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Vorabentscheidungsersuchen des Conseil du Contentieux des Étrangers (Belgien), eingereicht am 26. Januar 2024 – X/Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides

(Rechtssache C-54/24, Rabat 1 )

Verfahrenssprache: Französisch

Vorlegendes Gericht

Conseil du Contentieux des Étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen)

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: X

Beklagter: Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose)

Vorlagefragen

Fällt ein Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz, der an der Grenze oder in einer Transitzone von einem Antragsteller gestellt wird, der während dieses Verfahrens an einem Ort festgehalten wird, der geografisch im Staatsgebiet liegt, aber kraft einer Rechtsvorschrift einem Ort an der Grenze gleichgesetzt ist, in den Anwendungsbereich von Art. 43 der Richtlinie 2013/32/EU1 ?

Fällt die Prüfung eines solchen Antrags auf internationalen Schutz eines Antragstellers, dem nach Ablauf der in Art. 43 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Vierwochenfrist kraft nationalen Rechts automatisch die Einreise ins Staatsgebiet gestattet wird, der aber auf der Grundlage eines neuen Festhaltungsbeschlusses weiterhin an demselben Ort festgehalten wird, der ursprünglich als Ort an der Grenze angesehen wurde und nun von den Behörden als Ort im Staatsgebiet eingestuft wird, noch in den Anwendungsbereich von Art. 43 der Richtlinie 2013/32?

Kann ein und derselbe Festhaltungsort im Rahmen desselben Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz kraft einer Rechtsvorschrift zunächst mit einem Ort an der Grenze gleichgesetzt werden und, nachdem dem Antragsteller die Einreise in das Staatsgebiet aufgrund des Ablaufs der Vierwochenfrist oder aufgrund eines Beschlusses für eine spätere Prüfung gestattet wurde, als ein Ort im Staatsgebiet angesehen werden?

Welche Auswirkung hat die Festhaltung des Antragstellers an demselben Ort, der geografisch im Staatsgebiet liegt, aber ursprünglich mit einem Ort an der Grenze gleichgesetzt wurde und später von den belgischen Behörden aufgrund des Ablaufs der Vierwochenfrist als Festhaltungsort im Staatsgebiet eingestuft wurde, auf die zeitliche und sachliche Zuständigkeit der Asylbehörde?

3.1    Kann die Asylbehörde, die die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen eines Verfahrens an der Grenze eingeleitet hat und die in Art. 43 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Vierwochenfrist für die Entscheidung über den Antrag verstreichen lässt oder die zuvor einen Beschluss für eine spätere Prüfung gefasst hat, die Prüfung dieses Antrags im Rahmen einer vorrangigen bzw. vorgezogenen Prüfung im Sinne von Art. 31 Abs. 7 dieser Richtlinie fortsetzen, obwohl alle Ermittlungshandlungen, einschließlich der persönlichen Anhörung, vor Ablauf dieser Frist erfolgt sind, wenn der Antragsteller auf der Grundlage eines Beschlusses einer anderen Behörde weiterhin an demselben Ort festgehalten wird, der ursprünglich einem Ort an der Grenze gleichgesetzt wurde, mit der Begründung, dass seine Festhaltung notwendig sei, „um Beweise zu sichern, auf die sich der Antrag auf internationalen Schutz stützt und die ohne Festhaltung des Antragstellers unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere wenn Fluchtgefahr des Antragstellers besteht“?

3.2    Kann die Asylbehörde, die die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen eines Verfahrens an der Grenze eingeleitet hat und die in Art. 43 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Vierwochenfrist für die Entscheidung über den Antrag verstreichen lässt oder die zuvor einen Beschluss für eine spätere Prüfung gefasst hat, ohne innerhalb dieser Frist eine persönliche Anhörung des Antragstellers durchgeführt zu haben, die Prüfung dieses Antrags im Rahmen einer vorrangigen bzw. vorgezogenen Prüfung im Sinne von Art. 31 Abs. 7 dieser Richtlinie fortsetzen, wenn der Antragsteller auf der Grundlage eines Beschlusses einer anderen Behörde weiterhin an demselben Ort festgehalten wird, der ursprünglich einem Ort an der Grenze gleichgesetzt wurde, mit der Begründung, dass seine Festhaltung notwendig sei, „um Beweise zu sichern, auf die sich der Antrag auf internationalen Schutz stützt und die ohne Festhaltung des Antragstellers unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere wenn Fluchtgefahr des Antragstellers besteht“?

4.    Ist eine solche Anwendung der nationalen Regelung mit dem Ausnahmecharakter der Festhaltung des Antragstellers vereinbar, der sich aus Art. 8 der Richtlinie 2013/33/EU1 und dem allgemeinen Ziel der Richtlinie 2013/32 ergibt?

5.    Sind die Art. 31, 43 und 46 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass der Rat für Ausländerstreitsachen, wenn er mit einer Beschwerde gegen einen im Rahmen eines an der Grenze eingeleiteten Verfahrens ergangenen Beschluss befasst ist, die Überschreitung der Vierwochenfrist von Amts wegen prüfen muss?

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1     Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.

1     Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

1     Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96).