Language of document : ECLI:EU:C:2017:456

Rechtssache C610/15

Stichting Brein

gegen

Ziggo BV
und
XS4ALL Internet BV

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Richtlinie 2001/29/EG – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte – Art. 3 Abs. 1 – Öffentliche Wiedergabe – Begriff – Online-Filesharing-Plattform – Teilen geschützter Dateien ohne Zustimmung des Inhabers“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 14. Juni 2017

Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29 – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Öffentliche Wiedergabe – Begriff – Bereitstellung und Betreiben einer Plattform im Internet zum Teilen geschützter Dateien ohne Zustimmung des Inhabers im Rahmen eines „Peer-to-peer“-Netzes – Einbeziehung

(Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

Der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Bereitstellung und das Betreiben einer Filesharing-Plattform im Internet erfasst, die durch die Indexierung von Metadaten zu geschützten Werken und durch das Anbieten einer Suchmaschine den Nutzern dieser Plattform ermöglicht, diese Werke aufzufinden und sie im Rahmen eines „Peer-to-peer“-Netzes zu teilen.

Was erstens die Frage betrifft, ob die Bereitstellung und das Betreiben einer Online-Filesharing-Plattform wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellt, ist darauf hinzuweisen, dass das in dieser Bestimmung normierte Urheberrecht der öffentlichen Wiedergabe, wie sich aus dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 ergibt, jegliche drahtgebundene oder drahtlose Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist.

Darüber hinaus reicht es, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ergibt, für eine „Handlung der Wiedergabe“ insbesondere aus, wenn ein Werk einer Öffentlichkeit in der Weise zugänglich gemacht wird, dass deren Mitglieder an Orten und zu Zeiten ihrer Wahl dazu Zugang haben, ohne dass es darauf ankommt, ob sie diese Möglichkeit nutzen oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2017, Stichting Brein, C‑527/15, EU:C:2017:300, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Gerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass die Tatsache, dass auf einer Internetseite anklickbare Links zu geschützten Werken bereitgestellt werden, die auf einer anderen Seite ohne Zugangsbeschränkung veröffentlicht sind, den Nutzern der erstgenannten Seite direkten Zugang zu diesen Werken bietet (Urteil vom 13. Februar 2014, Svensson u. a., C‑466/12, EU:C:2014:76, Rn. 18; vgl. auch in diesem Sinne Beschluss vom 21. Oktober 2014, BestWater International, C‑348/13, EU:C:2014:2315, Rn. 15, und Urteil vom 8. September 2016, GS Media, C‑160/15, EU:C:2016:644, Rn. 43).

Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, dass dies auch gilt für den Fall des Verkaufs eines multimedialen Medienabspielers, auf dem im Internet verfügbare Add-ons vorinstalliert wurden, die Hyperlinks zu für die Öffentlichkeit frei zugänglichen Websites enthielten, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke ohne Erlaubnis der Rechtsinhaber öffentlich zugänglich gemacht wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2017, Stichting Brein, C‑527/15, EU:C:2017:300, Rn. 38 und 53).

Aus dieser Rechtsprechung kann somit abgeleitet werden, dass grundsätzlich jede Handlung, mit der ein Nutzer in voller Kenntnis der Sachlage seinen Kunden Zugang zu geschützten Werken gewährt, eine „Handlung der Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen kann.

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ferner voraussetzt, dass die geschützten Werke tatsächlich öffentlich wiedergegeben werden (Urteil vom 26. April 2017, Stichting Brein, C‑527/15, EU:C:2017:300, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass zum einen der Begriff „öffentlich“ eine bestimmte Mindestschwelle beinhaltet, womit dieser Begriff eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zum anderen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der geschützten Werke bei den potenziellen Adressaten ergibt. Daher kommt es nicht nur darauf an, wie viele Personen gleichzeitig Zugang zu demselben Werk haben, sondern auch, wie viele von ihnen in der Folge Zugang zu diesem Werk haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2017, Stichting Brein, C‑527/15, EU:C:2017:300, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

(vgl. Rn. 30-34, 40, 41, 48 und Tenor)