Language of document : ECLI:EU:T:2023:834

Rechtssache T53/21

(auszugsweise Veröffentlichung)

EVH GmbH

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Fünfte erweiterte Kammer) vom 20. Dezember 2023

„Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Deutsche Strom- und Gasmärkte – Beschluss, mit dem der Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Begründungspflicht – Begriff ‚einziger Zusammenschluss‘ – Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Recht auf Anhörung – Abgrenzung des Marktes – Untersuchungszeitraum – Beurteilung der Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb – Offensichtliche Beurteilungsfehler – Verpflichtungszusagen – Sorgfaltspflicht“

1.      Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Einziger Zusammenschluss – Begriff – Voraussetzungen – Voneinander abhängige Erwerbsvorgänge, die einem oder mehreren Unternehmen die unmittelbare oder mittelbare wirtschaftliche Kontrolle über die Tätigkeit eines oder mehrerer anderer Unternehmen übertragen – Erwerb der Kontrolle über unterschiedliche Zielunternehmen durch unabhängige Unternehmen im Rahmen eines Tausches von Vermögenswerten – Ausschluss – Keine funktionelle Verbindung zwischen den in Rede stehenden Erwerbsvorgängen

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, 20. Erwägungsgrund und Art. 3 Abs. 1)

(vgl. Rn. 82‑86, 97‑102)

2.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beschluss zur Durchführung der Vorschriften über Unternehmenszusammenschlüsse – Entscheidung über die Genehmigung eines Zusammenschlusses

(Art. 296 AEUV; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 107‑110, 112‑116, 118, 119, 125)

3.      Unternehmenszusammenschlüsse – Verwaltungsverfahren – Pflichten der Kommission gegenüber qualifizierten Dritten – Recht auf Anhörung – Umfang

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 18 Abs. 4; Verordnung Nr. 802/2004 der Kommission, Art. 11 Buchst. c und Art. 16 Abs. 1)

(vgl. Rn. 131‑143, 146‑148)

4.      Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Beschluss der Kommission, mit dem ein Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Erfordernisse, die sich aus dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ergeben – Veröffentlichungspflicht – Umfang – Veröffentlichung der Zusammenfassung des streitigen Beschlusses über ein Jahr nach dessen Erlass – Keine Auswirkungen auf die Gültigkeit des Beschlusses

(Art. 15, Art. 296 und Art. 297 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c, Art. 8 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1)

(vgl. Rn. 164‑168)

5.      Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Erlass eines Beschlusses, mit dem die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt festgestellt wird – Verpflichtungszusagen der beteiligten Unternehmen, die geeignet sind, die Vereinbarkeit des angemeldeten Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt herzustellen – Ermessen – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 171‑177)

6.      Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Berücksichtigung der von den am Zusammenschluss Beteiligten gelieferten Daten – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 185‑188)

7.      Nichtigkeitsklage – Rechtmäßigkeitskontrolle – Kriterien – Berücksichtigung nur der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten zur Zeit des Erlasses des streitigen Rechtsakts – Vorbringen zu einer nach Erlass eines Rechtsakts durchgeführten Analyse, die aber auf im Zeitpunkt des Erlasses dieses Rechtsakts verfügbaren Daten beruht – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2 und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 194, 195, 198‑201)

8.      Unternehmenszusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt – Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich behindert – Prüfung durch die Kommission – Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung – Abgrenzung des Untersuchungszeitraums – Kriterien

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2 Abs. 2 und 3)

(vgl. Rn. 230‑233, 406, 407)

9.      Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Definition des in Rede stehenden Marktes – Kriterien – Substituierbarkeit der Waren – Substituierbarkeit auf der Nachfrageseite – Beurteilung der Substituierbarkeit von Strom- und Gaslieferungen im Rahmen der Grundversorgung bzw. im Rahmen von Sonderverträgen

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2)

(vgl. Rn. 252‑274)

10.    Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Definition des in Rede stehenden Marktes – Beachtlichkeit der früheren Entscheidungspraxis der Kommission – Fehlen

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2)

(vgl. Rn. 275‑277, 308)

11.    Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Definition des in Rede stehenden Marktes – Zusammenschluss zweier Energieversorgungsunternehmen, der einen Austausch von Vermögenswerten vorsieht – Beweislast, die der Partei obliegt, die die Definition des in Rede stehenden Marktes beanstandet – Notwendigkeit, zuverlässige Indizien beizubringen, mit denen auf greifbare Weise das Bestehen eines Wettbewerbsproblems bewiesen wird, das eine Prüfung durch die Kommission erfordert – Unzulänglichkeit der von der Partei, die den herangezogenen Ansatz beanstandet, dargelegten Umstände

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 313, 314)

12.    Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Definition des in Rede stehenden Marktes – Möglichkeit der Kommission, diese Definition offenzulassen – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. b und c und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 323, 329, 336)

13.    Unternehmenszusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt – Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich behindert – Prüfung durch die Kommission – Beurteilung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Zusammenschlusses – Indizien – Hohe Marktanteile

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, 32. Erwägungsgrund und Art. 2; Mitteilung 2004/C 31/03 der Kommission, Ziff. 17 und 18)

(vgl. Rn. 356‑359)

14.    Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Beschluss der Kommission, mit dem ein Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird – Beurteilung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Zusammenschlusses – Beweislast, die der Partei obliegt, die diese Prüfung der Kommission beanstandet

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates, Art. 2, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 2)

(vgl. Rn. 391‑395, 400, 401, 412, 413, 421, 423, 433‑435, 440, 445, 454, 465, 467)

15.    Unternehmenszusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Wirtschaftliche Beurteilungen – Ermessen bei der Beurteilung – Sorgfaltspflicht – Umfang

(Verordnung Nr. 139/2004 des Rates)

(vgl. Rn. 489‑493)

Zusammenfassung

Im März 2018 haben die RWE AG und die E.ON SE, zwei Gesellschaften deutschen Rechts, angekündigt, im Wege dreier Zusammenschlüsse einen komplexen Austausch von Vermögenswerten vornehmen zu wollen (im Folgenden: Gesamttransaktion).

Mit der ersten Transaktion wollte RWE, die in mehreren europäischen Staaten auf den verschiedenen Stufen der Energieversorgungskette tätig ist, die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON, einer in mehreren europäischen Staaten tätigen Stromerzeugerin, erwerben. Die zweite Transaktion bestand darin, dass E.ON die alleinige Kontrolle über die Sparten Energieverteilung und ‑vertrieb sowie bestimmte Erzeugungsanlagen der innogy SE, einer Tochtergesellschaft von RWE, erwarb. Die dritte Transaktion sah den Erwerb einer Beteiligung in Höhe von 16,67 % an E.ON durch RWE vor.

Der erste und der zweite Zusammenschluss wurden von der Europäischen Kommission geprüft, während der dritte Zusammenschluss vom Bundeskartellamt (Deutschland) geprüft wurde.

Im April 2018 teilte die deutsche EVH GmbH, die in Deutschland sowohl aus konventionellen als auch aus erneuerbaren Energiequellen Strom erzeugt, der Kommission mit, dass sie am den ersten und den zweiten Zusammenschluss betreffenden Verfahren beteiligt werden und daher die sich auf diese Zusammenschlüsse beziehenden Unterlagen erhalten möchte.

Der zweite Zusammenschluss wurde am 31. Januar 2019 bei der Kommission angemeldet. Mit Beschluss vom 7. März 2019 stellte die Kommission fest, dass der in Rede stehende Zusammenschluss Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt und dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gebe, weshalb das Verfahren der eingehenden Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 139/2004(1) einzuleiten sei. Im Rahmen dieses Verfahrens vertrat die Kommission angesichts der Verpflichtungszusagen, die E.ON vorgelegt hatte, um die von der Kommission festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken zu zerstreuen, jedoch die Ansicht, dass diese ausreichten, um die ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt auszuräumen. Mit Beschluss vom 17. September 2019 erklärte die Kommission den Zusammenschluss folglich für mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen vereinbar(2).

EVH(3) hat beim Gericht eine Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses erhoben. Das Gericht weist die Klage in vollem Umfang ab und stützt sich dabei teilweise auf ähnliche Erwägungen wie im Urteil vom 17. Mai 2023(4), mit dem es die Klage abgewiesen hat, die EVH gegen den Beschluss der Kommission erhoben hat, mit dem der erste Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurde. Dies betrifft insbesondere den Klagegrund der fehlerhaften Aufspaltung der Untersuchung der Gesamttransaktion, jenen des Rechts der Klägerin auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sowie ihre Rügen hinsichtlich der Abgrenzung des Untersuchungszeitraums. Das Gericht, das im Übrigen über verschiedene Fehler befinden sollte, die nach Ansicht von EVH geeignet waren, die von der Kommission dargelegte Analyse sowie die von der Kommission daraus gezogenen Schlussfolgerungen, insbesondere hinsichtlich der Definition der relevanten Märkte und der Prüfung der Auswirkungen des in Rede stehenden Zusammenschlusses auf den Wettbewerb, zu entkräften, berücksichtigt in diesem Zusammenhang bei der ihm obliegenden gerichtlichen Kontrolle die Besonderheiten der von der Kommission aufgrund ihrer Befugnisse im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen vorzunehmenden Prüfung.

Würdigung durch das Gericht

In einem ersten Schritt weist das Gericht eine Reihe von Klagegründen zurück, mit denen die fehlerhafte Aufspaltung der Untersuchung der Gesamttransaktion, ein Verstoß gegen die Begründungspflicht, eine Verletzung des Rechts der Klägerin auf Anhörung und eine Verletzung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz geltend gemacht werden. Was insbesondere die Beteiligung am Verfahren betrifft, auf die EVH nach der EG‑Fusionskontrollverordnung Anspruch hatte, stellt das Gericht fest, dass die Kommission in Verfahren zur Kontrolle von Zusammenschlüssen Dritte, die ihre Anhörung beantragen und ein hinreichendes Interesse darlegen, über Art und Gegenstand des Verfahrens zu unterrichten hat, soweit dies notwendig ist, um ihnen eine sachgerechte Stellungnahme zum Zusammenschluss zu ermöglichen, ohne ihnen jedoch ein Recht auf Zugang zum gesamten Akteninhalt zu gewähren. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass der Klägerin Art und Gegenstand des in Rede stehenden Verfahrens durchaus bekannt waren. Unter diesen Umständen kann sie der Kommission nicht vorwerfen, ihr nicht alle Informationen übermittelt zu haben, über die die Kommission verfügt habe, und folglich ihr auch nicht vorwerfen, ihr Recht auf Anhörung verletzt zu haben.

In einem zweiten Schritt prüft das Gericht den Klagegrund, mit dem offensichtliche Fehler der Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit des in Rede stehenden Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt geltend gemacht werden. Hierzu verweist das Gericht darauf, dass die Kommission bei der Ausübung der ihr durch die EG‑Fusionskontrollverordnung übertragenen Befugnisse über ein gewisses Ermessen verfügt, insbesondere bei komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen, die sie in diesem Zusammenhang vorzunehmen hat. Die von den Unionsgerichten vorzunehmende Kontrolle der Ausübung eines solchen Ermessens muss daher unter Berücksichtigung des der Kommission somit eingeräumten Beurteilungsspielraums erfolgen.

Sodann stellt das Gericht zunächst fest, dass die Prüfung der Umstände, unter denen die Kommission diese Sache bearbeitet hat, nichts ergibt, was das Vorbringen von EVH stützen würde, dass die Kommission bei ihrer Prüfung nicht die Gesamtheit der relevanten Daten berücksichtigt habe. Es verweist hierbei darauf, dass die Kommission in allen Verfahren zur Kontrolle von Zusammenschlüssen die Notwendigkeit, eine vollständige Befragung zur Erlangung aller für ihre Beurteilung relevanten Informationen durchzuführen, mit dem von ihr zu beachtenden Beschleunigungsgebot in Einklang bringen muss. Vor diesem Hintergrund kann ihr zum einen nicht vorgeworfen werden, sich ausschließlich auf die Angaben der am Zusammenschluss Beteiligten gestützt zu haben, sofern keine Indizien für die Unrichtigkeit dieser Angaben vorlagen und sie alle relevanten Daten darstellten, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren. Außerdem verweist das Gericht auf die Möglichkeit der Klägerin, Studien vorzulegen, die speziell dazu erstellt wurden, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen, soweit sie nicht den Versuch darstellen, den der Kommission zuvor im Hinblick auf den Erlass des angefochtenen Beschlusses unterbreiteten rechtlichen und tatsächlichen Rahmen zu ändern. Im vorliegenden Fall basieren die von der Klägerin vorgelegten Studien auf anderen Daten als den zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses verfügbaren, so dass mittels dieser Studien nicht der Nachweis gelingt, dass die Kommission bestimmte Daten nicht berücksichtigt hätte. Zum anderen vertritt das Gericht die Ansicht, dass die erste Marktbefragung korrekt durchgeführt wurde, und gelangt sodann zu dem Schluss, dass der Vorwurf, dass bestimmte Daten nicht berücksichtigt worden seien, unbegründet ist.

Nach der Feststellung, dass EVH der Kommission nicht mit Erfolg vorwerfen kann, den Untersuchungszeitraum fehlerhaft abgegrenzt zu haben, wofür Gründe angeführt werden, die sich im Wesentlichen darauf beziehen, dass die Prüfung der Kommission auf die voraussichtliche Entwicklung abstellen müsse – wie im Urteil des Gerichts vom 17. Mai 2023 ausgeführt –, widmet sich das Gericht der Prüfung der Rügen, mit denen eine fehlerhafte Definition der relevanten Märkte geltend gemacht wird(5).

In diesem Zusammenhang äußert sich das Gericht als Erstes zur Abgrenzung der Strom‑ und Gaseinzelhandelsmärkte, die im vorliegenden Fall sowohl hinsichtlich der Waren als auch hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung dieser Märkte beanstandet wird. Es weist zunächst darauf hin, dass sich die Kommission zur Unterscheidung zwischen Grundversorgungskunden und Sondervertragskunden auf dem Produktmarkt auf eine wettbewerbliche Analyse der Substituierbarkeit von Grundversorgungsverträgen und Sonderverträgen der betreffenden Kunden gestützt habe; im vorliegenden Fall sei sie dabei zu dem Ergebnis gelangt sei, dass diese Substituierbarkeit nicht ausreichend gegeben sei. Das Gericht ist insoweit der Auffassung, dass es EVH nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass die Kommission einen Beurteilungsfehler begangen habe, indem sie im Hinblick auf die vorstehende Feststellung zwischen den genannten zwei Arten der Versorgung unterschieden habe. Ebenso wenig hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie bei der Definition des geografischen Marktes davon ausgegangen ist, dass Strom‑ und Gaslieferungen an Haushalts- und Kleingewerbekunden im Rahmen der Grundversorgung einen lokalen Markt darstellten, der auf das betreffende Grundversorgungsgebiet begrenzt sei, und dass Strom‑ und Gaslieferungen an Haushalts- und Kleingewerbekunden im Rahmen von Sonderverträgen einen nationalen Markt mit lokalen Elementen darstellten.

Zu den Märkten für Messdienstleistungen und für Elektromobilität stellt das Gericht als Zweites fest, dass die Klägerin der Kommission umgekehrt nicht mit Erfolg vorwerfen kann, die Frage nach der Definition der jeweils in Rede stehenden Produktmärkte offengelassen zu haben, da sie explizit ausgeführt hat, dass keine der Marktdefinitionen die Feststellung ermögliche, dass der Zusammenschluss zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führe, und insoweit kein offensichtlicher Beurteilungsfehler nachgewiesen worden ist. Gleiches gilt dem Gericht zufolge auch dann, wenn die Kommission unabhängig von der zugrunde gelegten Definition wettbewerbswidrige Auswirkungen feststellt, sofern der Zusammenschluss infolge von durch die betroffenen Unternehmen vorgenommenen Änderungen unabhängig von der Definition des in Rede stehenden Marktes nicht mehr geeignet ist, wirksamen Wettbewerb erheblich zu behindern.

Schließlich prüft das Gericht die Rügen hinsichtlich einer fehlerhaften Beurteilung der Auswirkungen des Zusammenschlusses.

Was als Erstes die Auswirkungen auf die Strom- und Gaseinzelhandelsmärkte betrifft, so ergibt die Prüfung der Gesichtspunkte, auf die die Kommission ihre Analyse gestützt hat, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission, soweit diese der Ansicht war, dass der Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb auf den betreffenden Märkten im Rahmen der Grundversorgung in Deutschland nicht erheblich behindere. Aus dieser Prüfung ergibt sich auch, dass die Kommission die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die betreffenden Märkte im Rahmen von Sonderverträgen ausreichend geprüft und dabei, insbesondere hinsichtlich der Schaffung einer Kapazität oder von Anreizen für eine potenzielle Preisstrategie mit negativen Margen zur Verdrängung kleiner Wettbewerber oder zur Belegung aller vorderen Plätze im Ranking von Internet-Vergleichsportalen, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat.

Was als Zweites die Auswirkungen auf die Märkte für die Verteilung von Elektrizität und Gas betrifft, so kann die Klägerin der Kommission angesichts der von dieser hierzu vorgebrachten Gesichtspunkte nicht vorwerfen, die Auswirkungen der sich auf diesen Märkten entwickelten Geschäftstätigkeit unzureichend untersucht und sie offensichtlich falsch beurteilt zu haben.

Als Drittes kommt das Gericht in Bezug auf die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Märkte für Messdienstleistungen und Elektromobilität zum gleichen Ergebnis. Insbesondere hinsichtlich des Marktes für Elektromobilität stellt es fest, dass die Kommission eine kohärente und umfassende Prüfung der Wettbewerbselemente aus der Sicht des kleinsten denkbaren Marktes vorgenommen hat, insbesondere im Licht der Marktanteile der am Zusammenschluss Beteiligten, der Enge ihres Wettbewerbsverhältnisses, der Marktstruktur und der Marktzutrittsschranken, und dabei auch die Situation abseits von Autobahnen berücksichtigt hat. Die Klägerin hat insoweit nicht nachgewiesen, dass die von der Kommission verwendeten Daten falsch gewesen wären.

Als Viertes und Letztes weist das Gericht die Rüge einer fehlerhaften Beurteilung der Auswirkungen datengetriebener Kundenlösungen zurück. In diesem Zusammenhang stellt es schließlich fest, dass der Kommission auch nicht vorgeworfen werden kann, in irgendeiner Weise gegen die ihr bei der Ausübung ihrer Befugnisse obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen zu haben.

Im Licht all dieser Erwägungen weist das Gericht die Klage in vollem Umfang ab.


1      Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. 2004, L 24, S. 1).


2      Beschluss C(2019)6530 final vom 17. September 2019 zur Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen (Sache M.8870 – E.ON/Innogy).


3      Zehn weitere Unternehmen haben ebenfalls Nichtigkeitsklagen gegen diesen Beschluss erhoben. Sämtliche Klagen werden entweder als unzulässig (Urteil vom 20. Dezember 2023, Stadtwerke Frankfurt am Main/Kommission, T‑63/21) oder in der Sache (Urteile vom 20. Dezember 2023, Stadtwerke Leipzig/Kommission [T‑55/21], TEAG/Kommission [T‑56/21], Stadtwerke Hameln Weserbergland/Kommission [T‑58/21], eins energie in sachsen/Kommission [T‑59/21], Naturstrom/Kommission [T‑60/21], EnergieVerbund Dresden/Kommission [T‑61/21], GGEW/Kommission [T‑62/21], Mainova/Kommission [T‑64/21] und enercity/Kommission [T‑65/21]) abgewiesen.


4      Urteil vom 17. Mai 2023, EVH/Kommission (T‑312/20, EU:T:2023:252).


5      Im vorliegenden Fall hat die Kommission aufgrund der von den am Zusammenschluss Beteiligten ausgeübten Tätigkeiten für ihre Prüfung zwischen vier Märkten unterschieden, nämlich dem Strom- bzw. Gasmarkt, dem Markt für Messdienstleistungen und dem Markt für Elektromobilität.