SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA
vom 3. März 2020(1)
Rechtssache C‑24/19
A,
B,
C,
D,
E
gegen
Gewestelijke stedenbouwkundige ambtenaar van het departement Ruimte Vlaanderen, afdeling Oost-Vlaanderen,
Beteiligte:
Organisatie voor Duurzame Energie Vlaanderen VZW
(Vorabentscheidungsersuchen des Raad voor Vergunningsbetwistingen [Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien])
„Vorabentscheidungsverfahren – Richtlinie 2001/42/EG – Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme – Strategische Umweltprüfung – Begriff der Pläne und Programme – Bedingungen für die Errichtung von Windparks, die in einem Erlass und einem Runderlass festgelegt sind – Rechtsfolgen des Unterbleibens einer strategischen Umweltprüfung – Befugnis des nationalen Gerichts, die Wirkungen nationaler Instrumente vorläufig aufrechtzuerhalten“
1. Die Prüfung der Umweltauswirkungen (oder ‑folgen) bestimmter „Projekte“ oder gewisser „Pläne und Programme“ ist eines der Hauptinstrumente des Unionsrechts zur Erreichung eines hohen Umweltschutzniveaus.
2. Die Umweltprüfung bei Projekten ist in der Richtlinie 2011/92/EU(2), die bei Plänen und Programmen in der Richtlinie 2001/42/EG(3) geregelt. Zu letztgenannter hat der Gerichtshof bis jetzt – sofern ich mich nicht irre – 17 Urteile erlassen, von denen ein erheblicher Prozentsatz auf Vorabentscheidungsersuchen belgischer Gerichte zurückgeht.
3. Der Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien) legt dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen zum Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie vor und legt ihm insbesondere nahe, von seiner mit dem Urteil vom 22. März 2012, Inter-Environnement Bruxelles u. a.(4), begründeten Rechtsprechung abzukehren.
4. Das Gericht möchte auch wissen, ob die nationalen Gerichte die Wirkungen der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung gemäß dem Urteil vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne(5), vorläufig aufrechterhalten können, wenn sie mit dem Unionsrecht unvereinbar ist.
I. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht. Richtlinie 2001/42
5. Art. 1 lautet:
„Ziel dieser Richtlinie ist es, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden.“
6. In Art. 2 der Richtlinie heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ‚Pläne und Programme‘ Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen Gemeinschaft mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,
– die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und
– die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen;
b) ‚Umweltprüfung‘ die Ausarbeitung eines Umweltberichts, die Durchführung von Konsultationen, die Berücksichtigung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Konsultationen bei der Entscheidungsfindung und die Unterrichtung über die Entscheidung gemäß den Artikeln 4 bis 9;
…“
7. Art. 3 sieht vor:
„(1) Die unter die Absätze 2 bis 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, werden einer Umweltprüfung nach den Artikeln 4 bis 9 unterzogen.
(2) Vorbehaltlich des Absatzes 3 wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen,
a) die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG aufgeführten Projekte gesetzt wird oder
b) bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Artikel 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG für erforderlich erachtet wird.
(3) Die unter Absatz 2 fallenden Pläne und Programme, die die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene festlegen, sowie geringfügige Änderungen der unter Absatz 2 fallenden Pläne und Programme bedürfen nur dann einer Umweltprüfung, wenn die Mitgliedstaaten bestimmen, dass sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben.
…“
B. Belgisches Recht
1. Abschnitt 5.20.6 VLAREM II(6)
8. Der Erlass der Flämischen Regierung vom 1. Juni 1995 zur Festlegung allgemeiner und sektoraler Bestimmungen im Bereich der Umwelthygiene (im Folgenden: VLAREM II), der zur Umsetzung früherer Bestimmungen dieser Regierung erlassen wurde(7), erfuhr im Jahr 2011 eine relevante Änderung(8), als ihm Abschnitt 5.20.6 VLAREM II hinzugefügt wurde, der die Überschrift „Anlagen für die Erzeugung von Strom mittels Windenergie“ trägt.
9. In diesem Abschnitt 5.20.6 sind Normen niedergelegt, die sich auf den Schattenwurf, bestimmte Sicherheitsaspekte und den Lärm dieser Windkraftanlagen beziehen.
2. Runderlass von 2006(9)
10. Der Runderlass ist gerichtet an Colleges van burgemeesters en schepenen (Bürgermeister- und Schöffenkollegien), Provinciegouverneurs (Provinzgouverneure), Leden van de bestendige (provinciale) deputaties (Mitglieder der ständigen [Provinz‑]Ausschüsse) und Beamte, die mit Genehmigungsanträgen befasst sind.
11. Er enthält die politische Leitlinie der Flämischen Regierung und verfolgt das Ziel, ausreichende Entwicklungsmöglichkeiten für Windenergie auf dem Festland zu bieten und die Auswirkungen auf verschiedene Bereiche (u. a. die Natur, die Landschaft, die Wohn- und Lebensumgebung, die Umwelt, die Wirtschaft, den Lärm, die Sicherheit, die Energierentabilität usw.) zu verringern.
12. Für jeden dieser Bereiche werden Normen formuliert, wobei – wie bei den VLAREM‑II-Normen – u. a. auf die Themen Lärm, Schattenwurf, Sicherheit und Natur der Windkraftanlagen näher eingegangen wird.
13. Der Runderlass beruht auf den Säulen einer nachhaltigen Raumentwicklung, eines nachhaltigen Energieverbrauchs, der Vorteile von Windenergie gegenüber anderen Energiequellen und des wirtschaftlichen Mehrwerts von Windenergie.
14. Das Raumprinzip der dekonzentrierten Bündelung bzw. Clusterbildung steht im Mittelpunkt: Indem Windkraftanlagen möglichst gebündelt werden, soll die Erhaltung der noch verbliebenen Freiflächen im stark verstädterten Flandern garantiert werden.
15. Der Runderlass beschreibt schließlich die Rolle der sogenannten Windarbeitsgruppe (Windwerkgroep), deren Aufgabe es ist, Standorte für großflächige Windparks auszuwählen und dem Minister van Ruimtelijke ordening (Minister für Raumordnung der Flämischen Regierung) vorzulegen. Außerdem wird die Arbeitsgruppe bei konkreten Genehmigungsanträgen beratend tätig.
II. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
16. Am 25. März 2011 reichte NV Electrabel (im Folgenden: Electrabel) bei der zuständigen Verwaltung einen Antrag auf Erteilung einer Städtebaugenehmigung für die Errichtung von acht Windkraftanlagen ein. Im Laufe des Verfahrens zog sie den Antrag bezüglich einer Windkraftanlage zurück.
17. Mit Bescheid vom 30. November 2016 gewährte der zuständige Beamte(10) unter Auflagen die Genehmigung für fünf Windkraftanlagen auf Grundstücken entlang der Autobahn E 40 in den Gemeinden Aalter und Nevele(11). In der Begründung dieses Bescheids wurde auf die einschlägigen Vorschriften einschließlich des VLAREM II und des Runderlasses verwiesen.
18. Die Genehmigung wurde nach Prüfung der eingereichten Einwendungen und Stellungnahmen erlassen, die sich u. a. auf die Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Gebiets, die Lärmbelästigung, die Raumordnung, den Schattenwurf und die Sicherheit bezogen(12).
19. Fünf Kläger beantragten beim vorlegenden Gericht die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 30. November 2016. Sie brachten vor, sie sei auf ein Regelwerk (VLAREM II und Runderlass) gestützt worden, das mit Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie unvereinbar sei, weil es ohne Durchführung der erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung erlassen worden sei.
20. Die flämische Verwaltung ist der Auffassung, dieses Regelwerk sei kein Plan oder Programm im Sinne der SUP-Richtlinie, da es kein kohärentes System und keinen ausreichend umfassenden Beurteilungsrahmen für die Errichtung von Windkraftanlagen schaffe.
21. Das vorlegende Gericht fragt trotz der Klarstellungen im Urteil D’Oultremont u. a.(13) nach der Gültigkeit des flämischen Regelwerks (VLAREM II und Runderlass) und der Rechtsgrundlage für die streitigen Genehmigungen für Windkraftanlagen für den Fall, dass festgestellt wird, dass dieses Regelwerk einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen hätte werden müssen.
22. Darüber hinaus bittet das vorlegende Gericht den Gerichtshof, seine mit dem Urteil Inter-Environnement Bruxelles u. a. begründete Rechtsprechung zu der Wortgruppe „aufgrund von Rechts‑ oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“ in Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie(14) zu überdenken.
23. Der Gerichtshof solle einer Auslegung den Vorzug geben, die eher dem Willen des Unionsgesetzgebers entspreche, was ihn dazu veranlassen sollte, diese Bestimmung nur auf Rechtsakte anzuwenden, zu deren Erlass der nationale Gesetzgeber verpflichtet sei, und nicht auf Rechtsakte, die bloß im Rahmen nationaler Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erlassen würden. Diese Auslegung sei ursprünglich von Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Inter-Environnement Bruxelles u. a. vorgeschlagen worden(15).
24. Vor diesem Hintergrund legt der Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien) dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
Führen Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie dazu, dass Art. 99 des Besluit van de Vlaamse regering van 23 december 2011 tot wijziging van het besluit van de Vlaamse regering van 6 februari 1991 houdende de vaststelling van het Vlaams reglement betreffende de milieuvergunning en van het besluit van de Vlaamse regering van 1 juni 1995 houdende algemene en sectorale bepalingen inzake milieuhygiëne (Erlass der Flämischen Regierung vom 23. Dezember 2011 zur Änderung des Erlasses der Flämischen Regierung vom 6. Februar 1991 zur Festlegung der Flämischen Regelungen betreffend die Umweltgenehmigung und des Erlasses der Flämischen Regierung vom 1. Juni 1995 zur Festlegung allgemeiner und sektoraler Bestimmungen im Bereich der Umwelthygiene) in Bezug auf die Anpassung dieser Erlasse an die Entwicklung der Technik, der Abschnitt 5.20.6 über Anlagen für die Erzeugung von Strom mittels Windenergie in VLAREM II einführt, und der Omzendbrief „Afwegingskader en randvoorwaarden voor de inplanting van windturbines“ (Runderlass „Abwägungsrahmen und Randbedingungen für die Errichtung von Windkraftanlagen“) aus dem Jahr 2006 (im Folgenden gemeinsam auch: vorliegende Instrumente), die beide unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung von Windkraftanlagen enthalten, u. a. auch Sicherheitsmaßnahmen und je nach Planungsgebiet definierte Schattenwurf- und Geräuschpegelnormen, als „Plan oder Programm“ im Sinne der angeführten Richtlinienvorschriften zu qualifizieren sind? Wenn sich herausstellen sollte, dass vor dem Erlass der vorliegenden Instrumente eine Umweltprüfung hätte vorgenommen werden müssen, darf das vorlegende Gericht die Rechtsfolgen dieser dann rechtswidrigen Instrumente vorläufig aufrechterhalten? Dazu müssen einige Teilfragen gestellt werden:
1. Kann eine politische Maßnahme wie der vorliegende Runderlass, bei der die Ausarbeitungsbefugnis auf den Ermessensspielraum und die politische Gestaltungsfreiheit der betreffenden Behörde zurückgeht, weshalb keine Festlegung der für die Ausarbeitung von „Plänen oder Programmen“ zuständigen Behörde im eigentlichen Sinne vorliegt, und für die auch kein förmliches Ausarbeitungsverfahren vorgesehen ist, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie angesehen werden?
2. Reicht es aus, dass eine politische Maßnahme oder eine allgemeine Regelung wie die vorliegenden Instrumente den Ermessensspielraum der für die Genehmigungserteilung zuständigen Behörde teilweise einschränkt, um als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie zu gelten, selbst wenn sie kein Erfordernis bzw. keine notwendige Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung darstellt oder keinen Rahmen für künftige Genehmigungen setzen soll, obwohl der Unionsgesetzgeber diesen Zweck als Bestandteil des Begriffs „Pläne und Programme“ betrachtet?
3. Kann eine politische Maßnahme wie der vorliegende Runderlass, deren Ausarbeitung aus Gründen der Rechtssicherheit und daher vollständig freiwillig erfolgt, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie angesehen werden und widerspricht eine solche Auslegung womöglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die teleologische Auslegung einer Richtlinie nicht wesentlich von dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers abweichen darf?
4. Kann Abschnitt 5.20.6 VLAREM II, der Regeln enthält, deren Erlass nicht vorgeschrieben war, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie angesehen werden und widerspricht eine solche Auslegung womöglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die teleologische Auslegung einer Richtlinie nicht wesentlich von dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers abweichen darf?
5. Können eine politische Maßnahme und ein normativer Regierungserlass wie die vorliegenden Instrumente, die beschränkten indikativen Charakter haben oder zumindest keinen Rahmen setzen, aus dem ein Recht auf Durchführung eines Projekts hergeleitet werden kann, und die kein Recht auf einen Rahmen einräumen, in dem Projekte erlaubt werden können, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 der SUP-Richtlinie angesehen werden, „durch [den bzw. das] der Rahmen für die künftige Genehmigung gesetzt wird“, und widerspricht eine solche Auslegung womöglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die teleologische Auslegung einer Richtlinie nicht wesentlich von dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers abweichen darf?
6. Können eine politische Maßnahme wie der Runderlass EME/2006/01-RO/2006/02, die rein indikativen Charakter hat, und/oder ein normativer Regierungserlass wie Abschnitt 5.20.6 VLAREM II, der bloß Mindestgrenzen für die Genehmigungserteilung festlegt und im Übrigen völlig autonom als allgemeine Regelung wirkt – wobei beide nur eine beschränkte Anzahl an Kriterien und Modalitäten enthalten und weder diese Maßnahme noch dieser Regierungserlass für irgendeines der Kriterien oder irgendeine der Modalitäten allein bestimmend ist und wobei folglich argumentiert werden könnte, dass anhand von objektiven Umständen ausgeschlossen werden kann, dass sie erhebliche Umweltauswirkungen haben können –, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 und 2 der SUP-Richtlinie angesehen werden und daher als Rechtsakte, die durch die Festlegung der auf den betreffenden Bereich anzuwendenden Regeln und Kontrollverfahren eine signifikante Gesamtheit an Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte vorsehen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben?
7. Kann ein Gericht, wenn die letztgenannte Frage verneint wird, dies selbst feststellen, nachdem der Erlass ergangen ist oder die Pseudo-Rechtsvorschriften (wie die vorliegenden VLAREM-Normen und der Runderlass) erlassen wurden?
8. Kann ein Gericht, wenn es nur mittelbar über eine inter partes geltende Einrede zuständig ist und wenn sich aus der Beantwortung der Vorlagefragen ergibt, dass die vorliegenden Instrumente rechtswidrig sind, anordnen, dass die Wirkungen des rechtswidrigen Erlasses und/oder Runderlasses aufrechterhalten werden, wenn die rechtswidrigen Instrumente zu einem Umweltschutzziel, das auch von einer Richtlinie im Sinne von Art. 288 AEUV verfolgt wird, beitragen und die Voraussetzungen des Unionsrechts für eine solche Aufrechterhaltung (wie im Urteil vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement, C‑379/15, aufgestellt) erfüllt sind?
9. Kann ein Gericht, wenn Frage 8 verneint wird, anordnen, dass die Wirkungen des angefochtenen Projekts aufrechterhalten werden, um so mittelbar die Voraussetzungen des Unionsrechts für die Aufrechterhaltung der Rechtsfolgen des der SUP-Richtlinie widersprechenden Plans oder Programms (wie im Urteil Association France Nature Environnement aufgestellt) zu erfüllen?
25. A u. a., die Regierungen Belgiens, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
26. An der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2019 haben A u. a., die Organisatie voor Duurzame Energie Vlaanderen VZM (Organisation für erneuerbare Energien Flandern VZM, Streithelferin im nationalen Verfahren), die belgische und die niederländische Regierung sowie die Kommission teilgenommen.
III. Prüfung der Vorlagefragen
A. Vorbemerkung
27. Das vorlegende Gericht stellt neun Fragen, die in zwei Gruppen zusammengefasst werden können:
– Mit den ersten sieben möchte es wissen, ob eine nationale Regelung, wie sie hier in Rede steht, vom Begriff der Pläne und Programme mit erheblichen Umweltauswirkungen, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich machen (Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie), umfasst ist.
– Mit den beiden letzten fragt es, ob die Wirkungen einer eventuellen Nichtigerklärung dieser nationalen Regelung sowie der auf ihrer Grundlage erteilten Genehmigungen zeitlich begrenzt werden können.
28. Da der Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien) den Gerichtshof erstmalig um Vorabentscheidung ersucht(16), muss, bevor diese Fragen beantwortet werden, geprüft werden, ob er ein Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV ist.
29. Nach den vorliegenden Informationen ist der Rat ein Rechtsprechungsorgan, das 2009 durch Art. 4.8.1 des Vlaamse Codex Ruimtelijke Ordening (Flämisches Raumordnungsgesetz) eingerichtet wurde und über Klagen gegen Registrierungsentscheidungen und Entscheidungen über die Erteilung oder Ablehnung einer Städtebau- oder Parzellierungsgenehmigung sowie über Streitigkeiten in Bezug auf Umweltgenehmigungen und Enteignungen befindet.
30. Es handelt sich um ein mit acht Verwaltungsrichtern besetztes unabhängiges Gericht, dessen Entscheidungen mit der Kassationsbeschwerde beim Raad van State (Staatsrat, Belgien) angefochten werden können. Es entscheidet die Rechtsstreitigkeiten in einem kontradiktorischen Verfahren unter Anwendung des Umwelt- und Raumplanungsrechts der Region Flandern.
31. Es deutet daher alles darauf hin, dass er als Gericht angesehen werden kann, das geeignet ist, von Art. 267 AEUV Gebrauch zu machen.
B. Einführung in die SUP-Richtlinie
32. Die SUP-Richtlinie wendet das Integrations- und Umweltschutzprinzip an (Art. 11 und 191 AEUV) und schreibt vor, dass bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, eine Umweltprüfung durchgeführt wird.
33. Obgleich das Wort „strategisch“ weder im Titel noch im Text der Richtlinie auftaucht, ist sie allgemein als „Richtlinie über die strategische Umweltprüfung“ bekannt, da sie die Umweltprüfung auf einer höheren (strategischeren) Ebene ansiedelt als die UVP-Richtlinie.
34. Die SUP-Richtlinie enthält keine materiellen Voraussetzungen für die Genehmigung von Projekten, sondern soll vor allem sicherstellen, dass bei der Genehmigung bestimmter Pläne und Programme deren Umweltauswirkungen berücksichtigt werden. Es handelt sich mithin im Wesentlichen um eine Verfahrensrichtlinie, die den Mitgliedstaaten die Verfahrensabschnitte vorgibt, die sie bei der Ermittlung und Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme einzuhalten haben.
35. Mit dieser Konzeption soll die strategische Umweltprüfung (im Folgenden: SUP) den politisch Verantwortlichen dabei helfen, gut begründete, auf objektiven Informationen und der Konsultation der Öffentlichkeit, der Beteiligten und der zuständigen Behörden basierende Entscheidungen zu treffen.
36. Die SUP-Richtlinie und die UVP-Richtlinie ergänzen sich gegenseitig: Mit Ersterer soll die Prüfung der Umweltauswirkungen(17) in dem Abschnitt der strategischen Planung der Handlungen der nationalen Behörden vorgezogen werden. Die von ihr vorgeschriebene Prüfung der Umweltauswirkungen ist daher weiter bzw. allgemeiner als die Prüfung, die bei einem konkreten Projekt durchzuführen ist.
37. Davon ausgehend besteht die Schwierigkeit in der Feststellung, wie weit die Anforderung der SUP gehen kann. Es ist klar, dass sie über der Prüfung von Einzelprojekten steht, aber auch, dass sie sich nicht auf sämtliche Vorschriften eines Mitgliedstaats, die Umweltauswirkungen haben, erstrecken soll.
38. Es ist naturgemäß nicht einfach, zu unterscheiden zwischen i) Projekten mit Umweltauswirkungen, die unter die UVP-Richtlinie fallen, ii) Plänen oder Programmen mit erheblichen Umweltauswirkungen, die der SUP-Richtlinie unterliegen, und iii) nationalen Vorschriften, die sich in irgendeiner Weise auf die Umwelt auswirken, aber keiner Umweltprüfung unterliegen. Die Grenzen zwischen diesen drei Kategorien sind der Hintergrund für die Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts.
39. Die Anwendung der SUP-Richtlinie hat den Behörden der Mitgliedstaaten nicht wenige Schwierigkeiten bereitet, die die Kommission zu beheben versucht hat(18). Der Schlüssel liegt in der Feststellung, was unter Plänen und Programmen zu verstehen ist, und unter ihnen diejenigen zu ermitteln, die erhebliche Umweltauswirkungen haben.
C. Die sieben Vorlagefragen: Begriff „Plan und Programm“ in der SUP-Richtlinie
40. Die Bestimmungen, die den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie regeln, sind vornehmlich in zwei miteinander in Verbindung stehenden Artikeln geregelt:
– Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie definiert die kumulativen Voraussetzungen, die Pläne und Programme erfüllen müssen, damit die Richtlinie auf sie anwendbar ist: Sie müssen a) von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und b) aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden.
– Art. 3 Abs. 2 Buchst. a regelt die Voraussetzungen für die Ermittlung von Plänen und Programmen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben und daher einer SUP unterzogen werden müssen: a) ihre Ausarbeitung für bestimmte Bereiche und wirtschaftliche Tätigkeiten und b) das Erfordernis, dass durch sie der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird.
41. Aus der Verbindung dieser Vorschriften ergeben sich vier Voraussetzungen, die ich sogleich prüfen werde, sowohl um ihre allgemeinen Merkmale herauszuarbeiten als auch um festzustellen, ob eine regionale Regelung, wie sie hier in Rede steht, sie erfüllt.
1. Ausarbeitung oder Annahme des Plans oder Programms von einer Behörde des Mitgliedstaats
42. Die erste Voraussetzung, deren Feststellung für gewöhnlich keine Auslegungsprobleme bereitet, besteht darin, dass die nationale Regelung von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene angenommen oder ausgearbeitet worden sein muss.
43. Das vorlegende Gericht führt aus, dass die flämischen Regionalbehörden Abschnitt 5.20.6 VLAREM II in Umsetzung des Dekrets über die Umweltgenehmigung erlassen hätten. Auch seien(19) sowohl Abschnitt 5.20.6 als auch der Runderlass zur Durchführung der Richtlinie 2009/28/EG(20) veröffentlicht worden.
44. Die belgische Regierung vertritt jedoch die Ansicht, dass die erste Bedingung bei Abschnitt 5.20.6 VLAREM II nicht vorliege, nicht weil es sich nicht um Bestimmungen handele, die der regionalen Verwaltung zuzuordnen seien, sondern weil sie keine programmatische oder planerische Dimension aufwiesen. Auf dieses Argument werde ich weiter unten eingehen, schicke allerdings voraus, dass ich den normativen Charakter des Abschnitts für unbestreitbar halte.
45. Was den Runderlass betrifft, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, seine Merkmale im innerstaatlichen Recht, über die zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten bestanden, zu präzisieren.
46. Nach den Informationen, die dem Gerichtshof vorliegen, scheint der Runderlass als Verwaltungsvorschrift ausgearbeitet und angenommen worden zu sein, ohne dass die Region Flandern damit notwendigerweise ihre Gesetzgebungs- bzw. Regelungsbefugnisse ausüben wollte. Mit ihm gibt die flämische Verwaltung ihrem Willen Ausdruck, die Vorschriften über die Errichtung von Windkraftanlagen (eben nach Maßgabe des Runderlasses) anwenden zu wollen.
47. Konkret enthalte der Runderlass, wie die belgische Regierung ausführt, die Leitlinien, die die regionale Behörde bei der Ermessensausübung in Einzelfällen wie der Erteilung von Genehmigungen für die Errichtung von Windkraftanlagen befolgen wolle.
48. Ich möchte betonen, dass ich vorbehaltlich der Beurteilung durch das vorlegende Gericht der Ansicht bin, dass der Runderlass, wenn sein Inhalt für die flämische Regionalverwaltung, die ihn als Regel für ihr künftiges Handeln angenommen hat, bindend ist(21), unter den Begriff des Plans bzw. Programms im Sinne der SUP-Richtlinie fallen könnte. Dies wäre nicht der Fall, wenn es sich bei ihm um einen auch intern rechtlich unverbindlichen Text handeln würde.
2. Pläne und Programme, die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen
a) Allgemeine Erwägungen
49. Nach Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der SUP-Richtlinie sind Pläne und Programme, die von einer Behörde eines Mitgliedstaats angenommen werden und in ihren Anwendungsbereich fallen, solche, die „aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“.
50. Seit dem Urteil Inter-Environnement Bruxelles u. a. sind im Sinne und zur Anwendung der SUP-Richtlinie als Pläne und Programme, die „erstellt werden müssen“, jene anzusehen, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen(22).
51. Damit nahm der Gerichtshof eine großzügige Auslegung der SUP-Richtlinie vor, nach der sie für in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelte Pläne und Programme unabhängig davon gilt, ob ihre Annahme obligatorisch oder fakultativ ist.
52. In der Rechtssache Inter-Environnement Bruxelles u. a. schlug Generalanwältin Kokott eine engere Auslegung vor: Danach bedürften einer SUP nur die Pläne und Programme, deren Annahme obligatorisch sei, da das nationale Recht sie vorschreibe(23).
53. Das vorlegende Gericht legt dem Gerichtshof nahe, seine Rechtsprechung zu ändern und sie dieser engeren Auslegung anzugleichen. Die britische Regierung unterstützt diesen Vorschlag, den seinerzeit im Urteil HS2 Action Alliance(24) auch der Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Vereinigtes Königreich) vertrat. Die belgische Regierung tat dies ebenfalls – hilfsweise – in ihren schriftlichen Erklärungen, rückte aber in der mündlichen Verhandlung wieder davon ab. A u. a., die Kommission und die niederländische Regierung widersprechen dem Vorschlag und bekräftigen, dass sie diese Rechtsprechung unterstützen: Sie alle und letztendlich auch die belgische Regierung sprechen sich nicht für eine Änderung der Rechtsprechung in dem Sinne, wie sie das vorlegende Gericht vorschlägt, aus.
54. Sollte der Gerichtshof von seiner Auslegung der Wendung „die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“ abrücken oder sie vielmehr bekräftigen?
55. Ich selbst muss einräumen, dass in der Debatte über diesen Punkt für die eine wie die andere These gewichtige Gründe sprechen(25). Wenn ich dem Gerichtshof letztendlich vorschlage, seine Rechtsprechung zu bestätigen, tue ich dies, weil – wie sich in der mündlichen Verhandlung zeigte – kein neues Argument vorgebracht worden ist, das für ihre Änderung spricht.
56. Das Fehlen neuer Argumente geht einher mit der Wiederholung der bereits von Generalanwältin Kokott dargelegten Argumente durch das vorlegende Gericht und diejenigen, die sich für diesen Standpunkt aussprechen, die der Gerichtshof in seit 2012 ständiger Rechtsprechung ablehnt(26).
57. Unter diesen Bedingungen kann ich keine hinreichende Grundlage für einen anderen Lösungsvorschlag erkennen. Unter vergleichbaren Umständen habe ich ausgeführt(27), dass ich es in einem derartigen Kontext für umsichtiger halte, sich für die Beständigkeit der Rechtsprechung zu entscheiden, also dem Fortbestand des Kriteriums stare decisis Vorrang zu geben, weil es den Erfordernissen der Rechtssicherheit eher entspricht.
58. Der Schlüssel des Problems liegt in der gewählten Auslegungsweise der SUP-Richtlinie:
– Gibt man einer wörtlichen und historischen Auslegung von Art. 2 Buchst. a Unterabs. 2 der Richtlinie den Vorzug, lässt sich vertreten, dass ausschließlich Pläne und Programme, deren Annahme gesetzlich vorgeschrieben ist, einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen.
– Gibt man hingegen ihrer systematischen und teleologischen Auslegung den Vorzug, fallen auch Pläne und Programme, deren Annahme zwar freiwillig ist, die aber in einem Gesetz oder einer Rechtsverordnung vorgesehen sind, unter den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie und bedürfen, wenn sie erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, einer SUP.
59. Um nicht Gefahr zu laufen, die Inhalte einer Diskussion zu wiederholen, die wenig Neues beiträgt, beschränke ich mich darauf, die Grundlagen der Auslegung hervorzuheben, die für die bis jetzt vom Gerichtshof vertretene Auslegung sprechen.
60. Eine wörtliche Auslegung von Art. 2 Buchst. a Unterabs. 2 scheint nicht zu einem abschließenden Ergebnis zu führen. Der Ausdruck „erstellt werden müssen“ kann bedeuten, dass Programme und Pläne „angefordert“, „verlangt“ oder „vorgeschrieben“ sein müssen, ist aber mehrdeutig im Hinblick darauf, ob er ausschließlich Pläne und Programme erfasst, deren Annahme für die nationalen Behörden verpflichtend ist(28). Der Grundsatz in claris non fit interpretatio ist hier nicht anwendbar.
61. Da allen Sprachfassungen einer Unionshandlung der gleiche Wert beizumessen ist, um die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu wahren, muss, wenn sie voneinander abweichen, die betreffende Vorschrift anhand von Sinn und Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört(29). Es sind daher das systematische und das teleologische Kriterium heranzuziehen, aber zuvor gehe ich auf die historische Auslegung von Art. 2 Buchst. a Unterabs. 2 der SUP-Richtlinie ein.
62. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, so erschien die Wendung „die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“ weder im ursprünglichen Vorschlag der Kommission(30) noch in einer späteren, geänderten Fassung(31). Sie wurde vom Rat mit dem Gemeinsamen Standpunkt vom 30. März 2002 hinzugefügt und vom Europäischen Parlament nicht geändert(32).
63. Die vom Rat hinzugefügte Ergänzung legt den Schluss nahe, dass er bestimmte Pläne und Programme der SUP unterziehen wollte, nicht aber, dass er die ausdrückliche Absicht hatte, sie ausschließlich auf Pläne und Programme zu beschränken, deren Annahme vorgeschrieben ist. Diejenigen, deren Annahme freisteht, können, wenn sie in Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorgesehen sind, Umweltauswirkungen haben, die genauso schwerwiegend oder sogar noch schwerwiegender sind als solche, deren Annahme vorgeschrieben ist. Die Annahme, der Wille des Rates habe darin bestanden, sie von der SUP auszunehmen, nur weil einige Staaten den Einwand erhoben hätten, dass diese Prüfung die nationalen Behörden von ihrer Annahme abhalten könne, ist gewagt(33).
64. Da weder die wörtliche noch die historische Auslegung zu einem abschließenden Ergebnis führen, ist auf die systematische und die teleologische Auslegung zurückzugreifen.
65. In systematischer Hinsicht findet die SUP-Richtlinie nur auf „bestimmte“ Pläne und Programme mit erheblichen Umweltauswirkungen Anwendung, nicht aber auf alle. Unter den in Art. 3 Abs. 8 und 9 geregelten Ausnahmen sind solche, deren Annahme freisteht und die in nationalen Vorschriften vorgesehen sind, nicht genannt, sondern
– Pläne und Programme, die ausschließlich Zielen der Landesverteidigung oder des Katastrophenschutzes dienen,
– Finanz- oder Haushaltspläne und ‑programme und
– aus den Konjunkturfonds der Union kofinanzierte Pläne und Programme.
66. Eine weite Auslegung des Ausdrucks „erstellt werden müssen“ erleichtert es, Pläne und Programme, deren Annahme und Ausarbeitung nach nationalem Recht sich kaum auf das Binom obligatorisch/fakultativ reduzieren lässt, weil sie viele Sachverhalte erfassen, die zwischen beiden Extremen liegen, in den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie einzubeziehen.
67. Die heterogene Praxis der Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung dieser Pläne und Programme(34) macht es ratsam, den Ausdruck „erstellt werden müssen“ weit auszulegen. Dieses Argument ist umso stichhaltiger, wenn man feststellt, dass die Änderungen der Pläne und Programme, die genauso behandelt werden müssen wie ihre Annahme und ihre Ausarbeitung, eine Umweltprüfung erforderlich machen, sofern sie die in der Richtlinie aufgestellten Kriterien erfüllen(35).
68. Üblicherweise entscheiden die Behörden der Mitgliedstaaten diese Änderungen, ohne hierzu gesetzlich verpflichtet zu sein. Eine enge Auslegung des Ausdrucks „erstellt werden müssen“ würde sie de facto auch dann von der SUP-Richtlinie ausschließen, wenn sie erhebliche Umweltauswirkungen hätten.
69. Eine teleologische Auslegung von Art. 2 Buchst. a Unterabs. 2 der SUP-Richtlinie spricht ebenfalls für eine weite Auslegung des Ausdrucks „erstellt werden müssen“, die es ermöglicht, von den nationalen Behörden freiwillig angenommene Pläne und Programme einzubeziehen.
70. In Anbetracht des Ziels der SUP-Richtlinie (ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen) sind die Bestimmungen, die ihren Geltungsbereich abgrenzen, und insbesondere jene, die die Definitionen der von ihr erfassten Rechtsakte aufführen, weit auszulegen(36).
71. Eine umweltfreundliche Auslegung der SUP-Richtlinie findet zudem eine Stütze im Primärrecht:
– Gemäß Art. 191 Abs. 2 AEUV (der Art. 174 Abs. 2 EG ersetzt) zielt die Umweltpolitik der Union unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf „ein hohes Schutzniveau“ ab.
– In Art. 3 Abs. 3 EUV heißt es, dass die Union insbesondere auf „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ hinwirkt(37).
72. Das Ziel der SUP-Richtlinie (das, wie gesagt, in einem hohen Umweltschutzniveau besteht) könnte bei einer Auslegung des Ausdrucks „erstellt werden müssen“ in dem Sinne, dass er in nationalen Regelungen vorgesehene Pläne und Programme, deren Annahme jedoch freisteht, von der SUP ausschließt, verfehlt werden. Diese Auslegung würde zumindest teilweise die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen(38) und ihrem Ziel widersprechen, ein Verfahren zur Kontrolle von Maßnahmen normativer Art, die potenziell erhebliche Umweltauswirkungen haben, vorzusehen.
73. Ich glaube nicht, dass die Sichtweise, die der Gerichtshof bis jetzt aufrechterhalten hat, diese Absicht des Gesetzgebers zunichtemacht oder ihr zuwiderläuft. Die Möglichkeit, die SUP-Richtlinie auch auf Pläne und Programme anzuwenden, die im nationalen Recht vorgesehen sind, deren Annahme aber freigestellt ist, bedeutet nicht, dass diese Pläne immer einer solchen Prüfung unterzogen werden müssen: Sie müssen darüber hinaus die Voraussetzungen des Art. 3 der SUP-Richtlinie erfüllen.
74. Insbesondere hervorzuheben ist die Anforderung, dass diese Pläne und Programme den Regelungsrahmen für die spätere Genehmigung von Projekten, die sich erheblich auf die Umwelt auswirken, setzen müssen. Meiner Meinung nach ist dies das Schlüsselelement, um den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie ohne übermäßigen Eingriff in die Gesetzgebungstätigkeit der Mitgliedstaaten angemessen eingrenzen zu können.
75. Für eine vernünftige, effektive und homogene Anwendung der SUP-Richtlinie sollte der Gerichtshof meines Erachtens eher seine Rechtsprechung zu den Konturen dieses Regelungsrahmens als zu der Wendung „die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“ präzisieren.
b) Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall
76. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass als Pläne oder Programme betrachtet werden können, die „aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“.
77. Zu Abschnitt 5.20.6 VLAREM II führt das vorlegende Gericht aus, sein Erlass sei in Art. 20 des Dekrets über die Umweltgenehmigung sowie Art. 5.1.1 des Dekrets vom 5. April 1995 vorgesehen gewesen. Er sei zwar gesetzlich vorgesehen, aber den flämischen Regionalbehörden nicht vorgeschrieben, und sie hätten ihn auch nicht erlassen können.
78. Nach der Auslegung durch den Gerichtshof, die ich weiter oben zusammengefasst habe und die meines Erachtens aufrechterhalten werden sollte, ist davon auszugehen, dass Abschnitt 5.20.6 VLAREM II einen Plan oder ein Programm enthält, der bzw. das im Sinne von Art. 2 Buchst. a Unterabs. 2 der SUP-Richtlinie aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften erstellt werden muss.
79. Zum Runderlass führt die Kommission aus, dass er nicht unter jene Kategorie falle, denn seine Erstellung sei in den in der Region Flandern für die Errichtung von Windkraftwerken geltenden Umweltschutzbestimmungen nicht ausdrücklich vorgesehen gewesen. Der Runderlass sei das Ergebnis einer gesetzlich nicht vorgesehenen freien politischen Entscheidung der regionalen flämischen Verwaltung(39).
80. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu klären, ob der Runderlass wegen seines Inhalts der Durchführung und Vervollständigung von Abschnitt 5.20.6 VLAREM II dient und dadurch den Charakter einer mehr oder weniger verdeckten Verordnung erwirbt(40). Wenn der Runderlass nach belgischem Recht das Tätigkeitsfeld der Verwaltung selbst einschränkt und Verhaltensregeln aufstellt, die auch von Privatpersonen zu beachten sind, könnte man die Ansicht vertreten, dass er im Dekret über die Umweltgenehmigung von 1985 und dem Dekret vom 5. April 1995 vorgesehen war.
3. Plan oder Programm für eine Tätigkeit oder einen Wirtschaftssektor, die bzw. der unter die SUP-Richtlinie fällt
81. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie wird vorbehaltlich des Abs. 3 dieses Artikels eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen, die u. a. „in den Bereichen … Energie, … Raumordnung oder Bodennutzung“ ausgearbeitet werden.
82. Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass betreffen den Energiesektor, konkret die Errichtung von Windparks. Die für Windkraftanlagen geltenden Geräuschpegelnormen haben Einfluss auf ihre Ansiedlung in besiedelten Gebieten und damit auch Auswirkungen auf die Raumordnung und die Bodennutzung.
83. Es besteht daher kein Zweifel, dass der Gegenstand dieses Regelwerks von der SUP-Richtlinie umfasst ist.
4. Plan oder Programm mit der Natur eines Referenzrahmens für die Genehmigung von Projekten, die unter die UVP-Richtlinie fallen
84. Abgesehen davon, dass sie einen der von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a erfassten Sektoren betreffen müssen, verlangt diese Vorschrift, damit sie einer SUP unterzogen werden,
– dass durch die Pläne oder Programme der Rahmen für die künftige Genehmigung der Ausführung der Projekte gesetzt wird und
– es sich um Projekte handelt, die in den Anhängen I und II der UVP-Richtlinie erfasst sind(41).
85. Was die zweite Voraussetzung anbelangt, beziehen sich Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass auf eine Art von Anlagen, die in Anhang II Nr. 3 Buchst. i der UVP-Richtlinie unter der Überschrift „Anlagen zur Nutzung von Windenergie zur Stromerzeugung (Windfarmen)“ ausdrücklich erfasst ist(42).
86. Bezüglich der ersten Voraussetzung verlangt Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie als unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung einer SUP, dass durch die Pläne oder Programme ein Referenzrahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird.
87. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass sich der Begriff „Pläne und Programme“ auf jeden Rechtsakt bezieht, der dadurch, dass er Regeln und Verfahren festlegt, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstellt, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben(43).
88. Mithin gilt ein Rechtsakt als Rahmen für die künftige Genehmigung der Durchführung von Projekten und damit als Plan oder Programm, der bzw. das einer SUP unterliegt, wenn er eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten (Regeln und Verfahren) für die Durchführung von Projekten beinhaltet, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben(44).
89. Diese Auslegung soll in einer Abfolge an Rechtsvorschriften „die Umweltprüfung von Vorgaben sicherstellen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben“(45). Im Umkehrschluss verhindert sie, dass vereinzelt festgelegte Kriterien und Modalitäten eine SUP erforderlich machen.
90. Daher ist der Begriff „signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten“ (Referenzrahmen) qualitativ und nicht quantitativ zu verstehen. Es reicht, wenn die Gesamtheit signifikant – nicht erschöpfend – ist, damit die Pläne oder Programme, die sie aufstellen, einer SUP bedürfen. Dadurch werden auch mögliche Strategien zur Umgehung der in der SUP-Richtlinie genannten Verpflichtungen, die die Maßnahmen zerstückeln könnten und so die praktische Wirksamkeit der Richtlinie verringern, vermieden(46).
91. Diese Rechtsprechung ist unter Berücksichtigung der nachfolgend dargelegten Kriterien auf die streitige flämische Regelung (Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und den Runderlass, sofern er Rechtswirkungen entfaltet) anzuwenden.
92. Erstens und vor allem hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Regelung (in jenem Fall die wallonische) über die Errichtung von Windparks, die der hier zu prüfenden flämischen Regelung teilweise ähnelt, ein Rahmen für die Annahme von Projekten mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt war. Er hat dies im Urteil D’Oultremont ohne Umschweife festgestellt(47).
93. Zwar gibt es zwischen beiden einige Unterschiede, aber die im vorliegenden Fall streitige flämische Regelung enthält detaillierte Vorgaben, die denen ähneln, die der wallonische Erlass zu verschiedenen sensiblen Fragen (Geräuschpegel, Schattenwurf, Sicherheit und Art der Windkraftanlagen) regelte.
94. Grundsätzlich kann kein Projekt zur Errichtung eines Windparks in Flandern genehmigt werden, wenn nicht die in der genannten Regelung niedergelegten Bedingungen erfüllt sind. Die zur Verfügung stehenden Informationen deuten deshalb darauf hin, dass es sich um einen nicht erschöpfenden, wohl aber signifikanten Referenzrahmen für die Genehmigung von Windparkprojekten, die unbestreitbar Umweltauswirkungen haben, handelt.
95. Auch die belgische Regierung räumt implizit ein, dass Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass einen signifikanten Referenzrahmen für die Genehmigung von Windparkprojekten bilden, wenn sie zu einer möglichen zeitlichen Begrenzung der Wirkungen des Urteils ausführt, dass die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit zur Folge hätte, dass es für Windkraftanlagen keine rechtlich wirksamen Umweltbedingungen mehr gäbe(48).
96. Die Kommission macht geltend, dass ausschließlich die Bestimmungen in Abschnitt 5.20.6 VLAREM II über den Geräuschpegel von Windkraftanlagen für die Genehmigung von Windparkprojekten relevant seien, da sie deren Standort in Bezug auf Wohngebäude und Wohngebiete unmittelbar festlegten. Dies sei bei den Bestimmungen über den Schattenwurf und die Sicherheit der Windkraftanlagen, die während des Betriebs der jeweiligen Windparks relevant seien, nicht der Fall: Deren Auswirkungen seien anhand der UVP-Richtlinie und nicht der SUP-Richtlinie zu prüfen.
97. Ich teile diesen Standpunkt nicht, da er auf einer isolierten Prüfung der Bestimmungen des Plans bzw. Programms und nicht ihrer Gesamtbetrachtung beruht. Zudem sind die Anforderungen hinsichtlich des Schattenwurfs und der Sicherheit der Windkraftanlagen unabhängig davon, dass sie später beim Betrieb des Windparks relevant sind, auch bei ihrer Errichtung zu berücksichtigen (wie im Übrigen auch die Geräuschpegelnormen).
98. Zweitens ist der Gerichtshof der Ansicht, dass der Begriff „Pläne und Programme“ Rechtsakte umfassen kann, die im Gesetzgebungs- oder Verordnungsweg erlassen wurden.
99. Der Gerichtshof hat sich dagegen ausgesprochen, legislative Maßnahmen vom Begriffspaar „Pläne und Programme“ auszunehmen, da diese Maßnahmen ausdrücklich Teil der Definition des Art. 2 Buchst. a erster Spiegelstrich der SUP-Richtlinie sind(49). Er hat auch eine Analogie zu den Kategorien des Übereinkommens von Aarhus(50) und des Protokolls von Kiew(51) abgelehnt, da die Richtlinie sich von beiden völkerrechtlichen Übereinkommen unterscheidet, da sie „gerade keine besonderen Bestimmungen über Politiken oder allgemeine Regelungen enthält, die eine Abgrenzung gegenüber ‚Plänen und Programmen‘ erfordern“(52).
100. Die belgische Regierung ist der Ansicht, bei Abschnitt 5.20.6 VLAREM II handele es sich um eine allgemeine Regelung, die keine programmatische oder planerische Dimension aufweise und mit der der bestehende Rahmen für die Errichtung von Windparks nicht geändert werden solle. Der besagte Abschnitt falle nicht unter den Begriff des Plans oder des Programms und bedürfe daher keiner SUP(53).
101. In Wirklichkeit würde diese Argumentation zu einer erneuten Auslegung der SUP-Richtlinie im Licht des Übereinkommens von Aarhus und des Protokolls von Kiew führen, nach denen Gesetzes- und Verordnungsvorschriften von einer Umweltverträglichkeitsprüfung befreit sind.
102. Ich habe bereits ausgeführt, dass der Gerichtshof diese Auslegung im Urteil D’Oultremont verworfen hat. Daher ist bei internen Vorschriften mit Verordnungscharakter (wie hier) eine SUP durchzuführen, wenn sie einen signifikanten Referenzrahmen für die Durchführung von Windparkprojekten setzen. Wie ich bereits ausgeführt habe, war dies bei den Regelungen, die im Urteil D’Oultremont geprüft wurden und deren Vorschriften, wie gesagt, den hier streitigen teilweise entsprechen, der Fall.
103. Drittens verlangt die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht, dass die Pläne und Programme „die Raumordnung eines ganz bestimmten Gebiets zum Gegenstand haben müssen“, sondern dass sie „in einem weiteren Sinne auf die Raumordnung von Gebieten oder Zonen im Allgemeinen abzielen“(54).
104. Abschnitt 5.20.6 VLAREM II betrifft ebenso wie die wallonische Regelung in der Rechtssache D’Oultremont das gesamte Gebiet einer Region (Flandern). Die in ihm festgelegten Lärmgrenzwerte weisen einen engen Bezug zu diesem Gebiet auf, da sie je nach den verschiedenen Nutzungsarten der jeweiligen geografischen Zonen festgelegt werden. Aus seiner Anwendung ergeben sich die Orte, an denen Windkraftanlagen errichtet werden können, wie es bei den Gemeinden Aalter und Nevele der Fall ist.
105. Schließlich hat der Gerichtshof festgestellt, dass vermieden werden sollte, dass derselbe Plan oder dasselbe Programm verschiedenen SUP unterzogen werden müssen. Daher sind, sofern zuvor ihre Auswirkungen geprüft wurden, von der SUP-Regelung Pläne und Programme ausgeschlossen, die sich in eine Hierarchie von Rechtsakten einfügen, die selbst Gegenstand einer Umweltverträglichkeitsprüfung waren und bei denen davon ausgegangen werden darf, dass die Interessen, die die SUP-Richtlinie schützen soll, hinreichend berücksichtigt worden sind(55).
106. Nach dieser Rechtsprechung müssten Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass, wenn sie Teil einer Abfolge an Rechtsvorschriften sind, deren Erlass bereits Gegenstand einer SUP war, nicht unbedingt einer weiteren spezifischen Prüfung unterzogen werden.
107. In den Verfahrensakten finden sich keine Angaben, die es erlauben, diesen Umstand festzustellen. Grundlage für Abschnitt 5.20.6 VLAREM II ist das Dekret über die Umweltweltgenehmigung, aber die in ihm aufgestellten Voraussetzungen für die Errichtung von Windparks stimmen nicht einmal mit denen der Grundnorm überein. Abschnitt 5.20.6 VLAREM II ist, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, für die Zwecke der SUP-Richtlinie ein neuer Plan bzw. ein neues Programm.
108. Wie ich bereits erwähnt habe, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob der Runderlass angesichts seines Inhalts als verdeckte Verwaltungsvorschrift Abschnitt 5.20.6 VLAREM II weiterentwickelt und ergänzt(56). Träfe dies zu, müsste er ebenfalls der SUP-Richtlinie unterworfen werden, denn auf den ersten Blick erhält er den Geräuschpegel betreffende Umweltqualitätsnormen, die weniger streng sind als in Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und die Errichtung von Windkraftwerken an Orten, an denen sie nach letztgenannter Norm nicht zulässig sind, gestatten.
109. Der Runderlass gibt den flämischen Verwaltungsbehörden offenbar die Möglichkeit, Ausnahmen von den geltenden Bestimmungen des VLAREM II bezüglich der Errichtung von Windkraftanlagen einfacher zu bewilligen. Dies würde bestätigen, dass er nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie fallen könnte(57).
110. Zusammenfassend fällt ein Regelwerk wie das hier streitige, dessen Bestimmungen den Rahmen für den Zugang zu Genehmigungen für Windparks in Bezug auf den Schattenwurf, die Sicherheit und den Geräuschpegel setzen, unter den Begriff der „Pläne und Programme“ des Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie und kann erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. In demselben Umfang bedarf es der Durchführung einer SUP gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie.
D. Achte und neunte Vorlagefrage
111. Das vorlegende Gericht bittet um Klarstellung, welche Auswirkungen das Urteil des Gerichtshofs auf die Pläne und Programme (und die auf ihrer Grundlage erlassenen Individualentscheidungen) hätte, wenn Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass einer SUP hätten unterzogen werden müssen. Konkret möchte es wissen, ob die Wirkungen einer eventuellen Nichtigerklärung begrenzt werden können, um die Wirkungen dieser Bestimmungen zum Schutz der Umwelt und der Sicherstellung der Stromversorgung vorläufig aufrechtzuerhalten.
112. Darüber hinaus fragt es, ob diese zeitliche Begrenzung nicht nur bei (direkten) Nichtigkeitsklagen gegen ohne SUP angenommene Pläne und Programme möglich ist, sondern auch bei (indirekten) Klagen, mit denen die geltend gemachte Nichtigkeit der Pläne und Programme der Grund – oder einer der Gründe – für die Anfechtung von Individualentscheidungen zur Genehmigung von Projekten ist, bei denen sie angewendet werden.
113. Das vorlegende Gericht führt im Zusammenhang mit dieser letzten Frage aus, für die Nichtigerklärung von Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und des Runderlasses nach belgischen Recht nicht zuständig zu sein(58). Es könne nur über Nichtigkeitsklagen gegen eine Individualentscheidung zur Genehmigung von Windkraftanlagen entscheiden(59), in deren Rahmen die mögliche Nichtigkeit von Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und des Runderlasses im Wege der Einrede der Rechtswidrigkeit geltend gemacht werde.
114. Der Gerichtshof hat entschieden, dass, da „die [SUP‑]Richtlinie … keine Bestimmungen hinsichtlich der Konsequenzen enthält, die aus einem Verstoß gegen die von ihr aufgestellten Verfahrensvorschriften zu ziehen wären, es Sache der Mitgliedstaaten ist, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit sämtliche Pläne und Programme, die erhebliche Umweltauswirkungen im Sinne dieser Richtlinie haben können, vor ihrer Annahme Gegenstand einer Umweltprüfung gemäß den von der Richtlinie vorgesehenen Verfahrensmodalitäten und Kriterien sind“(60).
115. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben, und diese Verpflichtung obliegt im Rahmen seiner Zuständigkeiten jedem Organ des betreffenden Mitgliedstaats.
116. Bezüglich der Verpflichtung, dem Unterbleiben der von der SUP-Richtlinie vorgeschriebenen Prüfung abzuhelfen, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung:
– Eine etwaige Aussetzung oder Aufhebung des mit einem solchen Fehler behafteten Rechtsakts obliegt auch den nationalen Gerichten, die mit Klagen gegen einen unter Verstoß gegen die SUP-Richtlinie erlassenen Rechtsakt des innerstaatlichen Rechts befasst werden.
– Es ist Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, eine solche Verfahrensmodalität zu regeln, wobei diese Modalität nicht weniger günstig ausgestaltet sein darf als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschweren darf (Effektivitätsgrundsatz).
– Diese Gerichte müssen auf der Grundlage ihres nationalen Rechts Maßnahmen zur Aussetzung oder Aufhebung eines unter Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung der von der Richtlinie geforderten SUP erlassenen Plans oder Programms ergreifen(61).
117. Aus dieser allgemeinen Verpflichtung ergibt sich, dass das nationale Gericht unter Verletzung der SUP-Richtlinie ohne SUP erlassene Pläne oder Programme aussetzen, aufheben oder unangewendet lassen muss, um den Vorrang des Unionsrechts durchzusetzen. Genehmigungen von Projekten, die auf sie gestützt sind, muss dieses Schicksal erst recht ereilen.
118. Der Gerichtshof hat aber auch entschieden, dass man „in Ausnahmefällen und aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit eine vorübergehende Aussetzung der Verdrängungswirkung herbeiführen kann, die eine Rechtsvorschrift der Union gegenüber ihr entgegenstehendem nationalem Recht ausübt“(62).
119. Dieses Privileg behält sich der Gerichtshof ausschließlich vor, denn wären die nationalen Gerichte befugt, nationalen Bestimmungen Vorrang vor ihnen entgegenstehendem Unionsrecht einzuräumen, und sei es auch nur vorläufig, würde die einheitliche Anwendung des Unionsrechts gefährdet.
120. Der Gerichtshof lässt es also zu, dass ein nationales Gericht, wenn das innerstaatliche Recht es erlaubt, ausnahmsweise und aufgrund einer Einzelfallprüfung bestimmte Wirkungen der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts, die unter Verstoß gegen die in der SUP-Richtlinie vorgesehenen Pflichten erlassen wurde, zeitlich begrenzen kann.
121. Damit es in Fällen wie dem vorliegenden von dieser Möglichkeit Gebrauch machen kann, muss die Begrenzung durch ein zwingendes Erfordernis im Zusammenhang mit dem Umweltschutz geboten sein und das vorlegende Gericht die besonderen Umstände der Rechtssache, mit der es befasst ist, berücksichtigen. Diese Ausnahmebefugnis kann nur ausgeübt werden, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, die sich aus dem Urteil Inter-Environnement Wallonie(63) ergeben, auf die ich weiter unten eingehe(64).
122. Zur UVP-Richtlinie hat der Gerichtshof außerdem entschieden(65), dass, wenn für ein Projekt die nach dieser Richtlinie erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchgeführt wurde, die Mitgliedstaaten zwar die rechtswidrigen Folgen beheben müssen, das Unionsrecht aber nicht verbietet, dass während oder sogar nach der Durchführung des Projekts zu seiner Legalisierung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind(66).
123. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass es der Gerichtshof ausnahmsweise zulässt, dass die nationalen Gerichte unter strengen Voraussetzungen die „Verdrängungswirkung“ des Vorrangs der SUP-Richtlinie vorübergehend aussetzen, um ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses wie die Umwelt oder die Versorgungssicherheit eines Landes zu schützen.
124. Diese Möglichkeit wurde bislang in Fällen bejaht, in denen bei nationalen Gerichten Nichtigkeitsklagen gegen Pläne und Programme erhoben wurden, die unter den Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie fielen und deren Annahme keiner SUP unterzogen wurde(67). Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob diese Möglichkeit auf Klagen gegen Individualentscheidungen zur Genehmigung von Windkraftanlagen erstreckt werden kann, durch die diese Pläne und Programme umgesetzt werden(68).
125. Die Parteien, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, vertreten zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen:
– Die Kommission ist der Ansicht, die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Aufrechterhaltung der Wirkungen der mit der SUP-Richtlinie unvereinbaren Pläne und Programme sei nur im Rahmen einer direkten Nichtigkeitsklage gegen solche Pläne und Programme zulässig. Sie sieht keinen Grund für ihre Erstreckung auf individuelle Genehmigungsentscheidungen.
– Die belgische Regierung spricht sich für die entgegengesetzte These aus. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung einer Rechtswidrigkeitseinrede (mit der der Plan oder das Programm selbst wegen eines Verstoßes gegen die SUP-Richtlinie mittelbar angefochten werden, um die Gültigkeit der Genehmigung eines einzelnen Projekts anzugreifen) mache die Anwendung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs ratsam(69).
126. Abstrakt betrachtet halte ich die Argumente der belgischen Regierung für überzeugender. Schlussendlich soll mit den beiden Anfechtungsmodalitäten (direkte bzw. indirekte Klagen) dasselbe Ziel erreicht werden, nämlich die Bereinigung der Rechtsordnung von – soweit es hier von Bedeutung ist – unionsrechtswidrigen Entscheidungen und Vorschriften.
127. Eine der Überlegungen, die den Gerichtshof zur Fortentwicklung seiner Rechtsprechung zur Aufrechterhaltung der Wirkungen eines mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Rechtsakts veranlasst haben, ist das Bestreben nach Rechtssicherheit. Die Unsicherheit (bzw. das rechtliche Vakuum), zu der die Feststellung der Ungültigkeit einer solchen Regelung führt, erhöht sich, wenn den (direkten) Nichtigkeitsklagen mit Wirkung erga omnes stattgegeben wird, entsteht aber auch bei den indirekten Klagen, wenn der Einrede der Rechtswidrigkeit stattgegeben wird(70). Deren Vervielfachung kann tatsächlich dieselben Folgen haben wie die unmittelbare Nichtigerklärung der entsprechenden Bestimmung(71).
128. Die Anwendung der Analogie, die der Gerichtshof im Urteil Winner Wetten ansprach, könnte also die vorübergehende Aussetzung der „Verdrängungswirkung“ des Vorrangs durch das nationale Gericht auch im Rahmen von Einreden der Rechtswidrigkeit gegen Individualentscheidungen über die Anwendung von Plänen und Programmen, die unter Verstoß gegen die SUP-Richtlinie angenommen wurden, rechtfertigen(72).
129. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die Verpflichtung zur Durchführung einer SUP ein Verfahrenserfordernis ist, das bei der Annahme bestimmter Pläne und Programme erfüllt werden muss. Es ist denkbar, dass Letztgenannte, auch wenn sie dieses Erfordernis nicht erfüllt haben, einen materiellen Inhalt haben, der ein hohes Umweltschutzniveau widerspiegelt.
130. Dieser Umstand (der die weiter oben dargestellte „permissive“ Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Teil erklärt) betrifft sowohl direkte Nichtigkeitsklagen gegen Pläne oder Programme, die ohne die vorgeschriebene SUP angenommen wurden, wie indirekte Klagen, bei denen der Verstoß gegen das Unionsrecht im Wege der Einrede der Rechtswidrigkeit gegen Individualentscheidungen zur Anwendung des Plans oder des Programms geltend gemacht wird.
131. Schließlich sind der Umweltschutz und die Stromversorgungssicherheit in einem Mitgliedstaat zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die der Gerichtshof als Rechtfertigung für die Aussetzung der „Verdrängungswirkung“ des Vorrangs vor dem unter Verstoß gegen die SUP-Richtlinie erlassenem nationalen Recht anerkannt hat.
132. Im vorliegenden Fall könnte zumindest einer dieser zwingenden Gründe (der Umweltschutz)(73) die vorübergehende Aufrechterhaltung der Wirkungen der Genehmigung für den Bau der fünf Windkraftanlagen in den Gemeinden Aalter und Nevele und indirekt der ihnen zugrunde liegenden Regeln rechtfertigen.
133. Diese Ausnahmebefugnis, die der Gerichtshof dem nationalen Gericht einräumen kann, kann jedoch nur ausgeübt werden, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, die sich aus dem Urteil Inter-Environnement Wallonie(74) ergeben, nämlich:
– Die angefochtene Bestimmung des nationalen Rechts muss eine Maßnahme zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Umweltschutzrechts der Union darstellen.
– Die Verabschiedung und das Inkrafttreten einer neuen Bestimmung des nationalen Rechts würde es nicht ermöglichen, die sich aus der Nichtigerklärung der angefochtenen Bestimmung des nationalen Rechts ergebenden schädigenden Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden.
– Die Nichtigerklärung der streitigen Bestimmung des nationalen Rechts muss zur Folge haben, dass hinsichtlich der Umsetzung des Umweltschutzrechts der Union ein rechtliches Vakuum geschaffen würde, das insofern noch nachteiliger für die Umwelt wäre, als die Nichtigerklärung zu einem geringeren Schutz führen würde und damit dem wesentlichen Zweck des Unionsrechts zuwiderliefe.
– Eine ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Wirkungen der angefochtenen Bestimmung des nationalen Rechts darf nur den Zeitraum umfassen, der zwingend notwendig ist, um Maßnahmen zu erlassen, die die Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit ermöglichen.
134. Nach den Angaben im Vorlagebeschluss und den eingereichten Erklärungen sind diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt:
– Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass stellen eine Maßnahme zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Umweltschutzrechts der Union, nämlich der Richtlinie 2009/28, dar. Die Fortentwicklung der Stromerzeugung durch Windparks ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Strategie des belgischen Staates zur Steigerung der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien für das Jahr 2020.
– Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und der Runderlass waren ein wichtiges Element der belgischen Vorschriften über die Errichtung von Windkraftanlagen und dienten seit dem 31. März 2012 nach Angaben des vorlegenden Gerichts maßgeblich als Grundlage für die Erteilung von individuellen Genehmigungen für die Errichtung von Windkraftanlagen.
– Die Verabschiedung und das Inkrafttreten einer neuen Bestimmung des nationalen Rechts würden es nicht ermöglichen, die sich aus der Nichtigerklärung von Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und des Runderlasses ergebenden schädigenden Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden. Eine solche Nichtigerklärung würde es ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen für die Errichtung von Windkraftanlagen in der Region Flandern seit dem 31. März 2012 massenhaft anzufechten mit der Folge, dass sogar ihre Einstellung beschlossen werden könnte.
– Die Nichtigerklärung von Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und des Runderlasses hätte zur Folge, dass hinsichtlich der Umsetzung des Umweltschutzrechts der Union ein rechtliches Vakuum geschaffen würde, das noch nachteiliger für die Umwelt wäre. Konkret würden in der Region Flandern die Referenznormen über den Geräuschpegel, den Schattenwurf und die Sicherheit von Windkraftanlagen entfallen, so dass die Gefahr bestünde, dass sie mit niedrigeren Umweltschutzstandards errichtet werden könnten.
135. Zusammenfassend erscheint es logischer, dass der Gerichtshof bejaht, dass das nationale Gericht, wenn es sein innerstaatliches Recht vorsieht(75), die Wirkungen von Abschnitt 5.20.6 VLAREM II und des Runderlasses sowie die auf ihrer Grundlage erteilten Genehmigungen für die Errichtung von Windkraftanlagen vorübergehend für den Zeitraum aufrechterhalten kann, der zwingend notwendig ist, um Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Unregelmäßigkeit erlassen zu können, also den Zeitraum, der unerlässlich ist, damit die zuständigen regionalen Behörden dieses Regelwerk einer SUP unterziehen können.
136. Außerdem könnte die flämische Regelung, wenn diese Prüfung positiv ausfällt, weiterhin als Plan oder Programm angewendet werden, der bzw. das der SUP-Richtlinie entspricht, sobald die SUP nachgeholt worden ist.
IV. Ergebnis
137. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien) wie folgt zu beantworten:
1. Eine nationale Regelung, die präzise Vorschriften über den Schattenwurf, die Sicherheit und den Geräuschpegel von Windparks als Referenzrahmen für die Genehmigung des Standorts und der Art künftiger Projekte für die Errichtung von Windkraftanlagen enthält, fällt unter den Begriff der „Pläne und Programme“ des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme und hat erhebliche Auswirkungen hierauf, so dass sie gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie vorab einer strategischen Umweltprüfung unterzogen werden muss.
2. Das nationale Gericht kann, wenn es der Klage stattgibt und die Einrede der Rechtswidrigkeit der streitigen innerstaatlichen Vorschriften bejaht, die zeitlichen Wirkungen seines Urteils im Ausgangsverfahren beschränken, um die Wirkungen der Genehmigungen für die Errichtung von Windkraftanlagen zu Umweltschutzzwecken vorübergehend aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls die Stromversorgung zu gewährleisten. Diese Möglichkeit steht unter der Voraussetzung, dass die im Urteil vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne (C‑41/11, EU:C:2012:103), aufgestellten Bedingungen erfüllt werden, soweit sie sich auf die Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG beziehen.