URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. Juli 1997(1)
[234s„Artikel 177 Zuständigkeit des Gerichtshofes Nationale Rechtsvorschriften,
die Gemeinschaftsvorschriften übernehmen Umsetzung Richtlinie
90/434/EWG Begriff der Fusion durch Austausch von Anteilen
Steuermißbrauch oder -umgehung“[s
In der Rechtssache C-28/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Gerechtshof
Amsterdam in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
A. Leur-Bloem
gegen
Inspecteur der Belastingdienst/Ondernemingen Amsterdam 2
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 2
Buchstabe d und 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates
vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die
Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die
Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1),
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, J. L. Murray und
L. Sevón sowie der Richter C. N. Kakouris, P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann,
D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann (Berichterstatter) und
H. Ragnemalm,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Frau Leur-Bloem, vertreten durch Steuerberater J. H. W. Lenior,
- des Inspecteur der Belastingdienst/Ondernemingen Amsterdam 2,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers,
stellvertretender Rechtsberater im Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und
Oberregierungsrat B. Kloke, beide Bundesministerium für Wirtschaft, als
Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
B. J. Drijber, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der niederländischen Regierung,
vertreten durch A. Fierstra, beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten
durch B. J. Drijber, in der Sitzung vom 4. Juni 1996,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17.
September 1996,
folgendes
Urteil
- Der Gerechtshof Amsterdam hat mit Urteil vom 26. Januar 1995, beim Gerichtshof
eingegangen am 6. Februar 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen
nach der Auslegung der Artikel 2 Buchstabe d und 11 Absatz 1 Buchstabe a der
Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame
Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen
und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
betreffen (ABl. L 225, S. 1; im folgenden: Richtlinie), zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Leur-Bloem (im
folgenden: Klägerin) und dem Inspecteur der Belastingdienst/Ondernemingen
(Leiter der Steuerbehörde für Unternehmen) Amsterdam 2 (im folgenden:
Inspecteur).
- Die Klägerin, die Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin von zwei privaten
Gesellschaften niederländischen Rechts ist, beabsichtigt, die Anteile an einer dritten
privaten Gesellschaft, einer Holding, zu erwerben, wobei die Bezahlung durch
Austausch mit Anteilen an den beiden erstgenannten Gesellschaften erfolgen soll.
Die Klägerin soll nach diesem Vorgang nicht mehr unmittelbar, sondern nur
mittelbar die Alleingesellschafterin der beiden anderen Gesellschaften sein.
- Die Klägerin unterliegt dem niederländischen Einkommensteuergesetz von 1964
(im folgenden: niederländisches Gesetz). Gemäß Artikel 14b Absatz 1 des
niederländischen Gesetzes wird bei einer Fusion durch Austausch von Anteilen der
Gewinn aus einer wesentlichen Beteiligung nicht besteuert. Die Inanspruchnahme
dieser Möglichkeit führt der Sache nach zum Aufschub der Besteuerung.
- Artikel 14b Absatz 2 Buchstaben a und b des niederländischen Gesetzes lautet:
Es wird als Fusion von Gesellschaften angesehen, wenn
- eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft gegen Übertragung eigener
Anteile oder Gewinnanteilscheine, gegebenenfalls mit einer Zuzahlung,
einen Bestand an Anteilen an einer anderen in den Niederlanden ansässigen
Gesellschaft erwirbt, der es ihr ermöglicht, in der letztgenannten
Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte auszuüben, um das
Unternehmen dieser Gesellschaft und das einer anderen in finanzieller und
wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden;
- eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ansässige
Gesellschaft gegen Übertragung eigener Anteile oder Gewinnanteilscheine,
gegebenenfalls mit einer Zuzahlung, einen Bestand an Anteilen an einer in
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ansässigen
Gesellschaft erwirbt, der es ihr ermöglicht, in der letztgenannten
Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte auszuüben, um das
Unternehmen dieser Gesellschaft und das einer anderen in finanzieller und
wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden.
- Unter „Unternehmen“ im Sinne des niederländischen Gesetzes ist im wesentlichen
die wirtschaftliche Tätigkeit einer juristischen Person zu verstehen, während der
Begriff „Gesellschaft“ auf die juristische Person selbst Bezug nimmt.
- Die Klägerin stellte bei der niederländischen Finanzverwaltung den Antrag, die
beabsichtigte Transaktion als „Fusion durch Austausch von Anteilen“ im Sinne der
niederländischen Rechtsvorschriften zu behandeln; in diesem Fall könnte sie für
einen etwaigen mit der Übertragung von Anteilen erzielten Gewinn die
Steuerbefreiung in Anspruch nehmen und etwaige Verluste innerhalb der so
geschaffenen steuerlichen Einheit ausgleichen.
- Der Inspecteur war der Ansicht, daß keine Fusion durch Austausch von Anteilen
im Sinne von Artikel 14b Absatz 2 Buchstabe a des niederländischen Gesetzes
vorliege, und lehnte den Antrag ab.
- Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung Klage vor dem Gerechtshof
Amsterdam. Sie ist der Auffassung, daß der Vorgang als Fusion anzusehen sei, da
er auf eine engere Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften abziele.
- Der Inspecteur macht dagegen geltend, daß der beabsichtigte Vorgang nicht dazu
diene, die Unternehmen dieser Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher
Hinsicht dauerhaft zu einer größeren Einheit zu verbinden. Eine solche Einheit
bestehe in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht bereits, da die beiden
Gesellschaften schon die gleiche Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin
hätten.
- Der Gerechtshof ist der Meinung, daß zur Entscheidung dieses Rechtsstreits eine
anläßlich der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht in das niederländische
Gesetz eingefügte Bestimmung auszulegen sei.
- Er hat insoweit zunächst festgestellt, daß die Richtlinie nach ihren
Begründungserwägungen zur Beseitigung der steuerlichen Bestimmungen diene, die
u. a. Fusionen und den Austausch von Anteilen zwischen Gesellschaften
verschiedener Mitgliedstaaten im Vergleich zu entsprechenden Vorgängen bei
Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligten. Er hat hinzugefügt, daß der
Wortlaut von Artikel 14b Absatz 2 Buchstabe a einerseits und Buchstabe b
andererseits des niederländischen Gesetzes keinen Unterschied zwischen Fusionen,
die nur in den Niederlanden ansässige Gesellschaften beträfen, und Fusionen, die
in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften
beträfen, bewirke.
- Schließlich hat er darauf hingewiesen, daß aus den Zielen der Richtlinie, dem
Wortlaut der betreffenden Bestimmung des niederländischen Gesetzes sowie dessen
Materialien, insbesondere seiner Begründung, hervorgehe, daß der niederländische
Gesetzgeber die Fusionen zwischen ausschließlich in den Niederlanden ansässigen
und zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften habe
gleichbehandeln wollen.
- In Artikel 2 Buchstaben d und h der Richtlinie heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie ist
...
d) .Austausch von Anteilen' der Vorgang, durch den eine Gesellschaft am
Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die
ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von
Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der anderen
Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; letztere darf 10 %
des Nennwerts oder bei Fehlen eines solchen des rechnerischen Werts
der gewährten Anteile nicht überschreiten;
...
h) .erwerbende Gesellschaft' die Gesellschaft, die beim Austausch von
Anteilen eine Beteiligung erwirbt ...“
Titel II der Richtlinie, der aus den Artikeln 4 bis 8 besteht, enthält die Regeln für
die steuerliche Behandlung von Fusionen und Spaltungen sowie des Austauschs von
Anteilen. In Artikel 8 ist u. a. vorgesehen, daß die Zuteilung von Anteilen am
Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der
erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund des
Austauschs von Anteilen für sich allein keine Besteuerung des
Veräußerungsgewinns auslösen darf.
Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie lautet:
„Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung der Titel II, III und IV ganz oder teilweise
versagen oder rückgängig machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von
Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen
a) als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen
Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. Vom Vorliegen
eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion,
Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von
Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen insbesondere der
Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften
beruht“.
- Da nach Ansicht des Gerechtshof Amsterdam die Auslegung der Bestimmungen
der Richtlinie zur Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit
erforderlich ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Fragen vorgelegt:
1. Können dem Gerichtshof auch dann Fragen nach der Auslegung und dem
Zweck einer Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften
vorgelegt werden, wenn die Richtlinie in dem konkreten Fall nicht
unmittelbar anwendbar ist, der konkrete Fall nach dem Willen des
nationalen Gesetzgebers aber in gleicher Weise zu behandeln ist wie ein
Fall, auf den die Richtlinie sich bezieht?
Wenn ja:
2. a) Liegt ein Austausch von Anteilen im Sinne von Artikel 2 Buchstabe
d der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 vor, wenn
die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h nicht
selbst ein Unternehmen betreibt?
b) Liegt ein Austausch von Anteilen in dem genannten Sinne nicht vor,
wenn dieselbe natürliche Person, die vor dem Austausch
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen
Gesellschaften war, nach dem Austausch Geschäftsführer und
Alleingesellschafter der erwerbenden Gesellschaft ist?
c) Liegt ein Austausch von Anteilen in dem genannten Sinne nur vor,
wenn der Austausch dazu dient, das Unternehmen der erwerbenden
Gesellschaft und das einer anderen Gesellschaft in finanzieller und
wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden?
d) Liegt ein Austausch von Anteilen in dem genannten Sinne nur vor,
wenn der Austausch dazu dient, die Unternehmen von zwei oder
mehr erworbenen Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher
Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden?
e) Ist der Austausch von Anteilen, der einem horizontalen steuerlichen
Verlustausgleich zwischen den beteiligten Gesellschaften innerhalb
einer steuerlichen Einheit im Sinne von Artikel 15 der Wet op de
Vennootschapsbelasting (Körperschaftsteuergesetz) von 1969 dient,
ein hinreichender vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne von
Artikel 11 der Richtlinie?
Zur ersten Frage
- Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Gerichtshof
gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts
zuständig ist, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber
der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie
in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und
Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine
Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepaßt hat.
- Die Klägerin ist der Ansicht, daß der Gerichtshof in Anbetracht des Zieles der
Richtlinie und des Grundsatzes der Gleichbehandlung zuständig sei. Wenn
innerstaatliche und gemeinschaftsinterne Fusionen nicht gleichbehandelt würden,
würde dies nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Konzernen führen, die
die gleichen Strukturen aufwiesen, von denen aber nur einer in mehreren
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft tätig sei.
- Die Kommission sowie die niederländische und die deutsche Regierung sind der
Auffassung, daß der Gerichtshof für die Beantwortung von Fragen, die außerhalb
des Anwendungsbereichs der Richtlinie lägen, nicht zuständig sei. Dies sei hier der
Fall, da die Richtlinie nach Artikel 1 auf Fusionen, Spaltungen, die Einbringung
von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen anzuwenden sei, die
Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten beträfen.
- Die Kommission und die niederländische Regierung verweisen darüber hinaus auf
das im Rahmen des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32; im folgenden: Übereinkommen)
ergangene Urteil vom 28. März 1995 in der Rechtssache C-346/93 (Kleinwort
Benson, Slg. 1995, I-615), in dem sich der Gerichtshof für unzuständig erklärt habe.Insoweit machen sie geltend, angesichts der Ähnlichkeit der Verfahren könne keine
Unterscheidung zwischen Fragen, die im Rahmen dieses Übereinkommens gestellt
würden, und Fragen gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vorgenommen werden.
- Die Kommission vertritt die Ansicht, daß der Gerichtshof nach diesem Urteil nur
dann zuständig sei, wenn die nationale Regelung unmittelbar und unbedingt auf das
Gemeinschaftsrecht verweise. Dies sei aber im Ausgangsverfahren nicht der Fall.
- Die niederländische Regierung weist darauf hin, daß das vom Gerichtshof zu
erlassende Urteil die nationalen Gerichte nicht im Sinne des vorerwähnten Urteils
Kleinwort Benson binden würde, da die begehrte Auslegung es dem vorlegenden
Gericht lediglich ermöglichen solle, das nationale Recht anzuwenden. Außerdem
sei die Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht in der Begründung des
niederländischen Gesetzes nicht bindend, sondern könne nur einen Gesichtspunkt
bei der Auslegung dieses Gesetzes darstellen.
- Die deutsche Regierung trägt vor, wie der Gerichtshof im Urteil vom 8. November
1990 in der Rechtssache C-231/89 (Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I-4003)
entschieden habe, brauche er keine Vorabentscheidung zu treffen, wenn wie im
vorliegenden Fall offensichtlich sei, daß die ihm zur Auslegung unterbreitete
Bestimmung des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar sei.
- Nach Artikel 177 EG-Vertrag entscheidet der Gerichtshof im Wege der
Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Vertrages und der Handlungen der
Organe der Gemeinschaft.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Artikel 177 EG-Vertrag vorgesehene
Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den
nationalen Gerichten. Folglich ist es allein Sache der mit dem Rechtsstreit befaßten
nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche
Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen
Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß ihres
Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten
Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen
C-297/88 und C-197/89, Dzodzi, Slg. 1990, I-3763, Randnrn. 33 und 34, und Urteil
Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 18 und 19).
- Betreffen die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung
einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof daher
grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 35 bzw. 20). Weder aus dem Wortlaut des Artikels 177
noch aus dem Zweck des dort vorgesehenen Verfahrens ergibt sich, daß die
Verfasser des EG-Vertrags von der Zuständigkeit des Gerichtshofes die
Vorabentscheidungsersuchen hätten ausschließen wollen, die eine
Gemeinschaftsbestimmung in dem besonderen Fall betreffen, daß das nationale
Recht eines Mitgliedstaats auf sie verweist, um einen rein internen Sachverhalt zu
regeln (vgl. Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 36 bzw. 25).
- Ein von einem nationalen Gericht gestelltes Ersuchen kann nur zurückgewiesen
werden, wenn sich zeigt, daß das Verfahren des Artikels 177 EG-Vertrag
zweckentfremdet wurde und der Gerichtshof in Wirklichkeit mittels eines
konstruierten Rechtsstreits zu einer Entscheidung veranlaßt werden soll, oder wenn
es auf der Hand liegt, daß das Gemeinschaftsrecht auf den konkreten Sachverhalt
weder unmittelbar noch mittelbar angewandt werden kann (vgl. in diesem Sinne
Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 40 bzw. 23).
- In Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof wiederholt seine
Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen bejaht, die
Gemeinschaftsvorschriften in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens nicht unter das Gemeinschaftsrecht fiel, aber die genannten
Vorschriften entweder durch das nationale Recht oder aufgrund bloßer
Vertragsbestimmungen für anwendbar erklärt worden waren (vgl. in bezug auf die
Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach nationalem Recht die Urteile Dzodzi
und Gmurzynska-Bscher sowie die Urteile vom 26. September 1985 in der
Rechtssache 166/84, Thomasdünger, Slg. 1985, 3001, und vom 24. Januar 1991 in
der Rechtssache C-384/89, Tomatis und Fulchiron, Slg. 1991, I-127, und in bezug
auf die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach Vertragsbestimmungen die
Urteile vom 25. Juni 1992 in der Rechtssache C-88/91, Federconsorzi, Slg. 1992,
I-4035, und vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-73/89, Fournier, Slg.
1992, I-5621; im folgenden: Dzodzi-Rechtsprechung). In diesen Urteilen hatten die
nationalen oder vertraglichen Bestimmungen, die die Gemeinschaftsvorschriften
übernehmen, deren Anwendung augenscheinlich nicht eingeschränkt.
- Im vorerwähnten Urteil Kleinwort Benson hat der Gerichtshof dagegen seine
Zuständigkeit für die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen verneint,
das sich auf das Übereinkommen bezog.
- In Randnummer 19 dieses Urteils hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß die
Vorschriften des Übereinkommens, die dem Gerichtshof zur Auslegung unterbreitet
wurden, anders als in der Dzodzi-Rechtsprechung nicht als solche durch das Recht
des betreffenden Vertragsstaats für anwendbar erklärt worden waren. In
Randnummer 16 dieses Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, daß sich das
fragliche nationale Gesetz darauf beschränkte, das Übereinkommen als Muster zu
nehmen, und dessen Begriffe nur zum Teil wiedergab. Ferner hat er in
Randnummer 18 festgestellt, daß das Gesetz für die Behörden des betreffenden
Vertragsstaats ausdrücklich die Möglichkeit vorsah, Änderungen vorzunehmen, die
zwischen seinen Vorschriften und den entsprechenden Vorschriften des
Übereinkommens „eine Divergenz ... herbeiführen sollen“. Darüber hinaus wurde
im Gesetz ausdrücklich zwischen den auf Sachverhalte mit Gemeinschaftsbezug und
den auf interne Sachverhalte anwendbaren Bestimmungen unterschieden. Im
erstgenannten Fall waren die nationalen Gerichte bei der Auslegung der
einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes an die Rechtsprechung des
Gerichtshofes zum Übereinkommen gebunden, während sie sie im letztgenannten
Fall nur zu berücksichtigen brauchten und somit von ihr abweichen konnten.
- Dies ist hier aber nicht der Fall.
- Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, daß die Auslegung des Begriffes „Fusion
durch Austausch von Anteilen“ in seinem gemeinschaftsrechtlichen Kontext für die
Entscheidung über den ihm vorliegenden Rechtsstreit erforderlich sei und daß
dieser Begriff in der Richtlinie vorkomme, in das nationale Gesetz zu ihrer
Umsetzung übernommen und auf vergleichbare, rein innerstaatliche Sachverhalte
ausgedehnt worden sei.
- Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher
Sachverhalte nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen, um
insbesondere zu verhindern, daß es zu Benachteiligungen der eigenen
Staatsangehörigen oder wie im vorliegenden Fall zu Wettbewerbsverzerrungen
kommt, so besteht ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, daß die aus dem
Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig
davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich
ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. in
diesem Sinne Urteil Dzodzi, a. a. O., Randnr. 37).
- In einem solchen Fall ist es jedoch im Rahmen der in Artikel 177 vorgesehenen
Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und
dem Gerichtshof allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser
Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des
Gerichtshofes beschränkt sich auf die Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen
Bestimmungen (Urteile Dzodzi und Federconsorzi, a. a. O., Randnrn. 41 und 42
bzw. 10). Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der
Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen
wollte, gilt nämlich das nationale Recht, so daß dafür ausschließlich die Gerichte
des Mitgliedstaats zuständig sind (Urteil Dzodzi, a. a. O., Randnr. 42, und Urteil
vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-73/89, Fournier, Slg. 1992, I-5621,
Randnr. 23).
- Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß der Gerichtshof gemäß
Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig ist,
wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale
Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales
Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter
die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen
Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepaßt hat.
Zur zweiten Frage
Zu den Buchstaben a bis d der zweiten Frage
- Das vorlegende Gericht nimmt in den Buchstaben a bis d der zweiten Frage auf
Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie Bezug, in dem die Fusionen durch Austausch
von Anteilen definiert werden. Aus dem Wortlaut dieser Frage geht jedoch hervor,
daß sie sich in Wirklichkeit auf die Voraussetzung der in finanzieller und
wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaften Verbindung der Unternehmen von zwei
Gesellschaften zu einer Einheit bezieht, die nicht in Artikel 2 Buchstabe d der
Richtlinie enthalten ist, sondern um die der niederländische Gesetzgeber die aus
der Richtlinie hervorgehende Definition bei der Umsetzung ergänzt hat. Aus den
Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß diese Voraussetzung eingefügt
wurde, um gemäß Artikel 11 der Richtlinie Vorgänge von der in der Richtlinie
vorgesehenen Gewährung steuerlicher Vorteile auszunehmen, deren
hauptsächlicher Beweggrund die Steuerhinterziehung oder -umgehung ist. Die
Buchstaben a bis d der zweiten Frage sind daher nicht allein anhand von Artikel 2
Buchstabe d der Richtlinie, sondern auch anhand ihres Artikels 11 zu prüfen, der
den Mitgliedstaaten u. a. für diesen Fall eine Zuständigkeit vorbehält.
- Aus Artikel 2 Buchstabe d sowie der allgemeinen Systematik der Richtlinie ist zu
entnehmen, daß die dort vorgesehene gemeinsame Besteuerungsregelung, die
verschiedene steuerliche Vorteile umfaßt, gleichermaßen auf alle Fusionen,
Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von
Anteilen anzuwenden ist, ungeachtet dessen, ob ihre Gründe finanzieller,
wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind.
- Daß die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h der Richtlinie
nicht selbst ein Unternehmen betreibt oder daß dieselbe natürliche Person, die
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war,
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird,
schließt es folglich nicht aus, den Vorgang als Austausch von Anteilen im Sinne von
Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie einzustufen. Ebensowenig ist eine in
finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhafte Verbindung der Unternehmen
von zwei Gesellschaften zu einer Einheit Voraussetzung dafür, den Vorgang als
Austausch von Anteilen im Sinne dieser Bestimmung einzustufen.
- Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a ermächtigt die Mitgliedstaaten, die Anwendung
der Bestimmungen der Richtlinie einschließlich der steuerlichen Vorteile, um die
es im Ausgangsrechtsstreit geht, u. a. dann ganz oder teilweise zu versagen oder
rückgängig zu machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von
Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen als hauptsächlichen
Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die
Steuerhinterziehung oder -umgehung hat.
- Gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a kann der Mitgliedstaat im Rahmen dieses
Zuständigkeitsvorbehalts vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung
ausgehen, „wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder
der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen
insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten
Gesellschaften beruht“.
- Den Artikeln 2 Buchstaben d und h sowie 11 Absatz 1 Buchstabe a ist somit zu
entnehmen, daß die Mitgliedstaaten bei den in Artikel 2 Buchstabe d genannten
Vorgängen des Austauschs von Anteilen die in der Richtlinie vorgesehenen
steuerlichen Vorteile gewähren müssen, sofern diese Vorgänge nicht als
hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die
Steuerhinterziehung oder -umgehung haben. Dabei können die Mitgliedstaaten
vorsehen, daß vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung
auszugehen ist, wenn diese Vorgänge nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen
Gründen beruhen.
- Bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang einen solchen Beweggrund hat,
können sich die zuständigen nationalen Behörden jedoch nicht darauf beschränken,
vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; sie müssen vielmehr eine globale
Untersuchung jedes Einzelfalls vornehmen. Eine solche Untersuchung muß nach
ständiger Rechtsprechung gerichtlich überprüfbar sein (vgl. in diesem Sinne Urteil
vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663,
Randnr. 40).
- Diese Untersuchung kann sich unter Umständen auf die vom vorlegenden Gericht
in den Buchstaben a bis d seiner zweiten Frage erwähnten Gesichtspunkte
erstrecken. Keiner dieser Gesichtspunkte ist jedoch für sich genommen
ausschlaggebend. Eine Fusion oder Umstrukturierung in Form eines mit der
Neubildung einer Holdinggesellschaft, die als solche kein Unternehmen besitzt,
verbundenen Austauschs von Anteilen kann auf vernünftigen wirtschaftlichen
Gründen beruhen. Desgleichen können solche Gründe die rechtliche
Umstrukturierung von Gesellschaften erforderlich machen, die bereits in
wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht eine Einheit bilden. Es ist auch nicht
ausgeschlossen auch wenn dies einen Anhaltspunkt für eine Steuerhinterziehung
oder -umgehung darstellen kann , daß mit einer Fusion durch Austausch von
Anteilen, die auf die Schaffung einer bestimmten Struktur für begrenzte Zeit und
nicht auf Dauer abzielt, vernünftige wirtschaftliche Gründe verfolgt werden.
- Mangels genauerer Gemeinschaftsbestimmungen über die Anwendung der
Vermutung in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a ist es Sache der Mitgliedstaaten,
unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die zur Anwendung
dieser Bestimmung erforderlichen Modalitäten festzulegen.
- Dabei ginge jedoch eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von
Vorgängen auf der Grundlage von Kriterien der in den Buchstaben a bis d der
zweiten Frage genannten Art automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich
eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil
ausgeschlossen werden, über das zur Verhinderung einer Steuerhinterziehung oder
-umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie verfolgte
Ziel. Dies wäre auch dann der Fall, wenn eine derartige Vorschrift nur derVerwaltung das Ermessen einräumte, Ausnahmen vorzusehen.
- Diese Auslegung steht mit den Zielen sowohl der Richtlinie als auch ihres
Artikels 11 im Einklang. Nach der ersten Begründungserwägung der Richtlinie wird
mit ihr das Ziel verfolgt, wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen zu schaffen,
um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen
Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer
Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen. In derselben
Begründungserwägung heißt es weiter, daß Fusionen, Spaltungen, die Einbringung
von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften
verschiedener Mitgliedstaaten beträfen, nicht durch besondere Beschränkungen,
Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der
Mitgliedstaaten behindert werden dürften. Nur wenn der beabsichtigte Vorgang die
Steuerhinterziehung oder -umgehung als Beweggrund hat, können die
Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 und der letzten Begründungserwägung der
Richtlinie deren Anwendung versagen.
Zu Buchstabe e der zweiten Frage
- Mit Buchstabe e seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
ein horizontaler steuerlicher Verlustausgleich zwischen den am Vorgang beteiligten
Gesellschaften ein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne von Artikel 11 der
Richtlinie ist.
- Nach dem Wortlaut und den Zielen von Artikel 11 sowie den Zielen der Richtlinie
setzt der Begriff der vernünftigen wirtschaftlichen Gründe mehr als das bloße
Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil voraus. Eine Fusion durch Austausch
von Anteilen, mit der nur dieser Zweck verfolgt wird, ist deshalb kein vernünftiger
wirtschaftlicher Grund im Sinne des genannten Artikels.
- Auf die zweite Frage ist daher wie folgt zu antworten:
- Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie setzt nicht voraus, daß die erwerbende
Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h der Richtlinie selbst ein
Unternehmen betreibt oder daß die Unternehmen von zwei Gesellschaften
in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit
verbunden werden. Auch der Umstand, daß dieselbe natürliche Person, die
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften
war, Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft
wird, steht der Einstufung des fraglichen Vorgangs als Fusion durch
Austausch von Anteilen nicht entgegen.
- Nach Artikel 11 der Richtlinie müssen die zuständigen nationalen Behörden
bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang als hauptsächlichen
Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die
Steuerhinterziehung oder -umgehung hat, in jedem Einzelfall eine globale
Untersuchung dieses Vorgangs vornehmen. Eine solche Untersuchung muß
gerichtlich überprüfbar sein. Gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der
Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß vom Vorliegen einer
Steuerhinterziehung oder -umgehung auszugehen ist, wenn der beabsichtigte
Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht. Sie haben
unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die hierfür
erforderlichen innerstaatlichen Verfahren festzulegen. Eine generelle
Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage
von Kriterien der in Buchstabe a der zweiten Antwort genannten Art
automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung
oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, ginge
jedoch über das zur Verhinderung einer solchen Steuerhinterziehung oder
-umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie
verfolgte Ziel.
- Der Begriff des vernünftigen wirtschaftlichen Grundes im Sinne von
Artikel 11 der Richtlinie setzt mehr als das bloße Streben nach einem rein
steuerlichen Vorteil wie dem horizontalen Verlustausgleich voraus.
Kosten
- Die Auslagen der niederländischen und der deutschen Regierung sowie der
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hatDER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Gerechtshof Amsterdam mit Urteil vom 26. Januar 1995
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Gerichtshof ist gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des
Gemeinschaftsrechts zuständig, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt
nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung
der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat,
rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie
fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften
deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepaßt hat.
2. a) Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23.
Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen,
Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den
Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener
Mitgliedstaaten betreffen, setzt nicht voraus, daß die erwerbende
Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h dieser Richtlinie
selbst ein Unternehmen betreibt oder daß die Unternehmen von zwei
Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft
zu einer Einheit verbunden werden. Auch der Umstand, daß dieselbe
natürliche Person, die Alleingesellschafter und Geschäftsführer der
erworbenen Gesellschaften war, Alleingesellschafter und
Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird, steht der
Einstufung des fraglichen Vorgangs als Fusion durch Austausch von
Anteilen nicht entgegen.
b) Nach Artikel 11 der Richtlinie 90/434 müssen die zuständigen
nationalen Behörden bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang
als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen
Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat, in jedem
Einzelfall eine globale Untersuchung dieses Vorgangs vornehmen.
Eine solche Untersuchung muß gerichtlich überprüfbar sein. Gemäß
Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/434 können die
Mitgliedstaaten vorsehen, daß vom Vorliegen einer
Steuerhinterziehung oder -umgehung auszugehen ist, wenn der
beabsichtigte Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen
Gründen beruht. Sie haben unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit die hierfür erforderlichen innerstaatlichen
Verfahren festzulegen. Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte
Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage von Kriterien der in
Buchstabe a der zweiten Antwort genannten Art automatisch und
unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder
-umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, ginge
jedoch über das zur Verhinderung einer solchen Steuerhinterziehung
oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der
Richtlinie 90/434 verfolgte Ziel.
c) Der Begriff des vernünftigen wirtschaftlichen Grundes im Sinne von
Artikel 11 der Richtlinie 90/434 setzt mehr als das bloße Streben
nach einem rein steuerlichen Vorteil wie dem horizontalen
Verlustausgleich voraus.
Rodríguez IglesiasMancini
Moitinho de Almeida
Murray Sevón Kakouris Kapteyn
GulmannEdward
Puissochet
HirschJann
Ragnemalm
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juli 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
1: Verfahrenssprache: Niederländisch.