher ihrem Wesen nach nicht zu einer Unzulässigkeit dieser Frage führen.

81      Außerdem wäre ein Urteil, mit dem der Gerichtshof eine unionsrechtliche Verpflichtung des vorlegenden Gerichts, die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen und seine bisherige Zuständigkeit weiterhin wahrzunehmen, bejahen würde, für dieses Gericht verbindlich, ohne dass innerstaatliche Bestimmungen, auch wenn sie Verfassungsrang haben, dem entgegenstehen könnten (vgl. entsprechend Urteil A. K. u. a., Rn. 112).

82      Drittens ist der Generalstaatsanwalt der Ansicht, das vorlegende Gericht habe entgegen den Anforderungen aus Art. 94 der Verfahrensordnung nicht angegeben, welchen Zusammenhang es herstelle zwischen dem auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren nationalen Recht und den Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersuche. Insbesondere prüfe dieses Gericht nicht, ob und wie die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, eine gerichtliche Überprüfung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ernennungsvorschläge sicherzustellen, eingeführt werden könne. Die einzige Möglichkeit, Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019 aufzuheben, gehe insoweit ins Leere, da auch in diesem Fall jede Möglichkeit für das vorlegende Gericht, die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten in der Sache zu entscheiden, durch die Wirkung des Urteils des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 ausgeschlossen bleibe.

83      Insoweit ist jedoch unter Hinweis auf die Ausführungen in Rn. 81 des vorliegenden Urteils festzustellen, dass sich aus den in den Rn. 26 bis 28 und 54 bis 57 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkten ergibt, dass das ergänzende Vorabentscheidungsersuchen alle Angaben enthält, die erforderlich sind, um dem Gerichtshof eine Entscheidung über die dritte Frage zu ermöglichen, insbesondere diejenigen, die sich auf das Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 beziehen.

84      Nach alledem ist die dritte Frage zulässig.

 Zur Beantwortung der Frage

–       Zur Richtlinie 2000/78 und zu Art. 47 der Charta

85      Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie 2000/78, insbesondere ihr Art. 9 Abs. 1, wie die KRS, der Generalstaatsanwalt, die polnische Regierung und die Europäische Kommission geltend gemacht haben, nicht auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbar ist.

86      Wie nämlich aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie hervorgeht, betrifft sie nur Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf. Den Ausführungen in der Vorlageentscheidung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Ausgangsrechtsstreitigkeiten eine auf einen dieser Gründe gestützte Ungleichbehandlung betreffen. Die einzige vom vorlegenden Gericht angeführte unterschiedliche Behandlung, deren sich die Rechtsbehelfsführer des Ausgangsverfahrens ausgesetzt sehen könnten, betrifft den Umstand, dass die Vorschriften für die gerichtliche Anfechtung von Entschließungen der KRS, mit denen dem Präsidenten der Republik ein Kandidat für die Ernennung zum Richter vorgeschlagen wird, unterschiedlich sind, je nachdem, ob diese Entschließungen eine Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) oder eine Ernennung zum Richter an einem anderen Gericht betreffen.

87      Außerdem ist in Bezug auf Art. 47 der Charta darauf hinzuweisen, dass nach dieser Bestimmung, die eine Bekräftigung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes darstellt, jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Somit setzt die Anerkennung dieses Rechts in einem bestimmten Einzelfall nach Art. 47 Abs. 1 der Charta voraus, dass sich die Person, die es geltend macht, auf durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten beruft (Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat [Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen], C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 55).

89      Aus den Angaben in der Vorlageentscheidung geht jedoch nicht hervor, dass Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten die Anerkennung eines Rechts ist, das den Rechtsbehelfsführern des Ausgangsverfahrens gemäß einer Bestimmung des Unionsrechts zusteht. Insbesondere sind, wie in den Rn. 85 und 86 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten nicht anwendbar und können somit auch nicht die Anwendbarkeit der Charta, insbesondere ihres Art. 47, im Rahmen dieser Rechtsstreitigkeiten rechtfertigen.

–       Zu Art. 267 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV

90      Zu Art. 267 AEUV ist darauf hinzuweisen, dass das Schlüsselelement des von den Verträgen geschaffenen Gerichtssystems in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren besteht, das durch die Einführung eines Dialogs von Gericht zu Gericht zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Gutachten 2/13 vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 176 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 41).

91      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verleiht Art. 267 AEUV den nationalen Gerichten insoweit eine unbeschränkte Befugnis zur Vorlage an den Gerichtshof, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit unionsrechtlicher Bestimmungen aufwirft, deren Beantwortung für die Entscheidung des ihnen unterbreiteten Rechtsstreits erforderlich ist (Urteile vom 5. Oktober 2010, Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 26, und vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92      Zudem wird bei einem Gericht wie dem vorlegenden Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, aus dieser Befugnis, vorbehaltlich der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Ausnahmen, eine Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege der Vorabentscheidung (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. April 2016, PFE, C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil A. K. u. a., Rn. 103).

93      Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Vorschrift des nationalen Rechts ein nationales Gericht nicht daran hindern, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen oder dieser Pflicht nachzukommen, denn diese sind dem durch Art. 267 AEUV geschaffenen System der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof und den durch diese Bestimmung den nationalen Gerichten zugewiesenen Aufgaben des zur Anwendung des Unionsrechts berufenen Richters inhärent (vgl. in diesem Sinne Urteil A. K. u. a., Rn. 103 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso muss es einem nationalen Gericht, um die Wirksamkeit dieser Befugnis und dieser Pflicht zu gewährleisten, möglich sein, ein Vorabentscheidungsersuchen nach seiner Vorlage aufrechtzuerhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 58).

94      Außerdem beschneidet eine nationale Vorschrift, die insbesondere die Gefahr birgt, dass ein nationaler Richter lieber darauf verzichtet, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, um zu vermeiden, dass ihm die Zuständigkeit entzogen wird, die den nationalen Gerichten nach Art. 267 AEUV zuerkannten Befugnisse und hemmt als Folge die Effizienz der durch das Vorabentscheidungsverfahren eingerichteten Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2016, Ognyanov, C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 25).

95      Folglich steht es einem Mitgliedstaat zwar grundsätzlich frei, z. B. seine innerstaatlichen Vorschriften über die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten mit der möglichen Folge zu ändern, dass die gesetzliche Grundlage entfällt, auf der die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts beruhte, das den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, oder materiell-rechtliche Vorschriften zu erlassen, die als Nebeneffekt zum Verlust des Streitgegenstands der Rechtssache führen, in der ein solches Ersuchen ergangen ist. Ein Mitgliedstaat kann jedoch nicht ohne Verstoß gegen Art. 267 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV Änderungen an seinen nationalen Rechtsvorschriften vornehmen, deren spezifische Wirkung es ist, zu verhindern, dass an den Gerichtshof gerichtete Vorabentscheidungsersuchen nach ihrer Einreichung aufrechterhalten werden können, und den Gerichtshof auf diese Weise daran zu hindern, über sie zu entscheiden, sowie jede Möglichkeit auszuschließen, dass ein nationales Gericht in Zukunft ähnliche Ersuchen erneut einreicht.

96      Letztlich ist es Sache des vorlegenden Gerichts, darüber zu entscheiden, ob dies vorliegend der Fall ist. Art. 267 AEUV gibt dem Gerichtshof nämlich nicht die Befugnis, die Vorschriften des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, sondern nur die, sich zur Auslegung der Verträge und der Handlungen der Unionsorgane zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof aber das Unionsrecht im Rahmen der durch diesen Artikel begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem nationalen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte (Urteile vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C‑83/14, EU:C:2015:480, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung, und A. K. u. a., Rn. 132).

97      Insoweit ergibt sich erstens aus der Vorlageentscheidung, dass Art. 3 des Gesetzes vom 26. April 2019, der Rechtsbehelfe wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden für erledigt erklärt, und Art. 44 Abs. 1 des KRS-Gesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 26. April 2019, wonach solche Rechtsbehelfe in Zukunft nicht mehr eingelegt werden können, geeignet erscheinen, das vorlegende Gericht daran zu hindern, ein dem Gerichtshof vorgelegtes Vorabentscheidungsersuchen nach dessen Einreichung aufrechtzuerhalten und den Gerichtshof auf diese Weise daran zu hindern, über dieses Ersuchen zu entscheiden, sowie einem nationalen Gericht jede Möglichkeit zu nehmen, in Zukunft ähnliche Fragen wie die in diesem Ersuchen aufgeworfenen erneut vorzulegen.

98      Was zweitens den Kontext betrifft, in dem diese nationalen Bestimmungen erlassen wurden, ist auf verschiedene Umstände hinzuweisen, die sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergeben.

99      Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass der polnische Gesetzgeber in letzter Zeit bereits eine gesetzgeberische Maßnahme erlassen hatte, mit der andere bei einem nationalen Gericht anhängige Rechtsstreitigkeiten für erledigt erklärt wurden, die ebenfalls die Vereinbarkeit von Gesetzesreformen mit Auswirkungen auf das polnische Justizsystem mit den Bestimmungen des Unionsrechts über die richterliche Unabhängigkeit betrafen, obwohl der Gerichtshof auch in diesen Rechtsstreitigkeiten mit Vorlagefragen zu einer solchen Vereinbarkeit befasst war (vgl. insoweit Urteil A. K. u. a., Rn. 90 und 102 bis 104).

100    Als Zweites ist zu beachten, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen hervorgeht, dass die polnischen Behörden in letzter Zeit vermehrt Initiativen ergriffen haben, die darauf abzielen, Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zur Frage der Unabhängigkeit der Gerichte in Polen zu unterbinden oder die Entscheidungen der polnischen Gerichte, die solche Ersuchen eingereicht haben, in Frage zu stellen.

101    Die polnischen Gerichte, die dem Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen vorgelegt haben, in denen das Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234), ergangen ist, haben vor dem Gerichtshof darauf hingewiesen, dass gegen die beiden Richter, die diese Vorabentscheidungsersuchen eingereicht hätten, Vorermittlungen vor der etwaigen Einleitung eines Disziplinarverfahrens u. a. wegen einer möglichen Überschreitung der richterlichen Entscheidungsbefugnisse durch die Vorlage dieser Vorabentscheidungsersuchen durchgeführt worden seien (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 20 und 21).

102    Außerdem hat der Rzecznik Praw Obywatelskich (Bürgerbeauftragter, Polen) im Rahmen der vorliegenden Rechtssache darauf verwiesen, dass der Generalstaatsanwalt, der auch die Funktion des Justizministers ausübe, am 5. Oktober 2018 beim Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) eine Klage auf Feststellung der Unvereinbarkeit von Art. 267 AEUV mit der Verfassung erhoben habe, soweit diese Bestimmung es den polnischen Gerichten erlaube, dem Gerichtshof Fragen zum Aufbau und zur Organisation der Justiz sowie zum Ablauf der Verfahren vor den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorzulegen.

103    Was als Drittes das Vorbringen der polnischen Regierung betrifft, der Erlass des Gesetzes vom 26. April 2019 sei lediglich die Folge des Urteils des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 gewesen, mit dem dieses Gericht Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt habe, auf dem die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts zur Entscheidung über Rechtsbehelfe wie die des Ausgangsverfahrens beruhe, ergibt sich jedoch aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts, dessen Sache es ist, das nationale Recht im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens auszulegen, dass das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) in dem genannten Urteil festgestellt habe, dass die sich aus den Art. 45 und 60 der Verfassung und seiner einschlägigen Rechtsprechung ergebende Notwendigkeit, eine gerichtliche Überprüfung von Verfahren zur Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorzusehen, unberührt bleibe.

104    Aus der Vorlageentscheidung geht auch hervor, dass der polnische Gesetzgeber, indem er es entgegen diesen Erkenntnissen aus dem Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) vom 25. März 2019 ausgeschlossen hat, dass Einzelne, die Rechtsbehelfe wie die im Ausgangsverfahren anhängigen einlegen, diese Rechtsbehelfe von einem Gericht entscheiden lassen können, dem diese Rechtsbehelfe hätten zugewiesen werden können oder bei dem sie sie erneut hätten einlegen können, insbesondere jede gegenwärtige oder künftige Möglichkeit für den Gerichtshof, Fragen wie die ihm in der vorliegenden Rechtssache vorgelegten zu prüfen, endgültig beseitigt hat.

105    Als Viertes ist festzustellen, dass, wie auch das vorlegende Gericht hervorhebt, die mit dem Gesetz vom 26. April 2019 erfolgte Abschaffung jeder Möglichkeit der gerichtlichen Anfechtung von Entschließungen der KRS, mit denen dem Präsidenten der Republik Kandidaten für die Ernennung auf Richterstellen unterbreitet werden, nur die Entschließungen der KRS zu Richterstellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) betrifft, d. h. genau solche Entschließungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die den Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) veranlasst haben, den Gerichtshof mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zu befassen. Die Entschließungen der KRS, mit denen Ernennungen auf alle anderen Richterstellen in Polen vorgeschlagen werden, unterliegen nämlich weiterhin einer gerichtlichen Kontrolle.

106    Die in den Rn. 99 bis 105 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte und Erwägungen können sich als Indizien erweisen, die durch ihre Übereinstimmung und damit ihren systematischen Charakter geeignet erscheinen, den Kontext zu erhellen, in dem der polnische Gesetzgeber das Gesetz vom 26. April 2019 erlassen hat. Da, wie in Rn. 96 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die endgültige Beurteilung des Sachverhalts im Rahmen des Dialogs in Vorabentscheidungsverfahren allein dem vorlegenden Gericht obliegt, ist es Sache dieses Gerichts, abschließend zu beurteilen, ob diese Gesichtspunkte und alle anderen maßgeblichen Umstände, von denen es in diesem Zusammenhang gegebenenfalls Kenntnis erlangt, die Annahme zulassen, dass der Erlass dieses Gesetzes die spezifische Wirkung hatte, das vorlegende Gericht daran zu hindern, Vorabentscheidungsersuchen wie dasjenige, das dem Gerichtshof im vorliegenden Fall ursprünglich vorgelegt wurde, nach ihrer Vorlage aufrechtzuerhalten, und den Gerichtshof auf diese Weise daran zu hindern, über solche Ersuchen zu entscheiden, sowie jede Möglichkeit auszuschließen, dass ein nationales Gericht in Zukunft erneut Fragen zur Vorabentscheidung vorlegt, die denen des ursprünglichen Vorabentscheidungsersuchens in der vorliegenden Rechtssache ähneln.

107    Sollte das vorlegende Gericht zu einem solchen Ergebnis kommen, wäre sodann festzustellen, dass solche Rechtsvorschriften nicht nur die den nationalen Gerichten nach Art. 267 AEUV zuerkannten Befugnisse beschneiden und die Effizienz der durch das Vorabentscheidungsverfahren eingerichteten Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten hemmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2016, Ognyanov, C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 25), sondern allgemeiner auch die dem Gerichtshof nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV übertragene Aufgabe beeinträchtigen, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern, und gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV verstoßen.

–       Zu Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV

108    Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, überträgt den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109    Insoweit ist es, wie in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorgesehen, Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

110    Nach ständiger Rechtsprechung ist der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

111    Zum sachlichen Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).

112    Somit hat jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV u. a. dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind und die somit möglicherweise in dieser Eigenschaft über die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

113    In Bezug auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht mit Rechtsbehelfen befasst ist, mit denen Kandidaten für Richterstellen in den Kammern für Zivil- und Strafsachen des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) Entschließungen anfechten, mit denen die KRS ihre Bewerbung nicht berücksichtigt und dem Präsidenten der Republik andere Kandidaten zur Besetzung dieser Stellen vorgeschlagen hat.

114    Insoweit ist erstens unstreitig, dass der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und insbesondere dessen Zivil- und Strafkammern zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts angerufen werden können und dass sie als „Gericht“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil des polnischen Rechtsbehelfssystems in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sind, so dass sie den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden müssen (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

115    Zweitens ist es, um zu gewährleisten, dass solche Einrichtungen in der Lage sind, den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtungen gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

116    Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, gehört dieses Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

117    Nach ständiger Rechtsprechung setzen die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil A. K. u. a., Rn. 123 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteil A. K. u. a., Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).

119    Dafür sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die in Rn. 117 des vorliegenden Urteils angeführten Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen auszuschließen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten (Urteil A. K. u. a., Rn. 125 und die dort angeführte Rechtsprechung).

120    Drittens wird mit den in der vorliegenden Rechtssache vorgelegten Fragen zur Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV im Wesentlichen um Klärung ersucht, ob sich aus dieser Bestimmung das Erfordernis ergeben kann, im besonderen Kontext des Verfahrens zur Ernennung der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eine gerichtliche Kontrolle von Entschließungen der KRS wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden aufrechtzuerhalten, und unter welchen Voraussetzungen eine solche Kontrolle in diesem Fall auszuüben wäre.

121    Wie in Rn. 117 des vorliegenden Urteils ausgeführt, setzen die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit insbesondere voraus, dass es Regeln für die Ernennung von Richtern gibt.

122    Zu den Bedingungen, unter denen die Entscheidungen über die Ernennung der Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ergehen, hat der Gerichtshof bereits klarstellen können, dass der bloße Umstand, dass die betreffenden Richter vom Präsidenten der Republik ernannt werden, keine Abhängigkeit dieser Richter von ihm schaffen oder Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen lassen kann, wenn sie nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen (Urteil A. K. u. a., Rn. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung).

123    Der Gerichtshof hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass sicherzustellen ist, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen, und dass dafür die genannten Voraussetzungen und Modalitäten u. a. so ausgestaltet sein müssen, dass sie den in Rn. 119 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen genügen (Urteil A. K. u. a., Rn. 134 und 135 und die dort angeführte Rechtsprechung).

124    Unter Hinweis darauf, dass die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gemäß Art. 179 der Verfassung vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS ernannt werden, die gemäß Art. 186 der Verfassung die Aufgabe hat, über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter zu wachen, hat der Gerichtshof in Rn. 137 des Urteils A. K. u. a. festgestellt, dass die Einschaltung einer solchen Einrichtung im Verfahren zur Ernennung von Richtern zwar grundsätzlich zur Objektivierung dieses Verfahrens beitragen kann, indem es den Handlungsspielraum des Präsidenten der Republik bei der Ausübung der ihm auf diese Weise übertragenen Befugnisse einschränkt.

125    In Rn. 138 des angeführten Urteils hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass dies u. a. nur insoweit gilt, als diese Einrichtung selbst von der Legislative und der Exekutive sowie dem Organ, dem es einen solchen Ernennungsvorschlag übermitteln soll, hinreichend unabhängig ist.

126    Insoweit ist festzustellen, dass, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, nach Art. 179 der Verfassung die Handlung, mit der die KRS einen Kandidaten für die Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorschlägt, eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass dieser Kandidat vom Präsidenten der Republik in ein solches Amt ernannt werden kann. Die Rolle der KRS in diesem Ernennungsverfahren ist daher maßgeblich.

127    In einem solchen Kontext kann der Grad der Unabhängigkeit von der polnischen Legislative und Exekutive, über den die KRS bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben verfügt, von Bedeutung sein, wenn es um die Beurteilung geht, ob die von ihr ausgewählten Richter die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfüllen können (vgl. in diesem Sinne Urteil A. K. u. a., Rn. 139).

128    Der Gerichtshof hat in Rn. 145 des Urteils A. K. u. a. außerdem festgestellt, dass es für die Zwecke dieser Beurteilung und in Anbetracht der Tatsache, dass die Entscheidungen des Präsidenten der Republik über die Ernennung von Richtern am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) nicht justiziabel sind, auch von Bedeutung sein könnte, wie die Tragweite des Rechtsbehelfs gegen eine Entschließung der KRS definiert ist, in der deren Entscheidungen über die Vorlage eines Vorschlags für die Ernennung zum Richter an diesem Gericht enthalten sind, und insbesondere die Frage, ob ein solcher Rechtsbehelf eine effektive gerichtliche Kontrolle solcher Entschließungen sicherstellen kann, die sich zumindest auf die Prüfung erstreckt, ob sie frei von Befugnisüberschreitung, Ermessensmissbrauch, Rechtsfehlern oder offensichtlichen Beurteilungsfehlern sind.

129    Auch wenn sich somit das etwaige Fehlen der Möglichkeit, im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Ernennung von Richtern eines nationalen obersten Gerichts einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, in bestimmten Fällen als unproblematisch im Hinblick auf die sich aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergebenden Anforderungen erweisen kann, verhält es sich dann anders, wenn alle maßgeblichen Umstände, die ein solches Verfahren in einem gegebenen nationalen rechtlichen und tatsächlichen Kontext kennzeichnen, und insbesondere die Bedingungen, unter denen die bis dahin bestehenden Möglichkeiten der gerichtlichen Anfechtung plötzlich beseitigt werden, bei den Rechtsunterworfenen systemische Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der am Ende dieses Verfahrens ernannten Richter wecken können.

130    Wie sich aus dem Urteil A. K. u. a. ergibt, kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn sich auf der Grundlage von Beurteilungskriterien wie denen, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht und die in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführt sind, herausstellt, dass die Unabhängigkeit einer Einrichtung wie der KRS von der Legislative und der Exekutive zweifelhaft ist.

131    In den Rn. 143 und 144 des Urteils A. K. u. a. hat der Gerichtshof als relevante Faktoren, die für die Beurteilung der Unabhängigkeit, über die eine Einrichtung wie die KRS verfügen muss, zu berücksichtigen sind, benannt: erstens den Umstand, dass gleichzeitig mit der Einrichtung der neu zusammengesetzten KRS eine Verkürzung der laufenden vierjährigen Amtszeit der früheren Mitglieder der KRS erfolgte, zweitens den Umstand, dass die 15 Mitglieder der KRS, die aus der Mitte der Richter gewählt werden, zuvor von der Richterschaft gewählt wurden, nun aber von einem Teil der polnischen Legislative, drittens den Umstand, dass es eventuell Unregelmäßigkeiten bei der Ernennung einiger Mitglieder der KRS in ihrer neuen Zusammensetzung gegeben haben könnte, und viertens die Art und Weise, in der die KRS ihren verfassungsmäßigen Auftrag, über die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter zu wachen, erfüllt und ihre verschiedenen Befugnisse wahrnimmt. In einem solchen Zusammenhang kann für diese Beurteilung auch das etwaige Bestehen privilegierter Beziehungen zwischen den Mitgliedern der auf die genannte Weise gebildeten KRS und der polnischen Exekutive berücksichtigt werden, wie sie vom vorlegenden Gericht angedeutet und in Rn. 44 des vorliegenden Urteils erwähnt worden sind.

132    Im vorliegenden Fall sind darüber hinaus noch weitere relevante Begleitumstände zu berücksichtigen, die ebenfalls dazu beitragen können, Zweifel an der Unabhängigkeit der KRS und ihrer Rolle in Ernennungsverfahren wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden und folglich an der Unabhängigkeit der am Ende eines solchen Verfahrens ernannten Richter zu wecken.

133    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Gesetzesreform, die zur Einrichtung der KRS in ihrer neuen Zusammensetzung geführt hat, zeitgleich mit der höchst umstrittenen Verabschiedung der Art. 37 und 111 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht erfolgt ist, auf die das vorlegende Gericht Bezug genommen hat und mit denen das Ruhestandsalter für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) für die sich im Amt befindlichen Richter dieses Gerichts herabgesetzt wurde und außerdem dem Präsidenten der Republik die Befugnis verliehen wurde, den aktiven Dienst dieser Richter über das neu festgelegte Ruhestandsalter hinaus nach freiem Ermessen zu verlängern.

134    Somit ist es unstreitig, dass die Einrichtung der KRS in ihrer neuen Zusammensetzung in einem Kontext stattfand, in dem erwartet wurde, dass in Kürze zahlreiche Stellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zu besetzen sein würden, insbesondere infolge der Pensionierung der Richter dieses Gerichts, die die neu festgelegte Altersgrenze von 65 Jahren erreicht hatten.

135    In seinem Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531), hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Republik Polen durch den Erlass der in Rn. 133 des vorliegenden Urteils genannten Maßnahmen die Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beeinträchtigt und gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen hat.

136    Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die KRS keine hinreichenden Garantien für ihre Unabhängigkeit bietet, erwiese sich ein den erfolglosen Kandidaten offenstehender gerichtlicher Rechtsbehelf, auch wenn er sich auf die in Rn. 128 des vorliegenden Urteils angeführten Aspekte beschränken würde, als erforderlich, um dazu beizutragen, das Verfahren zur Ernennung der betreffenden Richter vor unmittelbarer oder mittelbarer Einflussnahme zu schützen, und um letztlich zu verhindern, dass bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der am Ende dieses Verfahrens ernannten Richter entstehen können.

137    Mit den Bestimmungen des Gesetzes vom 26. April 2019 wurden zum einen anhängige Rechtsstreitigkeiten wie die des Ausgangsverfahrens für erledigt erklärt, in denen Kandidaten für Richterämter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) auf der Grundlage des damals geltenden Rechts gegen Entschließungen vorgingen, mit denen die KRS entschieden hatte, sie nicht zur Ernennung in diese Ämter vorzuschlagen, sondern andere Kandidaten zu präsentieren, und zum anderen jede Möglichkeit beseitigt, Rechtsbehelfe solcher Art in Zukunft einzulegen.

138    Solche Gesetzesänderungen können, insbesondere, wenn sie zusammen mit allen in den Rn. 99 bis 105 und 130 bis 135 des vorliegenden Urteils genannten Begleitumständen betrachtet werden, nahelegen, dass die polnische Legislative im vorliegenden Fall im spezifischen Bestreben gehandelt hat, jede Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Ernennungen, die auf der Grundlage der Entschließungen der KRS vorgenommen wurden, zu verhindern, wie im Übrigen auch aller anderen Ernennungen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) seit der Einrichtung der KRS in ihrer neuen Zusammensetzung.

139    In Anbetracht der Ausführungen in Rn. 96 des vorliegenden Urteils ist es Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der sich aus diesem Urteil ergebenden Erkenntnisse und aller anderen ihm zur Kenntnis gelangenden relevanten Umstände, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der vor ihm zur Rechtfertigung der betreffenden Maßnahmen geltend gemachten besonderen Gründe oder Ziele, abschließend zu beurteilen, ob der Umstand, dass durch das Gesetz vom 26. April 2019 Rechtsbehelfe wie die des Ausgangsverfahrens für erledigt erklärt wurden und zugleich jede Möglichkeit beseitigt wurde, solche Rechtsbehelfe in Zukunft einzulegen, geeignet ist, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entschließungen der KRS ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die polnische Legislative und Exekutive, aufkommen zu lassen und dazu zu führen, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

–       Zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts

140    Kommt das vorlegende Gericht am Ende der Prüfung, die es im Licht der in den Rn. 90 bis 107 des vorliegenden Urteils angestellten Erwägungen vorzunehmen hat, zu dem Ergebnis, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen des Gesetzes vom 26. April 2019 unter Verstoß gegen Art. 267 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV erlassen wurden, wird es diese nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen haben.

141    Nach ständiger Rechtsprechung muss eine Bestimmung des nationalen Rechts, die der Durchführung des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens entgegensteht, unangewendet bleiben, ohne dass das betreffende Gericht die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck, C‑312/93, EU:C:1995:437, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 5. Oktober 2010, Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Gleiche muss für eine Änderung des nationalen Rechts gelten, deren spezifische Wirkung es ist, den Gerichtshof daran zu hindern, über ihm vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen zu entscheiden, und jede Möglichkeit auszuschließen, dass ein nationales Gericht in Zukunft ähnliche Ersuchen erneut einreicht. Wie in Rn. 95 des vorliegenden Urteils ausgeführt, verstößt eine solche Vorschrift nämlich in ähnlicher Weise gegen Art. 267 AEUV.

142    Stellt das vorlegende Gericht am Ende der Prüfung, die es im Licht der in den Rn. 108 bis 139 des vorliegenden Urteils angestellten Erwägungen vorzunehmen hat, fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen des Gesetzes vom 26. April 2019 gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen, wird es auch diese nationalen Bestimmungen aus diesem Grund unangewendet zu lassen haben.

143    Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verpflichtet nämlich alle Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen ein wirksamer Rechtsschutz insbesondere im Sinne von Art. 47 der Charta gewährleistet ist (Urteil A. K. u. a., Rn. 168 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass Art. 47 der Charta bei der Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gebührend zu berücksichtigen ist (Beschluss vom 6. Oktober 2020, Prokuratura Rejonowa w Słubicach, C‑623/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:800, Rn. 28).

144    Wie bereits in Rn. 115 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bestimmt Art. 47 Abs. 2 der Charta ausdrücklich, dass zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört.

145    Indem der Gerichtshof in diesem Zusammenhang entschieden hat, dass Art. 47 der Charta aus sich heraus Wirkung entfaltet und nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden muss, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann (Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 78, und vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 56), insbesondere insofern, als Art. 47 der Charta verlangt, dass die zur Entscheidung über einen auf das Unionsrecht gestützten Rechtsbehelf berufene Stelle die in dieser Bestimmung aufgestellte Anforderung an die Unabhängigkeit erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil A. K. u. a., Rn. 166), hat er insbesondere anerkannt, dass diese Anforderung die für ihre unmittelbare Wirkung erforderliche Klarheit, Genauigkeit und Unbedingtheit aufweist.

146    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV den Mitgliedstaaten eine klare und präzise Ergebnispflicht auferlegt, die in Bezug auf die Unabhängigkeit, die die zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts berufenen Gerichte aufweisen müssen, unbedingt ist.

147    Was schließlich im Kontext der Ausgangsrechtsstreitigkeiten die Folgen betrifft, die sich aus der vom Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) in seinem Urteil vom 25. März 2019 ausgesprochenen Erklärung der Verfassungswidrigkeit von Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes ergeben, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass, wie in den Rn. 103 und 104 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dieses Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) die von diesem Gericht in seiner früheren Rechtsprechung bekräftigte Notwendigkeit einer gerichtlichen Kontrolle des Verfahrens zur Ernennung zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und insbesondere der im Rahmen eines solchen Verfahrens gefassten Entschließungen der KRS nicht in Frage gestellt hat.

148    Zum anderen ist jedenfalls festzustellen, dass die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts für alle Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich sind, ohne dass dem insbesondere die innerstaatlichen Bestimmungen über die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten, auch wenn sie Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten. Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich nicht zugelassen werden, dass Vorschriften des nationalen Rechts, auch wenn sie Verfassungsrang haben, die einheitliche Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen (Urteile vom 15. Januar 2013, Križan u. a., C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

149    Unter diesen Umständen und insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass der nationale Gesetzgeber kein anderes Gericht als das vorlegende Gericht bestimmt hat, das den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit genügt und nach Eingang einer Antwort des Gerichtshofs auf die ihm vom vorlegenden Gericht in seinem ursprünglichen Vorabentscheidungsersuchen vorgelegten Fragen zur Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten berufen wäre, kann dieses Gericht die sich möglicherweise aus dem Erlass des Gesetzes vom 26. April 2019 ergebenden Verstöße gegen Art. 267 AEUV und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV im vorliegenden Fall nur damit wirksam beheben, dass es die gerichtliche Zuständigkeit, mit der es dieses Ersuchen nach den bis dahin geltenden nationalen Vorschriften dem Gerichtshof vorgelegt hat, weiterhin wahrnimmt (vgl. entsprechend Urteil A. K. u. a., Rn. 166 und die dort angeführte Rechtsprechung).

150    Nach alledem ist auf die dritte Frage wie folgt zu antworten:

–        Bei Änderungen der nationalen Rechtsordnung, die erstens einem nationalen Gericht seine Zuständigkeit für die Entscheidung in erster und letzter Instanz über Rechtsbehelfe nehmen, die von Kandidaten für Richterstellen an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gegen Entscheidungen einer Einrichtung wie der KRS, nicht ihre Bewerbung dem Präsidenten der Republik im Hinblick auf eine Ernennung auf diese Stellen vorzulegen, sondern die anderer Kandidaten, die zweitens solche Rechtsbehelfe von Rechts wegen für erledigt erklären, wenn diese noch anhängig sind, und ausschließen, dass sie weiter geprüft oder erneut eingelegt werden können, und die damit drittens dem nationalen Gericht die Möglichkeit nehmen, eine Antwort auf die Fragen zu erhalten, die es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat,

–        sind Art. 267 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass sie solchen Änderungen entgegenstehen, wenn sich herausstellt, dass diese Änderungen die spezifische Wirkung hatten, den Gerichtshof daran zu hindern, zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen wie die ihm von diesem Gericht unterbreiteten zu beantworten, und jede Möglichkeit auszuschließen, dass ein nationales Gericht in Zukunft ähnliche Fragen erneut vorlegt; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts;

–        ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass er solchen Änderungen entgegensteht, wenn sich herausstellt, dass diese Änderungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der betreffenden Entschließungen der KRS vom Präsidenten der Republik ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Änderungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

–        Im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen diese Artikel ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, die in Rede stehenden Änderungen unabhängig davon unangewendet zu lassen, ob diese gesetzlicher oder verfassungsrechtlicher Natur sind, und folglich seine frühere Zuständigkeit für die Entscheidung über die vor diesen Änderungen bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten weiterhin wahrzunehmen.

 Zur ersten Frage

151    Insbesondere in Anbetracht der in den Rn. 85 bis 89 des vorliegenden Urteils enthaltenen Ausführungen ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen möchte, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen ist, dass er nationalen Verfahrensvorschriften entgegensteht, nach denen

–        zum einen die Entscheidung einer Einrichtung wie der KRS, die Bewerbung eines Kandidaten für eine Richterstelle an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) nicht zu berücksichtigen, sondern dem Präsidenten der Republik die Bewerbung anderer Kandidaten vorzulegen, auch dann bestandskräftig ist, soweit sie die anderen Kandidaten vorschlägt, wenn der abgelehnte Kandidat einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegt, so dass dieser Rechtsbehelf der Ernennung der anderen Kandidaten durch den Präsidenten der Republik nicht entgegensteht und die etwaige Aufhebung dieser Entscheidung, soweit sie den Rechtsbehelfsführer nicht zur Ernennung vorgeschlagen hat, nicht zu einer neuen Beurteilung der Lage des Rechtsbehelfsführers im Hinblick auf eine etwaige Besetzung der betreffenden Stelle führen kann, und

–        zum anderen ein solcher Rechtsbehelf nicht damit begründet werden kann, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Ernennungsvorschlags berücksichtigt werden.

 Zur etwaigen Erledigung der Hauptsache

152    Im ersten schriftlichen Verfahren haben die KRS, der Generalstaatsanwalt und die polnische Regierung aus Gründen, die im Wesentlichen mit den in den Rn. 72 und 73 des vorliegenden Urteils dargelegten übereinstimmen, vorgetragen, dass in Anbetracht des Erlasses des Gesetzes vom 26. April 2019, des Wegfalls der nationalen Bestimmungen, auf die das vorlegende Gericht bisher seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten gestützt hatte, und der durch dieses Gesetz angeordneten Erledigung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten, die erste Frage gegenstandslos geworden sei und ihre Beantwortung für die Entscheidung dieser Rechtsstreitigkeiten nicht mehr erforderlich sei, so dass der Gerichtshof über diese Frage nicht mehr zu entscheiden habe.

153    Da sich das vorlegende Gericht jedoch durch die Antwort des Gerichtshofs auf die dritte Frage veranlasst sehen könnte, die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes vom 26. April 2019 wegen ihrer etwaigen Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu lassen, sind die Einwände dieser Beteiligten zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit

154    Nach Ansicht des Generalstaatsanwalts und der polnischen Regierung ist die erste Frage unzulässig, weil die Union für die Organisation der Justiz nicht zuständig sei, so dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen.

155    Diese Einwände greifen jedoch aus ähnlichen Gründen wie den bereits in den Rn. 68 und 69 des vorliegenden Urteils dargelegten nicht durch.

 Zur Beantwortung der Frage

156    Um zu beurteilen, ob nationale Bestimmungen, wie sie in Art. 44 Abs. 1a bis 4 des KRS-Gesetzes enthalten sind, gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen können, ist als Erstes unter Verweis auf sämtliche Erwägungen in den Rn. 108 bis 136 des vorliegenden Urteils festzustellen, dass sich, wie bereits in Rn. 129 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das etwaige Fehlen der Möglichkeit, im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Ernennung von Richtern eines nationalen obersten Gerichts einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, in bestimmten Fällen als unproblematisch im Hinblick auf die sich aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergebenden Anforderungen erweisen kann. Anders kann es sich dagegen bei Bestimmungen verhalten, mit denen die Wirksamkeit bis dahin bestehender gerichtlicher Rechtsbehelfe dieser Art beseitigt wird, und zwar insbesondere dann, wenn der Erlass solcher Bestimmungen in Verbindung mit weiteren maßgeblichen Umständen, die ein solches Ernennungsverfahren in einem gegebenen nationalen rechtlichen und tatsächlichen Kontext kennzeichnen, geeignet erscheint, bei den Rechtsunterworfenen systemische Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der am Ende dieses Verfahrens ernannten Richter zu wecken.

157    Insoweit ist unter Berücksichtigung der in Rn. 96 des vorliegenden Urteils dargelegten Grundsätze erstens festzustellen, dass, wie das vorlegende Gericht ausführt, ein Rechtsbehelf wie der bei ihm auf der Grundlage von Art. 44 Abs. 1a bis 4 des KRS-Gesetzes erhobene keinerlei echte Wirksamkeit hat und somit nur den Anschein eines gerichtlichen Rechtsbehelfs bietet.

158    Aus den vom vorlegenden Gericht dargelegten Gründen, die in den Rn. 35 und 37 des vorliegenden Urteils wiedergegeben worden sind, ist dies insbesondere auf die Bestimmungen von Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes zurückzuführen. Aus ihnen ergibt sich im Wesentlichen, dass trotz Einlegung eines Rechtsbehelfs durch einen von der KRS nicht zur Ernennung vorgeschlagenen Kandidaten die Entschließungen der KRS hinsichtlich der darin enthaltenen Entscheidung, Kandidaten zur Ernennung vorzuschlagen, immer bestandskräftig werden, so dass die vorgeschlagenen Kandidaten, wie dies vorliegend der Fall war, sodann vom Präsidenten der Republik auf die betreffenden Stellen ernannt werden können, ohne dass der Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens abgewartet würde. Unter diesen Umständen ist nämlich offensichtlich, dass eine etwaige Aufhebung der in einer solchen Entschließung enthaltenen Entscheidung, die Bewerbung eines Rechtsbehelfsführers, die nach Abschluss des von ihm angestrengten Verfahrens erfolgen würde, nicht im Hinblick auf die Ernennung vorzulegen, keine wirklichen Auswirkungen auf die Lage des Rechtsbehelfsführers in Bezug auf die Stelle haben wird, auf die er sich beworben hat und die auf der Grundlage der Entschließung bereits anderweitig vergeben sein wird.

159    Als Zweites ist auch zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen die zuvor geltende nationale Rechtslage erheblich verändert haben.

160    Erstens fielen nämlich, wie das vorlegende Gericht ausführt, vor der Einfügung der Abs. 1b und 4 in Art. 44 des KRS-Gesetzes die Rechtsbehelfe gegen Entschließungen der KRS, mit denen Kandidaten für Richterstellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgeschlagen wurden, unter die allgemeinen Bestimmungen von Art. 43 des KRS-Gesetzes, die nicht die jetzt in Art. 44 Abs. 1b und 4 enthaltenen Einschränkungen vorsahen, so dass diese Absätze die Wirksamkeit der sich bis dahin aus den nationalen Rechtsvorschriften ergebenden gerichtlichen Kontrolle solcher Entschließungen beseitigt haben.

161    Zweitens hat, wie auch das vorlegende Gericht ausführt, die in Art. 44 Abs. 1a des KRS-Gesetzes vorgenommene Änderung der Art der Kontrolle, die der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) ausüben kann, wenn er auf der Grundlage dieser Bestimmung angerufen wird, ihrerseits die Intensität der zuvor bestehenden gerichtlichen Kontrolle verringert.

162    Drittens ist in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht darauf hinzuweisen, dass die in Art. 44 Abs. 1a bis 4 des KRS-Gesetzes eingeführten Beschränkungen nur Rechtsbehelfe betreffen, die sich gegen Entschließungen der KRS über Vorschläge von Bewerbungen um Richterstellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) richten, während Entschließungen der KRS über Vorschläge zu Bewerbungen um Richterstellen an den anderen nationalen Gerichten weiterhin der in Rn. 160 des vorliegenden Urteils genannten allgemeinen Regelung für die gerichtliche Kontrolle unterliegen.

163    Als Drittes sind im vorliegenden Fall auch die Begleitumstände aller anderen Reformen zu berücksichtigen, die in letzter Zeit den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und die KRS betroffen haben und bereits in den Rn. 130 bis 135 des vorliegenden Urteils erwähnt worden sind.

164    Insoweit ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen von Art. 44 Abs. 1b und 4 des KRS-Gesetzes, die, wie bereits ausgeführt, Rechtsbehelfen wie denen des Ausgangsverfahrens jede Wirksamkeit genommen haben, durch das Gesetz vom 20. Juli 2018 zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte und einiger anderer Gesetze eingeführt wurden und am 27. Juli 2018 in Kraft getreten sind, also sehr kurz bevor die KRS in ihrer neuen Zusammensetzung über die Bewerbungen zu entscheiden hatte, die eingereicht wurden, um zahlreiche Richterstellen am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zu besetzen, die infolge des Inkrafttretens des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht für unbesetzt erklärt oder neu geschaffen wurden, u. a. über die Bewerbungen der Rechtsbehelfsführer des Ausgangsverfahrens.

165    In Anbetracht der Ausführungen in Rn. 96 des vorliegenden Urteils ist es Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der sich aus diesem Urteil ergebenden Erkenntnisse und aller anderen ihm zur Kenntnis gelangenden maßgeblichen Umstände, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der vor ihm zur Rechtfertigung der betreffenden Maßnahmen geltend gemachten besonderen Gründe oder Ziele, zu beurteilen, ob nationale Bestimmungen wie die in Art. 44 Abs. 1a bis 4 des KRW-Gesetzes, insbesondere wenn sie mit den in den Rn. 130 bis 135 und 157 bis 164 angeführten Umständen zusammentreffen, geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der Entschließungen der KRS ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die polnische Legislative und Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die sich vor ihnen widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass sie daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

166    Kommt das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis, dass die durch diese nationalen Bestimmungen bewirkten Rückschritte bei der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen die Entschließungen der KRS, mit denen die Ernennung von Richtern am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vorgeschlagen wird, gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen, wird es aus denselben Gründen, wie sie in den Rn. 142 bis 149 des vorliegenden Urteils dargelegt wurden, diese Bestimmungen zugunsten der Anwendung der zuvor geltenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und die in diesen letztgenannten Bestimmungen vorgesehene Kontrolle selbst auszuüben haben.

167    Nach alledem ist auf die erste Frage wie folgt zu antworten:

–        Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass er Bestimmungen entgegensteht, mit denen die geltende nationale Rechtslage geändert wird und nach denen

–        zum einen die Entscheidung einer Einrichtung wie der KRS, die Bewerbung eines Kandidaten für eine Richterstelle an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) nicht zu berücksichtigen, sondern dem Präsidenten der Republik die Bewerbung anderer Kandidaten vorzulegen, auch dann in dem Teil bestandskräftig wird, mit dem die anderen Kandidaten vorgeschlagen werden, wenn der abgelehnte Kandidat einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegt, so dass dieser Rechtsbehelf der Ernennung der anderen Kandidaten durch den Präsidenten der Republik nicht entgegensteht und die etwaige Aufhebung der Entscheidung in dem Teil, mit dem der Rechtsbehelfsführer nicht zur Ernennung vorgeschlagen wird, nicht zu einer neuen Beurteilung der Lage des Rechtsbehelfsführers im Hinblick auf eine etwaige Besetzung der betreffenden Stelle führen kann, und

–        zum anderen ein solcher Rechtsbehelf nicht damit begründet werden kann, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Ernennungsvorschlags berücksichtigt werden,

wenn sich herausstellt, dass diese Bestimmungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der Entschließungen der KRS vom Präsidenten der Republik ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Bestimmungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

–        Im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, diese Bestimmungen zugunsten der Anwendung der zuvor geltenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und die in diesen letztgenannten Bestimmungen vorgesehene Kontrolle selbst auszuüben.

 Zur zweiten Frage

168    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die zweite Frage nicht mehr zu beantworten.

 Kosten

169    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Bei Änderungen der nationalen Rechtsordnung, die erstens einem nationalen Gericht seine Zuständigkeit für die Entscheidung in erster und letzter Instanz über Rechtsbehelfe nehmen, die von Kandidaten für Richterstellen an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) gegen Entscheidungen einer Einrichtung wie der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen), nicht ihre Bewerbung dem Präsidenten der Republik Polen im Hinblick auf eine Ernennung auf diese Stellen vorzulegen, sondern die anderer Kandidaten, die zweitens solche Rechtsbehelfe von Rechts wegen für erledigt erklären, wenn diese noch anhängig sind, und ausschließen, dass sie weiter geprüft oder erneut eingelegt werden können, und die damit drittens dem nationalen Gericht die Möglichkeit nehmen, eine Antwort auf die Fragen zu erhalten, die es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat,

–        sind Art. 267 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass sie solchen Änderungen entgegenstehen, wenn sich herausstellt, dass diese Änderungen die spezifische Wirkung hatten, den Gerichtshof daran zu hindern, zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen wie die ihm von diesem Gericht unterbreiteten zu beantworten, und jede Möglichkeit auszuschließen, dass ein nationales Gericht in Zukunft ähnliche Fragen erneut vorlegt; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts;

–        ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass er solchen Änderungen entgegensteht, wenn sich herausstellt, dass diese Änderungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der betreffenden Entschließungen der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat) vom Präsidenten der Republik Polen ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Änderungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen diese Artikel ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, die in Rede stehenden Änderungen unabhängig davon unangewendet zu lassen, ob diese gesetzlicher oder verfassungsrechtlicher Natur sind, und folglich seine frühere Zuständigkeit für die Entscheidung über die vor diesen Änderungen bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten weiterhin wahrzunehmen.

2.      Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass er Bestimmungen entgegensteht, mit denen die geltende nationale Rechtslage geändert wird und nach denen

–        zum einen die Entscheidung einer Einrichtung wie der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen), die Bewerbung eines Kandidaten für eine Richterstelle an einem Gericht wie dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) nicht zu berücksichtigen, sondern dem Präsidenten der Republik Polen die Bewerbung anderer Kandidaten vorzulegen, auch dann in dem Teil bestandskräftig wird, mit dem die anderen Kandidaten vorgeschlagen werden, wenn der abgelehnte Kandidat einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegt, so dass dieser Rechtsbehelf der Ernennung der anderen Kandidaten durch den Präsidenten der Republik Polen nicht entgegensteht und die etwaige Aufhebung der Entscheidung in dem Teil, mit dem der Rechtsbehelfsführer nicht zur Ernennung vorgeschlagen wird, nicht zu einer neuen Beurteilung der Lage des Rechtsbehelfsführers im Hinblick auf eine etwaige Besetzung der betreffenden Stelle führen kann, und

–        zum anderen ein solcher Rechtsbehelf nicht damit begründet werden kann, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung über die Einreichung des Ernennungsvorschlags berücksichtigt werden,

wenn sich herausstellt, dass diese Bestimmungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der auf der Grundlage der Entschließungen der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat) vom Präsidenten der Republik Polen ernannten Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und dass die Bestimmungen daher dazu führen können, dass diese Richter nicht den Eindruck vermitteln, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss; dies auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Im Fall eines erwiesenen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht verpflichtet, diese Bestimmungen zugunsten der Anwendung der zuvor geltenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und die in diesen letztgenannten Bestimmungen vorgesehene Kontrolle selbst auszuüben.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.