Language of document : ECLI:EU:T:2020:545

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

18. November 2020(*)

„Wettbewerb – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Schienengüterverkehrsmarkt – Beschluss, mit dem ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV festgestellt wird – Zugang dritter Unternehmen zu den vom staatlichen Bahnunternehmen Litauens betriebenen Infrastrukturen – Entfernung eines Gleisabschnitts – Begriff des Missbrauchs – Tatsächliche oder wahrscheinliche Verdrängung eines Wettbewerbers – Berechnung des Betrags der Geldbuße – Leitlinien zur Festsetzung des Betrags von Geldbußen von 2006 – Abhilfemaßnahmen – Verhältnismäßigkeit – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache T‑814/17,

Lietuvos geležinkeliai AB mit Sitz in Vilnius (Litauen), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte W. Deselaers, K. Apel und P. Kirst,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Cleenewerck de Crayencour, A. Dawes, H. Leupold und G. Meessen als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Orlen Lietuva AB mit Sitz in Mažeikiai (Litauen), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Thomas und C. Conte,

Streithelferin,

betreffend eine Klage gemäß Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2017) 6544 final der Kommission vom 2. Oktober 2017 in einem Verfahren nach Art. 102 AEUV (Sache AT.39813 – Baltic Rail) sowie hilfsweise auf Herabsetzung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas, des Richters H. Kanninen sowie der Richterinnen N. Półtorak (Berichterstatterin), O. Porchia und M. Stancu,

Kanzler: E. Artemiou, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2020

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

A.      Tatsächlicher Hintergrund

1        Lietuvos geležinkeliai AB (im Folgenden: die Klägerin oder LG) ist das staatliche Bahnunternehmen Litauens mit Sitz in Vilnius (Litauen). LG ist ein öffentliches Unternehmen, dessen alleiniger Aktionär der litauische Staat ist. Als vertikal integriertes Unternehmen ist LG gleichzeitig Betreiberin der Eisenbahninfrastrukturen, die jedoch im Eigentum des litauischen Staats verbleiben, und Erbringerin von Dienstleistungen für den Güter- und Personenschienenverkehr in Litauen.

2        Orlen Lietuva AB (im Folgenden: Streithelferin oder Orlen) ist ein Unternehmen mit Sitz in Juodeikiai im Distrikt Mažeikiai (Litauen), das auf die Erdölraffination und die Verteilung raffinierter Erdölprodukte spezialisiert ist. Orlen ist eine 100%ige Tochtergesellschaft des polnischen Unternehmens PKN Orlen SA.

3        Im Rahmen ihrer Tätigkeiten betreibt Orlen verschiedene Anlagen in Litauen, darunter eine wichtige Raffinerie (im Folgenden: Raffinerie) in Bugeniai im Distrikt Mažeikiai im Nordwesten Litauens in der Nähe der Grenze zu Lettland. Diese Raffinerie ist die einzige Anlage dieses Typs in den drei baltischen Staaten. Ende der 2000er Jahre wurden 90 % der Produktion der in dieser Raffinerie erzeugten raffinierten Erdölprodukte über den Schienenweg transportiert, wodurch Orlen eine der wichtigsten Kundinnen der Klägerin wurde.

4        Damals erzeugte Orlen in der Raffinerie etwa 8 Mio. Tonnen raffinierter Erdölprodukte im Jahr. Drei Viertel der Produktion waren für den Export bestimmt, der hauptsächlich auf dem Seeweg in die Länder Westeuropas erfolgte. So wurden 4,5 bis 5,5 Mio. Tonnen raffinierter Erdölprodukte durch Litauen mit dem Zug zum Seehafen Klaipėda (Litauen) befördert.

5        Der Rest der exportierten Produktion, d. h. etwa 1 bis 1,5 Mio. Tonnen, wurde – ebenfalls per Zug – nach oder durch Lettland befördert und war hauptsächlich für den Verbrauch auf den estnischen und lettischen Inlandsmärkten bestimmt. Etwa 60 % dieser per Zug nach oder durch Lettland transportierten Produktion wurde über die Bahnlinie „Bugeniai-Mažeikiai-Rengė“ befördert, deren Strecke von der in der Nähe des Gleisanschlusses von Mažeikiai gelegenen Raffinerie bis zur Stadt Rengė in Lettland führte und auf 34 km durch Litauen verlief (im Folgenden: kurze Strecke nach Lettland). Der Rest der per Zug nach oder durch Lettland transportierten Produktion wurde über die Bahnlinie „Bugeniai-Kužiai-Joniškis-Meitene“ befördert, eine längere Strecke, die auf 152 km durch Litauen verlief (im Folgenden: lange Strecke nach Lettland).

6        Um ihre Produkte auf der kurzen Strecke nach Lettland zu transportieren, nutzte Orlen die Dienste der Klägerin für den litauischen Teil der Strecke, d. h. von der Raffinerie bis zur lettischen Grenze. LG hatte damals mit Latvijas dzelzceļš, dem staatlichen Bahnunternehmen Lettlands (im Folgenden: LDZ), einen Untervertrag über den Transport auf dem litauischen Abschnitt der Strecke geschlossen. Da LDZ nicht über die notwendigen Genehmigungen für die selbständige Ausübung ihrer Tätigkeiten auf litauischem Gebiet verfügte, wurde sie als Subunternehmerin der Klägerin tätig. Nach dem Überqueren der Grenze führte LDZ den Transport der Produkte von Orlen auf lettischem Gebiet auf der Grundlage verschiedener Verträge durch.

7        Die Geschäftsbeziehungen zwischen Orlen und der Klägerin in Bezug auf die Transportdienstleistungen der Klägerin im litauischen Eisenbahnnetz, einschließlich der Transportdienste auf der kurzen Strecke nach Lettland, waren bis September 2008 in einer Vereinbarung aus dem Jahr 1999 (im Folgenden: Vereinbarung von 1999) geregelt.

8        Neben der Regelung der Gebühren, die die Klägerin für die Transportdienste erhob, beinhaltete die Vereinbarung von 1999 u. a. eine besondere Verpflichtung der Klägerin, die Fracht von Orlen auf der kurzen Strecke nach Lettland zu transportieren. Art. 6.1 der Vereinbarung gewährte Orlen nämlich für die gesamte Dauer der Vereinbarung, d. h. bis 2024, das Recht, „die Strecke Bugeniai-Rengė (etwa 34 km) für den Transport von Fracht in Lettland, Estland oder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zu nutzen“.

9        Anfang 2008 kam es zwischen der Klägerin und Orlen zu geschäftlichen Differenzen über die Gebühren, die Orlen für den Transport ihrer Erdölprodukte zu entrichten hatte.

10      Aufgrund dieser geschäftlichen Differenzen mit der Klägerin im Zusammenhang mit den Gebühren erwog Orlen die Möglichkeit, einen unmittelbaren Vertrag mit LDZ über die Leistungen zum Transport ihrer Fracht per Eisenbahn auf der kurzen Strecke nach Lettland zu schließen sowie ihre See-Exporttätigkeiten von Klaipėda in Litauen abzuziehen und auf die Seehäfen Riga und Ventspils in Lettland zu verlagern.

11      Zu diesem Zweck richtete Orlen am 4. April 2008 ein Schreiben an das lettische Ministerium für Verkehr und Kommunikation, in dem sie über ihr Vorhaben zur Verlagerung ihrer See-Exporttätigkeiten auf den lettischen Seehafen Ventspils mit Hilfe der Schienentransportdienste von LDZ informierte und ein Treffen vorschlug, um dieses Vorhaben mit dem Ministerium zu besprechen. Außerdem bat Orlen um Informationen zu den voraussichtlichen Gebühren für die Schienentransportdienste von LDZ. Mit Schreiben vom 7. Mai 2008 antwortete das Ministerium Orlen, dass es sich nicht in die unternehmerischen Entscheidungen von LDZ einmischen wolle, jedoch ein großes Interesse an der Entwicklung des Frachtverkehrs in Lettland habe.

12      Am 12. Juni 2008 fand ein Treffen zwischen der Klägerin und Orlen statt, bei dem dieses Vorhaben zur Verlagerung der Exporttätigkeiten von Orlen thematisiert wurde. Zudem leitete die Klägerin am 17. Juli 2008 ein schiedsgerichtliches Verfahren gegen Orlen ein, nachdem Letztere im Frühjahr 2008 einseitig entschieden hatte, eine geringere als die von der Klägerin verlangte Gebühr zu zahlen und den Differenzbetrag einzubehalten.

13      Am 28. Juli 2008 teilte LG Orlen die Kündigung der Vereinbarung von 1999 zum 1. September 2008 mit. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission der Europäischen Gemeinschaften erklärte Orlen, dass LG die Kündigung der Vereinbarung von 1999 zum 1. September 2008 ausgesprochen habe, nachdem Orlen drei Tage zuvor LDZ förmlich um einen Kostenvoranschlag ersucht habe, um die Dienste der Klägerin für den Transport von etwa 4,5 bis 5 Mio. Tonnen raffinierter Erdölprodukte ab der Raffinerie und unter Nutzung der kurzen Strecke nach Lettland bis zu den Seehäfen in Lettland zu ersetzen. Orlen wies ferner darauf hin, dass die Klägerin möglicherweise unmittelbar von LDZ über die Anforderung des Kostenvoranschlags informiert worden sei.

14      Am 2. September 2008 setzte LG, nachdem eine Verformung der Gleisstrecke von mehreren Dutzend Metern (im Folgenden: Verformung) festgestellt worden war, auf einem 19 km langen Abschnitt der kurzen Strecke nach Lettland, der sich zwischen Mažeikiai und der Grenze zu Lettland befand (im Folgenden: Gleisabschnitt), unter Berufung vor allem auf Sicherheitsgründe den Verkehr aus.

15      Am 3. September 2008 berief die Klägerin einen Untersuchungsausschuss ein, der aus leitenden Angestellten ihrer örtlichen Tochtergesellschaft bestand, um die Ursachen der Verformung zu ermitteln. Der Untersuchungsausschuss legte zwei Berichte vor: den Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 und den technischen Bericht vom 5. September 2008 (im Folgenden zusammen: Berichte vom 5. September 2008).

16      Dem Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 zufolge war die Verformung durch eine physische Verschlechterung zahlreicher Bestandteile der Struktur des Gleisabschnitts verursacht worden. Im Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 wurde darüber hinaus bestätigt, dass der Verkehr ausgesetzt werden müsse, „bis alle Wiederherstellungs- und Ausbesserungsmaßnahmen abgeschlossen sind“.

17      Die Bemerkungen im Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 wurden durch den technischen Bericht vom 5. September 2008 bestätigt, der sich – wie der erste Bericht – ausschließlich auf die Stelle der Verformung bezog und als deren Ursache verschiedene Probleme im Zusammenhang mit der Struktur des Gleisabschnitts benannte. Im technischen Bericht vom 5. September 2008 wurde festgestellt, dass der Verkehrsunfall, der in Gestalt einer Verformung auf dem Gleisabschnitt eingetreten sei, als Störung eingestuft werden müsse und der physischen Abnutzung der oberen Komponenten der Struktur des Gleisabschnitts geschuldet sei.

18      Nach einer Besprechung am 22. September 2008 unterbreitete LDZ Orlen am 29. September 2008 ein Angebot für den Transport ihrer Erdölprodukte. Orlen zufolge war dieses Angebot „konkret und attraktiv“.

19      Ab dem 3. Oktober 2008 wurde der Gleisabschnitt von LG vollständig entfernt. Ende Oktober 2008 war der Gleisabschnitt komplett abgebaut.

20      Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 bestätigte Orlen LDZ ihre Absicht, etwa 4,5 Mio. Tonnen Erdölprodukte von der Raffinerie bis zu den lettischen Seehäfen zu befördern. Am 20. Februar 2009 fand ein Treffen statt, und weitergehende Gespräche erfolgten im Frühjahr 2009.

21      Im Januar 2009 wurde zwischen der Klägerin und Orlen eine neue allgemeine Transportvereinbarung für einen Zeitraum von 15 Jahren bis zum 1. Januar 2024 geschlossen (im Folgenden: Vereinbarung von 2009). Diese Vereinbarung ersetzte eine Zwischenvereinbarung, die am 1. Oktober 2008 unterzeichnet worden war.

22      Die Vereinbarung von 2009 beruhte auf der Standardpreispolitik der Klägerin im Bereich der Tarifierung, wonach jeder Bahnstrecke in Litauen ein Grundtarif zugeordnet wurde. Außerdem sah die Vereinbarung von 2009 ein System von Preisnachlässen auf diese Tarife vor [vertraulich](1).

23      [vertraulich]

24      Die Verhandlungen zwischen Orlen und LDZ liefen bis Ende Juni 2009, als LDZ eine Lizenz für die Nutzung des litauischen Teils der kurzen Strecke nach Lettland beantragte.

25      Am 10. November 2009 entschied das Schiedsgericht, dass die einseitige Kündigung der Vereinbarung von 1999 durch die Klägerin rechtswidrig sei und von einer Geltung der Vereinbarung bis zum 1. Oktober 2008 als dem Zeitpunkt, an dem Orlen und die Klägerin eine vorläufige Transportvereinbarung getroffen hätten, auszugehen sei.

26      Orlen zufolge sind die Gespräche mit LDZ Mitte 2010 unterbrochen worden, als sie schließlich zu der Auffassung gelangt sei, dass die Klägerin nicht beabsichtige, den Gleisabschnitt kurzfristig zu reparieren. Zu diesem Zeitpunkt zog LDZ ihren Antrag auf eine Lizenz für die Nutzung des litauischen Teils der kurzen Strecke nach Lettland zurück.

B.      Verwaltungsverfahren

27      Am 14. Juli 2010 legte Orlen bei der Kommission gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) eine förmliche Beschwerde ein.

28      In ihrer Beschwerde machte Orlen im Wesentlichen geltend, nach geschäftlichen Differenzen mit ihr habe LG den Gleisabschnitt entfernt, so dass die kurze Strecke nach Lettland nicht mehr zur Verfügung gestanden habe und Orlen gezwungen gewesen sei, die einzig verfügbare Strecke zu nutzen, d. h. die lange Strecke nach Lettland, um den Teil ihrer Produktion, der für einen Transport nach oder durch Lettland bestimmt sei, per Zug zu befördern.

29      Im Einzelnen legte Orlen dar, dass die geschäftlichen Differenzen die Gebühren betroffen hätten, die LG für den Frachttransport per Eisenbahn erhoben habe, und Orlen aufgrund dieser Differenzen begonnen habe, die Möglichkeit zu prüfen, ausschließlich die Dienste von LDZ in Anspruch zu nehmen, um ihre raffinierten Erdölprodukte auf der kurzen Strecke nach Lettland zu transportieren sowie mit Hilfe dieser Strecke ihre Exporttätigkeiten vom Seehafen Klaipėda abzuziehen und auf die Seehäfen Riga und Ventspils zu verlagern, wovon LG Kenntnis erlangt habe. Die Maßnahmen der Klägerin, d. h. die Aussetzung des Verkehrs und die anschließende Entfernung des Gleisabschnitts, seien objektiv nicht gerechtfertigt und allein darauf gerichtet, Orlen daran zu hindern, mit Hilfe der Schienentransportdienste von LDZ ihre See-Exporttätigkeit auf die lettischen Seehäfen zu verlagern.

30      Vom 8. bis zum 10. März 2011 führte die Kommission mit Unterstützung der nationalen Wettbewerbsbehörden der Republik Lettland und der Republik Litauen in den Geschäftsräumen der Klägerin in Vilnius und der LDZ in Riga Nachprüfungen gemäß Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 durch. Im Rahmen der Nachprüfungen beschlagnahmte die Kommission u. a. Unterlagen, die ihrer Meinung nach beweisen, dass der Klägerin der potenziell von LDZ ausgehende Wettbewerb sowie das Risiko, dass Orlen ihre See-Exporte auf die lettischen Seehäfen verlagere, bewusst gewesen seien.

31      Am 6. März 2013 beschloss die Kommission, gegen LG ein Verfahren nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) einzuleiten.

32      Am 5. Januar 2015 erließ die Kommission eine an die Klägerin gerichtete Mitteilung der Beschwerdepunkte. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte stellte die Kommission vorab fest, dass die Klägerin möglicherweise einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV begangen habe.

33      Am 25. März 2015 nahm Orlen zu einer nicht vertraulichen Fassung der Mitteilung der Beschwerdepunkte Stellung.

34      Die Klägerin antwortete am 8. April 2015 auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und äußerte sich zur Stellungnahme von Orlen. Die mündliche Anhörung fand am 27. Mai 2015 statt.

35      Am 23. Oktober 2015 übermittelte die Kommission der Klägerin ein Sachverhaltsschreiben, auf das die Klägerin am 2. Dezember 2015 antwortete. Am 29. Februar 2016 übermittelte die Klägerin der Kommission eine erneute Stellungnahme.

36      Am 2. Oktober 2017 erließ die Kommission den Beschluss C(2017) 6544 final in einem Verfahren nach Art. 102 AEUV (Sache AT.39813 – Baltic Rail) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), dessen Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2017, C 383, S. 7) veröffentlicht wurde.

C.      Angefochtener Beschluss

37      Im angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass die Klägerin ihre beherrschende Stellung als Betreiberin der litauischen Eisenbahninfrastrukturen missbraucht habe, indem sie den Gleisabschnitt entfernt habe und LDZ dadurch am Eintritt in den litauischen Markt gehindert habe. Die Kommission verhängte eine Geldbuße gegen die Klägerin und wies sie an, die Zuwiderhandlung einzustellen.

1.      Bestimmung der relevanten Märkte und beherrschende Stellung der Klägerin auf diesen Märkten

38      Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission zwei sachlich relevante Märkte bestimmt:

–        den vorgelagerten Markt des Betriebs von Eisenbahninfrastrukturen;

–        den nachgelagerten Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte.

39      Als räumlich relevanter Markt für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen wird der nationale litauische Markt angesehen. Was den räumlich relevanten Markt für Schienentransportdienste für Erdölprodukte betrifft, vertrat die Kommission auf der Grundlage des Ansatzes „Ausgangsort – Zielort“, des sogenannten „O&D-Ansatzes“ (nach den englischen Bezeichnungen „point of origin“ und „point of destination“), die Auffassung, dass es sich um einen Markt für Schienenfrachttransportdienste handele, dessen Ausgangspunkt die Raffinerie und dessen Zielort die drei Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils seien.

40      Die Kommission stellte fest, dass die Klägerin aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften über ein gesetzliches Monopol auf dem vorgelagerten Markt für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen in Litauen verfüge. Insoweit bestimme Art. 5 Abs. 1 des Lietuvos Respublikos geležinkelių transporto kodekso patvirtinimo, įsigaliojimo ir taikymo įstatymas (Gesetz über den Schienentransport der Republik Litauen) vom 22. April 2004 (Žin., 2004, Nr. IX-2152, im Folgenden: Schienentransportgesetz), dass die öffentlichen Eisenbahninfrastrukturen Eigentum des litauischen Staats seien und der Klägerin zum Betrieb überlassen würden.

41      Die Kommission stellte außerdem fest, dass LG mit Ausnahme der sehr geringen von LDZ transportierten Mengen das einzige Unternehmen sei, das auf dem nachgelagerten Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte tätig sei, was ihr eine beherrschende Stellung auf diesem Markt verschaffe.

2.      Missbräuchliches Verhalten

42      Im angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass die Klägerin ihre beherrschende Stellung als Betreiberin der litauischen Eisenbahninfrastrukturen missbraucht habe, indem sie den Gleisabschnitt entfernt habe, was geeignet gewesen sei, wettbewerbswidrige Auswirkungen in Form der Verdrängung von Wettbewerbern vom Markt für die Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zwischen der Raffinerie und den benachbarten Seehäfen hervorzurufen, indem Hindernisse für den Markteintritt errichtet worden seien, ohne dass dies objektiv gerechtfertigt gewesen wäre. Die Kommission stellte insbesondere in den Erwägungsgründen 182 bis 201 des angefochtenen Beschlusses fest, dass LG durch die vollständige Entfernung des Gleisabschnitts wettbewerbswidrige Methoden angewandt habe. Insoweit wies die Kommission darauf hin, dass erstens LG sich bewusst gewesen sei, dass Orlen erwogen habe, auf die lettischen Seehäfen umzusteigen und dafür die Dienste von LDZ zu nutzen; zweitens LG die Entfernung des Gleisabschnitts in großer Eile vorgenommen habe, ohne zuvor sicherzustellen, dass die dafür erforderlichen Mittel bereitständen, und ohne die normalen Vorbereitungen für den Neubau des Gleisabschnitts zu treffen; drittens die Beseitigung des Gleisabschnitts nicht dem branchenüblichen Vorgehen entsprochen habe; viertens LG sich der Gefahr bewusst gewesen sei, im Fall eines Neubaus des Gleisabschnitts alle geschäftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Transport der Produkte von Orlen zu verlieren; und fünftens LG Schritte unternommen habe, um die litauische Regierung davon zu überzeugen, den Gleisabschnitt nicht wieder aufzubauen.

43      Der Gleisabschnitt liege auf dem kürzesten und kostengünstigsten Weg von der Raffinerie zu einem lettischen Seehafen. Weil der Gleisabschnitt in der Nähe von Lettland und vom Logistikzentrum von LDZ liege, stelle er ferner eine sehr gute Möglichkeit für LDZ dar, in den litauischen Markt einzutreten.

44      Zu den wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Verhaltens der Klägerin stellte die Kommission nach einer Analyse in den Erwägungsgründen 202 bis 324 des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts geeignet gewesen sei, den Markteintritt von LDZ zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren, und dies, obwohl LDZ vor der Beseitigung des Gleisabschnitts glaubhaft die Möglichkeit gehabt habe, die für den See-Export bestimmten Erdölprodukte von Orlen über die kurze Strecke nach Lettland von der Raffinerie bis zu den lettischen Seehäfen zu transportieren. Nach der Beseitigung des Gleisabschnitts habe der Schienenverkehr von der Raffinerie zu einem lettischen Seehafen über wesentlich längere Strecken in Litauen geführt werden müssen. Insbesondere habe LDZ nach der Beseitigung des Gleisabschnitts als einzige Option, um in Wettbewerb mit der Klägerin zu treten, nur die Möglichkeit gehabt, zu versuchen, auf der Strecke nach Klaipėda oder auf der langen Strecke nach Lettland tätig zu werden. Somit hätte LDZ viel weiter von ihrem Logistikzentrum in Lettland entfernt agieren müssen, wobei sie zudem auf die Infrastrukturdienstleistungen ihres Wettbewerbers LG angewiesen gewesen wäre. Unter diesen Umständen wären LDZ nach Auffassung der Kommission erhebliche finanzielle Risiken entstanden, die das Unternehmen wahrscheinlich nicht eingegangen wäre.

45      In den Erwägungsgründen 325 bis 357 des angefochtenen Beschlusses stellte die Kommission ferner fest, dass die Klägerin keine objektive Rechtfertigung für die Beseitigung des Gleisabschnitts vorgelegt habe, da ihre Erklärungen weder kohärent noch überzeugend seien und sich zum Teil widersprächen.

3.      Geldbuße und Anordnung

46      Unter Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2; im Folgenden: Leitlinien von 2006) verhängte die Kommission in Anbetracht der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung eine Geldbuße in Höhe von 27 873 000 Euro gegen die Klägerin.

47      Die Kommission war außerdem der Auffassung, dass durch verschiedene strukturelle oder verhaltensbezogene Abhilfemaßnahmen die Wettbewerbssituation von vor der Entfernung des Gleisabschnitts wiederhergestellt oder aber die Nachteile für potenzielle Wettbewerber auf Alternativstrecken zu den Seehäfen beseitigt werden könnten. Die Kommission wies LG an, die Zuwiderhandlung einzustellen und ihr innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses mitzuteilen, welche Maßnahmen das Unternehmen zu diesem Zweck vorschlägt.

4.      Verfügender Teil des angefochtenen Beschlusses

48      Der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Artikel 1

[LG] hat durch die Beseitigung des Gleisabschnitts zwischen Mažeikiai in Litauen und der lettischen Grenze gegen Artikel 102 AEUV verstoßen. Die Zuwiderhandlung hat am 3. Oktober 2008 begonnen und dauert zum Zeitpunkt des Erlasses des vorliegenden Beschlusses an.

Artikel 2

Wegen der in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlung wird gegen [LG] eine Geldbuße in Höhe von 27 873 000 [Euro] verhängt.

Artikel 3

[LG] hat die in Artikel 1 genannte Zuwiderhandlung einzustellen und der Kommission innerhalb von drei Monaten mitzuteilen, welche Maßnahmen das Unternehmen zu diesem Zweck vorschlägt. Der Vorschlag muss hinreichend detailliert sein, damit die Kommission eine vorläufige Beurteilung vornehmen und feststellen kann, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen die tatsächliche Einhaltung des Beschlusses garantieren.

[LG] hat jegliches Verhalten zu unterlassen, das ein ähnliches Ziel oder eine ähnliche Wirkung wie das in Artikel 1 genannte Verhalten hat …“

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

49      Mit Klageschrift, die am 14. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

50      Orlen hat mit Schriftsatz, der am 5. April 2018 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, beantragt, im vorliegenden Verfahren zur Unterstützung der Anträge der Kommission als Streithelferin zugelassen zu werden.

51      Auf Antrag der Kommission ist die Frist für die Einreichung eines Antrags auf vertrauliche Behandlung bis zum 4. Juni 2018 verlängert worden.

52      Mit am 1. bzw. am 4. Juni 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schreiben haben die Kommission und die Klägerin beantragt, bestimmte Gesichtspunkte in der Klageschrift und der Klagebeantwortung sowie in einigen ihrer Anlagen gegenüber der Streithelferin vertraulich zu behandeln. Gemeinsam erstellte nicht vertrauliche Fassungen der Klageschrift und der Klagebeantwortung wurden von der Klägerin und der Kommission eingereicht.

53      Mit Schreiben vom 15. Juni 2018 hat die Klägerin beantragt, bestimmte Gesichtspunkte in der Erwiderung und ihrer Anlage gegenüber der Streithelferin vertraulich zu behandeln.

54      Mit Beschluss des Präsidenten der Dritten Kammer des Gerichts vom 13. Juli 2018 ist Orlen als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden. Die Entscheidung über die Begründetheit der Anträge auf vertrauliche Behandlung ist vorbehalten worden, und Orlen sind von den Hauptparteien erstellte nicht vertrauliche Fassungen der verschiedenen Schriftsätze übermittelt worden.

55      Mit Schreiben vom 31. Juli 2018 hat die Kommission beantragt, bestimmte Gesichtspunkte in der Erwiderung gegenüber der Streithelferin vertraulich zu behandeln. Am gleichen Tag reichten die Klägerin und die Kommission eine gemeinsam erstellte nicht vertrauliche Fassung der Erwiderung ein.

56      Mit Schreiben vom 5. August 2018 hat die Streithelferin die Vertraulichkeit einiger Passagen bestritten, die in den nicht vertraulichen Fassungen der Schriftsätze, nämlich den Anlagen A 14 und A 26, geschwärzt waren.

57      Mit Schreiben vom 30. August 2018 hat die Klägerin beantragt, bestimmte Gesichtspunkte in der Gegenerwiderung gegenüber der Streithelferin vertraulich zu behandeln. Eine gemeinsam erstellte nicht vertrauliche Fassung der Gegenerwiderung ist von den Hauptparteien bei der Kanzlei hinterlegt worden.

58      Am 15. September 2018 hat die Streithelferin ihren Streithilfeschriftsatz eingereicht.

59      Mit Schreiben vom 22. September 2018 hat die Streithelferin mitgeteilt, dass sie keine Einwände gegen die Anträge auf vertrauliche Behandlung erhebe, die die Hauptparteien in Bezug auf bestimmte Gesichtspunkte in der Erwiderung und der Gegenerwiderung gestellt hätten.

60      Am 24. September 2018 hat das Gericht (Dritte Kammer) der Klägerin und der Streithelferin im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 89 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt. Sie haben die Fragen fristgerecht beantwortet.

61      Am 13. Dezember 2018 hat das Gericht (Dritte Kammer) der Klägerin und der Streithelferin im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 89 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt.

62      Am 21. Dezember 2018 hat die Streithelferin in Anknüpfung an die Fragen des Gerichts ihre Einwände in Bezug auf die Anlage A.26 zurückgenommen, während die Klägerin am 7. Januar 2019 ihren Antrag auf vertrauliche Behandlung der Anlage A.14 zurückgenommen hat. Folglich gibt es keine Einwände mehr gegen die Anträge der Klägerin auf vertrauliche Behandlung.

63      Infolge der Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts gemäß Art. 27 Abs. 5 der Verfahrensordnung ist die Berichterstatterin der Ersten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache demzufolge zugewiesen worden ist.

64      Auf Vorschlag der Ersten Kammer hat das Gericht die Rechtssache gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

65      Am 28. November 2019 hat das Gericht (Erste erweiterte Kammer) auf Vorschlag der Berichterstatterin beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und im Wege prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung den Parteien schriftliche Fragen gestellt und sie aufgefordert, ein Dokument vorzulegen. Die Parteien sind dem fristgemäß nachgekommen.

66      Die Parteien haben in der Sitzung vom 5. Februar 2020 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

67      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, die in Art. 2 des angefochtenen Beschlusses gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

68      Die Kommission und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage insgesamt abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.      Zum Hauptantrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses

69      Die Klägerin stützt ihren Hauptantrag auf fünf Klagegründe, die sich auf die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses beziehen. Der erste Klagegrund betrifft offensichtliche Beurteilungs- und Rechtsfehler bei der Anwendung von Art. 102 AEUV in Bezug auf die Missbräuchlichkeit des Verhaltens der Klägerin, mit dem zweiten Klagegrund werden Beurteilungs- und Rechtsfehler bei der Anwendung von Art. 102 AEUV in Bezug auf die Beurteilung der fraglichen Praxis gerügt, mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Art. 296 AEUV und Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen unzureichender Beweise und einem Begründungsmangel geltend gemacht, der vierte Klagegrund stützt sich – nur im ersten Teil – auf Fehler bei der Festsetzung der Geldbuße und der fünfte Klagegrund betrifft Fehler bei der Anordnung einer Abhilfemaßnahme.

1.      Zum ersten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung von Art. 102 AEUV in Bezug auf die Missbräuchlichkeit des Verhaltens der Klägerin

70      Mit dem ersten Klagegrund wendet sich die Klägerin gegen das rechtliche Kriterium, das die Kommission im angefochtenen Beschluss bei der Einstufung ihres Verhaltens als Missbrauch einer beherrschenden Stellung angewandt hat. Die Klägerin ist der Auffassung, die Kommission hätte die vorliegende Rechtssache im Licht der gefestigten Rechtsprechung zur Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Infrastrukturen beurteilen müssen, die erst ab einer viel höheren als der im angefochtenen Beschluss angewandten Schwelle von der Missbräuchlichkeit eines Verhaltens ausgehe.

71      Erstens sei es nicht die Beseitigung des Gleisabschnitts, die wettbewerbswidrige Auswirkungen habe. In Wirklichkeit sei es die einen Monat zuvor erfolgte Aussetzung des Verkehrs, die diese Auswirkungen gehabt habe. Nach Auffassung der Klägerin hätte der Gleisabschnitt, selbst wenn er am 3. Oktober 2008 nicht entfernt worden wäre und unabhängig davon, dass er nach der Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 nicht repariert worden sei, jedenfalls nicht von LDZ benutzt werden können. Folglich laufe die rechtliche Frage darauf hinaus, ob die Klägerin unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache aufgrund von Art. 102 AEUV verpflichtet gewesen sei, den Gleisabschnitt zu reparieren. Fehle es an einer solchen Verpflichtung, stelle sich auch nicht die Frage, ob die Beseitigung des Gleisabschnitts gerechtfertigt sei oder nicht.

72      Zweitens könne ihr die Verpflichtung, eine Infrastruktur, zu der eine Wettbewerberin Zugang beantragen könne, zu reparieren oder in sie zu investieren, gemäß Art. 102 AEUV nur dann auferlegt werden, wenn es sich bei dem Gleisabschnitt um eine unerlässliche Infrastruktur handle, d. h. wenn sie für LDZ bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten auf dem relevanten nachgelagerten Markt unverzichtbar sei und die unterlassene Reparatur durch die Klägerin jeglichen Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt ausschalte. Diese zwei Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt. Insbesondere sei der Zugang zum Gleisabschnitt für LDZ nicht unverzichtbar, um auf dem relevanten nachgelagerten Markt in Wettbewerb treten zu können.

73      Ganz allgemein führe der Umstand, dass eine Ersatzlösung aus Sicht eines Wettbewerbers weniger vorteilhaft sei, nicht dazu, dass eine Infrastruktur „unerlässlich“ oder „unverzichtbar“ sei. Nach Auffassung der Klägerin würde es eine nicht gerechtfertigte Einschränkung ihrer unternehmerischen Freiheit darstellen, wenn sie nach Art. 102 AEUV verpflichtet wäre, erhebliche Summen in eine nicht unerlässliche, vollständig verfallene und nicht funktionsfähige Infrastruktur zu investieren, um den Markteintritt einer einzigen Wettbewerberin zu ermöglichen, indem sie ihr eine attraktivere Strecke zur Verfügung stelle, um einen einzigen Kunden für einen kleinen Teil seiner Produktion zu bedienen.

74      Drittens sei das rechtliche Kriterium, das sich auf die Rechtsprechung im Bereich wesentlicher Infrastrukturen stütze, dasjenige, dessen Anwendung die Kommission selbst vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwogen habe. Bei einer Besprechung mit der Klägerin am 25. März 2013 hätten die Dienststellen der Kommission nämlich erklärt, die Schadenstheorie beruhe auf der Annahme, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts eine Weigerung darstelle, LDZ unerlässliche Infrastrukturdienste bereitzustellen.

75      Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

76      Art. 102 AEUV verbietet einem Unternehmen in beherrschender Stellung insbesondere die Anwendung von Praktiken, die für seine als ebenso effizient geltenden Wettbewerber eine Verdrängungswirkung entfalten und damit seine Stellung stärken, indem andere Mittel als diejenigen eines Leistungswettbewerbs herangezogen werden (vgl. Urteil vom 6. September 2017, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 136 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Nach ständiger Rechtsprechung trägt das Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Binnenmarkt nicht beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 6. September 2017, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei der nach Art. 102 AEUV verbotenen missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung um einen objektiven Begriff, der auf die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung abstellt, die auf einem Markt, auf dem der Grad an Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Grades an Wettbewerb oder die Entwicklung des Wettbewerbs durch den Einsatz von anderen Mitteln behindern als denjenigen eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Wirtschaftsteilnehmer (vgl. Urteile vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 9. September 2009, Clearstream/Kommission, T‑301/04, EU:T:2009:317, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Art. 102 AEUV erfasst nicht nur Verhaltensweisen, durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch solche, die sie durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schädigen (vgl. Urteil vom 27. März 2012, Post Danmark, C‑209/10, EU:C:2012:172, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2012, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, T‑336/07, EU:T:2012:172, Rn. 171).

80      Es geht nicht unbedingt um die konkrete Folge des beanstandeten missbräuchlichen Verhaltens. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV ist nachzuweisen, dass das missbräuchliche Verhalten des Unternehmens in beherrschender Stellung darauf gerichtet ist, den Wettbewerb zu beschränken, oder anders ausgedrückt, dass das Verhalten eine solche Wirkung haben kann (Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 68; vgl. auch Urteile vom 9. September 2009, Clearstream/Kommission, T‑301/04, EU:T:2009:317, Rn. 144 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 29. März 2012, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, T‑336/07, EU:T:2012:172, Rn. 268 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem steht der Umstand, dass sich das missbräuchliche Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung auf andere als die beherrschten Märkte negativ auswirkt, einer Anwendung von Art. 102 AEUV nicht entgegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. November 1996, Tetra Pak/Kommission, C‑333/94 P, EU:C:1996:436, Rn. 25).

81      Das Vorbringen der Klägerin im Rahmen des ersten Klagegrundes ist im Licht dieser Grundsätze zu untersuchen.

82      Im vorliegenden Fall betrifft das Vorbringen der Klägerin im Rahmen des ersten Klagegrundes nur das rechtliche Kriterium, das die Kommission bei der Einstufung ihres Verhaltens als Missbrauch einer beherrschenden Stellung angewandt hat.

83      In den Erwägungsgründen 177 und 178 des angefochtenen Beschlusses stellte die Kommission fest, dass die Klägerin ihre beherrschende Stellung auf dem litauischen Markt für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen missbraucht habe, indem sie den Gleisabschnitt ohne objektive Rechtfertigung entfernt habe. Die Kommission war insbesondere der Auffassung, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts unter den fraglichen rechtlichen und tatsächlichen Umständen kein Verhalten darstelle, das mit dem normalen Wettbewerbsverhalten vereinbar sei. Es habe zu potenziellen rechtswidrigen Auswirkungen auf dem Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zwischen der Raffinerie und den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils geführt, und zwar durch die Errichtung von Hindernissen für den Markteintritt.

84      Folglich besteht das im angefochtenen Beschluss beanstandete Verhalten aus der Beseitigung des Gleisabschnitts als solcher, unabhängig von der Aussetzung des Verkehrs auf diesem Gleisabschnitt am 2. September 2008 und der unterlassenen Instandsetzung.

85      Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen bestreitet, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts als solche als potenziell missbräuchliches Verhalten eingestuft werden kann, ist zunächst festzustellen, dass die Aufzählung der missbräuchlichen Verhaltensweisen in Art. 102 AEUV nicht abschließend ist; es handelt sich bei der in dieser Bestimmung enthaltenen Aufzählung missbräuchlicher Praktiken also um keine erschöpfende Wiedergabe der Arten der nach dem Unionsrecht verbotenen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung (vgl. Urteil vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, EU:C:2011:83, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich kann grundsätzlich jedes Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung, das geeignet ist, den Wettbewerb auf einem Markt zu beschränken, als missbräuchlich eingestuft werden. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts für sich genommen, unabhängig von der Aussetzung des Verkehrs und der unterlassenen Instandsetzung, als potenziell missbräuchliches Verhalten eingestuft werden kann.

86      Es ist daher im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Kommission im angefochtenen Beschluss das geeignete rechtliche Kriterium angewandt hat, um festzustellen, dass das fragliche Verhalten, d. h. die Beseitigung des Gleisabschnitts, den Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt.

87      Vorab ist festzustellen, dass die Rechtsprechung zu den wesentlichen Infrastrukturen im Wesentlichen die Umstände betrifft, unter denen die Lieferverweigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens, insbesondere durch Ausübung eines Eigentumsrechts, ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung sein kann. Diese Rechtsprechung bezieht sich daher vor allem auf Fälle, in denen die freie Ausübung eines ausschließlichen Rechts, mit dem die Vornahme einer Investition oder eine Innovation belohnt wird, im Interesse eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt begrenzt werden kann (vgl. Urteil vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission, T‑321/05, EU:T:2010:266, Rn. 679 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Insbesondere ist diese Begrenzung, die letztlich in einer Lieferverpflichtung zum Ausdruck kommt, nur dann zulässig, wenn drei außergewöhnliche Umstände vorliegen, die der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), dargelegt hat.

89      In der Rechtssache im Urteil vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), hat der Gerichtshof entschieden, dass die Weigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung, Zugang zu einer Dienstleistung zu gewähren, nur dann als Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV einzustufen ist, wenn sie geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf dem Markt durch denjenigen, der die Dienstleistung begehrt, auszuschalten, nicht objektiv zu rechtfertigen ist und die Dienstleistung selbst für die Ausübung der Tätigkeit des Nachfragers unentbehrlich ist (Urteil vom 26. November 1998, Bronner, C‑7/97, EU:C:1998:569, Rn. 41; vgl. auch Urteil vom 9. September 2009, Clearstream/Kommission, T‑301/04, EU:T:2009:317, Rn. 147 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Ziel der im Urteil vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), genannten außergewöhnlichen Umstände ist es, sicherzustellen, dass die einem Unternehmen in beherrschender Stellung auferlegte Verpflichtung, Zugang zu seiner Infrastruktur zu gewährleisten, nicht letztlich dadurch den Wettbewerb beeinträchtigt, dass die ursprüngliche Motivation des Unternehmens, eine solche Infrastruktur zu errichten, verringert wird. Für ein marktbeherrschendes Unternehmen würde nämlich der Anreiz, Investitionen in Infrastrukturen zu tätigen, gemindert werden, wenn seine Wettbewerber auf ihr Ersuchen hin in die Lage versetzt würden, an den Gewinnen teilzuhaben (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Bronner, C‑7/97, EU:C:1998:264, Nr. 57).

91      Dieses Erfordernis, für das beherrschende Unternehmen den Anreiz aufrechtzuerhalten, in die Errichtung grundlegender Anlagen zu investieren, entfällt jedoch, wenn der geltende Rechtsrahmen dem Unternehmen in beherrschender Stellung bereits eine Lieferverpflichtung auferlegt oder sich die beherrschende Stellung, die das Unternehmen auf dem Markt erlangt hat, aus einem ehemaligen staatlichen Monopol ergibt.

92      Die Rechtsprechung hat insoweit anerkannt, dass die im Urteil vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), ausgearbeiteten außergewöhnlichen Umstände in Fällen entwickelt und angewandt worden sind, in denen es um die Frage ging, ob Art. 102 AEUV gebieten kann, dass ein Unternehmen in beherrschender Stellung anderen Unternehmen Zugang zu einer Ware oder einer Dienstleistung gewährt, obwohl es hierzu gesetzlich in keiner Weise verpflichtet ist (Urteil vom 13. Dezember 2018, Slovak Telekom/Kommission, T‑851/14, gegen das Urteil ist ein Rechtsmittel anhängig, EU:T:2018:929, Rn. 118). Wenn nämlich eine gesetzliche Lieferverpflichtung besteht, wurde die notwendige Abwägung der wirtschaftlichen Anreize, deren Schutz die Anwendung der im Urteil vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), entwickelten außergewöhnlichen Umstände rechtfertigt, bereits vom Gesetzgeber zu dem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem die Lieferverpflichtung festgelegt wurde.

93      Ferner hat die Rechtsprechung anerkannt, dass in Fällen, in denen eine beherrschende Stellung aus einem gesetzlichen Monopol entstanden ist, dies bei der Anwendung von Art. 102 AEUV berücksichtigt werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2012, Post Danmark, C‑209/10, EU:C:2012:172, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt erst recht, wenn das Unternehmen im Fall eines gesetzlichen Monopols nicht in die Errichtung der Infrastruktur investiert hat, da diese bereits mit öffentlichen Mitteln errichtet und entwickelt wurde.

94      Im vorliegenden Fall ist als Erstes festzustellen, dass die Klägerin eine beherrschende Stellung auf dem Markt für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen einnimmt, die sich aus einem gesetzlichen Monopol ergibt. Ferner hat die Klägerin nicht in das litauische Eisenbahnnetz investiert, das dem litauischen Staat gehört und mit öffentlichen Mitteln errichtet und entwickelt wurde.

95      Als Zweites steht der Klägerin keine freie Ausübung eines ausschließlichen Eigentumsrechts zu, mit dem die Vornahme einer Investition oder eine Innovation belohnt wird. In ihrer Eigenschaft als Betreiberin der litauischen Eisenbahninfrastrukturen ist sie sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach dem innerstaatlichen Recht damit beauftragt, Zugang zu öffentlichen Eisenbahninfrastrukturen zu gewähren sowie einen technisch einwandfreien Zustand der Eisenbahninfrastrukturen und einen sicheren und ununterbrochenen Eisenbahnverkehr zu gewährleisten und im Fall einer Störung des Eisenbahnverkehrs alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Normalbetrieb wiederherzustellen.

96      Art. 10 der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. 1991, L 237, S. 25) gewährte nämlich den Eisenbahnunternehmen mit Sitz in der Union einen Zugang zu den Eisenbahninfrastrukturen zu angemessenen Bedingungen für das Erbringen dieser Dienstleistungen in allen Mitgliedstaaten. Zudem bestimmte Art. 5 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. 2001, L 75, S. 29), dass Eisenbahnunternehmen unter Ausschluss jeglicher Diskriminierung Anspruch auf das in Anhang II der Richtlinie beschriebene Mindestzugangspaket sowie auf den dort beschriebenen Schienenzugang zu Serviceeinrichtungen haben. Wie ferner im 131. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, definieren auf nationaler Ebene die Vorschriften über die Zuweisung von Kapazitäten für öffentliche Eisenbahninfrastrukturen die Kategorien der Infrastrukturleistungen, die der in Anhang II der Richtlinie 2001/14 aufgeführten Liste von Leistungen entsprechen. Insbesondere müssen nach Rn. 57 dieser Vorschriften das „Mindestzugangspaket“ und der Zugang zu den Eisenbahninfrastrukturen unter Ausschluss jeglicher Diskriminierung bereitgestellt werden.

97      Wie außerdem aus dem 122. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, bestimmt Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14, dass „[b]ei technisch bedingten oder unfallbedingten Störungen der Zugbewegungen … der Betreiber der Infrastruktur alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen [hat], um die normale Situation wiederherzustellen“. Ebenso war die Klägerin nach Art. 8 Abs. 1 Nr. 4 des Lietuvos Respublikos geležinkelių transporto sektoriaus reformos įstatymas (Gesetz über die Reform des Schienentransportsektors der Republik Litauen) vom 27. April 2004 (Žin., 2004, Nr. 61-2182), das bis zum 8. Oktober 2011 in Kraft war, verpflichtet, den technisch einwandfreien Zustand der öffentlichen Eisenbahninfrastrukturen sowie einen sicheren und ununterbrochenen Eisenbahnverkehr zu gewährleisten. Außerdem bestimmt Rn. 69 der Vorschriften über die Zuweisung von Kapazitäten für öffentliche Eisenbahninfrastrukturen, die durch den Beschluss Nr. 611 der Regierung der Republik Litauen vom 19. Mai 2004, geändert durch den Beschluss Nr. 167 vom 15. Februar 2006, angenommen wurden, dass der Betreiber der Infrastrukturen im Fall einer durch einen Eisenbahnverkehrsunfall bedingten Störung alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, um die normale Situation wiederherzustellen.

98      Nach alledem ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin festzustellen, dass angesichts des maßgeblichen Rechtsrahmens das fragliche Verhalten, d. h. die Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts, nicht im Licht der gefestigten Rechtsprechung zur Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Infrastrukturen analysiert werden darf, sondern als Verhalten anzusehen ist, das geeignet ist, durch Erschwerung des Marktzugangs den Markteintritt zu behindern und eine wettbewerbswidrige Marktverschließung zu bewirken. Folglich ist die Frage, ob die Klägerin aufgrund von Art. 102 AEUV verpflichtet war, den Gleisabschnitt zu reparieren, für die vorliegende Rechtssache nicht relevant.

99      Somit beging die Kommission keinen Fehler, als sie nicht prüfte, ob das streitige Verhalten die Voraussetzungen erfüllte, die die Unentbehrlichkeit der Dienstleistung, deren Zugang verweigert worden war, und die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs betreffen und in Rn. 41 des Urteils vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), aufgeführt sind. Vorbehaltlich einer etwaigen objektiven Rechtfertigung war nämlich der Nachweis ausreichend, dass es sich um ein Verhalten handelte, das den Wettbewerb beschränken und insbesondere ein Hindernis für den Markteintritt darstellen konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission, C‑457/10 P, EU:C:2012:770, Rn. 149 und 153).

100    In Erwiderung auf das Vorbringen der Kommission versucht die Klägerin, dieses Ergebnis in Frage zu stellen, indem sie geltend macht, sie sei nach Art. 102 AEUV nicht verpflichtet, ihre Ressourcen in eine neue Infrastruktur zu investieren, da der Gleisabschnitt völlig verfallen sei und nicht mehr benutzt werden könne. Insbesondere gebe es keine nationale Rechtsvorschrift, die ihr die unbedingte Pflicht auferlege, ihre sehr begrenzten Ressourcen in eine neue Infrastruktur zu investieren, um einen völlig verfallenen Gleisabschnitt zu ersetzen, obwohl andere Strecken im Netz verfügbar seien.

101    Dieses Vorbringen beruht auf der Annahme, die Kommission habe, statt die Beseitigung des Gleisabschnitts als missbräuchliche Praxis zu prüfen, untersuchen müssen, ob die unterlassene Instandsetzung des Gleisabschnitts im Licht der Rechtsprechung zu wesentlichen Infrastrukturen als missbräuchliche Praxis eingestuft werden könne. Aus der oben in den Rn. 98 und 99 vorgenommenen Prüfung ergibt sich jedoch, dass diese Annahme falsch ist.

102    Was das Vorbringen betrifft, das rechtliche Kriterium, das sich auf die Rechtsprechung zum Zugang zu wesentlichen Infrastrukturen stütze, sei dasjenige, das die Kommission selbst vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwogen habe, da die Dienststellen der Kommission bei einer Besprechung mit der Klägerin am 25. März 2013 erklärt hätten, die Schadenstheorie in der vorliegenden Rechtssache beruhe auf der Annahme, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts eine Weigerung darstelle, LDZ den Zugang zu wesentlichen Infrastrukturdiensten zu ermöglichen, konnte der Umstand, dass laut dem ausschließlich vom Rechtsbeistand der Klägerin verfassten und von der Kommission nicht genehmigten Protokoll einer Besprechung mit den Vertretern der Dienststellen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte die zuvor von der Kommission vertretene „Schadenstheorie“ eine Weigerung gewesen sein könnte, LDZ unerlässliche Dienste bereitzustellen, für die Kommission bei ihrer Beurteilung im angefochtenen Beschluss nicht verbindlich sein. Zudem geht aus dem fraglichen Protokoll ausdrücklich hervor, dass die in der Besprechung geäußerten Meinungen nur vorläufige Einschätzungen darstellten und auch andere Schadenstheorien von der Kommission erwogen werden könnten. Insbesondere ist dem zweiten Absatz des Abschnitts „Schadenstheorie“ des Protokolls zu entnehmen, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts nach Auffassung der Kommission auch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden könne, da sie den Wettbewerb bei der Erbringung von Schienentransportdiensten habe verhindern können.

103    Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass die Kommission nicht verpflichtet war, die Vereinbarkeit des Verhaltens der Klägerin mit Art. 102 AEUV im Licht der gefestigten Rechtsprechung zur Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Infrastrukturen zu beurteilen.

104    Folglich ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

2.      Zum zweiten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Anwendung von Art. 102 AEUV in Bezug auf die Beurteilung der fraglichen Praxis

105    Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV sowie offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Beurteilung der fraglichen Praxis geltend, da die Beseitigung des Gleisabschnitts, der keine grundlegende Infrastruktur dargestellt habe und verfallen gewesen sei, unter den rechtlichen und tatsächlichen Umständen des vorliegenden Falls nicht als Missbrauch einer beherrschenden Stellung anzusehen sei. Die Klägerin trägt vor, dass, selbst wenn die Beseitigung einer solchen Infrastruktur unter sehr außergewöhnlichen Umständen eine missbräuchliche Praxis hätte darstellen können, obwohl die von der Rechtsprechung aufgestellten und im Rahmen des ersten Klagegrundes genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien, die Kommission nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen habe, dass im vorliegenden Fall diese sehr außergewöhnlichen Umstände in Bezug auf den Gleisabschnitt vorlägen.

106    Die Klägerin gliedert den zweiten Klagegrund in vier Teile.

107    Vorab ist festzustellen, dass sich die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle auf sämtliche Bestandteile der Entscheidungen der Kommission in Verfahren nach den Art. 101 und 102 AEUV erstreckt, deren eingehende rechtliche und tatsächliche Kontrolle das Gericht sicherstellt, und zwar auf der Grundlage der vom betreffenden Kläger geltend gemachten Klagegründe und unter Berücksichtigung aller von diesem vorgebrachten Umstände (vgl. Urteil vom 21. Januar 2016, Galp Energía España u. a./Kommission, C‑603/13 P, EU:C:2016:38, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

a)      Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehler bei den von der Kommission geäußerten „Zweifeln“ an der tatsächlichen Mangelhaftigkeit des Gleisabschnitts

108    Mit dem ersten Teil des zweiten Klagegrundes beanstandet die Klägerin, die Kommission habe einen mit einem Beurteilungsfehler einhergehenden Rechtsfehler begangen, da die von ihr geäußerten Zweifel am Vorliegen und an der Bedeutung der Mängel des Gleisabschnitts für die Verkehrssicherheit einer Grundlage entbehrten. Die Klägerin rügt insbesondere, dass die Kommission die Beseitigung des Gleisabschnitts als „nicht gerechtfertigt“ und die ihr von der Klägerin bereitgestellten technischen Erläuterungen zum Gleisabschnitt und seinen Mängeln als „wenig überzeugend“ bezeichnet habe. Die von der Kommission geäußerten „Zweifel“ am Vorliegen und an der Bedeutung der Mängel des Gleisabschnitts seien in Wirklichkeit darauf zurückzuführen, dass die Kommission der Klägerin unterstelle, Sicherheitsprobleme als Vorwand angeführt zu haben, um ihr Verhalten zu verschleiern.

109    Zur Stützung des ersten Teils trägt die Klägerin vier Rügen vor.

1)      Zur ersten Rüge des ersten Teils: Zweifel am Vorliegen einer Verformung des Gleisabschnitts

110    Mit ihrer ersten Rüge macht die Klägerin geltend, die von der Kommission geäußerten Zweifel am Vorliegen einer Verformung entbehrten jeglicher Grundlage. Die von der Kommission geäußerten Zweifel am Vorliegen einer Verformung seien auf Verdächtigungen zurückzuführen, denen zufolge sich die Klägerin auf Sicherheitsprobleme berufen habe, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Die Verformung sei nämlich umgehend von mehreren ihrer Angestellten, die an der Überwachung des Gleisabschnitts beteiligt oder dafür verantwortlich gewesen seien, gemeldet worden, und ihre Meldungen hätten in der Beschreibung der Verformung übereingestimmt. Folglich gebe es überhaupt keinen Grund zu vermuten, dass sie alle ein „Komplott“ geschmiedet hätten, um eine nicht vorhandene Verformung zu „erfinden“.

111    Die Kommission und die Streithelferin treten dieser Rüge entgegen.

112    Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass die Kommission, wie die Klägerin selbst anerkennt, im 181. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erläuterte, dass sie trotz ihrer Zweifel am Vorliegen der Verformung ihre Prüfung auf die Annahme gestützt habe, dass die Verformung wie von der Klägerin dargelegt eingetreten sei. Insbesondere stellte die Kommission fest, dass es nicht genügend Beweise gebe, um das Vorbringen der Klägerin zu Eintritt und Ausmaß der Verformung zu entkräften, was die Kommission auf eine Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung erneut bestätigt hat. Zudem hat die Kommission übereinstimmend mit der Klägerin anerkannt, dass die Verformung in mehreren von der Klägerin vorgelegten schriftlichen Dokumenten vermerkt worden war. Ferner ist dem 179. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu entnehmen, dass die Kommission die Umstände, unter denen die Verformung eingetreten war, nicht deshalb prüfte, weil sie beweisen wollte, dass die Klägerin bösgläubig gehandelt habe und die Verformung schlichtweg erfunden habe, sondern nur, weil die Streithelferin geltend gemacht hatte, dass die Verformung nicht in der von der Klägerin beschriebenen Weise habe eintreten können, was die Klägerin vehement bestritten hatte.

113    Das Vorbringen der Klägerin zum Vorliegen von Zweifeln, die die Kommission am Bestehen einer Verformung des Gleisabschnitts geäußert haben soll, ist somit zurückzuweisen.

2)      Zur zweiten Rüge des ersten Teils: Fehler bei der Beurteilung des Vorbringens, die Beseitigung des Gleisabschnitts sei ausschließlich auf die Verformung zurückzuführen

114    Mit ihrer zweiten Rüge tritt die Klägerin der im 329. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Feststellung entgegen, sie habe ursprünglich in ihrer Antwort auf das erste Auskunftsverlangen vom 6. Januar 2012 behauptet, dass die Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts ausschließlich auf das Eintreten der Verformung zurückzuführen sei. Die Klägerin macht insoweit geltend, sie habe in ihrer Antwort auf die detaillierte Beschreibung des Verfahrens verwiesen, das zur Sperrung und Beseitigung des Gleisabschnitts geführt habe. Folglich habe sie sowohl in ihrer Antwort auf das erste Auskunftsverlangen sowie in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte dieselben Argumente vorgetragen, nämlich, dass die Verformung sie zwar dazu veranlasst habe, den gesamten Gleisabschnitt zu begutachten, es jedoch der allgemeine Zustand des Gleisabschnitts und nicht nur das Eintreten der Verformung gewesen sei, der die Beseitigung des Gleisabschnitts gerechtfertigt habe.

115    Die Kommission und die Streithelferin treten dieser Rüge entgegen.

116    Im vorliegenden Fall erklärte die Klägerin, wie im 329. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, in ihrer Antwort auf das erste Auskunftsverlangen, dass „die Sperrung und anschließende Beseitigung des litauischen Teils des [Gleis]abschnitts die Folge eines Vorfalls waren, der sich am 2. September 2008 auf dem Gleisabschnitt ereignete“. Unmittelbar nach diesem Satz verwies die Klägerin jedoch auf „die detaillierte Beschreibung des Verfahrens, das zur Sperrung und Beseitigung [des Gleisabschnitts] geführt“ habe.

117    Selbst wenn man annimmt, dass das im angefochtenen Beschluss angeführte Vorbringen, wonach die Klägerin ursprünglich behauptet habe, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts auf das Eintreten der Verformung zurückzuführen sei, nicht korrekt wiedergegeben wurde, wie die Klägerin geltend macht, ist dieser Umstand nicht relevant, da die Kommission ihre Analyse im angefochtenen Beschluss nicht auf dieses Vorbringen stützte, sondern auf die Argumente, die die Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vortrug. Das streitige Vorbringen diente nämlich nur dazu, auszuschließen, dass allein die Verformung die Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts habe rechtfertigen können.

118    Demnach ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

3)      Zur dritten Rüge des ersten Teils: Fehler bei der Beurteilung der Unterschiede zwischen den Berichten vom 5. September 2008 und den Schreiben vom 4. und 5. September 2008

119    Mit ihrer dritten Rüge macht die Klägerin geltend, dass die von der Kommission im 334. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses beanstandeten, angeblich nicht erläuterten Unterschiede zwischen den Berichten vom 5. September 2008 zum einen und zum anderen den zwei Schreiben des örtlichen Leiters einer Zweigstelle der Klägerin (im Folgenden: örtlicher Leiter) vom 4. und 5. September 2008, die darin beständen, dass einerseits den Berichten zufolge eine lokale Instandsetzung der verformten Stelle ausreiche und andererseits in den Schreiben des örtlichen Leiters darauf hingewiesen werde, dass umfassendere Arbeiten am Gleisabschnitt vorgenommen werden müssten, dem Umstand geschuldet seien, dass sich der Auftrag der vier Mitglieder des Untersuchungsausschusses auf die Untersuchung der Verformung beschränkt habe und sie ausschließlich die verformte Stelle und nicht den gesamten Gleisabschnitt untersucht hätten. Dagegen sei der Auftrag des örtlichen Leiters, dem die Mitglieder des Untersuchungsausschusses ihre Berichte übermittelt hätten, nicht begrenzt gewesen. Es habe sich bei ihm nämlich um den Mitarbeiter mit der größten Erfahrung gehandelt, da er für Infrastrukturen und Verkehrssicherheit in seiner Region verantwortlich sei und seine Hauptzuständigkeit darin bestanden habe, die Bedeutung des Vorfalls für die Sicherheit des gesamten Gleisabschnitts zu bewerten. Auf der Grundlage seiner Erfahrungen in Bezug auf den Gleisabschnitt und angesichts des Umstands, dass alle zuvor getroffenen Maßnahmen, u. a. kleinere Reparaturen und die Senkung der Geschwindigkeit auf 25 km/h, einen derart schwerwiegenden Vorfall wie die Verformung – die potenziell verheerende Folgen für die Umwelt hätte haben können (Ölverschmutzung) und sich auch in einem ganz anderen Segment des Gleisabschnitts hätte ereignen können – nicht hätten verhindern können, sei er zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Renovierung, d. h. ein Neubau des gesamten Gleisabschnitts, erforderlich sei, um den Verkehr wieder in völliger Sicherheit aufnehmen zu können. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Gleisabschnitt sei der Klägerin sehr wohl bekannt gewesen, weshalb die Kommission keine Schlüsse aus dem Umstand ziehen könne, dass der örtliche Leiter in seinen Schreiben vom 4. und 5. September 2008 nicht ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit die Verformung nicht verhindert habe.

120    Die Kommission und die Streithelferin treten dieser Rüge entgegen.

121    Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Klägerin am 3. September 2008 einen aus leitenden Angestellten ihrer örtlichen Tochtergesellschaft bestehenden Untersuchungsausschuss einberief, um die Ursachen der Verformung zu ermitteln. Der Untersuchungsausschuss hat nur die verformte Stelle besichtigt und untersucht. Folglich bezogen sich seine Feststellungen zum Zustand des Gleisabschnitts nur auf diese Stelle. Der Untersuchungsausschuss legte zwei Berichte vor: den Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 und den technischen Bericht vom 5. September 2008.

122    Dem Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 zufolge war die Verformung durch eine physische Verschlechterung zahlreicher Bestandteile der Struktur des Gleisabschnitts verursacht worden. Im Untersuchungsbericht wurde darüber hinaus bestätigt, dass der Verkehr ausgesetzt werden müsse, „bis alle Wiederherstellungs- und Ausbesserungsmaßnahmen abgeschlossen sind“.

123    Die Bemerkungen im Untersuchungsbericht vom 5. September 2008 wurden durch den technischen Bericht vom 5. September 2008 bestätigt, der sich – wie der erste Bericht – ausschließlich auf die Stelle der Verformung bezog und als deren Ursache verschiedene Probleme im Zusammenhang mit der Struktur des Gleisabschnitts benannte. Im technischen Bericht vom 5. September 2008 wurde festgestellt, dass der Verkehrsunfall, der in Gestalt einer Verformung auf dem Gleisabschnitt eingetreten sei, als Störung eingestuft werden müsse und der physischen Abnutzung der oberen Komponenten der Struktur des Gleisabschnitts geschuldet sei.

124    Am 4. September 2008, d. h. einen Tag vor Übermittlung der Berichte des Untersuchungsausschusses vom 5. September 2008, versandte der örtliche Leiter ein Schreiben an die Direktion für Eisenbahninfrastrukturen der LG. In diesem Schreiben traf der örtliche Leiter die gleichen Feststellungen, wie sie in den Berichten vom 5. September 2008 enthalten waren, doch kam er zu dem Schluss, dass „eine Teilreparatur des Gleisabschnitts das Problem nicht lösen wird“, und er beantragte die erforderliche Genehmigung und Finanzierung für die Durchführung eines Vorhabens zur Reparatur des gesamten Gleisabschnitts.

125    In einem zweiten Schreiben vom 5. September 2008 wiederholte der örtliche Leiter seine Schlussfolgerungen unter Schätzung der Kosten des Vorhabens auf 38 Mio. litauische Litas (LTL), etwa 11,2 Mio. Euro.

126    Insoweit ist erstens festzustellen, dass aus dem Inhalt der Schreiben des örtlichen Leiters vom 4. und 5. September 2008 entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht hervorgeht, dass sein Auftrag nicht auf die Stelle der Verformung begrenzt war und er deshalb den Zustand des gesamten Gleisabschnitts begutachtete, während der Untersuchungsausschuss vom 3. September 2008 seine Prüfung auf die verformte Stelle beschränkte. In seinem Schreiben vom 4. September 2008 beschränkte sich der örtliche Leiter nämlich auf den Hinweis, dass bei einer Routineüberprüfung bei km 18 des Gleisabschnitts eine Verformung gemeldet worden sei, zählte anschließend die Ergebnisse der Überprüfung in Bezug auf die Ursache der Verformung auf und stellte fest, dass „Teilreparaturen das Problem nicht lösen werden“. Ferner beantragte er die erforderliche Genehmigung und Finanzierung für die Durchführung eines Vorhabens zur Reparatur des gesamten Gleisabschnitts. Das Schreiben des örtlichen Leiters vom 5. September 2008 ist kurz gehalten und enthält die Angabe des Datums und der Uhrzeit der Verformung und die Feststellung des örtlichen Leiters, dass Arbeiten am gesamten Gleisabschnitt vorgenommen werden müssten, damit der Verkehr auf dem Gleisabschnitt wieder aufgenommen werden könne. Darüber hinaus schätzte der örtliche Leiter die Kosten des Vorhabens auf 38 Mio. LTL, und er beantragte beim Adressaten des Schreibens dessen Unterstützung bei der Zuweisung von Mitteln für die Durchführung der Arbeiten.

127    Wie die Kommission zweitens hervorhebt, handelte es sich bei den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses vom 3. September 2008, die die Berichte vom 5. September 2008 verfasst hatten und eine lokale Instandsetzung der Verformung empfohlen hatten, um leitende Angestellte, die derselben LG-Zweigstelle wie der örtliche Leiter angehörten und genau wie dieser die Vorgeschichte des Gleisabschnitts kennen mussten.

128    Drittens ergibt, wie im 332. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, ein Vergleich der Berichte vom 5. September 2008 mit dem Schreiben des örtlichen Leiters vom 4. September 2008, wie in Tabelle 2 im 46. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zusammengefasst, dass die drei Dokumente auf die gleichen Probleme im Zusammenhang mit der Struktur des Gleisabschnitts Bezug nehmen. Folglich ist schwer nachzuvollziehen, warum die Berichte vom 5. September 2008 lokale Instandsetzungen an der verformten Stelle empfahlen, während in den Schreiben vom 4. und 5. September 2008 umfassende Reparaturen am gesamten Gleisabschnitt befürwortet wurden.

129    Viertens kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass der örtliche Leiter aufgrund seiner Erfahrung und des Umstands, dass die zuvor ergriffenen Maßnahmen, insbesondere die Geschwindigkeitsbegrenzung, das Eintreten der Verformung nicht verhindert hätten, die Beseitigung und den vollständigen Neubau des Gleisabschnitts empfohlen habe. Die Schreiben des örtlichen Leiters vom 4. und 5. September 2008 enthalten nämlich keinen Hinweis darauf, dass die zuvor ergriffenen Maßnahmen, wie z. B. die Geschwindigkeitsbegrenzung, keinen Erfolg gehabt hätten. Insbesondere das Schreiben des örtlichen Leiters vom 4. September 2008 beschränkte sich auf die nicht näher erläuterte Feststellung, dass „Teilreparaturen das Problem nicht lösen werden“. Zudem kann, selbst wenn erwiesen wäre, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Gleisabschnitt innerhalb der LG bekannt war, dieser Umstand weder die fehlende Bezugnahme auf ein Scheitern der früheren Maßnahmen erklären noch in irgendeiner Weise die Unstimmigkeiten zwischen den Berichten vom 5. September 2008 und den Schreiben des örtlichen Leiters begründen.

130    Somit sind die Begründungen, die die Klägerin vorgetragen hat, um die Diskrepanzen zwischen den Berichten vom 5. September 2008 und den Schreiben des örtlichen Leiters vom 4. und 5. September 2008 zu erklären, nicht ausreichend, um die im angefochtenen Beschluss enthaltene Feststellung der Kommission, es lägen Unstimmigkeiten vor, zu widerlegen.

131    Demnach ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

4)      Zur vierten Rüge des ersten Teils: Die Kommission habe das Vorbringen zu den systemischen Problemen des Gleisbetts zu Unrecht zurückgewiesen

132    Mit ihrer vierten Rüge macht die Klägerin geltend, ihr Vorbringen zu den systemischen Problemen des Gleisbetts sei nicht, wie von der Kommission im angefochtenen Beschluss behauptet, inkohärent oder wenig überzeugend. Vielmehr sei der besondere Umstand zu berücksichtigen, dass ein auf Gleisbetten und Schotterbettungen spezialisierter Experte den Gleisabschnitt erst spät, nämlich am 11. September 2008, habe prüfen können. Der Sonderausschuss, der am 10. September 2018 gebildet worden sei, habe den Gleisabschnitt untersucht und u. a. einen ausgeprägten Verschleiß der Schotterbettung, vier „Rinnen“, die „Mängel des Unterbaus“ belegten, sowie eine den technischen Vorschriften nicht entsprechende Breite des Gleisbetts festgestellt. Auf der Grundlage dieser Feststellungen sei der Sonderausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verformung in diesem Fall durch systemische Probleme im Befestigungssystem und im Gleisbett verursacht worden sei. Für dieses Ergebnis sei es nicht erforderlich gewesen, die Schotterbettung auszuheben. Die Mängel, die sehr gut sichtbar gewesen seien, hätten nämlich u. a. den Zustand und die Form der Schotterbettung betroffen und starke Indizien für den schlechten Zustand des Gleisbetts im Allgemeinen geliefert, weshalb sie für sich genommen ausgereicht hätten, um die Experten zu ihrem Ergebnis kommen zu lassen.

133    Der Gleisabschnitt habe sich in einem sehr schlechten Allgemeinzustand befunden, und das Auftreten der Verformung sei für den Sonderausschuss ein klares Indiz gewesen, dass die bis dahin getroffenen punktuellen Maßnahmen (kleinere Reparaturen der Struktur des Gleisabschnitts und Geschwindigkeitssenkungen) nicht ausgereicht hätten, um die bestehenden schwerwiegenden Sicherheitsprobleme zu lösen. Auf der Grundlage der eindeutigen technischen Schlussfolgerungen des auf Gleisbetten und Schotterbettungen spezialisierten Experten sowie des Sonderausschusses insgesamt habe es somit keine andere Lösung als den vollständigen Neuaufbau des Gleisbetts gegeben, um weitere gefährliche Vorfälle, wenn nicht gar Unfälle, zu vermeiden. Folglich sei es diese neue, umfassende und detaillierte Bewertung des gesamten Gleisabschnitts gewesen, die der Entscheidung, den Gleisabschnitt zu beseitigen, zugrunde gelegen habe.

134    Die Kommission und die Streithelferin treten dieser Rüge entgegen.

135    Im vorliegenden Fall hat die Kommission im 336. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die Klägerin in ihrem Schriftverkehr mit dem Minister für Verkehr und Kommunikation und in ihren Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren wiederholt erklärt habe, der Hauptgrund für die vollständige Beseitigung des Gleisabschnitts sei ein systemisches Problem des Bettes dieses Gleisabschnitts, nämlich ein Verschleiß der Schotterbettung, der eine Verengung des Gleisbetts zur Folge gehabt habe, dessen Reparatur die Beseitigung der Struktur des Gleisabschnitts erfordert habe. Im 337. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission hingegen darauf hingewiesen, dass der Zustand des Gleisabschnitts mindestens seit einem früheren Bericht vom 3. September 2004 bekannt gewesen sei, jedoch damals und bis zur Erstellung eines Sonderprüfungsberichts vom 12. September 2008 auf kein systemisches Problem im Gleisbett hingewiesen worden sei, obwohl der Gleisabschnitt zwischen diesen beiden Daten regelmäßig kontrolliert worden sei.

136    Zudem hat die Kommission im 338. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt habe, der am 10. September 2008 gebildete Sonderprüfungsausschuss habe im Gegensatz zum Untersuchungsausschuss, der die Berichte vom 5. September 2008 verfasst habe und auf kein Problem im Zusammenhang mit dem Gleisbett hingewiesen habe, aus Spezialisten für Gleisbetten und Schotterbettungen bestanden, die erklärt hätten, dass „für eine Analyse des Gleisbetts die Schotterbettung ausgehoben werden muss, da der schlechte Zustand des Gleisbetts nicht einsehbar ist“.

137    Dem 339. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ist jedoch zu entnehmen, dass die Klägerin, als die Kommission anschließend nähere Erläuterungen zu dieser neuen Erklärung habe einholen wollen, klargestellt habe, dass der Sonderprüfungsausschuss keine Schotterbettung ausgehoben habe.

138    Zudem geht aus dem 340. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Klägerin in ihrer Antwort auf das Sachverhaltsschreiben erneut ihre Erklärungen modifiziert und erklärt habe, das vorrangige Ziel des Sonderprüfungsausschusses habe darin bestanden, eine visuelle Evaluierung des Gleisabschnitts vorzunehmen, um sichtbare Mängel aufzudecken. Eine spezielle Prüfung habe erst nach der Aufdeckung dieser sichtbaren Mängel erfolgen können. Im gleichen Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses wird jedoch darauf hingewiesen, dass keiner dieser Mängel im Sonderprüfungsbericht vom 12. September 2008 erwähnt worden sei und dass die Entscheidung, den Gleisabschnitt zu beseitigen, getroffen worden sei, bevor der Untersuchungsausschuss eine spezielle Prüfung vorgenommen habe, die angeblich eine Aushebung der Schotterbettung erfordert habe.

139    Somit ist als Erstes festzustellen, dass der Sonderprüfungsbericht vom 12. September 2008 zwei verschiedene Abschnitte beinhaltete, von denen der eine die Hauptmerkmale des Gleisabschnitts betraf und der andere die Mängel, die nach der Verformung entlang des Gleisabschnitts festgestellt wurden. Im Sonderprüfungsbericht wurde das Ausmaß der Verschlechterung der Schotterbettung nicht im Rahmen der Mängel erwähnt, die nach der Verformung entlang des Gleisabschnitts festgestellt wurden, sondern in dem Teil, der den Hauptmerkmalen des Gleisabschnitts gewidmet war, zusammen mit anderen Eigenschaften wie u. a. Schienentyp, Art der Eisenbahnschwellen und Verkehrsaufkommen. Folglich ist die Verschlechterung der Schotterbettung, wie sie im Sonderprüfungsbericht vom 12. September 2008 erwähnt wurde, d. h. im Rahmen der gleichbleibenden und objektiven Merkmale des Gleisabschnitts, für die Begründung der Notwendigkeit, den gesamten Gleisabschnitt zu beseitigen, nicht relevant.

140    Außerdem wurde im fraglichen Bericht nur ein Mangel genannt, der das Gleisbett betraf, und dieser bestand aus vier „Rinnen“, die „Mängel des Unterbaus“ belegten, sowie einer den technischen Vorschriften nicht entsprechenden Breite des Gleisbetts. Wie die Kommission jedoch zu Recht geltend macht, hat die Klägerin nicht dargelegt, inwiefern das Auftreten von vier Rinnen entlang des Gleisabschnitts die Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts erforderlich gemacht haben soll.

141    Was als Zweites das Vorbringen betrifft, es sei nicht erforderlich gewesen, die Schotterbettung auszuheben, um dem Sonderausschuss zu ermöglichen, Probleme des Gleisbetts festzustellen, steht dieses Vorbringen, selbst wenn es erwiesen wäre, im Widerspruch zu dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, wonach der schlechte Zustand des Gleisbetts nicht einsehbar gewesen sei und seine Überprüfung die Aushebung der Schotterbettung erfordert habe. Dieser Widerspruch belegt die Schwierigkeiten der Klägerin, eine kohärente Begründung für die Beseitigung des Gleisabschnitts vorzutragen.

142    Als Drittes ist festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin zur vierten Rüge nicht ausreicht, um die anderen Unstimmigkeiten zu erklären, die die Kommission im angefochtenen Beschluss festgestellt hat, insbesondere im 340. Erwägungsgrund.

143    Nach alledem hat die Kommission keinen Beurteilungsfehler begangen, als sie feststellte, dass das Vorbringen der Klägerin zu den systemischen Problemen des Gleisbetts inkohärent oder wenig überzeugend sei.

144    Dieses Ergebnis wird auch nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, wonach der sehr schlechte Allgemeinzustand des Gleisbetts in Verbindung mit der neuen, umfassenden und detaillierten Bewertung des gesamten Gleisabschnitts durch den Sonderausschuss nach der Feststellung der Verformung sie zu der Einschätzung veranlasst habe, dass ein Neubau des gesamten Gleisabschnitts erforderlich sei, um den Verkehr in völliger Sicherheit wieder aufnehmen zu können. Für die Entkräftung der Zweifel, die die Kommission an den systemischen Problemen des Gleisbetts auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Dokumente geäußert hat, ist das Vorbringen nämlich nicht relevant. Da das Argument jedenfalls im Rahmen des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes wiederholt wird, wird es in diesem Zusammenhang geprüft werden.

145    Demnach ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

146    Nach alledem ist festzustellen, dass keine der Rügen, die die Klägerin zur Stützung des ersten Teils des zweiten Klagegrundes vorgetragen hat, das Ergebnis der Kommission im angefochtenen Beschluss in Frage stellen kann, wonach die von der Klägerin vorgebrachten Erklärungen zum Vorliegen und zur Bedeutung von Mängeln des Gleisabschnitts für die Verkehrssicherheit inkonsistent, widersprüchlich und wenig überzeugend seien.

147    Folglich ist der erste Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

b)      Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes: Beurteilungsfehler der Kommission bei ihrer Feststellung, die Beseitigung des Gleisabschnitts sei „extrem ungewöhnlich“

148    Die Klägerin erinnert zunächst daran, dass sie auf der Grundlage der nach der Prüfung durch den Sonderausschuss abgegebenen technischen Schlussfolgerungen zwei Optionen gehabt habe, nämlich entweder zielgerichtete Anfangsreparaturen gefolgt von einem anschließenden vollständigen Neubau des gesamten Gleisabschnitts innerhalb von fünf Jahren (im Folgenden: Option 1) oder ein sofortiger vollständiger Neubau des Gleisabschnitts (im Folgenden: Option 2), und macht sodann geltend, dass unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls die sofortige Durchführung der Option 2 nicht „extrem ungewöhnlich“ sei, so dass dieser Umstand nicht als Bestandteil einer missbräuchlichen Praxis angesehen werden könne.

149    Erstens sei es der Gleisabschnitt, der „extrem ungewöhnlich“ sei, da er zur maßgeblichen Zeit fast 140 Jahre alt gewesen sei und seit 1972 keine größeren Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt worden seien. Auf dem gesamten Gleisabschnitt seien mehrere Mängel festgestellt worden, doch seien nur kleine Reparaturen in Verbindung mit Geschwindigkeitsbeschränkungen des Zugverkehrs auf 25 km/h vorgenommen worden. Diese Maßnahmen entsprächen bei Weitem nicht der Branchenpraxis in Europa und seien Ausdruck der äußerst heiklen finanziellen Lage der Klägerin und ihres alleinigen Aktionärs, des litauischen Staats.

150    Zweitens sei nach dem Auftreten der Verformung und der detaillierten Bewertung des Zustands des gesamten Gleisabschnitts durch den Sonderausschuss offenkundig geworden, dass eine erneute kostengünstige Teilreparatur die Sicherheitsprobleme des Gleisabschnitts nicht gelöst hätte. Aus diesem Grund habe die Klägerin am 19. September 2008 entschieden, dass der Neubau des Gleisabschnitts (im Rahmen der Option 1 oder der Option 2) die einzige Möglichkeit sei, die Sicherheit des Verkehrs zu gewährleisten.

151    Drittens sei von den beiden Optionen nur die zweite relevant und wirtschaftlich sinnvoll gewesen. Nach Auffassung der Klägerin hätten Anfangsreparaturen die verschiedenen Probleme nicht wirklich lösen können, da selbst bei Durchführung der Option 1 ein Neubau des gesamten Gleisabschnitts innerhalb von fünf Jahren erforderlich gewesen wäre. Zudem sei die Option 1 letztlich kostspieliger als die Option 2 gewesen. Außerdem hätte die Option 1 nach Auffassung der Klägerin eine erhebliche Doppelung der vorzunehmenden Arbeiten mit sich gebracht, während die Arbeiten bei der Option 2 nur ein einziges Mal durchgeführt worden wären. Überdies hätten alle für die Anfangsreparaturen verwendeten Materialien beim späteren Neubau wieder ersetzt werden müssen.

152    Viertens habe die Klägerin keinen Grund gehabt, die Durchführung der Option 2 hinauszuzögern, da es sich dabei um die einzige relevante und wirtschaftlich sinnvolle Lösung gehandelt habe. Zudem habe LDZ selbst erklärt, dass ein Gleisabschnitt normalerweise beseitigt werde, wenn es keinen Grund gebe, von seiner Wiederverwendung auszugehen. Außerdem habe LDZ bestätigt, dass es sich bei der Beseitigung um eine übliche Praxis handle, die erforderlich sei, wenn die vorhandenen Schienen durch neue ersetzt werden müssten oder wenn Renovierungsarbeiten durchgeführt werden müssten, z. B. die Renovierung des Gleisbetts und der Schotterbettung, deren technische Durchführung ohne Entfernung der Schienen nicht möglich sei. Die Klägerin macht ferner geltend, dass sie beschlossen habe, einige Materialien des Gleisabschnitts für die Reparaturen anderer Gleise wiederzuverwenden. Der Klägerin zufolge hätten diese Materialien im Winter Schaden genommen, wenn sie sie im Oktober 2008 nicht schnell entfernt hätte, um sie sicher zwischenzulagern. Durch die schnelle Beseitigung des Gleisabschnitts und die gleichzeitige Anforderung von Geldern für dessen Neubau habe sie Orlen, die beständigen Druck auf sie ausgeübt habe, mit hinreichender Deutlichkeit gezeigt, dass sie entschlossen gewesen sei, den Gleisabschnitt im Einklang mit ihren vertraglichen Verpflichtungen wieder aufzubauen.

153    Fünftens habe die Klägerin zum Zeitpunkt der Entfernung des Gleisabschnitts, d. h. am 3. Oktober 2008, die berechtigte Erwartung gehabt, dass sie die für den Neubau des Gleisabschnitts benötigten Gelder erhalten werde, da sie die Auswirkungen der durch die Insolvenz der Bank Lehman Brothers im September 2008 ausgelösten Finanzkrise noch nicht gespürt habe. Insbesondere habe die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum keine derart ungünstige Entwicklung der Lage vorhersehen können, die sie gezwungen habe, ab Ende 2008 die Durchführung ihrer wichtigsten Sanierungsprojekte zu stoppen, darunter eines im Zusammenhang mit dem Gleisabschnitt. Zudem seien im maßgeblichen Zeitraum noch EU-Mittel für größere Investitionen in Eisenbahninfrastrukturen im Zeitraum 2007–2013 verfügbar gewesen, und die Klägerin sei berechtigterweise davon ausgegangen, dass sie diese Mittel in Anspruch nehmen könne, um den Gleisabschnitt neu zu bauen. Die im angefochtenen Beschluss enthaltene Behauptung, wonach sich die Klägerin in ihrem an das Ministerium für Verkehr und Kommunikation gerichteten Schreiben vom 2. Oktober 2008 nicht wirklich um eine Finanzierung der Sanierung des Gleisabschnitts bemüht habe, entbehre somit jeglicher Grundlage.

154    In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz erklärt die Klägerin, sie habe nicht über ausreichende Mittel verfügt, um alle wichtigen Sanierungsarbeiten in ihrem Netz durchzuführen, und habe daher entscheiden müssen, wie sie ihre sehr begrenzten Ressourcen am effektivsten einsetze. Zum Zeitpunkt der Beseitigung des Gleisabschnitts seien Unionsmittel verfügbar gewesen, und es sei nur eine Frage der Priorisierung gewesen, ob ein Teil dieser Mittel für den Gleisabschnitt verwendet werde. Der Störfall habe ihre Analyse der Prioritäten jedoch völlig verändert. Zudem wären angesichts ihrer 2008 realisierten Nettogewinne bereits ihre Eigenmittel ausreichend und verfügbar gewesen, um den Neubau des Gleisabschnitts vollständig zu finanzieren, falls keine Finanzierung durch die Union oder den Staat erfolgt wäre.

155    Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

156    Mit ihrem Vorbringen beanstandet die Klägerin die Beurteilungen der Kommission in den Erwägungsgründen 184 bis 198 des angefochtenen Beschlusses, wonach zum einen die Entfernung des Gleisabschnitts in großer Eile vorgenommen worden sei, ohne Vorbereitungen für den Neubau zu treffen (Erwägungsgründe 184 bis 193 des angefochtenen Beschlusses), und zum anderen diese Beseitigung der üblichen Praxis im Eisenbahnsektor widerspreche (Erwägungsgründe 194 bis 198 des angefochtenen Beschlusses).

157    Insoweit ist erstens daran zu erinnern, dass die Kommission im 184. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses feststellte, die Klägerin habe den Gleisabschnitt in großer Eile entfernt, ohne die erforderlichen Mittel zu mobilisieren und ohne die normalen Vorbereitungen für den Neubau zu treffen. Dem 185. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ist zu entnehmen, dass die Klägerin in ihrer Antwort auf ein Auskunftsverlangen der Kommission erklärt habe, „[d]as litauische Segment des [Gleisabschnitts] wurde … mit dem Ziel entfernt, Wiederaufbauarbeiten durchzuführen und den Gleisabschnitt so bald wie möglich wieder für den Verkehr freizugeben, da die Strecke für Orlen, einen ihrer Hauptkunden, wichtig war“. Die Klägerin hebt zudem hervor, dass sie „unter dem beständigen Druck von Orlen handelte, den Neubau dieses Gleisabschnitts zu beschleunigen, und sich deshalb nach besten Kräften bemühte, die notwendigen Arbeiten so bald wie möglich durchzuführen“.

158    Zweitens hat die Kommission im 186. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, die Klägerin sei damals der Auffassung gewesen, dass sie nicht über ausreichende Mittel verfüge, um den Gleisabschnitt zu renovieren, und offensichtlich ein langes Verwaltungsverfahren zu durchlaufen sei, bevor Gelder für ein solch umfangreiches Vorhaben sichergestellt werden könnten. Gemäß den vom litauischen Staat damals festgelegten Modalitäten seien große Infrastrukturprojekte durch Unionsmittel finanziert worden, während die begrenzten Ressourcen der Klägerin nur für die laufende Unterhaltung der Infrastrukturen hätten verwendet werden dürfen. Ein Antrag auf Finanzierung durch die Union sei von vorbereitenden Maßnahmen zu flankieren gewesen, einschließlich einer Machbarkeitsstudie, deren Erstellung im vorliegenden Fall zwei Jahre in Anspruch genommen habe. Die endgültige Entscheidung über die Bereitstellung von Mitteln aus EU-Strukturfonds für ein Vorhaben habe dem Ministerium für Verkehr und Kommunikation oblegen. Somit habe es überhaupt keine Garantie gegeben, dass die Mittel bewilligt würden, weshalb keine Eile bestanden habe, den Gleisabschnitt zu entfernen. Schließlich stellte die Kommission im 187. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Entfernung des gesamten Gleisabschnitts keine große Zeitersparnis ermöglicht habe, da der tatsächliche Neubau nach Abschluss aller vorbereitenden administrativen Schritte hätte beginnen können.

159    Ferner ist dem 188. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu entnehmen, dass die Kommission die Klägerin aufgefordert hat, darzulegen, inwiefern die Beseitigung des Gleisabschnitts im Oktober 2008 zu einer Beschleunigung des Neubaus habe führen können, obwohl noch ein langes und ungewisses Verfahren zur Beantragung der erforderlichen Mittel zu durchlaufen gewesen sei. Derselben Randnummer ist zu entnehmen, dass die Klägerin in ihrer Antwort im Wesentlichen erneut behauptete, die Beseitigung des Gleisabschnitts sei ein notwendiger Schritt für dessen Neubau und diene dazu, bei den verbleibenden Arbeiten Zeit einzusparen. Das Verfahren sei nicht lang, sondern eher einfach, „nach Einreichung des Antrags auf Finanzierung konnte sie berechtigterweise davon ausgehen, dass für dieses Vorhaben Mittel bewilligt werden“ und „dieses Vertrauen wurde durch den Umstand bestärkt, dass sie aufgefordert wurde, eine Machbarkeitsstudie für das Vorhaben vorzulegen“. Dem 189. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zufolge wiederholte die Klägerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ihr Vorbringen, bei der Entfernung des Gleisabschnitts habe sie ausschließlich das Ziel verfolgt, ihn so schnell wie möglich zu reparieren. Bei der Beseitigung des Gleisabschnitts handle es sich nicht um eine außergewöhnliche Maßnahme, sondern um eine Maßnahme, die erforderlich sei, bevor die kurze Strecke vollständig repariert werden und der Verkehr wiederaufgenommen werden könne.

160    Drittens stellte die Kommission im 190. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Klägerin ihren Antrag auf Finanzierung am 2. Oktober 2008 in einem kurzen Schreiben an den Minister für Verkehr und Kommunikation gestellt habe und 620 Mio. LTL (etwa 179,71 Mio. Euro) für die Renovierung acht verschiedener Gleisabschnitte, darunter der streitige Gleisabschnitt, beantragt habe, ohne eine besondere Erklärung zum streitigen Gleisabschnitt abzugeben. Drittens wies die Kommission darauf hin, dass das übliche Bewilligungsverfahren voraussichtlich lange dauern werde und das Ergebnis nicht garantiert werden könne. Dennoch begann die Klägerin am nächsten Tag, dem 3. Oktober 2008, mit der Beseitigung des Gleisabschnitts, ohne die Antwort des Ministers für Verkehr und Kommunikation abzuwarten. Aus dem 191. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass das Ministerium für Verkehr und Kommunikation in seiner Antwort vom 28. Oktober 2008 darauf hingewiesen habe, dass für diese bislang nicht genehmigten Vorhaben keine Finanzierung vorgesehen sei. Das Ministerium für Verkehr und Kommunikation habe die Klägerin außerdem daran erinnert, dass noch Unionsmittel verfügbar seien, und sie aufgefordert, zu finanzierende Vorhaben zu benennen. Da der Erfolg des Antrags auf Finanzierung jedoch von den Ergebnissen einer Machbarkeitsstudie und von der Entscheidung des Ministeriums für Verkehr und Kommunikation abhängig gewesen sei, habe die Klägerin nicht berechtigterweise davon ausgehen können, dass die Unionsmittel gegebenenfalls kurzfristig gewährt würden.

161    Viertens vertrat die Kommission im 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Auffassung, dass auch die späteren Handlungen der Klägerin zeigten, dass sie nicht versucht habe, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen. Die Klägerin habe Vermerke an die litauische Regierung verfasst, in denen sie sich gegen einen Neubau des Gleisabschnitts eingesetzt habe, und sie habe nur auf Anweisung der Regierung empfohlen, den Neubau des Gleisabschnitts in die Liste für eine prioritäre Finanzierung aufzunehmen.

162    In den Erwägungsgründen 194 ff. des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission außerdem die Gründe einzeln auf, aus denen sie der Auffassung war, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts „extrem ungewöhnlich“ sei und der „gängigen Praxis“ im Eisenbahnsektor widerspreche. Die Kommission stellte nämlich zum einen fest, dass, obwohl es in Litauen mehrere Gleisabschnitte gebe, auf denen der Verkehr ausgesetzt worden sei, die Klägerin keinen weiteren beispielhaften Fall habe benennen können, in dem ein Gleisabschnitt entfernt worden sei, bevor die Renovierungsarbeiten hätten beginnen können.

163    Zum anderen erinnerte die Kommission daran, dass sie Auskunftsersuchen an die Betreiber von Eisenbahninfrastrukturen in den zwei anderen baltischen Staaten, der Republik Estland und der Republik Lettland, gerichtet habe. Der Betreiber der estnischen Eisenbahninfrastrukturen habe nur ein einziges Beispiel für die Entfernung eines langen Gleisabschnitts nennen können. In jenem Fall sei das Gleis entfernt worden, da die Strecke selbst geschlossen, aufgegeben und durch eine andere ersetzt worden sei. Der Betreiber der estnischen Eisenbahninfrastrukturen habe außerdem darauf hingewiesen, dass die Arbeiten, die die Beseitigung von Gleisen erforderten, nicht gleichzeitig auf der gesamten Strecke durchgeführt würden, sondern in Intervallen, die zu einer Unterbrechung des Verkehrs für maximal zwölf Stunden führten. Die größeren Reparaturarbeiten, einschließlich der Beseitigung eines Gleisabschnitts, begännen nicht vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens, das ihre Bewilligung zum Gegenstand habe. Die Betreiberin der lettischen Eisenbahninfrastrukturen, LDZ, erklärte, ein Gleisabschnitt werde im Allgemeinen erst dann entfernt, wenn er mehrere Jahre nicht benutzt worden sei, und nur dann, wenn es keinen Grund gebe, davon auszugehen, dass er wieder benutzt werde. In den zwei von LDZ angeführten Beispielen wurden die Gleisabschnitte 10 bzw. 13 Jahre nach ihrer Stilllegung entfernt. Zudem werde die Entfernung eines Gleisabschnitts für Reparaturarbeiten in Lettland etappenweise vorgenommen. Die Reparaturarbeiten begännen nicht vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens und Sicherstellung der Finanzierung.

164    Was im vorliegenden Fall als Erstes die Frage der Entfernung des Gleisabschnitts in großer Eile ohne Vorbereitungen für den Neubau betrifft, geht erstens aus der Prüfung des ersten Teils des zweiten Klagegrundes hervor, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass sich der Gleisabschnitt nach Auftreten der Verformung und nach der detaillierten Bewertung des Zustands des gesamten Gleisabschnitts in einem Zustand befunden habe, der seine sofortige vollständige Entfernung gerechtfertigt habe. Vielmehr wurden im Sonderprüfungsbericht vom 12. September 2008, in dem der gesamte Gleisabschnitt untersucht wurde, keine Mängel auf dem gesamten Gleisabschnitt festgestellt, sondern nur, wie die Kommission auf der Grundlage der Angaben der Klägerin hervorgehoben hat, auf 1,6 km des Gleisabschnitts. In einem Schreiben vom 18. September 2008 der Direktion für Eisenbahninfrastrukturen der LG an den Rat für strategische Planung der LG, das auf der Grundlage des Sonderprüfungsberichts vom 12. September 2008 erstellt worden war, wurde zudem klargestellt, dass nur 1,6 km des Gleisabschnitts sofort saniert werden müssten. Wie jedoch zu Recht im 348. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, können Probleme, die 1,6 km von 19 km des Gleisabschnitts betreffen, nicht dessen völlige und sofortige Entfernung rechtfertigen. Zwar wurde in dem Schreiben vom 18. September 2008 auch ausgeführt, dass die Schienenbefestigungen auf 19 km des Gleisabschnitts ersetzt werden müssten, das Gleisbett repariert werden müsse, die Kommunikationskabel entlang des gesamten Gleisabschnitts ersetzt werden müssten und zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit der Gleisabschnitt innerhalb von fünf Jahren vollständig repariert werden müsse. Dagegen gab es keinen Hinweis darauf, dass die Reparatur die vollständige und sofortige Entfernung des Gleisabschnitts voraussetzte.

165    Zweitens hat die Klägerin das Vorbringen, wonach die Mängel, die den Vorfall vom 2. September 2008 ausgelöst hätten, an zahlreichen anderen Stellen auf dem gesamten Gleisabschnitt festgestellt worden seien, nicht ausreichend untermauert. Das Vorbringen stützt sich nämlich auf den „Wacetob-Bericht“, der vom Zentrum zur Förderung von Wissenschaft und Organisation des Konstruktionswesens in Warschau (Polen) erstellt wurde und zu dem die Kommission in den Erwägungsgründen 349 bis 356 des angefochtenen Beschlusses die Auffassung vertrat, ohne dass ihr die Klägerin widersprochen hätte, dass er keinen Beweiswert habe und die Argumentation der Klägerin nicht stützen könne. Ferner wurde die Behauptung, eine „kostengünstige Teilreparatur“ werde die Sicherheitsprobleme des Gleisabschnitts nicht lösen, die im Schreiben des örtlichen Leiters vom 4. September 2008 enthalten ist, zu Recht, wie aus den Rn. 126 bis 130 dieses Urteils hervorgeht, als nicht mit den Berichten vom 5. September 2008 vereinbar angesehen, denen zufolge eine lokale Instandsetzung die Wiederaufnahme des Verkehrs in völliger Sicherheit ermöglicht hätte.

166    Somit kann aus dem Vorbringen, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, die Beseitigung des Gleisabschnitts sei aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs erforderlich gewesen, nicht geschlossen werden, dass die Kommission einen Beurteilungsfehler begangen hat.

167    Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen in Frage gestellt, wonach die Option 2 die einzig relevante und wirtschaftlich sinnvolle Lösung gewesen sei, weshalb die Klägerin keinen Grund gehabt habe, mit der Durchführung ihrer Entscheidung zu warten.

168    Selbst wenn man nämlich annimmt, dass, wie die Klägerin geltend macht, die Option 2 die einzig relevante und wirtschaftlich sinnvolle Lösung gewesen sei, bedingte diese Lösung jedoch nicht zwangsläufig die in großer Eile vorgenommene Beseitigung des Gleisabschnitts. Wie die Kommission im 187. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses feststellt, hätte die sofortige Entfernung des gesamten Gleisabschnitts keine große Zeitersparnis ermöglicht, da die Neubauarbeiten erst nach Abschluss aller vorbereitenden administrativen Schritte, einschließlich insbesondere der Bewilligung der notwendigen Finanzierung, hätten beginnen können. Folglich hatte die Klägerin keinen Grund, den Gleisabschnitt in großer Eile zu entfernen, da sie noch nicht über die notwendige Finanzierung verfügte, um mit den Arbeiten zum Neubau des Gleisabschnitts zu beginnen. Somit kann sie nicht geltend machen, dass sie keinen Grund gehabt habe, mit der Durchführung ihrer Entscheidung über die Ausführung der Option 2, d. h. mit der Beseitigung des Gleisabschnitts, zu warten.

169    Drittens kann auch der Druck, den Orlen auf die Klägerin ausgeübt haben soll, die in großer Eile vorgenommene Beseitigung des Gleisabschnitts nicht rechtfertigen. Das Argument wird dadurch widerlegt, dass die Klägerin entschieden hatte, Orlen nicht vorab darüber zu informieren, dass sie beabsichtige, den Gleisabschnitt zu beseitigen. Angesichts der Natur der eingeleiteten Arbeiten und erst recht in Anbetracht des Umstands, dass Orlen die einzige Kundin war, die den Gleisabschnitt benutzte, ist die Zurückhaltung dieser Information nicht gerechtfertigt. Diese Feststellung kann nicht durch die Stellungnahme der Klägerin zum Streithilfeschriftsatz in Frage gestellt werden, wonach kein Geheimnis um die Handlungen ihrer Direktion im Jahr 2008 gemacht worden sei. Wie nämlich aus dem 55. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, wurde Orlen am 5. September 2008 von den Bahnhöfen lediglich über die „vorübergehende Sperrung“ des Gleisabschnitts informiert. Die Beseitigung des Gleisabschnitts wurde ihr nicht mitgeteilt. Insbesondere aus den Erläuterungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass das Telegramm, das über die „vorübergehende Aussetzung des Verkehrs“ auf dem Gleisabschnitt bis zum Abschluss der Bau- und Reparaturarbeiten informierte, von der Direktion für Eisenbahninfrastrukturen der Klägerin versandt wurde, um die Bahnhöfe und LDZ über die Aussetzung des Verkehrs zu informieren, und Orlen zu keinem Zeitpunkt Adressatin des Telegramms war.

170    Viertens gilt dies auch für das Vorbringen, die geeigneten Materialien des Gleisabschnitts hätten geborgen werden müssen, damit sie im Winter keinen Schaden nähmen, denn auch dieses Argument kann die in großer Eile vorgenommene Beseitigung des Gleisabschnitts nicht rechtfertigen. Insoweit genügt es nämlich, mit der Kommission festzustellen, dass dieses Vorbringen nicht belegt ist.

171    Was fünftens das Argument betrifft, die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Entfernung des Gleisabschnitts die berechtigte Erwartung gehabt, dass sie die für den Neubau des Gleisabschnitts benötigten Gelder erhalten werde, ist dieses Vorbringen aus mehreren Gründen zurückzuweisen.

172    Zunächst hat die Klägerin selbst in ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz eingeräumt, sie habe nicht über ausreichende Mittel verfügt, um alle wichtigen Sanierungsarbeiten in ihrem Netz durchzuführen.

173    Sodann hat die Klägerin in einer Antwort auf ein Auskunftsverlangen der Kommission, mit dem die Kommission in Erfahrung bringen wollte, ob die Klägerin geplant hatte, vor dem 2. September 2008 größere Sanierungsarbeiten am Gleisabschnitt durchzuführen, erklärt, dass der Gleisabschnitt nicht zu den vorrangigen Bahnstrecken gehöre und der litauische Staat grundsätzlich nicht genügend Mittel aus dem allgemeinen Budget für die Modernisierung von Eisenbahninfrastrukturen bereitstelle. Sie fügte außerdem hinzu, dass die Mittel aus EU-Strukturfonds sowie ihre eigenen Mittel nicht für die Modernisierung der vorrangigen nationalen Bahnstrecken ausreichten. Somit war der Klägerin bewusst, dass sie nach der Beseitigung des Gleisabschnitts nicht über Eigenmittel für dessen Neubau verfügen würde und dass sie Schwierigkeiten haben würde, die für den Neubau benötigten Mittel vom Staat oder der Union zu erhalten.

174    Was insbesondere die staatlichen Mittel betrifft, steht fest, wie im 190. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnt, dass die Klägerin ihren Antrag auf Finanzierung am 2. Oktober 2008 in einem kurzen Schreiben an den Minister für Verkehr und Kommunikation gestellt hat und 620 Mio. LTL (etwa 179,71 Mio. Euro) für die Renovierung acht verschiedener Gleisabschnitte, darunter der streitige Gleisabschnitt, beantragte. Zum streitigen Gleisabschnitt wurde keine besondere Erklärung abgegeben. Wie zudem ebenfalls im 190. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, war davon auszugehen, dass das übliche Bewilligungsverfahren lange dauern würde und das Ergebnis nicht gesichert war. Trotz dieser Erwägungen begann die Klägerin bereits am nächsten Tag, dem 3. Oktober 2008, mit der Beseitigung des Gleisabschnitts, ohne die Antwort des Ministers für Verkehr und Kommunikation abzuwarten, die am 28. Oktober 2008 einging und die Mitteilung enthielt, für diese bislang nicht genehmigten Vorhaben sei keine Finanzierung vorgesehen.

175    Insoweit ist festzustellen, dass der Minister für Verkehr und Kommunikation die Klägerin zwar daran erinnerte, dass noch Unionsmittel für bedeutende Investitionen in Eisenbahninfrastrukturen für den Zeitraum 2007–2013 verfügbar seien, und sie aufforderte, zu finanzierende Vorhaben zu benennen, die Kommission jedoch keinen Beurteilungsfehler beging, als sie im 191. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die Auffassung vertrat, dass die Klägerin nicht berechtigterweise davon ausgehen konnte, Unionsmittel zu erhalten, ohne rechtzeitig das administrative Vorverfahren einzuleiten, das für die Gewährung der Mittel erforderlich war. Wie die Kommission in den Erwägungsgründen 63 und 64 des angefochtenen Beschlusses feststellt, leitete die Klägerin die Erstellung einer Machbarkeitsstudie zu Neubau und Entwicklung von acht Bahnstrecken ein, doch dauerte es nach der Bewilligung durch ihren Technischen Rat acht Monate, bis am 29. Juli 2009 die Bewilligung ihres Generaldirektors erteilt wurde, und weitere drei Monate bis zur Veröffentlichung der Ausschreibung.

176    Schließlich kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf das Argument berufen, infolge der Finanzkrise, die durch die Insolvenz der Bank Lehman Brothers im September 2008 ausgelöst worden sei, habe sich ihre finanzielle Lage verschlechtert, was sich unmittelbar auf ihre Fähigkeit ausgewirkt habe, bedeutende Renovierungsarbeiten durchzuführen, wie den Neubau des Gleisabschnitts. Dem Vorbringen der Klägerin zum verfallenen Zustand des Gleisabschnitts ist zu entnehmen, dass sie sich bereits vor der Finanzkrise vom September 2008 in einer prekären wirtschaftlichen Lage befand. Die Klägerin macht nämlich selbst geltend, dass gerade wegen ihrer schwierigen finanziellen Lage seit 1972 keine größeren Reparaturarbeiten am Gleisabschnitt vorgenommen worden seien und trotz der Feststellung mehrerer Mängel auf dem gesamten Gleisabschnitt vor September 2008 nur kleine Reparaturen in Verbindung mit Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 25 km/h stattgefunden hätten. Selbst wenn man annimmt, dass sich die Finanzkrise von 2008 auf die Fähigkeit der Klägerin ausgewirkt hat, bedeutende Renovierungsarbeiten wie den Neubau des Gleisabschnitts durchzuführen, ist mit der Kommission festzustellen, dass der Zugang zu Unionsmitteln durch die Finanzkrise nicht beeinträchtigt wurde. Die Klägerin hätte diese Mittel erhalten können, wenn sie das hierfür erforderliche administrative Vorverfahren rechtzeitig eingeleitet hätte.

177    Somit beging die Kommission keinen Beurteilungsfehler, als sie feststellte, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts in großer Eile vollzogen worden sei, ohne die benötigten Mittel erhalten zu haben.

178    Was als Zweites die Frage betrifft, ob die Beseitigung des Gleisabschnitts angesichts der Praxis des Eisenbahnsektors ungewöhnlich war, ist zum einen zu bemerken, dass, wie die Kommission im 186. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu Recht feststellt, obwohl es in Litauen mehrere Gleisabschnitte gab, auf denen der Verkehr ausgesetzt wurde, die Klägerin keinen weiteren beispielhaften Fall benennen konnte, in dem ein Gleisabschnitt vor Beginn der Renovierungsarbeiten entfernt wurde. Wie die Kommission außerdem zu Recht geltend macht, hat die Klägerin den Gleisabschnitt Bugeniai-Skuodas-Klaipėda nie beseitigt, obwohl er seit 1995 stillgelegt ist, und dies trotz fehlender Verkehrsnachfrage auf diesem Gleisabschnitt.

179    Zum anderen richtete die Kommission Auskunftsersuchen an die Betreiber von Eisenbahninfrastrukturen in den zwei anderen baltischen Staaten, der Republik Estland und der Republik Lettland. Der Betreiber der estnischen Eisenbahninfrastrukturen konnte nur ein einziges Beispiel für die Entfernung eines langen Gleisabschnitts nennen. In jenem Fall wurde das Gleis entfernt, da die Strecke selbst geschlossen, aufgegeben und durch eine andere ersetzt wurde. Der Betreiber der estnischen Eisenbahninfrastrukturen wies außerdem darauf hin, dass die Arbeiten, die die Beseitigung von Gleisen erforderten, nicht gleichzeitig auf der gesamten Strecke durchgeführt würden, sondern in Intervallen, die zu einer Unterbrechung des Verkehrs für maximal zwölf Stunden führten. Zudem begännen die größeren Reparaturarbeiten, einschließlich der Beseitigung eines Gleisabschnitts, nicht vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens, das ihre Bewilligung zum Gegenstand habe.

180    Die Betreiberin der lettischen Eisenbahninfrastrukturen, LDZ, erklärte, ein Gleisabschnitt werde im Allgemeinen erst dann entfernt, wenn er mehrere Jahre nicht benutzt worden sei und es keinen Grund gebe, davon auszugehen, dass er wieder benutzt werde. In den zwei von LDZ angeführten Beispielen wurden die Gleisabschnitte 10 bzw. 13 Jahre nach ihrer Stilllegung entfernt. Ebenso wie in Estland wird auch in Lettland die Entfernung eines Gleisabschnitts für Reparaturarbeiten etappenweise vorgenommen. LDZ zufolge beginnen Reparaturarbeiten nicht vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens und Sicherstellung der Finanzierung.

181    Nach alledem beging die Kommission keinen Beurteilungsfehler, als sie im angefochtenen Beschluss die Auffassung vertrat, die Beseitigung des vorliegend in Rede stehenden Gleisabschnitts sei „extrem ungewöhnlich“.

182    Folglich ist der zweite Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

c)      Zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehler der Kommission bei der Beurteilung der Absichten von LG zum Zeitpunkt der Beseitigung des Gleisabschnitts

183    Mit dem dritten Teil des zweiten Klagegrundes beanstandet die Klägerin, die Kommission habe im angefochtenen Beschluss einen mit einem Beurteilungsfehler einhergehenden Rechtsfehler begangen, da sie entgegen der von der Kommission im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung bei der Beseitigung des Gleisabschnitts die Absicht gehabt habe, ihn wieder aufzubauen.

184    Insbesondere habe die Kommission durch die Behauptung, die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt versucht, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen, unterstellt, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts Teil einer wettbewerbsfeindlichen Strategie gewesen sei, die am 19. September oder 3. Oktober 2008 beschlossen worden sei, um den von LDZ ausgehenden Wettbewerb zu behindern. Die Kommission stütze ihre Unterstellung, dass die Klägerin bösgläubig gehandelt habe, auf drei Gesichtspunkte, nämlich erstens den Umstand, dass die Klägerin beantragt habe, das Vorhaben zum Neubau des Gleisabschnitts in die Reserveliste für Unionsmittel zu verschieben, zweitens die Tatsache, dass sie drei Vermerke an die litauische Regierung verfasst habe, in denen sie sich gegen einen Neubau des Gleisabschnitts ausgesprochen habe, und drittens den Umstand, dass sie nur auf Anweisung der Regierung empfohlen habe, den Neubau des Gleisabschnitts in die Liste der prioritären Finanzierung aufzunehmen.

1)      Zur ersten Rüge des dritten Teils: Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der wettbewerbsfeindlichen Absicht der Klägerin

185    Zur Stützung der ersten Rüge macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der angefochtene Beschluss sei insoweit rechtsfehlerhaft, als sich die Kommission bei der Feststellung der Missbräuchlichkeit der fraglichen Praxis u. a. auf eine wettbewerbsfeindliche Absicht der Klägerin gestützt habe, obwohl nach der Rechtsprechung der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung ein objektiver Begriff sei, der die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung erfasse, die die Struktur eines Markts beeinflussen könnten und die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung behinderten, und zwar unabhängig von der subjektiven Absicht des Unternehmens.

186    Die Kommission sei verpflichtet gewesen, konkret zu beweisen, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum, d. h. am 3. Oktober 2008, bösgläubig gehandelt habe, um LDZ daran zu hindern, mit ihr in Wettbewerb zu treten, und dass sie nicht beabsichtigt habe, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen. Die Absichten, die die Klägerin nach dem maßgeblichen Zeitraum verfolgt habe, seien für die Beurteilung der fraglichen Praxis nicht relevant.

187    Die Kommission und die Streithelferin treten dieser Rüge entgegen.

188    Es ist daran zu erinnern, dass es sich nach der Rechtsprechung bei der nach Art. 102 AEUV verbotenen missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung um einen objektiven Begriff handelt, der auf die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung abstellt, die auf einem Markt, auf dem der Grad an Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Grades an Wettbewerb oder die Entwicklung des Wettbewerbs durch den Einsatz von anderen Mitteln behindern als denjenigen eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Wirtschaftsteilnehmer (vgl. Urteile vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 9. September 2009, Clearstream/Kommission, T‑301/04, EU:T:2009:317, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

189    Aus dem objektiven Charakter des Missbrauchsbegriffs ergibt sich, dass das beanstandete Verhalten aufgrund objektiver Gesichtspunkte zu beurteilen ist und dass der Nachweis der Vorsätzlichkeit des Verhaltens und der Bösgläubigkeit des marktbeherrschenden Unternehmens für die Feststellung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung nicht erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission, T‑321/05, EU:T:2010:266, Rn. 356).

190    Dennoch muss die Kommission bei ihrer Untersuchung des Verhaltens eines Unternehmens in beherrschender Stellung und für die Zwecke der Identifizierung eines etwaigen Missbrauchs einer solchen Stellung alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigen, die dieses Verhalten umgeben (Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 18).

191    Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission, wenn sie das Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung bewertet, wobei es sich um eine Untersuchung handelt, die unerlässlich ist, um zu einem Ergebnis in Bezug auf das Vorliegen eines Missbrauchs einer solchen Stellung zu gelangen, zwangsläufig die Geschäftsstrategie des Unternehmens beurteilen muss. In diesem Rahmen erscheint es normal, dass die Kommission subjektive Faktoren anspricht, nämlich die Motive, die der betreffenden Geschäftsstrategie zugrunde liegen (Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 19).

192    Daher kann entgegen dem Vorbringen der Klägerin das Vorliegen einer etwaigen wettbewerbswidrigen Absicht einer der zahlreichen tatsächlichen Umstände sein, die berücksichtigt werden können, um einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung festzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 20).

193    Im vorliegenden Fall hat die Kommission im angefochtenen Beschluss den Missbrauch einer beherrschenden Stellung seitens der Klägerin festgestellt, indem sie verschiedene tatsächliche Umstände berücksichtigte, die die Beseitigung des Gleisabschnitts umgaben, und die potenziellen Auswirkungen prüfte, die die Beseitigung auf den Wettbewerb gehabt haben könnte.

194    Die Kommission stellte in den Erwägungsgründen 182 bis 201 des angefochtenen Beschlusses u. a. fest, dass LG auf Methoden zurückgegriffen habe, die sich von den im normalen Wettbewerb üblichen Methoden unterschieden, denn erstens sei ihr bewusst gewesen, dass Orlen erwogen habe, auf die lettischen Seehäfen umzusteigen und dafür die Dienste von LDZ zu nutzen, zweitens habe LG die Entfernung des Gleisabschnitts in großer Eile vorgenommen, ohne zuvor sicherzustellen, dass die dafür erforderlichen Mittel bereitständen, und ohne die normalen Vorbereitungen für den Neubau des Gleisabschnitts zu treffen, drittens habe die Beseitigung des Gleisabschnitts nicht dem branchenüblichen Vorgehen entsprochen und viertens habe LG Schritte unternommen, um die litauische Regierung davon zu überzeugen, den Gleisabschnitt nicht wieder aufzubauen.

195    Was insbesondere die Feststellung betrifft, LG habe die Beseitigung des Gleisabschnitts in großer Eile vorgenommen, ohne zuvor sicherzustellen, dass die dafür erforderlichen Mittel bereitständen, und ohne die normalen Vorbereitungen für den Neubau des Gleisabschnitts zu treffen, ist bereits oben in den Rn. 157 bis 161 dargelegt worden, dass die Kommission zwischen dem Verhalten der Klägerin vor Beginn des Gleisabbaus, d. h. bis zum 2. Oktober 2008, zum einen (Erwägungsgründe 184 bis 191 des angefochtenen Beschlusses) und zum anderen dem Verhalten der Klägerin nach dem 2. Oktober 2008 (192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses in reiner Bestätigung bereits getroffener Feststellungen) unterschied.

196    Nach der Feststellung all dieser verschiedenen tatsächlichen Umstände, die die Beseitigung des Gleisabschnitts umgaben, kam die Kommission in den Erwägungsgründen 202 bis 324 des angefochtenen Beschlusses zu dem Ergebnis, dass die Beseitigung unter Berücksichtigung ihres Kontextes geeignet gewesen sei, den Wettbewerb auf dem Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zu behindern. Folglich ist festzustellen, dass sich die Kommission keineswegs auf die Absicht, die wettbewerbsfeindliche Strategie oder die Bösgläubigkeit von LG stützte, um ihr Ergebnis zum Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes zu begründen.

197    Was die Feststellung im 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses betrifft, die Klägerin habe nach der Beseitigung des Gleisabschnitts nicht versucht, ihn wieder aufzubauen, geht aus dem Aufbau des angefochtenen Beschlusses hervor, dass diese Feststellung nur darauf gerichtet ist, das auf eine Reihe anderer Gesichtspunkte gestützte Ergebnis im 193. Erwägungsgrund des Beschlusses zu untermauern, wonach die Klägerin den Gleisabschnitt in großer Eile beseitigt habe, ohne zuvor die benötigten Mittel erhalten zu haben. Mit anderen Worten: Diese Feststellung bezieht sich auf einen tatsächlichen objektiven Umstand, der zusammen mit anderen Umständen die beanstandete Praxis umgibt, und nicht auf eine subjektive Beurteilung der von der Klägerin verfolgten Ziele. Somit kann nicht gefolgert werden, dass sich die Kommission auf einen Gesichtspunkt stützte, der mit der wettbewerbsfeindlichen Absicht der Klägerin verbunden war. Unter diesen Umständen ist auch die Kritik der Klägerin zurückzuweisen, die von ihr nach dem maßgeblichen Zeitraum verfolgten Absichten seien für die Beurteilung der fraglichen Praxis nicht relevant.

198    Die erste Rüge des dritten Teils ist somit zurückzuweisen.

2)      Zur zweiten Rüge des dritten Teils: materielle Unrichtigkeit des Sachverhalts, der bei der Beurteilung der Bösgläubigkeit der Klägerin berücksichtigt wurde

199    Was die beanstandete materielle Unrichtigkeit des Sachverhalts betrifft, den die Kommission berücksichtigt habe, als sie auf der Grundlage von nach dem 2. Oktober 2008 eingetretenen Umständen die Auffassung vertrat, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum bösgläubig und ohne die wirkliche Absicht, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen, gehandelt habe, macht die Klägerin als Erstes geltend, die angebliche Bösgläubigkeit sei sehr wenig plausibel, da es, wie die Kommission im 90. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses eingeräumt habe, eine schiedsgerichtliche Entscheidung vom 17. Dezember 2010 infolge eines von Orlen im Rahmen der zwischen Orlen und der Klägerin bestehenden geschäftlichen Differenzen eingeleiteten Verfahrens gewesen sei, die sie dazu veranlasst habe, den Neubau des Gleisabschnitts nicht weiterzuverfolgen. Vor dieser schiedsgerichtlichen Entscheidung und insbesondere im maßgeblichen Zeitraum, d. h. am 3. Oktober 2008, habe sie das Vorhaben des Neubaus weiterverfolgt, da sie der Auffassung gewesen sei, vertraglich zur Wiederherstellung des Gleisabschnitts verpflichtet zu sein.

200    Als Zweites macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die drei tatsächlichen Umstände, die nach dem 2. Oktober 2008 eingetreten seien und auf die die Kommission ihre Vermutung der Bösgläubigkeit gestützt habe, seien hypothetisch und ganz offensichtlich falsch. Die Akten enthielten zahlreiche Beweise, insbesondere die als Anlagen A.10, A.30 und A.31 beigefügten Dokumente, die im Rahmen des angefochtenen Beschlusses nicht geprüft worden seien und belegten, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum beabsichtigt habe, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen. Nach Auffassung der Klägerin sind auch ihre späteren Handlungen überzeugende Beweise dafür, dass sie im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich beabsichtigt habe, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen, bis sie die schiedsgerichtliche Entscheidung vom 17. Dezember 2010 dazu gebracht habe, ihren Standpunkt neu zu überdenken. Folglich sei die Hypothese der Kommission, sie habe bösgläubig gehandelt, da sie bei der Beseitigung des Gleisabschnitts am 3. Oktober 2008 nicht wirklich beabsichtigt habe, ihn wieder aufzubauen, durch keinen tatsächlichen Umstand gestützt.

201    Die Kommission und die Streithelferin treten dieser Rüge entgegen.

202    Vorab ist festzustellen, dass die Klägerin mit der zweiten Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes im Wesentlichen die Beurteilungen beanstandet, die die Kommission im 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses vornahm und deren Inhalt oben in Rn. 161 wiedergegeben worden ist. Die Klägerin stützt ihre zweite Rüge im Wesentlichen auf zwei Argumente.

i)      Zum ersten Argument: Einfluss der schiedsgerichtlichen Entscheidung vom 17. Dezember 2010 auf den Entschluss, den Gleisabschnitt nicht wieder aufzubauen

203    Mit ihrem ersten Argument macht die Klägerin geltend, die Unterstellung der Bösgläubigkeit, die aus dem 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgehe, sei sehr wenig plausibel, da es die schiedsgerichtliche Entscheidung vom 17. Dezember 2010 gewesen sei, die sie dazu veranlasst habe, den Neubau des Gleisabschnitts nicht weiterzuverfolgen. Vor dieser schiedsgerichtlichen Entscheidung und insbesondere im maßgeblichen Zeitraum habe sie das Vorhaben des Neubaus weiterverfolgt, da sie der Auffassung gewesen sei, vertraglich zur Wiederherstellung des Gleisabschnitts verpflichtet zu sein.

204    Zunächst ist festzustellen, wie oben in den Rn. 196 und 197 dargelegt, dass die Kommission ihre Feststellung im 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nicht auf eine vermutete Bösgläubigkeit der Klägerin in Bezug auf ihre Absicht, den Gleisabschnitt wieder aufzubauen, stützte, sondern sich auf die Feststellung des tatsächlichen Umstands beschränkte, dass die Klägerin nach der Beseitigung des Gleisabschnitts nicht versucht habe, ihn wieder aufzubauen. Zudem dient die Feststellung der Kommission, die Klägerin habe nach der Beseitigung des Gleisabschnitts in Wirklichkeit nicht versucht, ihn wieder aufzubauen, nur der Untermauerung des Ergebnisses im 193. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, das auf eine Reihe anderer, in den Erwägungsgründen 184 bis 191 des angefochtenen Beschlusses dargelegter Gesichtspunkte gestützt wird und wonach die Klägerin den Gleisabschnitt in großer Eile beseitigt habe, ohne zuvor die benötigten Mittel erhalten zu haben.

205    Sodann ist dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen, dass die Klägerin die litauische Regierung bereits vor Erlass der schiedsgerichtlichen Entscheidung vom 17. Dezember 2010 mehrfach auf die Nachteile hingewiesen hatte, die mit dem Neubau des Gleisabschnitts verbunden seien (Erwägungsgründe 92 bis 95 und 103 des angefochtenen Beschlusses).

206    Schließlich kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie vor Erlass der schiedsgerichtlichen Entscheidung vom 17. Dezember 2010 und insbesondere im maßgeblichen Zeitraum das Vorhaben des Neubaus verfolgt habe. Die Klägerin führte nämlich in dem über zwei Jahre währenden Zeitraum zwischen der Beseitigung des Gleisabschnitts und der schiedsgerichtlichen Entscheidung keine Reparaturarbeiten durch, obwohl sie in mehreren Dokumenten behauptete, dass der Neubau in etwa zwei Jahren hätte vollendet werden können.

207    Nach alledem ist das erste Argument der Klägerin zurückzuweisen.

ii)    Zum zweiten Argument: Fehler bei der Beurteilung der drei im 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses genannten Gesichtspunkte

208    Mit ihrem zweiten Argument beanstandet die Klägerin im Wesentlichen, die Kommission habe Fehler bei der Beurteilung der drei im 192. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses genannten Gesichtspunkte begangen. Zum einen hält die Klägerin die drei Gesichtspunkte für nicht stichhaltig, und zum anderen ist sie der Auffassung, sie hätten nicht als geeignete Beweise für den Nachweis berücksichtigt werden können, dass sie zum Zeitpunkt der Beseitigung des Gleisabschnitts dessen Wiederherstellung nicht beabsichtigt habe.

209    Insoweit genügt die Feststellung, dass sich die Kommission, wie oben in den Rn. 196 und 197 dargelegt, im angefochtenen Beschluss nicht auf eine wettbewerbsfeindliche Absicht oder Strategie von LG stützte, um ihr Ergebnis in Bezug auf das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes zu begründen.

210    Folglich ist das zweite Argument der zweiten Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

211    Somit ist die zweite Rüge des dritten Teils und damit der dritte Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

d)      Zum vierten Teil des zweiten Klagegrundes: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Prüfung der potenziellen Auswirkungen der fraglichen Praxis auf den Wettbewerb

212    Mit dem vierten Teil beanstandet die Klägerin die Feststellung in den Erwägungsgründen 202 und 203 des angefochtenen Beschlusses, durch die Beseitigung des Gleisabschnitts sei LDZ daran gehindert worden, die kürzeste und kostengünstigste Strecke von der Raffinerie zu den lettischen Seehäfen Riga und Ventspils zu nutzen, und dieses Verhalten sei geeignet gewesen, wettbewerbswidrige Auswirkungen hervorzurufen. Die Klägerin beanstandet auch die drei Erwägungen, auf die sich diese Feststellung ihrer Meinung nach stützt, nämlich erstens, dass LDZ vor der Beseitigung des Gleisabschnitts eine glaubhafte Chance gehabt habe, Schienentransportdienste für die Erdölprodukte von Orlen von der Raffinerie zu einem benachbarten Seehafen anzubieten und dadurch Wettbewerbsdruck auf sie auszuüben, zweitens, dass LDZ nach der Beseitigung des Gleisabschnitts diese Möglichkeit nicht mehr gehabt habe, und drittens, dass diese Situation zu einer Abschottung des Markts der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte von der Raffinerie zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils geführt habe. Die Klägerin macht geltend, diese Erwägungen hätten keinerlei rechtliche oder tatsächliche Grundlage.

213    Insbesondere sei die Argumentation der Kommission zum einen mit Rechtsfehlern (erste Rüge) und zum anderen mit Beurteilungsfehlern (zweite Rüge) behaftet.

1)      Zur ersten Rüge: Rechtsfehler

214    Die Klägerin stützt ihr erste Rüge, mit der sie Rechtsfehler geltend macht, im Wesentlichen auf zwei Argumente. Mit dem ersten Argument macht sie geltend, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts am 3. Oktober 2008 keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen haben könne. Mit dem zweiten Argument macht sie geltend, die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts habe LDZ nicht daran gehindert, in wirksamen Wettbewerb zu treten und die für Lettland bestimmte Fracht, die zuvor auf der kurzen Strecke transportiert worden war und somit von der Beseitigung des Gleisabschnitts betroffen war, auf der langen Strecke zu transportieren (im Folgenden: betroffene Fracht).

i)      Zum ersten Argument: Die Beseitigung des Gleisabschnitts habe keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen entfaltet

215    Die Klägerin macht geltend, die Beseitigung des Gleisabschnitts am 3. Oktober 2008 habe keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen haben können, da der Gleisabschnitt bereits seit der Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 nicht mehr für den Verkehr verfügbar gewesen sei. Nicht die Beseitigung des Gleisabschnitts als solche habe LDZ daran gehindert, die kürzere und direktere Strecke von der Raffinerie zu den lettischen Seehäfen Riga und Ventspils zu nutzen, sondern die Aussetzung des Verkehrs einen Monat zuvor habe sie daran gehindert. Auch vor der Beseitigung des Gleisabschnitts hätten weder LDZ noch die Klägerin die Möglichkeit gehabt, Transportdienste unter Nutzung des Gleisabschnitts anzubieten, und dies seit dem 2. September 2008. Somit sei es ohne Bedeutung, aus welchem Grund es nicht mehr möglich gewesen sei, den Gleisabschnitt zu benutzen.

216    Nach Auffassung der Klägerin gibt es außerdem keinen Beweis dafür, dass sich die Situation für LDZ anders gestaltet hätte, wenn sie sich am 18. September 2008 nicht für die Option 2, sondern für die Option 1 entschieden hätte, d. h. für den stufenweisen Neubau einschließlich Anfangsreparaturen. Im angefochtenen Beschluss werde lediglich vermutet, dass LG in diesem alternativen Szenario (in dem der Gleisabschnitt am 3. Oktober 2008 nicht entfernt worden wäre) möglicherweise in Erwägung gezogen hätte, die Anfangsreparaturen zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen. Die Klägerin hält dieses Szenario jedoch für sehr unwahrscheinlich. Da sie aufgrund der Finanzkrise keine Mittel für eine Investition in Höhe von 40 Mio. LTL für den Zeitraum 2009–2010 erhalten habe, gebe es keinen Grund für die Vermutung, dass sie die erhebliche Geldsumme erhalten hätte, die für die Anfangsreparaturen benötigt worden sei und sich auf 21,3 Mio. LTL belaufen habe. Für die Anfangsreparaturen hätte sie das gleiche Verfahren wie für den sofortigen Neubau durchlaufen müssen, einschließlich der Beantragung von staatlichen Geldern oder Unionsmitteln. Zudem sei die Option 1, die Anfangsreparaturen beinhaltet habe, viel weniger effizient als die Option 2, und nach Auffassung der Klägerin wäre es extrem irrational gewesen, wenn sie sich dennoch zu einem späteren Zeitpunkt für die Option 1 entschieden hätte. Schließlich hätte sie die schiedsgerichtliche Entscheidung vom 17. Dezember 2010 wahrscheinlich auch dazu veranlasst, die Anfangsreparaturen nicht weiterzuverfolgen. Folglich werde die Hypothese der Kommission, wonach sie ohne die Beseitigung des Gleisabschnitts eine Option der begrenzten Reparatur hätte erwägen können, d. h. Anfangsreparaturen im Rahmen des stufenweisen Neubaus zu einem späteren Zeitpunkt, durch keinen Umstand gestützt. Somit hätte sich nach Auffassung der Klägerin die Wettbewerbssituation im Rahmen des alternativen Szenarios, in dem der Gleisabschnitt nicht entfernt worden wäre, wahrscheinlich nicht vom Status quo unterschieden.

217    Als Betreiberin von Infrastrukturen trage die Klägerin eine besondere Verantwortung speziell für die Sicherheit der Auslegung, der Instandhaltung und des Betriebs ihres Schienennetzes. Daher gelte die Verpflichtung, Störungen des Eisenbahnnetzes möglichst zu vermeiden, vorbehaltlich der übergeordneten Verpflichtung jedes Betreibers von Infrastrukturen, Unfälle zu verhindern und die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.

218    Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

219    Vorab ist festzustellen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss das Verhalten der Klägerin untersuchte, das darin bestand, den Gleisabschnitt in großer Eile zu entfernen, ohne die erforderlichen Mittel zu mobilisieren und ohne die normalen Vorbereitungen für den Neubau zu treffen (Erwägungsgründe 182 bis 201 des angefochtenen Beschlusses). Sie stufte dieses Verhalten als missbräuchliche Praxis unter Einsatz von anderen Mitteln als denjenigen eines normalen Wettbewerbs ein, welches geeignet sei, wettbewerbswidrige Auswirkungen in Form des Ausschlusses von Wettbewerb auf dem Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zwischen der Raffinerie und den benachbarten Seehäfen hervorzurufen, indem Hindernisse für den Markteintritt errichtet würden, ohne dass dies objektiv gerechtfertigt sei.

220    Somit hat die Kommission die Beseitigung des Gleisabschnitts als solche tatsächlich als missbräuchliches Verhalten eingestuft und die Auffassung vertreten, dass die Beseitigung unabhängig von der Aussetzung des Verkehrs auf diesem Gleisabschnitt am 2. September 2008 auf dem maßgeblichen Markt möglicherweise wettbewerbswidrige Auswirkungen gehabt habe. Insbesondere sei die Beseitigung des Gleisabschnitts geeignet gewesen, LDZ in ihrer Eigenschaft als effiziente Wettbewerberin daran zu hindern, auf dem relevanten nachgelagerten Markt Dienstleistungen anzubieten und Wettbewerbsdruck auf die Klägerin auszuüben.

221    Im vorliegenden Fall ist erstens mit der Kommission festzustellen, dass der maßgebliche Rechtsrahmen die Betreiber von Eisenbahninfrastrukturen, wie die Klägerin, dazu verpflichtete, Störungen gering zu halten und die Leistung des Eisenbahnnetzes zu verbessern. Im Fall einer Störung des Eisenbahnverkehrs musste der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Normalbetrieb wiederherzustellen.

222    Zwar trug die Klägerin, wie sie geltend macht, aufgrund des maßgeblichen Rechtsrahmens eine besondere Verantwortung speziell für die Sicherheit der Auslegung, der Instandhaltung und des Betriebs ihres Schienennetzes (17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG des Rates über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen und der Richtlinie 2001/14 [„Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit“] [ABl. 2004, L 164, S. 44] und Art. 24 des Schienentransportgesetzes), doch obliegt dem Betreiber von Infrastrukturen aufgrund dieses Rechtsrahmens nicht nur die Verpflichtung, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, sondern er ist auch verpflichtet, Störungen des Eisenbahnnetzes gering zu halten und nach einer Störung des Eisenbahnverkehrs den Normalbetrieb wiederherzustellen. Diesen zwei Verpflichtungen muss der Betreiber von Infrastrukturen Rechnung tragen. Im vorliegenden Fall konnte die Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts nicht allein mit Sicherheitserwägungen gerechtfertigt werden, da die Sicherheit bereits durch die Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 hinreichend gewährleistet worden war.

223    Zweitens trug die Klägerin, die auf dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung innehatte, eine besondere Verantwortung dafür, durch ihr Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf diesem Markt nicht zu beeinträchtigen. Folglich hätte sie zu dem Zeitpunkt, als sie über die Lösung für den verformten Gleisabschnitt entschied, der Verantwortung Rechnung tragen müssen, die ihr nach Art. 102 AEUV oblag, und vermeiden müssen, dass jegliche Chance auf eine kurzfristige Wiederinbetriebnahme des Gleisabschnitts mittels eines stufenweisen Neubaus verbaut würde, und insoweit ihrer Verpflichtung nachkommen müssen, Störungen auf dem Eisenbahnnetz möglichst gering zu halten und nach einer Störung den Normalbetrieb wiederherzustellen.

224    Somit hat die Klägerin, unabhängig von der zuvor erfolgten Aussetzung des Verkehrs, bei der Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts unter den im angefochtenen Beschluss berücksichtigten tatsächlichen und rechtlichen Umständen die besondere Verantwortung, die ihr nach Art. 102 AEUV oblag, außer Acht gelassen.

225    Drittens hatte zwar, wie die Klägerin vorträgt, die Aussetzung des Verkehrs auf dem Gleisabschnitt am 2. September 2008 LDZ bereits die Möglichkeit genommen, die kurze Strecke zu benutzen, um in das litauische Hoheitsgebiet zu gelangen, doch wurde die Situation, die nach der Aussetzung des Verkehrs gegeben war, durch die Beseitigung des Gleisabschnitts unbestreitbar verschlimmert, wie die Kommission zu Recht geltend macht. Die Beseitigung des Gleisabschnitts führte nämlich dazu, dass aus der Aussetzung des Verkehrs, die naturgemäß vorübergehend war, ein Dauerzustand wurde, der die Benutzung des Gleisabschnitts völlig unmöglich machte. Die Überführung eines Übergangszustands in einen Dauerzustand kann jedoch Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation haben, da sich potenzielle Wettbewerber unterschiedlich verhalten, je nachdem, ob sie davon ausgehen, dass eine Wiederherstellung des „Normalbetriebs“ kurz‑ oder mittelfristig oder überhaupt nicht eintreten wird. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass LDZ in der Tat ihren Antrag auf Erteilung einer Lizenz für die Nutzung des litauischen Teils der kurzen Strecke nach Lettland zurückzog, als Orlen schließlich zu der Auffassung gelangte, dass die Klägerin nicht beabsichtige, den Gleisabschnitt kurzfristig zu reparieren (siehe oben, Rn. 26). Zudem war es aufgrund der Beseitigung des Gleisabschnitts de facto unmöglich, die Option 1 durchzuführen, da deren erste Maßnahme, d. h. Anfangsreparaturen an den Stellen des Gleisabschnitts, die keinen sicheren Schienenverkehr ermöglichten, nicht mehr in Betracht kam. Außerdem erhöhte die Beseitigung des Gleisabschnitts, die in großer Eile und ohne vorherige Bewilligung der für den Neubau benötigten Mittel vorgenommen wurde, das im vorliegenden Fall eingetretene Risiko, dass ein sicherer Schienenverkehr auf der kurzen Strecke erst mehr als zehn Jahre später wiederhergestellt würde.

226    Die Beseitigung konnte zu einer Verdrängung vom Markt führen, da sie den Marktzugang dadurch erschwerte, dass er weniger vorteilhaften Bedingungen unterlag. Somit war die Beseitigung des Gleisabschnitts geeignet, auf dem relevanten Markt wettbewerbswidrige Auswirkungen zu entfalten.

227    Nach alledem macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass sich die Wettbewerbssituation im Rahmen des alternativen Szenarios nicht vom Status quo unterschieden hätte. Die Situation hätte nämlich anders sein können, da die Beseitigung des Gleisabschnitts – die in großer Eile erfolgt war, ohne die für seinen Neubau benötigten Mittel sicherzustellen – die Situation, die zum Zeitpunkt der Aussetzung des Verkehrs vorherrschte, verschlimmerte, da sie die Aussetzung des Verkehrs, die naturgemäß vorübergehend war, in eine Situation überführte, in der die Benutzung des Gleisabschnitts völlig unmöglich wurde. Außerdem wurde die Reparatur des Gleisabschnitts erschwert, da die Option 1 unmöglich wurde und die Option 2 nicht vollständig durchgeführt werden konnte.

228    Dieses Ergebnis kann durch die übrigen Argumente der Klägerin nicht in Frage gestellt werden.

229    Was erstens das Vorbringen betrifft, die Klägerin habe, da sie aufgrund der Finanzkrise keine Mittel für eine Investition in Höhe von 40 Mio. LTL zwecks Neubau für den Zeitraum 2009–2010 erhalten habe, keinen Grund gehabt zu vermuten, dass sie den bedeutenden, für die Anfangsreparaturen benötigten Geldbetrag in Höhe von 21,3 Mio. LTL erhalten hätte, zumal sie für die Anfangsreparaturen das gleiche Verfahren wie für den sofortigen Neubau hätte durchlaufen müssen, einschließlich der Beantragung von staatlichen Geldern oder Unionsmitteln, ist festzustellen, dass die Klägerin mit diesem Vorbringen die Durchführung der Option 2 zu rechtfertigen versucht. Die Kommission wirft der Klägerin jedoch nicht vor, dass sie sich statt der Option 1 für die Option 2 entschied, sondern sie beanstandet die Modalitäten der Durchführung der Option 2, insbesondere den Umstand, dass die Klägerin die Arbeiten zur Beseitigung des Gleisabschnitts einleitete, ohne jegliche Vorbereitungen für den Neubau zu treffen, so dass die Durchführung der Option 1 unmöglich wurde. Da die Beseitigung des Gleisabschnitts zu einer Eingrenzung der Optionen führte und verhinderte, dass der Verkehr auf der kurzen Strecke nach Lettland wiederaufgenommen wurde, konnte die Klägerin ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, die ihr als Unternehmen mit Monopolstellung und einem staatlichen Auftrag zum Betrieb des Schienennetzes oblagen. Somit kann die Frage, ob die Klägerin den erheblichen Geldbetrag im Hinblick auf die Anfangsreparaturen hätte erhalten können, die Feststellungen der Kommission nicht entkräften.

230    Jedenfalls bestätigt die Klägerin mit diesem Vorbringen, dass ihr bewusst war, welche Schritte sie nach der Aussetzung des Verkehrs auf dem Gleisabschnitt am 2. September 2008 hätte unternehmen müssen. Die Kommission stellt insoweit im 49. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Klägerin 107 000 Euro ausgegeben habe, um den Gleisabschnitt in großer Eile zu beseitigen, ohne die für den Neubau benötigten Mittel zu beantragen oder das für ihre Bewilligung erforderliche Verwaltungsverfahren einzuleiten. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin nicht nur die staatlichen Mittel zu spät beantragt (siehe oben, Rn. 173), sondern auch versäumt, das Verwaltungsverfahren abzuschließen, das für die Gewährung der Unionsmittel vorgeschrieben war (siehe oben, Rn. 175).

231    Zweitens kann das Vorbringen, wonach die Option 1 viel weniger effizient sei als die Option 2 und es extrem irrational gewesen wäre, wenn die Klägerin dennoch zu einem späteren Zeitpunkt die Option 1 durchgeführt hätte, nicht durchgreifen, da die Kommission der Klägerin nicht vorgeworfen hat, die Option 2 statt der Option 1 gewählt zu haben, sondern, dass sie den Gleisabschnitt in großer Eile beseitigte, ohne zuvor die für den Neubau benötigten Mittel sicherzustellen.

232    Was drittens das Vorbringen betrifft, die schiedsgerichtliche Entscheidung vom 17. Dezember 2010 hätte die Klägerin wahrscheinlich auch veranlasst, die Anfangsreparaturen im Rahmen der hypothetischen Durchführung der Option 1 nicht weiterzuverfolgen, hat die Kommission im 89. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zu Recht festgestellt, dass der Geltungsbereich der schiedsgerichtlichen Entscheidung in Bezug auf den Gegenstand der Prüfung und den berücksichtigten Zeitraum begrenzt war. Die fragliche schiedsgerichtliche Entscheidung betraf nämlich nur die Auslegung eines Artikels einer Handelsvereinbarung zwischen der Klägerin und Orlen aus dem Jahr 1999 und enthielt eine Prüfung des Sachverhalts zum 30. September 2008. Somit war die im Oktober 2008 erfolgte Beseitigung des Gleisabschnitts nicht Gegenstand der schiedsgerichtlichen Entscheidung. Außerdem war die Klägerin nach dem maßgeblichen Rechtsrahmen verpflichtet, nach einer Störung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Normalbetrieb auf dem Gleisabschnitt wiederherzustellen. Folglich kann sich die Klägerin nicht auf die schiedsgerichtliche Entscheidung vom 17. Dezember 2010 berufen, um geltend zu machen, es habe ihr freigestanden, die Mittel nicht zu beantragen, die für den Neubau des Gleisabschnitts und die Wiederaufnahme des Verkehrs erforderlich waren.

233    Somit beging die Kommission keinen Rechtsfehler, als sie im angefochtenen Beschluss feststellte, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts als solche, unabhängig von der zuvor erfolgten Aussetzung des Verkehrs auf dem Gleisabschnitt, geeignet sei, wettbewerbswidrige Auswirkungen auf dem Markt zu entfalten.

234    Daher ist das erste Argument der ersten Rüge des vierten Teils zurückzuweisen.

ii)    Zum zweiten Argument: Die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts habe LDZ nicht daran gehindert, in effizienten Wettbewerb zu treten

235    Die Klägerin macht geltend, die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts habe LDZ nicht daran gehindert, in effizienten Wettbewerb zu treten und die betroffene Fracht über die lange Strecke nach Lettland zu transportieren. Erstens habe der Gleisabschnitt nach der Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 erst nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wieder genutzt werden können, und zwar sowohl bei Durchführung der Option 1 als auch der Option 2. Somit sei allein die rechtliche Frage entscheidend, ob die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts LDZ in ihrer Eigenschaft als effiziente Wettbewerberin daran habe hindern können, auf dem relevanten Markt Dienstleistungen anzubieten und Wettbewerbsdruck auf die Klägerin auszuüben. Im angefochtenen Beschluss sei diese Frage jedoch nicht geprüft worden, da nur die Beseitigung des Gleisabschnitts als wettbewerbswidriges Verhalten eingestuft worden sei, obwohl die Beseitigung als solche keine Auswirkung auf den Wettbewerb gehabt habe. Zweitens habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass die unterlassene Reparatur wahrscheinlich Verdrängungswirkung gehabt habe, sondern lediglich zu Unrecht ein viel weiter gefasstes rechtliches Kriterium angewandt, nämlich das Kriterium der potenziellen Wettbewerbsbeschränkung. Drittens werde im angefochtenen Beschluss auch nicht geprüft, ob LDZ nach der Aussetzung des Verkehrs die Möglichkeit gehabt habe, auf der gleichen Strecke, d. h. der langen Strecke nach Lettland, in Bezug auf die betroffene Fracht mit LG in Wettbewerb zu treten.

236    Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

237    Was das Vorbringen betrifft, die Beseitigung des Gleisabschnitts habe sich nicht auf den Wettbewerb ausgewirkt, da es die unterlassene Reparatur nach der Aussetzung des Verkehrs gewesen sei, die eine solche Wirkung gehabt habe, ist vorab festzustellen, dass im angefochtenen Beschluss nicht geprüft wird, ob die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts LDZ daran hindern konnte, auf dem relevanten Markt Dienstleistungen anzubieten und Wettbewerbsdruck auf die Klägerin auszuüben. Da es der Kommission jedoch gelungen ist, nachzuweisen, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts an sich als potenziell missbräuchliche Praxis eingestuft werden konnte, war diese Prüfung nicht erforderlich.

238    Folglich war die Kommission, da sie nachweisen konnte, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts geeignet war, potenzielle Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten, entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht verpflichtet, zu prüfen, ob die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts ebenfalls solche Wirkungen hervorrufen konnte. Jedenfalls wurde die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts von der Kommission im Rahmen ihrer Prüfung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Beseitigung des Gleisabschnitts berücksichtigt. Die Kommission hat nämlich geprüft, wie sich die Beseitigung des Gleisabschnitts auf die Möglichkeit auswirkte, ihn zu reparieren, und somit auf die Möglichkeit der Klägerin, nach der eingetretenen Verformung ihrer Verpflichtung zur Wiederherstellung des Normalbetriebs nachzukommen, die ihr als Betreiberin der litauischen Eisenbahninfrastrukturen und als Unternehmen in marktbeherrschender Stellung oblag.

239    Was das Vorbringen betrifft, die Kommission habe nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts geeignet gewesen sei, wettbewerbswidrige Auswirkungen zu entfalten, da sie ein weiter gefasstes rechtliches Kriterium angewandt habe als das Kriterium der Verdrängungswirkung, ist unabhängig davon, ob, wie die Kommission geltend macht, die Begriffe „geeignet“ (englisch: capable) und „wahrscheinlich“ (englisch: likely) austauschbar sind, festzustellen, dass die Kommission im vorliegenden Fall die wahrscheinlichen Auswirkungen der Beseitigung des Gleisabschnitts geprüft hat (Erwägungsgründe 317 bis 324 und 363 des angefochtenen Beschlusses).

240    Zum Vorbringen, die Kommission habe prüfen müssen, ob die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts nach der Aussetzung des Verkehrs habe verhindern können, dass LDZ in Bezug auf die betroffene Fracht, d. h. die Fracht, die bis zum 2. September 2008 über die kurze Strecke transportiert worden sei, auf der langen Strecke nach Lettland in Wettbewerb mit der Klägerin trete, ist mit der Kommission festzustellen, dass sich dieses Argument auf die Annahme stützt, dass nur die Fracht, die bis zum 2. September 2008 über die kurze Strecke nach Lettland transportiert wurde, von der Beseitigung des Gleisabschnitts betroffen war.

241    Im 158. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission den relevanten Markt jedoch auf der Grundlage des „O&D-Ansatzes“ als den Markt für die über den Seeweg exportierten Erdölprodukte von Orlen definiert, d. h. den Markt für Schienentransportdienste von Erdölprodukten ab der Raffinerie bis zu den See-Terminals Klaipėda, Riga und Ventspils. Somit war die Fracht, die von der Beseitigung des Gleisabschnitts potenziell betroffen war, nicht auf die relativ geringen Mengen von Erdölprodukten begrenzt, die vor der Aussetzung des Verkehrs im September 2008 über den Gleisabschnitt transportiert wurden. Vielmehr handelte es sich um einen sehr erheblichen Anteil der Raffinerieproduktion von Orlen, der für den Export auf internationale Märkte über den Seeweg bestimmt war.

242    Da die Klägerin die im angefochtenen Beschluss vorgeschlagene Definition des relevanten Markts nicht beanstandet hat, kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, sie habe dadurch einen Fehler begangen, dass sie nicht prüfte, ob die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts nach der Aussetzung des Verkehrs LDZ daran hindern konnte, auf der langen Strecke nach Lettland nur für die betroffene Fracht in Wettbewerb mit der Klägerin zu treten.

243    Nach alledem beging die Kommission keinen Fehler, als sie nicht prüfte, ob die unterlassene Reparatur des Gleisabschnitts wettbewerbswidrige Auswirkungen auf dem fraglichen Markt haben konnte.

244    Daher ist das zweite Argument der ersten Rüge des vierten Teils und somit die erste Rüge insgesamt zurückzuweisen.

2)      Zur zweiten Rüge: Fehler bei der Beurteilung der Möglichkeit von LDZ, auf der langen Strecke nach Lettland in Wettbewerb mit LG zu treten

245    Mit ihrer zweiten Rüge beanstandet die Klägerin im Wesentlichen, die Kommission habe einen Beurteilungsfehler begangen, als sie festgestellt habe, dass LDZ auf der kurzen Strecke nach Lettland, nicht jedoch auf der langen Strecke eine glaubhafte Chance gehabt habe, mit ihr in Wettbewerb zu treten.

246    Die Klägerin stützt ihre zweite Rüge im Wesentlichen auf zwei Argumentationszüge. Mit dem ersten Argumentationszug beanstandet die Klägerin die im angefochtenen Beschluss enthaltene Analyse zum Vorliegen von Hindernissen für den Markteintritt und insbesondere die Feststellung, LDZ sei auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen in höherem Maße von LG abhängig gewesen (Erwägungsgründe 290 bis 308 des angefochtenen Beschlusses). Mit dem zweiten Argumentationszug stellt die Klägerin die im angefochtenen Beschluss enthaltene Feststellung in Frage, die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen seien im Vergleich zu der Strecke nach Klaipėda nicht rentabel gewesen (Erwägungsgründe 309 bis 316 des angefochtenen Beschlusses).

i)      Zu den Argumenten, mit denen das Vorliegen von Hindernissen für den Markteintritt bestritten wird

247    Mit dem ersten Argumentationszug bestreitet die Klägerin das Vorliegen der behaupteten Hindernisse für den Markteintritt und insbesondere die im angefochtenen Beschluss enthaltene Feststellung, LDZ sei in höherem Maße (300. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) vom vertikal integrierten, etablierten Betreiber (293. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), d. h. der Klägerin selbst, abhängig gewesen, und zwar nicht nur auf einer Strecke von 34 km auf litauischem Hoheitsgebiet (kurze Strecke), sondern auch auf einer längeren Strecke von 152 km (lange Strecke). Ferner beanstandet die Klägerin die im angefochtenen Beschluss enthaltene Feststellung, wonach diese Situation, ex ante betrachtet, für LDZ mit einem erheblich höheren Risiko behaftet gewesen sei als die Ausübung ihrer Tätigkeiten auf den kurzen Strecken zu den lettischen Seehäfen (301. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Im Einzelnen stellt die Klägerin die im angefochtenen Beschluss enthaltene Feststellung in Frage, der von LDZ eingereichte Antrag auf Zuweisung von Kapazitäten für die lange Strecke nach Lettland habe sich auf Strecken in Litauen bezogen, die viel länger und deutlich stärker frequentiert seien, und sei deshalb komplexer gewesen, was zu mehr Reibungspunkten mit der Betreiberin der Eisenbahninfrastrukturen, d. h. LG, geführt habe (297. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

248    Die Klägerin macht insoweit erstens geltend, dass Entscheidungen über die Verteilung der Infrastrukturkapazitäten in Litauen nicht von ihr getroffen würden, sondern von der Aufsichtsbehörde der litauischen Eisenbahn (im Folgenden: VGI), die dem Ministerium für Verkehr und Kommunikation unterstellt sei. Das VGI müsse Entscheidungen diskriminierungsfrei und innerhalb einer festen Frist von vier Monaten treffen. Zweitens habe LDZ innerhalb einer Frist von 28 Tagen nach Antragstellung alle notwendigen Genehmigungen für die selbständige Ausübung ihrer Tätigkeiten auf dem ersten Teil der langen Strecke in Litauen erhalten, d. h. von der lettischen Grenze bis nach Radviliškis (Litauen). Nichts deute darauf hin, dass es für LDZ schwierig oder komplexer gewesen sei, auch die notwendigen Genehmigungen für den zweiten Teil der langen Strecke zu erhalten. Drittens erkenne die Kommission im angefochtenen Beschluss an, dass auf der langen Strecke keine Gefahr von Überkapazitäten und somit keine Gefahr von Reibungen mit der Klägerin bestanden habe. Viertens habe für die Klägerin als einzige Betreiberin der Eisenbahninfrastrukturen in Litauen die Nichtdiskriminierungspflicht gegolten, und zwar auch im Hinblick auf zusätzliche Eisenbahndienste. Es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Fünftens sei es ausgesprochen wenig plausibel, dass das Genehmigungsverfahren sowie die Bereitstellung zusätzlicher Dienste in Bezug auf 34 km (kurze Strecke) oder 60 km (erster Teil der langen Strecke) auf litauischem Hoheitsgebiet einfach, jedoch auf den weiteren 92 km (zweiter Teil der langen Strecke) sehr schwierig gewesen seien.

249    Zudem bestreitet die Klägerin, dass LDZ für den Erhalt von Informationen über die Zugangsbedingungen und die Gebühren in Bezug auf die lange Strecke stärker von ihr abhängig gewesen sei als in Bezug auf die kurze Strecke. Alle maßgeblichen Informationen würden nämlich im litauischen Amtsblatt und auf der Website des VGI veröffentlicht, und das VGI sei verpflichtet, einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Infrastrukturen zu gewährleisten und die Gebühren festzulegen. Auch wenn das Referenzdokument des Netzes für den Zeitraum 2008–2009 nicht den genauen Betrag der Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste nenne, seien alle Infrastrukturgebühren veröffentlicht und der Allgemeinheit bekannt. Auch die Formeln, mit denen die Gebühren berechnet würden, seien Teil dieser Informationen. Sobald das VGI die Gebühren berechnet habe, würden sie veröffentlicht, und zwar bevor der entsprechende Zugfahrplan in Kraft trete, so dass jeder Antragsteller ganz einfach die tatsächlichen Gebühren berechnen könne. Darüber hinaus sei es nicht plausibel, dass, selbst wenn noch eine gewisse Unklarheit in Bezug auf den genauen Betrag der Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste bestünde, diese angebliche fehlende Transparenz kein Hindernis für den Zugang zur kurzen Strecke und zum ersten Teil der langen Strecke in Litauen (für den LDZ alle erforderlichen Genehmigungen erhalten habe), jedoch ein großes Hindernis für den Zugang zum zweiten Teil der langen Strecke darstelle.

250    Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Argumentationszug entgegen.

251    Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss im Wesentlichen die Auffassung vertrat, die Beseitigung des gesamten Gleisabschnitts von 19 km, die den Wettbewerbern den Zugang zum kürzesten und direktesten Weg von der Raffinerie zur lettischen Grenze entzogen habe, sei ein Verhalten unter Einsatz von anderen Mitteln als denjenigen eines normalen Wettbewerbs, welches geeignet sei, potenzielle wettbewerbswidrige Auswirkungen auf dem nachgelagerten Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte mit Destination Klaipėda, Riga und Ventspils hervorzurufen (Erwägungsgründe 2, 177 und 202 des angefochtenen Beschlusses).

252    Die Kommission stellte zunächst fest, dass LDZ vor der Beseitigung des Gleisabschnitts eine glaubhafte Chance gehabt habe, die für den See-Export bestimmten Erdölprodukte von Orlen über die kurze Strecke nach Lettland von der Raffinerie bis zu den lettischen Seehäfen zu transportieren. Die Kommission stellte außerdem fest, die Klägerin sei ernsthaft besorgt gewesen, dass Orlen zu den Schienentransportdiensten von LDZ wechseln könnte. Ferner hob die Kommission hervor, dass Orlen und LDZ diese Möglichkeit zwei Jahre lang geprüft hätten, dass der Vorstandsvorsitzende von Orlen erklärt habe, die Verhandlungen hätten Druck auf LG ausgeübt, und dass LDZ eine Lizenz für die Nutzung des litauischen Teils der kurzen Strecke nach Lettland beantragt habe, nicht jedoch für die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen. Dennoch nahm die Kommission anschließend eine Prüfung der Kapazitäten und der Transportkosten vor. Zur Bestätigung dieser Beurteilung stellte die Kommission fest, dass erstens die Erdölprodukte von Orlen auf der Grundlage technischer und kapazitätsbezogener Erwägungen zu den lettischen Seehäfen transportiert werden könnten, zweitens die lettischen Seehäfen für den Umschlag von Erdölprodukten eine glaubhafte Alternative zum Hafen von Klaipėda seien, drittens die Frage der Kosten des Schienentransports für Orlen der wichtigste Faktor bei der Wahl einer Strecke gewesen sei, viertens die Kosten des Schienentransports von der Länge der Strecke und dem Mitgliedstaat abhingen, in dem der Transport stattfände, und fünftens LDZ in der Lage gewesen sei, auf der kurzen Strecke zu den lettischen Seehäfen ein konkurrenzfähiges Angebot zu machen.

253    Sodann stellte die Kommission fest, dass LDZ nach der Beseitigung des Gleisabschnitts nicht mehr die Möglichkeit gehabt habe, konkurrenzfähige Schienentransportdienste für die Erdölprodukte von Orlen von der Raffinerie bis zu den benachbarten Seehäfen anzubieten und folglich aufgrund der erheblichen Hindernisse für den Zugang zum Eisenbahnsektor und der diesem Sektor inhärenten Wettbewerbsnachteile von Eisenbahnbetreibern, die mit dem bereits auf dem Markt tätigen und auch für den Betrieb der Infrastrukturen zuständigen Betreiber konkurrierten, nicht mehr in der Lage gewesen sei, Wettbewerbsdruck auf die Klägerin auszuüben.

254    Um konkurrenzfähige Schienentransportdienste für die Erdölprodukte von Orlen anzubieten, habe LDZ nur die Möglichkeit gehabt, zu versuchen, auf der Strecke nach Klaipėda oder auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen tätig zu werden. Die 228 km lange Strecke nach Klaipėda befinde sich vollständig auf litauischem Hoheitsgebiet, und ein erheblicher Teil der langen Strecken zu den lettischen Seehäfen durchquere litauisches Hoheitsgebiet (152 km). Die Klägerin habe somit einen Wettbewerbsvorteil auf ihrem eigenen Netz, und die Wettbewerbsposition von LDZ auf der Strecke nach Klaipėda und auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen sei schwächer als auf den kurzen Strecken zu diesen Seehäfen.

255    Die Kommission führte außerdem die Hindernisse für den Markteintritt und die Wettbewerbsnachteile, denen ein potenzieller Konkurrent wie LDZ auf dem Netz der Klägerin ausgesetzt sein könne, detailliert auf. Der Fokus der Kommission lag auf den wichtigsten Zugangshindernissen, d. h. dem Zugang zu Eisenbahninfrastrukturen und zusätzlichen Eisenbahndiensten (Erwägungsgründe 293 bis 304 des angefochtenen Beschlusses) sowie dem Mangel an Information und Transparenz hinsichtlich der Voraussetzungen für den Marktzugang (Erwägungsgründe 305 bis 308 des angefochtenen Beschlusses). Die Kommission war der Auffassung, selbst wenn LDZ in der Lage gewesen wäre, auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen Schienentransportdienste für die Erdölprodukte von Orlen anzubieten, ohne Zugangshindernisse überwinden zu müssen, seien diese Strecken im Vergleich zur Strecke nach Klaipėda weniger rentabel gewesen, so dass die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen keine konkurrenzfähige Alternative zur Strecke nach Klaipėda gewesen seien.

256    Dies habe zu einer Abschottung des Markts der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte von der Raffinerie zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils geführt.

257    Als Erstes ist im vorliegenden Fall vorab festzustellen, dass die Klägerin mit ihrem Vorbringen nur die ergänzenden Beurteilungen beanstandet, die die Kommission in den Erwägungsgründen 208 ff. des angefochtenen Beschlusses vornahm, jedoch nicht die hauptsächlichen Erwägungen, die in den Erwägungsgründen 205 bis 207 des angefochtenen Beschlusses aufgeführt sind und wonach LDZ vor der Beseitigung des Gleisabschnitts eine glaubhafte Chance gehabt habe, die für den See-Export bestimmten Erdölprodukte von Orlen über die kurze Strecke nach Lettland von der Raffinerie bis zu den lettischen Seehäfen zu transportieren. Was die Entscheidungen über die Zuweisung von Kapazitäten für Eisenbahninfrastrukturen betrifft, ist mit der Kommission festzustellen, dass im angefochtenen Beschluss nicht bestritten wird, dass diese Entscheidungen vom VGI getroffen werden. Insoweit hat die Kommission im 296. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses in Bezug auf die Zuweisung von Kapazitäten in Litauen anerkannt, dass Anträge auf Zugang zu den Eisenbahninfrastrukturen dem VGI vorzulegen seien und das VGI ihre Vollständigkeit prüfe. Die Kommission hat anschließend jedoch festgestellt, ohne dass die Klägerin ihr insoweit widersprochen hat, dass es die Klägerin sei, die eine technische Evaluierung der Anträge vornehme und für das VGI den Entwurf eines Zugfahrplans erstelle. Wie die Kommission daher zu Recht hervorhebt, hing der Antrag der LDZ auf Zuweisung von Kapazitäten konkret von der Evaluierung durch die Klägerin ab. Zudem unterschied sich der Antrag auf Zuweisung von Kapazitäten vom Antrag auf Erteilung behördlicher Genehmigungen z. B. in Form des Sicherheitszertifikats, das für eine betriebliche Tätigkeit in Litauen erforderlich ist. Folglich ist es, wie die Kommission zu Recht geltend macht, nicht relevant, dass LDZ, wie die Klägerin vorträgt, innerhalb einer Frist von 28 Tagen nach Antragstellung alle notwendigen Genehmigungen für die selbständige Ausübung ihrer Tätigkeiten auf einem Teil des litauischen Abschnitts der langen Strecken zu den lettischen Seehäfen erhielt. Die im angefochtenen Beschluss enthaltene Beurteilung der Zugangshindernisse stützt sich nämlich nicht auf die Schwierigkeit, behördliche Genehmigungen zu erhalten, sondern auf die Schwierigkeit, Kapazitäten zugewiesen zu bekommen.

258    Was als Zweites das Vorbringen betrifft, auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen habe es Kapazitätsengpässe gegeben, ist mit der Kommission festzustellen, dass der angefochtene Beschluss das Vorhandensein von Engpässen auf diesen Strecken nicht behauptet. Vielmehr wird im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass Anträge auf Zuweisung von Kapazitäten komplexer gewesen seien. Die Anträge hingen nämlich von einer durch die Klägerin vorzunehmenden Evaluierung einer längeren Strecke in Litauen ab, die stärker frequentiert war als der litauische Teil der kurzen Strecke nach Lettland (297. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen bestand ein höheres Risiko von Trassenkonflikten, da diese Strecken bereits genutzt wurden, während der litauische Teil der kurzen Strecke ausschließlich für den Transport der Erdölprodukte von Orlen genutzt wurde (298. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

259    Was als Drittes das Vorbringen betrifft, für die Klägerin habe auch im Hinblick auf zusätzliche Eisenbahndienste eine Nichtdiskriminierungspflicht gegolten, enthält der angefochtene Beschluss in den Erwägungsgründen 293 bis 300 und 303 die Feststellung, dass die Umsetzung des in der Richtlinie 2001/14 enthaltenen Diskriminierungsverbots in das litauische Recht der Klägerin einen gewissen Handlungsspielraum zugestanden habe, der ihr die Festlegung nachteiliger Bedingungen für den Zugang zu den Eisenbahninfrastrukturen und die Erbringung zusätzlicher Eisenbahndienste ermöglicht habe. Insbesondere stellte die Kommission in den Erwägungsgründen 293 und 294 des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Erbringung zusätzlicher Eisenbahndienste nicht zwangsläufig reglementiert bzw. dergestalt reglementiert sei, dass ein gewisser Handlungsspielraum in Bezug auf die Preise und die Qualität der erbrachten Dienstleistung bestehe. Dies gelte für bestimmte Wartungsdienste (für Schienenfahrzeuge), Zugang zu bestimmten Anlagen (z. B. Rangierbahnhöfe oder Anlagen zum Parken und Reinigen von Schienenfahrzeugen) und Hilfsdienste (u. a. bei Zugpannen und Störungen des Verkehrs). Wenn daher ein neuer Betreiber – wie LDZ – die Dienste des etablierten Betreibers – im vorliegenden Fall die Klägerin – in Anspruch nehme, könne Letzterer größtenteils die Bedingungen diktieren, unter denen die Dienste erbracht würden, was zu Unsicherheiten in Bezug auf Qualität und Kosten der Dienste führe. Die Klägerin hat keine dieser Feststellungen beanstandet und lediglich geltend gemacht, es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sei.

260    Was als Viertes das Vorbringen betrifft, mit dem die Feststellung im angefochtenen Beschluss in Frage gestellt wird, wonach LDZ für den Erhalt von Informationen über Zugangsbedingungen und Gebühren in Bezug auf die lange Strecke stärker von der Klägerin abhängig gewesen sei als in Bezug auf die kurze Strecke, ist mit der Kommission festzustellen, dass im angefochtenen Beschluss anerkannt wird, dass die zur Berechnung der Infrastrukturgebühren verwendeten Formeln veröffentlicht worden sind. Die Kommission stellte jedoch außerdem fest, dass LDZ auf einer längeren Strecke in Litauen umso mehr von dem Mangel an Information und Transparenz hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen und des Preises der zusätzlichen Eisenbahndienste betroffen gewesen wäre. Insbesondere wies die Kommission im 308. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darauf hin, dass die Klägerin im Referenzdokument des Netzes für den Zeitraum 2008–2009 (Network Statement of 2008-2009) nur die Formel zur Berechnung der Gebühren für den Zugang zu den litauischen Eisenbahninfrastrukturen definiert habe. Das Dokument enthielt nämlich keine Angaben zu den tatsächlichen Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste, sondern lediglich den Hinweis, dass die Zusatzdienste gemäß den geltenden Vorschriften in Rechnung gestellt würden. Diese Feststellung wird offenbar von der Klägerin nicht bestritten, wenn sie in ihren Schriftsätzen geltend macht, selbst wenn noch eine gewisse Unklarheit hinsichtlich des genauen Betrags der Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste bestünde, sei es nicht plausibel, dass diese angeblich fehlende Transparenz kein Hindernis für den Zugang zur kurzen Strecke und zum ersten Teil der langen Strecke in Litauen, jedoch ein großes Hindernis für den Zugang zum zweiten Teil der langen Strecke dargestellt habe. Zudem bestätigt die Klägerin implizit, dass das Referenzdokument des Netzes für den Zeitraum 2008–2009 die tatsächlichen Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste nicht benannte, wenn sie argumentiert, dass zwar das Referenzdokument den genauen Betrag der Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste nicht benannt habe, jedoch alle Infrastrukturgebühren veröffentlicht und der Allgemeinheit bekannt gewesen seien. Insoweit ist hervorzuheben, dass das Referenzdokument dem Gericht in Beantwortung einer prozessleitenden Maßnahme in der vorliegenden Rechtssache vorgelegt worden ist (siehe oben, Rn. 65) und der Betrag der tatsächlichen Gebühren für die zusätzlichen Eisenbahndienste darin in der Tat nicht genannt wird. Außerdem wurde im angefochtenen Beschluss, wie die Kommission zu Recht geltend macht, nicht festgestellt, dass es nur auf der langen Strecke nach Lettland an Transparenz fehle, sondern, dass die fehlende Transparenz der für die zusätzlichen Eisenbahndienste in Rechnung gestellten Preise für LDZ sowohl auf der langen Strecke als auch auf der Strecke nach Klaipėda mit einem erhöhten Risiko verbunden sei, während dies nicht für die kurze Strecke gelte, da LDZ auf dieser Strecke nicht oder zumindest nur in geringerem Ausmaß von den Zusatzdiensten der Klägerin abhängig sei (307. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

261    Folglich beging die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerin keinen Beurteilungsfehler, als sie die Auffassung vertrat, dass die fehlende Transparenz in Bezug auf den genauen Betrag der Gebühren für die Zusatzdienste sowohl auf der langen Strecke als auch auf der Strecke nach Klaipėda ein Zugangshindernis darstelle.

262    Was als Fünftes das Vorbringen der Klägerin in der Erwiderung betrifft, der undatierte handschriftliche Vermerk, auf den die Kommission in ihrer Klagebeantwortung Bezug nehme, gehe nicht auf die Frage ein, ob eine operative Tätigkeit auf der langen Strecke ein höheres Risiko für LDZ darstelle (283. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), ist vorab festzustellen, dass die Klägerin das fragliche Dokument erst in ihrer Erwiderung beanstandet hat, obwohl es in den Erwägungsgründen 97 bis 99 und in Nr. 3 des 316. Erwägungsgrundes des angefochtenen Beschlusses erwähnt wird. Zudem betraf das Dokument zwar nicht ausdrücklich LDZ, sondern einen lettischen Betreiber und potenziellen Wettbewerber von LG, doch wurden potenzielle Gefahren für die Interessen des Seehafens Klaipėda untersucht und unter der Überschrift „Schutz vor Lettland“ verschiedene Zugangshindernisse aufgezählt, die die Klägerin gegenüber jedem Wettbewerber aus Lettland, einschließlich LDZ, hätte errichten können. Somit konnte das fragliche Dokument entgegen dem Vorbringen der Klägerin im angefochtenen Beschluss als ein Beweis dafür angesehen werden, dass eine operative Tätigkeit auf der langen Strecke für LDZ mit einem erheblich höheren Risiko verbunden war.

263    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass keines der Argumente der Klägerin geeignet ist, die im angefochtenen Beschluss enthaltenen Feststellungen zu den Hindernissen für den Markteintritt und insbesondere die Schlussfolgerung, LDZ sei in höherem Maße von der Klägerin als vertikal integrierter, etablierter Betreiberin abhängig gewesen, in Frage zu stellen.

264    Daher ist der erste Argumentationszug der zweiten Rüge des vierten Teils zurückzuweisen.

ii)    Zu den Argumenten, mit denen bestritten wird, dass die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen nicht mit der Strecke nach Klaipėda konkurrieren konnten

265    Mit dem zweiten Argumentationszug beanstandet die Klägerin die im angefochtenen Beschluss enthaltene Feststellung, die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen hätten nicht mit der Strecke nach Klaipėda konkurrieren können (Erwägungsgründe 288 und 310 des angefochtenen Beschlusses), weshalb LDZ nur auf den kurzen Strecken zu diesen Seehäfen Wettbewerbsdruck auf LG habe ausüben können, vorausgesetzt, der Gleisabschnitt wäre repariert worden.

266    Die Klägerin macht als Erstes geltend, diese Feststellung sei aus mehreren Gründen nicht plausibel.

267    Erstens habe LDZ Orlen nach der Aussetzung des Verkehrs und mit Schreiben vom 29. September 2008 ihr Schienentransportdienste nach Riga sowohl über die kurze Strecke als auch über die lange Strecke nach Lettland angeboten. Somit habe LDZ offensichtlich selbst angenommen, dass sie in der Lage sei, auch auf der langen Strecke hinsichtlich der von LG nach Klaipėda transportierten Produkte von Orlen in wirksamen Wettbewerb zu treten. Zweitens habe LG in einem internen Dokument von 2009 festgestellt, dass die Unterschiede zwischen der kurzen und der langen Strecke in Bezug auf die Entfernung und den Preis nicht wesentlich seien. Folglich sei es nicht plausibel, dass LDZ nur auf der kurzen und nicht auf der langen Strecke in der Lage gewesen sein solle, in Wettbewerb mit LG zu treten. Drittens bestünden zwischen den drei Strecken keine wesentlichen Kostenunterschiede, was auch naheliegend sei, da sie alle dem gleichen geografischen Markt angehörten. Somit sei es ausgesprochen wenig plausibel, dass LDZ nur auf dem kurzen Weg (sofern der Gleisabschnitt wiederaufgebaut oder repariert worden wäre) Druck auf die Klägerin hinsichtlich der nach Klaipėda transportierten Produkte habe ausüben können.

268    Als Zweites macht die Klägerin geltend, dass auch der von der Kommission vorgenommene Kostenvergleich zahlreiche Fehler enthalte.

269    Bereits die Formulierungen der Kommission verdeutlichten, dass dem Kostenvergleich keine solide und zuverlässige Analyse zugrunde gelegen habe. So stelle die Kommission fest, dass „sie die Auswirkungen dieser strukturellen Unterschiede auf die Transportkosten nicht genau quantifizieren“ könne und „sich die von LG und LDZ angewandten Kostenzurechnungsmethoden möglicherweise voneinander unterschieden, was sich auf ihre Schätzungen [der Kosten] ausgewirkt haben kann“. Ferner habe sie darauf hingewiesen, dass es unklar sei, „ob“ die lettischen Häfen im Vergleich zu Klaipėda einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil in Bezug auf die Gesamtkosten des Seetransports böten, und sie habe festgestellt, dass die kurze Strecke nach Riga „die interessanteste Strecke zu sein scheine“. Als die Kommission die Kostenaufstellung der Klägerin mit derjenigen von LDZ verglichen habe, sei die wichtigste Kostenkomponente von LDZ auf dem lettischen Abschnitt der langen Strecke nach Riga die Kategorie „Andere“ gewesen, während „andere“ Kosten der Klägerin nur einen viel geringeren Prozentsatz ihrer Gesamtkosten auf dem litauischen Abschnitt der langen Strecke nach Riga oder Ventspils ausgemacht hätten. Zudem habe die Kommission nicht berücksichtigt, dass die Klägerin und LDZ völlig unterschiedliche Kostenzurechnungsmethoden angewandt hätten, weshalb ein Kostenvergleich willkürlich sei. Beispielsweise seien laut den von der Kommission verwendeten Daten die Kosten der Klägerin pro Tonnenkilometer (tkm) eher statisch und nicht von der Entfernung abhängig, während die von LDZ geschätzten Kosten auf längeren Strecken sänken, da die mit der Be- und Entladung der Fracht verbundenen Kosten als Fixkosten geschätzt würden, denen anschließend die tatsächlichen Transportkosten im Verhältnis zur Streckenlänge und zum Frachtvolumen hinzuzurechnen seien.

270    Ferner macht die Klägerin geltend, dass die in Tabelle 5 („Kosten pro Tonne für den Transport der Erdölprodukte von Orlen [lange Strecken und Strecke nach Klaipėda]“) des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Daten, selbst wenn sie auf vergleichbaren Kostenzurechnungsmethoden beruhten, nicht das Vorbringen stützten, wonach LDZ auf der langen Strecke hinsichtlich der nach Klaipėda transportierten Produkte von Orlen nicht glaubhaft in Wettbewerb habe treten können. Zudem habe die Kommission im angefochtenen Beschluss anerkannt, dass die in Tabelle 5 enthaltenen Kosten für die langen Strecken wahrscheinlich zu hoch geschätzt seien. Dennoch erschienen die Kosten auf diesen Strecken weitgehend vergleichbar mit den Kosten auf der Strecke nach Klaipėda, so dass LDZ in der Lage gewesen sei, Wettbewerbsdruck auszuüben, insbesondere unter Berücksichtigung der allgemeinen Kostenvorteile, die sie der Kommission zufolge gegenüber der Klägerin genieße, z. B. in Bezug auf den Energiepreis und die Arbeitskosten sowie die Kosten des Seetransports. Nach Ansicht der Klägerin werden alle diese Gesichtspunkte durch den Umstand bestätigt, dass LDZ Orlen im September 2008 angeboten habe, ihre Produkte auf der langen Strecke von Klaipėda zu den lettischen Seehäfen zu transportieren. Zudem lägen die in Tabelle 5 verwendeten Kostendaten deutlich unter den Preisen, die Orlen 2008 und 2009 für die Schienentransportdienste auf der Strecke nach Klaipėda tatsächlich pro Tonne gezahlt habe.

271    Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Argumentationszug entgegen.

272    Was vorliegend erstens das Schreiben vom 29. September 2008 betrifft, mit dem LDZ Orlen angeboten haben soll, Schienentransportdienste nach Riga sowohl über die kurze Strecke als auch über die lange Strecke zu den lettischen Seehäfen zu erbringen, ist festzustellen, dass LDZ mit diesem Schreiben den Entwurf eines Tarifsystems für das Jahr 2008 für den Transport von Erdölprodukten über lettisches Hoheitsgebiet zum Hafen von Riga unterbreitete. Aus dem Inhalt des Schreibens geht insbesondere hervor, dass der von LDZ angebotene Tarifentwurf nur die lettischen Abschnitte der langen und kurzen Strecken nach Riga betraf. In dem Schreiben wurden nämlich die Strecken Maitene – Mangali (Riga) und Rengė – Mangali (Riga) genannt. Somit kann die Klägerin nicht allein aufgrund des fraglichen Schreibens davon ausgehen, dass das Angebot von LDZ konkurrenzfähig war, da das Angebot nicht die Preise berücksichtigte, die LDZ auf den litauischen Abschnitten der zwei Strecken berechnete. Zudem hat die Klägerin keinen Nachweis zur Stützung ihres in der Erwiderung vorgetragenen Arguments erbracht, wonach LDZ zum Zeitpunkt, als sie Orlen das Angebot unterbreitet habe, ganz offensichtlich bestens über die Wettbewerbssituation und die maßgeblichen Preise und Kosten informiert gewesen sei. Außerdem impliziert das bloße Vorliegen eines Angebots nicht, dass das Angebot tatsächlich konkurrenzfähig und vor allem genauso konkurrenzfähig ist, wie es hätte sein können, wenn der Gleisabschnitt nicht beseitigt worden wäre. Somit kann die Klägerin aus dem Schreiben keine Schlussfolgerung in Bezug auf die Frage ziehen, ob LDZ in der Lage war, auf der langen Strecke wirksamen Wettbewerbsdruck auf sie auszuüben.

273    Was zweitens das interne Dokument von 2009 betrifft, in dem die Klägerin festgestellt haben soll, dass die Unterschiede zwischen der kurzen und der langen Strecke in Bezug auf die Entfernung und den Preis nicht wesentlich seien, handelt es sich bei dem fraglichen Dokument um das Dokument ES 9/VJ6. Die Feststellung, auf die sich die Klägerin bezieht, befindet sich auf der dritten und letzten Seite des Dokuments und betrifft einen Vergleich des Transports der Produkte von Orlen nach Jelgava (Lettland) über Šiauliai (Litauen) mit dem direkten Transport über Rengė. Somit enthält diese Feststellung keinen Vergleich der Kosten der gesamten Strecken zu den lettischen Seehäfen und betrifft nicht den Transport der Erdölprodukte von Orlen im Hinblick auf einen Export über den Seeweg. Zudem gilt der Umstand, dass die Unterschiede zwischen der kurzen und der langen Strecke zu den lettischen Seehäfen in Bezug auf die Entfernung und den Preis für die Klägerin nicht wesentlich sind, nicht zwangsläufig auch für LDZ.

274    Folglich können weder das oben in Rn. 272 genannte Angebot noch das oben in Rn. 273 erwähnte interne Dokument die Feststellung der Kommission in Frage stellen, wonach die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen im Vergleich zur Strecke nach Klaipėda weniger rentabel gewesen seien.

275    Was Drittens das Vorbringen betrifft, zwischen den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen, den kurzen Strecken zu den lettischen Seehäfen und der Strecke nach Klaipėda bestünden keine wesentlichen Kostenunterschiede, ist es zwar zutreffend, dass die lange Strecke nach Riga – im Gegensatz zur Strecke nach Klaipėda – auf einem längeren Abschnitt (86 km) durch Lettland verlief, wo dem angefochtenen Beschluss zufolge die Kosten des Schienentransports, insbesondere der Energiepreis und die Arbeitskosten, niedriger waren als in Litauen (253. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), doch ist ebenfalls zutreffend, dass die lange Strecke nach Riga auf 152 km durch Litauen verlief. Da die Kommission für die Berechnung der Kosten der Strecken zu den lettischen Seehäfen die Kosten der Klägerin und die Kosten von LDZ auf ihren jeweiligen Streckenetappen addierte, müssen für die Beurteilung des Kostenunterschieds zwischen den Strecken die mit dem litauischen Teil der langen Strecke nach Riga verbundenen Kosten zu den mit dem lettischen Teil derselben Strecke verbundenen Kosten hinzugerechnet werden. Gleiches gilt für die Berechnung der Kosten im Zusammenhang mit der langen Strecke nach Ventspils. Ferner hat die Klägerin die Kosten, die die Kommission in Tabelle 5 im 311. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses aufführt, nicht beanstandet. Der Tabelle ist zu entnehmen, dass – entgegen dem Vorbringen der Klägerin – in den Jahren 2008 und 2009 die Kosten des Transports der Erdölprodukte von Orlen pro Tonne auf der langen Strecke nach Riga zwischen [vertraulich] und [vertraulich] % höher waren als auf der Strecke nach Klaipėda und auf der langen Strecke nach Ventspils zwischen [vertraulich] und [vertraulich] % höher waren als auf der Strecke nach Klaipėda. Folglich gibt es entgegen dem Vorbringen der Klägerin keine ausreichenden Nachweise dafür, dass LDZ in ihrer Eigenschaft als effiziente Wettbewerberin die Möglichkeit gehabt hätte, auf dem relevanten Markt in Konkurrenz zur Klägerin Dienstleistungen auf der langen Strecke anzubieten und dadurch Wettbewerbsdruck auf sie auszuüben.

276    Viertens ist zu dem Vorbringen, das den von der Kommission vorgenommenen Kostenvergleich in Frage stellt, Folgendes hervorzuheben.

277    Was zum einen die Überlegungen zu den Formulierungen betrifft, die die Kommission in ihrer Analyse zum Kostenvergleich verwendete, kann nicht aus bestimmten, von der Kommission verwendeten Formulierungen geschlossen werden, dass dem Kostenvergleich keine solide und zuverlässige Analyse zugrunde lag. Überdies ist mit der Kommission festzustellen, dass der Hinweis, es sei nicht möglich, die Auswirkungen dieser strukturellen Unterschiede auf die Transportkosten genau zu quantifizieren (253. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), Teil einer Analyse der Faktoren ist, die sich auf die Kosten des Schienentransports auswirken, und nichts an dem Ergebnis der Analyse in Bezug auf die Rentabilität der kurzen Strecke nach Riga ändert (Erwägungsgründe 254 und 255 des angefochtenen Beschlusses). Der Hinweis darauf, dass sich die von der Klägerin und LDZ angewandten Kostenzurechnungsmethoden möglicherweise voneinander unterschieden, was sich auf ihre Schätzungen der Kosten ausgewirkt haben könne (Erwägungsgründe 271 bis 273 des angefochtenen Beschlusses), wird im angefochtenen Beschluss näher erläutert und es wird dargelegt, warum dieser Gesichtspunkt keine Bedeutung hat und sich nicht auf den Vergleich der Kosten der Klägerin mit den Kosten von LDZ auswirkt. Außerdem ist einer der von der Klägerin beanstandeten Sätze des angefochtenen Beschlusses aus seinem Kontext herausgerissen worden. Der vollständige Satz lautete nämlich: „Somit hätten die Häfen Riga und Ventspils zumindest eine glaubhafte Ersatzlösung für den Hafen Klaipėda sein können, unabhängig davon, dass auch davon ausgegangen werden kann, dass sie in Bezug auf die Gesamtkosten des Seetransports einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil boten“ (240. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Was schließlich den Hinweis in einem anderen Abschnitt des angefochtenen Beschlusses betrifft, auf der Grundlage einer Analyse der Faktoren, die sich auf die Kosten des Schienentransports auswirkten, scheine die kurze Strecke nach Riga die attraktivste zu sein, wird diese Feststellung anschließend durch einen detaillierteren Vergleich der Kosten der Strecken in den Erwägungsgründen 255 bis 266 des angefochtenen Beschlusses untermauert, der belegt, dass die kurze Strecke nach Riga tatsächlich am attraktivsten ist.

278    Was zum anderen das Vorbringen der Klägerin betrifft, im angefochtenen Beschluss würden „Äpfel mit Birnen verglichen“, stellt die Kommission zu Recht fest, dass der angefochtene Beschluss ausführlich auf die Argumente der Klägerin im Zusammenhang mit der Kostenanalyse eingeht, insbesondere auf die Einwände hinsichtlich der Möglichkeit, die Kosten zu vergleichen. Dem 269. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ist nämlich zu entnehmen, dass die Klägerin bereits in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geltend gemacht hatte, dass ihre Kosten nicht mit den Kosten von LDZ vergleichbar seien. Die Kommission ist dem Vorbringen der Klägerin in den Erwägungsgründen 270 bis 284 des angefochtenen Beschlusses detailliert entgegengetreten. Insbesondere erklärte sie in den Erwägungsgründen 272 und 273 des angefochtenen Beschlusses, sie habe berücksichtigt, dass sich die von der Klägerin und LDZ verwendeten Methoden zur Berechnung der Kosten möglicherweise voneinander unterschieden hätten und sich dies auf ihre Schätzungen einer Kostenkomponente, wie Verwaltungskosten, habe auswirken können. Sie wies jedoch auch darauf hin, dass ein solcher Unterschied beim methodischen Vorgehen nur einen geringen Unterschied bei den Kosten zur Folge haben könne. Ebenso erläuterte die Kommission im 274. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, warum sie der Ansicht war, dass die Kostenschätzung der Klägerin und der LDZ die gleichen Dienste umfasse und die gleichen Kostenkomponenten beinhalte, zumindest für das Jahr 2009. Wie Fn. 406 des angefochtenen Beschlusses zu entnehmen ist, analysierte die Kommission nämlich die Daten zu den Kosten der Klägerin für das Jahr 2009, da die Klägerin keine Kostenzurechnung für das Jahr 2008 eingereicht hatte.

279    Somit kann sich die Klägerin nicht auf das Argument berufen, die Methode zu Beurteilung der Kosten sei fehlerhaft, um den Kostenvergleich der Kommission im angefochtenen Beschluss in Frage zu stellen und geltend zu machen, der Vergleich sei willkürlich gewesen.

280    Dieses Ergebnis kann durch die übrigen Argumente der Klägerin nicht in Frage gestellt werden.

281    Was erstens das Vorbringen betrifft, selbst wenn die in Tabelle 5 des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Daten auf vergleichbaren Kostenzurechnungsmethoden beruhten, würden sie nicht das Vorbringen stützen, dem zufolge LDZ auf den langen Strecken zu den lettischen Seehäfen keine glaubhafte Wettbewerberin habe sein können, ist festzustellen, dass die Klägerin keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass die Differenz von [vertraulich] % zwischen den Kosten auf der langen Strecke nach Riga im Jahr 2008 [vertraulich] und den Kosten auf der Strecke nach Klaipėda [vertraulich] hätte vollständig bereinigt werden müssen, da die von der Kommission in Tabelle 5 des angefochtenen Beschlusses genannten Kosten für die langen Strecken „wahrscheinlich zu hoch geschätzt“ worden seien. Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen außerdem geltend macht, die Differenz von [vertraulich] % zwischen den Kosten auf der langen Strecke nach Riga im Jahr 2008 [vertraulich] und den Kosten auf der Strecke nach Klaipėda [vertraulich] sei nicht erheblich gewesen, ist mit der Kommission festzustellen, dass im angefochtenen Beschluss auch nachgewiesen wurde, dass selbst bei Zugrundelegung eines konservativen Ansatzes die Kosten der langen Strecke nach Ventspils 2008 um [vertraulich] % und 2009 um [vertraulich] % höher waren als die Kosten der Strecke nach Klaipėda. Ein Unterschied von [vertraulich] % oder [vertraulich] % ist jedoch erheblich und kann nur schwerlich unter Berufung auf eine zu hohe Schätzung in Frage gestellt werden.

282    Was zweitens das Vorbringen betrifft, die in Tabelle 5 verwendeten Kostendaten [vertraulich] lägen deutlich unter den Preisen, die Orlen 2008 [vertraulich] und 2009 [vertraulich] für die Schienentransportdienste auf der Strecke nach Klaipėda tatsächlich pro Tonne gezahlt habe, so dass, wenn man der Logik folge, die die Kommission in den Erwägungsgründen 281 bis 284 des angefochtenen Beschlusses anwende, LDZ in der Lage gewesen wäre, Wettbewerbsdruck auf die Klägerin auszuüben, wenn sie dies gewollt hätte, ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin festzustellen, dass die Kosten, die die Kommission für die lange Strecke nach Riga berechnet hat, nur sehr leicht unter den Preisen liegen, die Orlen tatsächlich für die Schienentransportdienste auf der Strecke nach Klaipėda gezahlt hat. Da es sich jedoch um Kosten und nicht um Preise handelt, ist eine – wie gering auch immer geartete – Gewinnmarge hinzuzurechnen, die die Differenz zu den Preisen, die Orlen tatsächlich für die Schienentransportdienste auf der Strecke nach Klaipėda gezahlt hat, weiter verringert.

283    Nach alledem beging die Kommission keinen Beurteilungsfehler, als sie feststellte, dass die langen Strecken zu den lettischen Seehäfen im Vergleich zur Strecke nach Klaipėda nicht konkurrenzfähig gewesen seien.

284    Somit ist die zweite Rüge des vierten Teils und folglich der vierte Teil des zweiten Klagegrundes insgesamt zurückzuweisen.

285    Nach alledem ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

3.      Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 296 AEUV und Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen unzureichender Beweise und Begründungsmangel

286    Mit dem dritten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Kommission habe durch einen Begründungsmangel gegen Art. 296 AEUV verstoßen und Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 dadurch verletzt, dass sie keine ausreichenden Beweise für den im angefochtenen Beschluss festgestellten Verstoß gegen Art. 102 AEUV vorgelegt habe.

287    Die Kommission und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

288    Der dritte Klagegrund besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, wobei mit dem ersten Teil ein Verstoß gegen Art. 296 AEUV durch einen Begründungsmangel und mit dem zweiten Teil ein Verstoß gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 geltend gemacht wird.

a)      Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: Verstoß gegen Art. 296 AEUV wegen Begründungsmangel

289    Die Klägerin stützt den ersten Teil im Wesentlichen auf zwei Rügen, die gemeinsam zu prüfen sind. Mit der ersten Rüge wird geltend gemacht, die Kommission habe nicht dargelegt, warum sie von der gefestigten Rechtsprechung zur Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Infrastrukturen abgewichen sei, und mit der zweiten Rüge wird beanstandet, die Kommission habe nicht hinreichend begründet, dass im vorliegenden Fall außergewöhnliche Umstände in Bezug auf den Gleisabschnitt vorlägen, die die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis rechtfertigten.

290    Es ist festzustellen, dass sich das Vorbringen der Klägerin zu den zwei Rügen des ersten Teils nicht auf eine fehlende oder unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses richtet. Dieses Vorbringen fällt nämlich in Wirklichkeit mit dem Vorbringen zusammen, das sich gegen die Begründetheit des angefochtenen Beschlusses richtet. Die Pflicht zur Begründung von Beschlüssen stellt jedoch ein wesentliches Formerfordernis dar, das von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung gehört. Die Begründung eines Beschlusses soll nämlich förmlich die Gründe zum Ausdruck bringen, auf denen er beruht. Weisen die Gründe Fehler auf, so beeinträchtigen diese die materielle Rechtmäßigkeit des Beschlusses, nicht aber seine Begründung, die, obwohl sie fehlerhafte Gründe enthält, hinreichend sein kann (vgl. Urteil vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 181 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem ist dieses Vorbringen bereits im Rahmen des ersten und zweiten Klagegrundes vorgetragen, untersucht und zurückgewiesen worden.

291    Der erste Teil des dritten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

b)      Zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes: Verstoß gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003

292    Vorab ist mit der Kommission festzustellen, dass die Klägerin abgesehen von einer kurzen Erwähnung von Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 in Rn. 143 der Klageschrift ihr Vorbringen nicht dadurch untermauert, dass sie die Stellen des angefochtenen Beschlusses benennt, die ihrer Meinung nach unzureichend belegt sind. Die Klägerin hat ihr Argument jedoch in den Rn. 28 und 29 ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz näher erläutert. Insbesondere in Rn. 29 der Stellungnahme macht sie geltend, die Kommission habe sich nicht auf unmittelbare Beweise oder Urkundsbeweise gestützt, die genau und schlüssig seien und den Verstoß rechtlich hinreichend nachwiesen. Jedenfalls habe die Klägerin im Einklang mit der Rechtsprechung Argumente vorgetragen, die den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen ließen und es somit ermöglichten, eine andere plausible Erklärung des Sachverhalts zugrunde zu legen als diejenige, die die Kommission bei der Feststellung des Verstoßes zugrunde gelegt habe.

293    Aus Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie der ständigen Rechtsprechung ergibt sich, dass es im Wettbewerbsrecht, wenn ein Rechtsstreit über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung entstanden ist, der Kommission obliegt, die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen nachzuweisen und Beweise beizubringen, die geeignet sind, das Vorliegen der Tatsachen, die eine Zuwiderhandlung darstellen, rechtlich hinreichend zu belegen (vgl. Urteil vom 12. April 2013, GEMA/Kommission, T‑410/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:171, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

294    Insoweit muss die Kommission zwar genaue und übereinstimmende Beweise beibringen, um die feste Überzeugung zu begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde, doch muss nicht jeder der von der Kommission vorgelegten Beweise diesen Kriterien notwendigerweise hinsichtlich jedes Merkmals der Zuwiderhandlung genügen. Nach der Rechtsprechung zur Durchführung von Art. 101 AEUV reicht es aus, dass das von der Kommission angeführte Indizienbündel bei seiner Gesamtwürdigung dieser Anforderung genügt. Dieser Grundsatz gilt auch in Rechtssachen, in denen es um die Anwendung von Art. 102 AEUV geht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission, T‑321/05, EU:T:2010:266, Rn. 477 und die dort angeführte Rechtsprechung).

295    Was die Beweiskraft der von der Kommission herangezogenen Beweismittel angeht, sind zwei Fälle zu unterscheiden.

296    Stellt die Kommission, gestützt auf die Annahme, dass der festgestellte Sachverhalt nur durch das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens erklärt werden könne, eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln fest, erklärt der Unionsrichter die fragliche Entscheidung für nichtig, sofern das Vorbringen der betroffenen Unternehmen den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lässt und damit eine andere plausible Erklärung der Tatsachen ermöglicht als die der Kommission, dass eine Zuwiderhandlung vorliege. In einem solchen Fall hat nämlich die Kommission den Beweis für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht erbracht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 1984, Compagnie royale asturienne des mines und Rheinzink/Kommission, 29/83 und 30/83, EU:C:1984:130, Rn. 16, und vom 31. März 1993, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, C‑89/85, C‑104/85, C‑114/85, C‑116/85, C‑117/85 und C‑125/85 bis C‑129/85, EU:C:1993:120, Rn. 126 und 127).

297    Wenn sich die Kommission aber auf Beweismittel stützt, die grundsätzlich genügen, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung darzutun, kann der bloße Hinweis des betroffenen Unternehmens auf die Möglichkeit des Vorliegens eines Umstands, der den Beweiswert dieser Beweismittel erschüttern könnte, nicht dazu führen, dass die Kommission die Last des Gegenbeweises dafür trägt, dass der Beweiswert durch diesen Umstand nicht erschüttert werden konnte. Vielmehr muss das betroffene Unternehmen, es sei denn, dies wäre ihm wegen des eigenen Verhaltens der Kommission nicht möglich, rechtlich hinreichend nachweisen, dass zum einen der von ihm angeführte Umstand vorliegt und zum anderen dieser Umstand den Beweiswert der Beweismittel, auf die sich die Kommission stützt, in Frage stellt (vgl. Urteil vom 15. Dezember 2010, E.ON Energie/Kommission, T‑141/08, EU:T:2010:516, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

298    Im vorliegenden Fall geht aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes hervor, dass sich die Kommission bei der Feststellung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung nicht auf die Annahme stützte, dass der festgestellte Sachverhalt nur durch die Existenz eines wettbewerbswidrigen Verhaltens erklärt werden könne. Vielmehr stützte sie sich auf Beweismittel, die grundsätzlich genügten, um das Vorliegen der beanstandeten Zuwiderhandlung darzutun. Zudem bieten die Argumente, die die Klägerin geltend macht, um den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen zu lassen, keine Möglichkeit, eine andere plausible Erklärung des Sachverhalts zugrunde zu legen als diejenige, auf die sich die Kommission bei der Feststellung des Verstoßes stützte.

299    Folglich ist angesichts der oben in den Rn. 292 bis 297 angeführten Rechtsprechung festzustellen, dass die Kommission nicht gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen hat.

300    Daher ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes und somit der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

4.      Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 durch Anordnung einer unverhältnismäßigen Abhilfemaßnahme

301    Mit dem fünften Klagegrund beanstandet die Klägerin, der angefochtene Beschluss habe gegen Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen, da ihr eine unverhältnismäßige Abhilfemaßnahme auferlegt worden sei.

302    Die Klägerin macht erstens geltend, dass sie nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 nur zur Wiederherstellung der Wettbewerbssituation, wie sie vor der Beseitigung des Gleisabschnitts bestanden habe, verpflichtet werden könne und dass der Gleisabschnitt bereits vor seiner Beseitigung seit der Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 nicht mehr habe benutzt werden können. Die erforderliche Investition in eine neue, nicht wesentliche Infrastruktur gehe über die Wiederherstellung der früheren Situation hinaus und sei beispiellos und unverhältnismäßig.

303    Zweitens macht die Klägerin geltend, da der Gleisabschnitt vor der Aussetzung des Verkehrs nur von einer einzigen Kundin für einen kleinen Teil ihrer Produktion genutzt worden sei und diese Kundin nun eine andere Strecke nutze, sei es ungewiss gewesen, ob sie den neuen Gleisabschnitt nutzen werde.

304    Drittens erfordere der fragliche Neubau eine sehr hohe Investition, wodurch die Klägerin gezwungen sei, ihre Ressourcen für eine einzige Kundin mit begrenztem Bedarf zu verwenden und dadurch andere Strecken zu benachteiligen.

305    Viertens sei die Verpflichtung zum Neubau des Gleisabschnitts eine unverhältnismäßige Maßnahme, wenn sie nicht verlangen dürfe, dass die zwei einzigen potenziell Begünstigten der neuen Infrastruktur einen fairen und angemessenen Teil der Baukosten übernähmen.

306    Fünftens erwidert die Klägerin auf die Klagebeantwortung der Kommission, dass es sich im vorliegenden Fall, im Gegensatz zur „Rechtssache Microsoft“, auf die sich die Kommission berufe, um eine Investition in eine völlig neue Infrastruktur und nicht um das Teilen einer bestehenden Infrastruktur handle.

307    Im Übrigen veröffentlichte die Klägerin am 9. März 2018 eine Pressemitteilung, in der sie darüber informierte, dass sie mit der Kommission einen Aktionsplan vereinbart habe, dem zufolge der Gleisabschnitt vor Ende 2019 wiederhergestellt sein werde. Laut Pressemeldungen wurde außerdem am 14. August 2018 zwischen der Klägerin und Orlen eine Vereinbarung über die Wiederaufnahme des Verkehrs auf dem Gleisabschnitt geschlossen. In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerin und die Streithelferin bestätigt, dass die Arbeiten zum Neubau des Gleisabschnitts im Dezember 2019 fertiggestellt worden seien und dass nach Tests, die am Tag der mündlichen Verhandlung im Gange gewesen seien, der Gleisabschnitt vor Ende Februar 2020 wieder für den Verkehr geöffnet werden solle.

308    Die Kommission und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

309    Vorab ist festzustellen, dass die Kommission nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003, wenn sie auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 oder 102 AEUV feststellt, die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten kann, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen. Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung sieht außerdem vor, dass die Kommission, soweit sie ein berechtigtes Interesse hat, auch eine Zuwiderhandlung feststellen kann, nachdem diese beendet ist (Urteil vom 9. September 2015, Philips/Kommission, T‑92/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:605, Rn. 132).

310    Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts gehört, verlangt, dass die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen, und die damit verbundenen Nachteile dürfen nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (vgl. Urteil vom 24. Mai 2012, MasterCard u. a./Kommission, T‑111/08, EU:T:2012:260, Rn. 323 und die dort angeführte Rechtsprechung).

311    Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 ausdrücklich angibt, inwieweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallende Sachverhalte gilt. Die Kommission kann den beteiligten Unternehmen gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 jede Abhilfemaßnahme struktureller oder verhaltensorientierter Art vorschreiben, die im Verhältnis zu der festgestellten Zuwiderhandlung steht und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich ist (Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 39).

312    Zwar ist die Kommission befugt, die Zuwiderhandlung festzustellen und den betroffenen Parteien die Abstellung aufzugeben, es steht ihr indessen nicht zu, den Parteien bezüglich der verschiedenen möglichen, allesamt dem Vertrag entsprechenden Verhaltensweisen ihre eigene Wahl aufzuzwingen (Urteil vom 18. September 1992, Automec/Kommission, T‑24/90, EU:T:1992:97, Rn. 52) oder die genauen Modalitäten der Durchführung der verschiedenen möglichen Verhaltensweisen festzulegen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 20. November 2008, SIAE/Kommission, T‑433/08 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:520, Rn. 37).

313    Im vorliegenden Fall wurde durch den angefochtenen Beschluss nicht nur gemäß Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 eine Geldbuße in Höhe von 27 873 000 Euro gegen die Klägerin verhängt, sondern der Klägerin wurde auch gemäß Art. 7 dieser Verordnung aufgegeben, die Zuwiderhandlung einzustellen und der Kommission innerhalb von drei Monaten mitzuteilen, welche Maßnahmen die Klägerin zu diesem Zweck vorschlägt (395. Erwägungsgrund und Art. 3 des angefochtenen Beschlusses). Insbesondere stellte die Kommission im 394. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass durch mehrere strukturelle oder verhaltensbezogene Lösungen eine Abstellung der Zuwiderhandlung ermöglicht werden könne, indem die Wettbewerbssituation von vor der Entfernung des Gleisabschnitts wiederhergestellt werde, entweder durch Neubau des Gleisabschnitts oder durch Beseitigung der in Nr. 7.4.2 des angefochtenen Beschlusses beschriebenen Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils.

314    Somit wurde der Klägerin im angefochtenen Beschluss aufgegeben, die Zuwiderhandlung wirksam abzustellen, und da im angefochtenen Beschluss davon ausgegangen wurde, dass insoweit mehrere strukturelle oder verhaltensbezogene Lösungen relevant sein könnten, wurden – wie die Klägerin einräumt – zwei Optionen vorgeschlagen, nämlich der Neubau des Gleisabschnitts und die Beseitigung der Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils. Folglich sah der angefochtene Beschluss in Übereinstimmung mit der oben in den Rn. 311 und 312 angeführten Rechtsprechung mehrere geeignete Abhilfemaßnahmen für die Abstellung der Zuwiderhandlung vor, ohne die Entscheidung für eine bestimmte Abhilfemaßnahme vorwegzunehmen. Indem die Kommission die Klägerin nämlich aufforderte, Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen, überließ sie ihr die Entscheidung über die Art und Weise der Abstellung der Zuwiderhandlung. Insbesondere überließ die Kommission der Klägerin die Entscheidung darüber, wie sie die Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils beseitigen würde, sofern sie sich nicht für die Option entschied, den Gleisabschnitt neu zu bauen.

315    Die Klägerin macht als Erstes geltend, die zweite Option, d. h. die Beseitigung der Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils, sei nicht praktikabel gewesen. Die Beseitigung dieser Nachteile und insbesondere der Abhängigkeit der LDZ von der Klägerin als vertikal integrierter, etablierter Betreiberin impliziere eine Entflechtung der Klägerin, bei der ihre Funktionen als Betreiberin von Eisenbahninfrastrukturen an Dritte veräußert würden und sie nur die Tätigkeiten als Anbieterin von Schienentransportdiensten beibehalten würde. Eine solche Entflechtung setze voraus, dass das litauische Parlament neue Rechtsvorschriften verabschiede, worauf die Klägerin keinen Einfluss habe. Zudem sei sie in einem solchen Szenario nicht wirtschaftlich überlebensfähig, da sie dem Wettbewerbsdruck von Schienengüterverkehrsunternehmen aus Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund sei der Neubau des Gleisabschnitts die einzig praktikable Option gewesen. In ihrer Erwiderung ergänzt die Klägerin, dass ein Tätigwerden des Gesetzgebers auch erforderlich sei, um sie von ihrer Zuständigkeit zu entbinden, dem VGI gemäß Art. 24 Nr. 6 des Schienentransportgesetzes eine technische Evaluierung vorzulegen.

316    Wie bereits oben in Rn. 314 festgestellt, hat die Kommission im Einklang mit der oben in Rn. 312 angeführten Rechtsprechung die konkreten Modalitäten zur Beseitigung der Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils für den Fall, dass sich die Klägerin nicht für den Neubau des Gleisabschnitts entschieden hätte, weder angeordnet noch festgelegt. Insbesondere hat die Kommission weder eine Entflechtung des Unternehmens noch die Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften verlangt.

317    Jedenfalls ist mit der Kommission festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin nicht belegt ist, wonach die Beseitigung der Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils zwangsläufig eine vollständige Eigentumsentflechtung erfordere. Selbst wenn erwiesen wäre, dass die Kommission im Verwaltungsverfahren eine solche Eigentumsentflechtung als Voraussetzung für eine Entscheidung bezüglich Verpflichtungszusagen gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 verlangte, beweist dieser Umstand nicht, dass die Entflechtung die einzige Möglichkeit gewesen wäre, die Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils und insbesondere die Abhängigkeit von LDZ in Bezug auf die Klägerin zu beseitigen. Gleiches gilt für den aufgrund der Einflussnahmen verschiedener Interessengruppen gescheiterten ursprünglichen Vorschlag der Kommission im Rahmen des Vierten Eisenbahnpakets, eine strikte Trennung zwischen dem Infrastrukturbetreiber und dem Eisenbahnunternehmen einzuführen. Zwar bemerkt das Europäische Parlament in seinem Dokument „Viertes Eisenbahnpaket“ vom März 2016, auf das die Klägerin Bezug nimmt, dass die finale Version des Vorschlags des Vierten Eisenbahnpakets keine Bestimmung für eine „verbindliche Entflechtung“ enthalten habe, doch fügt es hinzu, dass vertikal integrierte Unternehmen zugelassen seien, vorausgesetzt, dass der Infrastrukturverwalter vollkommen unabhängig sei und wirksame Beschlussrechte besitze. Somit wird in dem von der Klägerin selbst angeführten Dokument bestätigt, dass es eine Alternative zur totalen Eigentumsentflechtung gibt.

318    Vor dem Hintergrund der Analyse der wettbewerbswidrigen Auswirkungen, die die Kommission im angefochtenen Beschluss vornahm, stellte die Beseitigung der in Nr. 7.4.2 des angefochtenen Beschlusses beschriebenen Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils eine angemessene Abhilfemaßnahme dar, um die beanstandete Zuwiderhandlung abzustellen. Als eine der möglichen Optionen zur Beendigung der Zuwiderhandlung (394. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) war diese Abhilfemaßnahme somit eine verhältnismäßige Maßnahme zur Abstellung der beanstandeten Zuwiderhandlung.

319    Als Zweites macht die Klägerin geltend, der Neubau des Gleisabschnitts sei eine unverhältnismäßige, beispiellose Abhilfemaßnahme.

320    Insoweit ist mit der Kommission festzustellen, dass die Abhilfemaßnahme, die aus dem Neubau des Gleisabschnitts besteht, als eine der möglichen Optionen zur Gewährleistung der Wirksamkeit des angefochtenen Beschlusses (394. Erwägungsgrund) die unmittelbare Folge der Feststellung der von der Klägerin begangenen rechtswidrigen Handlung, d. h. der Beseitigung des Gleisabschnitts, ist und lediglich die fragliche Zuwiderhandlung beendet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Mai 2012, MasterCard u. a./Kommission, T‑111/08, EU:T:2012:260, Rn. 325).

321    Dieses Ergebnis kann durch die übrigen Argumente der Klägerin nicht in Frage gestellt werden.

322    Was erstens das Argument betrifft, der Gleisabschnitt sei vor seiner Beseitigung in einem sehr schlechten Zustand gewesen, habe seit der Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 nicht mehr benutzt werden können und die Kommission habe nicht geprüft, ob die Klägerin nach Art. 102 AEUV verpflichtet gewesen sei, Reparaturarbeiten vorzunehmen, so beruht dieses Argument auf einer irrigen Annahme. Dabei handelt es sich um die Annahme, die Kommission sei verpflichtet gewesen, die Nichtvornahme von Reparaturen am fraglichen Gleisabschnitt nach der Aussetzung des Verkehrs als missbräuchliches Verhalten einzustufen und die vorliegende Rechtssache im Licht der Rechtsprechung zu wesentlichen Infrastrukturen zu prüfen. Angesichts der Überlegungen, die im Rahmen der Prüfung des ersten Klagegrundes angestellt wurden, kann dieses Argument nicht durchgreifen.

323    Was zweitens das Vorbringen betrifft, der angefochtene Beschluss scheine die Klägerin zu verpflichten, in eine neue Infrastruktur zu investieren, die nur zugänglich gemacht werde, um einer Wettbewerberin zu helfen, was deutlich über eine bloße Wiederherstellung der früheren Situation hinausgehe und nicht nur beispiellos, sondern auch unverhältnismäßig sei, ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht verlangt, dass sie ihre Ressourcen in eine neue Infrastruktur investiert, die nur zugänglich gemacht wird, um einer Wettbewerberin zu helfen. Vielmehr ist dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen, dass die Klägerin aufgrund der geltenden Regelung verpflichtet gewesen sei, gute Verkehrsbedingungen auf dem Gleisabschnitt zu gewährleisten, und dass der Staat insoweit die Finanzierung habe sicherstellen müssen. Insbesondere geht aus der nationalen Regelung hervor, dass die Klägerin verpflichtet war, alle erforderlichen Maßnahmen zur Reparatur des Gleisabschnitts zu ergreifen, einschließlich der Stellung eines Antrags bei der litauischen Regierung zwecks Bewilligung der Durchführung von Reparatur- oder Neubauarbeiten am Gleisabschnitt sowie der für die Durchführung benötigten öffentlichen Mittel. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin geht der angefochtene Beschluss somit nicht über eine bloße Wiederherstellung der früheren Situation hinaus, wenn er den Neubau des Gleisabschnitts verlangt.

324    Die Beschlüsse der Kommission, die die Klägerin anführt, um die Beispiellosigkeit der fraglichen Abhilfemaßnahme zu beweisen, können diese Feststellung nicht in Frage stellen, da die Beschlüsse im Gegensatz zur vorliegenden Rechtssache die Weigerung betreffen, Zugang zu einer wesentlichen Infrastruktur zu gewähren. Zudem ist es unerheblich, dass der Gleisabschnitt vor der Aussetzung des Verkehrs am 2. September 2008 nur von einer einzigen Kundin und nur für einen vorgeblich kleinen Teil ihrer Produktion genutzt wurde. Ebenso unerheblich ist es, dass es eine andere Strecke gibt, die diese Kundin sofort nach der Aussetzung des Verkehrs genutzt hat.

325    Ferner kann sich die Klägerin im Rahmen der Beanstandung der Unverhältnismäßigkeit der aufgegebenen Abhilfemaßnahme nicht darauf berufen, dass für den Neubau des Gleisabschnitts eine sehr hohe Investition (etwa 40 Mio. LTL im Jahr 2008) getätigt werden müsse, wodurch sie gezwungen sei, ihre sehr begrenzten Ressourcen zugunsten einer einzigen Kundin zu verwenden. Wenn die Klägerin nämlich feststellt, dass sie den Gleisabschnitt wiederherstellen muss, ohne über die erforderlichen Ressourcen zu verfügen, so ist dies nur die Folge ihres Verhaltens, d. h. ihrer Entscheidung, den Gleisabschnitt in großer Eile zu entfernen, ohne die Zustimmung des Staats einzuholen und ohne die für den Neubau benötigten Mittel zu mobilisieren.

326    Was drittens das Vorbringen der Klägerin betrifft, die Verpflichtung zum Neubau des Gleisabschnitts sei unverhältnismäßig, wenn sie nicht verlangen dürfe, dass die zwei einzigen potenziell Begünstigten der neuen Infrastruktur, d. h. Orlen und LDZ, einen fairen und angemessenen Teil der Baukosten übernähmen, ist Folgendes festzustellen.

327    Wie als Erstes aus den Erwägungsgründen 73 und 74 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, hatte sich Orlen am 22. Oktober 2009 mit einem Schreiben an die Klägerin gewandt und erklärt, sie sei bereit, die Kosten für den Neubau des Gleisabschnitts zu übernehmen und zu erörtern, wie sie ihre Investition amortisieren könne. Orlen erhielt keine offizielle Antwort auf ihr Angebot und wurde nur mündlich bei einer Besprechung mit dem Vorstandsvorsitzenden der Klägerin (damals stellvertretender Minister für Verkehr und Kommunikation) darüber informiert, dass die Klägerin das Angebot ablehne. Insbesondere wies die Klägerin darauf hin, dass es gemäß dem Gesetz zur Regelung der Aktivitäten zum Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen nicht möglich sei, die Errichtung, Modernisierung und Entwicklung öffentlicher Eisenbahninfrastrukturen durch private Investitionen zu finanzieren. Ferner lieferte die Klägerin in ihrem strategischen Geschäftsplan von 2009 für den Zeitraum 2010–2012 zwei weitere Erklärungen für die Ablehnung des Angebots von Orlen. Sie wies nämlich darauf hin, dass sie zum einen für die Aufnahme eines Kredits ein offenes Ausschreibungsverfahren einleiten müsse und nicht garantiert sei, dass Orlen daraus erfolgreich hervorgehen werde, und zum anderen ihr Kreditlimit erreicht habe und ohne die Zustimmung ihrer Gläubiger keine weiteren Darlehen aufnehmen könne. Somit kann die Klägerin nicht geltend machen, die angeordnete Abhilfemaßnahme sei unverhältnismäßig gewesen, da sie nicht berechtigt gewesen sei, zu verlangen, dass sich Orlen und LDZ an den Baukosten beteiligten.

328    Als Zweites konnte die Klägerin nicht erwarten, dass die Kommission ihr die Befugnis erteilt, von Orlen und LDZ eine Beteiligung an den Baukosten zu verlangen, da ihr eine solche Befugnis ermöglicht hätte, die Vorteile des Missbrauchs in eine Vergütung umzuwandeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2012, Microsoft/Kommission, T‑167/08, EU:T:2012:323, Rn. 141 und 142). Der Vergleich, den die Klägerin zu der Rechtssache zieht, in der das Urteil vom 6. April 1995, RTE und ITP/Kommission (C‑241/91 P und C‑242/91 P, EU:C:1995:98), ergangen ist, ist insoweit nicht relevant. Der in jenem Urteil festgestellte Missbrauch betraf nämlich eine Weigerung, Zugang zu den in den Fernsehprogrammvorschauen enthaltenen Grundinformationen zu gewähren. Der Zugang wird jedoch normalerweise gegen Entrichtung einer Gebühr gewährt.

329    Somit beging die Kommission keinen Verstoß gegen Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003, als sie der Klägerin aufgab, entweder durch Neubau des Gleisabschnitts oder durch Beseitigung der Nachteile der Wettbewerber auf den Alternativstrecken zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils die Wettbewerbssituation von vor der Entfernung des Gleisabschnitts wiederherzustellen.

330    Folglich ist der fünfte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

5.      Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Rechts- und Beurteilungsfehlern im angefochtenen Beschluss in Bezug auf die Festsetzung des Betrags der Geldbuße

331    Zur Stützung ihres vierten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Kommission habe mehrere Rechts- und Beurteilungsfehler begangen, als sie eine Geldbuße gegen sie verhängt habe.

332    Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, die Kommission habe einen Rechts- und Beurteilungsfehler begangen, als sie eine Geldbuße gegen sie verhängt habe. Mit dem zweiten Teil, den die Klägerin hilfsweise geltend macht und der auf die Herabsetzung der Geldbuße gerichtet ist, beanstandet die Klägerin, die Kommission habe einen Rechts- und Beurteilungsfehler begangen, da die festgesetzte Geldbuße unverhältnismäßig sei. Mit Ausnahme eines Arguments der zweiten Rüge, mit dem geltend gemacht wird, dass das Verfahren übermäßig lang gedauert habe, und das auf die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, wird der zweite Teil nachfolgend in dem Abschnitt dieses Urteils geprüft, der sich mit dem hilfsweise erhobenen Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße befasst.

333    Zur Stützung des ersten Teils ihres vierten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Kommission habe Rechts- und Beurteilungsfehler begangen, als sie eine Geldbuße gegen sie verhängt habe. Nachdem die Klägerin insoweit daran erinnert hat, dass die Kommission gemäß Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 gegen ein Unternehmen, das gegen Art. 102 AEUV verstoßen habe, eine Geldbuße festsetzen könne, ohne jedoch dazu verpflichtet zu sein, macht sie geltend, es sei unverhältnismäßig, eine Geldbuße zu verhängen, wenn ein Sachverhalt neuartig sei, was auf den vorliegenden Fall zutreffe. Insbesondere hätten die Kommission und der Gerichtshof der Europäischen Union bestätigt, dass Geldbußen in Fällen, die neuartige Schadenstheorien beträfen, nicht angemessen seien. Zudem habe die Kommission durch die Feststellung, dass der Fall Gegenstand einer Entscheidung bezüglich Verpflichtungszusagen sein könne, bestätigt, dass eine Geldbuße nicht angemessen sei.

334    Die Klägerin macht zum einen geltend, der Fall sei neuartig und ohne Präzedenz, da angenommen werde, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen verpflichtet sei, in eine Infrastruktur zu investieren, obwohl der Zugang zu dieser Infrastruktur weder grundlegend noch unerlässlich sei, um einem anderen Unternehmen zu ermöglichen, zu ihm in Wettbewerb zu treten. Zudem habe die Klägerin nicht vorhersehen können, dass Zweifel an der Schwere der Mängel des Gleisabschnitts und an ihren Absichten als ausreichend angesehen werden könnten, um eine missbräuchliche Praxis festzustellen.

335    Zum anderen tritt die Klägerin der Feststellung entgegen, sie habe mindestens fahrlässig gehandelt. Die Entscheidung, den Gleisabschnitt zu beseitigen, sei in gutem Glauben und mit der Absicht, ihn später neu zu bauen, getroffen worden. Aufgrund der Neuartigkeit der Theorie, auf die sich der angefochtene Beschluss stütze, sei das Vorliegen einer Absicht, eine Zuwiderhandlung zu begehen, oder einer dahin gehenden Fahrlässigkeit ausgeschlossen.

336    Mit der zweiten Rüge des zweiten Teils ihres vierten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Kommission habe Rechts- und Beurteilungsfehler in Bezug auf die Dauer der angeblichen Zuwiderhandlung begangen, als sie festgestellt habe, dass die Zuwiderhandlung mindestens mit Beginn der Arbeiten zur Beseitigung des Gleisabschnitts im Oktober 2008 eingesetzt habe und zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses noch angedauert habe. Die Klägerin beruft sich als Erstes darauf, dass die fragliche Zuwiderhandlung frühestens zu dem Zeitpunkt habe beginnen können, als sie entschieden habe, das Vorhaben des Neubaus nicht weiter zu verfolgen, d. h. nach der schiedsgerichtlichen Entscheidung vom 17. Dezember 2010. Als Zweites macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsverfahren vor der Kommission habe übermäßig lange gedauert, was zum einen die Dauer der angeblichen Zuwiderhandlung in unangemessener Weise verlängert und zum anderen ihre Verteidigungsrechte verletzt habe, da einige ihrer Angestellten, die am Entscheidungsprozess beteiligt gewesen seien, in diesem Zeitraum das Unternehmen verlassen hätten, was die Vorbereitung ihrer Klage beeinträchtigt habe. Folglich sei der Betrag der Geldbuße erheblich herabzusetzen.

337    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

a)      Zur ersten Rüge des ersten Teils: Neuartigkeit der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Rechtslehre

338    Mit ihrer ersten Rüge macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das im angefochtenen Beschluss beanstandete Verhalten stelle eine neue Missbrauchskategorie dar, deren Rechtswidrigkeit ihr nicht bekannt gewesen sei.

339    Insoweit ist als Erstes festzustellen, dass sich das Vorbringen der Klägerin zu der von ihr behaupteten Neuartigkeit des beanstandeten missbräuchlichen Verhaltens auf eine fehlerhafte Auslegung des angefochtenen Beschlusses stützt. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin und wie bereits dargelegt, wurde die Klägerin durch den angefochtenen Beschluss nicht verpflichtet, in eine Infrastruktur zu investieren, die weder grundlegend noch unerlässlich ist, um einer Wettbewerberin zu ermöglichen, zu ihr in Wettbewerb zu treten. Ebenso wenig wurde die Klägerin als Unternehmen in marktbeherrschender Stellung verpflichtet, eine Wettbewerberin nur zur Verringerung ihrer Risiken des Markteintritts finanziell zu unterstützen. Wie bereits mehrfach festgestellt, vertrat die Kommission im angefochtenen Beschluss zu Recht die Auffassung, dass die Klägerin, als sie den Gleisabschnitt in großer Eile entfernte, ohne die erforderlichen Mittel zu mobilisieren und ohne die normalen Vorbereitungen für den Neubau zu treffen (Erwägungsgründe 182 bis 201 des angefochtenen Beschlusses), ein missbräuchliches Verhalten an den Tag legte, das darin bestand, von anderen Mitteln als denjenigen eines normalen Wettbewerbs Gebrauch zu machen. Darüber hinaus stellte die Kommission fest, dass dieses Verhalten geeignet sei, potenzielle wettbewerbswidrige Auswirkungen in Form des Ausschlusses von Wettbewerb auf dem Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zwischen der Raffinerie und den benachbarten Seehäfen hervorzurufen, da Hindernisse für den Markteintritt errichtet würden, ohne dass dies objektiv gerechtfertigt sei. Die Missbräuchlichkeit eines Verhaltens wie desjenigen der Klägerin, das darauf gerichtet ist, die Konkurrenten vom Markt fernzuhalten, ist jedoch mehrfach von den Unionsgerichten für rechtswidrig erklärt worden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission, C‑457/10 P, EU:C:2012:770, Rn. 164). Folglich kann die Missbräuchlichkeit eines solchen Verhaltens nicht als neu bezeichnet werden.

340    Als Zweites schließt der Umstand, dass das von der Kommission beanstandete Verhalten als neu eingestuft werden könnte, die Verhängung einer Geldbuße nicht aus. Das Gericht hat nämlich bereits festgestellt, dass die Kommission zwar in manchen Rechtssachen wegen fehlender Präzedenzfälle keine oder eine symbolische Geldbuße festgesetzt hat, in anderen Rechtssachen jedoch hohe Geldbußen auferlegt hat, auch wenn es keine Präzedenzfälle bezüglich eines Verhaltens mit den gleichen Merkmalen gab (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2017, Marine Harvest/Kommission, T‑704/14, EU:T:2017:753, Rn. 392). Zudem ist klarzustellen, dass der Beschluss K(2014) 2892 final der Kommission vom 29. April 2014 in einem Verfahren nach Artikel 102 [AEUV] und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Sache AT.39985 – Motorola – Durchsetzung standardessenzieller GPRS-Patente, Rn. 561), den die Klägerin zur Untermauerung ihres Vorbringens anführt, nicht relevant erscheint. Dieser Beschluss stützt sich nämlich nicht nur auf den Umstand, dass das fragliche Verhalten niemals zuvor vom Unionsrichter als missbräuchlich eingestuft worden war, sondern auch auf die Tatsache, dass die nationalen Gerichte zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten hatten.

341    Zudem kann nach der Rechtsprechung der Umstand, dass es sich um eine neue Form des Missbrauchs handelt, weder die Schwere einer Zuwiderhandlung in Frage stellen noch zu einer Herabsetzung der Geldbuße führen. Insbesondere im Bereich der Berechnung von Geldbußen hat das Gericht bereits festgestellt, dass die Tatsache, dass ein Verhalten mit diesen Merkmalen in früheren Entscheidungen noch nicht geprüft worden ist, das Unternehmen nicht von seiner Verantwortung befreit (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 1983, Nederlandsche Banden‑Industrie-Michelin/Kommission, 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 107, und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission, T‑321/05, EU:T:2010:266, Rn. 901 bis 903).

342    Nach alledem ist die erste Rüge des ersten Teils zurückzuweisen.

b)      Zur zweiten Rüge des ersten Teils: keine Fahrlässigkeit der Klägerin

343    Was die zweite Rüge betrifft, mit der geltend gemacht wird, dass die Klägerin nicht mindestens fahrlässig gehandelt habe, stellte die Kommission im 371. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass unter Zugrundelegung des im angefochtenen Beschluss dargelegten Sachverhalts und der darin enthaltenen Bewertung die Zuwiderhandlung entweder mit der Absicht, Wettbewerber fernzuhalten, oder mindestens fahrlässig begangen worden sei, da die Klägerin außer Acht gelassen habe, dass sie durch die Beseitigung des Gleisabschnitts den Wettbewerb auf dem Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zwischen der Raffinerie und den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils behindern würde.

344    Die Klägerin tritt dieser Feststellung entgegen und macht im Wesentlichen geltend, sie habe, als sie ihre Entscheidung für die Option 2 durch die Beseitigung des Gleisabschnitts als notwendige erste Phase dieser Option umgesetzt habe, gutgläubig und in der Absicht gehandelt, den Gleisabschnitt später wieder aufzubauen.

345    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Voraussetzung, der zufolge die Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde, dann erfüllt, wenn sich das betroffene Unternehmen über die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens nicht im Unklaren sein kann, gleichviel, ob ihm dabei bewusst ist, dass es gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstößt. Einem Unternehmen ist die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens bekannt, wenn ihm die materiellen Tatsachen bekannt waren, die es rechtfertigen, sowohl eine beherrschende Stellung auf dem relevanten Markt anzunehmen als auch in diesem Verhalten – wie dies die Kommission getan hat – einen Missbrauch dieser Stellung zu sehen (Urteil vom 29. März 2012, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, T‑336/07, EU:T:2012:172, Rn. 319 und 320; vgl. auch Urteil vom 13. Juli 2018, Stührk Delikatessen Import/Kommission, T‑58/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:474, Rn. 226 und die dort angeführte Rechtsprechung).

346    Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung kann es für einen umsichtigen Unternehmer nicht zweifelhaft sein, dass bedeutende Marktanteile zwar nicht notwendig und immer das allein ausschlaggebende Indiz für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung sind, dass ihnen aber in dieser Hinsicht eine beträchtliche Bedeutung zukommt, die er in seinem Marktverhalten notwendigerweise berücksichtigen muss (Urteil vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 133). Somit konnte sich LG als etabliertes Eisenbahnunternehmen und Betreiberin der einzigen vorhandenen Infrastruktur in Litauen für die Erbringung von Schienenfrachttransportdiensten nicht in Unkenntnis darüber befinden, dass sie auf den relevanten Märkten eine beherrschende Stellung innehatte.

347    Zudem sind die Absicht und die behauptete Gutgläubigkeit der Klägerin nicht relevant für eine Widerlegung der Feststellung, dass die fragliche Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde, und aus diesem Grund kann gegen die Klägerin eine Geldbuße im Sinne von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. April 1995, Boël/Kommission, T‑142/89, EU:T:1995:63, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung). Als sorgfältige Wirtschaftsteilnehmerin hätte LG mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts vertraut sein und gegebenenfalls fachkundigen Rat einholen müssen, um unter den Umständen des konkreten Falls angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung wie vorliegend der Beseitigung des Gleisabschnitts ergeben können. Das gilt insbesondere für Gewerbetreibende, die sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit gewöhnlich sehr umsichtig verhalten müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2012, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, T‑336/07, EU:T:2012:172, Rn. 323 und die dort angeführte Rechtsprechung).

348    Folglich konnte sich die Klägerin nicht in Unkenntnis darüber befinden, dass die fragliche Praxis schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen zur Folge haben konnte, insbesondere angesichts ihrer gesetzlichen oder tatsächlichen Monopolstellung auf den relevanten Märkten, so dass die Kommission zu Recht der Auffassung war, dass die fragliche Zuwiderhandlung mindestens fahrlässig begangen wurde und daher die Verhängung einer Geldbuße gerechtfertigt war.

349    Überdies kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Theorie neuartig sei und daher eine Zuwiderhandlungsabsicht oder eine fahrlässige Zuwiderhandlung ausgeschlossen sei. Dieses Vorbringen ist nämlich nur darauf gerichtet, nachzuweisen, dass ihr die Rechtswidrigkeit des im angefochtenen Beschluss beanstandeten Verhaltens im Hinblick auf Art. 102 AEUV nicht bekannt gewesen sei. Folglich ist das Vorbringen im Einklang mit der oben in Rn. 341 angeführten Rechtsprechung zurückzuweisen. Jedenfalls konnte sich die Klägerin im vorliegenden Fall aus den oben in Rn. 339 dargelegten Gründen nicht über die Wettbewerbswidrigkeit ihres Verhaltens im Unklaren sein.

350    Somit beging die Kommission keine Rechts- oder Beurteilungsfehler, als sie feststellte, dass die Klägerin mindestens fahrlässig gehandelt habe (371. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

351    Dieses Ergebnis wird zudem nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Kommission im Verwaltungsverfahren der Auffassung war, der Fall könne Gegenstand einer Entscheidung bezüglich Verpflichtungszusagen sein. Wie die Kommission nämlich hervorhebt, kann aus dem Umstand, dass sie im Rahmen des Verwaltungsverfahrens möglicherweise in Erwägung gezogen hätte, von der Klägerin angebotene Verpflichtungszusagen zur Vermeidung einer Geldbuße zu akzeptieren, nicht gefolgert werden, dass sie die Festsetzung einer Geldbuße für unangemessen hielt, sondern nur, dass sie die Möglichkeit nicht ausschloss, keine Zuwiderhandlung festzustellen und keine Geldbuße zu verhängen. Folglich hinderte dieser Umstand die Kommission nicht daran, letztlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festgestellt werden müsse und eine Geldbuße zu verhängen sei.

352    Nach alledem ist die zweite Rüge und somit der erste Teil des vierten Klagegrundes zurückzuweisen.

c)      Zur zweiten Rüge des zweiten Teils, soweit sie die beanstandete übermäßige Dauer des Verfahrens betrifft

353    Was das Vorbringen zur beanstandeten übermäßigen Dauer des Verwaltungsverfahrens betrifft, macht die Klägerin zum einen geltend, die übermäßige Dauer habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, und zum anderen ist sie der Auffassung, dass die übermäßige Dauer zu einer Herabsetzung der im angefochtenen Beschluss gegen sie verhängten Geldbuße führen müsse.

354    Vorab ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Einhaltung eines angemessenen Zeitraums bei der Abwicklung eines Verwaltungsverfahrens auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, dessen Wahrung die Unionsgerichte zu sichern haben (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Heineken Nederland und Heineken/Kommission, C‑452/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:829, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

355    Der Grundsatz der angemessenen Frist im Rahmen von Verwaltungsverfahren ist in Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt worden, wonach „[j]ede Person … ein Recht darauf [hat], dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden“ (vgl. Urteil vom 5. Juni 2012, Imperial Chemical Industries/Kommission, T‑214/06, EU:T:2012:275, Rn. 284 und die dort angeführte Rechtsprechung).

356    Zudem geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Frist zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen kann, wenn er potenzielle Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2006, Technische Unie/Kommission, C‑113/04 P, EU:C:2006:593, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

357    Was die Anwendung der Wettbewerbsregeln betrifft, kann die Überschreitung der angemessenen Frist nur dann einen Grund für die Nichtigerklärung von Entscheidungen zur Feststellung von Zuwiderhandlungen darstellen, sofern erwiesen ist, dass der Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Frist die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen beeinträchtigt hat. Außerhalb dieser besonderen Fallgestaltung wirkt sich die Nichtbeachtung der Verpflichtung zur Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nicht auf die Rechtsgültigkeit des Verwaltungsverfahrens im Rahmen der Verordnung Nr. 1/2003 aus (Urteil vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, EU:C:2006:592, Rn. 42).

358    Selbst wenn man daher unterstellt, dass eine übermäßige Gesamtdauer des Verwaltungsverfahrens und eine Verletzung des Grundsatzes der angemessenen Frist festgestellt wurden, würde eine solche Feststellung angesichts der oben in den Rn. 356 und 357 angeführten Rechtsprechung für sich allein nicht ausreichen, um den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären.

359    Zudem ist entschieden worden, dass die übermäßige Dauer des ersten Abschnitts des Verwaltungsverfahrens Auswirkungen auf die künftigen Verteidigungsmöglichkeiten der betroffenen Unternehmen haben kann, insbesondere indem sie die Wirksamkeit der Verteidigungsrechte verringert, wenn diese im zweiten Verfahrensabschnitt geltend gemacht werden, da Zeit vergeht und es aus diesem Grund schwierig wird, Entlastungsbeweise zu sammeln. In einem solchen Fall müssen die betroffenen Unternehmen jedoch in rechtlich hinreichender Weise dartun, dass sie Schwierigkeiten hatten, sich gegen die Vorwürfe der Kommission zu verteidigen, und genau benennen, welche Dokumente oder Zeugenaussagen sie nicht mehr in Anspruch nehmen können und warum dies ihre Verteidigung beeinträchtigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 2006, Technische Unie/Kommission, C‑113/04 P, EU:C:2006:593, Rn. 54 und 60 bis 71, sowie vom 29. März 2011, ArcelorMittal Luxembourg/Kommission und Kommission/ArcelorMittal Luxembourg u. a., C‑201/09 P und C‑216/09 P, EU:C:2011:190, Rn. 118).

360    Im vorliegenden Fall hat sich die Klägerin zwar auf Schwierigkeiten berufen, bestimmte Entlastungsbeweise zusammenzutragen, diese Behauptung jedoch nicht mit konkreten Angaben untermauert. Zwar hat sie angegeben, zu welchem Zeitpunkt die betroffenen Angestellten aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, doch hat sie nicht dargelegt, warum genau es für die Ausübung der Verteidigungsrechte unabdingbar gewesen wäre, Auskünfte von den genannten Personen zu erhalten, und vor allem, aufgrund welcher Umstände es nicht mehr möglich war, Auskünfte von diesen Personen zu erhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2011, Bavaria/Kommission, T‑235/07, EU:T:2011:283, Rn. 331).

361    Daher ist festzustellen, dass die Klägerin nicht dargetan hat, dass eine Beeinträchtigung ihrer Verteidigungsrechte vorliegt, die auf der übermäßigen Dauer des Verwaltungsverfahrens beruht.

362    Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist die zweite Rüge des zweiten Teils des vierten Klagegrundes zurückzuweisen, soweit sie die beanstandete übermäßige Dauer des Verwaltungsverfahrens betrifft.

363    Aus alledem ergibt sich, dass der Antrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses vollumfänglich zurückzuweisen ist.

B.      Zum hilfsweise gestellten Antrag in Bezug auf den Betrag der Geldbuße

364    Mit ihrem zweiten Klageantrag beantragt die Klägerin hilfsweise, die Höhe der ihr gemäß Art. 2 des angefochtenen Beschlusses auferlegten Geldbuße herabzusetzen, da ein unverhältnismäßiger Betrag festgesetzt worden sei. Sie beanstandet erstens den Prozentsatz des Umsatzes, den die Kommission gemäß der Schwere der Zuwiderhandlung feststellte, zweitens die Dauer der Zuwiderhandlung und drittens die Entscheidung, dem Grundbetrag zur Abschreckung einen zusätzlichen Betrag hinzuzurechnen. Die Klägerin beanstandet die Höhe der Geldbuße unter Berufung auf einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und beantragt, die Höhe der ihr auferlegten Geldbuße herabzusetzen.

1.      Zu den Rügen betreffend die Verhältnismäßigkeit des Betrags der Geldbuße

a)      Zur ersten Rüge: Unverhältnismäßigkeit des von der Kommission festgestellten Schwerekoeffizienten von [vertraulich] %

365    Zur Stützung der ersten Rüge macht die Klägerin geltend, der von der Kommission festgestellte Schwerekoeffizient von [vertraulich] % sei unverhältnismäßig und es fehle an einer Begründung in Bezug auf die Art oder Schwere des beanstandeten Verhaltens. Als Erstes beruft sich die Klägerin auf die Neuartigkeit des fraglichen Verhaltens. Als Zweites macht sie geltend, da der Verkehr auf dem Gleisabschnitt bereits ab seiner Aussetzung am 2. September 2008 nicht mehr möglich gewesen sei, habe die Beseitigung des Gleisabschnitts weder eine Verdrängungswirkung noch eine sonstige negative Auswirkung auf die weitere Konsolidierung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums gehabt, auf die sich die Kommission im angefochtenen Beschluss berufe. Als Drittes bestehe keine Gewissheit hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass die notwendigen Reparaturarbeiten tatsächlich vorgenommen worden wären, wenn der Gleisabschnitt nicht beseitigt worden wäre. Als Viertes sei der festgestellte Schwerekoeffizient im Licht der Praxis der Kommission in vergleichbaren, die Anwendung von Art. 102 AEUV betreffenden Fällen unverhältnismäßig.

366    Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 377 bis 380 des angefochtenen Beschlusses bei der Ermittlung des Schweregrads der fraglichen Zuwiderhandlung die folgenden vier Gesichtspunkte berücksichtigte:

–        erstens die Art der Zuwiderhandlung, insbesondere den Umstand, dass das aus der Beseitigung eines zwischen zwei Mitgliedstaaten befindlichen öffentlichen Gleisabschnitts bestehende Verhalten die Konsolidierung des Binnenmarkts beeinträchtige, insbesondere des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums;

–        zweitens die Lage auf den relevanten Märkten der Klägerin, d. h. den Umstand, dass die Klägerin die einzige Anbieterin der Dienste in Litauen war, und zwar sowohl auf dem vorgelagerten Markt für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen in Litauen als auch auf dem nachgelagerten Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte;

–        drittens die geografische Tragweite der Zuwiderhandlung, welche die Eisenbahnverbindungen zwischen der Raffinerie und den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils in zwei Mitgliedstaaten betraf, nämlich Litauen und Lettland;

–        viertens die Modalitäten der tatsächlichen Durchführung der Zuwiderhandlung, d. h. dass das missbräuchliche Verhalten der Beseitigung des Gleisabschnitts am 3. Oktober 2008 begonnen hatte.

367    Im 381. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nahm die Kommission zunächst eine Abwägung zwischen der begrenzten geografischen Reichweite der Zuwiderhandlung zum einen und zum anderen den sehr großen Marktanteilen der Klägerin sowie der negativen Auswirkung der fraglichen Zuwiderhandlung auf die Konsolidierung des Binnenmarkts vor und stellte sodann fest, dass der Anteil der Umsätze, die gemäß der Schwere zu berücksichtigen seien, [vertraulich] % betrage, was sie zur Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von [vertraulich] Euro veranlasste.

368    Was im vorliegenden Fall als Erstes den Umstand betrifft, dass sich die Klägerin auf das Vorbringen im Rahmen des ersten Teils des vierten Klagegrundes zur vorgeblichen Neuartigkeit und Beispiellosigkeit der Rechtssache beruft, um die behauptete Unverhältnismäßigkeit des von der Kommission festgestellten Schwerekoeffizienten von [vertraulich] % zu beanstanden, genügt die Feststellung, dass die Missbräuchlichkeit eines Verhaltens wie desjenigen der Klägerin, das darauf gerichtet ist, die Konkurrenten vom Markt fernzuhalten, mehrfach von den Unionsgerichten für rechtswidrig erklärt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, AstraZeneca/Kommission, C‑457/10 P, EU:C:2012:770, Rn. 164), wie bereits oben in Rn. 339 dargelegt. Folglich kann dieses Verhalten nicht als neuartig angesehen werden, und die Klägerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass es sich um eine neue Missbrauchskategorie handle, deren Rechtswidrigkeit ihr nicht bekannt gewesen sei. Die hierzu vorgetragenen Argumente der Klägerin können daher nicht zu dem Schluss führen, dass der Schwerekoeffizient von [vertraulich] % unverhältnismäßig ist.

369    Was als Zweites das Vorbringen betrifft, die Beseitigung des Gleisabschnitts habe weder eine Verdrängungswirkung noch eine sonstige negative Auswirkung auf die weitere Konsolidierung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums gehabt, hat die Kommission, wie oben in Rn. 233 dargelegt, im angefochtenen Beschluss mit Recht festgestellt, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts als solche, unabhängig von der zuvor erfolgten Aussetzung des Verkehrs auf dem Gleisabschnitt, geeignet war, wettbewerbswidrige Auswirkungen auf dem Markt zu entfalten. Insbesondere ergibt sich aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes, dass, wie die Kommission im angefochtenen Beschluss feststellte, die Beseitigung des Gleisabschnitts zu einer Abschottung des Markts der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte von der Raffinerie zu den Seehäfen Klaipėda, Riga und Ventspils führte. Unter diesen Umständen kann sich die Klägerin, um die Unverhältnismäßigkeit des Schwerekoeffizienten von [vertraulich] % nachzuweisen, nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe keine Ausschlusswirkung oder negative Auswirkungen gegeben.

370    Außerdem macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts weder eine Verdrängungswirkung noch eine sonstige negative Auswirkung auf die weitere Konsolidierung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums gehabt habe. Wie die Kommission im 361. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausführt, ist die Beseitigung eines zwei Mitgliedstaaten (vorliegend die Republik Litauen und die Republik Lettland) verbindenden Gleisabschnitts von 19 km, die ohne objektive Rechtfertigung erfolgt und geeignet ist, eine wichtige Kundin daran zu hindern, die Dienste eines anderen Eisenbahnunternehmens in Anspruch zu nehmen, eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten sowie ein Verhalten, das den Zielen zu widersprechen scheint, die der Konsolidierung des Binnenmarkts für Schienenverkehrsdienstleistungen und insbesondere des Schienengüterverkehrsmarkts der Union zugrunde liegen. Die Konsolidierung dieses Marktes wäre nämlich erschwert, wenn sich ein Eisenbahnunternehmen in marktbeherrschender Stellung vor Wettbewerbern schützen könnte, indem es ohne objektive Rechtfertigung öffentliche Eisenbahninfrastrukturen beseitigt, die zwei Mitgliedstaaten verbinden.

371    Somit beging die Kommission keinen Fehler, als sie im 381. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angesichts der Art der Zuwiderhandlung und insbesondere des Umstands, dass die Beseitigung eines zwischen zwei Mitgliedstaaten befindlichen Gleisabschnitts die Konsolidierung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums beeinträchtige, und unter Berücksichtigung der begrenzten geografischen Tragweite der Zuwiderhandlung feststellte, dass der Anteil der Umsätze, der gemäß der Schwere zu berücksichtigen sei, im vorliegenden Fall [vertraulich] % betragen könne.

372    Was als Drittes das Vorbringen betrifft, der Schwerekoeffizient von [vertraulich] % sei auch im Licht der Praxis der Kommission in vergleichbaren, die Anwendung von Art. 102 AEUV betreffenden Fällen unverhältnismäßig und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung die frühere Entscheidungspraxis der Kommission nicht den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen bilden kann und Entscheidungen in anderen Fällen nur Hinweischarakter in Bezug auf das eventuelle Vorliegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz haben, da es wenig wahrscheinlich ist, dass die für sie kennzeichnenden Umstände wie die Märkte, die Waren, die Unternehmen und die betroffenen Zeiträume die gleichen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 2006, JCB Service/Kommission, C‑167/04 P, EU:C:2006:594, Rn. 201 und 205; vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, EU:C:2007:326, Rn. 60, und vom 16. Juni 2011, Caffaro/Kommission, T‑192/06, EU:T:2011:278, Rn. 46).

373    Wie jedes Organ bei all seinen Tätigkeiten hat indessen die Kommission, wenn sie eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsvorschriften gegen ein Unternehmen festsetzt, den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten, der es verbietet, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, sofern dies nicht objektiv gerechtfertigt ist. Gleichwohl können frühere Geldbußenentscheidungen der Kommission im Hinblick auf die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur relevant sein, wenn dargetan wird, dass die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten wie die Märkte, die Erzeugnisse, die Länder, die Unternehmen und die betroffenen Zeiträume die gleichen sind wie im vorliegenden Fall (vgl. Urteil vom 29. Juni 2012, E.ON Ruhrgas und E.ON/Kommission, T‑360/09, EU:T:2012:332, Rn. 261 und 262 und die dort angeführte Rechtsprechung).

374    Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber nicht dargetan, dass die tatsächlichen Gegebenheiten, die den früheren Entscheidungen, auf die sie sich beruft, zugrunde lagen, die gleichen wären wie im vorliegenden Fall. Die Klägerin beruft sich nämlich auf den Beschluss der Kommission vom 20. September 2016 in einem Verfahren nach Artikel 102 AEUV und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Sache AT.39759 – Marktabschottung durch ARA). Dieser Beschluss betraf jedoch ein missbräuchliches Verhalten, das entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht dem Verhalten vergleichbar ist, das Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist. Jene frühere Rechtssache betraf nämlich eine Weigerung, Zugang zu einer grundlegenden Infrastruktur zu gewähren, während im vorliegenden Fall die Prüfung des ersten Klagegrundes ergeben hat, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts mit dem Ziel, Wettbewerber vom Markt fernzuhalten, indem ihnen der Zugang zum Markt zu weniger vorteilhaften Bedingungen gewährt wurde, nicht als eine solche Weigerung angesehen werden kann. Was die Entscheidung der Kommission vom 13. Mai 2009 in einem Verfahren nach Artikel [102 AEUV] und Artikel 54 EWR-Abkommen (Sache COMP/C‑3/37.990 – Intel) betrifft, hat die Klägerin, indem sie hervorhob, dass das in jener Entscheidung beanstandete Verhalten bedingte Rabatte betraf, selbst dargetan, dass die tatsächlichen Gegebenheiten jener Rechtssache nicht mit denjenigen des vorliegenden Falls vergleichbar sind. Folglich sind diese Entscheidungen im Hinblick auf die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht relevant.

375    Nach alledem verstieß die Kommission nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, als sie den Anteil der Umsätze, die als Schwerefaktor zur Bestimmung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße dienten, auf [vertraulich] % festsetzte.

b)      Zur zweiten Rüge, soweit sie die übermäßige Dauer der Zuwiderhandlung infolge einer fehlerhaften Wahl des Zeitpunkts ihres Beginns betrifft

376    Was das Vorbringen betrifft, mit dem die Dauer der Zuwiderhandlung aufgrund des von der Kommission gewählten Zeitpunkts ihres Beginns beanstandet wird, ist daran zu erinnern, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss, nachdem sie festgestellt hatte, dass die Zuwiderhandlung am 3. Oktober 2008 begonnen und bei Erlass des angefochtenen Beschlusses noch angedauert habe, den Multiplikator, der auf den Anteil der Umsätze anzuwenden war, auf neun festsetzte.

377    Insoweit genügt die Feststellung, dass das Vorbringen der Klägerin, sie habe erst nach der schiedsgerichtlichen Entscheidung vom 17. Dezember 2010 entschieden, den Gleisabschnitt nicht neu zu bauen, bereits im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes zurückgewiesen worden ist. Folglich kann sich die Klägerin nicht auf die schiedsgerichtliche Entscheidung berufen, um geltend zu machen, dass sie nicht mehr zum Neubau des Gleisabschnitts verpflichtet gewesen sei.

378    Folglich stellte die Kommission im angefochtenen Beschluss zu Recht fest, dass die Zuwiderhandlung am 3. Oktober 2008 begann, als die Klägerin anfing, den Gleisabschnitt zu beseitigen, und dass, unabhängig von der Aussetzung des Verkehrs, die Beseitigung des Gleisabschnitts geeignet war, wettbewerbswidrige Auswirkungen zu entfalten. Somit beging die Kommission keinen Fehler, als sie bei der Berücksichtigung der Dauer der Zuwiderhandlung den auf den Anteil der Umsätze anzuwendenden Multiplikator auf neun festsetzte.

379    Was den Antrag der Klägerin betrifft, die ihr auferlegte Geldbuße wegen der überlangen Dauer des Verwaltungsverfahrens erheblich herabzusetzen, genügt für dessen Zurückweisung der Hinweis, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Verletzung des Grundsatzes der Einhaltung einer angemessenen Frist durch die Kommission zwar die Nichtigerklärung einer am Ende eines auf die Art. 101 und 102 AEUV gestützten Verwaltungsverfahrens ergangenen Entscheidung der Kommission rechtfertigen kann, sofern sie auch eine Verletzung der Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens mit sich bringt, ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Einhaltung einer angemessenen Frist – sein Vorliegen unterstellt – jedoch nicht zu einer Herabsetzung der verhängten Geldbuße führen kann (vgl. Urteil vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑644/13 P, EU:C:2017:59, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

380    Darüber hinaus ist ebenfalls entschieden worden, dass eine auf der Grundlage der Art. 268 und 340 Abs. 2 AEUV gegen die Union erhobene Schadensersatzklage, da sie alle Fälle der Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer abdecken kann, einen effektiven und allgemeinen Rechtsbehelf zur Geltendmachung und Ahndung eines solchen Verstoßes darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2013, Groupe Gascogne/Kommission, C‑58/12 P, EU:C:2013:770, Rn. 82).

c)      Zur dritten Rüge: Unverhältnismäßigkeit des von der Kommission angewandten Zusatzbetrags von [vertraulich] %

381    Mit ihrer dritten Rüge beanstandet die Klägerin, dass auch die Anwendung eines der Abschreckung dienenden Zusatzbetrags in Höhe von [vertraulich] % unverhältnismäßig sei. Die Klägerin macht zunächst geltend, da es sich um einen neuartigen Fall handle, habe sie die Anwendung eines neuen und viel weiter gefassten rechtlichen Kriteriums nicht vorausahnen können. Ferner habe die Kommission in keiner anderen Rechtssache einen Zusatzbetrag für eine eigenständige Zuwiderhandlung gemäß Art. 102 AEUV festgesetzt und keine Gründe dafür angegeben, dass sie von ihrer früheren Praxis abweiche. Außerdem sei der Betrag der Geldbuße bereits abschreckend, wenn man die Größe des Unternehmens, die Art seiner Finanzierung und seinen Gewinn berücksichtige. Schließlich müsse ein etwaiger Abschreckungsfaktor aus den Gründen reduziert werden, die in Bezug auf den Schwerefaktor dargelegt worden seien.

382    Vorab ist festzustellen, dass die Kommission im 383. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorhob, dass sie gemäß Ziff. 25 der Leitlinien von 2006 unabhängig von der Dauer der Beteiligung des fraglichen Unternehmens an der Zuwiderhandlung dem Grundbetrag der Geldbuße zwecks Abschreckung einen zusätzlichen Betrag in Höhe von maximal 25 % des Umsatzes hinzufügen könne. Ferner wies sie im selben Erwägungsgrund darauf hin, dass sie bei der Festlegung des in einer bestimmten Rechtssache zu berücksichtigenden Anteils der Umsätze mehreren Umständen Rechnung trage, insbesondere denjenigen, die in Ziff. 22 der Leitlinien von 2006 genannt seien. Im 384. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses verhängte die Kommission daher angesichts der Art der Zuwiderhandlung (vgl. 377. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) einen zusätzlichen Betrag in Höhe von [vertraulich] % der Umsätze, d. h. [vertraulich] Euro.

383    Das erste Argument unterscheidet sich nicht von dem Argument, das im Rahmen der ersten Rüge des zweiten Teils des vierten Klagegrundes geltend gemacht wurde, um die Schwere der Zuwiderhandlung zu beanstanden. Da dieses Argument bereits bei der Prüfung der ersten Rüge des zweiten Teils des vierten Klagegrundes zurückgewiesen wurde, ist es auch insoweit zurückzuweisen, als es darauf gerichtet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Zusatzbetrags von [vertraulich] % zu beanstanden.

384    Was das zweite Argument betrifft, die Kommission habe in keiner anderen Rechtssache einen Zusatzbetrag für eine eigenständige Zuwiderhandlung gemäß Art. 102 AEUV festgesetzt und keine Gründe dafür angegeben, dass sie von ihrer früheren Praxis abweiche, ist festzustellen, dass die Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses bereits in mindestens einem früheren Beschluss einen Zusatzbetrag für eine eigenständige Zuwiderhandlung gemäß Art. 102 AEUV angewandt hatte, nämlich im Beschluss C(2017) 4444 final vom 27. Juni 2017 in einem Verfahren nach Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Fall AT.39740 – Google Search [Shopping]). Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung und vorbehaltlich der Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die frühere Entscheidungspraxis der Kommission nicht den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen bildet und die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen im Rahmen der Verordnung Nr. 1/2003 über ein Ermessen verfügt, damit sie die Unternehmen dazu anhalten kann, die Wettbewerbsregeln einzuhalten, und das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann (Urteil vom 16. Juni 2011, Bavaria/Kommission, T‑235/07, EU:T:2011:283, Rn. 288; vgl. auch Urteil vom 16. Juni 2011, Heineken Nederland und Heineken/Kommission, T‑240/07, EU:T:2011:284, Rn. 345 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich war diese Praxis der Kommission nicht neuartig, und jedenfalls war die Kommission nicht verpflichtet, im angefochtenen Beschluss Gründe für ein etwaiges Abweichen von ihrer früheren Praxis anzugeben.

385    Darüber hinaus bestimmt Ziff. 25 der Leitlinien von 2006, dass ein Zusatzbetrag im Fall von Zuwiderhandlungen festgesetzt werden kann, die sich nicht auf Kartelle beziehen. In Ziff. 25 heißt es nämlich:

„[U]nabhängig von der Dauer der Beteiligung eines Unternehmens an der Zuwiderhandlung fügt die Kommission einen Betrag zwischen 15 % und 25 % des Umsatzes im Sinne von Abschnitt A hinzu, um die Unternehmen von vornherein [von] der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen abzuschrecken. Dieser Zusatzbetrag kann auch in Fällen anderer Zuwiderhandlungen erhoben werden. Bei der Entscheidung, welcher Anteil am Umsatz zugrunde zu legen ist, berücksichtigt die Kommission mehrere Umstände, u. a. die in Ziffer 22 genannten.“

386    Im vorliegenden Fall begründete die Kommission im Einklang mit Ziff. 22 der Leitlinien von 2006 die Anwendung des Zusatzbetrags mit der Art der Zuwiderhandlung und insbesondere mit dem Umstand, dass die aus der Beseitigung eines zwischen zwei Mitgliedstaaten befindlichen Gleisabschnitts bestehende Zuwiderhandlung die Konsolidierung des Binnenmarkts und speziell des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums beeinträchtige (Erwägungsgründe 377 und 384 des angefochtenen Beschlusses).

387    Was das dritte Argument der Klägerin betrifft, die Höhe der Geldbuße sei beispiellos für ein kleines Eisenbahnunternehmen, das nur einen minimalen bzw. gar keinen Gewinn erziele, ist daran zu erinnern, dass es sich bei der Klägerin um das staatliche Bahnunternehmen Litauens handelt, das in Litauen über ein gesetzliches Monopol für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen und ein faktisches Monopol auf dem Schienengüterverkehrsmarkt in Litauen verfügt und dessen Gesamtumsatz sich 2016 auf 409,5 Mio. Euro belief, wie aus dem fünften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht. Angesichts dieser Umstände kann die Klägerin nicht als kleines Eisenbahnunternehmen angesehen werden. Jedenfalls muss die Kommission die Geldbußen nicht abmildern, wenn kleine oder mittlere Unternehmen betroffen sind. Der Größe des Unternehmens wird nämlich durch die in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegte Obergrenze sowie durch die Bestimmungen der Leitlinien von 2006 Rechnung getragen. Abgesehen von diesen Erwägungen zur Größe gibt es keinen Grund, kleine oder mittlere Unternehmen anders als sonstige Unternehmen zu behandeln. Die Tatsache, dass die Unternehmen von kleiner oder mittlerer Größe sind, befreit sie nicht von ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften (Urteil vom 28. April 2010, Amann & Söhne und Cousin Filterie/Kommission, T‑446/05, EU:T:2010:165, Rn. 200).

388    Soweit die Klägerin mit ihrem vierten Argument eine Herabsetzung des im Grundbetrag enthaltenen Zusatzbetrags erreichen will, indem sie geltend macht, das Verwaltungsverfahren habe übermäßig lange gedauert, ist festzustellen, dass dieses Argument aus den oben in den Rn. 379 und 380 dargelegten Gründen zurückzuweisen ist.

2.      Zur Bestimmung des Endbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße im Rahmen der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

389    Vorab ist daran zu erinnern, dass erst, nachdem der Unionsrichter anhand der ihm vorgetragenen Klagegründe wie auch gegebenenfalls der von Amts wegen zu berücksichtigenden Gründe die Rechtmäßigkeit der ihm unterbreiteten Entscheidung überprüft hat, es ihm obliegt, sofern diese Entscheidung nicht vollständig für nichtig erklärt wird, seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auszuüben, um zum einen die Konsequenzen aus seiner Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung zu ziehen und zum anderen anhand der ihm zur Prüfung vorgetragenen Umstände zu entscheiden, ob er zu dem Zeitpunkt, zu dem er seine Entscheidung erlässt, seine eigene Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der Kommission zu setzen hat, damit der Betrag der Geldbuße angemessen ist (vgl. Urteile vom 17. Dezember 2015, Orange Polska/Kommission, T‑486/11, EU:T:2015:1002, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. Juli 2019, Hitachi-LG Data Storage und Hitachi-LG Data Storage Korea/Kommission, T‑1/16, EU:T:2019:514, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

390    So ist der Unionsrichter, wenn er seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausübt, über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus befugt, die Beurteilung der Kommission, der Urheberin des Rechtsakts, in dem der Betrag dieser Zwangsmaßnahme ursprünglich festgelegt wurde, im Hinblick auf die Festsetzung dieses Betrags durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen, jedoch unter Ausschluss jeder Änderung der Tatbestandsmerkmale der Zuwiderhandlung, die die Kommission in der Entscheidung, über die das Gericht zu befinden hat, rechtmäßig festgestellt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2016, Galp Energía España u. a./Kommission, C‑603/13 P, EU:C:2016:38, Rn. 75 bis 77).

391    Folglich kann der Unionsrichter den angefochtenen Rechtsakt, auch ohne ihn für nichtig zu erklären, abändern, indem er die verhängte Geldbuße aufhebt, herabsetzt oder erhöht, und die Ausübung dieser Befugnis bewirkt, dass die Befugnis zur Verhängung von Sanktionen endgültig auf ihn übergeht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 692 und 693; vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, EU:C:2009:505, Rn. 86, und Beschluss vom 7. Juli 2016, Westfälische Drahtindustrie und Pampus Industriebeteiligungen/Kommission, C‑523/15 P, EU:C:2016:541, Rn. 32 bis 34).

392    Die Prüfung der Angemessenheit der Geldbußen im Hinblick auf die in Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegten Kriterien kann die Vorlage und die Heranziehung zusätzlicher Informationen erfordern, die nicht in der die Geldbuße verhängenden Entscheidung der Kommission erwähnt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C‑286/98 P, EU:C:2000:630, Rn. 57, und vom 12. Juli 2011, Fuji Electric/Kommission, T‑132/07, EU:T:2011:344, Rn. 209).

393    Im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat das Gericht somit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des konkreten Falls den Betrag der Geldbuße zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 2013, Alliance One International/Kommission, C‑679/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:606, Rn. 104, und vom 16. Juni 2011, Putters International/Kommission, T‑211/08, EU:T:2011:289, Rn. 75).

394    Dies setzt nach Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 die Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung der Klägerin unter Wahrung der Grundsätze u. a. der Verhältnismäßigkeit, der individuellen Sanktionsfestsetzung und der Gleichbehandlung voraus, ohne dass das Gericht durch die von der Kommission in den Leitlinien von 2006 definierten Richtlinien gebunden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2016, Galp Energía España u. a./Kommission, C‑603/13 P, EU:C:2016:38, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

395    Das Ermessen des Gerichts wird somit innerhalb der Obergrenze von 10 % des von dem betroffenen Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nur durch die Kriterien der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung gemäß Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 begrenzt, der der zuständigen Behörde einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt, wobei diese allerdings die oben in Rn. 394 genannten Grundsätze beachten muss.

396    Im Rahmen seiner Begründungspflicht hat das Gericht ausführlich darzulegen, welche Faktoren es bei der Festsetzung der Geldbuße berücksichtigt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. September 2016, Trafilerie Meridionali/Kommission, C‑519/15 P, EU:C:2016:682, Rn. 52).

397    Was vorliegend zum einen die Anwendung des gesetzlichen Kriteriums der Schwere der Zuwiderhandlung betrifft, so ist die Festsetzung einer Geldbuße durch das Gericht nach ständiger Rechtsprechung kein streng mathematischer Vorgang (Urteile vom 5. Oktober 2011, Romana Tabacchi/Kommission, T‑11/06, EU:T:2011:560, Rn. 266, und vom 15. Juli 2015, SLM und Ori Martin/Kommission, T‑389/10 und T‑419/10, EU:T:2015:513, Rn. 436).

398    Das Gericht hat jedoch einen Betrag festzusetzen, der, gemessen an den von ihm für geeignet erachteten Kriterien, der Schwere der von der Klägerin begangenen Zuwiderhandlung angemessen ist und auch eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet.

399    Das Gericht hält es für angezeigt, in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Art der Zuwiderhandlung, die Position von LG auf den relevanten Märkten sowie die geografische Tragweite der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.

400    Was zunächst die Art der Zuwiderhandlung betrifft, geht aus dem Inhalt der Akte hervor, dass die vollständige Beseitigung des 19 km langen Teils der kurzen Strecke, auf dem der Verkehr zunächst ausgesetzt worden war und der die Nutzung der kürzesten und kostengünstigsten Strecke zur Anbindung der Raffinerie der Streithelferin an einen lettischen Seehafen ermöglichte, wettbewerbswidrige Auswirkungen in Form des Ausschlusses von Wettbewerb auf dem Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte zwischen der Raffinerie und den benachbarten Seehäfen hervorgerufen haben kann, indem Hindernisse für den Markteintritt errichtet wurden, ohne dass dies objektiv gerechtfertigt war.

401    Was sodann die Position von LG auf den relevanten Märkten betrifft, ist festzustellen, dass LG auf dem vorgelagerten Markt für den Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen in Litauen eine Monopolstellung hatte und auf dem nachgelagerten Markt der Erbringung von Schienentransportdiensten für Erdölprodukte das einzige aktive Unternehmen war, so dass sie auf diesem Markt ebenfalls eine Monopolstellung innehatte. Aufgrund dieser Stellung trug LG eine besondere Verantwortung dafür, durch ihr Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf diesem Markt nicht zu beeinträchtigen.

402    Schließlich ist zur geografischen Tragweite der Zuwiderhandlung festzustellen, dass die Zuwiderhandlung zwar auf einem Teil des Hoheitsgebiets von zwei Mitgliedstaaten Auswirkungen entfaltet hat, die Auswirkungen jedoch relativ begrenzt sind. Die Beseitigung des Gleisabschnitts betraf nämlich nur einen Teil einer Strecke, die die Nutzung einer von mehreren möglichen Bahnverbindungen zwischen Lettland und Litauen ermöglichte.

403    Was zum anderen die Dauer der Zuwiderhandlung betrifft, so begann diese am 3. Oktober 2008 und dauerte bis zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses an.

404    Mithin erscheint es dem Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung geboten, den Betrag der Geldbuße auf 20 068 650 Euro festzusetzen.

405    Das Gericht stellt ferner fest, dass der Betrag der Geldbuße angesichts der Notwendigkeit, der Klägerin eine Geldbuße mit abschreckender Wirkung aufzuerlegen, angemessen ist.

406    Somit wird der Betrag der gegen die Klägerin zu verhängenden Geldbuße auf 20 068 650 Euro festgesetzt.

 Kosten

407    Nach Art. 134 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, jede Partei ihre eigenen Kosten.

408    Im vorliegenden Fall sind die Klägerin und die Kommission zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.

409    Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall hat Orlen ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die in Art. 2 des Beschlusses C(2017) 6544 final der Europäischen Kommission vom 2. Oktober 2017 in einem Verfahren nach Art. 102 AEUV (Sache AT.39813 – Baltic Rail) gegen die Lietuvos geležinkeliai AB verhängte Geldbuße wird auf 20 068 650 Euro festgesetzt.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Lietuvos geležinkeliai und die Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

4.      Die Orlen Lietuva AB trägt ihre eigenen Kosten.

Papasavvas

Kanninen

Półtorak

Porchia

 

      Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. November 2020.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis




*      Verfahrenssprache: Englisch.


1      Unkenntlich gemachte vertrauliche Angaben.