Language of document : ECLI:EU:C:2014:1927

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 12. Juni 2014(1)

Verbundene Rechtssachen C‑358/13 und C‑181/14

Strafverfahren

gegen

D. (C‑358/13),

G. (C‑181/14)

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Geltungsbereich – Auslegung des Begriffs ‚Funktionsarzneimittel‘ – Bedeutung des Kriteriums der Eignung, physiologische Funktionen zu beeinflussen – Erzeugnis auf der Grundlage von Kräutern und synthetischen Cannabinoiden, das ausschließlich zu Entspannungszwecken vertrieben wird – Fehlen eines medizinischen oder therapeutischen Nutzens – Einbeziehung“





1.        Kann eine Stoffzusammensetzung aus Kräutern und synthetischen Cannabinoiden, die dazu bestimmt ist, beim Menschen einen Rauschzustand herbeizuführen, der dem durch einen Cannabiskonsum hervorgerufenen Rauschzustand vergleichbar ist, unter den Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG(2) fallen?

2.        Kann mit anderen Worten der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne dieser Vorschrift Stoffe oder Stoffzusammensetzungen erfassen, die zwar eine Änderung der menschlichen physiologischen Funktionen herbeiführen können, deren ausschließlich zu Entspannungszwecken vorgenommene Verabreichung aber nicht zur Vorbeugung oder Heilung einer Krankheit bestimmt ist?

3.        Dies sind im Wesentlichen die Fragen, die uns der Bundesgerichtshof (Deutschland) vorlegt.

4.        Sie stellen sich in zwei Strafverfahren, die vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (im Folgenden: Generalbundesanwalt) gegen zwei Personen, Herrn D. und Herrn G., eingeleitet wurden, die von 2010 bis 2012 Kräutermischungen vertrieben haben, denen verschiedene synthetische Cannabinoide beigesetzt waren, die, wenn sie geraucht werden, die Wirkungen von Cannabis nachahmen sollten.

5.        Zu der in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit konnte das Inverkehrbringen dieser neuen psychoaktiven Substanzen nicht mit den deutschen Rechtsvorschriften zur Drogenbekämpfung erfasst werden. In Ermangelung einer ausdrücklichen Rechtsvorschrift wandten die nationalen Gerichte daher in der Erwägung, dass der Verkauf eines Erzeugnisses, wie es hier in Rede steht, ein Inverkehrbringen eines bedenklichen Arzneimittels und als solches einen Verstoß darstelle, das Arzneimittelgesetz an.

6.        In der Rechtssache C‑358/13 verurteilte das Landgericht Lüneburg (Deutschland) Herrn D., der in seinem Geschäft „G. Alles rund um Hanf“ Mischungen aus Kräutern und synthetischen Cannabinoiden als Raumparfums und Raumerfrischer vertrieben hatte, aufgrund dieses Gesetzes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In der Rechtssache C‑181/14 verurteilte das Landgericht Itzehoe (Deutschland) aufgrund desselben Gesetzes Herrn G., der diese Erzeugnisse zunächst allein, dann mit einem Mittäter über seinen Onlineshop vertrieben hatte, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und ordnete einen Wertersatzverfall in Höhe von 200 000 Euro an.

7.        Auf Revision von Herrn D. und Herrn G. warf der Bundesgerichtshof die Frage nach der unionsrechtlichen Einstufung dieser Mischungen aus Kräutern und synthetischen Cannabinoiden auf. Wie er in seinen Vorabentscheidungsersuchen ausführt, können diese Personen nämlich nur insoweit strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, als die in Rede stehende Zubereitung als „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 eingestuft werden kann.

8.        Nach dieser Vorschrift ist der Begriff „Arzneimittel“ so zu verstehen, dass darunter „alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen [fallen], die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“(3).

9.        In den Ausgangsrechtssachen steht indessen fest, dass der Verbrauch der in diesen Kräutermischungen enthaltenen synthetischen Cannabinoide eine Beeinflussung der physiologischen Funktionen des Menschen herbeiführt, indem insbesondere über die Rezeptoren seiner Nervenzellen eine pharmakologische Wirkung hervorgerufen wird.

10.      Der Bundesgerichtshof stellt sich deshalb die Frage, ob die Eignung der in Rede stehenden Stoffzusammensetzung, physiologische Funktionen zu beeinflussen, ungeachtet der Gefahren, die sie für die menschliche Gesundheit darstelle, ausreiche, um sie als „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 einzustufen, oder ob es darüber hinaus erforderlich sei, dass ihre Verabreichung einen therapeutischen Nutzen für den Menschen bringe.

11.      Da er Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 2001/83 hat, hat der Bundesgerichtshof die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen im Sinne dieser Vorschrift, die die menschlichen physiologischen Funktionen lediglich beeinflussen – also nicht wiederherstellen oder korrigieren –, nur dann als Arzneimittel anzusehen sind, wenn sie einen therapeutischen Nutzen haben oder jedenfalls eine Beeinflussung der körperlichen Funktionen zum Positiven hin bewirken?

2.      Fallen mithin Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die allein wegen ihrer – einen Rauschzustand hervorrufenden – psychoaktiven Wirkungen konsumiert werden und dabei einen jedenfalls gesundheitsgefährdenden Effekt haben, nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie 2001/83?

12.      Der Generalbundesanwalt sowie die deutsche, die tschechische, die estnische, die italienische, die finnische und die norwegische Regierung vertreten in ihren Erklärungen die Auffassung, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 alle Stoffe und Stoffzusammensetzungen umfasse, die die menschlichen physiologischen Funktionen beeinflussen könnten, auch wenn sie keinen therapeutischen Nutzen brächten. Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die nur wegen ihrer psychoaktiven, einen Rauschzustand herbeiführenden Wirkungen konsumiert würden und die in jedem Fall gesundheitsschädlich seien, könnten daher in dieser Weise zu qualifizieren sein.

13.      Die ungarische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs treten einer solchen Auslegung entgegen; nach ihrer Auffassung kann ein Erzeugnis, das nur wegen seiner psychoaktiven Wirkungen ohne jeden therapeutischen Zweck konsumiert werde, nicht unter den Arzneimittelbegriff fallen. In gleicher Weise ist die Europäische Kommission der Auffassung, dass das in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 verwendete Kriterium der Eignung, physiologische Funktionen zu beeinflussen, nicht für sich allein für die Einstufung eines Erzeugnisses als „Arzneimittel“ ausschlaggebend sei. Die „Funktionsarzneimittel“ im Sinne dieser Vorschrift müssten mehr können, als nur einen chemischen oder biologischen Vorgang im menschlichen Körper auszulösen, wobei dieser Vorgang unter Berücksichtigung des medizinischen oder therapeutischen Zwecks des betroffenen Erzeugnisses zu beurteilen sei.

14.      In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Gründe darlegen, weshalb ich der Auffassung bin, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 nicht dazu dient, eine Stoffzusammensetzung wie die im vorliegenden Fall fragliche zu umfassen, deren Verbrauch zwar die physiologischen Funktionen des Menschen beeinflusst, die aber ausschließlich zu Entspannungszwecken und nicht zur Vorbeugung oder Heilung einer Krankheit verabreicht wird.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

15.      Nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 sind unter dem Begriff „Arzneimittel“ zu verstehen:

„…

a)      [a]lle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b)      alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“.

B –    Deutsches Recht

16.      Der Begriff „Arzneimittel“ wird in § 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) definiert(4).

17.      Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

„die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a)      die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

b)      eine medizinische Diagnose zu erstellen“.

18.      § 5 AMG enthält das Verbot, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden. Bedenklich sind „Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“.

19.      § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG sieht schließlich vor, dass, wer entgegen § 5 Abs. 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird.

II – Würdigung

A –    Zusammenhang

20.      Vor der Prüfung der vorliegenden Fragen ist es erforderlich, auf den Zusammenhang hinzuweisen, in dem sie sich stellen.

21.      Die synthetischen Cannabinoide gehören zu den sogenannten „neuen psychoaktiven Substanzen“. Eine neue psychoaktive Substanz ist nach Art. 3 des Beschlusses 2005/387/JI des Rates vom 10. Mai 2005 betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen(5) ein neuer Suchtstoff oder ein neuer psychotroper Stoff, der weder im Rahmen des am 30. März 1961 in New York abgeschlossenen Einheits-Übereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe(6) noch im Rahmen des am 21. Februar 1971 in Wien abgeschlossenen Übereinkommens der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe(7) kontrolliert wird, der jedoch eine den von diesen Übereinkommen erfassten Drogen vergleichbare Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen kann(8). Zu den Stoffen und Erzeugnissen, die von den genannten Übereinkommen erfasst werden, gehört auch Cannabis.

22.      Die neuen psychoaktiven Substanzen, die häufig synthetischer Art sind, sollen die Wirkung der im Rahmen dieser Übereinkommen kontrollierten Drogen nachahmen. Ihre Molekularstrukturen ähneln denjenigen der von ihnen kopierten Stoffe, ohne mit diesen vollkommen übereinzustimmen, so dass die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften mit ihnen zumindest vorübergehend umgangen werden können.

23.      So sollen die synthetischen Cannabinoide in verstärkter Form die Wirkungen von Delta-9-Tetrahydrocannabinol, dem Cannabis-Wirkstoff, nachahmen. Wie dieses Molekül beeinflussen sie die Cannabinoidrezeptoren und wirken damit auf das zentrale Nervensystem des Menschen ein. Ursprünglich wurden diese Cannabinoide im Rahmen der medizinischen Forschung synthetisiert und waren vor allem im Rahmen der Schmerzbehandlung Gegenstand pharmakologischer Tests. Wegen ihrer Nebenwirkungen, die als zu stark angesehen wurden, und vor allem wegen ihrer psychoaktiven Wirkungen erwies es sich jedoch als schwierig, die therapeutischen Eigenschaften der synthetischen Cannabinoide zu isolieren. Wie das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑358/13 ausführt, wurden die vorexperimentellen Testreihen daher in der ersten pharmakologischen Phase abgebrochen. Ebenso wie Cannabis bringt der Verbrauch synthetischer Cannabinoide Gefahren für die menschliche Gesundheit mit sich, da er die lebenswichtigen Funktionen des Einzelnen wie Konzentration und Aufmerksamkeit beeinträchtigt, bestimmte Probleme der geistigen Gesundheit wie Angst und Depressionen verstärkt und psychiatrische Erscheinungen wie Halluzinationen und Paranoia sowie eine mögliche Missbrauchs- und Abhängigkeitsgefahr hervorruft. Wie der Generalbundesanwalt in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, reichen diese psychoaktiven Wirkungen sogar bis zu Suizidimpulsen. Augenscheinlich werden diese Gefahren dadurch verstärkt, dass die Substanzen den Kräutermischungen, die ohne entsprechende Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung verkauft werden, in unterschiedlichen, nicht festgelegten Mengen beigefügt werden.

24.      Der Beschluss 2005/387 gab den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit, wirksame Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen hinsichtlich dieser Substanzen zu erlassen(9). Wie die Kommission in ihrem Bericht über die Bewertung der Wirksamkeit dieses Beschlusses(10) feststellt, sind diese Substanzen aufgrund ihrer Vielfalt und der Geschwindigkeit, mit der neue Erzeugnisse als Ersatz für nunmehr kontrollierte Erzeugnisse entwickelt werden, schwer zu identifizieren und zu reglementieren(11). Das Verfahren, das sich auf den Informationsaustausch und eine Risikobewertung konzentriert, ist langwierig, während angesichts der Gefahren, die diese Stoffe aufweisen, und der Schnelligkeit mit der sie auf dem Markt auftauchen, ein schnelles Handeln der Mitgliedstaaten geboten ist. Es erlaubt es auch nicht, gegen chemische Stoffgruppen vorzugehen, während sich die psychoaktiven Substanzen, wie wir gesehen haben, über kleine Änderungen in ihrer chemischen Zusammensetzung entwickeln.

25.      Die Mitgliedstaaten gingen daher in unterschiedlicher Weise vor und griffen auf unterschiedliche rechtliche Maßnahmen zurück, um die Herstellung, den Verkauf und den Besitz dieser Substanzen, deren medizinischer Wert weder festgestellt noch anerkannt ist, zu kontrollieren und zu reglementieren. Einige Mitgliedstaaten stützten sich, wie die Kommission in demselben Bericht auch hervorhebt, auf die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften. Andere machten von den Grundsätzen im Bereich der Lebensmittelsicherheit oder von den Vorschriften über den Verbraucherschutz oder über gefährliche Substanzen und Produkte Gebrauch(12). Einige Mitgliedstaaten, u. a. die Bundesrepublik Deutschland, wandten schließlich das jeweilige Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln an.

26.      Zu der in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit konnte das Inverkehrbringen von Mischungen aus Kräutern und synthetischen Cannabinoiden nämlich nicht mit dem deutschen Betäubungsmittelgesetz erfasst werden. In Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift ahndeten die nationalen Gerichte das entsprechende Verhalten daher mit Hilfe des AMG, indem sie den Verkauf von Erzeugnissen wie den in Rede stehenden gemäß diesem Gesetz als Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel im Sinne von § 5 Abs. 1 AMG und damit als Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG ansahen.

27.      Die vorliegenden Rechtssachen werfen daher die Frage auf, ob diese Rechtsvorschriften das geeignete Mittel sind, um gegen das Auftauchen und das Inverkehrbringen dieser neuen psychoaktiven Substanzen vorzugehen.

B –    Auslegung

28.      Mit seinen Fragen möchte der Bundesgerichtshof vom Gerichtshof wissen, ob eine Zubereitung wie die im Ausgangsverfahren streitige, die aus einer Mischung aus Kräutern und synthetischen Cannabinoiden besteht, allein deshalb, weil ihre Verabreichung beim Menschen eine Beeinflussung der physiologischen Funktionen mit sich bringt, und obwohl sie nicht zur Vorbeugung oder Heilung einer Krankheit bestimmt ist, als „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 eingestuft werden kann.

29.      In den vorliegenden Rechtssachen steht fest, dass die in diesen Kräutermischungen enthaltenen synthetischen Cannabinoide eine signifikante Beeinflussung der physiologischen Funktionen des Menschen herbeiführen, indem sie insbesondere über die Rezeptoren seiner Nervenzellen eine pharmakologische Wirkung auf den Körper ausüben. Im deutlichen Unterschied zu den zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken verabreichten Betäubungsmitteln bezweckt diese Stoffzusammensetzung jedoch nicht die Vorbeugung oder Heilung einer Krankheit, da sie ausschließlich zu Entspannungszwecken konsumiert wird, wobei der Konsument die mit einem Cannabiskonsum verbundenen psychischen Wirkungen, insbesondere einen Rauschzustand, anstrebt. Unsere Vorgehensweise in diesen Fällen muss daher glaubwürdig und realistisch sein, denn der Kontext ist ernst. Es geht nicht darum, die medizinische Verwendung von Betäubungsmitteln zu verhindern, denn diese ist, wie wir wissen, weiterhin zur Schmerzlinderung unerlässlich, sondern darum, das Inverkehrbringen psychoaktiver Substanzen zu beschränken, die dem Menschen außerhalb jeder medizinischen und therapeutischen Anwendung ungeachtet der mit ihrem Konsum verbundenen Risiken verabreicht werden.

30.      Aus Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 folgt, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen unter die Definition des Funktionsarzneimittels fallen, wenn sie geeignet sind, durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung auf den menschlichen Körper physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, wobei diese Eignung wissenschaftlich festgestellt sein muss(13).

31.      Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter diese Definition fällt, haben die zuständigen nationalen Behörden nach ständiger Rechtsprechung von Fall zu Fall zu treffen. Sie müssen alle Merkmale des Erzeugnisses berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann(14). Dabei ist die Frage, ob der Stoff oder die Stoffzusammensetzung ein Risiko für die menschliche Gesundheit birgt, für die Einstufung als „Funktionsarzneimittel“ nicht allein entscheidend(15).

32.      Es sind die pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften des jeweiligen Erzeugnisses, auf deren Grundlage die zuständigen nationalen Behörden ausgehend von seinen Wirkungsmöglichkeiten beurteilen müssen, ob es im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden kann, um die physiologischen Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen(16).

33.      In den Ausgangsrechtssachen ist die Mehrheit der Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, der Ansicht, dass der therapeutische Nutzen des betroffenen Erzeugnisses angesichts des Wortlauts von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs kein Kriterium sei, das bei der Entscheidung darüber, ob es unter die Definition des „Funktionsarzneimittels“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 falle, zu berücksichtigen sei. Der Generalbundesanwalt und die finnische Regierung vertreten u. a. die Auffassung, dass der Unionsgesetzgeber, indem er in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 auf die „[Beeinflussung der] physiologischen Funktionen“ abgestellt habe, anders als bei den vorangehenden Begriffen „wiederherstellen“ und „korrigieren“ einen neutralen Begriff gewählt habe, so dass es nicht darauf ankomme, ob die von den fraglichen Stoffen oder Stoffzusammensetzungen ausgehende Wirkung auf die physiologischen Funktionen des Menschen für die Gesundheit nützlich oder schädlich sei.

34.      Diese Auffassung teile ich nicht, denn die Frage, ob die einem Menschen verabreichten Stoffe oder Stoffzusammensetzungen einen medizinischen oder therapeutischen Nutzen besitzen, ist meines Erachtens dem Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 immanent und bei allen Kriterien, die der Unionsgesetzgeber und der Unionsrichter zu diesem Zweck festgelegt haben, zu berücksichtigen.

35.      Zwar tritt die Frage, ob das betroffene Erzeugnis einen medizinischen oder therapeutischen Nutzen besitzt, in dem Ausdruck „die … physiologischen Funktionen … zu beeinflussen“ – anders als in den vorangehenden Ausdrücken, in denen die Wörter „wiederherstellen“ und „korrigieren“ auf einen solchen Nutzen Bezug nehmen – nicht zutage.

36.      Jedoch hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(17).

37.      Erstens sind meines Erachtens Buchst. a und Buchst. b von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 in Verbindung miteinander zu lesen. Auch wenn in Buchst. a der Begriff des Präsentationsarzneimittels und in Buchst. b der Begriff des Funktionsarzneimittels definiert wird, sind beide dazu bestimmt, den Umfang ein und derselben Warenkategorie festzulegen, die öffentlich vermarktet werden soll. Der Wortlaut von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 bringt jedoch eindeutig zum Ausdruck, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen nur dann unter die Definition des Präsentationsarzneimittels fallen können, wenn sie „Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten“ besitzen(18). Diese Begriffe nehmen sehr deutlich auf einen medizinischen oder therapeutischen Nutzen des Arzneimittels Bezug.

38.      Zweitens kann das in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 vorgesehene Kriterium der Eignung, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen, nach meiner Auffassung nicht isoliert und unabhängig von dem Zusammenhang, in den es eingebunden ist, und der medizinischen Anwendung, für die die fraglichen Stoffe oder Stoffzusammensetzungen bestimmt sind, betrachtet werden.

39.      Zum einen ist dieses Kriterium meiner Meinung nach unter Einbeziehung der beiden anderen, ihm vorangehenden Kriterien zu verstehen, die insoweit außerordentlich erhellend sind, nämlich der Eignung, die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherzustellen und zu korrigieren. Mit den Verben „wiederherstellen“ und „korrigieren“ zielt der Unionsgesetzgeber eindeutig auf eine Verbesserung der organischen Funktionen des Menschen oder die Wiederherstellung seiner physiologischen Funktionen ab, so dass insoweit ein medizinischer oder therapeutischer Nutzen vorausgesetzt wird. Ferner ist das Kriterium der Eignung, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen, nach Maßgabe des ihm unmittelbar nachfolgenden Kriteriums auszulegen, nämlich der Eignung, „eine medizinische Diagnose zu erstellen“; dieses setzt ebenfalls eindeutig eine therapeutische Anwendung und einen therapeutischen Zweck voraus.

40.      Zum anderen muss der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Tragweite dieses Kriteriums Rechnung getragen werden.

41.      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass das Kriterium der Eignung, die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, nur erfüllt sein kann, soweit die Verabreichung des fraglichen Erzeugnisses aufgrund seiner Zusammensetzung und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eine nennenswerte physiologische Wirkung auf den menschlichen Körper mit sich bringt(19).

42.      Er möchte hier zwischen Stoffen oder Stoffzusammensetzungen, die als „Arzneimittel“ eingestuft werden können, und Lebensmitteln, deren Verzehr ebenfalls physiologische Wirkungen mit sich bringen kann, unterscheiden(20). So führt Wein, wenn er in einer erheblichen Menge konsumiert wird, wie auch Salz, Zucker und noch viele weitere Lebensmittel, durch eine metabolische Wirkung zu einer Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen.

43.      Nach Ansicht des Gerichtshofs müssen diese physiologischen Wirkungen jedoch über die „förderlichen“ Effekte hinausgehen, die der Verzehr eines Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen haben kann, da die Verabreichung des fraglichen Erzeugnisses „die Funktion der Verhütung oder Heilung besitzen“ muss(21). Die Begriffe, die der Gerichtshof verwendet und die ich wörtlich übernehme, zeigen klar, dass die Verabreichung des fraglichen Erzeugnisses über die Beeinflussung der physiologischen Funktionen gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 hinaus zu einer Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers in der Weise führen muss, dass einer Krankheit vorgebeugt oder eine Krankheit geheilt wird.

44.      Drittens ist diese Auslegung meines Erachtens im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie 2001/83 geboten.

45.      Es widerspräche nämlich völlig dem Zweck dieses Rechtsakts, wollte man in einen Wirtschafts- und Handelskreislauf, der nunmehr von den Gesundheitsbehörden streng überwacht wird, Stoffe oder Stoffzusammensetzungen aufnehmen, die mit den Risiken von Drogen vergleichbare Risiken für die menschliche Gesundheit bergen und die außerhalb jeder medizinischen oder wissenschaftlichen Anwendung verabreicht oder verwendet werden.

46.      Die Grundsätze, die der Unionsgesetzgeber in Bezug auf die arzneimittelrechtlichen Vorschriften aufgestellt hat, beruhen auf dem Schutz der menschlichen Gesundheit und dem freien Warenverkehr innerhalb der Union(22).

47.      Mit dem Erlass der Vorschriften über die Genehmigung des Inverkehrbringens, die Herstellung, die Einfuhr, die Kennzeichnung, die Klassifizierung und den Vertrieb von Arzneimitteln oder auch die Werbung für Arzneimittel wollte der Unionsgesetzgeber sicherstellen, dass die betroffenen Stoffe oder Stoffzusammensetzungen gemäß den Art. 168 AEUV und 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu einem hohen Gesundheitsschutzniveau und insbesondere zur Verhütung von Humankrankheiten und zur Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit beitragen. Diese Vorschriften, insbesondere diejenigen, die den Rahmen für die Einstufung eines Erzeugnisses als „Arzneimittel“ festlegen, müssen letztlich das Inverkehrbringen und den freien Verkehr eines sicheren und wirksamen Erzeugnisses in der Union ermöglichen, dessen Zusammensetzung untersucht, Indikationen, Gegenindikationen, Risiken und unerwünschte Wirkungen bewertet und Dosierung, pharmazeutische Form sowie Art der Verabreichung bestimmt worden sind. Diese Vorschriften eignen sich daher nicht zur Anwendung auf eine Stoffzusammensetzung wie die in Rede stehende, die in Wirklichkeit vom Markt ausgeschlossen werden soll. Denn das Ziel der nationalen Behörden besteht darin, den Handel und den freien Verkehr mit einem Stoff zu untersagen, von dem man weiß, dass er keinen medizinischen oder therapeutischen Nutzen hat und für den Einzelnen Gefahren aufweist, die den Gefahren von Drogen im Sinne der vorstehend genannten völkerrechtlichen Übereinkommen gleichen.

48.      Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass Stoffe wie die hier fraglichen ausschließlich zu Entspannungszwecken gehandelt und konsumiert werden, wobei der Konsument die mit einem Drogenkonsum verbundenen psychischen Wirkungen anstrebt. Das Inverkehrbringen der neuen psychoaktiven Substanzen ausschließlich zu Entspannungszwecken liegt aber eindeutig außerhalb des legalen Wirtschaftslebens des Binnenmarkts. Im Urteil Josemans(23) hat der Gerichtshof klar festgestellt, dass „Betäubungsmittel außerhalb des von den zuständigen Stellen streng überwachten Handels zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke bereits ihrem Wesen nach unter ein Einfuhr‑ und Verkehrsverbot fallen“(24). Auch wenn nach ständiger Rechtsprechung Betäubungsmittel, bei denen eine medizinische oder wissenschaftliche Verwendung möglich ist, daher eindeutig unter die Vorschriften des Binnenmarkts fallen(25), ist dies hingegen bei Betäubungsmitteln, die rechtswidrig eingeführt werden oder zu rechtswidrigen Zwecken bestimmt sind, nicht der Fall. Diese stellen keine Ware wie andere dar und entziehen sich, wenn ihr Vertrieb rechtswidrig ist, den Rechtsvorschriften für den Binnenmarkt.

49.      Unter diesen Umständen bin ich überzeugt, dass die Grundsätze, die der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 2001/83 niedergelegt hat, nicht für eine Anwendung auf das Inverkehrbringen einer Stoffzusammensetzung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen bestimmt sind, deren ausschließlich zu Entspannungszwecken vorgenommene Verabreichung beim Menschen keinen medizinischen oder therapeutischen Nutzen für den Einzelnen aufweist.

50.      Ich teile das Anliegen, dafür zu sorgen, dass ein für die Unionsbürger gefährliches Verhalten nicht der Strafdrohung entgeht, und verstehe, dass die Bundesrepublik Deutschland angesichts eines rechtsleeren Raumes daher versucht hat, das Arzneimittelgesetz anzuwenden, um das Inverkehrbringen dieser neuen psychoaktiven Substanzen besser kontrollieren und unterbinden zu können. Ich verstehe auch, dass der Grund für eine solche Haltung darin lag, dass die öffentliche Gesundheit vor den Gefahren geschützt werden muss, die die synthetischen Cannabinoide für die Bevölkerung mit sich bringen. Die Anwendung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften führt jedoch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Der Wille, ein derartiges Verhalten unter Strafe zu stellen, kann eine weite Auslegung oder gar eine Verzerrung des Begriffs „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 nicht rechtfertigen. Denn in den vorliegenden Rechtssachen handelt es sich tatsächlich um eine „Verzerrung“ dieses Begriffs, um Stoffe einzubeziehen, die unabhängig davon, ob sie für die menschliche Gesundheit schädlich oder ob sie legal sind, außerhalb einer medizinischen oder wissenschaftlichen Anwendung konsumiert werden. Das Arzneimittelrecht als Garant für ein hohes Gesundheitsschutzniveau in der Union ist jedoch offensichtlich nicht das geeignete Mittel. Im Übrigen würde es mich wundern, wenn entsprechend der von der Mehrheit der Regierungen in diesen Rechtssachen geltend gemachten Argumentation ein Wein, der auf der Grundlage verbotener chemischer Derivate hergestellt wurde, Gegenstand einer Strafmaßnahme aufgrund der Richtlinie 2001/83 sein könnte.

51.      Deshalb erlauben es nach meiner Ansicht nur auf die Kontrolle von Suchtmitteln gegründete repressive Maßnahmen entsprechend den mit ihnen verfolgten Zielen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit, mit der gebotenen Schnelligkeit auf das Erscheinen von Substanzen auf dem Markt zu antworten, deren Wirkungen vor allem aufgrund einer derivativen chemischen Zusammensetzung sowie deren hoher Toxizität denen von Suchtmitteln gleichen.

52.      Unter diesem Gesichtspunkt kann ich nur dazu aufrufen, dass auf Unionsebene klare Vorschriften erlassen werden.

53.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über neue psychoaktive Substanzen(26) verpflichtet hat, sicherzustellen, dass diese Substanzen künftig den für kontrollierte Substanzen geltenden Strafvorschriften und daher letztendlich „dauerhaften Marktbeschränkungen“ unterworfen werden(27). Zu diesem Zweck hat die Kommission beschlossen, den Vorschlag für eine Verordnung über neue psychoaktive Substanzen, der das im Rahmen des Beschlusses 2005/387 vorgesehene Verfahren neu gestalten soll, um einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI(28) zu ergänzen. Wenn dieser Richtlinienvorschlag angenommen wird, dann werden die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen und insbesondere die strafrechtlichen Sanktionen erlassen müssen, die erforderlich sind, um die Erzeugung, Herstellung, Extrahierung, Vermarktung, Beförderung, Einfuhr und Ausfuhr aller neuen psychoaktiven Substanzen unter Strafe zu stellen, die damit einer „dauerhaften Marktbeschränkung“ unterworfen werden.

54.      Auch wenn der Vorschlag für eine Verordnung über neue psychoaktive Substanzen dem Ziel der Bekämpfung der Verbreitung dieser Substanzen auf dem Markt entsprechen dürfte, hege ich gleichwohl Vorbehalte gegen die Bestimmtheit einiger Begriffe, die darin vorkommen, und gegen die Rechtsgrundlage, auf die er gestützt ist.

55.      So scheinen mir der Zweck und die praktische Wirksamkeit des Willens, diese Erzeugnisse vom Markt zu verbannen, mit dem Ausdruck, dass ihnen eine „Marktbeschränkung“ auferlegt werden soll, nicht genau umschrieben zu werden, da der angestrebte Zweck nur mit einem Verbot erreicht werden kann.

56.      Zudem erfolgt die Verbreitung psychoaktiver Substanzen in Form eines echten Verkehrs, von dessen grenzüberschreitendem Charakter die Zahl der Regierungen zeugt, die in den vorliegenden Rechtssachen schriftliche Erklärungen abgegeben und zudem an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, wobei sie sich alle für eine strafrechtliche Ahndung des Gebrauchs und des Inverkehrbringens dieser Erzeugnisse ausgesprochen haben. Aus Gründen der Klarheit halte ich es daher für geeigneter und kohärenter, den künftigen Text auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV zu erlassen; dadurch würde die Verwendung eindeutig zum Vokabular des Binnenmarkts gehörender Begriffe in einem Bereich vermieden, der offenkundig dem Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zuzurechnen ist. Die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten zur Bekämpfung dieser Erscheinung würde so ohne Weiteres möglich, ohne dass eine der bisweilen abstrakten Streitigkeiten über die anwendbare Rechtsgrundlage entsteht.

57.      Nach alledem bin ich daher der Ansicht, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen – wie eine Zubereitung auf der Grundlage von Kräutern und synthetischen Cannabinoiden –, die geeignet sind, die menschlichen physiologischen Funktionen zu beeinflussen, deren ausschließlich zu Entspannungszwecken vorgenommene Verabreichung aber nicht zur Vorbeugung oder Heilung einer Krankheit bestimmt ist, davon nicht erfasst werden.

III – Ergebnis

58.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs wie folgt zu antworten:

Der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen – wie eine Zubereitung auf der Grundlage von Kräutern und synthetischen Cannabinoiden –, die geeignet sind, die menschlichen physiologischen Funktionen zu beeinflussen, deren ausschließlich zu Entspannungszwecken vorgenommene Verabreichung aber nicht zur Vorbeugung oder Heilung einer Krankheit bestimmt ist, davon nicht erfasst werden.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).


3 – Hervorhebung nur hier.


4 – Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C‑358/13 ist dieses Gesetz in seiner Fassung vom 17. Juli 2009 (BGBl. I, S. 1990, im Folgenden: AMG) zugrunde zu legen.


5 – ABl. L 127, S. 32.


6 – Mit Änderung durch das Protokoll von 1972 (Recueil des traités des Nations unies, Bd. 976, S. 120, Nr. 14152).


7Recueil des traités des Nations unies, Bd. 1019, S. 175, Nr. 14956.


8 – Die Europäische Union ist Vertragspartei des am 20. Dezember 1988 in Wien abgeschlossenen Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Recueil des traités des Nations unies, Bd. 1582, S. 95, Nr. 27627).


9 – Vgl. zu den Mängeln des gegenwärtigen Systems und seiner Reform die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Eine entschlossenere europäische Reaktion auf das Drogenproblem“ (KOM[2011] 689 endgültig) sowie die Schlussfolgerungen des Rates zu neuen psychoaktiven Substanzen vom 13. und 14. Dezember 2011 (auf der Website des Rates der Europäischen Union unter folgender Adresse abrufbar: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/fr/jha/126880.pdf).


10 – Bericht der Kommission über die Bewertung der Wirksamkeit des Beschlusses 2005/387/JI des Rates betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen (KOM[2011] 430 endgültig).


11 – S. 3.


12 –      S. 4.


13 – Vgl. Urteil Chemische Fabrik Kreussler (C‑308/11, EU:C:2012:548, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).


14 – Vgl. hierzu Urteil Laboratoires Lyocentre (C‑109/12, EU:C:2013:626, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15 – Vgl. hierzu Urteil BIOS Naturprodukte (C‑27/08, EU:C:2009:278, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 – Vgl. Urteil Laboratoires Lyocentre (EU:C:2013:626, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17 – Urteil Brain Products (C‑219/11, EU:C:2012:742, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).


18 – Der Gerichtshof vertritt eine weite Auslegung des Begriffs des Präsentationsarzneimittels, um „die Verbraucher vor Erzeugnissen [zu] schützen …, die nicht die Wirksamkeit besitzen, welche sie erwarten dürfen“ (vgl. hierzu Urteil Hecht-Pharma, C‑140/07, EU:C:2009:5, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19 – Urteile Hecht-Pharma (EU:C:2009:5, Rn. 41 und 42 und die dort angeführte Rechtsprechung) und Chemische Fabrik Kreussler (EU:C:2012:548, Rn. 35).


20 – Urteil Kommission/ Deutschland (C‑319/05, EU:C:2007:678, Rn. 63).


21 – Ebd. (Rn. 64).


22 – Vgl. Erwägungsgründe 3 und 4 der Richtlinie 2001/83 und Urteil Hecht-Pharma (EU:C:2009:5, Rn. 27).


23 –      C‑137/09, EU:C:2010:774.


24 – Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung. Vgl. auch Rn. 36 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


25 – Vgl. u. a. Urteil Evans Medical und Macfarlan Smith (C‑324/93, EU:C:1995:84).


26 –      COM(2013) 619 final, im Folgenden: Vorschlag für eine Verordnung über neue psychoaktive Substanzen. Art. 2 dieses Vorschlags definiert eine „neue psychoaktive Substanz“ als „eine natürliche oder synthetische Substanz, die, wenn sie vom Menschen konsumiert wird, das zentrale Nervensystem anregen oder zu Depressionen oder Halluzinationen führen sowie eine veränderte Motorik sowie Denk-, Verhaltens-, Wahrnehmungs- oder Stimmungsänderungen bewirken kann, und die für den menschlichen Konsum gedacht oder deren Konsum durch den Menschen wahrscheinlich, wenn auch nicht zur Bewirkung einer oder mehrerer der oben genannten Wirkungen gedacht ist, und die weder im Einheits-Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe in der durch das Protokoll von 1972 geänderten Fassung noch im Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1971 über psychotrope Stoffe erfasst ist“.


27 – Vgl. Art. 13 dieses Vorschlags.


28 – Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels hinsichtlich der Drogendefinition (COM[2013] 618 final).