Language of document : ECLI:EU:T:2019:237

Rechtssache T-388/11

Deutsche Post AG

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Erste erweiterte Kammer) vom 10. April 2019

„Staatliche Beihilfen – Postsektor – Finanzierung der höheren Lohn- und Lohnnebenkosten bei einem Teil der Beschäftigten der Deutschen Post durch Subventionen und Erlöse aus den preisregulierten Diensten – Beschluss, das förmliche Prüfverfahren auszuweiten – Beschluss, mit dem nach Abschluss der Vorprüfungsphase das Vorliegen neuer Beihilfen festgestellt wird – Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlung – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Folgen der Nichtigerklärung des endgültigen Beschlusses – Begründungspflicht“

1.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Beschluss der Kommission, ein förmliches Prüfverfahren in Bezug auf eine in der Durchführung begriffene und vorläufig als neue Beihilfe eingestufte staatliche Maßnahme einzuleiten – Einbeziehung

(Art. 108 Abs. 2 und 3 und Art. 263 AEUV)

(vgl. Rn. 41-46)

2.      Nichtigkeitsklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Rechtsschutzinteresse – Gerichtliche Prüfung von Amts wegen

(Art. 263 AEUV)

(vgl. Rn. 47)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Rechtsschutzinteresse – Klage gegen einen Beschluss der Kommission, das förmliche Prüfverfahren in Bezug auf eine staatliche Maßnahme auszuweiten – Nichtigerklärung der Beschlüsse über die Eröffnung und den Abschluss vorhergehender förmlicher Prüfverfahren durch den Unionsrichter – Gefahr einer Rückforderung der von der Kommission gerügten Beihilfen – Fortbestand des Rechtsschutzinteresses

(Art. 108 Abs. 3 und Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 48-50, 54, 58-62)

4.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Pflicht zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen – Umfang – Erlass eines neuen Rechtsakts auf der Grundlage früherer vorbereitender Handlungen – Zulässigkeit

(Art. 266 AEUV)

(vgl. Rn. 53)

5.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Pflicht zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen – Umfang – Berücksichtigung sowohl der Urteilsgründe als auch des Unionsrechts – Rückwirkung der Nichtigerklärung – Verpflichtung, die für nichtig erklärte Handlung nicht durch eine mit demselben Fehler behaftete Handlung zu ersetzen

(Art. 266 AEUV)

(vgl. Rn. 55-57)

6.      Nichtigkeitsklage – Gründe – Fehlende oder unzureichende Begründung – Klagegrund, der sich von dem die materielle Rechtmäßigkeit betreffenden Klagegrund unterscheidet

(Art. 263 und Art. 296 Abs. 2 AEUV)

(vgl. Rn. 65)

7.      Staatliche Beihilfen – Beschluss der Kommission, ein förmliches Prüfverfahren über eine vorläufig als neue Beihilfe eingestufte staatliche Maßnahme einzuleiten – Begründungspflicht – Umfang

(Art. 107 Abs. 1, Art. 108 Abs. 2 und Art. 296 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c; Verordnung 2015/1589 des Rates, Art. 4 Abs. 2 und 4)

(vgl. Rn. 67-73, 79-84, 88)

Zusammenfassung

Mit dem Urteil Deutsche Post/Kommission (T‑388/11, EU:T:2019:237) vom 10. April 2019, das in einer auf fünf Richter erweiterten Zusammensetzung erlassen worden ist, hat das Gericht einen Beschluss der Europäischen Kommission, mit dem sie ein förmliches Prüfverfahren betreffend die staatlichen Beihilfen, die der Deutschen Post als Ausgleich für ihre Universaldienstverpflichtungen gewährt wurden, auf die Subventionen ausgeweitet hatte, die der Deutschen Post von den deutschen Behörden zur Finanzierung der Pensionen von Arbeitnehmern, die den Status von Beamten haben, gezahlt wurden, wegen fehlender Begründung für nichtig erklärt.

Die vorliegende Rechtssache gehört zu einer Reihe von Beschlüssen der Kommission über bestimmte Maßnahmen zugunsten der Deutschen Post und von nacheinander ergangenen Urteilen des Gerichts und des Gerichtshofs, mit denen diese Beschlüsse für nichtig erklärt worden sind. Die Kommission hatte aufgrund ihrer Pflichten gemäß Art. 266 AEUV die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus diesen rechtskräftig gewordenen Urteilen ergeben.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht zunächst festgestellt, dass die Kommission weiterhin die Möglichkeit hat, das Verfahren im Stadium des Erlasses des angefochtenen Beschlusses wieder aufzunehmen, und dass die Deutsche Post weiterhin der sich aus diesem Beschluss ergebenden Gefahr einer Rückforderung der von der Kommission gerügten Beihilfen ausgesetzt ist. Zudem habe das Interesse der Deutschen Post an der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses und an seiner Tilgung aus der Rechtsordnung fortbestanden, da sich die Kommission in dem Fall, dass der Beschluss für nichtig erklärt werden sollte und sie, um die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus den Nichtigkeitsurteilen ergeben, entschiede, erneut einen das förmliche Prüfverfahren wieder eröffnenden Beschluss zu erlassen, vergewissern müsste, dass dieser neue Beschluss nicht dieselben Fehler aufweist, die alle vorangegangenen Beschlüsse aufweisen. Ferner befand sich die Deutsche Post unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen prozessualen Komplexität, die sich aus dem Vorliegen mehrerer Entscheidungen der Verwaltung und der Gerichte über dieselben Beihilfemaßnahmen ergibt, in einer Situation besonderer Rechtsunsicherheit, die sich nur durch die Prüfung der Begründetheit der vorliegenden Rechtssache und die etwaige Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses klären lässt, was ihr Interesse an der Anfechtung dieses Beschlusses verstärkt hat.

In Anbetracht des besonderen Verfahrenshintergrundes der vorliegenden Rechtssache, nämlich der Verflochtenheit mehrerer von der Kommission eröffneter förmlicher Prüfverfahren, hat das Gericht festgestellt, dass der Kommission beim Erlass des angefochtenen Beschlusses eine besondere Begründungspflicht im Sinne von Art. 296 Abs. 2 AEUV oblag.

Das Gericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kommission auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 1 AEUV eine Begründungspflicht in Bezug auf das Vorliegen eines selektiven wirtschaftlichen Vorteils gegenüber der Deutschen Post bereits nach Abschluss der Vorprüfungsphase und nicht erst hinsichtlich des nach Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens erlassenen Beschlusses oblag.