Language of document : ECLI:EU:T:2017:283

Rechtssache T-570/16

HF

gegen

Europäisches Parlament

„Öffentlicher Dienst – Vertragsbediensteter für Hilfstätigkeiten – Art. 24 des Statuts – Antrag auf Beistand – Art. 12a des Statuts – Mobbing – Art. 90 Abs. 1 des Statuts – Im Statut vorgesehene viermonatige Antwortfrist – Entscheidung der zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigten Behörde, eine Verwaltungsuntersuchung einzuleiten – Keine Stellungnahme der zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigten Behörde zum Vorliegen des behaupteten Mobbings innerhalb der im Statut vorgesehenen Antwortfrist – Begriff der stillschweigenden Entscheidung über die Ablehnung des Antrags auf Beistand – Inexistenter Rechtsakt – Unzulässigkeit“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 24. April 2017

1.      Beamtenklage – Beschwerende Maßnahme – Begriff – Stillschweigende Ablehnung eines Antrags auf Beistand – Einbeziehung – Ausnahme –Keine Antwort der Verwaltung wegen der Notwendigkeit, eine Untersuchung durchzuführen

(Beamtenstatut, Art. 12a, 24 und 90 Abs. 1)

2.      Beamte – Beistandspflicht der Verwaltung – Durchführung im Bereich Mobbing – Einreichung eines Beistandsersuchens – Einleitung einer Verwaltungsuntersuchung –Notwendigkeit, die Untersuchung bis zu ihrem Abschluss durchzuführen

(Beamtenstatut, Art. 12a und 24)

3.      Beamte – Beistandspflicht der Verwaltung – Durchführung im Bereich Mobbing – Einreichung eines Beistandsersuchens – Einleitung einer Verwaltungsuntersuchung – Weiterverfolgung der Untersuchung über den Ablauf der im Statut für die Antwort auf den Beistandsantrag vorgesehenen Frist hinaus –Entstehung einer stillschweigenden ablehnenden Entscheidung – Ausschluss

(Beamtenstatut, Art. 12a und 24)

1.      Wenn die Behörde einen Beistandsantrag im Sinne von Art. 24 des Statuts nicht binnen der Viermonatsfrist des Art. 90 Abs. 1 des Statuts bescheidet, kann dies als stillschweigende Ablehnung dieses Beistandsantrags durch die Behörde angesehen werden. Denn in diesem Fall muss angenommen werden, dass diese Behörde nicht zu der Auffassung gelangt ist, dass die zur Stützung des Beistandsantrags beigebrachten Gesichtspunkte einen hinreichenden, die Beistandspflicht auslösenden Anfangsbeweis für das tatsächliche Vorliegen des behaupteten Sachverhalts darstellen. Die Feststellung des Vorliegens einer stillschweigenden Ablehnung des Beistandsantrags ist daher eng mit dem Fehlen des Erlasses von Maßnahmen durch die Verwaltung verbunden, wie sie ihr aufgrund ihrer Beistandspflicht gemäß Art. 24 des Statuts obliegen, da die Verwaltung in diesem Fall implizit, aber zwingend, der Auffassung ist, dass der Fall nicht in den Anwendungsbereich der letztgenannten Bestimmung fällt.

Eine solche Situation unterscheidet sich jedoch von einer Situation, in der die Behörde als Antwort auf einen Beistandsantrag zu der Auffassung kam, dass ein hinreichender Anfangsbeweis vorliege, der die Einleitung einer Verwaltungsuntersuchung erforderlich mache, um festzustellen, ob die behaupteten Tatsachen tatsächlich ein Mobbing oder eine sexuelle Belästigung im Sinne von Art. 12a des Statuts begründeten. In einer solchen Situation muss diese Untersuchung bis zur ihrem Abschluss durchgeführt werden, damit die Verwaltung nach Unterrichtung über die Schlussfolgerungen des Untersuchungsberichts hierzu eine endgültige Stellungnahme abgeben kann, die es ihr erlaubt, den Beistandsantrag als erledigt zu behandeln oder, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen sind und in den Anwendungsbereich von Art. 12a des Statuts fallen, insbesondere ein Disziplinarverfahren einzuleiten, um gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen gegen den mutmaßlichen Mobber zu ergreifen.

(vgl. Rn. 54, 56, 57)

2.      Im Hinblick auf eine Verwaltungsuntersuchung, die von der Behörde infolge der Stellung eines Beistandsantrags wegen Mobbingvorwürfen eingeleitet wurde, ist der eigentliche Gegenstand dieser Untersuchung, das Vorliegen eines Mobbings im Sinne von Art. 12a des Statuts zu bestätigen oder auszuschließen, so dass die Einstellungsbehörde den Ausgang der Untersuchung nicht vorwegnehmen kann und gerade nicht, auch nicht stillschweigend, hinsichtlich des tatsächlichen Vorliegens des behaupteten Mobbings Position beziehen soll, bevor ihr die Ergebnisse der Verwaltungsuntersuchung vorliegen. Mit anderen Worten gehört es wesenhaft zur Einleitung einer Verwaltungsuntersuchung, dass die Verwaltung nicht vorzeitig, im Wesentlichen auf der Grundlage einer einseitigen Darstellung des Sachverhalts im Beistandsantrag, Stellung bezieht, da sie sich im Gegenteil mit der Einnahme eines Standpunkts zurückhalten muss, bis diese Untersuchung, die kontradiktorisch unter Teilnahme des mutmaßlichen Mobbers, zügig und unter Beachtung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer durchzuführen ist, abgeschlossen ist.

Insoweit bleibt in einem solchen Fall die Verwaltung verpflichtet, die Verwaltungsuntersuchung unabhängig von der Frage, ob das behauptete Mobbing mittlerweile eingestellt wurde, bis zu ihrem Ende durchzuführen, und zwar auch dann, wenn die Person, die den Beistandsantrag gestellt hat, oder der mutmaßliche Mobber das Unionsorgan verlassen hat.

Der Abschluss der Verwaltungsuntersuchung ist auch deshalb wichtig, weil zum einen die etwaige Feststellung seitens der Einstellungsbehörde – am Ende der eventuell mit Hilfe einer anderen Stelle als der Einstellungsbehörde wie eines beratenden Ausschusses durchgeführten Verwaltungsuntersuchung –, dass Mobbing vorliegt, schon an sich eine positive Wirkung im therapeutischen Prozess der Wiederherstellung der Gesundheit des gemobbten Beamten oder Bediensteten haben und außerdem vom Opfer für die Zwecke eines etwaigen nationalen Gerichtsverfahrens verwendet werden kann, für das die Beistandspflicht der Einstellungsbehörde nach Art. 24 des Statuts gilt, die auch dann nicht erlischt, wenn die Beschäftigungszeit des betroffenen Bediensteten endet. Zum anderen kann die vollständige Durchführung einer Verwaltungsuntersuchung es umgekehrt ermöglichen, die Mobbingvorwürfe des mutmaßlichen Opfers zu entkräften und damit das Unrecht wiedergutzumachen, das durch eine solche Anschuldigung, sollte sie sich als unbegründet herausstellen, der durch ein Untersuchungsverfahren als mutmaßlicher Mobber betroffenen Person zugefügt worden sein könnte.

(vgl. Rn. 59-61)

3.      Das Statut enthält anders als im Bereich des Disziplinarrechts keine besondere Bestimmung über die Frist, innerhalb deren eine Verwaltungsuntersuchung insbesondere im Bereich des Mobbings von der Verwaltung durchzuführen ist. Somit erlaubt es der Umstand, dass eine Verwaltungsuntersuchung, die als Antwort auf den Beistandsantrag innerhalb von vier Monaten nach der Stellung dieses Antrags eingeleitet wurde, nach Ablauf dieses Zeitraums noch im Gang ist, nicht, der Verwaltung eine stillschweigende Entscheidung zuzuschreiben, mit der sie das Vorliegen der in dem Beistandsantrag behaupteten Tatsachen verneint oder mit der sie festgestellt hätte, dass diese kein Mobbing im Sinne von Art. 12a des Statuts begründeten.

(vgl. Rn. 62)