Language of document : ECLI:EU:T:2023:15

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte erweiterte Kammer)

25. Januar 2023(*)

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente betreffend ein laufendes Gesetzgebungsverfahren – Arbeitsgruppen des Rates – Dokumente betreffend einen Gesetzgebungsvorschlag zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen – Teilweise Verweigerung des Zugangs – Nichtigkeitsklage – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses“

In der Rechtssache T‑163/21,

Emilio De Capitani, wohnhaft in Brüssel (Belgien), vertreten durch Rechtsanwälte O. Brouwer und S. Gallagher,

Kläger,

unterstützt durch

Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte,

durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Bulterman, M. H. S. Gijzen und J. Langer als Bevollmächtigte,

durch

Republik Finnland, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

sowie durch

Königreich Schweden, vertreten durch C. Meyer-Seitz und R. Shahsavan Eriksson als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J. Bauerschmidt und K. Pavlaki als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov (Berichterstatter), des Richters E. Buttigieg, der Richterin K. Kowalik-Bańczyk sowie der Richter G. Hesse und D. Petrlík,

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2022

folgendes

Urteil

1        Mit seiner auf Art. 263 AEUV gestützten Klage beantragt der Kläger, Herr Emilio De Capitani, die Nichtigerklärung des Beschlusses SGS 21/000067 des Rates der Europäischen Union vom 14. Januar 2021, mit dem ihm der Rat den Zugang zu bestimmten Dokumenten mit dem Code „WK“ verweigert hatte, die innerhalb der Arbeitsgruppen des Rates im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens 2016/0107 (COD) zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. 2013, L 182, S. 19) ausgetauscht worden waren (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 15. Oktober 2020 beantragte der Kläger gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) den Zugang zu bestimmten Dokumenten, die innerhalb der Arbeitsgruppe „Gesellschaftsrecht“ des Rates in Bezug auf das zum Zeitpunkt des Antrags laufende Gesetzgebungsverfahren 2016/0107 (COD) ausgetauscht wurden.

3        Am 10. November 2020 gab der Rat diesem Antrag teilweise statt, indem er dem Kläger sieben Dokumente übermittelte und den Zugang zu allen sieben weiteren Dokumenten mit den Aktenzeichen WK 6662/18, WK 14969/17 REV 1, WK 14969/17 INIT, WK 5230/17, WK 12197/17, WK 12197/17 REV 1 und WK 10931/17 (im Folgenden: streitige Dokumente) im Wesentlichen mit der Begründung verweigerte, dass ihre Verbreitung den Entscheidungsprozess des Rates im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 ernstlich beeinträchtigen würde.

4        Am 25. November 2020 stellte der Kläger beim Rat einen Zweitantrag, in dem er seinen Antrag auf Zugang zu den streitigen Dokumenten wiederholte.

5        Am 14. Januar 2021 erließ der Rat den angefochtenen Beschluss, mit dem er seine Verweigerung des Zugangs zu den streitigen Dokumenten auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 bestätigte.

 Anträge der Parteien

6        Der Kläger beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

7        Der Rat beantragt,

–        die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

8        Die Streithelfer – das Königreich Belgien, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland und das Königreich Schweden – erklären, die Anträge des Klägers zu unterstützen.

 Rechtliche Würdigung

 Zum Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses des Klägers

9        Ohne förmlich mit gesondertem Schriftsatz die Einrede der Erledigung der Hauptsache zu erheben, macht der Rat geltend, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Lauf des Verfahrens entfallen sei, weil der Rat ihm mit Schreiben vom 14. Juni 2021 sämtliche streitigen Dokumente übermittelt habe. Somit könne der Ausgang der Klage dem Kläger keinen Vorteil mehr verschaffen; die Klage sei daher gegenstandslos geworden.

10      Der Kläger, insoweit unterstützt durch das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland und das Königreich Schweden, bestreitet, dass es im Lauf des Verfahrens zu einem Wegfall seines Rechtsschutzinteresses gekommen sei. Zum einen macht er geltend, er habe, was das fragliche Gesetzgebungsverfahren anbelangt, keinen so rechtzeitigen Zugang zu den streitigen Dokumenten gehabt, dass er seine Rechte als europäischer Bürger in einer demokratischen Gesellschaft in vollem Umfang und wirksam habe ausüben können. Zum anderen bestehe sein Rechtsschutzinteresse daran fort, dass sich der vom Rat begangene Rechtsverstoß in Zukunft nicht wiederhole.

11      Insoweit ist zu beachten, dass das Rechtsschutzinteresse eines Klägers im Hinblick auf den Klagegegenstand bei Klageerhebung gegeben sein muss; andernfalls ist die Klage unzulässig. Ebenso wie das Rechtsschutzinteresse muss auch der Streitgegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteil vom 21. Januar 2021, Leino-Sandberg/Parlament, C‑761/18 P, EU:C:2021:52, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

12      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die streitigen Dokumente dem Kläger vom Rat am 14. Juni 2021, d. h. nach Klageerhebung, übermittelt wurden. Allerdings ist der angefochtene Beschluss vom Rat nicht formell zurückgenommen worden, so dass der Gegenstand des Rechtsstreits nicht weggefallen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 45, und vom 21. Januar 2021, Leino-Sandberg/Parlament, C‑761/18 P, EU:C:2021:52, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

13      Es ist folglich gemäß der oben in Rn. 11 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen, ob der Kläger trotz dieser Verbreitung weiterhin ein Rechtsschutzinteresse geltend machen konnte, d. h., zu klären, ob der Kläger durch die Verbreitung die mit seinem Antrag auf Zugang zu den betreffenden Dokumenten verfolgten Ziele vollständig erreicht hat; dies schließt die Prüfung mit ein, ob die Verbreitung rechtzeitig stattgefunden hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. Januar 2021, Leino-Sandberg/Parlament, C‑761/18 P, EU:C:2021:52, Rn. 34).

14      Wie der Kläger und die Republik Finnland im Wesentlichen geltend machen, habe er mit seinem Erstantrag vom 15. Oktober 2020 und seinem Zweitantrag vom 25. November 2020 versucht, Zugang zu den streitigen Dokumenten zu erhalten, um die von den Mitgliedstaaten als Mitgesetzgeber im Rat dargelegten Standpunkte zu erfahren sowie gegebenenfalls die Gesellschaft darüber informieren zu können und eine Diskussion auszulösen, bevor der Rat seinen Standpunkt im Gesetzgebungsverfahren festlege.

15      Im vorliegenden Fall fand die Verbreitung der streitigen Dokumente erst statt, nachdem der Rat am 3. März 2021 seine Verhandlungsposition in diesem Verfahren festgelegt hatte, sowie nach der am 1. Juni 2021 erzielten Einigung im Rahmen der interinstitutionellen Triloge.

16      Die Verbreitung der streitigen Dokumente erfolgte daher im Hinblick auf die vom Kläger mit seinem Antrag auf Zugang zu diesen Dokumenten verfolgten Ziele, die Gesellschaft zu informieren und eine Diskussion auszulösen, nicht rechtzeitig im Sinne der oben in Rn. 13 angeführten Rechtsprechung (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 59, und vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 33). Zum Zeitpunkt der Verbreitung war nämlich der Standpunkt des Rates festgelegt worden und im Rahmen der Triloge eine interinstitutionelle Einigung erzielt worden. Zwar war das Gesetzgebungsverfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht formell abgeschlossen, allerdings werden die im Rahmen der Triloge erzielten Einigungen in der Folge in den meisten Fällen ohne wesentliche Änderungen von den Mitgesetzgebern angenommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 72).

17      Daher hat der Kläger durch die Verbreitung der streitigen Dokumente die mit seinem Antrag auf Zugang zu diesen Dokumenten verfolgten Ziele nicht vollständig erreicht.

18      Das Vorbringen des Rates, das Rechtsschutzinteresse des Klägers sei im Lauf des Verfahrens entfallen, ist daher zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit

19      Der Kläger trägt zur Stützung seiner Klage zwei Klagegründe vor, mit denen er erstens einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 und einen Begründungsmangel hinsichtlich der Frage geltend macht, ob die Verbreitung der streitigen Dokumente den Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtigen würde, und zweitens einen Verstoß gegen dieselbe Bestimmung und einen Begründungsmangel hinsichtlich des Fehlens eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Verbreitung dieser Dokumente rügt. Hilfsweise macht er auch einen dritten Klagegrund geltend, mit dem er einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1049/2001 und einen Begründungsmangel rügt.

20      Der erste Klagegrund besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Der erste Teil betrifft die Anwendbarkeit der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme auf legislative Dokumente und der zweite Teil die Anwendung dieser Ausnahme im vorliegenden Fall.

 Zur Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf legislative Dokumente

21      Der Kläger macht geltend, dass der Rat, indem er den Zugang zu den streitigen Dokumenten, die im Wesentlichen legislative Dokumente seien, auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert habe, die durch den AEU-Vertrag und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) eingeführte neue verfassungsrechtliche Dimension im Bereich des Zugangs zu im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren erstellten Dokumenten verkannt habe. So seien im Gegensatz zum früheren Art. 207 Abs. 3 EG, der es dem Rat gestattet habe, die Fälle zu bestimmen, in denen er als Gesetzgeber zu betrachten sei, um in diesen Fällen einen besseren Zugang zu Dokumenten unter Wahrung der Effizienz seines Entscheidungsfindungsprozesses zu ermöglichen, im AEU-Vertrag und in der Charta keine Ausnahmen zum Schutz des Entscheidungsprozesses im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren mehr erwähnt. Zwischen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 einerseits, die auf der Grundlage früherer, sich aus dem EG-Vertrag ergebender Auslegungen des Transparenzgrundsatzes erlassen worden sei, und Art. 15 Abs. 2 AEUV sowie Art. 42 der Charta andererseits bestünde folglich ein rechtliches Spannungsverhältnis. Der Rat sei daher verpflichtet, seinen Verpflichtungen aus dem AEU‑Vertrag und der Charta unmittelbar nachzukommen; diese räumten dem Rat kein Ermessen ein, den Zugang zu Dokumenten zu verweigern, die im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erstellt worden seien.

22      In der Erwiderung führt der Kläger weiter aus, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf legislative Debatten und die damit zusammenhängenden Dokumente nicht mehr anwendbar sei. Andere Ausnahmen, wie die in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1049/2001, blieben hingegen für den Zugang zu legislativen Dokumenten relevant, und Art. 15 Abs. 3 AEUV sei dahin zu verstehen, dass er sich auf diese Art von Ausnahmen beziehe.

23      Der Rat entgegnet hierauf, dass der Kläger zwei unterschiedliche Aspekte der Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens verwechsle, nämlich zum einen den der Transparenz der Sitzungen des Europäischen Parlaments und der Tagungen des Rates, in denen deren jeweilige Mitglieder über Entwürfe von Gesetzgebungsakten berieten, und zum anderen den der Transparenz hinsichtlich des Zugangs zu Dokumenten, die die Gesetzgebungsverfahren beträfen. Art. 15 Abs. 2 AEUV betreffe den ersten Aspekt und sei daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Diese Bestimmung sei nämlich dahin zu verstehen, dass sie sich auf den Rat in seiner Zusammensetzung aus den Vertretern auf Ministerebene beziehe, die gemäß Art. 16 Abs. 2 EUV befugt seien, für die Regierung des von ihnen vertretenen Mitgliedstaats verbindlich zu handeln und das Stimmrecht auszuüben. Dagegen sehe der zweite Aspekt der Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens, den Art. 15 Abs. 3 AEUV betreffe, kein unbedingtes Recht auf Zugang zu Dokumenten, und zwar auch legislativen Dokumenten, vor.

24      In der Gegenerwiderung trägt der Rat vor, das Vorbringen des Klägers, Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 könne nicht mehr auf Dokumente angewandt werden, die im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens nach dem Inkrafttreten des AEU-Vertrags und der Charta erstellt worden seien, stelle eine erstmals im Stadium der Erwiderung erhobene „neue Einrede der Rechtswidrigkeit“ und damit ein neues Angriffsmittel dar, das für unzulässig zu erklären sei. Für den Fall, dass dieses „neue Angriffsmittel“ als zulässig angesehen werden sollte, beantragt er außerdem, eine prozessleitende Maßnahme nach Art. 88 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zu erlassen, um das Parlament und die Europäische Kommission aufzufordern, zur behaupteten Rechtswidrigkeit dieser Bestimmung Stellung zu nehmen.

25      Der Kläger, der zu diesem Punkt im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme befragt worden ist, wendet sich gegen die vom Rat erhobene Einrede der Unzulässigkeit und macht im Wesentlichen geltend, dass in der Klageschrift bereits eindeutig dargelegt worden sei, dass seit dem Inkrafttreten des AEUV und der Charta zwischen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 und dem Primärrecht, insbesondere Art. 15 Abs. 2 AEUV, ein rechtliches Spannungsverhältnis bestehe, und der Rat folglich seinen Verpflichtungen aus dem Primärrecht durch die Veröffentlichung der legislativen Dokumente nachkommen müsse.

–       Zur vom Rat erhobenen Einrede der Unzulässigkeit

26      Nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist das Vorbringen neuer Angriffsmittel im Lauf des Verfahrens unzulässig, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Jedoch ist ein Angriffsmittel, das eine Erweiterung eines bereits unmittelbar oder mittelbar in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und das in engem Zusammenhang mit diesem steht, für zulässig zu erklären. Um als Erweiterung eines bereits zuvor vorgetragenen Angriffsmittels oder einer bereits zuvor vorgebrachten Rüge betrachtet werden zu können, muss ein neues Argument mit den ursprünglich in der Klageschrift dargelegten Angriffsmitteln oder Rügen einen so engen Zusammenhang aufweisen, dass es als Bestandteil der üblichen sich in einem streitigen Verfahren entwickelnden Erörterung angesehen werden kann (vgl. Urteil vom 5. Oktober 2020, HeidelbergCement und Schwenk Zement/Kommission, T‑380/17, EU:T:2020:471, Rn. 87 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall hat der Kläger in der Klageschrift eindeutig geltend gemacht, dass Art. 15 Abs. 2 AEUV und Art. 42 der Charta dahin auszulegen seien, dass sie dem Rat „kein Ermessen“ einräumten, um den Zugang zu Dokumenten zu verweigern, die im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erstellt worden seien, sowie, dass der Rat verpflichtet sei, „unmittelbar“ den ihm durch die Verträge auferlegten Verpflichtungen nachzukommen und daher im vorliegenden Fall eine zu weite Auslegung der zum Schutz des Entscheidungsprozesses in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme vorgenommen habe. Außerdem hat er geltend gemacht, dass ein „rechtliches Spannungsverhältnis“ zwischen dieser Bestimmung einerseits und dem AEU-Vertrag sowie der Charta andererseits bestehe.

28      In der Erwiderung führt der Kläger diesen Teil seiner Argumentation in Beantwortung des Vorbringens des Rates in der Klagebeantwortung lediglich weiter aus. Dem Kläger zufolge kann insbesondere Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf legislative Dokumente „nicht mehr angewandt werden“, da Art. 15 Abs. 2 AEUV dem Unionsgesetzgeber „unmittelbar“ eine Verpflichtung zur Transparenz hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens auferlege.

29      Daraus folgt, dass der Kläger in der Erwiderung allenfalls eine Erweiterung eines in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels vorgenommen hat, die vom Unionsgericht zuzulassen ist.

30      Außerdem erhebt der Kläger, wie er im Übrigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, entgegen dem Vorbringen des Rates keine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001. Denn mit seiner Argumentation macht der Kläger nicht geltend, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 als solcher wegen Verstoßes gegen den AEU-Vertrag und die Charta rechtswidrig sei, sondern dass die Bestimmung im Licht des AEU-Vertrags und der Charta dahin auszulegen sei, dass sie nicht auf legislative Dokumente anwendbar sei, aber gleichzeitig auf andere Arten von Dokumenten in vollem Umfang anwendbar bleibe.

31      Im Übrigen ist festzustellen, dass dem Parlament und der Kommission gemäß Art. 82 der Verfahrensordnung Kopien der Klageschrift und der Klagebeantwortung übermittelt worden sind, damit sie feststellen können, ob im Sinne von Art. 277 AEUV die Unanwendbarkeit eines ihrer Rechtsakte geltend gemacht wird. Da die Argumentation des Klägers bereits eindeutig in der Klageschrift enthalten war, ist davon auszugehen, dass das Parlament und die Kommission in voller Kenntnis der Sachlage entschieden haben, in der vorliegenden Rechtssache nicht tätig zu werden. Dem Antrag des Rates auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme hierzu ist folglich nicht stattzugeben.

32      Daher sind die Einrede der Unzulässigkeit und der Antrag des Rates auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme zurückzuweisen.

–       Zur Begründetheit

33      Nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 wird der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

34      Wie oben in den Rn. 21 und 22 ausgeführt, macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 keine Anwendung finden könne, um den Zugang zu Dokumenten zu verweigern, die nach Inkrafttreten des AEU-Vertrags und der Charta in den Arbeitsgruppen des Rates im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens ausgetauscht worden seien.

35      Der Rat bestreitet nicht, dass es sich bei den streitigen Dokumenten um legislative Dokumente handelt.

36      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Primärrecht der Union einen grundsätzlichen engen Zusammenhang zwischen den Gesetzgebungsverfahren und den Grundsätzen der Offenheit und Transparenz herstellt (Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 77).

37      Gerade Transparenz im Gesetzgebungsverfahren trägt nämlich dazu bei, den Organen in den Augen der Unionsbürger eine größere Legitimität zu verleihen und deren Vertrauen zu stärken, weil sie es ermöglicht, Unterschiede zwischen mehreren Standpunkten offen zu erörtern. Tatsächlich ist es eher das Fehlen von Information und Diskussion, das bei den Bürgern Zweifel hervorrufen kann, und zwar nicht nur an der Rechtmäßigkeit eines einzelnen Rechtsakts, sondern auch an der Rechtmäßigkeit des Entscheidungsprozesses insgesamt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 59).

38      Die Grundsätze der Offenheit und der Transparenz sind somit den Gesetzgebungsverfahren der Union inhärent (Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 81).

39      Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Primärrecht der Union ein unbedingtes Recht auf Zugang zu legislativen Dokumenten vorsieht.

40      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 42 der Charta bestimmt, dass die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsgemäßem Sitz in einem Mitgliedstaat das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union hat, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger.

41      In den im Amtsblatt der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. 2007, C 303, S. 17) veröffentlichten Erläuterungen zur Charta, die bei der Auslegung der Charta durch die Unionsgerichte gebührend zu berücksichtigen sind (vgl. fünfter Erwägungsgrund der Charta), heißt es:

„Das in [Artikel 42] garantierte Recht wurde aus Artikel 255 EGV, auf dessen Grundlage in der Folge die Verordnung … Nr. 1049/2001 angenommen wurde, übernommen. Der Europäische Konvent hat dieses Recht auf Dokumente der Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union im Allgemeinen ausgeweitet, ungeachtet ihrer Form (siehe Artikel 15 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Nach Artikel 52 Absatz 2 der Charta wird das Recht auf Zugang zu Dokumenten im Rahmen der in Artikel 15 Absatz 3 [AEUV] festgelegten Bedingungen und Grenzen ausgeübt.“

42      Daraus folgt, dass das in Art. 42 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu Dokumenten „im Rahmen der in Artikel 15 Absatz 3 [AEUV] festgelegten Bedingungen und Grenzen“ ausgeübt wird.

43      Diese Auslegung steht ferner im Einklang mit Art. 52 Abs. 2 der Charta, wonach die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen erfolgt.

44      Nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsgemäßem Sitz in einem Mitgliedstaat das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger, „vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die nach diesem Absatz festzulegen sind“. Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV präzisiert, dass „[d]ie allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten … vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festgelegt [werden]“.

45      Nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 5 AEUV sorgen das Parlament und der Rat dafür, dass die Dokumente, die die Gesetzgebungsverfahren betreffen, „nach Maßgabe der in Unterabsatz 2 [dieses Absatzes] genannten Verordnungen“ öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Bestimmung hebt somit zwar den Grundsatz der Offenheit der legislativen Dokumente hervor; sie sieht jedoch nicht vor, dass diese Dokumente in allen Fällen und ausnahmslos zu veröffentlichen sind, was durch den Verweis auf die „Maßgabe“ belegt wird, die in den Verordnungen zu diesem Zweck vorgesehen werden kann.

46      Daraus folgt, dass das Recht der Unionsbürger und jeder Person mit Wohnsitz oder Sitz im Hoheitsgebiet der Union auf Zugang zu Dokumenten der Organe, einschließlich legislativen Dokumenten, nach den durch Verordnungen festgelegten allgemeinen Grundsätzen, Einschränkungen und Bedingungen ausgeübt wird. Art. 15 Abs. 3 AEUV schließt nämlich legislative Dokumente von seinem Anwendungsbereich nicht aus.

47      Somit sehen die Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Charta über das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union vor, dass die Ausübung dieses Rechts im Verordnungsweg vorgesehenen Einschränkungen und Bedingungen unterworfen werden kann, und zwar auch hinsichtlich des Zugangs zu legislativen Dokumenten.

48      Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen des Klägers nicht in Frage gestellt.

49      Erstens kann das Vorbringen des Klägers, die Verordnung Nr. 1049/2001 sei gewissermaßen obsolet geworden, weil sie auf der Grundlage des EG-Vertrags erlassen worden sei und daher die durch den AEU-Vertrag und die Charta vorgenommenen Änderungen nicht berücksichtige, nicht durchgreifen. Wie oben in Rn. 41 ausgeführt, heißt es nämlich in den Erläuterungen zur Charta, dass das in Art. 42 garantierte Recht „aus Artikel 255 EGV [übernommen wurde], auf dessen Grundlage in der Folge [diese Verordnung] angenommen wurde“. In dieser Klarstellung wird somit auf die Kontinuität, die in diesem Bereich zwischen dem EG-Vertrag und dem AEU-Vertrag besteht, sowie die fortwährende Relevanz dieser Verordnung nach dem Inkrafttreten des AEU-Vertrags und der Charta hingewiesen. Hätten die Verfasser der Charta das Recht auf Zugang zu Dokumenten in einer Weise regeln wollen, die sich wesentlich von der unter dem EG-Vertrag geltenden unterscheidet, so hätten sie dies in den Erläuterungen zur Charta angegeben.

50      Zweitens macht der Kläger geltend, Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV sei dahin auszulegen, dass die „Einschränkungen“ des Rechts auf Zugang zu Dokumenten im Sinne dieser Bestimmung für andere Arten von Ausnahmen wie die in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1049/2001, nicht aber für den Schutz des Entscheidungsprozesses im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 gelten sollten.

51      Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV bezieht sich jedoch auf die „aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung [des] Rechts auf Zugang zu Dokumenten“, ohne dass eine weitere Klarstellung oder Unterscheidung hinsichtlich der Art dieser Einschränkungen vorgenommen wird. Daher gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Charta es grundsätzlich ausschließen, den Zugang zu legislativen Dokumenten mit der Begründung zu verweigern, dass ihre Verbreitung den Entscheidungsprozess des betreffenden Organs im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 ernstlich beeinträchtigen würde.

52      Drittens beruft sich der Kläger zur Stützung seiner Auffassung auf Art. 15 Abs. 2 AEUV. Nach dieser Bestimmung „[tagt] [d]as Europäische Parlament … öffentlich; dies gilt auch für den Rat, wenn er über Entwürfe eines Gesetzgebungsakts berät oder abstimmt“.

53      Mit dem Begriff „tagen“ wird der Grundsatz der Offenheit der legislativen Erörterungen während der Sitzungen des Parlaments und der Tagungen des Rates in Art. 15 Abs. 2 AEUV festgeschrieben. Dagegen betrifft diese Bestimmung weder das Recht auf Zugang zu Dokumenten noch die Einschränkungen und Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts, die in Art. 15 Abs. 3 AEUV und in Art. 42 der Charta geregelt sind.

54      Der normative Kontext, in dem das Recht auf Zugang zu Dokumenten steht, bestätigt das oben in Rn. 47 angeführte Ergebnis.

55      Nach Art. 1 EUV stellt dieser Vertrag nämlich „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden“. Art. 10 Abs. 3 EUV sieht seinerseits vor, dass alle Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, und dass die Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich getroffen werden. Art. 15 Abs. 1 AEUV stellt insoweit klar, dass „die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit“ handeln, „[u]m eine verantwortungsvolle Verwaltung zu fördern und die Beteiligung der Zivilgesellschaft sicherzustellen“.

56      Die Gesamtheit dieser Bestimmungen bestätigt, dass der Grundsatz der Offenheit für die Unionsrechtsordnung zwar von grundlegender Bedeutung ist, er jedoch nicht uneingeschränkt gilt.

57      Das Unionsgericht hat bereits klargestellt, dass es den Unionsorganen freisteht, auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 den Zugang zu bestimmten Dokumenten legislativer Art in hinreichend begründeten Fällen zu verweigern (Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 112).

58      Ebenso hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. Oktober 2013, Rat/Access Info Europe (C‑280/11 P, EU:C:2013:671, Rn. 36 bis 40 und 62), im Wesentlichen entschieden, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf legislative Dokumente Anwendung finden sollte und dass das Gericht bei der Anwendung dieser Bestimmung das Gleichgewicht zwischen dem Transparenzgrundsatz und der Wahrung der Effizienz des Entscheidungsprozesses des Rates berücksichtigen musste.

59      Zum Vorbringen des Klägers, dass die Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf dem EG-Vertrag beruhe und daher mit dem AEU-Vertrag obsolet geworden sei, genügt die Feststellung, dass das oben in Rn. 57 angeführte Urteil in Bezug auf einen deutlich nach Inkrafttreten des AEU-Vertrags ergangenen Beschluss erfolgte.

60      Schließlich erwähnt der Kläger zwar auch Art. 41 der Charta, jedoch ist diese Bestimmung für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich, da sie sich auf das Recht einer jeden Person auf Zugang zu „den sie betreffenden Akten“ bezieht. Es steht jedoch fest, dass die streitigen Dokumente nicht spezifisch den Kläger betreffen.

61      Im Ergebnis muss der Zugang zu legislativen Dokumenten zwar so umfassend wie möglich sein, jedoch können die vom Kläger angeführten Bestimmungen der Verträge und der Charta nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es grundsätzlich ausschließen, den Zugang zu solchen Dokumenten mit der Begründung zu verweigern, dass ihre Verbreitung den Entscheidungsprozess des betreffenden Organs im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 ernstlich beeinträchtigen würde.

62      Demnach ist der erste Teil des ersten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

 Zur Anwendung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf den vorliegenden Fall

63      Der Kläger, unterstützt von allen Streithelfern, macht im Wesentlichen geltend, der Rat habe nicht nachgewiesen, dass die Verbreitung der streitigen Dokumente seinen Entscheidungsprozess konkret und tatsächlich beeinträchtigen würde und dass die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung bei vernünftiger Betrachtung absehbar und nicht rein hypothetisch sei.

64      Der Rat tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und wiederholt im Wesentlichen die im angefochtenen Beschluss angeführten Gründe.

65      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 nach ihrem ersten Erwägungsgrund dem Willen zur Verwirklichung einer Union folgt, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden. Wie im zweiten Erwägungsgrund dieser Verordnung ausgeführt, knüpft das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der Organe an deren demokratischen Charakter an.

66      Deshalb soll die Verordnung Nr. 1049/2001, wie sich aus ihrem vierten Erwägungsgrund und ihrem Art. 1 ergibt, der Öffentlichkeit ein größtmögliches Zugangsrecht gewähren (vgl. Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Jedoch unterliegt dieses Recht bestimmten Einschränkungen aufgrund öffentlicher oder privater Interessen. Insbesondere sieht die Verordnung Nr. 1049/2001 im Einklang mit ihrem elften Erwägungsgrund in Art. 4 eine Regelung über Ausnahmen vor, wonach die Organe den Zugang zu einem Dokument verweigern können, falls durch dessen Verbreitung eines der durch diesen Artikel geschützten Interessen beeinträchtigt würde (vgl. Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Da solche Ausnahmen vom Grundsatz des größtmöglichen Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten abweichen, sind sie eng auszulegen und strikt anzuwenden (vgl. Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Beschließt ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union, bei dem oder der ein Zugang zu einem Dokument beantragt wurde, diesen Antrag auf der Grundlage einer der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 abzulehnen, muss es grundsätzlich erläutern, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch diese Ausnahme geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte, wobei die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung bei vernünftiger Betrachtung absehbar sein muss und nicht rein hypothetisch sein darf (Urteile vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 51, und vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 63 bis 65).

70      Nach der Rechtsprechung ist die Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 „ernstlich“, wenn sich insbesondere die Verbreitung der betreffenden Dokumente wesentlich auf den Entscheidungsprozess auswirkt. Die Beurteilung, wie ernstlich die Beeinträchtigung ist, hängt von der Gesamtheit der Umstände des Falles ab, u. a. von den negativen Auswirkungen auf den Entscheidungsprozess, die vom Organ im Hinblick auf die Verbreitung der betreffenden Dokumente geltend gemacht werden (Urteile vom 18. Dezember 2008, Muñiz/Kommission, T‑144/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:596, Rn. 75, vom 7. Juni 2011, Toland/Parlament, T‑471/08, EU:T:2011:252, Rn. 71, und vom 9. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, T‑516/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:759, Rn. 62).

71      Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den streitigen Dokumenten um Dokumente, die innerhalb der Arbeitsgruppe „Gesellschaftsrecht“ des Rates ausgetauscht wurden. Insbesondere enthalten die Dokumente WK 5230/17 vom 8. Mai 2017, WK 10931/17 vom 6. Oktober 2017, WK 12197/17 vom 27. Oktober 2017 und WK 12197/17 REV 1 vom 18. Juli 2018 Kommentare der Delegationen der Mitgliedstaaten sowie von diesen vorgeschlagene konkrete Textänderungen zum gesamten fraglichen Gesetzgebungsvorschlag in Form zusammenfassender Tabellen. Die Dokumente WK 14969/17 vom 19. Dezember 2017 und WK 14969/17 REV 1 vom 8. Januar 2018 enthalten an die Arbeitsgruppe gerichtete Vermerke des Ratsvorsitzes, in denen dieser u. a. auf Fehler bei Querverweisen im Gesetzgebungsvorschlag hingewiesen und Änderungen vorgeschlagen hat, um den Wortlaut einer Bestimmung klarzustellen, sowie einen Punkt besonders hervorhebt, der noch erörtert werden sollte, nämlich eine geeignetere Formulierung für bestimmte Vorschriften zu finden, um die Gefahr einer Umgehung der Richtlinie durch bestimmte Unternehmen zu vermeiden. Das Dokument WK 6662/18 vom 1. Juni 2018 enthält seinerseits eine Einladung des Vorsitzes zu einer Sitzung der Arbeitsgruppe zwecks Fortsetzung der Arbeit an dem Gesetzgebungsvorschlag, in der es heißt, dass die Delegationen gebeten werden, u. a. zu den Vorschlägen in den vorhergehenden Dokumenten Stellung zu nehmen.

72      Im angefochtenen Beschluss hat der Rat seine Verweigerung des Zugangs zu den streitigen Dokumenten mit mehreren Erwägungen begründet.

73      Erstens hat der Rat im neunten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgehoben, dass das Thema der steuerlichen Transparenz multinationaler Unternehmen politisch „hochsensibel“ sei.

74      Insoweit ergibt sich aus der vollständigen Fassung der nunmehr verbreiteten streitigen Dokumente, dass sie Vorschläge und Änderungen von Rechtstexten enthalten, die üblicher Bestandteil eines Gesetzgebungsverfahrens sind. Der Rat benennt weder im angefochtenen Beschluss noch vor dem Gericht einen konkreten und spezifischen Aspekt dieser Dokumente, der besonders sensibel wäre.

75      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der Europäische Rat, worauf der Rat im angefochtenen Beschluss im Übrigen selbst hinweist, in seinen Schlussfolgerungen vom 18. Dezember 2014 die Auffassung vertreten hat, es sei „dringend erforderlich, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und aggressiver Steuerplanung weltweit und auf Unionsebene weiter voranzubringen“, und dass das Parlament am 16. Dezember 2015 eine Entschließung mit Empfehlungen an die Kommission zur transparenteren Gestaltung, Koordinierung und Harmonisierung der Politik im Bereich der Körperschaftsteuer in der Union angenommen hatte (2015/2010[INL]). Diese Dokumente belegen die große Bedeutung des Themas der steuerlichen Transparenz multinationaler Unternehmen für die europäischen Bürger, was statt für einen beschränkten Zugang eher für einen größtmöglichen Zugang zu den entsprechenden legislativen Dokumenten spricht. Der Zugang zu allen Informationen, auf deren Grundlage die Gesetzgebungstätigkeit der Union erfolgt, ist nämlich eine Voraussetzung dafür, dass die Unionsbürger ihre u. a. in Art. 10 Abs. 3 EUV anerkannten demokratischen Rechte effektiv ausüben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 92).

76      Obwohl der Inhalt der streitigen Dokumente Angelegenheiten von gewisser Bedeutung betrifft, die sicherlich durch sowohl politische als auch rechtliche Schwierigkeiten gekennzeichnet sind, ist dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen, dass der Inhalt der streitigen Dokumente in dem Sinne besonders sensibel war, dass im Fall einer Verbreitung ein grundlegendes Interesse der Union oder der Mitgliedstaaten verletzt worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen gibt der Rat vor dem Gericht auch nicht an, welche konkreten Aspekte des Inhalts der Dokumente besonders sensibel sein sollen.

77      Zweitens hat der Rat im 21. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses geltend gemacht, dass der fragliche Gesetzgebungsvorschlag Gegenstand laufender Erörterungen gewesen sei sowie dass die streitigen Dokumente nicht abschließend seien und nicht unbedingt die endgültigen Standpunkte der Mitgliedstaaten widerspiegelten.

78      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Vorläufigkeit der Erörterungen über den fraglichen Gesetzgebungsvorschlag für sich genommen die Anwendung der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme nicht rechtfertigen kann. Diese Bestimmung trifft nämlich keine Unterscheidung nach dem Stand der Erörterungen. Sie erfasst allgemein Dokumente, die sich auf eine Angelegenheit beziehen, in der das betreffende Organ „noch keinen Beschluss gefasst hat“, anders als Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2, der sich auf die Fälle bezieht, in denen das betreffende Organ bereits entschieden hat. Im vorliegenden Fall lässt daher weder der Umstand, dass die laufenden Erörterungen vorläufig waren, noch die Tatsache, dass Einigkeit oder ein Kompromiss über diese Vorschläge im Rat noch nicht erzielt worden war, die Annahme einer ernstlichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses zu (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. März 2011, Access Info Europe/Rat, T‑233/09, EU:T:2011:105, Rn. 75 und 76, sowie vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 100).

79      Im Übrigen dient nach der Rechtsprechung ein Vorschlag seinem Wesen nach dazu, erörtert zu werden; es ist nicht davon auszugehen, dass er nach dieser Erörterung unverändert fortbestehen soll. Die öffentliche Meinung ist durchaus imstande, nachzuvollziehen, dass der Urheber eines Vorschlags dessen Inhalt in der Folge ändern kann. Gerade deshalb ist sich eine Person, die einen Antrag auf Zugang zu legislativen Dokumenten im Rahmen eines laufenden Verfahrens stellt, des vorläufigen Charakters dieser Informationen und des Umstands, dass sie dazu bestimmt sind, im Lauf der Erörterungen im Rahmen der Vorarbeiten der Arbeitsgruppe des Rates bis zur Erzielung einer Einigung über den gesamten Text geändert zu werden, vollkommen bewusst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies belegt insbesondere das Ziel, das im vorliegenden Fall mit dem Antrag auf Zugang verfolgt wurde, da der Kläger die von den Mitgliedstaaten im Rat zum Ausdruck gebrachten Standpunkte gerade in Erfahrung bringen wollte, um eine Diskussion über sie auszulösen, bevor der Rat seinen Standpunkt im fraglichen Gesetzgebungsverfahren festlegt (siehe oben, Rn. 14).

80      Drittens hat der Rat im 22. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in den streitigen Dokumenten das Ergebnis „schwieriger Verhandlungen“ zwischen den Mitgliedstaaten gewesen seien und sie die Schwierigkeiten erkennen ließen, die er noch zu lösen habe, bevor er eine Einigung erzielen könne.

81      Im angefochtenen Beschluss gibt der Rat jedoch nicht an, welche konkreten und spezifischen „Ausführungen“ in den streitigen Dokumenten zu solchen Schwierigkeiten geführt haben sollen, dass ihre Verbreitung seinen Entscheidungsprozess ernstlich hätte beeinträchtigen können. Im Übrigen ist der Grund, dass bestimmte Änderungsvorschläge, die sich in den streitigen Dokumenten widerspiegeln, noch erörtert werden mussten, bevor eine Einigung erzielt werden konnte, zu allgemein und kann für jedes Dokument legislativer Art angeführt werden, das im Rahmen einer Arbeitsgruppe des Rates erstellt oder ausgetauscht wurde.

82      Viertens hat der Rat im 23. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses geltend gemacht, dass die streitigen Dokumente freie und offene Erörterungen zwischen den Mitgliedstaaten enthielten, deren Verbreitung in diesem Stadium der „Verhandlungen“ das gegenseitige Vertrauen beeinträchtigen würde, das die Arbeiten der Arbeitsgruppen des Rates präge.

83      Der Rat hat jedoch keinen greifbaren Nachweis dafür geliefert, dass der Zugang zu den streitigen Dokumenten in Bezug auf das fragliche Gesetzgebungsverfahren für die loyale Zusammenarbeit, die sich die Mitgliedstaaten schulden, nachteilig gewesen wäre. Die behauptete Gefahr erscheint daher hypothetisch. Da außerdem die Mitgliedstaaten im Rahmen der Arbeitsgruppen des Rates ihre jeweilige Ansicht zu einem bestimmten Gesetzgebungsvorschlag und die von ihnen mitgetragenen Änderungen äußern, ist der Umstand, dass diese Gesichtspunkte anschließend auf einen Antrag hin offengelegt werden, für sich allein nicht geeignet, die loyale Zusammenarbeit zu behindern, zu der die Mitgliedstaaten und die Organe gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV gegenseitig verpflichtet sind (vgl. entsprechend Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 103 und 104).

84      Sofern der Rat mit dem im 23. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Grund auf die Gefahr des öffentlichen Drucks angespielt hat, wie er dies in seiner Klageerwiderung vorträgt, ist festzustellen, dass in einem System, das auf dem Grundsatz der demokratischen Legitimität beruht, die Mitgesetzgeber sich für ihre Handlungen gegenüber der Öffentlichkeit verantworten müssen. Die Ausübung der demokratischen Rechte durch die Bürger setzt nämlich die Möglichkeit voraus, den Entscheidungsprozess innerhalb der an den Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe im Einzelnen zu verfolgen und Zugang zu sämtlichen einschlägigen Informationen zu erhalten (Urteil vom 22. März 2011, Access Info Europe/Rat, T‑233/09, EU:T:2011:105, Rn. 69). Im Übrigen bestimmt Art. 10 Abs. 3 EUV, dass alle Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, und dass die Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich getroffen werden. Daher ist die Manifestation der öffentlichen Meinung zu diesem oder jenem Gesetzgebungsvorschlag Bestandteil der Ausübung der demokratischen Rechte der Unionsbürger (Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 98).

85      Auch wenn die Rechtsprechung anerkennt, dass das Risiko eines Drucks von außen einen legitimen Grund für die Beschränkung des Zugangs zu Dokumenten im Zusammenhang mit dem Entscheidungsprozess darstellen kann, ist es erforderlich, dass das Vorliegen solchen Drucks von außen eindeutig erwiesen ist und dass der Nachweis erbracht wird, dass das Risiko, dass die zu treffende Entscheidung erheblich beeinträchtigt wird, wegen dieses Drucks von außen bei verständiger Betrachtung absehbar ist. Die Akte kann aber keinerlei greifbaren Nachweis liefern, dass es im Fall der Verbreitung der streitigen Dokumente zu solchem Druck von außen kommt. Daher lassen die dem Gericht zur Verfügung stehenden Akten nicht den Schluss zu, dass der Rat, was das Gesetzgebungsverfahren anbelangt, bei verständiger Betrachtung eine Reaktion zu befürchten hätte, die über das hinausginge, was ein beliebiges Mitglied eines Gesetzgebungsorgans, das einen Abänderungsvorschlag zu einem Gesetzesentwurf vorlegt, von der Öffentlichkeit erwarten kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. März 2011, Access Info Europe/Rat, T‑233/09, EU:T:2011:105, Rn. 74, und vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 99).

86      Fünftens hat der Rat in den Erwägungsgründen 23 und 24 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass die Verbreitung der streitigen Dokumente die Wirksamkeit seines Entscheidungsprozesses ernstlich beeinträchtigen und die Chancen, eine Einigung zu erzielen, verringern würde.

87      Der in den Erwägungsgründen 23 und 24 des angefochtenen Beschlusses angeführte Grund bleibt jedoch zu allgemein, da der Rat nicht erläutert, inwiefern der Zugang zu den streitigen Dokumenten die Möglichkeiten, eine Einigung über den fraglichen Gesetzgebungsvorschlag zu erzielen, konkret, tatsächlich und nicht hypothetisch ernstlich beeinträchtigen würde.

88      Sechstens hat der Rat in den Erwägungsgründen 25 und 27 des angefochtenen Beschlusses hervorgehoben, dass das legitime öffentliche Interesse an der Verbreitung der streitigen Dokumente nicht schwerer wiege als das ebenso legitime notwendige Anliegen, den Entscheidungsprozess zu schützen.

89      Mit dem in den Erwägungsgründen 25 und 27 des angefochtenen Beschlusses angeführten Grund scheint der Rat, wie der Kläger geltend macht, zwei verschiedene Schritte bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu verwechseln. Denn nur wenn das betreffende Organ der Auffassung ist, dass die Verbreitung eines Dokuments den fraglichen Entscheidungsprozess konkret und tatsächlich beeinträchtigen würde, hat es in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse trotz allem die Verbreitung des betreffenden Dokuments rechtfertigt. Mit anderen Worten hat der Rat nur in diesem Zusammenhang das besondere Interesse, das durch die Nichtverbreitung des betreffenden Dokuments geschützt werden soll, u. a. gegen das allgemeine Interesse an der Zugänglichmachung dieses Dokuments abzuwägen, und zwar unter Berücksichtigung der Vorteile, die sich, wie im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1049/2001 ausgeführt, aus einer größeren Transparenz ergeben, nämlich einer besseren Beteiligung der Bürger am Entscheidungsprozess und einer größeren Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System (vgl. entsprechend Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 45).

90      Siebtens hat der Rat im 26. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, dass die Verweigerung der Verbreitung nur weniger der mit dem Antrag des Klägers begehrten Dokumente nicht darauf hinauslaufe, den Bürgern die Möglichkeit zu nehmen, über den fraglichen Entscheidungsprozess informiert zu werden.

91      Insoweit ist in Übereinstimmung mit dem Kläger festzustellen, dass der im 26. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführte Grund, wie der Rat im Übrigen eingeräumt hat, kein relevantes Kriterium für die Beurteilung der Frage ist, ob die Voraussetzungen für die Verweigerung nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 erfüllt sind. Der bloße Umstand, dass der Zugang zu bestimmten Dokumenten, die dasselbe Gesetzgebungsverfahren betreffen, gewährt wurde, kann nämlich nicht die Verweigerung des Zugangs zu anderen Dokumenten rechtfertigen.

92      Achtens macht der Rat im 28. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses geltend, er sei „nach einer spezifischen Würdigung des Inhalts und des Kontexts“ der streitigen Dokumente zu dem Ergebnis gelangt, dass objektive Gründe vorlägen, die belegten, dass eine bei vernünftiger Betrachtung absehbare Gefahr bestehe, dass die Verbreitung dieser Dokumente den fraglichen Entscheidungsprozess ernstlich beeinträchtige.

93      Die behauptete „spezifische Würdigung des Inhalts und des Kontexts“ der streitigen Dokumente ergibt sich jedoch nicht aus dem angefochtenen Beschluss, so dass die Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses durch keinen greifbaren, konkreten und spezifischen Nachweis untermauert wird.

94      Ferner fügt der Rat in seinen beim Gericht eingereichten Schriftsätzen hinzu, dass die im Rahmen von Trilogen erstellten Dokumente, die Gegenstand des Urteils vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament (T‑540/15, EU:T:2018:167), gewesen seien, von den streitigen Dokumenten zu unterscheiden seien. Während Erstere in einem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens zustande kämen, in dem er seinen Standpunkt zu einem Gesetzgebungsvorschlag bereits festgelegt habe, bezögen sich Letztere auf Erörterungen in den Arbeitsgruppen zwischen Beamten der Delegationen der Mitgliedstaaten auf „technischer Ebene“. Im vorliegenden Fall beträfen die streitigen Dokumente Vorarbeiten und beinhalteten keine politischen Verpflichtungen, solange sie als solche weder dem Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) noch anschließend einer der ministeriellen Zusammensetzungen des Rates vorgelegt würden.

95      Sofern der Rat mit diesem Vorbringen eine weniger breite Zugänglichkeit zu den von seinen Arbeitsgruppen erstellten Dokumenten rechtfertigen will, weil es sich um „technische“ Dokumente handele, ist zunächst festzustellen, dass der „technische“ Charakter eines Dokuments kein relevantes Kriterium für die Anwendung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 ist. Zudem belegt jedenfalls der eigentliche Inhalt der streitigen Dokumente, dass sie Vorschläge für Rechtsvorschriften zu verschiedenen Gesetzestexten enthalten und daher üblicher Bestandteil eines Gesetzgebungsverfahrens sind. Die streitigen Dokumente haben daher keinen „technischen“ Charakter. Die Mitglieder der Arbeitsgruppen des Rates sind ferner mit einem Mandat der von ihnen vertretenen Mitgliedstaaten ausgestattet und äußern bei den Beratungen über einen bestimmten Gesetzgebungsvorschlag den Standpunkt ihres Mitgliedstaats im Rat, wenn der Rat als Mitgesetzgeber tätig wird. Dass die Arbeitsgruppen nicht befugt sind, den endgültigen Standpunkt dieses Organs festzulegen, bedeutet jedoch weder, dass ihre Arbeiten nicht üblicher Bestandteil der Gesetzgebungsverfahren sind, was der Rat im Übrigen nicht bestreitet, noch, dass die von ihnen erstellten Dokumente „technischer“ Art sind.

96      Nach alledem ist festzustellen, dass keiner der vom Rat im angefochtenen Beschluss angeführten Gründe die Annahme zulässt, die Verbreitung der streitigen Dokumente würde den Gesetzgebungsprozess konkret, tatsächlich und nicht hypothetisch im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 ernstlich beeinträchtigen.

97      Daher ist dem zweiten Teil des ersten Klagegrundes stattzugeben und folglich der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären, ohne dass die übrigen zur Stützung der Klage vorgebrachten Klagegründe und Rügen geprüft zu werden brauchen.

 Kosten

98      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers neben seinen eigenen Kosten die Kosten des Klägers aufzuerlegen.

99      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen das Königreich Belgien, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland und das Königreich Schweden ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss SGS 21/000067 des Rates der Europäischen Union vom 14. Januar 2021 wird für nichtig erklärt.

2.      Der Rat trägt seine eigenen Kosten und die Herrn Emilio De Capitani entstandenen Kosten.

3.      Das Königreich Belgien, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.

Kornezov

Buttigieg

Kowalik-Bańczyk

Hesse

 

      Petrlík

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Januar 2023.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.