Language of document : ECLI:EU:T:2024:128

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

28. Februar 2024(*)(i)

„Pflanzenzüchtungen – Gemeinschaftlicher Sortenschutz für Pflanzenzüchtungen der Sorte SK20 – Unzulässigkeit der Beschwerde vor der Beschwerdekammer – Fehlendes Rechtsschutzinteresse – Art. 81 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94“

In der Rechtssache T‑556/22,

House Foods Group, Inc. mit Sitz in Osaka (Japan), vertreten durch Rechtsanwalt G. Würtenberger,

Klägerin,

gegen

Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO), vertreten durch M. García-Moncó Fuente und O. Lamberti als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten F. Schalin, des Richters I. Nõmm und der Richterin G. Steinfatt (Berichterstatterin),

Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die House Foods Group, Inc., die Aufhebung des Beschlusses der Beschwerdekammer des Gemeinschaftlichen Sortenamts (CPVO) vom 1. Juli 2022 (Sache A 018/2021) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 18. September 2017 stellte die Klägerin beim CPVO einen Antrag auf gemeinschaftlichen Sortenschutz nach der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1994, L 227, S. 1).

3        Die Pflanzensorte, für die der Gemeinschaftsschutz beantragt wurde, ist die Zwiebelsorte SK20 der Art Allium cepa.

4        Im technischen Fragebogen, der dem in Rede stehenden Antrag auf gemeinschaftlichen Sortenschutz beigefügt war, beantwortete die Klägerin die Frage 07.02 „Liegen neben den Angaben in den Abschnitten 5 und 6 zusätzliche Merkmale vor, die zur Unterscheidbarkeit der Sorte beitragen können?“ mit „sehr geringer Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure“ der Kandidatensorte.

5        Das CPVO beauftragte das Naktuinbouw (Prüfstelle für Gartenbau, Niederlande, im Folgenden: Prüfungsamt) mit der Vornahme der technischen Prüfung nach Art. 55 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94.

6        Am 14. September 2020 legte das Prüfungsamt den Abschlussbericht der technischen Prüfung vor, aus dem hervorging, dass die Sorte den Anforderungen an die Kriterien der Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit (im Folgenden: DUS-Kriterien) genügte, und dem ein Vorschlag zur Beschreibung der Kandidatensorte beigefügt war. Das CPVO übermittelte diesen Abschlussbericht am 21. Oktober 2020 an die Klägerin und gab ihr nach Art. 57 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 Gelegenheit zur Stellungnahme.

7        Am 21. Dezember 2020 beantragte die Klägerin beim CPVO, dass der unter Punkt 07.02 des technischen Fragebogens genannte geringe Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure in die Beschreibung der Merkmale aufgenommen werde, da diese den Schutzbereich der Sorte bestimme und dieser geringe Gehalt eine außergewöhnliche Beschaffenheit darstelle, die von großem Wert für den Anbau und besonders für die Verwendung der Kandidatensorte sei.

8        Am 4. Februar 2021 teilte das CPVO der Klägerin mit, dass nach einer internen Erörterung ihr Antrag nicht angenommen werden könne, weil die Beschreibung der Sorte Merkmale enthalten müsse, die dem anwendbaren technischen Protokoll entsprächen, oder in bestimmten Fällen auch zusätzliche Merkmale, jedoch nur, wenn sie bei der technischen Prüfung zur Beurteilung der Unterscheidbarkeit zwischen der Kandidatensorte und allgemein bekannten Sorten verwendet worden seien; dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

9        Am 9. Februar 2021 antwortete die Klägerin dem CPVO, wobei sie u. a. den kommerziellen Wert ihrer züchterischen Leistung hervorhob, und verwies auf die Angabe des zusätzlichen Merkmals unter Punkt 07.02 des technischen Fragebogens. Sie erklärte, dass nach ihrer Auslegung eine solche Angabe das CPVO dazu verpflichte, das genannte Merkmal in Betracht zu ziehen und fragte daher, ob dieses Merkmal vor dem Beginn der technischen Prüfung in Betracht gezogen worden sei; falls nicht, wolle sie wissen, aus welchen Gründen dieses Merkmal nicht geprüft worden sei.

10      Am 7. April 2021 teilte das CPVO der Antragstellerin mit, dass die Prüfung des zusätzlichen Merkmals „geringer Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure“ nicht berücksichtigt worden sei und dass das Ergebnis der Prüfung auf der Grundlage der Standardmerkmale schlüssig gewesen sei. Das CPVO sei zur Anwendung seines technischen Protokolls verpflichtet gewesen; da in diesem das von der Klägerin beanspruchte Merkmal nicht enthalten gewesen sei, habe das Prüfungsamt keine Veranlassung gehabt, es bei der üblichen Prüfung der DUS-Kriterien zu berücksichtigen. Das CPVO müsse nicht alle von den Antragstellern geltend gemachten Merkmale prüfen, wenn eine solche Prüfung nicht erforderlich sei, um über den Antrag zu entscheiden. Allerdings sei diese zusätzliche Information in der Akte der Sorte SK20 verzeichnet. Das CPVO leite die technischen Fragebögen an das Europäische Patentamt weiter, so dass für den Fall, dass ein Dritter ein Patent für das fragliche Merkmal anmelden sollte, in den Akten ein Nachweis über den Stand der Technik zu finden sei.

11      Mit Entscheidung vom 3. Mai 2021 erteilte das CPVO den Schutz für die Kandidatensorte (im Folgenden: Entscheidung über die Erteilung des Sortenschutzes). Dieser Entscheidung lag die vom Prüfungsamt erstellte amtliche Beschreibung der Sorte bei.

12      Am 1. Juli 2021 legte die Klägerin gegen die Entscheidung über die Erteilung des Sortenschutzes Beschwerde ein, die darauf abzielte, den geringen Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure in der amtlichen Beschreibung der Sorte zu berücksichtigen oder, hilfsweise, eine neue technische Prüfung vorzunehmen, um die Kandidatensorte im Hinblick auf dieses Merkmal zu begutachten.

13      Am 16. September 2021 entschied der Berichtigungsausschuss des CPVO, die Entscheidung über die Erteilung des Sortenschutzes nicht zu berichtigen, weil die Beschwerde der Antragstellerin nach Art. 49 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 874/2009 der Kommission vom 17. September 2009 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2100/94 im Hinblick auf das Verfahren vor dem CPVO (ABl. 2009, L 251, S. 3) unzulässig sei. Da die Entscheidung über die Erteilung des Sortenschutzes nicht berichtigt wurde, wurde die Beschwerde der Beschwerdekammer des CPVO übergeben.

14      Die Beschwerdekammer des CPVO wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Beschluss nach Art. 49 Abs. 1 der Verordnung Nr. 874/2009 in Verbindung mit Art. 81 der Verordnung Nr. 2100/94 als unzulässig zurück. Die Beschwerdekammer sah das Rechtsschutzinteresse der Klägerin als nicht gegeben an, weil ihre Beschwerde die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses gar nicht zulasse, da die Klägerin die Entscheidung, der Sorte SK20 gemeinschaftlichen Sortenschutz zu erteilen, nicht anfechte. Die Beschwerdekammer stellte darüber hinaus im Wesentlichen fest, dass der Präsident des CPVO keinesfalls dazu verpflichtet gewesen sei, das Verfahren nach Art. 23 der Verordnung Nr. 874/2009 einzuleiten, das ihn dazu ermächtige, zusätzliche Merkmale einer Sorte und ihre Ausprägungen in die Prüfungsrichtlinien aufzunehmen, da die Unterscheidbarkeit der Kandidatensorte bereits auf der Grundlage der Merkmale aus dem einschlägigen technischen Protokoll festgestellt worden sei und es ausreiche, dass die Sorte sich mindestens hinsichtlich eines Merkmals deutlich unterscheiden lasse, um geschützt werden zu können. Folglich sei es für die Feststellung der Unterscheidbarkeit nicht notwendig gewesen, das von der Klägerin angeführte zusätzliche Merkmal zu berücksichtigen.

 Anträge der Parteien

15      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        dem CPVO die Kosten aufzuerlegen.

16      Das CPVO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf zwei Klagegründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 81 der Verordnung Nr. 2100/94 und zweitens einen Verstoß gegen Art. 76 dieser Verordnung rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 81 der Verordnung Nr. 2100/94

18      Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, vertritt sie im Wesentlichen die Ansicht, dass sie ein Rechtsschutzschutzinteresse habe, da das CPVO ihr einen geringeren Schutz als beantragt erteilt habe, indem es den geringen Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure nicht in die amtliche Beschreibung der Sorte aufgenommen habe, so dass ihre Beschwerde als zulässig hätte angesehen werden müssen.

19      Das CPVO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

20      Die Beschwerdekammer hat in Rn. 14 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass die Beschwerde der Klägerin auf der Grundlage von Art. 49 Abs. 1 der Verordnung Nr. 874/2009 in Verbindung mit Art. 81 der Verordnung Nr. 2100/94 unzulässig sei. Es liege nämlich kein Rechtsschutzinteresse vor, wenn die Beschwerde die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses gar nicht zulasse. Dies sei jedoch vorliegend der Fall, da die Klägerin nicht die Entscheidung über die Erteilung des Sortenschutzes anfechte, sondern nur einen Teil der Beschreibung der Sorte in Bezug auf die Liste ihrer Merkmale.

21      Nach dem Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 berücksichtigt das CPVO die in den Mitgliedstaaten allgemein anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts, soweit in dieser Verordnung oder in den aufgrund dieser Verordnung erlassenen Vorschriften Verfahrensbestimmungen fehlen.

22      Es steht fest, dass keine Bestimmung der Verordnung Nr. 2100/94 oder der Verordnung Nr. 874/2009 die Frage der Unzulässigkeit einer Beschwerde wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses regelt. Die Beschwerdekammer hat daher zu Recht auf Art. 81 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 abgestellt, der auf die in den Mitgliedstaaten allgemein anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts verweist.

23      Wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung eingeräumt haben, stellt die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses einen in den Mitgliedstaaten allgemein anerkannten Grundsatz des Verfahrensrechts dar.

24      Das Rechtsschutzinteresse ist nämlich die wesentliche Grundvoraussetzung jeder Klage. Eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person ist somit nur zulässig, soweit die klagende Partei ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung besitzt. Das Bestehen des Rechtsschutzinteresses bei einer klagenden Partei setzt voraus, dass die Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung als solche Rechtswirkungen haben kann, dass also die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteil vom 12. November 2015, HSH Investment Holdings Coinvest-C und HSH Investment Holdings FSO/Kommission, T‑499/12, EU:T:2015:840, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Somit ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Änderung der Beschreibung der geschützten Sorte, die der Entscheidung über die Erteilung des Sortenschutzes beiliegt, geeignet ist, der Klägerin einen Vorteil zu verschaffen. Dies setzt die Feststellung voraus, ob, wie von der Klägerin behauptet, die Merkmale in der amtlichen Beschreibung einer geschützten Sorte den Umfang des ihr erteilten Schutzes festlegen.

26      Nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 können Gegenstand des gemeinschaftlichen Sortenschutzes Sorten aller botanischen Gattungen und Arten, unter anderem auch Hybriden zwischen Gattungen oder Arten sein.

27      Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 ist eine „Sorte“ eine pflanzliche Gesamtheit innerhalb eines einzigen botanischen Taxons der untersten bekannten Rangstufe, die, unabhängig davon, ob die Bedingungen für die Erteilung des Sortenschutzes vollständig erfüllt sind, durch die sich aus einem bestimmten Genotyp oder einer bestimmten Kombination von Genotypen ergebende Ausprägung der Merkmale definiert, zumindest durch die Ausprägung eines der erwähnten Merkmale von jeder anderen pflanzlichen Gesamtheit unterschieden und in Anbetracht ihrer Eignung, unverändert vermehrt zu werden, als Einheit angesehen werden kann.

28      Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 besteht eine Pflanzengruppe aus ganzen Pflanzen oder Teilen von Pflanzen, soweit diese Teile wieder ganze Pflanzen erzeugen können; beide werden „Sortenbestandteile“ genannt.

29      Außerdem wird nach Art. 6 der Verordnung Nr. 2100/94 der gemeinschaftliche Sortenschutz für Sorten erteilt, die unterscheidbar, homogen, beständig und neu sind.

30      Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt, dass eine Sorte als unterscheidbar angesehen wird, wenn sie sich in der Ausprägung der aus einem Genotyp oder einer Kombination von Genotypen resultierenden Merkmale von jeder anderen Sorte, deren Bestehen am Antragstag allgemein bekannt ist, deutlich unterscheiden lässt.

31      Darüber hinaus gilt nach Art. 8 der Verordnung Nr. 2100/94 eine Sorte als homogen, wenn sie – vorbehaltlich der Variation, die aufgrund der Besonderheiten ihrer Vermehrung zu erwarten ist – in der Ausprägung derjenigen Merkmale, die in die Unterscheidbarkeitsprüfung einbezogen werden, sowie aller sonstigen Merkmale, die zur Sortenbeschreibung dienen, hinreichend einheitlich ist.

32      Schließlich gilt nach Art. 9 der Verordnung Nr. 2100/94 eine Sorte als beständig, wenn die Ausprägung derjenigen Merkmale, die in die Unterscheidbarkeitsprüfung einbezogen werden, sowie aller sonstigen, die zur Sortenbeschreibung dienen, nach wiederholter Vermehrung oder im Fall eines besonderen Vermehrungszyklus am Ende eines jeden Zyklus unverändert ist.

33      Erstens ist, wie sich aus Art. 5 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 ergibt, eine „Sorte“ eine pflanzliche Gesamtheit, die durch die sich u. a. aus einer bestimmten Kombination von Genotypen ergebende Ausprägung der Merkmale definiert werden kann.

34      Zweitens geht aus den Art. 6 bis 9 der Verordnung Nr. 2100/94 hervor, dass die sich aus dem Genotyp der Sorte ergebende Ausprägung der Merkmale bestimmen soll, ob die Sorte die DUS-Kriterien erfüllt und somit schutzfähig ist.

35      Zudem sieht der elfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2100/94 vor, dass es „[f]ür die Erteilung des gemeinschaftlichen Sortenschutzes … auf die Feststellung der für die Sorte maßgebenden wichtigen Merkmale an[kommt], die aber nicht notwendigerweise an ihre wirtschaftliche Bedeutung anknüpfen“.

36      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich daher, dass die Erteilung des gemeinschaftlichen Sortenschutzes für eine Kandidatensorte nicht erfordert, alle Merkmale, die sich aus dem Genotyp dieser Sorte ergeben könnten, umfassend zu prüfen, sondern nur diejenigen, die für ihre Schutzfähigkeit und insbesondere für ihre Unterscheidbarkeit von Bedeutung sind. Daher ist die technische Prüfung nach Art. 55 der Verordnung Nr. 2100/94 nur auf die Feststellung ausgerichtet, ob die Kandidatensorte im Vergleich zu anderen allgemein bekannten Sorten ausreichend unterscheidbar, homogen und beständig ist. Mit dieser Prüfung sollen jedoch weder alle Merkmale bewertet werden, die sich aus dem Genotyp der Kandidatensorte ergeben können, noch die Nützlichkeit oder der kommerzielle Wert dieser Merkmale, da die Erteilung des Schutzes für eine neue Sorte nicht vom Vorhandensein von Merkmalen, die einen kommerziellen Wert aufweisen, abhängig ist.

37      Die vom Prüfungsamt erstellte amtliche Beschreibung der Sorte, die nur eine Zusammenfassung der bei der technischen Prüfung gemachten Beobachtungen darstellt, zielt deshalb auch nicht darauf ab, die Ausprägung aller Merkmale wiederzugeben, die sich aus dem Genotyp der Kandidatensorte ergeben und sie kennzeichnen, wie der von der Klägerin beanspruchte geringe Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure, sondern nur bestimmte spezifische Merkmale, die zum Nachweis der Unterscheidbarkeit der Sorte ausreichen.

38      Nach Art. 5 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung genügt es nämlich, dass sich die Sorte zumindest hinsichtlich eines Merkmals, das sich aus ihrem Genotyp ergibt, deutlich unterscheiden lässt, um geschützt werden zu können. Auch wenn also eine Kandidatensorte bestimmte Merkmale aufweist, die identisch sind mit denjenigen einer allgemein bekannten Sorte, reicht es für ihren Schutz aus, dass sie sich durch ein oder mehrere andere Merkmale deutlich unterscheiden lässt. Selbst für den Fall, dass das zusätzliche Merkmal, das die Klägerin beansprucht, in die technische Prüfung einbezogen worden wäre und in der amtlichen Beschreibung der Sorte SK20 enthalten wäre, hätte dies demnach keinerlei Auswirkungen auf den dieser Sorte erteilten Schutz, weil eine neue Sorte, die den gleichen Gehalt an tränenreizendem Faktor und Brenztraubensäure aufweisen würde, dennoch geschützt werden könnte, sofern sie ein oder mehrere andere Merkmale hätte, die sie deutlich von der Sorte der Klägerin unterscheiden.

39      Darüber hinaus kann die Aufnahme des von der Klägerin beanspruchten zusätzlichen Merkmals in die Beschreibung ihr keinen Vorteil verschaffen, weil Gegenstand des gemeinschaftlichen Sortenschutzes die Sorte selbst ist (vgl. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94), bei der es sich um eine pflanzliche Gesamtheit handelt (vgl. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94), die aus ganzen Pflanzen oder Teilen von Pflanzen, soweit diese Teile wieder ganze Pflanzen erzeugen können, besteht; beide werden „Sortenbestandteile“ genannt (vgl. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94). Nach Art. 13 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 2100/94 hat der gemeinschaftliche Sortenschutz nämlich die Wirkung, dass allein der Inhaber befugt ist, bestimmte Handlungen in Bezug auf die in Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung definierten Sortenbestandteile oder das Erntegut der geschützten Sorte vorzunehmen. Daraus folgt, dass sich der Schutz auf das Pflanzenmaterial selbst bezieht, wie es durch die Gesamtheit der Merkmale, die sich aus seinem Genotyp ergeben, definiert wird, unabhängig davon, ob die Merkmale in der amtlichen Beschreibung der Sorte enthalten sind.

40      Somit würde die Aufnahme des von der Klägerin beanspruchten Merkmals in die Beschreibung nichts an dem Umfang des Schutzes, der ihr für die Sorte SK20 gewährt wurde, ändern. Daher hat die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt, dass die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse hatte.

41      Diese Schlussfolgerung kann nicht durch die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) in Frage gestellt werden, aus denen sich nach Auffassung der Klägerin ergibt, dass der Umfang des Schutzes einer geschützten Sorte auf den Merkmalen in ihrer amtlichen Beschreibung beruht. Die Regelung des gemeinschaftlichen Sortenschutzes ist nämlich ein autonomes System, das aus einer Gesamtheit von Vorschriften besteht und Zielsetzungen verfolgt, die ihm eigen sind und dessen Anwendung von jedem nationalen System unabhängig ist; die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Beschwerdekammer des CPVO ist deshalb allein auf der Grundlage der Verordnung Nr. 2100/94 und der Verordnung Nr. 874/2009 in der Auslegung durch die Gerichte der Europäischen Union zu beurteilen (vgl. entsprechend Urteil vom 6. Juni 2018, Apcoa Parking Holdings/EUIPO, C‑32/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:396, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit sind die Unionsgerichte nicht an eine auf der Ebene eines Mitgliedstaats ergangene Entscheidung gebunden, selbst wenn eine solche Entscheidung gemäß harmonisierten nationalen Rechtsvorschriften erlassen wurde (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Februar 2002, Streamserve/HABM [STREAMSERVE], T‑106/00, EU:T:2002:43, Rn. 47).

42      Damit ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 76 der Verordnung Nr. 2100/94

43      Im Rahmen des zweiten Klagegrundes macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass das CPVO nach Art. 76 der Verordnung Nr. 2100/94 ihren Antrag, der darauf abgezielt habe, ein wichtiges zusätzliches Merkmal in die technische Prüfung und die amtliche Beschreibung der Sorte aufzunehmen, in vollem Umfang hätte in Betracht ziehen und prüfen müssen.

44      Das CPVO tritt diesem Vorbringen entgegen.

45      Der zweite Klagegrund geht ins Leere, da sich aus den Rn. 21 bis 42 des vorliegenden Urteils ergibt, dass die Beschwerdekammer die Beschwerde der Klägerin zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat, und da die Beschwerdekammer nur ergänzend die Unbegründetheit der Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung festgestellt hat, dass im vorliegenden Fall der Präsident des CPVO keinesfalls dazu verpflichtet gewesen sei, das Verfahren nach Art. 23 der Verordnung Nr. 874/2009 einzuleiten, das ihn dazu ermächtige, zusätzliche Merkmale einer Sorte und ihre Ausprägungen in die Prüfungsrichtlinien aufzunehmen.

46      Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 Kosten

47      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

48      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des CPVO die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die House Foods Group, Inc. trägt die Kosten.

Schalin

Nõmm

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Februar 2024.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.


i      Die vorliegende Sprachfassung ist in Rn. 38 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.