Language of document : ECLI:EU:T:1998:177

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

16. Juli 1998 (1)

„Freiberuflich tätige Konferenzdolmetscher — Zulässigkeit ihrer Veranlagung zurGemeinschaftssteuer“

In den verbundenen Rechtssachen T-202/96 und T-204/96

Andrea von Löwis und Marta Alvarez-Cotera, Konferenzdolmetscherinnen, Genf(Schweiz), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Gerard van der Wal, Brüssel,zugelassen beim Hoge Raad der Nederlanden, Zustellungsanschrift: Kanzlei desRechtsanwalts Aloyse May, 31, Grand-rue, Luxemburg,

Klägerinnen,

die zweite Klägerin unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder,Bundesministerium für Wirtschaft, Bonn (Deutschland), als Bevollmächtigten,

Streithelferin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Peter Oliver,Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: CarlosGómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Rückzahlung der Gemeinschaftssteuer, die vom 1. Januar 1989 an von derVergütung der Klägerinnen einbehalten worden ist,

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Dritte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët,K. Lenaerts, A. Potocki und J. D. Cooke,

Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5.Mai 1998,

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen der Rechtsstreitigkeiten

1.
    Artikel 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EuropäischenGemeinschaften vom 8. April 1965 (nachstehend: Protokoll) lautet:

„Von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Gemeinschaftenihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen, wird zugunsten derGemeinschaften eine Steuer gemäß den Bestimmungen und dem Verfahrenerhoben, die vom Rat auf Vorschlag der Kommission festgelegt werden.

Die Beamten und sonstigen Bediensteten sind von innerstaatlichen Steuern auf dievon den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit.“

2.
    Seit 1970 schließt die Kommission mit der Association international des interprètesde conférence (Internationaler Verband der Konferenzdolmetscher; nachstehend:AIIC) fünfjährige Rahmenvereinbarungen (nachstehend: Rahmenvereinbarungen)über die Arbeitsbedingungen und die Regelung der Vergütung der von denGemeinschaftsorganen bei Bedarf beschäftigten freiberuflich tätigenKonferenzdolmetscher.

3.
    Nach Artikel 1 Absatz 1 der Rahmenvereinbarungen gelten diese „unabhängig vomOrt des Einsatzes für die freiberuflich tätigen Konferenzdolmetscher, die von derKommission zu den Bedingungen beschäftigt werden, die in der für das Organ, fürdas diese Dolmetscher tätig sind, geltenden Regelung über dieKonferenzdolmetscher niedergelegt sind“.

4.
    In der Präambel der am 9. Dezember 1988 geschlossenen Rahmenvereinbarung(nachstehend: Rahmenvereinbarung 1988) weisen die Vertragsparteien darauf hin,daß das Europäische Parlament von den freiberuflich tätigen Dolmetschern, die esbeschäftige, aufgrund von Artikel 78 der Beschäftigungsbedingungen für diesonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: BSB) dieGemeinschaftssteuer erhebe. Die Unterzeichner der Rahmenvereinbarung 1988hielten es daher für wünschenswert, „durch Bezugnahme allein auf dieSteuervorschriften, die sich aus der Anwendung des Artikels 78 BSB ergeben, diesteuerliche Gleichbehandlung aller freiberuflich tätigen Dolmetschersicherzustellen“.

5.
    So wurde in Artikel 8 der Rahmenvereinbarung 1988, die am 1. Januar 1989 inKraft trat, folgendes festgelegt:

„Die freiberuflich tätigen Dolmetscher, die von der Kommission für Rechnung allerOrgane der Gemeinschaft beschäftigt werden, unterliegen der durch Artikel 13 des[Protokolls] eingeführten Steuer zugunsten der Gemeinschaften.

Wer nicht Angehöriger eines Mitgliedstaats der Gemeinschaften ist, unterliegtvorbehaltlich einer von dem Organ gewährten Ausnahme nicht demvorhergehenden Absatz.“

6.
    Um dem besonderen Fall der freiberuflich tätigen Dolmetscher, die in einemDrittstaat ansässig sind, Rechnung zu tragen, wurde in Artikel 8 der am 15.September 1994 für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1998geschlossenen Rahmenvereinbarung (nachstehend: Rahmenvereinbarung 1994)folgender dritter Absatz eingefügt:

„Wird die von der Kommission gezahlte Vergütung in einem Drittland besteuert,wird die einbehaltene Gemeinschaftssteuer in Abweichung von Absatz 1 demfreiberuflich tätigen Dolmetscher auf Vorlage von Belegen hin und bis zu demBetrag, der der nationalen Steuer entspricht, erstattet.“

7.
    Zur Regelung individueller Streitigkeiten sieht Artikel 23 dieserRahmenvereinbarungen vor, daß der freiberuflich tätige Dolmetscher, wenn eineStreitigkeit nicht im Rahmen des in Artikel 22 festgelegten vorgerichtlichenVerfahrens beigelegt werden kann, den Gerichtshof anrufen kann, dem in denBeschäftigungsverträgen nach den Artikeln 42 EGKS-Vertrag, 181 EG-Vertrag und153 EAG-Vertrag die Zuständigkeit hierfür übertragen ist.

8.
    Nach Artikel 23 Absatz 2 ist auf die vertraglichen Beziehungen zwischen demfreiberuflich tätigen Dolmetscher und den Organen vorbehaltlich derBestimmungen der Rahmenvereinbarung und ihrer Anhänge sowie derjenigen derindividuellen Beschäftigungsverträge belgisches Recht anwendbar.

9.
    In der Praxis werden die freiberuflich tätigen Konferenzdolmetscher kurzfristigtelefonisch oder durch Fernschreiben für gewöhnlich nur wenige Tage einberufen.Der förmliche Vertragsschluß erfolgt dann durch eine von den beiden Parteienunterzeichnete schriftliche Bestätigung.

10.
    Diese Bestätigung enthält die Bestimmung, daß das Beschäftigungsverhältnis derRegelung über die freiberuflich tätigen Konferenzdolmetscher, die das Organ, fürdas der Betreffende tätig ist, erlassen hat, sowie der geltendenRahmenvereinbarung unterliegt. In der Bestätigung wird auch auf dieGerichtsstandsklausel des Artikels 23 der Rahmenvereinbarung verwiesen.

Sachverhalt

11.
    Frau von Löwis besitzt die deutsche, Frau Alvarez-Cotera die spanische und dieSchweizer Staatsangehörigkeit. Sie wohnen seit 1964 bzw. 1970 in der Schweiz.Beide sind freiberuflich als Dolmetscherinnen für die Organe der Gemeinschafttätig, Frau von Löwis seit 1973 etwa 125 bis 135 Tage jährlich, Frau Alvarez-Coteraseit März 1986 etwa 40 bis 50 Tage jährlich.

12.
    Da die Kommission seit dem 1. Januar 1989 von den Vergütungen der freiberuflichtätigen Dolmetscher die Gemeinschaftssteuer einbehält, unterliegen dieKlägerinnen insoweit aufgrund ihrer möglichen Einkommenssteuerpflicht in derSchweiz potentiell einer doppelten Besteuerung.

13.
    Frau Alvarez-Cotera und Frau von Löwis beantragten am 23. April 1996 bzw. am8. Juli 1996 bei der Kommission gemäß Artikel 22 der Rahmenvereinbarung 1994die Rückzahlung der von ihnen seit 1989 entrichteten Gemeinschaftssteuer.

14.
    Nach der Ablehnung ihrer Anträge durch den Direktor der Direktion„Konferenzdienst“ des gemeinsamen Dolmetscher-Konferenzdienstes stellten dieKlägerinnen bei den zuständigen Generaldirektoren die gleichen Anträge.

15.
    Diese Anträge wurden mit Entscheidungen vom 25. September bzw. 21. Oktober1996 ebenfalls mit der Begründung abgelehnt, die Klägerinnen hätten bis 1994 ihreDolmetscherdienste in voller Kenntnis der Rahmenvereinbarungen erbracht, die mitder AIIC geschlossen worden seien; Artikel 8 Absatz 3 der Rahmenvereinbarung1994 könne sich nur auf die seit 1994 erbrachten Leistungen auswirken. Für dieErstattung der Gemeinschaftssteuer nach der letztgenannten Bestimmung verlangtedie Kommission die Vorlage eines Beleges über die Zahlungen an die SchweizerSteuerverwaltung.

Verfahren

16.
    Die Klägerinnen haben mit Klageschriften, die am 9. Dezember 1996 bei derKanzlei des Gerichts eingegangen sind, die vorliegenden Klagen auf Rückzahlungder Gemeinschaftssteuer erhoben.

17.
    Am 22. Mai 1997 hat die Bundesrepublik Deutschland beantragt, als Streithelferinin der Rechtssache T-204/96 zur Unterstützung der Anträge der Klägerinzugelassen zu werden. Diesem Antrag ist mit Beschluß vom 11. Juli 1997stattgegeben worden.

18.
    Mit Beschluß vom 18. November 1997 sind die Rechtssachen T-202/96 und T-204/96 gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamem mündlichenVerfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

19.
    Die ursprünglich der dritten Kammer zugewiesenen Rechtssachen wurden mitBeschluß des Gerichts vom 4. Februar 1998 gemäß den Artikeln 14 und 51 derVerfahrensordnung an die Dritte erweiterte Kammer verwiesen.

20.
    Das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstattersbeschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Es hat im Rahmenprozeßleitender Maßnahmen die Kommission um bestimmte Angaben gebeten.

21.
    Die Parteien haben in der Sitzung vom 5. Mai 1998 mündlich verhandelt undmündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

22.
    Die Klägerinnen beantragen,

—    die Klagen für zulässig zu erklären,

—    die Entscheidungen vom 25. September bzw. 21. Oktober 1996 aufzuheben,

—    die Anwendung der Gemeinschaftssteuer auf die Klägerinnen fürrechtswidrig und/oder Artikel 8 der Rahmenvereinbarung für nichtig zuerklären,

—    der Kommission aufzugeben, die von ihr einbehaltene und/oder von denKlägerinnen seit dem 1. Januar 1989 bis zum Erlaß des Urteils gezahlteGemeinschaftssteuer zurückzuzahlen sowie Zinsen von 8 % oder diegesetzlichen Zinsen hieraus zu zahlen,

—    der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

23.
    Die Kommission beantragt,

—    die Klagen abzuweisen,

—    den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

24.
    Die Streithelferin in der Rechtssache T-204/96 beantragt, dem Antrag aufRückzahlung der Gemeinschaftssteuer stattzugeben.

Zur Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerinnen

25.
    Es steht fest und wird von den Parteien auch nicht bestritten, daß die Klägerinnenals Aushilfsdolmetscherinnen, die aufgrund kurzfristiger, in jedem Jahr ofterneuerter Verträge beschäftigt werden, nicht als Beamte oder sonstige Bediensteteder Gemeinschaften im Sinne der BSB angesehen werden können (Urteile desGerichtshofes vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 43/84, Maag/Kommission, Slg1985, 2581, Randnr. 23, und in der Rechtssache 111/84, Cantisani, Slg. 1985, 2671,Randnr. 13), sondern Vertragsparteien sind, die an die Kommission durchprivatrechtliche Vertragsbedingungen gebunden sind, die hinsichtlich aller Fragen,die durch die individuellen Beschäftigungsverträge und die Rahmenvereinbarungennicht geregelt sind, nach Artikel 23 der Rahmenvereinbarungen dem belgischenRecht unterliegen.

26.
    Infolgedessen beruhen die vorliegenden Klagen auf einer vertraglichen Grundlage.

Zur Zulässigkeit

Zur Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts

Vorbringen der Parteien

27.
    Die Kommission macht geltend, das Gericht sei für die Entscheidung über diebeiden Klagen unzuständig, soweit diese Verträge beträfen, die vor dem 1. August1993 geschlossen worden seien und über die gesondert Klage beim Gerichtshofhätte erhoben werden müssen. Der Beschluß 93/350/Euratom, EGKS, EWG desRates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG,Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der EuropäischenGemeinschaften (ABl. L 144, S. 21; nachstehend: Beschluß des Rates) habenämlich nach seinem Artikel 3 Absatz 2 die Zuständigkeit des Gerichts, überKlagen zu entscheiden, die wie im vorliegenden Fall von natürlichen Personenaufgrund einer Vereinbarung über die gerichtliche Zuständigkeit erhoben wordenseien, auf Rechtsstreitigkeiten begrenzt, die die Erfüllung von Verträgen beträfen,die nach dem Inkrafttreten des Beschlusses am 1. August 1993 geschlossen wordenseien.

28.
    Die Klägerinnen, die insoweit von der Streithelferin im wesentlichen unterstütztwerden, halten dem entgegen, das Gericht sei für die Entscheidung über ihreKlagen zuständig, da diese nach dem Inkrafttreten der Rahmenvereinbarung 1994erhoben worden seien und ein Dauerrechtsverhältnis mit der Kommission beträfen,das aus einer Vielzahl kurzfristiger Verträge bestehe, über die getrennt zuentscheiden unzweckmäßig sei.

Beurteilung durch das Gericht

29.
    Mit den vorliegenden Klagen wird die Rechtwidrigkeit der Einbehaltung derGemeinschaftssteuer gerügt, die aufgrund gleichlautender Bestimmungen derbeiden von 1989 bis 1994 bzw. 1994 bis 1998 geltenden Rahmenvereinbarungen aufdie Vergütungen erhoben worden ist, die die Kommission den Klägerinnen inErfüllung einer Folge im wesentlichen gleichlautender, nach dem 1. Januar 1989geschlossener individueller Verträge gezahlt hatte.

30.
    Unter diesen Umständen entspricht es einer geordneten Rechtspflege und demGebot des Rechtsschutzes der Klägerinnen, daß das Gericht über sämtlicheStreitigkeiten entscheidet, unabhängig davon, ob die individuellenBeschäftigungsverträge vor oder nach dem Inkrafttreten des Beschlusses des Ratesgeschlossen worden sind (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 1. Juli 1982 in derRechtssache 109/81, Porta/Kommission, Slg. 1982, 2469, Randnr. 10).

31.
    Somit ist der von der Kommission erhobene Einwand der Unzuständigkeitzurückzuweisen.

Zum Einwand der Unzulässigkeit wegen Vermengung der Klagetypen

32.
    Die Kommission wirft den Klägerinnen im wesentlichen vor, den grundlegendenUnterschied zwischen einer auf einen Vertrag gestützten Klage und einerNichtigkeitsklage verwischen zu wollen. Insbesondere könnten die Klägerinnen dieHandlungen der Kommission zur Beendigung des vertraglich vorgeschriebenvorgerichtlichen Verfahrens nicht als Entscheidungen einstufen und nicht derenAufhebung verlangen.

33.
    Die Klägerinnen halten dem entgegen, ihr Rechtsstreit könne nicht auf einenzivilrechtlichen Rechtsstreit begrenzt werden, da die Kommission durch dierechtswidrige Erhebung der Gemeinschaftssteuer nicht als Vertragspartei, sondernhoheitlich aufgetreten sei.

34.
    Das Gericht kann sich mit der Feststellung begnügen, daß die Klägerinnen lautihren Anträgen entsprechend der vertraglichen Grundlage der vorliegendenStreitigkeiten begehren, die Kommission zur Zurückzahlung derGemeinschaftssteuer zu verurteilen, da den Bestimmungen der

Rahmenvereinbarungen, auf die sich die Einbehaltung der Steuer gründe, diegesetzliche Grundlage fehle.

35.
    Infolgedessen ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeitzurückzuweisen.

Zur Einrede der Unzulässigkeit wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften

36.
    Die Kommission rügt erstens, daß die Klägerinnen unter Verstoß gegen Artikel 44 § 5 a der Verfahrensordnung mit der Klageschrift keine Ausfertigung aller ihrerBeschäftigungsverträge eingereicht hätten, die die Gerichtsstandsklausel enthielten.

37.
    Die Klägerinnen machen demgegenüber geltend, daß sie mit ihrer Klageschriftsowohl die geltenden Rahmenvereinbarungen als auch eine Ausfertigung ihrerBeschäftigungsverträge gemäß der genannten Bestimmung ordnungsgemäßeingereicht hätten.

38.
    Das Gericht stellt fest, daß die Klägerinnen ihrer Klageschrift ordnungsgemäß eineAbschrift des die Schiedsklausel enthaltenden Beschäftigungsvertrages gemäßArtikel 44 § 5 a der Verfahrensordnung beigefügt haben; aufgrund des Gleichlautsder Bestimmungen waren die Klägerinnen nicht verpflichtet, sämtliche in der Folgegeschlossen Beschäftigungsverträge vorzulegen.

39.
    Zweitens wirft die Kommission den Klägerinnen vor, den Betrag der von ihrenVergütungen einbehaltenen Gemeinschaftssteuer nicht im einzelnen beziffert zuhaben.

40.
    Die Klägerinnen machen geltend, daß sie sich gerade gegen den Grundsatz derAnwendung der Gemeinschaftssteuer auf ihre Vergütungen wendeten und diefehlende Angabe eines genauen Betrages daher nicht zur Unzulässigkeit ihrerKlagen führen könne.

41.
    Das Gericht ist in zulässiger Weise angerufen worden, um sowohl über diegrundsätzliche Rechtmäßigkeit der Erhebung der Gemeinschaftssteuer durch dieKommission als auch über die Rückzahlungsanträge zu entscheiden. Es stehtnämlich außer Frage, daß diese Anträge sich auf Beträge beziehen, die dieKommission selbst einbehalten hat und deren Höhe sie zwangsläufig bestimmenkann.

42.
    Drittens macht die Kommission geltend, die Klägerinnen hätten nicht einmal denVersuch unternommen, die Rechtsvorschrift anzugeben, aufgrund deren sie Artikel8 der beiden einschlägigen Rahmenvereinbarungen anfechten könnten, was einoffenkundiger Verstoß gegen ihre Verpflichtung zu „einer kurzen Darstellung derKlagegründe“ im Sinne des Artikels 44 Absatz 1 Buchstabe c derVerfahrensordnung sei.

43.
    Die Klägerinnen sind dagegen der Meinung, die Gründe, weshalb die KommissionArtikel 8 der Rahmenvereinbarungen zu Unrecht angewandt habe, ordnungsgemäßdargestellt zu haben.

44.
    Die Klägerinnen haben unter Berufung auf die einschlägigen Bestimmungen desGemeinschaftsrechts klar dargelegt, daß die Kommission für die Einbehaltung derstreitigen Steuern nicht zuständig gewesen sei.

45.
    Somit sind die Einreden der Unzulässigkeit wegen Verstoßes gegenVerfahrensvorschriften zurückzuweisen.

Zur Einrede der Unzulässigkeit aufgrund der angeblichen Zustimmung der Klägerinnenzur Einbehaltung der Gemeinschaftssteuer

46.
    Die Kommission macht geltend, die Klägerinnen seien einverstanden gewesen, daßsie von 1989 an zur Gemeinschaftssteuer herangezogen würden, und versuchtennun, nachdem sie mehrere Jahre mit der Erhebung ihrer Klage gewartet hätten, dieZurückzahlung der Steuer zu erreichen.

47.
    Diese Einrede ist als wesentlicher Bestandteil der Begründetheit im Rahmen derPrüfung der Begründetheit zu untersuchen.

Zur Begründetheit

Vorbringen der Parteien

48.
    Die Klägerinnen, die insoweit von der Streithelferin in der Rechtssache T-204/96im wesentlichen unterstützt werden, weisen darauf hin, daß der Rat auf derGrundlage des Artikels 13 des Protokolls in seiner Verordnung (EWG, Euratom,EGKS) Nr. 260/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung derBestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten derEuropäischen Gemeinschaften (ABl. L 56, S. 8) die Bedingungen und dieModalitäten für die Erhebung der Gemeinschaftssteuer auf die von denGemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten gezahlten Bezügefestgelegt habe.

49.
    Da die freiberuflich tätigen Dolmetscher weder Beamte noch andere Bediensteteder Gemeinschaften im Sinne der BSB seien, habe die Kommission offenkundigrechtsfehlerhaft gehandelt, als sie die Gemeinschaftssteuer von der Vergütung derKlägerinnen einbehalten und sich hierfür auf Artikel 8 der Rahmenvereinbarungenberufen habe, obwohl diese mit einem internationalen Verband des Privatrechtsgeschlossen worden seien und dem Privatrecht unterlägen.

50.
    Die Kommission ist dagegen der Ansicht, daß die Gemeinschaftssteuerpflicht derfreiberuflich tätigen Dolmetscher auf Vertrag beruhe, so daß die Klägerinnen nach

dem Grundsatz pacta sunt servanda die Zulässigkeit ihrer Verträge nicht in Fragestellen könnten, denn arglistige Täuschung, Irrtum, Zwang oder andere ähnlicheUmstände lägen nicht vor. Im übrigen könne Artikel 8 der Rahmenvereinbarungvon den anderen Bestimmungen der Vereinbarung nicht getrennt werden.

Beurteilung durch das Gericht

51.
    Artikel 13 Absatz 1 des Protokolls hat eine Steuer zugunsten der Gemeinschaftenauf die Bezüge eingeführt, die den Beamten und sonstigen Bediensteten derGemeinschaften gezahlt werden.

52.
    Auf der Grundlage dieser Bestimmung unterliegen dieser Gemeinschaftssteuer nachArtikel 2 der Verordnung Nr. 260/68 die Personen, auf die das Statut oder die BSBAnwendung finden, jedoch mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten.

53.
    Da die Klägerinnen als freiberuflich tätige Dolmetscherinnen nicht als Beamte odersonstige Bedienstete im Sinne der BSB angesehen werden können, konnte dieKommission die Gemeinschaftssteuer von den Vergütungen, die sie denBetroffenen vom 1. Januar 1989 an gezahlt hat, nicht rechtmäßig einbehalten.

54.
    Wie sich im übrigen aus der Systematik des Artikels 13 des Protokolls ergibt, ist dielogische Folge der nach dieser Bestimmung bestehenden Gemeinschaftssteuerpflichtder Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften hinsichtlich der ihnenvon den Gemeinschaften gezahlten Bezüge zwangsläufig die Befreiung dieserPersonen gemäß Absatz 2 dieser Bestimmung von den innerstaatlichen Steuern füreben diese Bezüge.

55.
    Dieser Grundsatz ist in Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung (Euratom, EGKS,EWG) Nr. 549/69 des Rates vom 25. März 1969 zur Bestimmung der Gruppen vonBeamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, auf welchedie Artikel 12, 13 Absatz 2 und Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte undBefreiungen der Gemeinschaften Anwendung finden (ABl. L 74, S. 1), in seinerspäter geänderten Fassung präzisiert worden, wonach nur die Personen, die unterdas Statut oder unter die BSB fallen — mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten— Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls in Anspruch nehmen können.

56.
    Infolgedessen fallen die Vergütungen, die die Kommission den Klägerinnen gezahlthat, unter die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten.

57.
    Insoweit hat die Kommission mit der Einbehaltung der streitigenGemeinschaftssteuer ebenfalls gegen die den Mitgliedstaaten vorbehalteneSteuerkompetenz verstoßen.

58.
    Somit ist den Rückzahlungsanträgen der Klägerinnen stattzugeben, und dieEinwände, die die Kommission aus der angeblichen Zustimmung der Klägerinnenzu der Einbehaltung der Gemeinschaftssteuer und der Untrennbarkeit der

Bestimmungen der Rahmenvereinbarungen herleitet (vgl. vorstehend, Randnr. 50),sind nicht weiter zu berücksichtigen. Weder der Wille der Parteien einerVereinbarung noch das Gleichgewicht einer Vereinbarung können zulässigerweisemit dem Ziel geltend gemacht werden, die Erfüllung oder Aufrechterhaltungrechtswidriger Verpflichtungen zu erreichen.

59.
    Nach alledem ist die Kommission zu verurteilen, an die Klägerinnen die alsGemeinschaftssteuer bezeichneten Beträge, die sie rechtswidrig von den seit dem1. Januar 1989 gezahlten Vergütungen einbehalten hat, zurückzuzahlen sowieVerzugszinsen hieraus zu dem gesetzlichen Zinssatz des belgischen Rechts vomZeitpunkt des jeweils ersten Rückzahlungsantrags der Klägerinnen (vgl. vorstehend,Randnr. 13) bis zur endgültigen Zahlung zu zahlen.

Kosten

60.
    Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei aufAntrag zur Tragung der Kosten des Verfahrens zu verurteilen. Da die Kommissionmit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Klägerinnendie Kosten aufzuerlegen.

61.
    Die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin in der Rechtssache T-204/96trägt nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Kommission wird verurteilt, an die Klägerinnen die alsGemeinschaftssteuer bezeichneten Beträge, die sie von den von ihr denKlägerinnen seit dem 1. Januar 1989 gezahlten Vergütungen einbehaltenhat, zurückzuzahlen sowie Verzugszinsen hieraus zu dem gesetzlichenZinssatz des belgischen Rechts vom Zeitpunkt des jeweiligen erstenRückzahlungsantrags der Klägerinnen bis zur tatsächlichen Zahlung zuzahlen.

2.    Im übrigen werden die Anträge der Klägerinnen zurückgewiesen.

3.    Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

4.    Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

Tiili
Briët
Lenaerts

Potocki

Cooke

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juli 1998.

Der Kanzler

Die Präsidentin

H. Jung

V. Tiili


1: Verfahrenssprache: Englisch.