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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

5. September 2024(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren – Verordnung (EU) Nr. 833/2014 – Art. 5n Abs. 2 und 6 – Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für die Regierung Russlands oder für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen – Ausnahme betreffend die Erbringung von Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich sind – Beurkundung und Vollzug eines Immobilienkaufvertrags durch einen Notar – Unterstützung durch einen Dolmetscher im Rahmen einer solchen Beurkundung “

In der Rechtssache C‑109/23 [Jemerak](i)

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Februar 2023, in dem Verfahren

GM,

ON

gegen

PR

erlässt


DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2024,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von PR, vertreten durch Rechtsanwalt U. Karpenstein und Rechtsanwältin R. Sangi,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Scheffel als Bevollmächtigte,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

–        des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Bishop und T. Haas als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Carpus Carcea, C. Georgieva und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. April 2024,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2014, L 229, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022 (ABl. 2022, L 259 I, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 833/2014).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen GM und ON, den Erwerbern einer in Berlin (Deutschland) belegenen Wohnung, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, auf der einen und PR, einem in Deutschland tätigen Notar, auf der anderen Seite wegen dessen Weigerung, den Kaufvertrag über diese Wohnung zu beurkunden und zu vollziehen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass diese Beurkundung gegen Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 verstoße, der es verbiete, für in Russland niedergelassene juristische Personen Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung (EU) Nr. 269/2014

3        Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 476/2014 des Rates vom 12. Mai 2014 (ABl. 2014, L 137, S. 1) geänderten Fassung sieht vor:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz von in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

(2)      Den in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.“

 Verordnung (EU) Nr. 833/2014

4        In den Erwägungsgründen 1 und 2 der Verordnung Nr. 833/2014 heißt es:

„(1)      Mit der Verordnung … Nr. 269/2014 … werden bestimmte im Beschluss 2014/145/GASP [des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16)] vorgesehene Maßnahmen umgesetzt. Zu diesen Maßnahmen zählen das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen bestimmter natürlicher und juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen sowie Beschränkungen bei bestimmten Investitionen als Reaktion auf die unrechtmäßige Annexion der Krim und Sewastopols.

(2)      Am 22. Juli 2014 gelangte der Rat [der Europäischen Union] zu dem Schluss, dass er bereit wäre, unverzüglich ein Bündel weiterer bedeutender restriktiver Maßnahmen einzuführen, sollte Russland den Forderungen gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 27. Juni 2014 sowie den Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Juli nicht nachkommen. Daher wird es als angemessen erachtet, weitere restriktive Maßnahmen zu ergreifen, um die Kosten für die Handlungen Russlands zu erhöhen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und um eine friedliche Beilegung der Krise zu unterstützen. …“

5        Art. 5aa Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 bestimmt:

„Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Geschäfte zu tätigen mit

a)      einer in Russland niedergelassenen in Anhang XIX aufgeführten juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die sich unter öffentlicher Kontrolle oder zu über 50 % in öffentlicher Inhaberschaft befindet oder bei der Russland und seine Regierung oder Zentralbank das Recht auf Gewinnbeteiligung hat oder Russland und seine Regierung oder Zentralbank andere wesentliche wirtschaftliche Beziehungen unterhält,

b)      einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die außerhalb der Union niedergelassen ist und deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer der in Anhang XIX aufgeführten Organisationen gehalten werden, oder

c)      einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die im Namen oder auf Anweisung einer der unter Buchstabe a oder b aufgeführten Organisationen handelt.“

6        Art. 5n Abs. 1, 2 und 6 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)      Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung einschließlich Abschlussprüfung, Buchführung und Steuerberatung sowie Unternehmens- und Public-Relations-Beratung zu erbringen für

a)      die Regierung Russlands oder

b)      in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen.

(2)      Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen, Rechtsberatung und IT‑Beratung zu erbringen für

a)      die Regierung Russlands oder

b)      in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen.

(6)      Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat oder für die Anerkennung oder Vollstreckung eines Gerichtsurteils oder eines Schiedsspruchs aus einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich sind, sofern … die Erbringung dieser Dienstleistungen mit den Zielen dieser Verordnung und der Verordnung … Nr. 269/2014 … im Einklang steht.“

 Beschluss (GASP) 2022/1909

7        In den Erwägungsgründen 5 und 8 bis 10 des Beschlusses (GASP) 2022/1909 des Rates vom 6. Oktober 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2022, L 259 I, S. 122), heißt es:

„(5)      In seinen Schlussfolgerungen vom 23./24. Juni 2022 hat der Europäische Rat erklärt, dass die Arbeit an Sanktionen fortgeführt wird, unter anderem um die Durchführung der Sanktionen zu stärken und deren Umgehung zu verhindern.

(8)      Am 30. September 2022 haben die Mitglieder des Europäischen Rates eine Erklärung angenommen, in der sie die illegale Annexion der ukrainischen Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja entschieden ablehnen und sie unmissverständlich verurteilen. … Die Mitglieder des Europäischen Rates erklärten, dass sie die restriktiven Maßnahmen der [Europäischen] Union gegen die illegalen Handlungen Russlands verschärfen und den Druck auf Russland, seinen Angriffskrieg zu beenden, weiter verstärken werden.

(9)      Angesichts des Ernstes der Lage ist es angezeigt, neue restriktive Maßnahmen einzuführen.

(10)      Insbesondere ist es angezeigt, dass das Verbot von Transaktionen mit bestimmten russischen staatseigenen oder staatlich kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen auszuweiten, indem ein Verbot für Staatsangehörige der Union, Posten in den Leitungsgremien dieser juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu bekleiden, aufgenommen wird. Darüber hinaus ist es angezeigt, das russische Seeschiffsregister – eine zu 100 % staatseigene Einrichtung, die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Klassifizierung und Überprüfung russischer und nichtrussischer Schiffe und Fahrzeuge, auch im Bereich der Sicherheit, ausübt – in die Liste der russischen staatseigenen oder staatlich kontrollierten Einrichtungen, die einem Transaktionsverbot unterliegen, aufzunehmen. …“

 Verordnung 2022/1904

8        In den Erwägungsgründen 2, 19 und 22 der Verordnung 2022/1904 heißt es:

„(2)      Mit der Verordnung … Nr. 833/2014 werden bestimmte im Beschluss 2014/512 … vorgesehene Maßnahmen umgesetzt.

(19)      … mit dem Beschluss … 2022/1909 [wird] das bestehende Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen für die Russische Föderation ausgeweitet, indem die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen sowie IT‑Beratung und Rechtsberatung verboten wird. … ‚Rechtsberatungsdienstleistungen‘ umfassen die Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten, einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht; die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten; die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten. ‚Rechtsberatungsdienstleistungen‘ umfasst nicht die Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im Rahmen von Rechtsvertretungsdienstleistungen, insbesondere in Angelegenheiten oder Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten, anderen ordnungsgemäß eingerichteten offiziellen Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren.

(22)      Die Verordnung … Nr. 833/2014 sollte daher entsprechend geändert werden“.

 Deutsches Recht

 BGB

9        § 311b Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: BGB) sieht vor, dass ein Kaufvertrag über ein Grundstück der notariellen Beurkundung bedarf.

10      Nach § 873 Abs. 1 BGB ist zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück die Einigung beider Seiten über den Eigentumsübergang und die Eintragung dieser Übertragung im Grundbuch erforderlich.

11      Aus § 925 Abs. 1 BGB geht hervor, dass eine solche Einigung grundsätzlich vor einem Notar zu erklären ist.

12      Gemäß § 925a BGB soll der Notar die Erklärung der Auflassung nur entgegennehmen, wenn ihm die Kaufvertragsurkunde vorgelegt wird.

 Beurkundungsgesetz

13      Gemäß § 4 des Beurkundungsgesetzes vom 28. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1513) in der durch das Gesetz vom 15. Juli 2022 (BGBl. 2022 I S. 1146) geänderten Fassung soll der Notar die Beurkundung eines Rechtsgeschäfts ablehnen, wenn sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre, insbesondere wenn seine Mitwirkung bei Handlungen verlangt wird, mit denen erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden.

14      Nach § 17 Abs. 1 des Beurkundungsgesetzes in der durch das Gesetz vom 15. Juli 2022 geänderten Fassung soll der Notar die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des betreffenden Geschäfts belehren.

 BNotO

15      Gemäß § 1 der Bundesnotarordnung vom 24. Februar 1961 (BGBl. 1961 I S. 97) in der durch das Gesetz vom 15. Juli 2022 (BGBl. 2022 I S. 1146) geänderten Fassung (im Folgenden: BNotO) wird der Notar als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt.

16      Nach § 14 Abs. 1 BNotO ist der Notar nicht Vertreter einer bestimmten Seite, sondern unabhängiger und unparteiischer Betreuer aller Beteiligten. Nach § 14 Abs. 2 BNotO hat der Notar seine Amtstätigkeit zu versagen, wenn sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre.

17      § 15 BNotO sieht in seinem Abs. 1 vor, dass der Notar seine Urkundstätigkeit nicht ohne ausreichenden Grund verweigern darf, und in Abs. 2, dass gegen die Verweigerung der Urkundstätigkeit des Notars die Beschwerde stattfindet.

 Grundbuchordnung

18      Nach § 29 Abs. 1 der Grundbuchordnung vom 26. Mai 1994 (BGBl. 1994 I S. 1114) in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung soll eine Eintragung im Grundbuch nur vorgenommen werden, wenn die zur Eintragung erforderlichen Erklärungen durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      Die deutschen Staatsangehörigen GM und ON waren im Begriff, eine Wohnung in einer einer Eigentümergemeinschaft gehörenden Immobilie in Berlin zu erwerben. Das fragliche Wohnungseigentum ist im Grundbuch des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg (Deutschland) verzeichnet. Diesem Grundbuch zufolge ist die Gesellschaft Visit-Moscow Ltd., die in Russland registriert ist und ihren Sitz in Moskau (Russland) hat, seit 2013 Eigentümerin dieser Wohnung.

20      Für die Zwecke dieses Geschäfts richteten GM, ON und Visit-Moscow an PR, einen in Berlin tätigen Notar, das Ansuchen, einen Kaufvertrag nach ihren Angaben zu Kaufgegenstand, Kaufpreis und sonstigen vertraglichen Regelungen zu beurkunden. Sie ersuchten ihn auch, den so beurkundeten Vertrag zu vollziehen, was u. a. erfordert, im Grundbuch das fragliche Wohnungseigentum auf GM und ON umzuschreiben, die auf dieser Wohnung ruhenden Belastungen löschen zu lassen sowie den Kaufpreis auf einem Treuhandkonto zu verwahren und ihn an Visit-Moscow auszuzahlen.

21      Mit Schreiben vom 15. Dezember 2022 wurden GM, ON und Visit-Moscow von PR informiert, dass er die Beurkundung dieses Vertrags vorläufig verweigert habe, weil er nicht ausschließen könne, dass dessen Beurkundung gegen das Verbot in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 verstoße, für in Russland niedergelassene juristische Personen Rechtsberatungsdienstleistungen zu erbringen.

22      PR half der von GM, ON und Visit-Moscow gegen diese Weigerung eingelegten Beschwerde nicht ab und legte sie gemäß den geltenden Vorschriften dem Landgericht Berlin (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, vor.

23      Als Erstes hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, zu prüfen, ob die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags gegen das in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot verstößt, wenn die Verkäuferin eine in Russland niedergelassene juristische Person ist.

24      Hierzu führt das vorlegende Gericht erstens aus, dass mehrere Erwägungen dem entgegenstünden, dass eine solche Beurkundung unter dieses Verbot falle.

25      Insbesondere erbringe ein Notar keine Dienstleistung, sondern übe eine Amtstätigkeit aus. Er sei als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt. Bei der Ausübung seiner Aufgaben sei der Notar nicht Vertreter einer bestimmten Seite, sondern unabhängiger und unparteiischer Betreuer aller Beteiligten. Er versehe öffentliche Aufgaben, die ihm der Staat übertragen habe und die der Staat ohne diese Übertragung durch seine Behörden erledigen müsste. Dementsprechend sei der Notar kein Dienstleistungserbringer, der seine Dienstleistungen auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrags erbringe, sondern ein Träger eines öffentlichen Amtes, der auf Gesuch der Parteien Aufgaben wie die unparteiische Belehrung der Vertragsparteien über die rechtliche Tragweite des fraglichen Rechtsgeschäfts ausübe, die ihre Grundlage im öffentlichen Recht hätten. Die hoheitliche Funktion des Notars komme zum Tragen, wenn er die Beurkundung eines Vertrags aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund verweigere.

26      Zweitens müssten, selbst wenn die notariellen Tätigkeiten als „Dienstleistungen“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 anzusehen wären, unter diesen Tätigkeiten diejenigen, die für eine Grundbucheintragung erforderlich seien, gemäß Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung, der für die Erbringung von Dienstleistungen gelte, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs‑ oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich seien, von dem Verbot ausgenommen werden, in Russland niedergelassenen juristischen Personen Rechtsberatungsdienstleistungen zu erbringen. Nach deutschem Recht sei die Eintragung im Grundbuch für Begründung und Erwerb eines Rechts an einem Grundstück nämlich konstitutiv. Die Führung des Grundbuchs, die besonderen Abteilungen der Amtsgerichte anvertraut und durch eine gerichtliche Verfahrensordnung reguliert sei, sei ein Gerichts- oder zumindest ein Verwaltungsverfahren, in dem die Notare eine zentrale Rolle spielten. Denn ein Antrag auf Eintragung im Grundbuch sei nur zulässig, wenn das betreffende Rechtsgeschäft durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werde. Daher bedürfe es für die Eintragung in das Grundbuch in der Regel der Mitwirkung eines Notars.

27      Da den in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 genannten Personen die Verfügung über Grundstücke und deren wirtschaftliche Verwertung nicht verboten seien, liefe es dem Zweck dieser Bestimmung auch nicht zuwider, wenn der Zugang zum Grundbuchverfahren diesen Personen weiterhin erhalten bliebe.

28      Selbst wenn, drittens, die notarielle Tätigkeit als eine unter das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 fallende Rechtsberatung betrachtet werden sollte, ohne von diesem Verbot nach Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung ausgenommen werden zu können, bestünden erhebliche Anhaltspunkte, nach denen sich dieses Verbot nicht auf die Mitwirkung eines Notars bei Immobilienkaufverträgen erstrecke.

29      Zum Übergang des Eigentums an einer in Deutschland belegenen Immobilie sei nämlich nach deutschem Recht zusätzlich zur Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch die Einigung beider Seiten über den Eigentumsübergang erforderlich, die im Regelfall vor einem Notar zu erklären sei. Ein Kaufvertrag über ein Grundstück müsse wiederum von einem Notar beurkundet werden. Sollte daher das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 für die Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags gelten, würde in Russland niedergelassenen juristischen Personen rechtlich und tatsächlich jede Möglichkeit zur Verfügung über ihr Vermögen genommen, da die Mitwirkung eines Notars bei der Veräußerung einer Immobilie erforderlich sei. Dies stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Eigentumsgrundrecht dieser Personen dar.

30      Die Dienststellen der Europäischen Kommission hätten allerdings ein Dokument mit dem Titel „Provision of Services – Frequently asked questions concerning sanctions adopted following Russia’s military aggression against Ukraine and Belarus’ involvement in it“ („Erbringung von Dienstleistungen – Häufig gestellte Fragen zu Sanktionen, die nach der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine und der Beteiligung von Belarus daran verhängt wurden“) in seiner Fassung vom 21. Dezember 2022 veröffentlicht. Darin hätten diese Dienststellen die Auffassung vertreten, dass Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 auf die notarielle Tätigkeit für in Russland niedergelassene juristische Personen anwendbar sei. Obwohl dieses Dokument nicht bindend sei, schaffe es doch einen Zustand der Ungewissheit über die zutreffende Auslegung dieser Bestimmung.

31      Als Zweites möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass davon auszugehen sei, dass die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über eine Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehöre, nicht gegen das in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot verstoße, wissen, ob die Leistungen eines Dolmetschers, der kraft Gesetzes für eine der deutschen Sprache nicht kundige Partei die Übersetzung ins Deutsche zu gewährleisten habe, bei dieser Beurkundung gegen das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot verstießen, wenn diese Leistungen den Vertretern einer solchen juristischen Person erbracht würden.

32      Als Drittes und Letztes hegt das vorlegende Gericht in der in der vorstehenden Randnummer genannten Fallgestaltung Zweifel, ob Aufgaben, die der Notar regelmäßig als Annex zu seiner Tätigkeit zur Sicherstellung des Vollzugs eines solchen Kaufvertrags nach dessen Beurkundung wahrnehme, gegen das in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot verstießen, wenn die Verkäuferin eine in Russland niedergelassene juristische Person sei.

33      Unter diesen Umständen hat das Landgericht Berlin (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Verstößt ein deutscher Notar gegen das Verbot, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für eine in Russland niedergelassene juristische Person zu erbringen, wenn er einen Kaufvertrag über ein Wohnungseigentum zwischen dieser Person als Verkäuferin und einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Union beurkundet?

2.      Handelt ein Dolmetscher gegen das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung, wenn er sich von dem Notar zur Beurkundung des Kaufvertrags hinzuziehen lässt, damit er dem der deutschen Sprache nicht ausreichend kundigen Vertreter der in Russland niedergelassenen juristischen Person den Inhalt der Beurkundungsverhandlung übersetzt?

3.      Verletzt der Notar das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung, wenn er gesetzlich vorgesehene notarielle Tätigkeiten zum Vollzug des Kaufvertrags (z. B. Abwicklung der Kaufpreiszahlung über ein vom Notar geführtes Treuhandkonto, Anforderung von Dokumenten zur Löschung von Hypotheken und anderen Belastungen der Kaufsache, Vorlage der zur Eigentumsumschreibung notwendigen Dokumente bei der das Grundbuch führenden Stelle) übernimmt und ausführt?

 Zu den Vorlagefragen

34      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 dahin auszulegen ist, dass

–        die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats,

–        die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben, und/oder

–        die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,

unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.

35      Was als Erstes die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats anbelangt, so ist es dem Wortlaut von Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 zufolge „verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung … für … in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen [zu erbringen]“.

36      Was erstens insbesondere den Begriff „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ im Sinne dieser Bestimmung betrifft, so wird dieser weder in dieser Bestimmung noch in einer anderen Bestimmung der Verordnung Nr. 833/2014 definiert.

37      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Unionsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem üblichen Sinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2024, Trade Express-L und DEVNIA TSIMENT, C‑395/22 und C‑428/22, EU:C:2024:374, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff „Rechtsberatung“ im Allgemeinen eine Stellungnahme zu einer Rechtsfrage. Der in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 in Verbindung mit dem Begriff „Dienstleistungen“ verwendete Begriff „Rechtsberatung“ verweist auf die auf einer Beziehung zwischen einem Dienstleistungserbringer und seinem Mandanten beruhende Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, die die Erteilung von Rechtsauskünften zum Gegenstand hat, durch die ein Dienstleistungserbringer Personen, die darum ersuchen, Stellungnahmen zu Rechtsfragen erteilt.

39      Dieses Verständnis des Begriffs „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ wird durch den 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 bestätigt, in dem es heißt, dass diese Dienstleistungen „die Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten, einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht“, „die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten“ sowie „die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten“ umfassen.

40      Die beiden in diesem Erwägungsgrund erstgenannten Arten von Tätigkeiten verweisen nämlich auf eine Beziehung zwischen einem Dienstleistungserbringer und seinem „Mandanten“ und beschreiben die Rolle dieses Dienstleistungserbringers dahin gehend, dass er diesem Mandanten in dessen Interesse Unterstützung und Beratung, was die rechtlichen Aspekte seiner Geschäfte mit Dritten anbelangt, angedeihen lässt. Die dritte Art der in diesem Erwägungsgrund genannten Tätigkeiten, die in der „Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten“ besteht, betrifft ihrerseits Annextätigkeiten zu den ersten beiden Arten von Tätigkeiten.

41      Die somit vom Begriff „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 erfassten Tätigkeiten unterscheiden sich jedoch deutlich von denen, die Behörden oder andere Einrichtungen ausüben können, die vom Staat unter behördlicher Überwachung mit der Wahrnehmung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraut und zu diesem Zweck mit bestimmten, den Bürgern gegenüber verbindlichen Befugnissen ausgestattet wurden. Es ist nämlich nicht Aufgabe dieser Behörden, Dienstleistungen zu erbringen, die darin bestehen, Stellungnahmen zu Rechtsfragen gegenüber Personen abzugeben, um deren eigene Interessen zu fördern oder zu verteidigen.

42      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass nach deutschem Recht bei einem Kaufvertrag über eine in Deutschland belegene Immobilie, damit er zu einer öffentlichen Urkunde wird, zwingend die Mitwirkung eines Notars als unabhängigen Träger eines öffentlichen Amtes erforderlich ist. Der Notar bestätigt mit dieser Beurkundung die Rechtmäßigkeit des Vertrags dadurch, dass er ihn mit einem Amtssiegel mit dem Wappen des Bundeslandes versieht, das ihn bestellt hat. Eine solche Mitwirkung auf Gesuch der Vertragspartner gehört zu den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die der Staat den Notaren übertragen hat und die der Staat ohne diese Übertragung durch seine Behörden erledigen müsste. Im Rahmen der Erfüllung dieser Aufgabe werden den Notaren verbindliche Befugnisse verliehen, da sie die Beurkundung eines solchen Kaufvertrags aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund verweigern können.

43      Außerdem scheint sich, wie auch die Generalanwältin in den Nrn. 43 und 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Mitwirkung des Notars auf eine Beurkundung des betreffenden Kaufvertrags oder gegebenenfalls auf die Verweigerung der Beurkundung dieses Vertrags zu beschränken, um in völliger Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einer ihm obliegenden rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, ohne über diese Beurkundung hinaus Rechtsberatung zur Förderung der spezifischen Interessen der Parteien zu erteilen.

44      Folglich scheint der Notar im Rahmen einer solchen Beurkundung nicht mit dem Ziel der Förderung der spezifischen Interessen einer der betroffenen Partei oder beider betroffenen Parteien, sondern unter Wahrung gleicher Distanz zu diesen Parteien und ihren jeweiligen Interessen ausschließlich im Interesse des Gesetzes und der Rechtssicherheit unparteiisch zu handeln. In Anbetracht der in den Rn. 42 und 43 des vorliegenden Urteils genannten besonderen Modalitäten des Verfahrens der notariellen Beurkundung von Rechtsvorgängen und der Rechtswirkungen, die an die beurkundeten Rechtsvorgänge in der deutschen Rechtsordnung geknüpft sind, scheint diese Beurkundung nicht den in Rn. 38 des vorliegenden Urteils genannten Tätigkeiten zu entsprechen.

45      Daraus folgt, wie die Generalanwältin in den Nrn. 35, 37 bis 39, 41 bis 43 und 47 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, und vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, dass eine notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über eine Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, wie in den Rn. 42 und 43 des vorliegenden Urteils dargestellt, nicht unter den Begriff „Dienstleistung [im Bereich der] Rechtsberatung“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 und folglich nicht in den Anwendungsbereich des in Buchst. b dieser Bestimmung vorgesehenen Verbots, einer solchen juristischen Person solche Dienstleistungen zu erbringen, fällt.

46      Zweitens wird eine solche am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 durch den normativen Kontext bestätigt, in den sich diese Bestimmung und diese Verordnung einfügen.

47      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 53 bis 55 und 60 bis 64 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, enthält Art. 5aa Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 zum einen nämlich das Verbot, unmittelbar oder mittelbar Geschäfte mit juristischen Personen zu tätigen, die bestimmte Kriterien erfüllen, etwa dass sie in Russland oder außerhalb der Union niedergelassen sind, in der Liste der russischen staatlichen Unternehmen in Anhang XIX dieser Verordnung aufgeführt sind, sich unter der Kontrolle oder zu über 50 % in der Inhaberschaft des russischen Staates befinden oder enge Verbindungen zu diesem Staat oder zu den in diesem Anhang aufgeführten Einrichtungen aufweisen. Allerdings sehen weder diese Bestimmung noch irgendeine andere Bestimmung dieser Verordnung ein allgemeines Verbot der Beteiligung an einem Geschäft mit einer juristischen Person allein deshalb vor, weil diese in Russland niedergelassen ist, oder ein Verbot der Veräußerung von im Gebiet der Union belegenen Immobilien, die einer solchen Person gehören.

48      Zum anderen sieht die Verordnung Nr. 269/2014 zwar restriktive Maßnahmen gegen Personen, die für Handlungen verantwortlich sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, und gegen die mit ihnen verbundenen Personen und Einrichtungen vor, doch gilt das in ihrem Art. 2 vorgeschriebene Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen sowie das Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen nur für bestimmte in Anhang I dieser Verordnung abschließend aufgeführte natürliche und juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen.

49      Wäre Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 dahin auszulegen, dass das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot für eine Beurkundungshandlung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gilt, würde dies, wie die Generalanwältin in den Nrn. 59 und 64 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, einerseits zu Inkohärenzen bei der Anwendung dieser Verordnung und andererseits zu Inkohärenzen zwischen dieser Verordnung und der Verordnung Nr. 269/2014 führen.

50      Während nämlich Geschäfte mit in der Union belegenen Immobilien, die in Russland niedergelassenen juristischen Personen gehören, nach der Verordnung Nr. 833/2014 erlaubt bleiben, könnten diese Geschäfte in der Praxis in bestimmten Mitgliedstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland, in denen die notarielle Beurkundung des Immobilienkaufvertrags eine wesentliche Voraussetzung für die Veräußerung eines solchen Wirtschaftsguts ist – unabhängig davon, ob diesen juristischen Personen die Verfügung über ihre Vermögenswerte gemäß der Verordnung Nr. 269/2014 untersagt ist –, behindert werden.

51      Eine solche sich je nach anwendbarem Notariatssystem ergebende Wirkungsvielfalt des Verbots gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 in den einzelnen Mitgliedstaaten konnte vom Unionsgesetzgeber nicht gewollt gewesen sein.

52      Drittens widerspricht die in Rn. 45 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung, anders als die estnische, die niederländische und die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen oder in der mündlichen Verhandlung angedeutet haben mögen, weder dem Zweck der Verordnung Nr. 833/2014 noch dem der Verordnung Nr. 269/2014.

53      Zunächst wurden, wie sich aus dem achten Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/1909 und dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 833/2014 ergibt, neue restriktive Maßnahmen, zu denen das Verbot der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung gehört, „gegen die illegalen Handlungen Russlands“ eingeführt, um „den Druck auf Russland, seinen Angriffskrieg zu beenden, weiter [zu] verstärken“, und „um die Kosten für die Handlungen Russlands zu erhöhen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und um eine friedliche Beilegung der Krise zu unterstützen“. Indessen ergibt sich weder aus diesem Beschluss noch aus dieser Verordnung noch aus der Verordnung 2022/1904, dass mit diesem Verbot der Rat, der diese Rechtsakte erlassen hat, beabsichtigt hätte, dass infolge dieses Verbots in Russland niedergelassene juristische Personen in einigen Mitgliedstaaten der Möglichkeit benommen sein könnten, über ihr unbewegliches Vermögen zu verfügen.

54      Sodann hat der Rat in der mündlichen Verhandlung nicht nur widerlegt, dass er beabsichtigt habe, den in Russland niedergelassenen juristischen Personen die Veräußerung ihrer im Gebiet der Union belegenen Immobilien zu verbieten, sondern auf eine Frage des Gerichtshofs klargestellt, dass das Ziel, das dem in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehenen Verbot der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zugrunde liege, darin bestehe, russischen juristischen Personen, die im Gebiet der Union tätig seien, die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeiten in diesem Gebiet zu erschweren und auf diesem Wege die russische Wirtschaft zu treffen. Eine notarielle Beurkundung – wie die im deutschen Recht geregelte – eines Kaufvertrags über eine Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, kann jedoch nicht als diesem Ziel widersprechend angesehen werden.

55      Da schließlich das in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot so zu verstehen ist, dass es das im fünften Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/1909 genannte Ziel verfolgt, die Umgehung der erlassenen Sanktionen zu verhindern, ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Generalanwältin in Nr. 74 ihrer Schlussanträge festzustellen, dass – da geschäftliche Transaktionen mit in Russland niedergelassenen juristischen Personen nicht Gegenstand eines generellen Verbots nach dieser Verordnung sind – es nicht ersichtlich ist, inwiefern eine notarielle Beurkundung – wie die im deutschen Recht geregelte – eines Kaufvertrags über eine Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, von vornherein und generell dazu beitragen könnte, die erlassenen restriktiven Maßnahmen zu umgehen.

56      Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine in Deutschland belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen deutschen Notar in den Anwendungsbereich des in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehenen Verbots der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung fällt.

57      Als Zweites betreffen die Zweifel des vorlegenden Gerichts die Frage, ob die im deutschen Recht vorgesehenen Aufgaben, die der Notar zur Sicherstellung des Vollzugs eines beurkundeten Kaufvertrags über eine in Deutschland belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, wahrnimmt, unter dieses Verbot fallen.

58      Der Vorlageentscheidung zufolge bestehen diese Aufgaben u. a. darin, den Kaufpreis auf einem Treuhandkonto zu verwahren und ihn an den Verkäufer auszuzahlen, die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen und im Grundbuch das Eigentum an dieser umzuschreiben.

59      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, für jede dieser Aufgaben zu beurteilen, ob sie die Erteilung einer Rechtsberatung für die Parteien durch den Notar im Sinne der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils vorgenommenen Auslegung des Begriffs „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ implizieren.

60      Insoweit ist, ebenfalls vorbehaltlich der abschließenden Beurteilung durch das vorlegende Gericht, nicht ersichtlich, dass die fraglichen Aufgaben die Erteilung irgendeiner Rechtsberatung für die Parteien des Immobilienkaufvertrags durch den Notar implizieren.

61      Als Drittes und Letztes betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts die Übersetzungsleistungen eines Dolmetschers bei der Beurkundung eines Kaufvertrags über eine in Deutschland belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, um den Vertreter dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht, zu unterstützen.

62      Da der Beruf des Dolmetschers seiner Art nach nicht juristisch ist, können die von einem Dolmetscher bei der Beurkundung eines Rechtsgeschäfts erbrachten Übersetzungsleistungen selbst dann kein Element der „Rechtsberatung“ entsprechend dem in Rn. 38 des vorliegenden Urteils dargelegten üblichen Sinn dieses Begriffs aufweisen, wenn die betreffenden Dienstleistungen darin bestehen, einen auf einem Rechtsgebiet tätigen Juristen zu unterstützen. Im Übrigen ist, wie sich aus Rn. 56 des vorliegenden Urteils ergibt, nicht ersichtlich, dass die Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, durch einen deutschen Notar in den Anwendungsbereich des in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehenen Verbots der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung fällt. Folglich erbringt der Dolmetscher dadurch, dass er im Rahmen der notariellen Beurkundungsverhandlung eines solchen Rechtsgeschäfts Übersetzungsleistungen erbringt, um den Vertreter einer solchen juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht, zu unterstützen, dieser juristischen Person keine „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ im Sinne dieser Bestimmung. Daher fallen diese letztgenannten Leistungen nicht unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot.

63      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 dahin auszulegen ist, dass

–        weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats,

–        noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,

–        noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,

unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.

 Kosten

64      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

–        weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats,

–        noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,

–        noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,

unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.


i      Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.