Language of document : ECLI:EU:T:2019:577

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

11. September 2019(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Beibehaltung des Namens des Klägers auf der Liste – Pflicht des Rates, zu prüfen, ob der Beschluss einer Behörde eines Drittstaats unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen ist“

In der Rechtssache T-286/18

Mykola Yanovych Azarov, wohnhaft in Kiew (Ukraine), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Egger und G. Lansky,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Bauerschmidt und P. Mahnič als Bevollmächtigte,

Beklagter,


betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2018/333 des Rates vom 5. März 2018 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2018, L 63, S. 48) und der Durchführungsverordnung (EU) 2018/326 des Rates vom 5. März 2018 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2018, L 63, S. 5), soweit der Name des Klägers auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen belassen wurde, gegen die sich diese restriktiven Maßnahmen richten,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis (Berichterstatter) sowie der Richter D. Spielmann und Z. Csehi,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2019

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die vorliegende Rechtssache fügt sich in den Rahmen der restriktiven Maßnahmen ein, die gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine nach der Unterdrückung der Demonstrationen auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew (Ukraine) vom Februar 2014 ergriffen wurden.

2        Der Kläger, Herr Mykola Yanovych Azarov, war vom 11. März 2010 bis 28. Januar 2014 Premierminister der Ukraine.


3        Am 5. März 2014 erließ der Rat der Europäischen Union den Beschluss 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 26). Am selben Tag erließ der Rat die Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2014).

4        In den Erwägungsgründen 1 und 2 des Beschlusses 2014/119 heißt es:

„(1)      Der Rat hat am 20. Februar 2014 jede Gewaltanwendung in der Ukraine auf das Schärfste verurteilt. Er forderte die sofortige Beendigung der Gewalt in der Ukraine und die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Er rief die Regierung der Ukraine zu größter Zurückhaltung auf und appellierte an die Oppositionsführer, sich von denjenigen zu distanzieren, die zu radikalen Handlungen, einschließlich Gewaltanwendung, übergehen.

(2)      Der Rat hat am 3. März 2014 beschlossen, im Hinblick auf die Stärkung und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte in der Ukraine restriktive Maßnahmen für das Einfrieren und die Einziehung von Vermögenswerten auf Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie auf für Menschenrechtsverletzungen verantwortliche Personen zu konzentrieren.“

5        Art. 1 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2014/119 bestimmt:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.


(2)      Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“

6        Die Modalitäten des Einfrierens werden in Art. 1 Abs. 3 bis 6 des Beschlusses 2014/119 festgelegt.

7        Die Verordnung Nr. 208/2014 schreibt gemäß dem Beschluss 2014/119 den Erlass von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern vor und regelt die Modalitäten hierfür mit im Wesentlichen demselben Wortlaut wie dieser Beschluss.

8        Die Namen der von den Rechtsakten vom März 2014 betroffenen Personen sind in identischen Listen im Anhang des Beschlusses 2014/119 und in Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014 (im Folgenden: Liste) u. a. mit der Begründung für ihre Aufnahme verzeichnet.

9        Der Name des Klägers war mit den Identifizierungsinformationen „Premierminister der Ukraine bis Januar 2014“ und folgender Begründung in der Liste aufgeführt:

„Person ist in der Ukraine Gegenstand von Ermittlungen wegen der Beteiligung an Straftaten im Zusammenhang mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder der Ukraine und des illegalen Transfers dieser Gelder in das Ausland.“

10      Mit am 12. Mai 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter dem Aktenzeichen T‑331/14 in das Register eingetragene Klage u. a. auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2014, soweit sie ihn betrafen.

11      Am 29. Januar 2015 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2015/143 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2015, L 24, S. 16) und die Verordnung (EU) 2015/138 zur Änderung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2015, L 24, S. 1).

12      Mit dem Beschluss 2015/143 wurden mit Wirkung ab dem 31. Januar 2015 die Benennungskriterien für die vom Einfrieren von Geldern betroffenen Personen präzisiert. Insbesondere wurde dabei Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 durch folgenden Text ersetzt:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

Für die Zwecke dieses Beschlusses zählen zu Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich erklärt wurden, Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind

a)      wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine oder wegen Beihilfe hierzu oder

b)      wegen Amtsmissbrauchs als Inhaber eines öffentlichen Amtes, um sich selbst oder einer dritten Partei einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen und wodurch ein Verlust staatlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine verursacht wird, oder wegen Beihilfe hierzu.“

13      Mit der Verordnung 2015/138 wurde die Verordnung Nr. 208/2014 entsprechend dem Beschluss 2015/143 geändert.

14      Am 5. März 2015 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2015/364 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2015, L 62, S. 25) und die Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2015, L 62, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2015). Der Beschluss 2015/364 ersetzte zum einen Art. 5 des Beschlusses 2014/119, indem er die Anwendung der restriktiven Maßnahmen, was den Kläger betraf, bis zum 6. März 2016 verlängerte, und änderte zum anderen den Anhang des Beschlusses 2014/119. Die Durchführungsverordnung 2015/357 änderte dementsprechend Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014.

15      Die Rechtsakte vom März 2015 beließen den Namen des Klägers mit den Identifizierungsinformationen „Premierminister der Ukraine bis Januar 2014“ und folgender neuer Begründung auf der Liste:

„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte.“

16      Mit am 29. April 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter dem Aktenzeichen T‑215/15 in das Register eingetragene Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2015, soweit sie ihn betrafen.

17      Mit Urteil vom 28. Januar 2016, Azarov/Rat (T‑331/14, EU:T:2016:49), erklärte das Gericht die Rechtsakte vom März 2014, soweit sie den Kläger betrafen, für nichtig.

18      Am 4. März 2016 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2016/318 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2016, L 60, S. 76) und die Durchführungsverordnung (EU) 2016/311 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2016, L 60, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2016).

19      Durch die Rechtsakte vom März 2016 wurden die restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2017 verlängert, und zwar ohne dass die oben in Rn. 15 wiedergegebene Begründung der Benennung des Klägers geändert worden wäre.

20      Mit am 27. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter dem Aktenzeichen T‑190/16 in das Register eingetragene Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2016, soweit sie ihn betrafen.

21      Am 3. März 2017 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2017/381 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2017, L 58, S. 34) und die Durchführungsverordnung (EU) 2017/374 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2017, L 58, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte vom März 2017).

22      Durch die Rechtsakte vom März 2017 wurden die restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2018 verlängert, ohne dass die Begründung für die Benennung des Klägers gegenüber der in den Rechtsakten vom März 2015 und vom März 2016 enthaltenen Begründung geändert wurde.

23      Mit Urteil vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), hat das Gericht die Nichtigkeitsklage gegen die Rechtsakte vom März 2015 abgewiesen, soweit sie den Kläger betrafen.

24      Mit am 27. April 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob der Kläger eine unter dem Aktenzeichen T‑247/17 in das Register eingetragene Klage auf Nichtigerklärung der Rechtsakte vom März 2017, soweit sie ihn betrafen.


25      Am 7. September 2017 legte der Kläger gegen das Urteil des Gerichts vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), ein Rechtsmittel ein. Dieses Rechtsmittel wurde unter dem Aktenzeichen C‑530/17 P in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen.

26      Mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 übermittelte der Rat dem Kläger u. a. an die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik gerichtete Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine (im Folgenden: Generalstaatsanwaltschaft) vom 18. September und 20. Oktober 2017, die die gegen ihn in der Ukraine anhängigen Strafverfahren betrafen, sowie eine Entscheidung der Kontrollkommission der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) vom 25. April 2017 und einen Beschluss der Generalstaatsanwaltschaft vom 5. Mai 2017. In diesem Schreiben teilte der Rat dem Kläger außerdem mit, dass er beabsichtige, die ihn betreffenden restriktiven Maßnahmen mit einer leicht geänderten Begründung aufrecht zu erhalten.

27      Mit Schreiben vom 10. und 25. Januar sowie vom 8. und 13. Februar 2018 brachte der Kläger seine Argumente gegen die Verlängerung der restriktiven Maßnahmen vor.

28      Mit Schreiben vom 16. Januar sowie vom 5., 8. und 22. Februar 2018 informierte der Rat den Kläger, dass er weitere Informationen von den ukrainischen Behörden erhalten habe und übermittelte ihm zwei weitere Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 5. und 31. Januar 2018, drei Schreiben der Nationalen Anti-Korruptionsbehörde sowie einen Vermerk der ukrainischen Behörden zu Beschlagnahmungen.

29      Am 5. März 2018 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2018/333 zur Änderung des Beschlusses 2014/119 (ABl. 2018, L 63, S. 48) und die Durchführungsverordnung (EU) 2018/326 zur Durchführung der Verordnung Nr. 208/2014 (ABl. 2018, L 63, S. 5) (im Folgenden: angefochtene Rechtsakte).

30      Durch die angefochtenen Rechtsakte wurden die restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2019 verlängert, und zwar mit folgender, gegenüber der in den Rechtsakten vom März 2017 (siehe oben, Rn. 15 und 17) leicht geänderten Begründung:

„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung durch die ukrainischen Behörden wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte und wegen Beihilfe dazu.“

31      Mit Schreiben vom 8. März 2018 unterrichtete der Rat den Kläger, dass die gegen ihn getroffenen restriktiven Maßnahmen aufrechterhalten blieben. Er nahm zu den Bemerkungen des Klägers in den vorangegangenen Schreiben Stellung und übersandte ihm die angefochtenen Rechtsakte. Ferner wies er auf die Frist hin, innerhalb deren der Kläger vor der Entscheidung über die etwaige Beibehaltung seines Namens auf der Liste eine Stellungnahme einreichen konnte.

32      Mit Schreiben vom 16. April 2018 antwortete der Rat auf einen durch den Kläger am 19. März 2018 eingereichten Antrag auf Zugang zu Dokumenten und übermittelte ihm diese Dokumente, soweit sie den Kläger betrafen.

 Sachverhalt nach Erhebung der vorliegenden Klage

33      Mit Urteil vom 13. Dezember 2018, Azarov/Rat (T‑247/17, nicht veröffentlicht, mit Rechtsmittel angefochten, EU:T:2018:931), hat das Gericht die Nichtigkeitsklage gegen die Rechtsakte vom März 2017 abgewiesen, soweit sie den Kläger betrafen.

34      Mit Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031), hat der Gerichtshof das Urteil vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), aufgehoben und die Rechtsakte vom März 2015, soweit sie den Kläger betrafen, für nichtig erklärt.

 Verfahren und Anträge der Parteien

35      Mit Klageschrift, die am 7. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

36      Der Rat hat am 27. Juli 2018 die Klagebeantwortung eingereicht. Am 30. Juli 2018 hat er einen begründeten Antrag nach Art. 66 der Verfahrensordnung des Gerichts gestellt, den Inhalt bestimmter Anlagen zur Klageschrift und zur Klagebeantwortung in den öffentlich zugänglichen Unterlagen der vorliegenden Rechtssache nicht zu zitieren.

37      Die Erwiderung und die Gegenerwiderung sind am 13. September bzw. 26. Oktober 2018 eingereicht worden.


38      Das schriftliche Verfahren ist am 26. Oktober 2018 abgeschlossen worden.

39      Mit Schriftsatz, der am 12. November 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

40      Am 20. Dezember 2018 hat das Gericht die Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung aufgefordert, Stellung zu nehmen, welche Schlussfolgerungen in der vorliegenden Rechtssache aus dem Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031) zu ziehen sind. Die Parteien sind dem fristgerecht nachgekommen.

41      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Sechste Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

42      In der Sitzung vom 20. Mai 2019 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

43      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie ihn betreffen;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

44      Der Kläger beantragt außerdem die Anordnung verschiedener prozessleitender Maßnahmen.

45      Der Rat beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        hilfsweise, sofern die Rechtsakte vom März 2018, soweit sie den Kläger betreffen, für nichtig erklärt werden sollten, anzuordnen, dass die Wirkung des Beschlusses 2018/333 bis zum Wirksamwerden der teilweisen Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2018/326 fortgilt;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

46      Der Kläger macht zwei Klagegründe geltend, nämlich einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler.

47      Zunächst ist der zweite Klagegrund zu prüfen.

48      Im Rahmen dieses Klagegrundes wirft der Kläger dem Rat u. a. vor, den ihm aufgrund der Rechtsprechung obliegenden Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein, sorgfältig zu prüfen, ob die Entscheidung der ukrainischen Behörden, auf die er sich für die Belassung des Namens des Klägers auf der Liste zu stützen beabsichtigte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte sowie des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen sei.

49      Insoweit wirft der Kläger dem Rat sowohl im Rahmen dieses Klagegrundes als auch in anderen Teilen seiner Klage sowie in der mündlichen Verhandlung außerdem vor, die überlange Dauer des gegen ihn in der Ukraine geführten Strafverfahrens nicht berücksichtigt zu haben, die sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt habe, insbesondere sein Recht, dass seine Sache innerhalb angemessener Frist verhandelt werde, wie es in Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) vorgesehen sei.

50      In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts (siehe oben, Rn. 40) bemerkt der Kläger außerdem, dass der Rat seine sich aus der Rechtsprechung ergebende Pflicht nicht erfüllt habe, in den angefochtenen Rechtsakten erkennen zu lassen, geprüft zu haben, dass die Entscheidung der ukrainischen Behörden unter Wahrung seiner Verteidigungsrechte und seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen sei, und sich – anstatt eine solche Prüfung durchzuführen – allein auf die Schreiben der ukrainischen Behörden gestützt habe. Im Übrigen fehle in den Akten jeglicher Nachweis für die Wahrung dieser Rechte, sondern aus den Schreiben und den Schriftsätzen des Rates gehe außerdem hervor, dass der Rat auch die fehlende Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft, die überlange Dauer des Ermittlungsverfahrens oder Verfahrensverstöße wie Richtermanipulationen oder die Verletzung der Verteidigungsrechte des Klägers nicht geprüft habe, auf die der Kläger mehrfach hingewiesen habe.


51      Der Rat macht – unter Berufung auf Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft, in denen ihm mitgeteilt worden sei, dass gegen den Kläger zwei Strafverfahren wegen der Veruntreuung von Geldern in besonders großem Umfang anhängig seien – geltend, dass die Gründe für die Beibehaltung des Namens des Klägers in der Liste auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruhten und mit der jüngeren Rechtsprechung des Gerichts im Einklang stünden. Es sei nicht Aufgabe des Rates, die Anhaltspunkte zu prüfen, auf die sich die ukrainischen Behörden stützten, um den Kläger strafrechtlich zu verfolgen.

52      Die Existenz eines vorhergehenden Beschlusses der ukrainischen Behörden gehöre nicht zu den Kriterien, die als Vorbedingung für den Erlass der streitigen Maßnahmen festgelegt seien, sondern sei die tatsächliche Grundlage dafür, dass der Kläger als für die Veruntreuung staatlicher Gelder verantwortlich habe identifiziert und daher in den Anwendungsbereich der restriktiven Maßnahmen habe einbezogen werden können. Die vom Kläger angeführte Rechtsprechung sei daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

53      Auf das Vorbringen des Klägers zur überlangen Dauer des Strafverfahrens gegen diesen in der Ukraine entgegnet der Rat, dass die Dauer sowohl mit der Komplexität des Ermittlungsverfahrens als auch damit zusammenhänge, dass sich der Kläger nicht im Gebiet der Ukraine aufgehalten habe.

54      In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts (siehe oben, Rn. 40) und in der mündlichen Verhandlung hat der Rat vorgetragen, dass er, auch wenn dies in der Begründung nicht angegeben worden sei, Kenntnis von der gerichtlichen Kontrolle gehabt habe, die in der Ukraine während des gegen den Kläger laufenden Ermittlungsverfahrens ausgeübt worden sei. Aus den oben in den Rn. 26 und 28 genannten Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft gehe nämlich hervor, dass gegen den Kläger in der Ukraine gerichtliche Entscheidungen, wie die Beschlagnahme einiger seiner Vermögensgegenstände oder das Einfrieren seiner Gelder, ergangen seien. Diese Entscheidungen belegten, dass der Rat, als er sich auf die in den Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft genannten Entscheidungen der ukrainischen Behörden gestützt habe, habe prüfen können, ob diese unter Wahrung der Verteidigungsrechte des Klägers und dessen Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz getroffen worden seien.

55      Nach gefestigter Rechtsprechung müssen die Unionsgerichte bei der Kontrolle restriktiver Maßnahmen eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten, zu denen u. a. die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gehören (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031‚ Rn. 20 und 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Kontrolle erfordert, dass sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Gründe prüft, die der Entscheidung zugrunde liegen, den Namen einer Person in die Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen oder dort zu belassen, vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031‚ Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Der Erlass und die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen, wie sie im Beschluss 2014/119 und der Verordnung Nr. 208/2014 in ihren geänderten Fassungen vorgesehen sind und die gegen eine Person erlassen wurden, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte eines Drittstaats verantwortlich identifiziert wurde, beruhen im Kern auf dem Beschluss einer – insoweit zuständigen – Behörde dieses Drittstaats, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen diese Person wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten und durchzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 25).

58      Auch wenn der Rat restriktive Maßnahmen gemäß dem oben in Rn. 12 wiedergegebenen Kriterium für die Aufnahme in die Liste (im Folgenden: Aufnahmekriterium) auf die Entscheidung eines Drittstaats stützen darf, schließt die dem Rat obliegende Verpflichtung, die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu wahren, die Pflicht ein, sich zu vergewissern, dass diese Rechte von den Behörden des Drittstaats, die die betreffende Entscheidung erlassen haben, gewahrt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 26, 27 und 35).


59      Insoweit stellt der Gerichtshof klar, dass das Erfordernis einer Prüfung durch den Rat, ob die Entscheidungen von Drittstaaten, auf die er sich stützen möchte, unter Wahrung dieser Rechte gefasst worden sind, sicherstellen soll, dass der Erlass oder die Aufrechterhaltung von Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern nur auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage erfolgt, und damit die betroffenen Personen oder Einrichtungen schützen. Der Rat darf somit erst davon ausgehen, dass der Erlass oder die Aufrechterhaltung solcher Maßnahmen auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht, nachdem er selbst überprüft hat, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beim Erlass der Entscheidung durch den betreffenden Drittstaat, auf die er sich stützen möchte, gewahrt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 28 und 34).

60      Im Übrigen ist zwar mit dem Umstand, dass der Drittstaat zu den Staaten gehört, die der EMRK beigetreten sind, verknüpft, dass die in dieser Konvention gewährleisteten Grundrechte – die nach Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind – durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) überwacht werden; doch macht dieser Umstand das oben in Rn. 58 dargestellte Erfordernis einer Überprüfung durch den Rat nicht überflüssig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 36).

61      Der Gerichtshof geht außerdem davon aus, dass der Rat verpflichtet ist, in der Begründung für den Erlass oder die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen gegen eine Person oder Organisation – zumindest in gedrängter Form – die Gründe anzugeben, aus denen seiner Auffassung nach die Entscheidung des Drittstaats, auf die er sich stützt, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde. Um seiner Begründungspflicht zu genügen, muss der Rat daher in der Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen verhängt werden, erkennen lassen, dass er geprüft hat, dass die Entscheidung des Drittstaats, auf die der Rat diese Maßnahmen stützt, unter Wahrung dieser Rechte ergangen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 29 und 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Letztlich muss der Rat, wenn er den Erlass oder die Aufrechterhaltung restriktiver Maßnahmen wie die vorliegend streitigen auf die Entscheidung eines Drittstaats stützt, ein Strafverfahren wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte durch die betroffene Person einzuleiten und durchzuführen, sich zum einen vergewissern, dass die Behörden des Drittstaats zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung die Verteidigungsrechte der Person, gegen die das betreffende Strafverfahren geführt wird, und deren Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt haben, und zum anderen in der Entscheidung, mit der die restriktiven Maßnahmen verhängt werden, die Gründe nennen, die ihn zu der Annahme veranlassen, dass die Entscheidung des Drittstaats unter Beachtung dieser Rechte erlassen wurde.

63      Anhand dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist zu ermitteln, ob der Rat diese Verpflichtungen eingehalten hat.

64      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit den angefochtenen Rechtsakten gegen den Kläger neue restriktive Maßnahmen auf der Grundlage des Aufnahmekriteriums verhängt worden sind, das in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 präzisierten Fassung und in Art. 3 der Verordnung Nr. 208/2014 in der durch die Verordnung 2015/138 präzisierten Fassung genannt ist (siehe oben, Rn. 12 und 13). Nach diesem Kriterium werden die Gelder von Personen eingefroren, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte verantwortlich identifiziert wurden, einschließlich der Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind.

65      Es steht außer Streit, dass sich der Rat bei seiner Entscheidung, den Namen des Klägers auf der Liste zu belassen, auf den Umstand gestützt hat, dass dieser Gegenstand „strafrechtlicher Verfolgung durch die ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte und wegen Beihilfe dazu“ war, die durch die Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft, von der der Kläger Kopien erhalten hatte, belegt war (siehe oben, Rn. 26 und 28).

66      Die Aufrechterhaltung der gegen den Kläger erlassenen restriktiven Maßnahmen beruhte daher ebenso wie in der Rechtssache, in der das Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031), ergangen ist, auf dem Beschluss der Generalstaatsanwaltschaft, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen einer Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine einzuleiten und durchzuführen.

67      Als Erstes ist festzustellen, dass die Begründung der angefochtenen Rechtsakte in Bezug auf den Kläger (siehe oben, Rn. 30) nicht den geringsten Hinweis darauf enthält, dass der Rat geprüft hätte, dass die Verteidigungsrechte des Klägers und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz von der ukrainischen Justizverwaltung gewahrt wurden, und dass ein solcher Begründungsmangel ein erstes Indiz dafür darstellt, dass der Rat keine solche Prüfung vorgenommen hat.

68      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass keine der Informationen in dem Schreiben vom 8. März 2018, mit dem der Rat dem Kläger die angefochtenen Rechtsakte mitgeteilt hat, die Annahme erlaubt, dass der Rat über Anhaltspunkte dafür verfügte, dass die ukrainischen Behörden in den Strafverfahren gegen den Kläger die fraglichen Rechte gewahrt hatten, und noch weniger die Annahme, dass der Rat solche Anhaltspunkte gewürdigt hat, um zu prüfen, ob diese Rechte von der ukrainischen Justizverwaltung beim Erlass der Entscheidung, gegen den Kläger strafrechtliche Ermittlungen wegen einer Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte einzuleiten und durchzuführen, hinreichend gewahrt worden waren. In diesem Schreiben vom 8. März 2018 hat sich der Rat – ebenso wie er es in der Rechtssache getan hatte, in der das Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 24), ergangen ist – nämlich auf die Aussage beschränkt, dass die dem Kläger vorab übermittelten Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft (siehe oben, Rn. 26 und 28) belegten, dass gegen diesen weiterhin Strafverfahren wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenwerte anhängig seien.

69      Als Drittes ist zu bemerken, dass der Rat – entgegen der von ihm vertretenen Auffassung – die Prüfung, ob die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt waren, unabhängig davon durchführen musste, ob der Kläger irgendeinen Nachweis dafür vorgelegt hatte, dass er im vorliegenden Fall persönlich durch die von ihm genannten Probleme der Funktionsfähigkeit des ukrainischen Justizsystems beeinträchtigt worden sei. In seinen Schriftsätzen hat der Rat sinngemäß ausgeführt, dass der Kläger eine angebliche Verletzung seines Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und seiner Verteidigungsrechte durch die ukrainischen Behörden nur vor den Gerichten dieses Landes rügen könne. Jedenfalls hat der Rat, obwohl der Kläger unter Vorlage konkreter Nachweise wiederholt geltend gemacht hat, dass die ukrainische Justizverwaltung seine Verteidigungsrechte und sein Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht gewahrt habe und dass sich die in der Ukraine herrschende Situation grundsätzlich nicht mit dem Bestehen ausreichender Garantien in dieser Hinsicht vereinbaren lasse, nicht vorgetragen, dass er die Wahrung dieser Rechte überprüft habe. Vielmehr hat der Rat in seinen Schriftsätzen wiederholt bekräftigt, dass er insoweit keiner Verpflichtung unterliege und dass sich eine solche Verpflichtung auch nicht aus den mit dem Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583), entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen ableiten lasse.

70      Als Viertes hat der Rat als Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen das Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031), für die vorliegende Rechtssache hat, und in der Sitzung im Wesentlichen nur die oben in Rn. 54 wiedergegebenen Argumente vorgetragen.

71      Hierzu ist erstens festzustellen, dass der Rat einräumt, dass in der Begründung der angefochtenen Rechtsakte nicht auf die Frage eingegangen wird, ob bei der Entscheidung über die Einleitung und Durchführung der Strafverfahren, mit denen die Aufnahme des Namens des Klägers in die Liste und seine Beibehaltung auf dieser gerechtfertigt werden, die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt wurden.

72      Zweitens macht der Rat geltend, aus den Akten der vorliegenden Rechtssache gehe eindeutig hervor, dass während der strafrechtlichen Ermittlungen eine gerichtliche Kontrolle in der Ukraine stattgefunden habe. Insbesondere belege die Existenz von Gerichtsentscheidungen, die in dem wichtigsten gegen den Kläger anhängigen Strafverfahren, nämlich dem, das die Privatisierung einer ukrainischen Gesellschaft zum Gegenstand habe, dass er, als er sich auf den in den Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft erwähnten Beschluss der ukrainischen Behörden gestützt habe, zum einen habe überprüfen können, dass dieser Beschluss unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz getroffen worden sei, und sich zum anderen vergewissert habe, dass eine Reihe von im Rahmen dieses Strafverfahrens erlassenen Gerichtsentscheidungen unter Wahrung dieser Rechte ergangen seien.

73      Alle vom Rat genannten Gerichtsentscheidungen sind Teil des wichtigsten Strafverfahrens, mit dem u. a. die Aufnahme des Namens des Klägers in die Liste und seine Beibehaltung auf der Liste gerechtfertigt wird, und sind lediglich Zwischenentscheidungen in diesem Verfahren, da sie nur vorläufig sind. Zwar sind diese Entscheidungen zur Untermauerung der Auffassung des Rates geeignet, wonach es eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gebe, nämlich die Tatsache, dass der Kläger dem Aufnahmekriterium entsprechend Gegenstand von Strafverfahren wegen der Veruntreuung von Geldern oder Vermögenswerten der Ukraine war. Ontologisch sind solche Entscheidungen jedoch für sich allein nicht geeignet, um – wie der Rat meint – zu belegen, dass die Entscheidung der ukrainischen Justizverwaltung, das betreffende Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen, auf dem im Wesentlichen die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger beruht, unter Wahrung von dessen Verteidigungsrechten und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz getroffen wurde.

74      Jedenfalls ist der Rat nicht in der Lage, auch nur ein Schriftstück in den Akten des Verfahrens zu benennen, das zum Erlass der angefochtenen Rechtsakte geführt hat, aus dem sich ergäbe, dass er die von ihm jetzt angeführten Entscheidungen der ukrainischen Gerichte geprüft hat und aus ihnen den Schluss ziehen durfte, dass die Verteidigungsrechte des Klägers und sein Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in ihrem Wesensgehalt gewahrt worden sind.

75      Im Übrigen versucht der Rat noch nicht einmal, zu erläutern, inwiefern das Vorliegen dieser Entscheidungen die Annahme erlaubt, dass der Schutz der in Rede stehenden Rechte gewährleistet war, obschon sich das wichtigste Strafverfahren, das seit mehr als vier Jahren anhängig war und mehrmals ausgesetzt und wieder aufgenommen worden war, noch immer im Stadium des Ermittlungsverfahrens befand und einem ukrainischen Gericht nicht zur Entscheidung über die Vorwürfe, sondern allenfalls wegen Verfahrensfragen vorgelegt worden war.

76      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass jede Person nach Art. 6 Abs. 1 der EMRK ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Dieses Recht ergibt sich aus dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, der im Übrigen in Art. 47 der Charta verankert ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 177 und 179).

77      Der EGMR hat zudem zum einen festgestellt, dass der Grundsatz einer angemessenen Frist u. a. bezwecke, die beschuldigte Person vor einer überlangen Verfahrensdauer zu schützen und zu verhindern, dass sie zu lange über ihr Schicksal im Ungewissen gelassen wird, sowie Verzögerungen zu vermeiden, die geeignet sind, die Effizienz und die Glaubwürdigkeit der Rechtspflege zu beeinträchtigen (vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 2015, Rutkowski u. a./Polen, CE:ECHR:2015:0707JUD007228710, § 126 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zum anderen, dass ein Verstoß gegen diesen Grundsatz insbesondere dann festgestellt werden kann, wenn die Ermittlungsphase eines Strafverfahrens von einer Reihe von Zeiträumen der Untätigkeit gekennzeichnet ist, die den für die Ermittlungen zuständigen Behörden zuzurechnen sind (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteile vom 6. Januar 2004, Rouille/Frankreich, CE:ECHR:2004:0106JUD005026899, §§ 29 bis 31, vom 27. September 2007, Reiner u. a./Rumänien, CE:ECHR:2007:0927JUD000150502, §§ 57 bis 59, und vom 12. Januar 2012, Borisenko/Ukraine, CE:ECHR:2012:0112JUD002572502, §§ 58 bis 62).

78      Ferner geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Rat, wenn eine Person seit mehreren Jahren restriktiven Maßnahmen unterliegt, und zwar wegen der Existenz von im Wesentlichen ein und desselben von der Generalstaatsanwaltschaft geführten und mehrfach ausgesetzten Ermittlungsverfahrens, verpflichtet ist, sich vertieft mit der Frage zu beschäftigen, ob die ukrainischen Behörden möglicherweise die Grundrechte dieser Person verletzt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2019, Stavytskyi/Rat, T‑290/17, EU:T:2019:37, Rn. 132).

79      Daher hätte der Rat im vorliegenden Fall zumindest angeben müssen, aus welchen Gründen er annehmen durfte, dass das Recht des Klägers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber der ukrainischen Justizverwaltung, bei dem es sich ersichtlich um ein Grundrecht handelt, gewahrt worden ist, was die Frage angeht, ob seine Sache innerhalb angemessener Frist verhandelt worden ist.

80      Es lässt sich daher im Ergebnis nicht feststellen, dass der Rat aufgrund der Informationen, die ihm beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte zur Verfügung standen, in der Lage gewesen wäre, zu überprüfen, dass der Beschluss der ukrainischen Justizverwaltung, auf dem im Wesentlichen die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger beruht, unter Beachtung der genannten Rechte des Klägers getroffen worden war.

81      Ferner ist hierzu darauf hinzuweisen, dass – wie im Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat (C‑530/17 P, EU:C:2018:1031), klargestellt worden ist – die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Rat oder das Gericht, wenn es um den Erlass eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern wie desjenigen geht, der den Kläger betrifft, nicht die Begründetheit der in der Ukraine gegen die von diesen Maßnahmen betroffenen Person eingeleiteten Ermittlungen zu überprüfen hat, sondern nur die Begründetheit des Beschlusses über das Einfrieren der Gelder anhand des oder der Dokumente, auf die dieser Beschluss gestützt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. März 2015, Ezz u. a./Rat, C‑220/14 P, EU:C:2015:147, Rn. 77, vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat, C‑599/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:785, Rn. 69, und vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat, C‑598/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:786, Rn. 72), nicht dahin ausgelegt werden kann, dass der Rat nicht verpflichtet wäre, zu prüfen, dass die Entscheidung eines Drittstaats, auf die der Rat den Erlass restriktiver Maßnahmen stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, Azarov/Rat, C‑530/17 P, EU:C:2018:1031, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82      Nach alledem ist nicht erwiesen, dass der Rat vor dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte geprüft hat, ob die ukrainische Justizverwaltung die Verteidigungsrechte des Klägers und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt hatte.

83      Unter diesen Umständen sind die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären, soweit sie den Kläger betreffen, so dass es nicht erforderlich ist, seinen Antrag auf prozessleitende Maßnahmen oder den vom Rat gestellten Antrag auf vertrauliche Behandlung oder die anderen vom Kläger vorgebrachten Klagegründe und Argumente zu prüfen.

84      Hinsichtlich des vom Rat hilfsweise gestellten Antrags (siehe oben, Rn. 45 zweiter Gedankenstrich), mit dem er sinngemäß begehrt, die Wirkungen des Beschlusses 2018/333 bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels bzw., falls ein Rechtsmittel eingelegt wird, bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel aufrechtzuerhalten, genügt der Hinweis, dass der Beschluss 2018/333 nur bis zum 6. März 2019 Wirkungen entfaltet hat. Seine Nichtigerklärung durch das vorliegende Urteil hat daher keine Auswirkungen auf den Zeitraum nach diesem Datum, so dass eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Wirkungen dieses Beschlusses nicht erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juni 2018, Arbuzov/Rat, T‑258/17, EU:T:2018:331, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Kosten

85      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss (GASP) 2018/333 des Rates vom 5. März 2018 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine und die Durchführungsverordnung (EU) 2018/326 des Rates vom 5. März 2018 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine werden für nichtig erklärt, soweit der Name von Herrn Mykola Yanovych Azarov auf der Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, auf die diese restriktiven Maßnahmen Anwendung finden, belassen wird.

2.      Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

Berardis

Spielmann

Csehi

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. September 2019.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

       S. Gervasoni


*      Verfahrenssprache: Deutsch.