Language of document : ECLI:EU:C:2016:127

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

1. März 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterzeichnet am 28. Juli 1951 in Genf – Art. 23 und 26 – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2011/95/EU – Normen für den Inhalt des internationalen Schutzes – Durch den subsidiären Schutz vermittelte Rechtsstellung – Art. 29 – Sozialhilfeleistungen – Zugangsvoraussetzungen – Art. 33 – Freizügigkeit innerhalb des Aufnahmemitgliedstaats – Begriff – Beschränkung – Verpflichtung zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort – Unterschiedliche Behandlung – Vergleichbarkeit der Situationen – Gleichmäßige Verteilung der Haushaltslasten auf die Verwaltungskörperschaften – Migrations- und integrationspolitische Gründe“

In den verbundenen Rechtssachen C‑443/14 und C‑444/14

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 19. August 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2014, in den Verfahren

Kreis Warendorf

gegen

Ibrahim Alo (C‑443/14)

und

Amira Osso

gegen

Region Hannover (C‑444/14),

Beteiligter:

Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (C‑443/14 und C‑444/14),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen (Berichterstatter) und T. von Danwitz, der Kammerpräsidentin C. Toader, der Kammerpräsidenten D. Šváby, F. Biltgen und C. Lycourgos, der Richter A. Rosas, E. Juhász, A. Borg Barthet und M. Safjan sowie der Richterinnen M. Berger, A. Prechal und K. Jürimäe,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Kreises Warendorf, vertreten durch L. Tepe als Bevollmächtigten,

–        von Herrn Alo, vertreten durch Rechtsanwalt S. Bulut,

–        von Frau Osso, vertreten durch die Rechtsanwältinnen S. Ziesemer und K.‑S. Janutta,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

–        der hellenischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und W. Bogensberger als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Oktober 2015

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337, S. 9).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, in der Rechtssache C‑443/14 zwischen dem Kreis Warendorf und Herrn Alo und in der Rechtssache C‑444/14 zwischen Frau Osso und der Region Hannover, wegen der Wohnsitzauflage, mit der die Aufenthaltserlaubnisse von Herrn Alo und Frau Osso verbunden wurden.

 Rechtlicher Rahmen

 Genfer Konvention

3        Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden: Genfer Konvention).

4        Art. 23 („Öffentliche Fürsorge“) der Genfer Konvention lautet:

„Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren.“

5        Art. 26 („Freizügigkeit“) der Genfer Konvention sieht vor:

„Jeder vertragschließende Staat wird den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden.“

 Unionsrecht

6        In den Erwägungsgründen 3, 4, 6, 8, 9, 16, 23, 24, 33 und 39 der Richtlinie 2011/95 heißt es:

„(3)      Der Europäische Rat kam auf seiner Sondertagung in Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999 überein, auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem hinzuwirken, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung [der Genfer Konvention] stützt …

(4)      Die [Genfer Konvention stellt] einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar.

(6)      In den Schlussfolgerungen von Tampere ist ferner festgehalten, dass die Vorschriften über die Flüchtlingseigenschaft durch Maßnahmen zu den Formen des subsidiären Schutzes ergänzt werden sollten, die einer Person, die eines solchen Schutzes bedarf, einen angemessenen Status verleihen.

(8)      In dem am 15. und 16. Oktober 2008 angenommenen Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl hat der Europäische Rat festgestellt, dass zwischen den Mitgliedstaaten weiterhin beträchtliche Unterschiede bei der Gewährung von Schutz und den Formen dieses Schutzes bestehen[,] und gefordert, dass neue Initiativen ergriffen werden sollten, um die Einführung des im Haager Programm vorgesehenen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu vollenden und so ein höheres Schutzniveau zu bieten.

(9)      Im Programm von Stockholm hat der Europäische Rat wiederholt sein Ziel betont, bis spätestens 2012 auf der Grundlage eines gemeinsamen Asylverfahrens und eines einheitlichen Status gemäß Artikel 78 [AEUV] für Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, einen gemeinsamen Raum des Schutzes und der Solidarität zu errichten.

(16)      Diese Richtlinie achtet die Grundrechte und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze. …

(23)      Es sollten Normen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer [Konvention] zu leiten.

(24)      Es müssen gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer [Konvention] eingeführt werden.

(33)      Ferner sollten Normen für die Bestimmung und die Merkmale des subsidiären Schutzstatus festgelegt werden. Der subsidiäre Schutzstatus sollte den in der Genfer [Konvention] festgelegten Schutz für Flüchtlinge ergänzen.

(39)      Bei der Berücksichtigung der Forderung des Stockholmer Programms nach Einführung eines einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und abgesehen von den Ausnahmeregelungen, die notwendig und sachlich gerechtfertigt sind, sollten Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, dieselben Rechte und Leistungen zu denselben Bedingungen gewährt werden wie Flüchtlingen gemäß dieser Richtlinie.“

7        Die Abs. 1 und 2 von Art. 20 dieser Richtlinie, der zu ihrem den Inhalt des internationalen Schutzes betreffenden Kapitel VII gehört, lauten:

„(1)      Die Bestimmungen dieses Kapitels berühren nicht die in der Genfer [Konvention] verankerten Rechte.

(2)      Sofern nichts anderes bestimmt wird, gilt dieses Kapitel sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz.“

8        Art. 29 („Sozialhilfeleistungen“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten.

(2)      Abweichend von der allgemeinen Regel nach Absatz 1 können die Mitgliedstaaten die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige gewähren.“

9        Art. 32 der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Zugang zu Wohnraum unter Bedingungen erhalten, die den Bedingungen gleichwertig sind, die für andere Drittstaatsangehörige gelten, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.

(2)      Bei der Anwendung eines nationalen Verteilungsmechanismus für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, sind die Mitgliedstaaten bestrebt, Maßnahmen zur Verhinderung der Diskriminierung von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und zur Gewährleistung der Chancengleichheit beim Zugang zu Wohnraum zu ergreifen.“

10      Art. 33 („Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats“) der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten gestatten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.“

 Deutsches Recht

11      § 12 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (BGBl. 2004 I S. 1950) in der in den Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: AufenthG) sieht vor:

„(1)      Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.

(2)      Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden.“

12      In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG vom 26. Oktober 2009 heißt es:

„12.2.5.2.1 Die wohnsitzbeschränkende Auflage stellt insbesondere ein geeignetes Mittel dar, um mittels einer regionalen Bindung die überproportionale fiskalische Belastung einzelner Länder und Kommunen durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zu verhindern. Entsprechende Auflagen können auch dazu beitragen, einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und der damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Entsprechende Maßnahmen sind auch gerechtfertigt, um Ausländer mit einem besonderen Integrationsbedarf an einen bestimmten Wohnort zu binden, damit sie dort von den Integrationsangeboten Gebrauch machen können.

12.2.5.2.2  Vor diesem Hintergrund werden wohnsitzbeschränkende Auflagen erteilt und aufrechterhalten bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des [AufenthG] bzw. Niederlassungserlaubnissen nach § 23 Absatz 2, soweit und solange sie Leistungen nach dem [Sozialgesetzbuch] II oder XII oder dem [Asylbewerberleistungsgesetz] beziehen.“

13      Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung sind diese Verwaltungsvorschriften nur auf Ausländer anwendbar, denen aus humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen ein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Ferner ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass nach der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts Wohnsitzauflagen für Drittstaatsangehörige mit Flüchtlingseigenschaft, die allein zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten dienen, nicht zulässig sind.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Herr Alo und Frau Osso sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten in den Jahren 1998 bzw. 2001 nach Deutschland ein und stellten dort erfolglos Asylanträge. Danach lebten sie aufgrund von Duldungen in diesem Mitgliedstaat. Seit Beginn ihrer Asylverfahren beziehen sie dort Leistungen der sozialen Sicherung.

15      Im Anschluss an erneute Asylanträge wurde ihnen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der subsidiäre Schutzstatus gewährt.

16      Die Herrn Alo und Frau Osso mit Entscheidungen des Kreises Warendorf vom 12. Oktober 2012 bzw. der Region Hannover vom 5. April 2012 erteilten Aufenthaltserlaubnisse waren mit der Auflage verbunden, ihren Wohnsitz in der Stadt Ahlen (Deutschland) bzw. der Region Hannover mit Ausnahme der Hauptstadt des Landes Niedersachsen zu nehmen. Die Behörden stützten sich in ihren Entscheidungen auf die Ziffern 12.2.5.2.1 und 12.2.5.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG.

17      Herr Alo und Frau Osso fechten in den beiden Ausgangsverfahren die ihnen erteilten Wohnsitzauflagen an. Ihre Klagen wurden in erster Instanz abgewiesen.

18      Die von Herrn Alo beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eingelegte Berufung war erfolgreich. Dieses Gericht hob die Wohnsitzauflage auf und stellte im Wesentlichen fest, dass der Bescheid des Kreises Warendorf gegen Art. 28 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 32 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12) verstoße; diesen Vorschriften entsprechen die Art. 29 Abs. 1 und 33 der Richtlinie 2011/95.

19      Dagegen wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung von Frau Osso zurück. Es stellte insbesondere fest, dass der angefochtene Bescheid wegen des Bezugs verschiedener Sozialleistungen durch Frau Osso mit den anwendbaren Rechtsvorschriften im Einklang stehe. Der Bescheid verstoße auch nicht gegen Völkerrecht oder Unionsrecht.

20      Der Kreis Warendorf und Frau Osso legten gegen die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein.

21      Das Bundesverwaltungsgericht hat beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C‑443/14 und C‑444/14 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stellt die Auflage, den Wohnsitz in einem räumlich begrenzten Bereich (Gemeinde, Landkreis, Region) des Mitgliedstaats zu nehmen, eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Sinne von Art. 33 der Richtlinie 2011/95 dar, wenn der Ausländer sich ansonsten im Staatsgebiet des Mitgliedstaats frei bewegen und aufhalten kann?

2.      Ist eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit Art. 33 und/oder Art. 29 der Richtlinie 2011/95 vereinbar, wenn sie darauf gestützt wird, eine angemessene Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten auf deren jeweilige Träger innerhalb des Staatsgebiets zu erreichen?

3.      Ist eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit Art. 33 und/oder Art. 29 der Richtlinie 2011/95 vereinbar, wenn sie auf migrations- oder integrationspolitische Gründe gestützt wird, etwa um soziale Brennpunkte durch die gehäufte Ansiedlung von Ausländern in bestimmten Gemeinden oder Landkreisen zu verhindern? Reichen insoweit abstrakte migrations- oder integrationspolitische Gründe aus, oder müssen solche Gründe konkret festgestellt werden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

22      Mit seiner ersten Frage in beiden Ausgangsverfahren möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 33 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass eine Wohnsitzauflage, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, auch dann eine Einschränkung der durch diesen Artikel gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, wenn sie es dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Ortes aufzuhalten.

23      Nach Art. 33 der Richtlinie 2011/95 gestatten die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.

24      Allein anhand des Wortlauts dieser Vorschrift lässt sich nicht feststellen, ob sie nur impliziert, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die Möglichkeit haben müssen, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen, oder ob sie auch bedeutet, dass diese Personen die Möglichkeit haben müssen, ihren Wohnsitz in diesem Hoheitsgebiet zu wählen.

25      Dass Art. 33 der Richtlinie 2011/95 mit „Freizügigkeit“ überschrieben ist, vermag die Mehrdeutigkeit seines Wortlauts nicht zu beseitigen. Wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge festgestellt hat, wird dieser Ausdruck im Unionsrecht nämlich nicht einheitlich verwendet. Einige unionsrechtliche Bestimmungen unterscheiden ausdrücklich zwischen der Freizügigkeit und der freien Wohnsitzwahl, während andere den Begriff „Freizügigkeit“ in einem Sinne verwenden, der auch das Recht der Wohnsitzwahl umfasst.

26      Außerdem könnte die Überschrift des Art. 33 der Richtlinie 2011/95 zwar in ihrer deutschen Sprachfassung („Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats“) so aufgefasst werden, dass die in diesem Artikel verankerte Freizügigkeit das Recht der Wohnsitzwahl umfasst, doch wird eine solche Auslegung durch andere Sprachfassungen der Richtlinie, insbesondere die spanische, die dänische, die englische, die französische und die italienische Sprachfassung, nicht gestützt.

27      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann aber die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Rechtstexts der Union voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil GSV, C‑74/13, EU:C:2014:243, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Hierzu ist festzustellen, dass die Genfer Konvention, wie aus den Erwägungsgründen 4, 23 und 24 der Richtlinie 2011/95 hervorgeht, einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen der Richtlinie über die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und über deren Inhalt erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien zu leiten (vgl. entsprechend Urteil Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 42).

29      Die Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 sind daher im Licht ihrer allgemeinen Systematik und ihres Zwecks unter Beachtung der Genfer Konvention und der in Art. 78 Abs. 1 AEUV angesprochenen anderen einschlägigen Verträge auszulegen. Bei dieser Auslegung sind zudem, wie dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie zu entnehmen ist, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Rechte zu achten (vgl. entsprechend Urteil Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Ferner geht aus dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95 hervor, dass der Unionsgesetzgeber, ausgehend von den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere, dafür sorgen wollte, dass sich das europäische Asylsystem, zu dessen Definition diese Richtlinie beiträgt, auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Konvention stützt.

31      Diese Erwägungen sind, soweit sie sich auf die Genfer Konvention beziehen, grundsätzlich nur für die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und deren Inhalt relevant, da die in der Konvention vorgesehene Regelung nur für Flüchtlinge gilt und nicht für Personen mit subsidiärem Schutzstatus, der gemäß den Erwägungsgründen 6 und 33 der Richtlinie 2011/95 den in der Konvention festgelegten Schutz der Flüchtlinge ergänzen soll (vgl. in diesem Sinne Urteile Diakité, C‑285/12, EU:C:2014:39, Rn. 33, und N., C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 31).

32      Gleichwohl heißt es in den Erwägungsgründen 8, 9 und 39 der Richtlinie 2011/95, dass der Unionsgesetzgeber unter Berücksichtigung der Forderung des Stockholmer Programms einen einheitlichen Status für alle Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, einführen wollte und sich deshalb dafür entschieden hat, den Personen mit subsidiärem Schutzstatus, abgesehen von den notwendigen und sachlich gerechtfertigten Ausnahmeregelungen, dieselben Rechte und Leistungen zu gewähren wie Flüchtlingen.

33      Nach Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie gilt somit das den Inhalt des internationalen Schutzes betreffende Kapitel VII, sofern nichts anderes bestimmt wird, sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit subsidiärem Schutzstatus.

34      Zwar wird in einigen Artikeln dieses Kapitels etwas anderes bestimmt, nicht jedoch in Art. 33 der Richtlinie 2011/95. Nach seinem Wortlaut wird die darin verankerte „Freizügigkeit“ im Gegenteil „Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist“, gewährt; dies bedeutet, dass Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus insoweit derselben Regelung unterliegen.

35      Art. 26 der Genfer Konvention, wonach Flüchtlingen Freizügigkeit zu gewähren ist, sieht ausdrücklich vor, dass die Freizügigkeit nicht nur das Recht umfasst, sich im Gebiet des Staates, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, frei zu bewegen, sondern auch das Recht der Flüchtlinge, dort ihren Aufenthalt zu wählen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 2011/95 nur das erste dieser Rechte übernehmen wollte, nicht aber das zweite.

36      Eine Auslegung von Art. 33 der Richtlinie, nach der dieser Artikel Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht das Recht zur Wahl ihres Aufenthalts im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der diesen Schutz gewährt hat, zuerkennt, würde unter diesen Umständen bedeuten, dass dieses Recht nur Flüchtlingen garantiert würde. Dadurch würde, trotz des Fehlens einer ausdrücklichen dahin gehenden Bestimmung in der Richtlinie, eine Unterscheidung zwischen dem Inhalt des insoweit Flüchtlingen einerseits und Personen mit subsidiärem Schutzstatus andererseits gewährleisteten Schutzes vorgenommen, die dem in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils genannten Ziel zuwiderliefe.

37      Daher ist Art. 33 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, sowohl zu gestatten, sich im Gebiet des Mitgliedstaats, der diesen Schutz gewährt hat, frei zu bewegen, als auch, dort ihren Aufenthalt zu wählen.

38      Die Klarstellung in Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95, wonach ein nationaler Verteilungsmechanismus für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, zulässig ist, vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen.

39      Diese Klarstellung ist nämlich im Hinblick auf den Gegenstand von Art. 32 dahin zu verstehen, dass den Mitgliedstaaten nur ermöglicht werden soll, einen solchen Mechanismus in ihre Politik des Zugangs zu Wohnraum zu integrieren.

40      Nach alledem ist auf die erste Frage in beiden Ausgangsverfahren zu antworten, dass Art. 33 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass eine Wohnsitzauflage, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, auch dann eine Einschränkung der durch diesen Artikel gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, wenn sie es dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Ortes aufzuhalten.

 Zur zweiten Frage

41      Mit seiner zweiten Frage in beiden Ausgangsverfahren möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen.

42      In Bezug auf Art. 33 der Richtlinie geht zwar aus der Antwort auf die erste Frage hervor, dass die Erteilung einer Wohnsitzauflage wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Einschränkung der durch diesen Artikel garantierten Freizügigkeit darstellt. Diese Vorschrift lässt aber bestimmte Einschränkungen der Freizügigkeit zu.

43      Nach Art. 33 der Richtlinie ist Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, das Recht, sich frei zu bewegen, allerdings unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen einzuräumen wie anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhalten, der diesen Schutz gewährt hat.

44      Art. 26 der Genfer Konvention, der nach den Erwägungen in den Rn. 28 bis 37 des vorliegenden Urteils für die Bestimmung des Umfangs der Freizügigkeit von Personen mit subsidiärem Schutzstatus relevant ist, sieht vor, dass Flüchtlingen die Freizügigkeit vorbehaltlich der Bestimmungen gewährt wird, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden.

45      Folglich dürfen aufgrund von Art. 33 der Richtlinie 2011/95 Personen mit subsidiärem Schutzstatus bei der Wahl ihres Wohnsitzes grundsätzlich keiner strengeren Regelung unterworfen werden als andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in dem Mitgliedstaat aufhalten, der diesen Schutz gewährt hat.

46      Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung bestimmter Sozialleistungen (im Folgenden: Sozialhilfe) verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, eine Wohnsitzauflage Drittstaatsangehörigen erteilt, die aus humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen aufenthaltsberechtigt sind – mit Ausnahme von Flüchtlingen – und Sozialhilfe beziehen.

47      Die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung unterwirft also insoweit Personen mit subsidiärem Schutzstatus einer strengeren als der allgemein für Flüchtlinge und für Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, geltenden Regelung.

48      Zu Art. 29 der Richtlinie 2011/95 ist festzustellen, dass in dessen Abs. 1 die allgemeine Regel aufgestellt wird, wonach Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Diese Regel bedeutet insbesondere, dass der Zugang dieser Personen zur Sozialhilfe nicht von der Erfüllung von Bedingungen abhängig gemacht werden darf, die den Angehörigen des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats nicht auferlegt werden.

49      Art. 29 Abs. 2 der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten abweichend von der genannten Regel die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken können. Aus dieser Bestimmung geht jedoch klar hervor, dass die Kernleistungen, wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, von der Regel abzuweichen, unter denselben Voraussetzungen wie für Angehörige dieses Mitgliedstaats gewährt werden müssen.

50      Folglich müssen in beiden von Art. 29 der Richtlinie 2011/95 erfassten Fällen die Voraussetzungen des Zugangs der Personen mit subsidiärem Schutzstatus zu der Sozialhilfe, die sie von dem Mitgliedstaat erhalten, der diesen Schutz gewährt hat, dieselben sein wie bei der Gewährung von Sozialhilfe für Angehörige dieses Mitgliedstaats.

51      Art. 23 der Genfer Konvention, der nach den Erwägungen in den Rn. 28 bis 37 des vorliegenden Urteils für die Auslegung von Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 relevant ist, bestätigt diese Analyse, denn er sieht vor, dass die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren werden.

52      Aus den Erwägungen in Rn. 46 des vorliegenden Urteils geht hervor, dass Wohnsitzauflagen wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Personen mit subsidiärem Schutzstatus erteilt werden, wenn sie Sozialhilfe beziehen.

53      Im Gegensatz zu deutschen Staatsangehörigen, für die es keine solchen Wohnsitzauflagen gibt, kann daher eine Person mit subsidiärem Schutzstatus nur dann Sozialhilfe in Anspruch nehmen, wenn sie bereit ist, eine Wohnsitzauflage hinzunehmen.

54      Eine nationale Regelung, die die Erteilung einer Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus vorsieht, nicht aber für Flüchtlinge, für Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und für Angehörige dieses Mitgliedstaats, wäre allerdings dann zulässig, wenn sich diese Personengruppen im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befänden.

55      Hierzu ist jedoch festzustellen, dass die Gewährung von Sozialleistungen für den Träger, der diese Leistungen zu erbringen hat, unabhängig davon eine Last darstellt, ob es sich beim Empfänger um eine Person mit subsidiärem Schutzstatus, einen Flüchtling, einen Drittstaatsangehörigen, der sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhält, oder einen deutschen Staatsangehörigen handelt. Ortsveränderungen von Empfängern solcher Leistungen oder ihre ungleiche Konzentration im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats können somit zu einer unangemessenen Verteilung dieser Last auf die zuständigen Träger führen, ohne dass der etwaigen Eigenschaft der Empfänger als Person mit subsidiärem Schutzstatus insoweit besondere Relevanz zukäme.

56      Nach alledem ist auf die zweite Frage in beiden Ausgangsverfahren zu antworten, dass die Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn in der anwendbaren nationalen Regelung nicht vorgesehen ist, dass eine solche Maßnahme Flüchtlingen, Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und Angehörigen dieses Mitgliedstaats im Fall des Bezugs der genannten Leistungen auferlegt wird.

 Zur dritten Frage

57      Mit seiner dritten Frage in beiden Ausgangsverfahren möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 29 und/oder Art. 33 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern.

58      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die im deutschen Recht vorgesehene Wohnsitzauflage im Rahmen des in der vorstehenden Randnummer genannten Ziels zum einen die Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Drittstaatsangehöriger in bestimmten Gebieten und die Entstehung sozialer Brennpunkte mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration verhindern und zum anderen Drittstaatsangehörige mit besonderem Integrationsbedarf an einen bestimmten Wohnort binden soll, damit sie dort von den Integrationsangeboten Gebrauch machen können.

59      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 29 der Richtlinie 2011/95 im Rahmen der Prüfung der dritten Frage nicht relevant ist, da sich Personen mit subsidiärem Schutzstatus und deutsche Staatsangehörige im Hinblick auf das Ziel, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern, nicht in einer vergleichbaren Situation befinden.

60      Zu Art. 33 der Richtlinie geht aus den Angaben in den Rn. 12 und 13 des vorliegenden Urteils hervor, dass sich nach der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung die Behandlung von Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die Sozialhilfe beziehen, von der allgemeinen Behandlung Drittstaatsangehöriger, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, und deutscher Staatsangehöriger unterscheidet.

61      Wie aus den Erwägungen in Rn. 54 des vorliegenden Urteils hervorgeht, steht Art. 33 der Richtlinie 2011/95 einer aufgrund einer solchen Regelung erteilten Wohnsitzauflage für eine Person mit subsidiärem Schutzstatus, die Sozialhilfe bezieht, nur dann entgegen, wenn sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, objektiv vergleichbar ist.

62      Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger, der Sozialhilfe bezieht, internationalen Schutz – im vorliegenden Fall subsidiären Schutz – genießt, impliziert, dass er in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sein wird als ein anderer Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhält und Sozialhilfe bezieht.

63      Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig in Deutschland aufhalten, aufgrund der vom vorlegenden Gericht angeführten nationalen Vorschrift, nach der ihr Aufenthalt in der Regel davon abhängt, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst sichern können, erst nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von gewisser Dauer im Aufnahmemitgliedstaat Sozialhilfe in Anspruch nehmen können. Ein solcher Aufenthalt könnte nämlich darauf hindeuten, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen hinreichend in diesen Mitgliedstaat integriert sind, so dass sie sich im Hinblick auf das Ziel, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern, nicht in einer Situation befänden, die mit der von Personen mit internationalem Schutzstatus vergleichbar ist.

64      Nach alledem ist auf die dritte Frage in beiden Ausgangsverfahren zu antworten, dass Art. 33 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass er einer Wohnsitzauflage nicht entgegensteht, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern – während die anwendbare nationale Regelung nicht vorsieht, dass eine solche Maßnahme Drittstaatsangehörigen auferlegt wird, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten und die genannten Leistungen beziehen –, sofern sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das genannte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, objektiv vergleichbar ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

 Kosten

65      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass eine Wohnsitzauflage, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, auch dann eine Einschränkung der durch diesen Artikel gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, wenn sie es dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Ortes aufzuhalten.

2.      Die Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95 sind dahin auszulegen, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn in der anwendbaren nationalen Regelung nicht vorgesehen ist, dass eine solche Maßnahme Flüchtlingen, Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und Angehörigen dieses Mitgliedstaats im Fall des Bezugs der genannten Leistungen auferlegt wird.

3.      Art. 33 der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass er einer Wohnsitzauflage nicht entgegensteht, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern – während die anwendbare nationale Regelung nicht vorsieht, dass eine solche Maßnahme Drittstaatsangehörigen auferlegt wird, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten und die genannten Leistungen beziehen –, sofern sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das genannte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, objektiv vergleichbar ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.