Language of document : ECLI:EU:C:2018:918

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 15. November 2018(1)

Rechtssache C‑393/17

Openbaar Ministerie

gegen

Freddy Lucien Magdalena Kirschstein,

Thierry Frans Adeline Kirschstein,

Beteiligte:

Vlaamse Gemeenschap

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van beroep te Antwerpen [Berufungsgericht Antwerpen, Belgien])

„Vorabentscheidungsersuchen – Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123/EG – Anwendungsbereich – Definition der Dienstleistungen im Sinne des Unionsrechts – Nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse – Privat finanziertes Hochschulwesen – Unlautere Geschäftspraktiken – Verbot der Verleihung des Grades des Masters für nicht anerkannte Einrichtungen – Strafrechtliche Sanktionen“






I.      Einleitung

1.        Nach dem Recht der Vlaamse Gemeenschap (Flämische Gemeinschaft) können bestimmte Grade nur von Hochschuleinrichtungen verliehen werden, die eine Akkreditierung erhalten haben. Erfolgt eine Verleihung ohne diese Akkreditierung, kann dies strafrechtlich verfolgt und mit einer Freiheits- und/oder Geldstrafe geahndet werden.

2.        Herr Freddy Kirschstein und Herr Thierry Kirschstein sind Geschäftsführer der UIBS Belgium, einer in Belgien ansässigen Gesellschaft, die Dienstleistungen der Hochschulbildung erbringt. Den Kirschsteins wird von den flämischen Strafverfolgungsbehörden zur Last gelegt, zwischen 2006 und 2010 mindestens zweimal Zeugnisse mit der Bezeichnung „Master“ ausgestellt zu haben, ohne hierfür die erforderliche Akkreditierung erhalten zu haben.

3.        Die Fragen, die dem Gerichtshof im konkreten tatsächlichen Kontext der vorliegenden Rechtssache vorgelegt werden, scheinen relativ einfach zu sein: Ist das für eine nicht akkreditierte Hochschuleinrichtung nach dem nationalen Recht geltende Verbot der Verleihung des Masterabschlusses (und die strafrechtlichen Sanktionen für Verstöße gegen dieses Verbot) mit der Dienstleistungsrichtlinie(2) und der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken(3) vereinbar?

4.        Die sich in der vorliegenden Rechtssache stellende komplexere Frage dürfte allerdings die Vorfrage des sachlichen Anwendungsbereichs der beiden vom vorlegenden Gericht angeführten Regelungskomplexe sein: Sind Hochschulstudiengänge „Dienstleistungen“ im Sinne des Unionsrechts? Wenn ja, welche Art von Dienstleistungen stellen sie dar? Sind sie als nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse anzusehen, die eine in der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehene Kategorie darstellen?

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Die Dienstleistungsrichtlinie

5.        Der 34. Erwägungsgrund der Dienstleistungsrichtlinie lautet: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss die Frage, ob bestimmte Tätigkeiten – insbesondere Tätigkeiten, die mit öffentlichen Mitteln finanziert oder durch öffentliche Einrichtungen erbracht werden – eine ‚Dienstleistung‘ darstellen, von Fall zu Fall im Lichte sämtlicher Merkmale, insbesondere der Art, wie die Leistungen im betreffenden Mitgliedstaat erbracht, organisiert und finanziert werden, beurteilt werden. Der Gerichtshof hat entschieden, dass das wesentliche Merkmal eines Entgelts darin liegt, dass es eine Gegenleistung für die betreffenden Dienstleistungen darstellt, und hat anerkannt, dass das Merkmal des Entgelts bei Tätigkeiten fehlt, die vom Staat oder für den Staat ohne wirtschaftliche Gegenleistung im Rahmen der sozialen, kulturellen, bildungspolitischen und rechtlichen Verpflichtungen des Staates ausgeübt werden, wie etwa bei im Rahmen des nationalen Bildungssystems erteiltem Unterricht oder der Verwaltung von Systemen der sozialen Sicherheit, die keine wirtschaftliche Tätigkeit bewirken. Die Zahlung einer Gebühr durch den Dienstleistungsempfänger, z. B. eine Unterrichts- oder Einschreibegebühr, die Studenten als Beitrag zu den Betriebskosten eines Systems entrichten, stellt als solche kein Entgelt dar, da die Dienstleistung noch überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Diese Tätigkeiten entsprechen daher nicht der in Artikel 50 des Vertrags enthaltenen Definition von ‚Dienstleistungen‘ und fallen somit nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.“

6.        Art. 1 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie enthält allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.

(2)      Diese Richtlinie betrifft weder die Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die öffentlichen oder privaten Einrichtungen vorbehalten sind, noch die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, die Dienstleistungen erbringen.

(3)      …

Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht festzulegen, welche Leistungen sie als von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erachten, wie diese Dienstleistungen unter Beachtung der Vorschriften über staatliche Beihilfen organisiert und finanziert werden sollten und welchen spezifischen Verpflichtungen sie unterliegen sollten.

(5)      Diese Richtlinie berührt nicht das Strafrecht der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten dürfen jedoch nicht unter Umgehung der Vorschriften dieser Richtlinie die Dienstleistungsfreiheit dadurch einschränken, dass sie Strafrechtsbestimmungen anwenden, die die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit gezielt regeln oder beeinflussen.“

7.        Art. 2 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.

(2)      Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:

a)      nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse;

i)      Tätigkeiten, die im Sinne des Artikels 45 des Vertrags mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind …“

8.        Art. 4 Nr. 1 definiert eine „Dienstleistung“ als „jede von Artikel 50 des Vertrags erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird …“.

9.        Nach Art. 4 Nr. 6 umfasst der Begriff „Genehmigungsregelung“ „jedes Verfahren, das einen Dienstleistungserbringer oder ‑empfänger verpflichtet, bei einer zuständigen Behörde eine förmliche oder stillschweigende Entscheidung über die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu erwirken“.

10.      In Art. 9, der Teil von Kapitel III über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer ist, sind Genehmigungsverfahren geregelt. Er bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      die Genehmigungsregelungen sind für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend;

b)      die Genehmigungsregelungen sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt;

c)      das angestrebte Ziel kann nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.

…“

11.      Nach Art. 13 Abs. 1 „[müssen] [d]ie Genehmigungsverfahren und ‑formalitäten … klar, im Voraus bekannt gemacht und so ausgestaltet sein, dass eine objektive und unparteiische Behandlung der Anträge der Antragsteller gewährleistet ist“.

2.      Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken

12.      Nach Art. 1 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken „[ist es] Zweck dieser Richtlinie …, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen“.

13.      Art. 2 legt die einschlägigen Definitionen fest:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Verbraucher‘ jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können;

b)      ‚Gewerbetreibender‘ jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt;

c)      ‚Produkt‘ jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen;

d)      ‚Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;

e)      ‚wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers‘ die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte …“

14.      Art. 3 legt den Anwendungsbereich der Richtlinie fest:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.

(8)      Diese Richtlinie lässt alle Niederlassungs- oder Genehmigungsbedingungen, berufsständischen Verhaltenskodizes oder andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe unberührt, damit die strengen Integritätsstandards, die die Mitgliedstaaten den in dem Beruf tätigen Personen nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts auferlegen können, gewährleistet bleiben.“

15.      Art. 5 bestimmt:

„(1)      Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.

(2)      Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn

a)      sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht

und

b)      sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet[,] oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.

(5)      Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“

16.      Nach Anhang I Nr. 2 ist eine Geschäftspraxis, die unter allen Umständen als unlauter gilt, „[d]ie Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung“. Ferner zählt nach Nr. 4 zu diesen Praktiken „[d]ie Behauptung, dass ein Gewerbetreibender … oder ein Produkt von einer öffentlichen oder privaten Stelle bestätigt, gebilligt oder genehmigt worden sei, obwohl dies nicht der Fall ist …“.

17.      Nach Art. 6 Abs. 1 „[gilt] [e]ine Geschäftspraxis … als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte:

a)      das Vorhandensein oder die Art des Produkts;

b)      die wesentlichen Merkmale des Produkts wie … die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse …“.

B.      Belgisches Recht

18.      Nach Art. 127 § 1 Abs. 2 der belgischen Verfassung ist die Regelung des Unterrichtswesens mit Ausnahme der Festlegung von Beginn und Ende der Schulpflicht, der Mindestbedingungen für die Ausstellung der Diplome und der Pensionsregelungen Sache der Gemeinschaften. Nach Art. 24 § 5 wird die Organisation, die Anerkennung oder die Bezuschussung des Unterrichtswesens durch die Gemeinschaften durch Gesetz oder Dekret geregelt.

19.      In Flandern war das Hochschulwesen durch das Decreet van 4 April 2003 betreffende de herstructurering van het hoger onderwijs in Vlaanderen (Dekret vom 4. April 2003 über die Umstrukturierung des Hochschulwesens in Flandern) (im Folgenden: Dekret vom 4. April 2003) geregelt. Art. 25 § 7 lautete wie folgt: „Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, die Grade Bachelor, Master mit oder ohne Spezifikation oder Doktor (‚doctor of philosophy‘ mit der Abkürzung PhD oder Dr.) oder die in § 2, § 3, § 4, § 5 und § 5bis genannten Grade und Titel verleiht, wird mit einer Freiheitsstrafe von acht Tagen bis drei Monaten und mit einer Geldstrafe von 125 Euro bis 500 Euro oder nur mit einer dieser Strafen bestraft“(4).

20.      Das Dekret vom 4. April 2003 wurde aufgehoben und in den Kodex Hochschulwesen (Codex Hoger Onderwijs) übernommen, der am 11. Oktober 2013 von der flämischen Regierung erlassen wurde(5). Art. 25 § 7 des Dekrets vom 4. April 2003 wurde in Art. II.75 § 6 dieses Kodex übernommen.

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

21.      United International Business Schools of Belgium BVBA (im Folgenden: UIBS Belgium) ist eine Hochschuleinrichtung, die von den zuständigen flämischen Behörden nicht anerkannt ist. UIBS Belgium ist mit der Gesellschaft schweizerischen Rechts Global Education Services Switzerland AG (im Folgenden: GES Switzerland) sowie der Global Education Services Spain SA (im Folgenden: GES Spain) verbunden. Nach den Angaben des Vorabentscheidungsersuchens hat UIBS Belgium für diese beiden Gesellschaften eine unterstützende Funktion, indem sie u. a. in Belgien örtliche Unterstützung bei Lehrveranstaltungen leiste, die weltweit von GES Switzerland koordiniert würden. An den Hochschulstandorten von UIBS Belgium, insbesondere in Antwerpen und Gent, würden verschiedene Studiengänge angeboten. Nach erfolgreichem Abschluss dieser Programme erhielten die Studierenden ein Diplom mit „Master“ im Titel.

22.      Herr Freddy Kirschstein und Herr Thierry Kirschstein (im Folgenden: Rechtsmittelgegner) stehen beide mit UIBS Belgium in Verbindung. Am 14. Dezember 2015 verurteilte die Rechtbank van eerste aanleg (Gericht des ersten Rechtszugs, Antwerpen, Belgien) die Rechtsmittelgegner jeweils zu einer Geldstrafe von 300 Euro (als strafrechtliche Sanktion) wegen Verstoßes gegen Art. 25 § 7 des Dekrets vom 4. April 2003, weil sie zwischen 2006 und 2010 in mindestens zwei Fällen in der Filiale Antwerpen der UIBS Belgium Studierenden den Grad des Masters verliehen hätten, ohne dazu nicht berechtigt gewesen zu sein. Die Rechtsmittelgegner wurden ferner verurteilt, der Flämischen Gemeinschaft den nominellen Betrag von einem Euro als Schadensersatz im Rahmen ihrer Adhäsionsklage zu zahlen sowie die auf diese Klage entfallenden Kosten zu tragen.

23.      Gegen die Entscheidung der Rechtbank van eerste aanleg (Gericht des ersten Rechtszugs, Antwerpen) legten die Rechtsmittelgegner am 29. Dezember 2015 Rechtsmittel ein. Am selben Tag legte die Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft; im Folgenden auch: Rechtsmittelführerin) ein Anschlussrechtsmittel ein, das auf den die gegen die Rechtsmittelgegner verhängte Strafe betreffenden Teil der Entscheidung beschränkt war.

24.      Im Rechtsmittelverfahren hat sich der Streitgegenstand dahin konkretisiert, ob eine Hochschuleinrichtung, die Studiengänge anbietet, mit den verliehenen Diplomen den Grad des Masters in Flandern vergeben kann, obwohl sie von der Flämischen Gemeinschaft nicht die Anerkennung hierfür erhalten hat. Nach Ansicht der Flämischen Gemeinschaft stellt dies eine Angelegenheit der öffentlichen Ordnung dar; dieses Interesse sei in geeigneter Weise durch eine strafbewehrte Vorschrift durchzusetzen. Das für nicht anerkannte Einrichtungen geltende Verbot der Verleihung der Grade Master und Bachelor sowie des Doktortitels sei eine geeignete Maßnahme, um zu gewährleisten, dass sich in diesem Schutz dieser Titel die ihnen eigene Qualität widerspiegele. Die Flämische Gemeinschaft ist ferner der Ansicht, dass die Praktiken der Rechtsmittelgegner zu einem unlauteren Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt führten, weil die verliehenen Diplome und dazugehörigen Grade den Zugang zum Arbeitsmarkt eröffneten, ohne dass garantiert werden könne, dass diese Studenten ein bestimmtes Bildungsniveau erreicht hätten.

25.      Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat der Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen, dass sie der Regelung in Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen vom 11. Oktober 2013, wonach es nicht anerkannten Bildungseinrichtungen allgemein verboten ist, die Bezeichnung „Master“ auf von ihnen ausgestellten Diplomen zu verwenden, entgegensteht, wenn durch diese Regelung ein Grund des Allgemeininteresses, nämlich das Erfordernis, ein hohes Bildungsniveau zu gewährleisten, überwacht werden soll, wobei kontrolliert werden können muss, ob die aufgestellten Qualitätsanforderungen tatsächlich erfüllt sind?

2.      Ist die Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen, dass sie der Regelung in Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen vom 11. Oktober 2013, wonach es nicht anerkannten Bildungseinrichtungen allgemein verboten ist, die Bezeichnung „Master“ auf von ihnen ausgestellten Diplomen zu verwenden, entgegensteht, wenn durch diese Regelung ein Grund des Allgemeininteresses, nämlich der Schutz von Dienstleistungsempfängern, überwacht werden soll?

3.      Hält die Strafvorschrift, die auf von den flämischen Behörden nicht anerkannte Bildungseinrichtungen, die „Master“-Diplome ausstellen, anwendbar ist, der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Art. 9 Abs. 1 Buchst. c und Art. 10 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 stand?

26.      Schriftliche Erklärungen sind von den Rechtsmittelgegnern, der Flämischen Gemeinschaft, der belgischen, der deutschen, der italienischen, der niederländischen, der polnischen, der schwedischen und der norwegischen Regierung sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Die Rechtsmittelgegner, die Flämische Gemeinschaft, die belgische, die schwedische und die norwegische Regierung sowie die Kommission haben in der Sitzung vom 11. Juli 2018 mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

27.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut. Ich werde zunächst einige Vorbemerkungen zum Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache und zu den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften machen (Abschnitt A). Sodann werde ich auf die Frage eingehen, ob und inwieweit Hochschulstudiengänge als „Dienstleistungen“ im Sinne des Unionsrechts angesehen werden können (B). Mit diesen Klarstellungen im Blick werde ich dann zu den vom vorlegenden Gericht gestellten konkreten Fragen kommen: Ich werde erstens auf die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften mit der Dienstleistungsrichtlinie eingehen, wobei ich die Fragen 2 und 3 zusammen erörtern werde (Abschnitt C), und dann Frage 1 zur Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken prüfen (Abschnitt D).

A.      Einleitende Klarstellungen

1.      Tatsächlicher Kontext des Ausgangsverfahrens

28.      Das Vorabentscheidungsersuchen enthält einige tatsächliche Unklarheiten, die für die rechtliche Würdigung der Rechtssache von Bedeutung sein könnten. Der Gerichtshof hat das vorlegende Gericht daher (nach Art. 101 seiner Verfahrensordnung) um Klarstellung ersucht, i) welche Einrichtung die in Rede stehenden Diplome förmlich verliehen habe und ii) welches die Funktionen der Rechtsmittelgegner (innerhalb der UIBS Belgium) seien – insbesondere, in welcher Eigenschaft gegen sie jetzt das Strafverfahren betrieben werde.

29.      Das vorlegende Gericht hat hierauf erwidert, dass es die Frage nicht genau beantworten könne, welche Einrichtung den Grad des Masters förmlich vergeben habe, weil dieser tatsächliche Gesichtspunkt im Ausgangsverfahren streitig sei. Es hat daher das Vorbringen der Parteien wiedergegeben: Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin, dem Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft), soll UIBS Belgium (mit Sitz in Belgien) den Grad des Masters vergeben haben. Nach Ansicht der Rechtsmittelgegner soll der Grad des Masters von GES Switzerland (mit Sitz in der Schweiz) und von GES Spain (mit Sitz in Spanien) vergeben worden sein. Das vorlegende Gericht hat ferner angegeben, dass beide Einrichtungen offenbar mit UIBS Belgium verbunden seien, da Letztere stets eine unterstützende Funktion für GES Switzerland und GES Spain wahrgenommen habe.

30.      Zum zweiten Punkt hat das vorlegende Gericht mitgeteilt, dass im maßgeblichen Zeitraum Thierry Kirschstein Geschäftsführer von UIBS Belgium und Freddy Kirschstein Anteilseigner von UIBS Belgium gewesen seien. Letzterer hätte ferner Unterlagen als „Präsident“ der UIBS Belgium unterzeichnet. Damit seien sie nach Art. 66 des Strafwetboek (belgisches Strafgesetzbuch) als Verantwortliche oder Mitverantwortliche für das in Rede stehende Vergehen anzusehen.

31.      Aufgrund der vom vorlegenden Gericht mitgeteilten Angaben und der Ausführungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung werde ich von folgenden Annahmen ausgehen, wobei die Feststellung des Sachverhalts letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist.

32.      Erstens gibt es offenbar eine komplexe Gesellschaftsstruktur zwischen UIBS Belgium, GES Switzerland und GES Spain. Die Rechtsmittelgegner haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die drei Gesellschaften miteinander verbunden seien. Sie haben offenbar gemeinsame Anteilseigner. Was ihre jeweiligen Tätigkeiten angeht, wird offenbar die Lehrtätigkeit (einschließlich der Einstellung von Mitarbeitern, der Anmietung von Räumlichkeiten und der Gewährleistung des alltäglichen Studienbetriebs) örtlich von UIBS Belgium erbracht und verwaltet, während die Diplome zunächst von GES Spain und später von GES Switzerland ausgestellt wurden.

33.      Zweitens ist unstreitig, dass diese drei Gesellschaften zu keinem Zeitpunkt von einer zuständigen Behörde in Flandern oder einem anderen Land, in dem sie tätig sind, eine Akkreditierung für ihre Studiengänge erhalten haben.

34.      Drittens ist der in Rede stehende Studiengang ausschließlich privat finanziert. Es wurde in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass dafür von keiner öffentlichen Einrichtung Mittel bereitgestellt worden seien.

2.      Anwendbare nationale Rechtsvorschriften

35.      Zum zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der betreffenden Regelungen sind zwei weitere Punkte klarzustellen.

36.      Erstens hat das vorlegende Gericht die Fragen 1 und 2 unter Bezug auf Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen formuliert. Frage 3 bezieht sich auf „die Strafvorschrift, die auf von den flämischen Behörden nicht anerkannte Bildungseinrichtungen, die ‚Master‘-Diplome ausstellen, anwendbar ist“, ohne genau zu konkretisieren, welche Vorschrift gemeint und wo sie geregelt ist. Es kann allerdings angenommen werden, dass insoweit ebenfalls auf Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen Bezug genommen wird.

37.      Der Sachverhalt der Rechtssache legt nach seiner Darstellung im Vorabentscheidungsersuchen jedoch nahe, dass die anwendbare Vorschrift des nationalen Rechts Art. 25 § 7 des Dekrets vom 4. April 2003 und nicht Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen ist.

38.      Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen war zum Zeitpunkt der maßgeblichen Ereignisse des Sachverhalts nicht anwendbar. Gegenstand des Strafverfahrens gegen die Rechtsmittelgegner ist eine rechtswidrige Verleihung des Grades des Masters in mindestens zwei Fällen in den Jahren 2009 und 2010, jedenfalls aber vor 2010(6). Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen trat jedoch erst 2013 in Kraft. Die vorher anwendbare Vorschrift war, wie in der (im Beschluss des vorlegenden Gerichts erwähnten) Anschuldigung(7) angegeben, Art. 25 § 7 des Dekrets vom 4. April 2003. Das Strafverfahren gegen die Rechtsmittelgegner beruht auf dieser Vorschrift.

39.      Dass beide Vorschriften angeblich den gleichen Inhalt haben(8), führt meines Erachtens nicht dazu, dass Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen auf die Rechtssache des Ausgangsverfahrens anwendbar wird.

40.      Aus diesen Gründen würde ich dem Gerichtshof vorschlagen, dem nationalen Gericht eine Antwort im Hinblick auf Art. 25 § 7 des Dekrets vom 4. April 2003 zu geben.

41.      Zweitens rückt das vorlegende Gericht unabhängig davon, ob die einschlägige Vorschrift Art. II.75 § 6 des Kodex Hochschulwesen oder Art. 25 § 7 des Dekrets vom 4. April 2003 ist, die „Strafvorschrift“ in den Mittelpunkt, die die rechtswidrige Verleihung bestimmter Grade sanktioniert. Diese Vorschrift, die die Rechtsgrundlage des Strafverfahrens bildet, ist von zentraler Bedeutung für Frage 3. Der Umfang der Fragen 1 und 2 geht jedoch darüber hinaus. Sie beschränken sich nicht auf die Problematik möglicher strafrechtlicher Sanktionen, sondern berühren die breitere und vorgelagerte Frage, ob die nationalen Rechtsvorschriften über das für nicht anerkannte Einrichtungen geltende Verbot der Verleihung des Grades (des Masters) mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

42.      Diese Aufspaltung zwischen den jeweils genau angeführten Bestimmungen führte vor dem Hintergrund der verschiedenen sachlichen Anwendungsbereiche der beiden in der vorliegenden Rechtssache geltend gemachten Richtlinien im Laufe des vorliegenden Verfahrens zu einigen Erörterungen darüber, worin der Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens genau zu sehen sei. Zum einen wurde die Ansicht vertreten, dass der Gerichtshof auf die Frage der Sanktionen (Frage 3) nicht einzugehen habe, weil sie den Bereich des Strafrechts betreffe, der nicht in den Geltungsbereich des anwendbaren Unionsrechts falle. Zum anderen wurde auch die Ansicht vertreten, dass der Gerichtshof nur auf die Frage der Sanktionen eingehen, nicht aber das zugrunde liegende Akkreditierungsverfahren (Fragen 1 und 2) prüfen könne, weil die Fragen und die Rechtssache lediglich eine nationale Vorschrift beträfen, die Sanktionen vorsehe.

43.      Sicherlich gehört zur Freude des Verzehrs einer Salami (normalerweise) die Freiheit der Entscheidung, an welchem der beiden Enden man sie anschneidet. Für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache würde ich indes vorschlagen, an den vom nationalen Gericht gestellten Fragen festzuhalten und dabei der den in Rede stehenden Vorschriften eigenen Logik zu folgen. Der Schwerpunkt der Fragen liegt in der Tat auf den Sanktionen für den Verstoß gegen eine Verhaltensnorm. Diese Elemente sind jedoch beide Teil derselben Rechtsnorm: Wenn man den Grad ohne Akkreditierung verleiht (Hypothese), dann ist daran eine bestimmte Folge (Sanktion) geknüpft. Das Akkreditierungsverfahren ist somit schlicht Teil der Hypothese der anwendbaren Rechtsnorm der vorliegenden Rechtssache. Es ist Teil des gleichen Pakets. Es bedürfte eines nicht unerheblichen Kunstgriffs (oder eines Anschneidens der Salami an beiden Enden), wenn davon ausgegangen werden sollte, dass entweder ein Element der Hypothese (Akkreditierung) oder die Sanktion (Geld- und/oder Freiheitsstrafe) nicht Teil der Rechtsnorm sei und somit von der vorliegenden Rechtssache nicht umfasst sein sollte.

44.      Somit ist zwar die Frage der Vereinbarkeit des nationalen Verfahrens der Hochschulakkreditierung mit dem Unionsrecht per se nicht Gegenstand der vorliegenden Rechtssache, diese Regelungen werden jedoch bei der Beantwortung der vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen zu den Sanktionen für eine Missachtung dieser Regelungen unvermeidlich mittelbar berührt.

B.      Sind Hochschulstudiengänge „Dienstleistungen“ im Sinne des Unionsrechts?

1.      Die Art der „Dienstleistung“: Zeugnis oder Lehrtätigkeit?

45.      Gegenstand der Erörterung sowohl im schriftlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung war u. a., worin der Kern der in der vorliegenden Rechtssache als „Dienstleistung“ in Betracht kommenden Tätigkeit zu sehen sein könnte: in der Vergabe des Master-Abschlusszeugnisses oder in der dem vorangehenden Lehrtätigkeit? Der Grund für die umfangreiche Erörterung dieses Punkts war nicht nur die sachliche Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie, sondern auch ihre räumliche Anwendbarkeit. Die verschiedenen Einrichtungen, von denen die betreffenden Grade verliehen werden könnten, sind in unterschiedlichen Ländern, u. a. auch in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, ansässig(9).

46.      Die Flämische Gemeinschaft und die belgische Regierung halten die Dienstleistungsrichtlinie für nicht anwendbar. GES Switzerland, als die den Grad verleihende Einrichtung, falle nicht in den räumlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Daher seien die Fragen 2 und 3 unzulässig.

47.      Die deutsche Regierung sieht das wesentliche Element ebenfalls in der Vergabe von Hochschulabschlüssen, hauptsächlich weil sie den Zugang zu einem Beruf eröffne. Die Zulassung von Bewerbern zu einem Beruf, der bestimmte Fähigkeiten voraussetze, sei eine Tätigkeit, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sei. Solche Tätigkeiten seien indes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. i vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen. Die Ausstellung von Hochschuldiplomen sei daher keine Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts.

48.      Dagegen stellen die schwedische Regierung und die Kommission die von UIBS Belgium erbrachte Lehrtätigkeit und nicht die Vergabe der Diplome durch GES Switzerland in den Mittelpunkt. In der Vergabe der Diplome sei keine eigenständige Dienstleistung, sondern eine Nebenleistung zu der von UIBS Belgium erbrachten Dienstleistung, nämlich der Lehrtätigkeit, zu sehen.

49.      Was ist die wesentliche Tätigkeit bei einem Hochschulstudium? In Betracht kommen i) die Vergabe des Master-Abschlusszeugnisses (bei der die Lehrtätigkeit eine Nebenleistung ist) oder ii) die Lehrtätigkeit (bei der die Ausstellung des Zeugnisses eine Nebenleistung ist). Um zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu entscheiden, ist die fragliche potenzielle Dienstleistung danach zu ermitteln, welches der wesentliche Bestandteil des betreffenden Pakets ist(10).

50.      Vor diesem Hintergrund stimme ich mit der schwedischen Regierung und der Kommission überein. Ohne zu idealistisch klingen zu wollen, würde ich hoffen, dass der wesentliche Bestandteil der (Hochschul‑)Ausbildung die Lehrtätigkeit und die Bildung und nicht die (bloße) Ausstellung von Diplomen ist. Ein Studienabschluss wird als förmliche Bescheinigung über den Erwerb eines bestimmten Kenntnis- oder Fähigkeitsstands vergeben. Er ist die offizielle Bestätigung, dass alle erforderlichen Lehrveranstaltungen besucht und alle erforderlichen Prüfungen erfolgreich abgelegt wurden, und bescheinigt somit die Gefahr, dass der Absolvent tatsächlich auch gewisse Kenntnisse erworben haben könnte. Das Zeugnis selbst kann aber kaum als das wesentliche und vorrangige Element der im Rahmen von Hochschulstudiengängen erbrachten Tätigkeit betrachtet werden(11).

51.      Demnach dürfte im Kontext der vorliegenden Rechtssache meines Erachtens die wesentliche Tätigkeit im Rahmen eines Hochschulstudiengangs in der Erbringung von Lehrveranstaltungen (offenbar durch UIBS Belgium) und nicht in der förmlichen Vergabe eines Zeugnisses (vermutlich durch GES Switzerland) zu sehen sein.

2.      Hochschulstudiengänge – „Dienstleistungen“ im Sinne des Unionsrechts?

a)      Bildung als „Dienstleistung“ im Sinne des Vertrags

52.      Fest steht, dass das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zum einen für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie die Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen und zum anderen für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung unberührt lässt. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten, insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr(12).

53.      Nach Art. 57 AEUV ist eine Tätigkeit eine „Dienstleistung“, wenn sie „in der Regel gegen Entgelt erbracht“ wird. Nach ständiger Rechtsprechung besteht das Wesensmerkmal des Entgelts darin, dass es die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellt, wobei die Gegenleistung in der Regel zwischen dem Erbringer und dem Empfänger der Leistung vereinbart wird(13).

54.      Im konkreten Kontext der Bildung hat der Gerichtshof zur Beurteilung, ob eine Dienstleistung im Sinne der Verträge vorliegt, eine weitere Unterscheidung danach vorgenommen, welche Einrichtung diese Bildung erbringt und wie sie finanziert wird. Diese Kriterien wurden erstmalig im Urteil Humbel und Edel(14) formuliert; ich werde sie daher als „Humbel-Kriterien“ bezeichnen.

55.      Im Urteil Humbel und Edel ging es um die Erhebung einer Einschreibegebühr von einem französischen Schüler für die Teilnahme am Sekundarunterricht in Belgien. Die Gebühr wurde nur von (den Eltern von) ausländischen Staatsangehörigen erhoben. Schüler, die belgische Staatsangehörige waren, mussten die Gebühr nicht entrichten. Der Gerichtshof wurde gefragt, ob der Sekundarschulunterricht, der Teil des nationalen Bildungssystems sei, als „Dienstleistung“ zu qualifizieren sei, so dass sich die Eltern des französischen Schülers auf die Bestimmungen des Vertrags über das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beim Zugang zu Dienstleistungen berufen könnten(15).

56.      Der Gerichtshof entschied, dass eine Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit im Sinne des Vertrags in diesem Fall nicht möglich sei, da für die Dienstleistungen kein Entgelt im Sinne einer wirtschaftlichen Gegenleistung für die Leistungen erbracht worden sei. Der Gerichtshof stellte fest, dass dieses „Merkmal … bei einem im Rahmen des nationalen Bildungssystems erteilten Unterricht [fehlt]. Zum einen will der Staat durch die Errichtung und Erhaltung eines solchen Systems keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen; vielmehr erfüllt er dadurch auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seine Aufgaben gegenüber seinen Bürgern. Zum anderen wird dieses System in der Regel aus dem Staatshaushalt und nicht von den Schülern oder ihren Eltern finanziert“(16).

57.      Auch wenn es im Urteil Humbel und Edel selbst um Sekundarunterricht ging, ist dieser Ansatz schrittweise auf andere Formen der Bildung erstreckt worden, u. a. auch auf die Hochschulbildung(17).

58.      So hat der Gerichtshof in jüngerer Zeit in allgemeinerer Form wiederholt, dass kein Entgelt und somit keine „Dienstleistung“ im Sinne des Unionsrechts vorliege, soweit der Unterricht an bestimmten Einrichtungen stattfinde, die Teil eines staatlichen Bildungssystems seien und vollständig oder vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert würden, selbst wenn gelegentlich Gebühren oder Schulgeld gezahlt werden müssten, um zu den Kosten für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des nationalen Bildungssystems beizutragen(18). Umgekehrt ist der Unterricht an Bildungseinrichtungen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln – durch die Studierenden oder deren Eltern – finanziert werden, als Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts einzustufen, da das von diesen Einrichtungen verfolgte Ziel darin besteht, eine Leistung gegen Entgelt anzubieten(19).

59.      Der Unterscheidung zwischen öffentlich und privat finanzierter Bildung liegen offenbar zwei Zielsetzungen zugrunde. Erstens das „Argument der sozialen und kulturellen Aufgabe“: Mit der Errichtung und Erhaltung eines staatlichen Bildungssystems, das vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, will der Staat keine gewinnbringende Tätigkeit aufnehmen, sondern auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet seine Aufgaben gegenüber seinen Bürgern erfüllen(20). Zweitens das bisweilen damit verknüpfte und bisweilen gesondert behandelte Argument der „fehlenden Gewinnerzielungsabsicht“: (Staatliche) Bildungseinrichtungen werden vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert, um nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeiten zu erbringen, wobei das Allgemeininteresse der Vermittlung von Wissen und der Förderung der Selbstbestimmtheit der Bürger verfolgt wird. In diesem Sinne ist die in Rede stehende Tätigkeit nicht wirtschaftlicher Art(21).

b)      Die Dienstleistungsrichtlinie und nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

60.      Die Dienstleistungsrichtlinie hat dieses (auf dem Vertrag beruhende) Bild etwas komplexer gemacht. Zum einen wurde in Art. 4 Nr. 1 der Dienstleistungsrichtlinie ausdrücklich die im Vertrag vorgesehene Definition dessen, was eine Dienstleistung darstellt, übernommen. Als Dienstleistung anzusehen ist somit sowohl nach dem Vertrag als auch nach der Dienstleistungsrichtlinie jede selbständige wirtschaftliche Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten wird(22).

61.      Außerdem sind in Art. 2 Abs. 2 eine Reihe von konkreten Tätigkeiten aufgeführt, auf die die Dienstleistungsrichtlinie keine Anwendung findet, wie etwa Gesundheitsdienstleistungen oder soziale Dienstleistungen. Diese Bestimmung enthält ferner zwei abstrakte Kategorien von Dienstleistungen, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie insgesamt ausgenommen sind, nämlich nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse(23) und Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind(24).

62.      Was die letztere Ausnahme und insbesondere die Ansicht der deutschen Regierung angeht, wonach in der Verleihung von Hochschuldiplomen eine vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommene Ausübung öffentlicher Gewalt zu sehen sein soll, kann nur noch einmal wiederholt werden, dass das wesentliche und maßgebende Element der Bildung nicht die Verleihung des Grades, sondern die Lehrtätigkeit ist(25). Im Kontext der vorliegenden Rechtssache bedarf es somit keiner Prüfung, inwieweit die Verleihung eines Diploms mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sein könnte. Es genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung in der Lehrtätigkeit (an einer Universität), als privater Tätigkeit, keine Tätigkeit zu sehen ist, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist(26).

63.      Der Begriff der nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ist gleichwohl schwerer zu fassen, insbesondere da die Dienstleistungsrichtlinie eindeutig regelt, dass der Grundbegriff der „Dienstleistung“ in ihrem Rahmen genauso zu verstehen ist wie nach dem Vertrag. Nach Art. 57 AEUV sind „Leistungen“ „Dienstleistungen“ im Sinne der Verträge, wenn sie „in der Regel gegen Entgelt erbracht werden“. Dieser Wortlaut ist etwas verwirrend, da er den gleichen Begriff (Dienst‑)Leistung zum einen für die tatsächliche Tätigkeit der Erbringung von Leistungen (und somit die tatsächliche Kategorie der Leistungen) und zum anderen für die rechtliche Kategorie der Dienstleistungen, die in den Anwendungsbereich der Verträge (und somit der Dienstleistungsrichtlinie) fallen, verwendet.

64.      Aus dieser Dualität folgt, dass die Tätigkeit einer Leistungserbringung (in tatsächlicher Hinsicht) nicht immer eine Dienstleistung (im Sinne des Unionsrechts) ist. Die konkret zu prüfende Tätigkeit ist nur dann eine „Dienstleistung“ im Sinne des Vertrags, wenn sie eine wirtschaftliche Dimension hat, die in erster Linie durch das Vorliegen eines Entgelts oder einer finanziellen Gegenleistung belegt wird, aber auch – wenn auch nicht notwendigerweise – durch eine Gewinnerzielungsabsicht und/oder den Umstand, dass sie vorwiegend aus privaten Mitteln finanziert wird(27). Mit anderen Worten setzt das Vorliegen einer Dienstleistung im Rechtssinne voraus, dass ein „wirtschaftlicher Charakter“ gegeben ist.

65.      Vor diesem Hintergrund bin ich zugestandenermaßen am Ende meiner Weisheit, wenn ich versuche, mir die logische rechtliche Bedeutung der Kategorie der „nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ zu erschließen. Wenn die rechtliche Kategorie der Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts durch ihre wirtschaftliche Dimension definiert wird, wie kann dann eine nicht wirtschaftliche Dienstleistung, sei sie von allgemeinem Interesse oder nicht, eine Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts sein? Oder, anders formuliert, kann es wirklich „nicht wirtschaftliche wirtschaftliche Tätigkeiten von allgemeinem Interesse“ geben?

66.      Als einleuchtendste Erklärung für diese terminologischen Herausforderungen kann ich mir vorstellen, dass der Unionsgesetzgeber mit der Schaffung dieser neuen Kategorie im Wesentlichen nicht wirtschaftliche Tätigkeiten von allgemeinem Interesse vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausnehmen wollte(28). Wenn dies zutrifft, ist die Ausnahme in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Dienstleistungsrichtlinie (rechtlich) überflüssig, weil diese Tätigkeiten bereits deshalb ausgenommen wären, weil sie von vornherein keine Dienstleistungen (im Sinne des Vertrags) wären(29). „Nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ wären somit offenbar lediglich eine Untergruppe von „Nichtdienstleistungen“ im Sinne des Unionsrechts.

67.      Mit dieser terminologischen Klarstellung im Blick bleibt zu klären, ob die Hochschulbildung unter die Ausnahme für nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nach der Dienstleistungsrichtlinie fällt, wie insbesondere von der belgischen Regierung vertreten wird.

68.      Dies ist meines Erachtens nicht der Fall.

69.      Erstens sind eine Reihe von konkreten Tätigkeiten, wie Gesundheitsdienstleistungen oder soziale Dienstleistungen, nach Art. 2 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie von ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich und in ihrer Gesamtheit ausgenommen. Dies gilt insbesondere jedoch nicht für die (Dienstleistungen im Bereich) Bildung. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie als solche vom sachlichen Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie konkret ausgenommen sind.

70.      Zweitens ist mangels einer solchen Gesamtausnahme für eine bestimmte Art von Tätigkeit jede einzelne Tätigkeit – d. h. im Kontext der Bildung der betreffende Studiengang – einzeln anhand der gängigen Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf zu prüfen, ob die dort aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Entgegen der Ansicht der belgischen Regierung kann die Bildung somit als solche nicht insgesamt in die Kategorie der nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse fallen. Stattdessen ist, wie auch im 34. Erwägungsgrund der Dienstleistungsrichtlinie ersichtlich, der selbst die Rechtsprechung des Gerichtshofs wiedergibt, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen(30). Maßgebend ist dementsprechend, ob die erbrachte Lehrtätigkeit oder der absolvierte Studiengang an sich als Dienstleistung qualifiziert werden kann, d. h. ob sie/er im Wesentlichen von nicht staatlichen Einrichtungen erbracht und aus privaten Mitteln finanziert wird(31).

71.      Im Ergebnis können Hochschulstudiengänge nur dann als Dienstleistungen qualifiziert und in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie fallen, wenn für das betreffende konkrete Studienprogramm die Humbel-Ausnahme gilt. Im letzteren Fall wird eine solche Tätigkeit eine „Nichtdienstleistung“ im Sinne des Vertrags und ist dann auch als nicht wirtschaftliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse von der Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen.

c)      Die Humbel-Kriterien und Hochschulstudiengänge

72.      Gleichwohl wirft die Anwendung der Humbel-Ausnahme auf Hochschulstudiengänge bei näherer Betrachtung heute unübersehbar eine Reihe von Fragen auf.

73.      Erstens stellt sich auf der praktischen Ebene die Frage, was unter den Merkmalen, Teil eines staatlichen Bildungssystems und vollständig oder vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert zu sein, in einer Welt zu verstehen sein könnte, in der staatliche Hochschulen private Mittel und Zuwendungen erhalten und private Einrichtungen um institutionelle öffentliche Mittel und Forschungszuschüsse im Wettbewerb stehen. Was ist staatlich in einer Welt, in der (sogar) staatliche Hochschulen Standorte in anderen Mitgliedstaaten errichten oder Joint Ventures mit verschiedenen anderen Einrichtungen schließen und/oder Spin-Off-Gesellschaften für Lehre und Forschung gründen?

74.      Setzt indes, vielleicht noch grundsätzlicher, die Wendung „Teil des staatlichen Bildungssystems“ zwingend eine bestimmte Rechtsform und ‑stellung (etwa diejenige als „staatliche“ im Gegensatz zu einer „privaten“ Einrichtung) voraus? Seit dem Urteil Humbel und Edel, und kürzlich bestätigt durch das Urteil Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania, werden zwei Voraussetzungen genannt: i) Teil eines staatlichen Bildungssystems und ii) vollständig oder vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Rechtsprechung konzentriert sich indes überwiegend auf die Frage der Finanzierung, so dass das erste der vorgenannten Merkmale, „Teil eines staatlichen Bildungssystems“ zu sein, eher ungeklärt bleibt.

75.      Zu diesen Unklarheiten bei der Abgrenzung der Einrichtungen kommt die Frage der vorwiegenden Finanzierung aus öffentlichen Mitteln. Wieviel ist vorwiegend? In welchem Verhältnis stehen studiengangspezifische Finanzierung, institutionelle Finanzierung und Festkosten zueinander?(32) Insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften wird der größte Teil der Kosten für die Durchführung eines Studiengangs auf die Gehälter der Lehrkräfte entfallen. Was ist, wenn diese überwiegend aus anderen Quellen als der institutionellen Finanzierung gedeckt werden?(33) Ebenfalls eher unklar ist, ob das Gesamtbudget der Einrichtung oder die konkreten Studiengängen zugewiesenen Haushaltsposten zu betrachten sind, insbesondere angesichts dessen, dass die Buchführungsregelungen eine genaue Ermittlung der Finanzierungsstruktur jedes einzelnen Studiengangs möglicherweise tatsächlich gar nicht zulassen(34).

76.      Zudem erhalten anerkannte Hochschuleinrichtungen in einer Reihe von Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob sie eine öffentliche oder private Rechtsform haben, staatliche Mittel für jeden in ihrem akkreditierten Studiengang eingeschriebenen Studierenden. Wird ein solcher Studiengang durch eine solche Finanzierung, selbst wenn sie vielleicht wirtschaftlich betrachtet nicht einmal den größten Teil der tatsächlichen Studienkosten für jeden Studierenden abdeckt, zu einem vorwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Studiengang als Teil eines staatlichen Bildungssystems eines Mitgliedstaats, auch wenn er von einer ansonsten privaten und privat finanzierten Einrichtung angeboten wird?

77.      Zweitens korrespondiert diese praktische Ebene mit einer grundlegenden tieferen ideologischen Ebene. Mit dem Urteil Humbel und Edel wurde eine recht pauschale zweigeteilte Sicht der Bildung eingeführt: Die öffentlichen Einrichtungen (bzw. nur diejenigen, die öffentlich finanziert sind?) sind nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet und verfolgen die noblen Ziele der Vermittlung von Wissen und der Erfüllung ihrer sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Pflichten gegenüber den Bürgern. Dagegen erbringen private Einrichtungen (bzw. nur diejenigen, die vorwiegend privat finanziert sind?) Dienstleistungen, da ihre Ziele offenbar andere sind.

78.      Diese Sicht mag in den 1980er Jahren für den Sekundarunterricht vielleicht zutreffend gewesen sein. Sie ist jedoch heute eher problematisch, wenn sie auf Einrichtungen der Hochschulbildung angewendet wird.

79.      Es dürfte sicherlich außer Frage stehen, dass Hochschuleinrichtungen in der Tat mehrere Aufgaben verfolgen. Die meisten von ihnen sind tatsächlich nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Was Kritik auf sich zieht, ist die Verallgemeinerung, die nicht zwischen den vielen Tätigkeiten differenziert, die selbst eine alte und ehrwürdige Hochschule heute erbringt: von der reinen Grundlagenforschung oder der Ausbildung von Doktoranden (die von Zuschüssen abhängig ist) über die Unterrichtung nicht graduierter Studierender in der Landessprache (mit den üblichen Einschreibegebühren) bis zur Unterrichtung graduierter Studierender in einer Fremdsprache (mit weitaus höheren Gebührenniveaus), bis zu maßgeschneiderten Wochenendlehrveranstaltungen für Manager oder Dolmetscher und/oder einer direkten gewerblichen Verwertung ihrer Forschungsergebnisse (beides mit satten Preisschildern versehen).

80.      Drittens korrespondiert die fehlende interne Differenzierung mit der bereits erwähnten fehlenden Differenzierung der Ebenen. Die Aussagen des Gerichtshofs im Urteil Humbel und Edel betrafen den Sekundarunterricht. Wie häufig bei der Rechtsprechung des Gerichtshofs, ist dieser Ansatz schrittweise auf andere Arten der Bildung, einschließlich der Hochschulbildung, erstreckt worden, allerdings ohne dass die seiner ersten Formulierung zugrunde liegenden Annahmen im neuen Kontext (der Hochschulbildung) kritisch überprüft worden wären.

81.      Der Austausch und die Vermittlung von Wissen im weitesten Sinne und die Erfüllung der sozialen und bildungspolitischen Aufgabe des Staates sind gewiss wichtige Ziele. Diese Allgemeininteressen haben jedoch vielleicht nicht auf allen Bildungsebenen gleiches Gewicht. Das Interesse des Staates ist in der Tat ein zwingendes auf der Ebene des Primarunterrichts(35). Es mag heute auch auf der Ebene des Sekundarunterrichts als recht stark betrachtet werden, wenngleich damit gewisse Privatinteressen des Schülers einhergehen. Auf der Ebene der Hochschulbildung beginnen sich die Gewichte zu verschieben, soweit das Individualinteresse des Studierenden am Erwerb bestimmter zusätzlicher Qualifikationen und der Steigerung seines „Wertes“ auf dem Arbeitsmarkt stärker wird.

82.      Was die Koordinierung der Interessen an der Bildung und somit eine mögliche Definition dessen angeht, was eine nicht wirtschaftliche Dienstleistung von allgemeinem Interesse in diesem Sinne darstellen könnte, treten die Anteile somit in das umgekehrte Verhältnis. Je höher das Bildungsniveau, umso geringer sind das öffentliche Bedürfnis und das Allgemeininteresse am Erwerb dieser Form der Bildung und umso größer ist das Privatinteresse an der Erweiterung der eigenen Qualifikationen. Mit anderen Worten tritt die zwingende kulturelle und gesellschaftliche Aufgabe des Staates zurück, die ursprünglich zur Ausformung der Humbel-Ausnahme geführt hat(36).

83.      Ich möchte ganz klar betonen, dass eindeutig ein Allgemeininteresse daran besteht, dass es Hochschuleinrichtungen gibt. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Annahme, dass ein Allgemeininteresse daran bestünde, dass jedermann eine Hochschule besucht. Dass eine Person sich für den Besuch einer Einrichtung der Hochschulbildung entscheidet, dürfte somit großenteils Ausdruck ihres persönlichen Interesses sein.

84.      Ansonsten müsste man sich in der Tat der Logik anschließen, die in der vorliegenden Rechtssache im Wesentlichen von der belgischen Regierung vertreten wird. Die Ausnahme für nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nach der Dienstleistungsrichtlinie würde letztlich darauf hinauslaufen, eine weitere Gesamtausnahme in die Richtlinie aufzunehmen. Diese wäre ebenso – unabhängig von der Art der (Hochschul‑)Bildung und ihrer Finanzierung – durch die Art der Tätigkeit definiert. Die Begründung hierfür wäre, dass der Staat ein Interesse daran hat, dass das Bildungsniveau seiner Bürger so hoch wie möglich ist, so dass an der Erbringung jedweder Bildung stets ein Allgemeininteresse bestünde: Somit wären alle Tätigkeiten im Bereich Bildung als nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse von der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen(37).

85.      Viertens und abschließend liegt ein weiterer Grund dafür, warum man sich der Humbel-Rechtsprechung vielleicht mit Vorsicht nähern sollte, darin, dass sie nicht nur eine deutliche Abkehr vom allgemeinen Ansatz zur Definition der Dienstleistungen darstellt, sondern auch im Vergleich zu anderen Sonderregelungen für konkrete Arten von Dienstleistungen, insbesondere im Bereich Gesundheit, eine gewisse Sonderstellung einnimmt.

86.      Der Bereich Gesundheit ist sicherlich eine Tätigkeit im Allgemeininteresse, die stark reguliert ist und die üblicherweise vom Patienten nicht unmittelbar vollständig bezahlt wird, sondern für die durch einen Dritten (sei es ein Versicherungsunternehmen oder die öffentlichen Versicherungssysteme) eine Erstattung (regulierter) Kosten an den Erbringer der Gesundheitsdienstleistung erfolgt. Der Gerichtshof hat es jedoch ausdrücklich abgelehnt, den Ansatz des Urteils Humbel und Edel auf die als Sachleistung oder kostenlos erbrachte Krankenhausversorgung des Patienten anzuwenden, für die nämlich eindeutig kein Gewinn erzielt wurde. Er hat entschieden, dass „die Zahlungen der Krankenkassen …, auch wenn sie pauschal erfolgen, … die wirtschaftliche Gegenleistung für die Leistungen des Krankenhauses dar[stellen] und … zweifellos für die Krankenanstalt, der sie zugutekommen und die sich wirtschaftlich betätigt, Entgeltcharakter auf[weisen]“(38).

87.      Dies überrascht, da das Gesundheitswesen eine Reihe von Ähnlichkeiten mit der Bildung aufweist(39). Beide unterliegen in erster Linie der Regulierung durch die Mitgliedstaaten. Beide sind mit politischen Entscheidungen verbunden und spiegeln in der Art der Erbringung dieser Dienstleistungen soziale Werte wider. Auch ist trotz bestehender Unterschiede von Land zu Land die Finanzierung der Gesundheitsversorgung der öffentlich finanzierten Bildung nicht unähnlich. Gesundheitsdienstleistungen werden nämlich von Krankenkassen bezahlt, die in Europa normalerweise von Stellen finanziert werden, die dem Staat angegliedert sind, auch wenn ein Teil der Finanzierung durch die Patienten erfolgt. Die Sozialversicherungsbeiträge der Patienten dürften den tatsächlichen Kosten der in Anspruch genommenen Dienstleistung kaum entsprechen.

88.      Das gleiche gilt auch und erst recht, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit und das Entgelt in ihrem Verständnis im Sinne des Urteils Humbel und Edel dem Begriff „wirtschaftlich“ in anderen Bereichen des Unionsrechts gegenübergestellt werden. Im Recht der staatlichen Beihilfen oder im Wettbewerbsrecht geht der Gerichtshof traditionell von einem weiten Verständnis einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ als maßgebendem Merkmal für die Qualifizierung als Unternehmen aus. Dem Gerichtshof zufolge „umfasst der Begriff des Unternehmens … jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. … Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. Dass Güter oder Dienstleistungen ohne Gewinnerzielungsabsicht angeboten werden, steht der Einstufung der Einheit, die diese Tätigkeiten auf dem Markt ausübt, als Unternehmen nicht entgegen, wenn ihr Angebot mit dem anderer Wirtschaftsteilnehmer konkurriert, die einen Erwerbszweck verfolgen“(40).

d)      Zwischenergebnis

89.      In der vorliegenden Rechtssache wurde zwar eine Reihe der von mir soeben erwähnten Fragen in den schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung angesprochen, es ist aber offenbar unstreitig, dass UIBS Belgium, die für die Lehrtätigkeiten verantwortliche Gesellschaft, eine private Einrichtung ist, die ausschließlich aus privaten Mitteln finanziert wird. Somit wird im Sinne der Humbel-Kriterien in ihrem derzeitigen Verständnis die Lehrtätigkeit von UIBS Belgium gegen Entgelt erbracht, so dass es sich bei den von dieser Gesellschaft angebotenen Lehrveranstaltungen um „Dienstleistungen“ im Sinne des Vertrags handelt.

90.      Diese Tätigkeiten stellen meines Erachtens auch Dienstleistungen im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie dar. Da keine konkrete Ausnahme von deren Anwendungsbereich greift und Hochschulstudiengänge, die von den Studierenden finanziert werden, nicht unter den Begriff der nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse subsumiert werden können, ist die Dienstleistungsrichtlinie auch (sachlich) anwendbar.

91.      Über dieses – relativ offenkundige – Ergebnis hinaus bin ich allgemeiner auch der Ansicht, dass entgegen einigen der im Laufe des vorliegenden Verfahrens vorgetragenen Argumente die Humbel-Ausnahme auf das Hochschulwesen allgemein nicht anwendbar ist; andernfalls würde letztlich eine weitere Gesamtausnahme für alle von vorwiegend öffentlich finanzierten Hochschuleinrichtungen erbrachten Tätigkeiten zugelassen. Insoweit verdienen drei Punkte eine Hervorhebung.

92.      Erstens ist für jede einzelne Art von Tätigkeit (insbesondere den einzelnen Studiengang) zu prüfen, ob sie wirtschaftlichen Charakter hat.

93.      Zweitens würde ich bei der Prüfung dieses wirtschaftlichen Charakters eines bestimmten Studiengangs den Einzelheiten der Haushaltsposten (woher Geld in welcher Höhe genau kommt und ob es etwa eine privat-öffentliche Mischfinanzierung geben könnte) weniger Beachtung schenken. Der Schwerpunkt sollte vielmehr auf der Bildungsebene und der dieser entsprechenden Interessengewichtung liegen. Je früher innerhalb des Bildungssystems angesetzt wird (Grund- und Sekundarunterricht), umso deutlicher tritt der nicht wirtschaftliche und vielmehr soziale Charakter der Bildung in den Vordergrund. Dies kann dann tatsächlich vollständig rechtfertigen, sie vom Begriff der Dienstleistungen auszunehmen, vor allem wenn sie gebührenfrei und für jedermann verpflichtend erbracht wird.

94.      Drittens und abschließend sind die Finanzierung des Studiengangs und die Frage der wirtschaftlichen Gegenleistung zu prüfen. Bei dieser Prüfung ist jedoch nicht auf den einzelnen Dienstleistungserbringer isoliert abzustellen, sondern kontextbezogener im Einklang mit der allgemeinen Rechtsprechung zum Begriff des üblichen Entgelts im Dienstleistungskontext auf die Art der Tätigkeit und den betreffenden Markt.

95.      Dies bedeutet zum einen, dass die (vollen wirtschaftlichen) Kosten nicht (ausschließlich und unmittelbar) vom Kunden gezahlt werden müssen. Ähnlich wie im Rahmen der Rechtsprechung zur Gesundheitsversorgung oder Dienstleistungen im Allgemeinen(41) kommt es nicht entscheidend darauf an, ob eine unmittelbare Bezahlung erfolgt, sondern vielmehr darauf, ob für jeden einzelnen Teilnehmer, wenn auch zum Teil mittelbar, eine wirtschaftliche Gegenleistung erbracht wird, die (zumindest in gewissem Maße) von der Menge oder Anzahl der erbrachten Dienstleistungen abhängig ist.

96.      Zum anderen kommt es bei dieser Prüfung auch auf die allgemeinere Art des „Marktes“ und nicht lediglich auf den konkreten institutionellen Rahmen eines einzelnen Dienstleistungserbringers an. Wenn es somit für eine bestimmte Art von Studiengang einen lebhaften nationalen, europäischen oder sogar globalen Markt gibt, auf dem mehrere miteinander im Wettbewerb stehende Studiengänge angeboten werden, kann kaum angenommen werden, dass eine Hochschuleinrichtung, unabhängig davon, ob sie Teil des nationalen staatlichen Bildungssystems ist oder nicht, durch die Erbringung einer in Dutzenden anderer Einrichtungen bereits angebotenen Leistung eine besondere und einmalige soziale und kulturelle Zielsetzung verfolgt.

97.      Gleichwohl sind zwei abschließende Anmerkungen angezeigt.

98.      Erstens verliert die Bildung, wie vielleicht von einigen karikiert werden mag, ihren besonderen Charakter ganz klar nicht sofort und unwiederbringlich deshalb, weil einige Hochschulstudiengänge Dienstleistungen im Sinne des Unionsrechts darstellen können. Professoren werden nicht zu Dienstleistungserbringern und Studierende nicht zu Kunden gemacht, jedenfalls nicht als Folge des Unionsrechts. Die Bildung ist sicherlich keine Dienstleistung wie jede andere. Es können und sollen also, ähnlich wie bei anderen besonderen Arten von Dienstleistungen wie etwa der Gesundheitsversorgung, Besonderheiten gewahrt bleiben.

99.      Zweitens führt über die ideologische Ebene hinaus, auf der schlicht rundweg abgelehnt werden mag, dass die Hochschulbildung jemals als Dienstleistung anzusehen sein könnte, auf einer praktischeren Ebene die Erbringung von Dienstleistungen bisweilen nicht nur zur Entstehung von Pflichten der Dienstleistungserbringer, sondern auch dazu, dass sie Rechte erwerben und Schutz genießen. Die Dienstleistungsfreiheit wirkt sich also in beide Richtungen aus. Dies ist möglicherweise für die Freizügigkeit und den Wettbewerb im Hochschulwesen der Europäischen Union von besonderer Bedeutung. Einrichtungen eines Mitgliedstaats sollen grundsätzlich im Gebiet der anderen Mitgliedstaaten tätig werden können, wenn sie dies wünschen, und zwar unabhängig von ihrem konkreten nationalen Rechts- und Finanzierungsstatus, der sich wahrscheinlich von demjenigen im anderen Mitgliedstaat unterscheiden und dort nur begrenzt von Bedeutung sein wird.

C.      Fragen 2 und 3

100. Mit den Fragen 2 und 3 fragt das vorlegende Gericht danach, ob die nationalen Rechtsvorschriften mit der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar sind, mit denen nicht anerkannten Hochschuleinrichtungen die Verleihung des Grades des Masters verboten und die Verhängung von Strafen für einen Verstoß gegen dieses Verbot zugelassen wird.

1.      Anwendbarkeit

101. Ist auf die von UIBS Belgium erbrachten Lehrveranstaltungen die Dienstleistungsrichtlinie anwendbar? Nach Ansicht der Flämischen Gemeinschaft und der belgischen Regierung, die sich auf die Verleihung des Grades konzentrieren, ist die Richtlinie räumlich nicht anwendbar, weil die den Grad verleihende Einrichtung, GES Switzerland, in einem Drittland ansässig sei, so dass sie die Freizügigkeit im Sinne des Unionsrechts für sich nicht in Anspruch nehmen könne. Die polnische Regierung konzentriert sich ihrerseits auf UIBS Belgium und hält die Richtlinie für nicht anwendbar, weil es an einem grenzüberschreitenden Bezug fehle, da die Merkmale des Sachverhalts sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats, nämlich Belgien, hinauswiesen (rein innerstaatlicher Sachverhalt).

102. Meines Erachtens ist die Dienstleistungsrichtlinie auf die vorliegende Rechtssache anwendbar.

103. Die von der Flämischen Gemeinschaft und der belgischen Regierung vorgetragenen Argumente sind bereits angesprochen worden(42): Die maßgebende in Rede stehende Tätigkeit besteht in der von UIBS Belgium erbrachten Lehrtätigkeit und nicht in der förmlichen Ausstellung der Abschlusszeugnisse, die offenbar von GES Switzerland organisiert wird. Die Dienstleistungsrichtlinie ist daher räumlich anwendbar, da UIBS Belgium in einem Mitgliedstaat ansässig ist(43).

104. Was das Vorbringen der polnischen Regierung angeht, so hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass die entgeltliche Durchführung von Hochschulunterricht eine wirtschaftliche Tätigkeit ist, die unter das Vertragskapitel über das Niederlassungsrecht fällt, wenn sie von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in stabiler und kontinuierlicher Weise von einer Haupt- oder Nebenniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat aus dort ausgeübt wird(44). Zum anderen hat der Gerichtshof jüngst auch festgestellt, dass die in Kapitel III der Dienstleistungsrichtlinie enthaltenen Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer auch auf einen Sachverhalt anwendbar sind, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen(45).

105. In der vorliegenden Rechtssache ist vorgetragen worden, dass die Lehrveranstaltungen von einer belgischen Gesellschaft in Belgien an den Standorten Antwerpen und Gent erbracht würden und dass jeder Standort seine eigenen Bediensteten einstelle. Vorbehaltlich der notwendigen Feststellungen durch das nationale Gericht dürfte UIBS Belgium, die Dienstleistungserbringerin, daher eine stabile und kontinuierliche Tätigkeit ausüben und somit eine „Niederlassung“ in Belgien haben(46).

106. Demnach ist Kapitel III der Dienstleistungsrichtlinie unabhängig davon anwendbar, ob der vorliegende Sachverhalt als rein innerstaatlich anzusehen ist oder nicht. Die Erörterung der Frage der Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie auf die vorliegende Rechtssache könnte dort ihren Abschluss finden, da nach dem Urteil X und Visser kein grenzüberschreitender Bezug mehr festgestellt werden muss, damit die Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie über die Niederlassungsfreiheit anwendbar werden.

107. Aus Gründen der Vollständigkeit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Sachverhalt tatsächlich nicht als rein innerstaatlich anzusehen sein dürfte. Er weist einige grenzüberschreitende Aspekte auf, die in der Tat zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie führen könnten. Der erste Aspekt besteht darin, dass es Dienstleistungsempfänger aus anderen Mitgliedstaaten gibt: Die Studierenden, die die von UIBS Belgium erbrachten Lehrveranstaltungen besuchen, können aus der gesamten Europäischen Union kommen(47). Der zweite Aspekt ergibt sich aus der Gesellschaftsstruktur. Den schriftlichen Erklärungen der Rechtsmittelgegner ist zu entnehmen, dass UIBS Belgium eine Muttergesellschaft und/oder Schwestergesellschaften in Form einer Reihe von Standorten mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten hat und dass sie eng mit GES Spain verbunden ist.

2.      Begründetheit

108. Nach Ansicht der Rechtsmittelgegner verstößt die Flämische Gemeinschaft mit dem Erfordernis, dass eine Hochschule eine Akkreditierung der flämischen Behörden erhalten müsse, bevor sie „Master“-Diplome ausstellen dürfe, gegen die Art. 9 und 10 der Dienstleistungsrichtlinie. Das in dem nationalen Dekret für die Genehmigung der Verleihung von „Master“-Diplomen festgelegte Akkreditierungsverfahren genüge nicht den in den Art. 9 und 10 der Dienstleistungsrichtlinie genannten Grundsätzen.

109. Dieser Ansicht bin ich nicht.

110. Nach Art. 9 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie und der Rechtsprechung des Gerichtshofs(48) dürfen die Mitgliedstaaten die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn diese Regelung nicht diskriminierend, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.

111. Wie von der Kommission vorgebracht, kann das Akkreditierungsverfahren in der vorliegenden Rechtssache als Genehmigungsregelung im Sinne von Art. 4 Nr. 6 der Dienstleistungsrichtlinie angesehen werden, da die Ausübung der Erbringung von Bildungsdienstleistungen von der Erteilung einer Akkreditierung durch die zuständigen Behörden abhängig ist.

112. Auch wenn dieses Verfahren eine Hochschuleinrichtung wie UIBS Belgium nicht daran hindert, Studiengänge am Markt anzubieten, beschränkt sie gleichwohl die Art und Weise der Ausübung dieser Möglichkeit, indem sie eine Akkreditierung verlangt, bevor die Verleihung des Mastergrads zulässig ist. Das Akkreditierungsverfahren stellt daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Es macht es für Studierende weniger attraktiv, diese Lehrveranstaltungen zu besuchen, da sie niemals zur Verleihung eines bestimmten Grades wie des Master-Abschlusses führen können(49), und behindert hierdurch die Ausübung der Tätigkeit der Dienstleistungserbringerin. Die Bedeutung, die dem Erwerb eines förmlichen Abschlusses wie des Grades des Masters zukommt, um Zugang zu einer Vielzahl von Berufen zu erhalten, lässt sich in der heutigen Zeit kaum bestreiten.

113. Auch wenn es eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, dürfte das Akkreditierungsverfahren gleichwohl vollends gerechtfertigt und mit dem Unionsrecht vereinbar sein.

114. Erstens ist von keinem Beteiligten vorgetragen worden, dass die Voraussetzungen für die Akkreditierung diskriminierend seien. Sie gelten offenbar gleichermaßen für jede Hochschuleinrichtung, die Studiengänge auflegen und den Grad des Masters vergeben möchte. Insbesondere spielt die Staatsangehörigkeit offenbar keine Rolle. In der vorliegenden Rechtssache handelt es sich um eine belgische Gesellschaft (UIBS Belgium), die von den zuständigen belgischen Behörden keine Akkreditierung erhalten hat.

115. Zweitens ist das Akkreditierungsverfahren eindeutig durch das Ziel gerechtfertigt, ein hohes Niveau der Hochschulausbildung sicherzustellen, was ein berechtigtes Ziel des Allgemeininteresses darstellt(50). Es ist nämlich berechtigt, die Verleihung bestimmter Grade, insbesondere derjenigen, die für eine Reihe von Berufen als international standardisierte qualifizierende Abschlüsse gelten, von Qualitätsanforderungen und einer Überprüfung abhängig zu machen, um das Vertrauen in die Qualität der verliehenen Grade für potenzielle Studierende und Arbeitnehmer zu gewährleisten.

116. Dieser berechtigte Grund hat eine weitere, externe Dimension: Ein hohes Niveau (gegenseitigen) Vertrauens ist von umso größerer Wichtigkeit für die Freizügigkeit und den Aufbau eines Europäischen Hochschulraums. Die Grade des Bachelors, des Masters und des Doktors sollen über das ECTS-System in ganz Europa „standardisiert“ sein(51). Außerdem sollen Grade den Erwerb bestimmter Qualifikationen widerspiegeln, so dass das Vertrauen in diese Grade auch von herausragender Bedeutung dafür ist, das ordnungsgemäße Funktionieren der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen in der Europäischen Union zu gewährleisten(52).

117. Drittens und abschließend dürfte das Akkreditierungsverfahren zur Erreichung der vorgenannten Ziele erforderlich und angemessen sein. Meines Erachtens ist, von eher singulären Ansätzen abgesehen(53), kein milderes Mittel zur Gewährleistung der Qualität bestimmter Grade ersichtlich als das, die Verleihung des Grades des Masters durch nicht anerkannte Einrichtungen, die nicht evaluiert worden sind und deren Lehrqualität nicht überprüft werden konnte, zu verbieten(54).

118. Demnach, und auch wenn es natürlich letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, dies auf der Grundlage der vollständigen Kenntnis des gesamten einschlägigen Sachverhalts zu beurteilen, dürfte das in Rede stehende Akkreditierungsverfahren – und seine logische Fortsetzung durch das Verbot der Verleihung von Graden ohne eine solche Akkreditierung – mit den Voraussetzungen nach Art. 9 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar sein.

119. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass Frage 2 wie folgt beantwortet werden sollte: Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach nicht anerkannten Bildungseinrichtungen allgemein verboten ist, die Bezeichnung „Master“ auf von ihnen ausgestellten Diplomen zu verwenden, solange das Akkreditierungsverfahren die Voraussetzungen nach Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllt.

3.      Die nationale Strafvorschrift

120. Frage 3 bezieht sich konkret auf eine Strafvorschrift, die den Verstoß gegen das für nicht anerkannte Einrichtungen geltende Verbot der Verleihung des Grades des Masters unter Strafe stellt. Nach Ansicht der Rechtsmittelgegner hält diese Vorschrift der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand.

121. Die Flämische Gemeinschaft und die belgische Regierung halten diese Frage, die das vorlegende Gericht unter Bezug auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. c und Art. 10 Abs. 2 Buchst. c der Dienstleistungsrichtlinie stellt, für unzulässig. Diese Bestimmungen bezögen sich nämlich auf die Genehmigungsregelung selbst und nicht auf die an das Fehlen einer Genehmigung oder an ihre Missachtung anknüpfenden Sanktionen.

122. Aus den oben in meinen Vorbemerkungen skizzierten Gründen(55) ist die Frage meines Erachtens zulässig. Das für nicht anerkannte Einrichtungen geltende Verbot der Verleihung von Graden und mit dieser Regelung das Akkreditierungsverfahren selbst sowie die sich hieraus möglicherweise ergebenden Sanktionen bei einer Missachtung dieses Verbots sind alle Elemente der anwendbaren Rechtsnorm. Hieraus folgt zwingend, dass die dritte Frage zulässig ist.

123. Meines Erachtens steht die Dienstleistungsrichtlinie der in Rede stehenden Strafvorschrift nicht entgegen.

124. Nach Art. 1 Abs. 5 der Dienstleistungsrichtlinie und ständiger Rechtsprechung(56) berührt die Richtlinie zwar nicht das Strafrecht der Mitgliedstaaten, die Mitgliedstaaten dürfen jedoch nicht unter Umgehung der Vorschriften der Richtlinie die Dienstleistungsfreiheit dadurch einschränken, dass sie Strafrechtsbestimmungen anwenden, die die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit gezielt regeln oder beeinflussen. Insbesondere müssen, soweit eine nationale Regelung Sanktionen vorsieht, diese gemessen an der Schwere des Rechtsverstoßes erforderlich und angemessen sein(57).

125. Es wurde bereits die Ansicht vertreten, dass das Akkreditierungsverfahren mit der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar ist. Ein Mitgliedstaat ist daher befugt, (strafrechtliche) Sanktionen für die Missachtung der Genehmigungsregelung vorzusehen.

126. Eine andere Frage ist, ob diese Sanktionen selbst verhältnismäßig sind. Dies ist wiederum letztlich eine Frage, die das vorlegende Gericht zu beurteilen hat. Allerdings halte ich für schwer nachvollziehbar, inwieweit die allgemeinen Sanktionen, mit denen das belgische Recht das Handeln bestraft, das als rechtswidrige Verleihung eines Grades anzusehen ist (Freiheitsstrafe von höchstens drei Monaten und Geldstrafe von 500 Euro), und die dann an die Umstände des Einzelfalls angepasst und darauf abgestimmt werden, wie in der vorliegenden Rechtssache offenbar in der Tat geschehen, als unverhältnismäßig angesehen werden könnten.

127. Aus diesen Gründen schlage ich vor, Frage 3 wie folgt zu beantworten: Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt steht der Anwendung einer zur Bestrafung der Verleihung von Graden durch nicht anerkannte Einrichtungen eingeführten Strafvorschrift der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art nicht entgegen, solange diese Strafen verhältnismäßig sind.

D.      Frage 1

128. Mit seiner ersten Frage fragt das vorlegende Gericht nach der Vereinbarkeit des nach dem nationalen Recht für nicht anerkannte Hochschuleinrichtungen geltenden Verbots der Verleihung von Graden mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken.

129. Ich werde zunächst auf die Frage des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie eingehen und dann zum Inhalt der Frage kommen. Meines Erachtens ist die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die vorliegende Rechtssache anwendbar. Ihre Bestimmungen können allerdings nur mit der Folge geltend gemacht werden, die Maßnahmen der nationalen Behörden zu rechtfertigen, nicht aber sie in Frage zu stellen.

1.      Anwendungsbereich

130. Nach Ansicht der belgischen Regierung ist die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Bildung nicht anwendbar. Der Schutz der Qualität der Grade sei keine „Geschäftspraxis“, weil die Flämische Gemeinschaft kein „Gewerbetreibender“ im Sinne dieser Richtlinie sei. Diese Richtlinie könne nicht zum Schutz der unternehmerischen Freiheit gegen Eingriffe der Mitgliedstaaten, sondern vielmehr zum Schutz gegen die eigene unlautere Geschäftspraxis der Rechtsmittelgegner geltend gemacht werden.

131. Auch die norwegische Regierung und die Kommission sind der Ansicht, dass die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die vorliegende Rechtssache nicht anwendbar sei, allerdings aus einem anderen Grund. Nach Art. 1 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken gelte diese für nationale Regelungen, die in erster Linie dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dienten. In der vorliegenden Rechtssache sollten die einschlägigen nationalen Regelungen allgemein der Gewährleistung eines Ziels der öffentlichen Ordnung, nämlich dem Schutz der Qualität der Hochschulbildung und der Aufrechterhaltung des Vertrauens darin, dass bestimmte Grade eine hohe Qualität widerspiegelten, dienen; daher fielen sie nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Die norwegische Regierung ist insbesondere der Ansicht, dass diese Regelungen auch dann nicht unter diese Richtlinie fielen, wenn sie als peripherem Ziel dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Studierenden dienten.

132. Ich verstehe das intellektuelle Unbehagen (und empfinde es teils auch), das die belgische und die norwegische Regierung sowie die Kommission offenbar, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, zu dem Schluss führt, dass die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die vorliegende Rechtssache keine Anwendung finde. Es mag in der Tat auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, dass eine nationale Regelung auf dem Gebiet der Bildung, von der angenommen werden kann, dass sie in erster Linie einem Ziel des Allgemeininteresses dient (nämlich der Qualität der Bildung durch ein Akkreditierungsverfahren), in den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken fällt.

133. In Anbetracht des weiten Anwendungsbereichs der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, der sich eindeutig aus ihren Bestimmungen in ihrer Auslegung durch die bestehende Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, kann jedoch keine andere Schlussfolgerung gezogen werden.

134. Erstens können – dies ist der belgischen Regierung zu entgegnen – Hochschulstudiengänge wie oben bereits erwähnt(58) eine Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts darstellen. Wenn nun die Bildung im Rahmen der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit eine wirtschaftliche Dimension haben kann, wäre der Schluss eher fernliegend, dass dies plötzlich im Rahmen der Anwendbarkeit einer anderen Rechtsnorm des sekundären Unionsrechts (noch dazu für genau denselben Studiengang im Rahmen derselben Rechtssache) nicht mehr der Fall sein sollte. Es erschiene eher widersprüchlich, gleichzeitig anzunehmen, dass die Dienstleistungsrichtlinie anwendbar ist, die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, die auf ähnlichen Voraussetzungen beruht, jedoch nicht(59).

135. Zweitens können sich nach ständiger Rechtsprechung Gewerbetreibende gegenüber den Mitgliedstaaten auf die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken berufen. Der Gerichtshof verfolgt nämlich in Bezug auf den Anwendungsbereich dieser Richtlinie einen weiten Ansatz. Auf diesen Anwendungsbereich, der zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen soll(60), können sich Gewerbetreibende nämlich gegen eine nationale Regelung berufen, die bestimmte Geschäftspraktiken verbietet oder beschränkt(61).

136. Drittens kommt es – dies ist auf das Vorbringen der norwegischen Regierung und der Kommission zu entgegnen – für die Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht wirklich darauf an, worin das mit den nationalen Rechtsvorschriften (angeblich) verfolgte primäre Interesse gegenüber sonstigen sekundären oder weiteren Interessen besteht. Nach ständiger Rechtsprechung ist diese Richtlinie auch anwendbar, wenn die betreffende Regelung nicht nur oder nicht hauptsächlich auf den Schutz der Verbraucher abzielt, sondern auch andere Interessen verfolgt(62). Die Richtlinie ist nämlich anwendbar, solange die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften den Verbraucherschutz und nicht lediglich die Interessen von Mitbewerbern berühren(63), auch wenn ihr Hauptzweck nicht der Verbraucherschutz ist.

137. Einfach ausgedrückt, kommt es maßgeblich darauf an, dass die nationalen Rechtsvorschriften, unabhängig davon, mit welchem Ziel, das Verhältnis von Unternehmen gegenüber Verbrauchern zu regeln beginnen. In diesem Kontext ist unerheblich, ob das mit diesen Rechtsvorschriften verfolgte primäre Interesse „öffentlicher“ oder „privater“ Natur war. Entscheidend ist, dass die Regelung das Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern seiner Art nach berührt, indem sie bestimmte in der Richtlinie definierte Geschäftspraktiken einschränkt.

138. Dies muss noch aus zwei weiteren Gründen der Fall sein. Erstens sind regulatorische Ziele schwer genau zu definieren und leicht umzuformulieren. Eine hohe Qualität der Bildung ist sicherlich ein Belang von allgemeinem Interesse. Es besteht daran jedoch ebenso ein Interesse der Studierenden als Verbraucher von Bildungsdienstleistungen, in ihrem privaten Interesse, sowie der Arbeitgeber und des Arbeitsmarkts im Allgemeinen. Alle diese verschiedenen Interessen sind für ein Verbot der Verleihung des Grades des Masters ohne Akkreditierung gleichermaßen plausibel. Dies führt mich zum zweiten Grund: Es wäre letztlich immer Sache eines Mitgliedstaats, selbst zu erklären, welches dieser möglicherweise plausiblen Interessen er mit dem Erlass der betreffenden Regelung (in erster Linie) schützen will; dies ist ein Ansatz, der beim Gerichtshof in verschiedenen anderen Bereichen des Unionsrechts nicht auf großes Wohlwollen stößt. Maßgebend ist somit das wirkliche Ziel und die gegenwärtige Wirkung der Regelung und nicht die historische und subjektiv erklärte gesetzgeberische Absicht(64).

139. Meines Erachtens regelt die betreffende nationale Regelung somit, wenn auch eher mittelbar, die Art und Weise, in der private Unternehmen, die Bildungsdienstleistungen anbieten, ihre Dienstleistungen gegenüber potenziellen Verbrauchern bewerben und vermarkten dürfen. Die vorliegende Situation fällt daher in den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken.

2.      Begründetheit

140. Nach Art. 5 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und im Licht der Definitionen nach Art. 2 sind unlautere Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern verboten. Dies gilt für jede kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt und das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist(65). Nach ständiger Rechtsprechung müssen die unter diese Richtlinie fallenden Praktiken gewerblicher Natur sein, d. h. von Gewerbetreibenden ausgeübt werden, und zudem unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung ihrer Produkte an Verbraucher zusammenhängen(66).

141. In der vorliegenden Rechtssache besteht offenbar eine gewisse Unklarheit darüber, um welche spezifische „Geschäftspraxis“ es vorliegend geht. Die Rechtsmittelgegner bringen vor, dass die Verwendung der Bezeichnung „Master“-Diplom unbestreitbar Teil der Geschäftsstrategie ihres Unternehmens sei, was genüge, um dies als Geschäftspraxis anzusehen, so dass die Richtlinie insoweit anwendbar sei. Sie sind ferner der Ansicht, dass die Verleihung des Grades des Masters durch eine nicht anerkannte Bildungseinrichtung nicht auf der Liste der Praktiken aufgeführt sei, die der nationale Gesetzgeber speziell verbieten könne. Außerdem betonen sie, dass die Verletzung des Verbots unlauterer Geschäftspraktiken nicht Gegenstand des gegen sie laufenden Strafverfahrens sei. Die belgische Regierung nimmt ihrerseits den Schutz des Titels eines „Master“-Studiengangs oder -Grads durch die flämischen Rechtsvorschriften in den Blick. Ihrer Ansicht nach handelt es sich hierbei nicht um eine „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie, da der Geltungsbereich der nationalen Rechtsvorschriften mit demjenigen der Richtlinie nicht deckungsgleich sei.

142. Meines Erachtens ist die „Geschäftspraxis“ in der vorliegenden Rechtssache die Absatzförderung und der Verkauf von Lehrveranstaltungen durch Bewerbung der Möglichkeit, bei erfolgreichem Abschluss des Studiengangs den Grad des „Masters“ zu erwerben oder ein entsprechendes Zeugnis zu erhalten, zugunsten der Rechtsmittelgegner (als Gewerbetreibender) im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit. Diese Praxis unterliegt dem vom flämischen Parlament für nicht anerkannte Einrichtungen festgelegten Verbot der Vergabe des Grades des Masters(67).

143. Die Rolle des flämischen Parlaments ist somit natürlich diejenige einer Regulierungsbehörde und sicherlich nicht diejenige eines Gewerbetreibenden im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Es ist die für die Regulierung zuständige öffentliche Einrichtung (das flämische Parlament), die in den Markt eingreift und bestimmte Arten von Geschäftspraktiken (Angebot von Lehrveranstaltungen mit Master-Abschluss ohne entsprechende Genehmigung) im Verhältnis zwischen Gewerbetreibenden (UIBS Belgium) und Verbrauchern (potenziellen Studierenden) verbietet.

144. Gleichwohl ist meines Erachtens nicht ersichtlich, inwieweit ein Verbot dieser Geschäftspraxis in irgendeiner Weise gegen die Bestimmungen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken verstoßen sollte. Vielmehr dürfte im Gegenteil mit diesem genau das getan werden, was die Richtlinie verlangt. Das Verbot soll nämlich Studierende (die Verbraucher) vor etwas schützen, was als (unlautere) Geschäftspraxis im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern anzusehen ist, die das wirtschaftliche Verhalten der Studierenden wesentlich beeinflusst oder dazu in hohem Maße geeignet ist, indem sie sie zu der Annahme veranlasst, dass sie bei erfolgreichem Abschluss des von den Rechtsmittelgegnern veranstalteten Studiengangs den Grad des Masters erwerben können.

145. Es ist daher vielmehr die Geschäftspraxis der Rechtsmittelgegner, die unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache geeignet ist, als unlauter angesehen zu werden. Wie von der schwedischen und der norwegischen Regierung vorgetragen, kann eine solche Praxis als „unter allen Umständen“ unlauter im Sinne des Anhangs I der Richtlinie angesehen werden.

146. Nach ständiger Rechtsprechung enthält Anhang I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eine erschöpfende Liste von 31 Geschäftspraktiken, die nach Art. 5 Abs. 5 „unter allen Umständen“ als unlauter anzusehen sind. Bei diesen Praktiken handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie als unlauter gelten können(68).

147. Anhang I Nr. 2 nennt als unter allen Umständen als unlauter geltende Geschäftspraxis „[d]ie Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung“. Ferner nennt Nr. 4 als eine solche Praxis „[d]ie Behauptung, dass ein Gewerbetreibender … oder ein Produkt von einer öffentlichen oder privaten Stelle bestätigt, gebilligt oder genehmigt worden sei, obwohl dies nicht der Fall ist …“.

148. Entgegen dem Vortrag der Rechtsmittelgegner ist unter einer erschöpfenden Liste in diesem Kontext eine abgeschlossene Liste generischer und generalisierter, in sinnvoll und logisch angemessener Weise abstrakt gefasster Fälle zu verstehen. Es erschiene durchaus absurd, wenn angenommen werden sollte, dass aufgrund des Umstands, dass die Liste in Anhang I keine „Nr. 32“ enthielte, wonach „das Angebot einer Zulassung zu Hochschulstudiengängen, die zur Verleihung eines Master-Titels führen, ohne dass hierfür die entsprechende Akkreditierung durch die zuständigen nationalen Behörden erteilt wurde“, das Verbot einer solchen Geschäftspraxis, die normalerweise eindeutig unter eine der anderen (abstrakt formulierten) Kategorien subsumiert werden könnte, mit der Richtlinie unvereinbar sein sollte.

149. Ergänzt sei, dass der Gerichtshof bei der Auslegung der Kategorien in Anhang I ebenfalls eine (sinnvolle und erforderliche) Flexibilität gezeigt hat. Er stützt sich nämlich bei der Entscheidung, ob eine bestimmte Geschäftspraxis unter allen Umständen als unlauter zu gelten hat, nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den weiteren Kontext und die Ziele der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken(69).

150. In der vorliegenden Rechtssache lassen sich die Geschäftspraktiken der Rechtsmittelgegner somit unschwer unter Anhang I Nrn. 2 und 4 subsumieren. Der Grad des Masters, ein Abschluss mit bestimmten Qualitäten und beruflichen Folgewirkungen, kann sicherlich als einem Gütezeichen entsprechend angesehen werden. Was Nr. 4 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof angeht, „sind dort spezifische Fälle gemeint, in denen die anwendbare Regelung … bestimmte Anforderungen insbesondere an die Qualität eines Gewerbetreibenden oder seiner Waren stellt und insoweit ein System der Bestätigung, Billigung oder Genehmigung vorsieht“(70). Für die Geschäftspraxis der Rechtsmittelgegner kann beides unschwer als erfüllt betrachtet werden. Diese Praxis erfordert somit keine Beurteilung des Einzelfalls und kann als unter allen Umständen unlauter angesehen werden.

151. Ich schlage daher vor, Frage 1 wie folgt zu beantworten: Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung des nationalen Rechts nicht entgegensteht, wonach nicht anerkannten Bildungseinrichtungen allgemein die Verwendung der Bezeichnung „Master“-Grad oder -Studiengang auf von ihnen ausgestellten Zeugnissen verboten ist, um eine hohe Qualität der Bildung zu gewährleisten.

V.      Ergebnis

152. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen, Belgien) wie folgt zu beantworten:

–        Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung des nationalen Rechts nicht entgegensteht, wonach es zur Gewährleistung einer hohen Qualität der Bildung nicht anerkannten Bildungseinrichtungen allgemein verboten ist, die Bezeichnung „Master“ auf von ihnen ausgestellten Diplomen zu verwenden.

–        Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach es nicht anerkannten Bildungseinrichtungen allgemein verboten ist, die Bezeichnung „Master“ auf von ihnen ausgestellten Diplomen zu verwenden, solange das Akkreditierungsverfahren die Voraussetzungen nach Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllt. Sie steht auch der Anwendung einer zur Bestrafung der Verleihung von Graden durch nicht anerkannte Einrichtungen eingeführten Strafvorschrift der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art nicht entgegen, solange diese Strafen verhältnismäßig sind.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36, im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie).


3      Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22, im Folgenden: Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken).


4      Belgisch Staatsblad vom 14. August 2003.


5      Belgisch Staatsblad vom 27. Februar 2014.


6      Nach den Angaben des Vorabentscheidungsersuchens hat sich das mutmaßlich rechtswidrige Handeln der Rechtsmittelgegner im Zeitraum vom 19. Oktober 2006 bis 3. Juli 2010 mehrmals, jedoch – mit Ausnahme des 30. Juni 2009 und des 2. Juli 2010 – zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten ereignet.


7      Kamer van inbeschuldigingstelling Antwerpen (Anklagekammer Antwerpen, Belgien) vom 5. Januar 2015.


8      Auch wenn die konkreten Einzelpunkte (Unterabschnitte) von Art. 25 § 7 und Art. II.75 § 6 in der Tat offenbar den gleichen Inhalt haben, gilt dies offenbar nicht für die Artikel (Art. 25 und Art. II.75) in ihrer Gesamtheit und die darin enthaltenen Aufzählungen der verschiedenen Grade und erst recht nicht für das allgemeinere systematische Verhältnis dieser Artikel zu sonstigen Vorschriften der betreffenden Regelungskomplexe, die sich zwangsläufig unterscheiden und denen für den Anwendungsbereich jeder der beiden Vorschriften Bedeutung zukommen kann.


9      Siehe oben, Nrn. 21, 29, und 32.


10      Ähnlich dem Ansatz des Gerichtshofs zur Bestimmung der jeweils unmittelbar einschlägigen Verkehrsfreiheit (Waren oder Dienstleistungen). Vgl. z. B. Urteile vom 24. März 1994, Schindler (C‑275/92, EU:C:1994:119, Rn. 22), und vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital (C‑390/99, EU:C:2002:34, Rn. 31).


11      Wäre dies der Fall, hätte dies bei (vorwiegend) privat finanzierten Einrichtungen der Hochschulbildung, selbst bei solchen mit ordnungsgemäßer Akkreditierung und unzweifelhafter Qualität, zur Folge, dass aus der Sicht des Unionsrechts ihre Dienstleistungen in der Ausstellung von Diplomen gegen Entgelt bestünden.


12      Vgl. Urteil vom 11. September 2007, Kommission/Deutschland (C‑318/05, EU:C:2007:495, Rn. 86). Vgl. in diesem Sinne bereits Urteil vom 13. Februar 1985, Gravier (293/83, EU:C:1985:69, Rn. 19).


13      Vgl. z. B. Urteile vom 27. September 1988, Humbel und Edel (263/86, EU:C:1988:451, Rn. 17), vom 22. Mai 2003, Freskot (C‑355/00, EU:C:2003:298, Rn. 55), vom 11. September 2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz (C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 38), und vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 47).


14      Urteil vom 27. September 1988, Humbel und Edel (263/86, EU:C:1988:451).


15      Urteil vom 27. September 1988, Humbel und Edel (263/86, EU:C:1988:451, Rn. 4 und 14).


16      Urteil vom 27. September 1988, Humbel und Edel (263/86, EU:C:1988:451, Rn. 18).


17      Vgl. Urteile vom 7. Dezember 1993, Wirth (C‑109/92, EU:C:1993:916, Rn. 16), und vom 20. Mai 2010, Zanotti (C‑56/09, EU:C:2010:288, Rn. 30 bis 35).


18      Urteil vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19      Urteil vom 11. September 2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz (C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 40).


20      Vgl. Urteile vom 27. September 1988, Humbel und Edel (263/86, EU:C:1988:451, Rn. 18), und vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 50).


21      Vgl. bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Slynn in der Rechtssache Humbel und Edel (263/86, EU:C:1988:151, S. 5379 bis 5380).


22      Vgl. z. B. Urteile vom 11. Juli 2013, Femarbel (C‑57/12, EU:C:2013:517, Rn. 32), und vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn (C‑179/14, EU:C:2016:108, Rn. 113).


23      Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Dienstleistungsrichtlinie.


24      Art. 2 Abs. 2 Buchst. i der Dienstleistungsrichtlinie.


25      Siehe oben, Nr. 50.


26      Vgl. Urteil vom 18. Dezember 2007, Jundt (C‑281/06, EU:C:2007:816, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 18. Dezember 2007, Jundt (C‑281/06, EU:C:2007:816, Rn. 32 und 33).


28      Dies bestätigt auch die Darstellung der Zielsetzung des Begriffs im Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie (Europäische Kommission [Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen]), Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Kommission, 2007, S. 11). Vgl. auch den Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (KOM[2004] 2 endg., S. 20).


29      Vgl. in diesem Sinne auch die Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Hiebler (C‑293/14, EU:C:2015:472, Nr. 37): „[Es] wird in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a betont, dass die Richtlinie keine Anwendung auf nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse findet, was überflüssig ist, da eine Dienstleistung definitionsgemäß gegen Entgelt erbracht wird“.


30      Vgl. auch das Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 10 und 11, wo bestätigt wird, dass die Bildung im Sinne des Unionsrechts nicht einheitlich behandelt werden kann, jedoch eine stärkere Verallgemeinerung im Bereich der nationalen Primar- und Sekundarschulausbildung vertreten wird, die sich offenbar eher auf die Kategorie der nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bezieht. Dem Handbuch zufolge können die Mitgliedstaaten jedoch nicht alle Dienstleistungen im konkreten Bereich der Bildung als nicht wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betrachten.


31      Ein solcher kasuistischer Ansatz kann dann logischerweise auch dazu führen, dass in besonderen Fällen eine Lehrtätigkeit an einer staatlich finanzierten Hochschule auch eine Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts sein kann. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Jundt (C‑281/06, EU:C:2007:816, Rn. 31 bis 34).


32      Hinzuweisen ist darauf, dass für die Qualifizierung als Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts nicht erforderlich ist, dass die betreffende Tätigkeit von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugutekommt. Vgl. z. B. Urteile vom 26. April 1988, Bond van Adverteerders u. a. (352/85, EU:C:1988:196, Rn. 16), und vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms (C‑157/99, EU:C:2001:404, Rn. 57). Konkret zur Bildung vgl. Urteil vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 49): „Diese private Finanzierung muss nicht vorwiegend von den Schülern oder deren Eltern aufgebracht werden, da der wirtschaftliche Charakter einer Tätigkeit nicht davon abhängt, dass die Dienstleistung von denjenigen bezahlt wird, denen sie zugutekommt.“


33      In seinem Urteil vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 51), war der Gerichtshof der Auffassung, dass eine Bildungseinrichtung, die mehrere Tätigkeiten ausübt, „über eine getrennte Buchführung für die verschiedenen erhaltenen Finanzmittel verfüg[en muss], so dass jede Gefahr einer Quersubventionierung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten mit den öffentlichen Geldern, die sie für ihre nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten erhält, ausgeschlossen ist“.


34      Hinzuweisen ist darauf, dass nach den Urteilen vom 18. Dezember 2007, Jundt (C‑281/06, EU:C:2007:816, Rn. 31 bis 34), und vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 63), tatsächlich davon auszugehen ist, dass das Vorliegen einer Dienstleistung im Sinne des Unionsrechts auf der Ebene jedes einzelnen Studiengangs zu beurteilen ist.


35      Was seinen Ausdruck darin findet, dass für eine bestimmte Zahl von Jahren eine rechtliche Verpflichtung zur Teilnahme am Primarunterricht besteht.


36      Siehe oben, Nr. 59.


37      Was logisch auch die bereits erwähnten Fortbildungskurse für Manager oder sonstige, möglicherweise eindeutig auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeiten, bei denen jedoch auch eine Wissensvermittlung stattfindet, einschlösse (und somit vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausnähme) (siehe oben, Nr. 79).


38      Urteil vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms (C‑157/99, EU:C:2001:404, Rn. 58). Hinzuweisen ist darauf, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. f der Dienstleistungsrichtlinie jetzt eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie vorsieht für: „Gesundheitsdienstleistungen, unabhängig davon, ob sie durch Einrichtungen der Gesundheitsversorgung erbracht werden, und unabhängig davon, wie sie auf nationaler Ebene organisiert und finanziert sind, und ob es sich um öffentliche oder private Dienstleistungen handelt“ (Hervorhebung nur hier).


39      In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Humbel wies der bereits zitierte Generalanwalt Slynn (siehe oben, Fn. 21) mehrfach auf die natürliche Analogie hin, die zwischen dem Sekundarunterricht und der Gesundheitsversorgung besteht.


40      Vgl. Urteil vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 41 und Rn. 45 bis 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier.


41      Siehe oben, Nr. 86.


42      Siehe oben, Nrn. 46 bis 51.


43      Da die Dienstleistungsrichtlinie anwendbar sein dürfte, bedarf es keiner eingehenden Prüfung des Vorbringens der schwedischen Regierung zur möglichen Anwendbarkeit des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6). Die schwedische Regierung hat jedenfalls zu Recht auch darauf hingewiesen, dass der Umfang des freien Dienstleistungsverkehrs nach diesem Abkommen auf das Recht zur Erbringung von Dienstleistungen über einen Zeitraum von höchstens 90 Tagen im Jahr beschränkt sei, juristischen Personen jedoch kein Niederlassungsrecht gewährt werde.


44      Urteil vom 13. November 2003, Neri (C‑153/02, EU:C:2003:614, Rn. 39).


45      Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser (C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 110). Dies gilt nicht für die Dienstleistungsfreiheit (Rn. 102).


46      In Art. 4 Nr. 5 der Dienstleistungsrichtlinie ist die „Niederlassung“ definiert als „die tatsächliche Ausübung einer von Artikel 43 des Vertrags erfassten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Dienstleistungserbringer auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Infrastruktur, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird“.


47      Vgl. Urteile vom 31. Januar 1984, Luisi und Carbone (286/82 und 26/83, EU:C:1984:35, Rn. 16), vom 2. Februar 1989, Cowan (186/87, EU:C:1989:47, Rn. 15), und vom 20. Mai 2010, Zanotti (C‑56/09, EU:C:2010:288, Rn. 26).


48      Vgl. z. B. Urteile vom 6. November 2003, Gambelli u. a. (C‑243/01, EU:C:2003:597, Rn. 65), und vom 6. März 2007, Placanica u. a. (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, EU:C:2007:133, Rn. 49).


49      Vgl. in diesem Sinne für einen anderen Bereich Urteil vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital (C‑390/99, EU:C:2002:34, Rn. 29).


50      Vgl. Urteile vom 13. November 2003, Neri (C‑153/02, EU:C:2003:614, Rn. 46), und vom 12. Dezember 2013, Dirextra Alta Formazione (C‑523/12, EU:C:2013:831, Rn. 25).


51      Vgl. insbesondere die Bologna-Erklärung vom 19. Juni 1999 – Gemeinsame Erklärung der europäischen Bildungsminister vom 19. Juni 1999, erweitert durch die Bergener Konferenz der für die Hochschulen zuständigen europäischen Ministerinnen und Minister vom 19. bis 20. Mai 2005 im Qualifikationsrahmen für den Europäischen Hochschulraum.


52      Vgl. insbesondere Art. 53 Abs. 1 AEUV und die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, L 255, S. 22).


53      Auch wenn dies häufig im Wege einer Analogie zur Rechtsprechung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit angeführt wird, wäre der Ansatz „einfach mit einem Etikett mit entsprechenden Angaben versehen und den Verbraucher entscheiden lassen“ meines Erachtens im Bereich der Dienstleistungen, zumal besonderer Dienstleistungen wie solcher der Bildung, nicht wirklich hilfreich.


54      Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Dezember 2013, Dirextra Alta Formazione (C‑523/12, EU:C:2013:831, Rn. 28 und 29). Als Beispiel für eine unverhältnismäßige Maßnahme vgl. indes Urteil vom 13. November 2003, Neri (C‑153/02, EU:C:2003:614).


55      Siehe oben, Nrn. 42 bis 44.


56      Vgl. z. B. im Kontext des Vertrags Urteile vom 19. Januar 1999, Calfa (C‑348/96, EU:C:1999:6, Rn. 17), vom 6. März 2007, Placanica u. a. (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, EU:C:2007:133, Rn. 68), und vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer (C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 31).


57      Vgl. Urteil vom 11. November 1981, Casati (203/80, EU:C:1981:261, Rn. 27).


58      Siehe oben, Nrn. 68 bis 88.


59      Vgl. entsprechend auch Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen (C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 56 bis 58), wo der Gerichtshof die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) auf eine Dienstleistung angewandt hat, die von einer im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanzierten Hochschuleinrichtung neben und in Ergänzung zu ihrer Lehrtätigkeit erbracht wurde und darin bestand, einer Studierenden vertraglich die zinslose Teilzahlung geschuldeter Beträge anzubieten.


60      Vgl. Art. 1 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken.


61      Vgl. z. B. Urteile vom 9. November 2010, Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag (C‑540/08, EU:C:2010:660), und vom 17. Oktober 2013, RLvS (C‑391/12, EU:C:2013:669).


62      Vgl. z. B. Urteile vom 9. November 2010, Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag (C‑540/08, EU:C:2010:660, Rn. 26 bis 28), und vom 17. Oktober 2013, RLvS (C‑391/12, EU:C:2013:669, Rn. 31 bis 34), zu nationalen Bestimmungen, mit denen im Wesentlichen das Ziel der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt bzw. der Unabhängigkeit der Presse verfolgt wird.


63      Vgl. z. B. Urteil vom 17. Januar 2013, Köck (C‑206/11, EU:C:2013:14, Rn. 30): „Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind … nur nationale Vorschriften über unlautere Geschäftspraktiken, die ‚lediglich‘ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen“.


64      In denjenigen wenigen Bereichen, in denen die gesetzgeberische Absicht der Mitgliedstaaten in der Vergangenheit tatsächlich (gesetzgeberisch erklärtermaßen) von Bedeutung ist, verdeutlichen die sich aus ihrer Prüfung ergebenden Nachweisprobleme, warum dies möglicherweise nicht der zielführendste Weg ist. Zu einem Beispiel für eine jüngere Diskussion darüber, wann eine nationale Regelung „speziell“ auf Dienste der Informationsgesellschaft „abziel[t]“ und somit zu einer technischen Vorschrift wird, die nach der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. 1998, L 204, S. 37) in geänderter Fassung angemeldet werden muss, vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Falbert u. a. (C‑255/16, EU:C:2017:608, Nrn. 58 bis 87).


65      Unter Betonung der besonders weiten Definition des Begriffs Geschäftspraktiken vgl. z. B. Urteile vom 9. November 2010, Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag (C‑540/08, EU:C:2010:660, Rn. 21), und vom 25. Juli 2018, Dyson (C‑632/16, EU:C:2018:599, Rn. 30).


66      Vgl. z. B. Urteil vom 17. Oktober 2013, RLvS (C‑391/12, EU:C:2013:669, Rn. 37).


67      Vgl. entsprechend z. B. Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght (C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 21 bis 25), zu nationalen Rechtsvorschriften, die Werbung für Leistungen der Mund- und Zahnversorgung verbieten.


68      Vgl. z. B. Urteile vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea (C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 56), und vom 19. September 2013, CHS Tour Services (C‑435/11, EU:C:2013:574, Rn. 38).


69      Vgl. z. B. Urteil vom 18. Oktober 2012, Purely Creative u. a. (C‑428/11, EU:C:2012:651).


70      Urteil vom 17. Januar 2013, Köck (C‑206/11, EU:C:2013:14, Rn. 39). Hervorhebung nur hier.