Language of document : ECLI:EU:T:2014:574

BESCHLUSS DES GERICHTS (Dritte Kammer)

4. Juni 2014(*)

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Stillschweigende Verweigerung des Zugangs – Nach Klageerhebung erlassene ausdrückliche Entscheidung – Wegfall des Rechtsschutzinteresses – Erledigung“

In der Rechtssache T‑526/12

AXA Versicherung AG mit Sitz in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Bahr, S. Dethof und A. Malec,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch H. Krämer und F. Clotuche-Duvieusart als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung der stillschweigenden Entscheidung der Kommission, den Zugang zu Dokumenten der Akte in der Sache COMP/39.125 (Automobilglas) zu verweigern,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas sowie der Richter N. J. Forwood (Berichterstatter) und E. Bieliūnas,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

1        Mit der Entscheidung C (2008) 6815 final vom 12. November 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (COMP/39.125 – Automobilglas) stellte die Europäische Kommission die Beteiligung verschiedener Unternehmen an einem Komplex von Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Automobilglassektor fest und verhängte gegen diese Unternehmen Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 1,383 Mrd. Euro.

2        Mit Schreiben vom 16. Februar 2012, im Register eingetragen unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2012/817, stellte die Klägerin, die AXA Versicherung AG, auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) bei der Kommission einen Antrag auf Zugang zur vollständigen Fassung des Inhaltsverzeichnisses der Akte in der Sache COMP/39.125. Mit Entscheidung vom 7. März 2012 gewährte die Kommission ihr einen teilweisen Zugang zu diesem Dokument und erklärte, dass ihr die übrigen Teile des Dokuments nicht übermittelt werden könnten, da sie unter bestimmte in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten fielen.

3        Mit Schreiben vom 18. Juni 2012, im Register eingetragen unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2012/3021, stellte die Klägerin bei der Kommission einen neuen Antrag auf Zugang zu Dokumenten, der sich zum einen auf die vollständige Fassung des Inhaltsverzeichnisses der Akte in der Sache COMP/39.125 und zum anderen auf die vollständige Fassung einer Reihe in dieser Akte enthaltener Dokumente bezog. Die Kommission lehnte diesen Antrag mit Entscheidung vom 3. August 2012 ab.

4        Mit Schreiben vom 23. März und 17. August 2012 reichte die Klägerin bei der Kommission zwei Zweitanträge auf Zugang zu den fraglichen Dokumenten ein. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 ersuchte sie die Kommission sodann, über diese beiden Zweitanträge bis spätestens 2. November 2012 zu entscheiden.

5        Mit Schreiben vom 25. April, 14. Mai, 5. und 28. September sowie 26. Oktober 2012 bestätigte die Kommission zunächst den Eingang dieser beiden Zweitanträge, teilte der Klägerin anschließend mit, dass sie die Frist für deren Beantwortung nicht einhalten könne, und erklärte schließlich, dass sie bald über diese Anträge entscheiden werde.

 Nach Klageerhebung eingetretene Tatsachen

6        Mit der Entscheidung GESTDEM 2012/817 und 2012/3021 vom 29. Oktober 2013 hat die Kommission ausdrücklich zu den beiden Anträgen auf Zugang zu den fraglichen Dokumenten Stellung genommen (im Folgenden: ausdrückliche Entscheidung). Sie hat der Klägerin einen weiter gehenden Zugang zum Inhaltsverzeichnis der Akte in der Sache COMP/39.125 als in ihrer Entscheidung vom 7. März 2012 gewährt und die Anträge im Übrigen zurückgewiesen.

7        Am 19. Dezember 2013 hat die Klägerin beim Gericht eine Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung erhoben (Rechtssache T‑677/13).

 Verfahren und Anträge der Parteien

8        Mit Klageschrift, die am 5. Dezember 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage gegen die stillschweigende Entscheidung der Kommission erhoben, ihr den Zugang zu den in Rede stehenden Dokumenten zu verweigern (im Folgenden: stillschweigende Entscheidung).

9        Durch Beschluss des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 27. Februar 2013 ist das vorliegende Verfahren bis zur verfahrensbeendenden Entscheidung in der Rechtssache, in der das Urteil des Gerichtshofs vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW Energie Baden-Württemberg (C‑365/12 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), ergangen ist, ausgesetzt worden.

10      Mit Schriftsatz, der am 26. März 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die AGC Glass Europe SA, die AGC Automotive Europe SA und die AGC Glass Germany GmbH beantragt, in dem Rechtsstreit als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

11      Im Zuge einer Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Dritten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.

12      Nach dem Erlass des Urteils Kommission/EnBW Energie Baden-Württemberg ist das Verfahren wieder aufgenommen worden.

13      Am 18. März 2014 hat das Gericht die Parteien im Wege prozessleitender Maßnahmen aufgefordert, zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Schlussfolgerungen sich zum einen aus dem Urteil Kommission/EnBW Energie Baden-Württemberg für die vorliegende Rechtssache und zum anderen aus der Einreichung der Klage in der derzeit beim Gericht anhängigen Rechtssache T‑677/13 für den Gegenstand der vorliegenden Klage ergäben.

14      In ihrer Stellungnahme zu dieser Frage hat die Klägerin im Wesentlichen erklärt, dass sie, da die Kommission die in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Bearbeitungsfristen für Zweitanträge auf Zugang zu Dokumenten nicht beachtet habe, zur Einreichung einer Klage gegen die stillschweigende Entscheidung gezwungen gewesen sei, bevor sie nach Erlass der ausdrücklichen Entscheidung eine Klage gegen diese habe erheben können. Die Kommission hat ihrerseits darauf verwiesen, dass die Klägerin mit dem Erlass der ausdrücklichen Entscheidung, deren Nichtigerklärung sie in der derzeit beim Gericht anhängigen Rechtssache T‑677/13 beantragt habe, ihr Interesse an der Nichtigerklärung der stillschweigenden Entscheidung verloren habe, weshalb die vorliegende Klage in der Hauptsache erledigt sei.

15      Mit Schreiben vom 8. April 2014 hat die Klägerin beantragt, die vorliegende Rechtssache mit der derzeit beim Gericht anhängigen Rechtssache T‑677/13 zu verbinden. Mit Entscheidung vom 13. Mai 2014 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts diesen Antrag zurückgewiesen.

16      Mit Schreiben vom 15. April 2014 hat die Kommission beantragt, die Erledigung der vorliegenden Rechtssache festzustellen. Die Klägerin hat am 5. Mai 2014 eine Stellungnahme zu diesem Antrag abgegeben.

17      Die Klägerin beantragt,

–        festzustellen, dass die vorliegende Klage gegenstandslos geworden ist;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Kommission beantragt,

–        festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

19      Nach Art. 114 der Verfahrensordnung des Gerichts hat eine Partei, die vorab eine Entscheidung des Gerichts über die Unzulässigkeit, die Unzuständigkeit oder einen Zwischenstreit herbeiführen will, dies mit besonderem Schriftsatz zu beantragen.

20      Im vorliegenden Fall hat die Kommission das Gericht um die Feststellung ersucht, dass die vorliegende Klage nach Einreichung der Klageschrift gegenstandslos geworden sei und sich somit erledigt habe. Die Klägerin hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt, sie sei wie die Kommission der Ansicht, dass ihre Klage gegen die stillschweigende Entscheidung (Rechtssache T‑526/12) gegenstandslos geworden sei und dass sie nunmehr ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die später erlassene ausdrückliche Entscheidung habe (Rechtssache T‑677/13).

21      Nach der Rechtsprechung muss das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Hinblick auf den Klagegegenstand bei Klageerhebung gegeben sein; andernfalls ist die Klage unzulässig. Außerdem muss es bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann. Entfällt das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Laufe des Verfahrens, kann eine Sachentscheidung des Gerichts ihm nämlich keinen Vorteil verschaffen (vgl. Urteil des Gerichts vom 19. Januar 2010, Co-Frutta/Kommission, T‑355/04 und T‑446/04, Slg. 2010, II‑1, Rn. 41 bis 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Im vorliegenden Fall betrifft die Klage eine stillschweigende Entscheidung, die die Kommission durch den anschließenden Erlass einer ausdrücklichen Entscheidung faktisch zurückgenommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Co-Frutta/Kommission, Rn. 45).

23      Aufgrund des Erlasses dieser ausdrücklichen Entscheidung, deren Nichtigerklärung die Klägerin in der derzeit beim Gericht anhängigen Rechtssache T‑677/13 beantragt hat, hat die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse mehr an einer Anfechtung der vorangegangenen stillschweigenden Entscheidung.

24      Der vorliegende Rechtsstreit ist daher in der Hauptsache erledigt.

25      Infolgedessen hat sich auch der in der vorliegenden Rechtssache gestellte Streithilfeantrag erledigt.

 Kosten

26      Nach Art. 87 § 6 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, über die Kosten nach freiem Ermessen.

27      Angesichts der tatsächlichen Umstände des vorliegenden Falles, namentlich der Tatsache, dass die Kommission die Frist nicht beachtet hat, die ihr nach der Verordnung Nr. 1049/2001 für die Bescheidung der Zweitanträge der Klägerin zur Verfügung stand, weshalb die Klägerin gezwungen war, zur Wahrung ihrer Rechte die vorliegende Klage gegen die stillschweigende Entscheidung zu erheben, ist die Kommission zu verurteilen, ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin zu tragen.

28      Ferner haben die AGC Glass Europe SA, die AGC Automotive Europe SA und die AGC Glass Germany GmbH, die ihre Zulassung als Streithelferinnen beantragt haben, ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

beschlossen:

1.      Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.

2.      Der Antrag der AGC Glass Europe SA, der AGC Automotive Europe SA und der AGC Glass Germany GmbH auf Zulassung als Streithelferinnen ist erledigt.

3.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der AXA Versicherung AG.

4.      Die AGC Glass Europe, die AGC Automotive Europe und die AGC Glass Germany tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 4. Juni 2014

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Papasavvas


* Verfahrenssprache: Deutsch.