Language of document : ECLI:EU:C:2021:203

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 16. März 2021(1)

Rechtssache C28/20

Airhelp Ltd

gegen

Scandinavian Airlines System SAS

(Vorabentscheidungsersuchen des Attunda tingsrätt [Gericht erster Instanz Attunda, Schweden])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 Abs. 3 – Art. 7 Abs. 1 – Ausgleichsanspruch – Befreiung – Begriff ‚außergewöhnliche Umstände‘ – Von einer Gewerkschaft nach Vorankündigung ausgerufener Streik – Begriff ‚zumutbare Maßnahmen‘ zur Vorbeugung gegen einen außergewöhnlichen Umstand oder die Folgen eines solchen Umstands“






Inhaltsverzeichnis



I.      Einleitung

1.        In der vorliegenden Rechtssache, die ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV zum Gegenstand hat, legt das Attunda tingsrätt (Gericht erster Instanz Attunda, Schweden) dem Gerichtshof drei Fragen vor, die die Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91(2) betreffen.

2.        Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen S., einem Fluggast, und dem Luftfahrtunternehmen Scandinavian Airlines System Denmark – Norway – Sweden (im Folgenden: SAS) wegen dessen Weigerung, diesem Fluggast infolge der Annullierung seines Flugs einen Ausgleich zu leisten. SAS macht insoweit „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der vorgenannten Bestimmung geltend, die mit einem von einer Gewerkschaft zur Einforderung besserer Arbeitsbedingungen ausgerufenen Streik ihres Personals zusammenhängen sollen. SAS ist daher der Ansicht, von der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 befreit zu sein.

3.        Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Streik in der im vorstehenden Absatz beschriebenen Situation als ein „außergewöhnlicher Umstand“ angesehen werden kann, der das Luftfahrtunternehmen von seiner Haftung gegenüber den Fluggästen befreit, und zwar nicht nur in Bezug auf die Zahlung einer Ausgleichsleistung, sondern auch im Hinblick auf die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Abmilderung der Auswirkungen des Streiks. Diese Rechtssache gibt dem Gerichtshof Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 weiterzuentwickeln und vor allem den Kontext zu klären, in den sich sein Urteil vom 17. April 2018, Krüsemann(3), einfügt, das zwar ebenfalls die – im Übrigen vom Gerichtshof abgelehnte – Einstufung eines den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks als „außergewöhnlicher Umstand“ betrifft, im Vergleich zur vorliegenden Rechtssache aber erhebliche tatsächliche Unterschiede aufweist, die eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen können.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

4.        In den Erwägungsgründen 1, 2 und 12 bis 15 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„(1)      Die Maßnahmen der [Union] im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(2)      Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.

(12)      Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

(13)      Fluggästen, deren Flüge annulliert werden, sollten entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufrieden stellenden Bedingungen erhalten können, und sie sollten angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten.

(14)      Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.

(15)      Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“

5.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚Luftfahrtunternehmen‘ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;

l)      ‚Annullierung‘ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.“

6.        Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung lautet:

„(1)      Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

b)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und

c)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i)      sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii)      sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii)      sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(2)      Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung.

(3)      Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

(4)      Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.“

7.        Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:

„(1)      Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a)      250 [Euro] bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b)      400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c)      600 [Euro] bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.

(2)      Wird Fluggästen gemäß Artikel 8 eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit

a)      bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden oder

b)      bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 und 3 500 km nicht später als drei Stunden oder

c)      bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen nicht später als vier Stunden

nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen.

(3)      Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.

(4)      Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Entfernungen werden nach der Methode der Großkreisentfernung ermittelt.“

8.        In Art. 8 („Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung“) heißt es:

„(1)      Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen

a)      –      der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit

–        einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,

b)      anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder

c)      anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.

(3)      Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort.“

9.        Art. 9 dieser Verordnung, der sich auf den „Anspruch auf Betreuungsleistungen“ bezieht, sieht vor:

„(1)      Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so sind Fluggästen folgende Leistungen unentgeltlich anzubieten:

a)      Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit,

b)      Hotelunterbringung, falls

–        ein Aufenthalt von einer Nacht oder mehreren Nächten notwendig ist oder

–        ein Aufenthalt zusätzlich zu dem vom Fluggast beabsichtigten Aufenthalt notwendig ist,

c)      Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges).

(2)      Außerdem wird den Fluggästen angeboten, unentgeltlich zwei Telefongespräche zu führen oder zwei Telexe oder Telefaxe oder E-Mails zu versenden.

(3)      Bei der Anwendung dieses Artikels hat das ausführende Luftfahrtunternehmen besonders auf die Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen sowie auf die Bedürfnisse von Kindern ohne Begleitung zu achten.“

B.      Schwedisches Recht

10.      § 45 des Lag (1976:580) om medbestämmande i arbetslivet (Gesetz Nr. 580 von 1976 über die Mitbestimmung im Arbeitsleben) bestimmt u. a.:

„Beabsichtigen eine Arbeitgeberorganisation, ein Arbeitgeber oder eine Arbeitnehmerorganisation, eine Arbeitskampfmaßnahme zu ergreifen oder eine laufende Arbeitskampfmaßnahme auszuweiten, müssen sie dies der Gegenpartei und der Schlichtungsstelle mindestens sieben Arbeitstage im Voraus schriftlich ankündigen. Als ‚Arbeitstag‘ zählt jeder Tag, ausgenommen Samstag, Sonntag, andere allgemeine Feiertage, Mittsommerabend, Heiligabend und Silvester. Die Frist beginnt zu dem Tageszeitpunkt, der demjenigen entspricht, zu dem die betreffende Arbeitskampfmaßnahme eingeleitet werden soll.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen

11.      Wie sich aus der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens ergibt, liegt dem Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, der nachfolgend beschriebene Sachverhalt zugrunde. Der Fluggast S. hatte bei SAS einen Platz für einen Flug von Malmö (Schweden) nach Stockholm (Schweden) gebucht. Dieser Flug sollte am 29. April 2019 durchgeführt werden, wurde aber am selben Tag wegen eines Streiks von SAS-Piloten in Norwegen, Schweden und Dänemark annulliert. Hintergrund des Pilotenstreiks war die vorzeitige Kündigung des bisherigen Tarifvertrags mit SAS, der 2020 ausgelaufen wäre, durch die Arbeitnehmerorganisationen in Schweden, Norwegen und Dänemark, die die SAS-Piloten vertreten. Die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag liefen seit März 2019. Der Pilotenstreik dauerte sieben Tage – vom 26. April 2019 bis zum 2. Mai 2019 – und veranlasste SAS, mehr als 4 000 Flüge zu annullieren, wovon ca. 380 000 Passagiere betroffen waren, darunter auch der Fluggast S. Diesem wurde keine anderweitige Beförderung angeboten, mit der die Verspätung auf weniger als drei Stunden begrenzt worden wäre. Der Fluggast S. trat seinen etwaigen Ausgleichsanspruch vertraglich an die Airhelp Ltd. ab.

12.      Airhelp beantragte beim vorlegenden Gericht, dem Attunda tingsrätt (Gericht erster Instanz Attunda), SAS zu verurteilen, den in Art. 5 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleich in Höhe von 250 Euro zuzüglich Verzugszinsen vom 10. September 2019 bis zur Zahlung dieses Betrags an sie zu zahlen.

13.      SAS trat dem Antrag von Airhelp mit der Begründung entgegen, dass der Pilotenstreik einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstelle, der sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. SAS sei daher nicht verpflichtet, die geforderte Ausgleichszahlung zu leisten.

14.      Laut SAS waren die Verhandlungen ins Stocken geraten, weil die Pilotengewerkschaften zum einen eine Erhöhung der Pilotengehälter um 13 % über einen Zeitraum von drei Jahren – statt der im früheren Tarifvertrag für denselben Zeitraum vorgesehenen 6,5 % – und zum anderen Verbesserungen hinsichtlich der Arbeitszeiten der Piloten gefordert hatten.

15.      Am 25. April 2019 habe das Medlingsinstitutet (staatliche Schlichtungsstelle, Schweden) den Parteien in einem „Schlichterspruch“ eine jährliche Gehaltssteigerung von 2,3 % vorgeschlagen. SAS, die dem Schlichterspruch zugestimmt hat, weist darauf hin, dass sich die vom Schlichter vorgeschlagene Gehaltssteigerung an der sogenannten „Marke“ ausgerichtet habe, d. h. an der prozentualen Lohn- und Gehaltsentwicklung, auf die sich die Exportindustrie als Leitwert für den schwedischen Arbeitsmarkt geeinigt habe, während die Pilotengewerkschaften eine deutlich über dieser „Marke“ liegende Entwicklung der Gehälter verlangt hätten. Das schwedische Arbeitsmarktmodell gehe von dem Grundsatz aus, dass der Marke normative Wirkung für die Festlegung der Löhne und Gehälter auf dem gesamten schwedischen Arbeitsmarkt zukomme, um die schwedische Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Tarifverhandlungen zu stabilisieren.

16.      Die Pilotengewerkschaften lehnten diese Empfehlung jedoch ab und leiteten am 26. April 2019 die zuvor angekündigten kollektiven Arbeitskampfmaßnahmen ein.

17.      Dieser Arbeitskampf dauerte bis zum Abend des 2. Mai 2019, an dem ein neuer Tarifvertrag mit dreijähriger Laufzeit abgeschlossen wurde. Dieser neue Tarifvertrag erstreckt sich auf einen Zeitraum von drei Jahren bis 2022 und sieht u. a. vor, dass die Gehälter der Piloten 2019 um 3,5 %, 2020 um 3 % und 2021 um 4 % steigen werden. Insgesamt werden die Gehälter innerhalb von drei Jahren um 10,5 % steigen.

18.      SAS macht geltend, der Pilotenstreik stelle einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar, weil er nicht Teil der normalen Ausübung ihrer Tätigkeit und von ihr nicht tatsächlich beherrschbar sei. Ein von vier gewerkschaftlichen Organisationen gleichzeitig ausgerufener Streik falle nämlich nicht unter die normale Ausübung der Tätigkeit von SAS, die darin bestehe, Luftverkehrsleistungen zu erbringen. Außerdem seien Streiks auf dem schwedischen Arbeitsmarkt sehr selten, und der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Streik, der grundsätzlich sämtliche Piloten von SAS umfasst habe, sei einer der größten Streiks gewesen, der je in der Luftverkehrsbranche verzeichnet worden sei. SAS habe ihre Tätigkeiten daher nicht neu organisieren können, um die vorgesehenen Flüge durchführen zu können. Zudem sei der Streik der Piloten rechtmäßig gewesen, so dass SAS sie nicht habe anweisen können, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Somit sei der Pilotenstreik von ihr nicht tatsächlich zu beherrschen gewesen.

19.      Überdies lasse sich die Lösung im Urteil Krüsemann, wonach ein wilder Streik Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens sei, nicht auf das Ausgangsverfahren übertragen. Der Pilotenstreik habe nämlich weder seinen Grund in einer von SAS ergriffenen Maßnahme gehabt noch sei er eine spontane Reaktion der Belegschaft auf eine Maßnahme gewesen, die Teil der normalen Verwaltung von SAS gewesen wäre.

20.      Schließlich habe SAS die Vorankündigung des Streiks im Einklang mit den Anforderungen des schwedischen Rechts erst eine Woche vor Streikbeginn erhalten, so dass sie die Ausgleichspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Buchst c Ziff. i und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 jedenfalls nicht hätte abwenden können, weil sich aus der ersten dieser Bestimmungen ergebe, dass ein Luftfahrtunternehmen dieser Ausgleichszahlung nur entgehen könne, wenn es den Flug mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit annulliere.

21.      Der Pilotenstreik, der SAS betroffen und zur Annullierung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Flugs geführt habe, stelle somit einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar, weil es sich um ein Vorkommnis gehandelt habe, das seiner Art und seiner Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit von SAS gewesen sei und von ihr nicht tatsächlich habe beherrscht werden können.

22.      Airhelp wandte dagegen ein, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Streik nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden könne. Der Abschluss von Tarifverträgen falle nämlich unter die gewöhnliche Geschäftstätigkeit eines Luftfahrtunternehmens, und bei dieser Gelegenheit könne es zu Arbeitskämpfen kommen.

23.      Es sei vorgesehen gewesen, dass zum einen SAS und zum anderen die schwedischen, die dänischen und die norwegischen Pilotenverbände einen Tarifvertrag über die Gehälter und allgemeinen Beschäftigungsbedingungen für Flugkapitäne und Kopiloten schließen sollten. Während der Verhandlungen über diesen Tarifvertrag hätten die Parteien jedoch Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik und Aussperrung ergreifen dürfen. Der Abschluss des Tarifvertrags durch die Tarifparteien hätte für dessen Laufzeit zu einer Friedenspflicht geführt, so dass ein während dieser Friedenspflicht durchgeführter Streik rechtswidrig oder ein wilder Streik wäre.

24.      In der Vergangenheit sei es zu Konflikten zwischen SAS und verschiedenen Belegschaftsgruppen gekommen, die in mehreren Fällen zu Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmer geführt hätten, bei denen es um Lohn- und Gehaltsbedingungen und verbesserte Arbeitsbedingungen gegangen sei, aber auch darum, dass die Arbeitnehmer Einfluss auf den Arbeitsort hätten nehmen wollen. Zur Zeit des Arbeitskampfes von 2012 habe sich SAS am Rand der Insolvenz befunden. Da Mehrheitsaktionäre die Vergabe zusätzlicher Kredite an SAS von strengen Sparauflagen abhängig gemacht hätten, seien die Arbeitnehmer mitten in der Laufzeit des geltenden Tarifvertrags gezwungen gewesen, Lohn- und Gehaltssenkungen hinzunehmen, um ihre Arbeitsplätze nicht zu verlieren. So sei vereinbart worden, dass die Piloten mehr arbeiten und jährlich auf ein Monatsgehalt verzichten sollten.

25.      Die von SAS im Jahr 2012 getroffenen Entscheidungen seien letztlich ein wesentlicher Beweggrund für den Pilotenstreik von 2019 gewesen, weil sie infolge der finanziellen Schwierigkeiten des Luftfahrtunternehmens zu einer starken Verschlechterung der Gehälter und Arbeitsbedingungen der Piloten geführt hätten. Da sich SAS 2019 wirtschaftlich erholt habe, sei die bei den neuen Tarifverhandlungen erhobene Forderung der Piloten nach Gehaltserhöhungen und besseren Arbeitsbedingungen absolut vorhersehbar und angemessen gewesen. Die Piloten seien der Auffassung gewesen, dass das Gehaltsniveau bei SAS unter dem Marktniveau liege, während SAS die Gehaltsforderungen der Piloten für überzogen gehalten habe.

26.      Folglich sei der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Streik Teil der normalen Tätigkeit von SAS und von ihr auch tatsächlich beherrschbar gewesen. Er könne daher nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 angesehen werden, zumal diese Bestimmung eng auszulegen sei.

27.      In Anbetracht der noch ungeklärten Frage, ob der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 einen Streik umfasst, den Arbeitnehmerorganisationen nach einer Vorankündigung rechtmäßig ausgerufen haben, hat das Attunda tingsrätt (Gericht erster Instanz Attunda) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

1.      Stellt ein Streik der bei einem Luftfahrtunternehmen beschäftigten und für die Durchführung eines Flugs unerlässlichen Flugzeugpiloten einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar, wenn der Streik nicht aus Anlass einer Maßnahme stattfindet, die von dem Luftverkehrsunternehmen beschlossen oder mitgeteilt wurde, sondern von Arbeitnehmerorganisationen nach Vorankündigung und im Einklang mit dem nationalen Recht als kollektive Maßnahme ausgerufen wurde, die das Luftfahrtunternehmen veranlassen soll, Gehälter zu erhöhen, Vorteile zu gewähren oder Beschäftigungsbedingungen zu ändern, um den Forderungen der Arbeitnehmerorganisation nachzukommen?

2.      Welche Bedeutung ist gegebenenfalls der Angemessenheit der Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen zuzumessen, insbesondere dem Umstand, dass die geforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen deutlich über den Lohn- und Gehaltserhöhungen liegen, die auf den maßgeblichen nationalen Arbeitsmärkten allgemein gewährt werden?

3.      Welche Bedeutung ist gegebenenfalls dem Umstand zuzumessen, dass das Luftverkehrsunternehmen zur Vermeidung eines Streiks einem Schlichtungsvorschlag einer staatlichen Schlichtungsstelle für Tarifstreitigkeiten zustimmt, während die Arbeitnehmerorganisationen dies nicht tun?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

28.      Die Vorlageentscheidung vom 16. Januar 2020 ist am 21. Januar 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

29.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die dänische und die spanische Regierung sowie die Europäische Kommission haben innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

30.      In der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2020 haben die Prozessbevollmächtigten der Parteien des Ausgangsverfahrens, der dänischen, der französischen, der spanischen und der deutschen Regierung sowie der Kommission Stellung genommen.

V.      Rechtliche Würdigung

A.      Vorbemerkungen

31.      Der Fluggastverkehr ist ein wichtiger Wirtschaftszweig der Europäischen Union. Eine Reihe von Fluggesellschaften, die diesen Sektor gegenwärtig international dominieren, wurde in den Mitgliedstaaten gegründet und ist so gewissermaßen zu Emblemen des europäischen Unternehmertums geworden. Durch die Beförderung von Fluggästen in die verschiedenen Teile der Welt tragen diese Luftverkehrsunternehmen dazu bei, Menschen zusammenzubringen, und erleichtern den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. Dies erklärt, warum diejenigen, die auf einen zuverlässigen Luftverkehr angewiesen sind, Streiks oft als unwillkommene Störung ansehen, die schwerwiegende Folgen für die Fluggäste und die Fluggesellschaften selbst haben kann. Es besteht jedoch die Gefahr, dass diese Sichtweise in Vergessenheit geraten lässt, dass Streiks auf grundsätzlich berechtigten Gründen beruhen können, nämlich dem Wunsch der Arbeitnehmer, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Andererseits liegt auf der Hand, dass die Interessen der Fluggesellschaft, die als Arbeitgeberin letztlich das Unternehmensrisiko trägt, nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Alle diese Erwägungen verdeutlichen, dass bei einem Streik in der Regel mehrere Interessen miteinander im Widerstreit stehen. Den Konflikt so zu entschärfen, dass die Interessen aller Parteien angemessen berücksichtigt werden, ist daher eine echte Herausforderung.

32.      In der vorliegenden Rechtssache ist der Gerichtshof nicht aufgerufen, den Streit zwischen SAS und ihren Arbeitnehmern zu lösen, weil sie ihn bereits intern im Rahmen ihrer Tarifautonomie beigelegt haben. Es ist Sache des Gerichtshofs, die Verordnung Nr. 261/2004 so auszulegen, dass der Verbraucher im Fall eines Streiks der Belegschaft hinreichend geschützt ist, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Rechtsordnung der Union die Vereinigungsfreiheit im gewerkschaftlichen Bereich und das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen anerkennt, die als Grundrechte in Art. 12 bzw. in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert sind. Da der Verbraucherschutz nämlich das gesetzgeberische Ziel dieser Verordnung ist, wird der Gerichtshof klare Kriterien aufstellen müssen, die es ermöglichen, mit Sicherheit festzustellen, welche Kategorien von Streiks als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 eingestuft werden können und das Luftfahrtunternehmen gegebenenfalls von seiner Verpflichtung befreien, den Fluggästen wegen der sich daraus ergebenden Folgen einen Ausgleich zu zahlen. Der Umstand, dass die nationalen Gerichte diese Frage heterogen behandelt haben(4), zeigt die Notwendigkeit einer Klarstellung durch den Gerichtshof auf. Ein solches höheres Maß an Rechtssicherheit wäre auch für die Sozialpartner von Vorteil.

33.      Der Gerichtshof hat mit dem bereits in der Einleitung meiner Schlussanträge angeführten(5) Urteil Krüsemann einen ersten Schritt getan. In Anbetracht der besonderen Umstände jener Rechtssache, nämlich der Ausrufung eines „wilden Streiks“, der von den Arbeitnehmern selbst (und nicht von einer Gewerkschaft) als Reaktion auf die „überraschende Ankündigung“ des Luftfahrtunternehmens, dieses Unternehmen umzustruktieren, organisiert wurde, halte ich dieses Urteil aber nicht für geeignet, alle rechtlichen Fragen zu beantworten, die sich stellen könnten. Daher gilt es, eine umfassendere Rechtsprechung zu entwickeln, die allgemeine Grundsätze aufstellt, zu denen das Urteil Krüsemann angesichts seiner Besonderheit zweifellos einen Teilaspekt beitragen könnte.

34.      Dagegen lässt sich dem Urteil Finnair(6), in dem der Gerichtshof über die Frage zu entscheiden hatte, ob eine nach dem Eintritt „außergewöhnlicher Umstände“ vorgenommene Umorganisation der Flüge eine Nichtbeförderung rechtfertigen kann, meines Erachtens keine sachdienliche Schlussfolgerung für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache entnehmen. Ich möchte darauf hinweisen, dass sich das vorlegende Gericht mit seiner Vorlagefrage auf einen Streik des Personals des Flughafens am Abflugort des betroffenen Flugs bezogen hatte. Der Gerichtshof hat die Beurteilung des vorlegenden Gerichts in seine Begründung übernommen und wohl nicht ausgeschlossen, dass der Streik einen solchen Umstand darstellen kann, ohne dies jedoch im Einzelnen zu prüfen(7). Dies könnte zwar als stillschweigende Bestätigung der Beurteilung des vorlegenden Gerichts durch den Gerichtshof angesehen werden. Möglicherweise hat der Gerichtshof es aber auch bewusst vermieden, zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen, die nicht wirklich im Mittelpunkt der Rechtssache stand. Jedenfalls wäre es zu begrüßen gewesen, wenn sich der Gerichtshof zu einer für den Luftverkehr so bedeutsamen Frage ausdrücklich geäußert hätte. Angesichts der Mehrdeutigkeit, die die Auslegung dieses Urteils erschwert, neige ich dazu, es in meinen Ausführungen nicht als Anhaltspunkt für den derzeitigen Stand der Rechtsprechung heranzuziehen.

35.      Bevor ich mit der Prüfung der dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beginne, möchte ich kurz auf die Schritte der rechtlichen Prüfung hinweisen, die vorzunehmen sind, um festzustellen, ob ein Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Leistung einer Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 infolge der Annullierung oder großen Verspätung eines Flugs befreit werden kann. Zunächst muss das Vorliegen eines „außergewöhnlichen Umstands“ anhand der in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien festgestellt werden. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass das Luftfahrtunternehmen selbst dann, wenn diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt wäre, nur dann befreit sein könnte, wenn es nachweisen könnte, dass es alle „zumutbaren Maßnahmen“ ergriffen hat, um die Folgen dieses Umstands zu verhindern. In diesem Kontext stelle ich fest, dass zwischen den Vorlagefragen und den genannten Schritten der rechtlichen Analyse ein Zusammenhang besteht. Während diese Fragen aus formaler Sicht die Einstufung einer Situation als „außergewöhnlicher Umstand“ betreffen, können sich bestimmte Aspekte eher im Rahmen der Prüfung der vom Luftfahrtunternehmen zu treffenden „zumutbaren Maßnahmen“ als relevant erweisen. Die Vorlagefragen werden im Folgenden in der Reihenfolge geprüft, in der sie vom vorlegenden Gericht gestellt wurden.

B.      Erste Vorlagefrage

1.      Der Streik als Umstand, der als „außergewöhnlich“ eingestuft werden kann

36.      Wie in der Einleitung der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt(8), möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Streik in der in der ersten Vorlagefrage beschriebenen Situation als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 angesehen werden kann. Da diese Rechtsfrage im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache steht, werde ich meine Prüfung auf sie konzentrieren.

37.      Insoweit möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(9). Obwohl die Verordnung Nr. 261/2004 den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ nicht ausdrücklich definiert, hat der Unionsgesetzgeber darauf hingewiesen, dass er bei Vorkommnissen, wie sie im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannt werden, in Betracht kommen könne. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass dieser Erwägungsgrund u. a. „den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks“ erwähnt(10). Da die Erwägungsgründe eines Rechtsakts zwar keine eigenständigen Rechtswirkungen entfalten, aber als Auslegungshilfe dienen können, aus denen sich der Wille des Gesetzgebers ableiten lässt(11), erscheint mir diese Erwähnung des Streiks für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage besonders relevant.

38.      Außerdem hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass Umstände, die als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 eingestuft werden können, „ein Vorkommnis betreffen, das wie die im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung aufgezählten nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist“(12). Zwar hat der Gerichtshof klargestellt, dass die in diesem Erwägungsgrund genannten Umstände nicht unbedingt und automatisch Gründe für die Befreiung von der Ausgleichspflicht darstellen(13). Der Wortlaut des 14. Erwägungsgrundes legt nämlich nahe, dass Streiks derartige Umstände sein können, ohne dass diese Schlussfolgerung in allen Fällen zutreffen muss(14). Es ist daher notwendig, die Möglichkeit einer solchen Einstufung im Einzelfall anhand bestimmter Kriterien zu prüfen.

2.      Analyse des „außergewöhnlichen“ Charakters aus dem Blickwinkel der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien

39.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass Umstände im Zusammenhang mit bestimmten Vorkommnissen als „außergewöhnlich“ eingestuft werden können, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Die erste Voraussetzung ist, dass das mit ihnen verbundene Vorkommnis nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist. Die zweite Voraussetzung ist, dass das Vorkommnis seiner Natur oder Ursache nach vom betroffenen Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen ist(15).

40.      Wie ich in der nachstehenden Analyse darlegen werde, sind diese Voraussetzungen im Fall eines – wie im Ausgangsverfahren – von einer Gewerkschaft organisierten Streiks erfüllt. Die Entscheidung, einen Streik auszurufen, wird von den Gewerkschaftsvertretern der Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Tarifautonomie getroffen und liegt somit außerhalb der Entscheidungsstrukturen des betroffenen Luftfahrtunternehmens. Obwohl Streiks zum wirtschaftlichen Leben eines jeden Unternehmens gehören, hat das Unternehmen keinen Einfluss auf die Entscheidungen einer Gewerkschaft. Daraus folgt, dass das Luftfahrtunternehmen in der Regel keinen rechtlich bedeutsamen Einfluss darauf hat, ob ein Streik stattfindet oder nicht, selbst wenn es sich um einen Streik seiner eigenen Belegschaft handelt.

a)      Der Streik ist kein Vorkommnis, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist

41.      In Bezug auf das erste Kriterium ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die „Ursache“ des Vorkommnisses, das die Annullierung oder Verspätung des Flugs verursacht hat, bei der Beurteilung zu berücksichtigen ist. Wie einige Beteiligte in ihren Erklärungen ausgeführt haben, ist zwischen Vorkommnissen zu unterscheiden, die eine in Bezug auf den Luftverkehr „interne“ Ursache haben, und solchen, deren Ursache „extern“ ist. Nach diesem Ansatz können nur Vorkommnisse mit „interner“ Ursache als „Teil“ der Ausübung der Tätigkeiten des Luftfahrtunternehmens angesehen werden.

1)      Unterscheidung zwischen „internen“ und „externen“ Faktoren, die sich auf die Tätigkeiten des Luftfahrtunternehmens auswirken

42.      In seiner Rechtsprechung zu technischen Störungen, die den Betrieb eines Flugzeugs beeinträchtigen, hat der Gerichtshof klar zwischen „internen“ und „externen“ Faktoren unterschieden, die sich auf die Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens auswirken, ohne sich jedoch ausdrücklich dieser Terminologie zu bedienen. Dies ist einer der Gründe, warum ich vorschlage, diesen Ansatz zur Lösung des vorliegenden Problems zu verwenden. Um die Relevanz einer solchen Unterscheidung besser zu erklären, möchte ich zunächst kurz die Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich nachzeichnen und dabei die Lehren hervorheben, die sich daraus ziehen lassen.

43.      Im Urteil Wallentin-Herrmann(16) hat der Gerichtshof die Befreiung des Luftfahrtunternehmens von seiner Haftung gegenüber den Fluggästen mit der Begründung abgelehnt, dass die Behebung eines technischen Problems, das auf die fehlerhafte Wartung einer Maschine zurückzuführen ist, Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist. In seinen Erwägungen hat sich der Gerichtshof auf die Feststellung gestützt, dass die Luftfahrtunternehmen sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit angesichts der besonderen Bedingungen, unter denen der Luftverkehr durchgeführt wird, und des Maßes an technologischer Komplexität der Flugzeuge gewöhnlich verschiedenen technischen Problemen gegenübersehen. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass diese Maschinen gerade zur Vermeidung solcher Probleme und zum Schutz vor Zwischenfällen, die die Flugsicherheit in Frage stellen, regelmäßigen und besonders strikten Kontrollen unterlägen, die Bestandteil der gewöhnlichen Betriebsbedingungen der Luftfahrtunternehmen seien. So ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass das Auftreten technischer Probleme, die den Betrieb eines Flugzeugs beeinträchtigen, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 fällt(17).

44.      Diese Rechtsprechung wurde im Urteil van der Lans(18) bekräftigt, in dem es um die Frage ging, ob ein Ausfall, der durch das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs hervorgerufen wurde, einen solchen Umstand darstellt. Der Gerichtshof hat dies verneint, indem er klargestellt hat, dass ein solcher Ausfall untrennbar mit dem sehr komplexen System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden bleibt, das vom Luftfahrtunternehmen oft unter schwierigen oder gar extremen Bedingungen, insbesondere Wetterbedingungen, betrieben wird, wobei kein Teil eines Flugzeugs eine unbegrenzte Lebensdauer hat. Der Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ein solches Vorkommnis Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist, weil sich das Unternehmen dieser Art von technischen Problemen gewöhnlich gegenübersieht(19).

45.      Ich neige dazu, die oben angeführte Rechtsprechung dahin auszulegen, dass das Luftfahrtunternehmen dafür verantwortlich ist, die Wartung und den reibungslosen Betrieb seiner Flugzeuge sicherzustellen, um seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Fluggästen ordnungsgemäß zu erfüllen. Um den genannten Verpflichtungen zu entgehen, kann sich das Luftfahrtunternehmen mit anderen Worten nicht auf technische Probleme berufen, die im Rahmen der üblichen Betriebsführung des Unternehmens zu erkennen und zu beheben seine Aufgabe ist.

46.      Dies vorausgeschickt, möchte ich darauf hinweisen, dass der Gerichtshof in den oben genannten Urteilen nicht ausgeschlossen hat, dass technische Probleme möglicherweise als „außergewöhnliche Umstände“ anzusehen sein können, soweit sie auf Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht beherrscht werden können. Dies wäre nach Ansicht des Gerichtshofs beispielsweise dann der Fall, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass diese bereits in Betrieb genommenen Maschinen einen versteckten Fabrikationsfehler aufweisen, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches würde bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen gelten(20).

47.      Meines Erachtens läuft dieser Vorbehalt in der Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf hinaus, anzuerkennen, dass es auch bei technischen Störungen „externe“ Faktoren gibt, für die das Luftfahrtunternehmen nicht verantwortlich gemacht werden kann, weil man andernfalls von ihm verlangen würde, zur Vermeidung dieser Art von Vorkommnissen, die seinen Betrieb beeinträchtigen könnten, Unmögliches zu vollbringen(21). Da das Luftfahrtunternehmen nämlich häufig keine Kenntnis von versteckten Fabrikationsfehlern oder von Handlungen Dritter hat, die darauf abzielen, seine Tätigkeiten zu behindern, die sich eher auf das Tagesgeschäft des Unternehmens beschränken, halte ich es nicht für gerecht, ihm eine nahezu unbegrenzte Verpflichtung aufzuerlegen, alle technischen Probleme zu vermeiden, die den Betrieb der Flugzeuge beeinträchtigen könnten.

48.      Die in der vorstehenden Nummer dargelegte Argumentation liegt zudem einer späteren Rechtsprechung des Gerichtshofs zugrunde, wonach eine Beschädigung, die ausschließlich auf die Kollision mit einem „Fremdkörper“ zurückzuführen ist, nicht als untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden angesehen werden kann.

49.      Dies war in der Rechtssache der Fall, in der das Urteil Pešková und Peška(22) ergangen ist und in der es um die Beschädigung eines Flugzeugs durch die Kollision mit einem Vogel ging, sowie in der Rechtssache, in der das Urteil Germanwings(23) ergangen ist und die die Beschädigung eines Reifens durch einen auf der Rollbahn des Flughafens umherliegenden Gegenstand betraf. Der Vollständigkeit halber ist auch auf das kürzlich ergangene Urteil Moens(24) zu verweisen, das die Frage zum Gegenstand hatte, ob es als „außergewöhnlicher Umstand“ einzustufen ist, wenn Treibstoff, der auf der Rollbahn eines Flughafens ausgelaufen war und nicht von einem Flugzeug des Luftfahrtunternehmens stammte, das diesen Flug durchführte, zur Schließung dieser Rollbahn und infolgedessen zu einer großen Verspätung eines Flugs geführt hat. In den vorgenannten Urteilen ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Rede stehenden Umstände weder ihrer Natur noch ihrer Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens waren.

50.      Die vorstehende Analyse der Rechtsprechung bestätigt somit die oben(25) vertretene Auffassung, wonach der Gerichtshof bei allen Umständen, die eine Behinderung der Tätigkeiten des Luftfahrtunternehmens bewirken, zwischen „internen“ und „externen“ Faktoren zu unterscheiden pflegt, weil nur diejenigen, die unter die letztgenannte Kategorie fallen, als „außergewöhnlich“ eingestuft werden können.

2)      Entsprechende Anwendung der Rechtsprechung zu technischen Aspekten auf den Bereich des Personalmanagements

51.      Da sich diese Unterscheidung nicht notwendigerweise auf den technischen Bereich beschränkt, ist sie auf den Bereich des Personalmanagements auszudehnen, indem sie entsprechend auf Vorkommnisse angewendet wird, die sich auf diesen Bereich auswirken können. Letztlich ist die Fluggesellschaft als Unternehmen nicht nur auf ihre Flugzeuge, sondern auch auf ihr Personal angewiesen. Das Personal einer Fluggesellschaft ist nämlich für die Sicherstellung ihres Betriebs unverzichtbar, weil es mit vielfältigen Aufgaben betraut ist, zu denen auch die Navigation des Flugzeugs, die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Fluggäste und der Bordservice gehören(26). Die materiellen und personellen Ressourcen sind somit untrennbare Bestandteile eines jeden Unternehmens, das im Bereich des Passagierluftverkehrs tätig ist.

52.      Es erscheint daher folgerichtig, dem Luftfahrtunternehmen die Verantwortung dafür aufzuerlegen, sein Personal so zu organisieren und die Aufgaben so zuzuweisen, dass es die Kontinuität des Betriebs trotz des Auftretens störender Vorkommnisse wie der Abwesenheit bestimmter Mitarbeiter aufgrund von Jahresurlaub oder Krankheitsurlaub, die im Übrigen durch das Unionsrecht(27), nationale Sozialvorschriften und Tarifverträge geregelt sind, gewährleisten kann. Da solche rein „internen“ Vorkommnisse nur die Organisation der materiellen und personellen Ressourcen eines Unternehmens betreffen, für die es ausschließlich selbst verantwortlich ist, erscheint es folgerichtig, sie als untrennbar mit seinem Betrieb verbunden anzusehen. Daher verdienen sie es, als Vorkommnisse eingestuft zu werden, die „Teil“ der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens – wie auch jedes anderen Unternehmens – sind.

53.      Anders verhält es sich jedoch, wenn das Personal auf „externe“ Faktoren reagiert, die sich der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens entziehen. Dies ist bei einer Streikmaßnahme, die von einer Gewerkschaft ausgerufen wird, der Fall. Als Personenvereinigungen, deren Ziel die Verteidigung gemeinsamer beruflicher Interessen ist, sind die Gewerkschaften durch ihre Organisationsform dem Einfluss der Arbeitgeber auf struktureller Ebene entzogen. Die Gewerkschaften sind nämlich weder Teil der Entscheidungsstruktur des Unternehmens noch seines Betriebs- oder Geschäftssystems. Soweit eine Gewerkschaft tarifliche Forderungen stellt und die Belegschaft auffordert, die Arbeit niederzulegen, um den Arbeitgeber zu zwingen, diese Forderungen zu akzeptieren, sind ihre Tätigkeiten als ein „externer“ Faktor anzusehen, der den Betrieb des Luftfahrtunternehmens erheblich stören kann. Diese Feststellung gilt unabhängig davon, dass die Unionsrechtsordnung die Vereinigungsfreiheit im gewerkschaftlichen Bereich sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen und kollektive Maßnahmen einschließlich Streiks anerkennt, worauf ich im Rahmen meiner Analyse noch zurückkommen werde.

54.      Die vorliegende Rechtssache ist ein gutes Beispiel für das Ausmaß der Störungen, die ein Luftfahrtunternehmen in seinem Betrieb infolge von durch Gewerkschaften organisierten kollektiven Maßnahmen erleiden kann. Aus den Akten geht hervor, dass der in Rede stehende Streik als groß angelegter Streik beschrieben wird, weil sich die Arbeitnehmerorganisationen in Schweden, Norwegen und Dänemark daran beteiligt haben. Das Luftfahrtunternehmen war nämlich in diesen drei Ländern, in denen es den größten Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt, gleichzeitig von Kollektivmaßnahmen betroffen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Streik von den Gewerkschaften ausgerufen wurde, die die Flugzeugpiloten vertreten, d. h. in einem Personalbereich, den das vorlegende Gericht zu Recht als „für die Durchführung eines Flugs unerlässlich“ bezeichnet. Dieser Streik dauerte sieben Tage, so dass das Luftfahrtunternehmen mehr als 4 000 Flüge annullieren musste, was ca. 380 000 Fluggäste betraf. Nach den Berechnungen, die SAS dem Gerichtshof zur Kenntnis gebracht hat, hätte dies, wenn jeder der Fluggäste Anspruch auf die in Art. 7 vorgesehene pauschale Ausgleichszahlung gehabt hätte, Kosten in Höhe von ca. 117 000 000 Euro zur Folge gehabt. Die drohende Gefahr eines längeren Streiks hätte zu einem noch größeren Schaden führen können. Diese Feststellungen zeigen, dass sich die durch einen Gewerkschaftsstreik ausgelöste Einstellung des Betriebs in Bezug auf Qualität und Ausmaß erheblich von der gewöhnlichen Fallgestaltung unterscheidet, bei der einige Belegschaftsangehörige aufgrund von Jahres- oder Krankheitsurlaub der Arbeit fernbleiben. Folglich bin ich der Auffassung, dass der Streik rechtlich anders zu behandeln ist.

3)      Die im Urteil Krüsemann aufgestellten Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar

55.      Das Urteil Krüsemann, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass ein wilder Streik keinen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt, steht dieser Beurteilung nicht entgegen, weil dieses Urteil auf die Umstände des Einzelfalls beschränkt ist. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bei dieser Gelegenheit festgestellt hat, dass die Ursache des Streiks – die Ankündigung der Umstrukturierung des Unternehmens – „intern“ war und dass es keine Beteiligung von Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretern gegeben hatte.

56.      Konkret hat der Gerichtshof erstens festgestellt, dass das Luftfahrtunternehmen das Personal mit einer „überraschenden Ankündigung“ von seinem Umstrukturierungsplan in Kenntnis gesetzt hatte, und zweitens, dass der Streik nicht von den Arbeitnehmervertretern, sondern von den Arbeitnehmern selbst organisiert worden war, die sich krankgemeldet hatten. Aus der Analyse der Gründe dieses Urteils ergibt sich, dass die Einstufung des Streiks als „Teil“ der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ihren Grund offensichtlich in den besonderen Umständen der Rechtssache hatte. Insbesondere hat der Gerichtshof in Rn. 42 dieses Urteils auf die „in den Rn. 38 und 39 des vorliegenden Urteils geschilderten Voraussetzungen“(28) Bezug genommen, in denen lediglich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zusammengefasst wird. Der spezifische Kontext, insbesondere die vom Luftfahrtunternehmen ergriffene betriebswirtschaftliche Maßnahme, die zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer führen konnte, vermag zu erklären, warum der Gerichtshof so kategorisch zu dem Ergebnis gelangt ist, es sei „nicht ungewöhnlich, dass sich Luftfahrtunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können“.

57.      Daraus kann hingegen meines Erachtens keine Schlussfolgerung für die Einstufung eines Streiks gezogen werden, der plötzlich aufgrund einer Meinungsverschiedenheit zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeber ausgerufen wird, wie dies in der vorliegenden Rechtssache der Fall war. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass SAS eine Maßnahme angekündigt oder ergriffen hätte, die zu einer Ablehnung durch die Belegschaft hätte führen können. Für den in Rede stehenden Streik scheint es vielmehr allgemeinere Gründe gegeben zu haben. Aus den Akten geht hervor, dass die Gewerkschaften 2019 angesichts des Scheiterns der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber oder unzureichender Fortschritte bei diesen Verhandlungen beschlossen hatten, zum Streik aufzurufen. Hierzu ist festzustellen, dass die Gewerkschaften den Tarifvertrag mit SAS vorzeitig gekündigt und damit den Weg für Tarifverhandlungen freigemacht hatten, mit allen Risiken, die ein solches Vorgehen mit sich bringt. Die Aufnahme von Verhandlungen ist nämlich keine Garantie für den Erfolg der Forderungen. Vielmehr geht es darum, eine Einigung mit der Gegenpartei zu erzielen. Somit dürfte die Abfolge der Ereignisse, die zu dem Streik führten, mit der Kündigung dieses Tarifvertrags auf Initiative der Gewerkschaften selbst und mit dem offensichtlichen Scheitern ihrer Bemühungen, vom Arbeitgeber Tarifzugeständnisse zu erhalten, begonnen haben. Dagegen halte ich den Hinweis von Airhelp auf die 2012 – d. h. sieben Jahre vor den für die Prüfung der vorliegenden Rechtssache maßgeblichen Ereignissen – mit SAS getroffene Vereinbarung, in der die Gewerkschaften Gehaltskürzungen hingenommen haben sollen, um das Überleben dieser Fluggesellschaft zu sichern(29), für zu vage, um einen unmittelbaren Kausalzusammenhang mit dem Streik herstellen zu können.

58.      Ebenso schließt der Umstand, dass in der vorliegenden Rechtssache nicht die Belegschaft selbst, sondern vielmehr eine vom Unternehmen unabhängige Vereinigung den Betrieb des Luftfahrtunternehmens durch Fernbleiben der Belegschaft von der Arbeit beeinträchtigt hat, jede Anwendung der im Urteil Krüsemann entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall aus. Folglich ist davon auszugehen, dass der Streik, der von der Gewerkschaft ausgerufen wurde, ohne dass dem Arbeitgeber irgendein Vorwurf hätte gemacht werden können, in Bezug auf den Betrieb des Luftfahrtunternehmens ein „externer“ Faktor war.

59.      Meines Erachtens muss die Tragweite des Urteils Krüsemann so weit wie möglich auf die besonderen Umstände beschränkt bleiben, die diesem Urteil zugrunde lagen, weil andernfalls der 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 ausgehöhlt würde. Ich weise darauf hin, dass dieser Erwägungsgrund keinen Zweifel daran lässt, dass ein Streik als „außergewöhnlicher Umstand“ eingestuft werden kann. Die Erwähnung des Streiks ist unabhängig davon, dass ihr a priori nur Hinweischarakter zukommt und es selbstverständlich erforderlich ist, im Einzelfall zu prüfen, ob die in diesem Erwägungsgrund genannten Umstände die beiden oben genannten(30) kumulativen Voraussetzungen erfüllen, als ein vom Unionsgesetzgeber vorgegebenes starkes Indiz für eine solche Einstufung zu verstehen(31).

60.      Im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Rechtsprechung und abgesehen von der vorliegenden Rechtssache erscheint es angebracht, bei der Beurteilung, ob ein Streik Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist, zwischen rein „internen“ und „externen“ Störfaktoren zu unterscheiden.

61.      Einerseits haben manche Streiks ihre Ursache in einem Konflikt innerhalb des Unternehmens selbst, wie es in der Rechtssache der Fall war, in der das Urteil Krüsemann ergangen ist. Andererseits gibt es Streiks, die sich auf die Tätigkeiten des Luftfahrtunternehmens auswirken können, obwohl sie ihrer Art und Ursache nach nicht mit der Geschäftsführung des Unternehmens zusammenhängen, sondern vielmehr vom Willen einer dritten Stelle abhängig sind, wie z. B. ein Streik der Fluglotsen, der Treibstofflieferanten, des Bodenabfertigungspersonals oder allgemein ein politischer Streik, der mehrere öffentliche Dienstleistungen im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erfasst(32). In einem solchen Fall wäre es sicherlich unverhältnismäßig, dem Luftfahrtunternehmen die Verpflichtung aufzuerlegen, dafür Sorge zu tragen, dass seine Tätigkeiten nicht gestört werden, und die Beförderung der Fluggäste um jeden Preis sicherzustellen. Die Erfüllung einer solchen Verpflichtung wäre in bestimmten Fällen nahezu unmöglich.

62.      Dies gilt umso mehr, als die in der vorstehenden Nummer erwähnte Art von Streiks dadurch gekennzeichnet ist, dass sie hauptsächlich die allgemeinen Bedingungen für die wirtschaftliche Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens betrifft, auf die dieses Unternehmen im Allgemeinen keinerlei Einfluss hat. Daher erscheint es angemessen, diese Art von Streiks nicht als ein Vorkommnis anzusehen, das „Teil“ der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist.

63.      Daraus folgt, dass ein Streik, der von der Gewerkschaft des Personals eines Luftfahrtunternehmens unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ausgelöst wird, nicht als ein Vorkommnis angesehen werden kann, das „Teil“ der Tätigkeiten dieses Luftfahrtunternehmens ist.

b)      Für das Luftfahrtunternehmen ist ein Streik, der von einer Gewerkschaft der Arbeitnehmer ausgelöst wird, nicht beherrschbar

64.      Wie bereits ausgeführt, hat das Luftfahrtunternehmen keine Kontrolle über die Tätigkeiten oder die Entscheidungsbefugnis einer Gewerkschaft. Diese ist weder Teil der Unternehmensstruktur, noch beteiligt sich der Arbeitgeber an der internen Entscheidungsfindung der Gewerkschaft. Es handelt sich um zwei getrennte Einheiten, die zudem in sozialer Hinsicht nicht immer dieselben Interessen vertreten. Dies vorausgeschickt, liegt es in der Natur der Sache, dass eine Gewerkschaft ihre Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer zu verteidigen, unabhängig und ohne jede Einmischung des Arbeitgebers wahrnimmt. Umgekehrt kann eine Gewerkschaft den Betrieb eines Unternehmens entscheidend beeinflussen, indem sie die von ihr vertretenen Arbeitnehmer auffordert, die Arbeit niederzulegen, um das Unternehmen zu zwingen, ihren Forderungen nachzukommen. Sofern der Streik „rechtmäßig“ ist, darf der Arbeitgeber keine arbeits- und verfahrensrechtlichen Mittel einsetzen, um ihn zu verhindern. Da der von der Gewerkschaft initiierte Streik einen „externen“ Faktor darstellt, auf den das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss hat, erscheint es folgerichtig, davon auszugehen, dass er von diesem Unternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen ist.

65.      Im Folgenden werde ich einige Argumente für die Auffassung vortragen, dass ein Streik, wie ihn das vorlegende Gericht in der ersten Vorlagefrage beschrieben hat, kein „beherrschbares“ Vorkommnis ist. Zu Beginn(33) werde ich die Gründe darlegen, die mich zu der Auffassung veranlassen, dass die im Urteil Krüsemann aufgestellten Grundsätze auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar sind. Dabei werde ich die Gelegenheit nutzen, das vom Gerichtshof in diesem Urteil verwendete Kriterium der „Verantwortlichkeit“ für die Auslösung des Streiks einer kritischen Prüfung seines Nutzens zu unterziehen. Anschließend werde ich die Rolle der Arbeitnehmergewerkschaften und der Arbeitgeber im Rahmen des „sozialen Dialogs“ erläutern, um darzutun, dass diese weit davon entfernt sind, in einem Unterordnungsverhältnis zu stehen, und in Wirklichkeit vielmehr gleichberechtigte Partner sind, was die Annahme ausschließt, dass der Arbeitgeber in der Lage wäre, die Entwicklung des Streiks zu beeinflussen und ihn folglich tatsächlich beherrschen zu können. Zu diesem Zweck werde ich zunächst auf die Bestimmungen der Charta hinweisen, die ihre jeweiligen Interessen schützen, und dann in einem zweiten Schritt vorschlagen, eine Abwägung der betreffenden Interessen auf der Ebene des Primärrechts vorzunehmen(34). Anhand einiger Beispiele aus der Rechtsprechung werde ich veranschaulichen, auf welche Weise der Gerichtshof Interessenkonflikte von Verfassungsrang in der Rechtsordnung der Union gelöst hat(35). Ziel einer solchen Abwägung ist es, zu einer grundrechtskonformen Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 zu gelangen, die es ermöglicht, die betroffenen Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Abschließend werde ich einige Hinweise zur Auslegung dieser Verordnung und insbesondere des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ geben(36). Bevor ich mich dann der Relevanz anderer streikbezogener Aspekte zuwende, werde ich als mein Zwischenergebnis festhalten, dass die beiden von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Einstufung als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, wie er im Licht ihres 14. Erwägungsgrundes ausgelegt wird, im vorliegenden Fall erfüllt sind(37).

1)      Die im Urteil Krüsemann aufgestellten Grundsätze sind auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar

66.      Die Schlussfolgerungen des Gerichtshofs im Urteil Krüsemann lassen sich meines Erachtens nicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens übertragen, weil sie mit den besonderen Umständen jener Rechtssache zusammenhängen. Wie bereits ausgeführt, hat der Gerichtshof in diesem Urteil festgestellt, dass der wilde Streik für das Luftfahrtunternehmen zum Teil „tatsächlich beherrschbar“ war, weil er seine Ursache in einer Entscheidung dieses Unternehmens hatte. Für ein besseres Verständnis dieses Urteils ist auch von Bedeutung, dass der Gerichtshof festgestellt hat, dass dieser wilde Streik nach einer Einigung zwischen dem Luftfahrtunternehmen und den Arbeitnehmervertretern endete. Aus diesen Feststellungen lässt sich daher ableiten, dass der Gerichtshof offenbar einen Zusammenhang zwischen der von der Fluggesellschaft angekündigten Maßnahme und der raschen Beilegung des Konflikts, möglicherweise durch den Widerruf dieser Maßnahme, gesehen hat.

67.      Es ist jedoch festzustellen, dass der Streik in der vorliegenden Rechtssache in keiner Weise eine Reaktion auf eine Maßnahme der Unternehmensleitung war. Vielmehr ist in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen(38) und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass allein die Gehaltsforderungen der Arbeitnehmer Ursache des Streiks waren. Folglich kann das Luftfahrtunternehmen nicht aufgrund seines Verhaltens als für die Auslösung des Streiks ausschließlich „verantwortlich“ angesehen werden. Daraus folgt, dass sich die im Urteil Krüsemann aufgestellten Grundsätze nicht auf die vorliegende Rechtssache anwenden lassen.

68.      Dies vorausgeschickt, gebe ich zu, dass ich ein gewisses Unbehagen gegenüber diesem Kriterium der „Verantwortlichkeit“ für die Auslösung eines Streiks – das der Argumentation des Gerichtshofs im Urteil Krüsemann(39) zugrunde zu liegen scheint – empfinde, insbesondere im Hinblick darauf, dass es in der vorliegenden Rechtssache angewandt werden soll, um entweder die Gewerkschaft oder das Luftfahrtunternehmen für die Situation „verantwortlich“ zu machen. Da dem Gerichtshof keine Informationen über die Arbeitsbedingungen der bei SAS Beschäftigten vorliegen, halte ich es für unangemessen, darüber zu befinden, ob die Gehaltsforderungen der Gewerkschaft berechtigt waren oder nicht. Abgesehen davon hängt eine solche Beurteilung vom Standpunkt der Sozialpartner sowie vom sozioökonomischen Umfeld in jedem Mitgliedstaat ab. Wie ich nachstehend noch im Einzelnen erläutern werde, ist es vielmehr Sache der Sozialpartner, Gehälter und Arbeitsbedingungen im Rahmen ihrer Tarifautonomie frei und ohne Einmischung des Staates oder der europäischen Organe auszuhandeln und festzulegen(40).

69.      Abgesehen von diesen Erwägungen dürfte dieses Kriterium der „Verantwortlichkeit“ meines Erachtens von eher begrenztem praktischen Nutzen sein. Es darf nicht vergessen werden, dass sich das sozioökonomische Umfeld in einem Mitgliedstaat auch ohne Zutun des Arbeitgebers autonom zum Nachteil der Arbeitsbedingungen entwickeln kann, z. B. infolge einer Inflation, die die Kaufkraft der Bürger beeinträchtigt, oder eines Anstiegs der Lebenshaltungskosten aufgrund anderer Faktoren. In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber vernünftigerweise nicht für die Verschlechterung der Situation der Arbeitnehmer verantwortlich gemacht werden. Dies zeigt, dass das genannte Kriterium nicht für die Anwendung auf alle denkbaren Situationen geeignet ist. Meines Erachtens gilt dies insbesondere unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem sich kein alleiniger und einheitlicher Grund für den Aufruf zum Streik feststellen lässt.

2)      Zu den jeweiligen durch die Charta geschützten Interessen der Sozialpartner und der Verbraucher und zur Notwendigkeit einer Abwägung

i)      Allgemeine Ausführungen

70.      Zunächst ist festzustellen, dass der soziale Dialog gemäß Art. 151 AEUV als eines der Ziele der Union anerkannt ist. Er „nimmt … weiterhin einen zentralen und besonderen Platz beim demokratischen Regieren in Europa ein“(41). In diesem Zusammenhang ist der Grundsatz der Tarifautonomie in Art. 152 Abs. 1 AEUV verankert, der vorsieht, dass die Union „die Rolle der Sozialpartner auf Ebene der Union unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme [anerkennt und fördert]“ und dass sie „den sozialen Dialog [fördert] und … dabei die Autonomie der Sozialpartner [achtet]“(42).

71.      Da die Sozialpartner in gleicher Weise in den Genuss der oben genannten Tarifautonomie kommen und einander somit gleichgestellt sind, kann nicht ernsthaft davon ausgegangen werden, dass das Luftfahrtunternehmen die Situation „beherrsche“, weil es den Tarifforderungen in vollem Umfang hätte nachgeben können, um Arbeitsniederlegungen zu vermeiden. Ebenso wie vom Personal nicht erwartet werden kann, auf einen gesetzlich zulässigen Streik zu verzichten – weil dies einen Verzicht auf aus seiner Sicht berechtigte Forderungen darstellen würde –, kann vom Luftfahrtunternehmen nicht verlangt werden, auf Arbeitsniederlegungen zu reagieren, indem es ohne Zögern sämtlichen Forderungen der Arbeitnehmer nachgibt, um Ausgleichsforderungen der Fluggäste zu vermeiden.

72.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Unionsrechtsordnung die Interessen der Sozialpartner grundsätzlich in gleichwertiger Weise schützt, d. h., ohne dem einen oder dem anderen eine Vorrangstellung zuzuerkennen. Die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaftsvertreter können nämlich die Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen einschließlich Streiks in Anspruch nehmen, die alle zu den in Art. 12 Abs. 1 und Art. 28 der Charta garantierten Grundrechten gehören, während die Arbeitgeber das Recht auf Kollektivverhandlungen und die in Art. 16 der Charta verankerte unternehmerische Freiheit in Anspruch nehmen können, um ihre jeweiligen Interessen zu vertreten. Davon auszugehen, dass eine der beiden Seiten verpflichtet sei, auf ihre Interessen zu verzichten, liefe darauf hinaus, den Wesensgehalt dieser Rechte zu verkennen.

73.      Als Sozialpartner tragen sie gemeinsam die Verantwortung dafür, durch Verhandlungen eine Einigung zu erzielen. Ein solcher Ansatz bietet im Vergleich zu anderen Maßnahmen unbestreitbare Vorteile, die Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in den Rechtssachen Albany(43) kurz und präzise zusammengefasst hat. Er hat ausgeführt, dass „Tarifvereinbarungen zwischen den Tarifpartnern teure Arbeitskämpfe vermeiden und die Geschäftskosten durch einen kollektiven und von Regeln getragenen Verhandlungsprozess niedrig halten helfen sowie Vorhersehbarkeit und Transparenz fördern. Ein Gleichgewicht der Verhandlungsmacht auf beiden Seiten verhilft zu einem ausgeglichenen Ergebnis für beide Seiten und die Gesellschaft insgesamt.“ Ebenso wie die Verbraucher ihre Interessen durch Personalstreiks beeinträchtigt sehen, die sich störend auf den Personenverkehr auswirken, kommt es ihnen andererseits auch zugute, wenn so rasch wie möglich eine Einigung im Wege eines Kompromisses erzielt wird. Ihre Interessen verdienen daher, von den Sozialpartnern gebührend berücksichtigt zu werden.

74.      Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass es im Ausgangsverfahren um – zumindest im Hinblick auf einige Aspekte – gegensätzliche Interessen geht. Da diese Interessen durch die in der Charta verankerten Grundrechte geschützt sind und somit Verfassungsrang genießen, müssen sie gegeneinander abgewogen werden, um den Konflikt effektiv zu lösen(44). Die Notwendigkeit eines solchen Ansatzes folgt aus der Tatsache, dass die Grundrechte häufig nicht uneingeschränkt gewährleistet werden können, insbesondere wenn sie mit anderen durch das Unionsrecht geschützten legitimen Interessen kollidieren, wie aus den einschlägigen Bestimmungen der Charta hervorgeht. Erstens sieht Art. 52 Abs. 1 der Charta vor, dass die Ausübung der Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden kann, wenn Einschränkungen „erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen“(45). Zweitens macht Art. 28 der Charta selbst den Rückgriff auf den Streik von der Wahrung des „Recht[s der Union]“ abhängig, was weitere durch die Charta garantierte Rechte einschließt. Daraus folgt, dass das Streikrecht Grenzen unterworfen sein kann, um die bereits erwähnte unternehmerische Freiheit zu schützen, die im Übrigen ebenfalls nicht schrankenlos ist(46), ebenso wenig wie die in Art. 38 der Charta genannten Interessen der Verbraucher.

75.      Die aus einer Abwägung zu ziehenden Schlussfolgerungen werden bei der Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 zu berücksichtigen sein. Ich möchte darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung(47) das Unionsrecht, einschließlich des abgeleiteten Rechts, im Licht der in der Charta verankerten Grundrechte auszulegen ist. Das Ziel einer solchen Abwägung besteht darin, zu einer Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 zu gelangen, die grundrechtskonform ist, weil sie die jeweiligen Interessen miteinander in Einklang bringt. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung der Union gebietet auch, Unstimmigkeiten bei der Gesamtbewertung der betroffenen berechtigten Interessen zu vermeiden.

76.      Die folgende Übersicht über die Rechtsprechung soll veranschaulichen, wie der Gerichtshof Konflikte zwischen Interessen von unionsrechtlichem Verfassungsrang gelöst hat. Ich werde als Beispiel die Konflikte zwischen Grundrechten und Grundfreiheiten des Binnenmarkts, aber auch zwischen Grundrechten selbst anführen. Sieht man von der anwendbaren Terminologie ab, weisen die Fallgestaltungen, die ich darstellen werde, die Gemeinsamkeit auf, dass in ihnen, wie im Ausgangsverfahren, soziale Rechte und wirtschaftliche Rechte einander gegenüberstehen. Dieser Übersicht über die Rechtsprechung werde ich einige Überlegungen zur Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 folgen lassen.

ii)    Überblick über die Rechtsprechung zur Lösung von Konflikten zwischen Interessen von Verfassungsrang

–       Ausgleich zwischen den Grundrechten und den Grundfreiheiten des Binnenmarkts

77.      Der vorgeschlagene Ansatz folgt demjenigen in der Rechtssache, in der das Urteil The International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union(48) ergangen ist und in der der Gerichtshof das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts mit der Niederlassungsfreiheit in Einklang zu bringen hatte. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Rechtssache ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung von Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) zum Gegenstand hatte. Konkret wollte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein privates Unternehmen diese Grundfreiheit der kollektiven Maßnahme einer Gewerkschaft, die sich gegen dieses Unternehmen richtet, entgegenhalten kann. In diesem Urteil hat der Gerichtshof zunächst den Grundrechtscharakter des Streikrechts in der Rechtsordnung der Union hervorgehoben und festgestellt, dass dieser nicht geeignet ist, dieses Recht dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten des Binnenmarkts zu entziehen(49). Sodann hat er festgestellt, dass die in Rede stehenden kollektiven Maßnahmen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit waren, und anschließend geprüft, ob diese Beschränkungen auch gerechtfertigt waren(50). Ich halte es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof anerkannt hat, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme, die den Schutz der Arbeitnehmer zum Ziel hat, ein berechtigtes Interesse darstellt, das grundsätzlich eine Beschränkung einer der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann(51).

78.      Der Gerichtshof hat jedoch nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass die Gemeinschaft nicht nur einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist, sondern auch eine Sozialpolitik umfasst. Der Gerichtshof ist somit zu dem Ergebnis gelangt, da die Gemeinschaft nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Zielrichtung habe, müssten die sich aus den Bestimmungen des Vertrags über den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr ergebenden Rechte gegen die mit der Sozialpolitik verfolgten Ziele abgewogen werden, zu denen insbesondere die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen – um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen –, ein angemessener sozialer Schutz und der soziale Dialog zählten(52). Auf der Grundlage einer Abwägung der widerstreitenden Interessen hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht anschließend Hinweise zur Auslegung von Art. 43 EG gegeben, die ihm die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits ermöglichten.

–       Gleichgewicht zwischen den Grundrechten

79.      Angesichts der Problematik der vorliegenden Rechtssache halte ich die Urteile Scarlet Extended(53) und SABAM(54) ebenfalls für einschlägig. In diesen Urteilen hat sich der Gerichtshof zu dem Gleichgewicht geäußert, das zwischen dem Schutz des Rechts des geistigen Eigentums, das unter das in Art. 17 der Charta verankerte Grundrecht auf Eigentum fällt, und dem bereits erwähnten Schutz der unternehmerischen Freiheit herzustellen ist. Diese Rechtssachen hatten ihren Ursprung in Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Verwertungsgesellschaft, die Autoren, Komponisten und Herausgeber von Musikwerken vertrat, einerseits und Unternehmen, die eine Online-Plattform für soziale Netzwerke betrieben, sowie einem Anbieter von Internetzugangsdiensten andererseits. Genauer gesagt hatte die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei den nationalen Gerichten beantragt, die Beklagten zur Unterlassung der Urheberrechtsverletzungen zu verurteilen. Daraufhin legten die nationalen Gerichte dem Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen vor, um zu klären, ob das Unionsrecht es den Mitgliedstaaten erlaubt, ein nationales Gericht zu ermächtigen, eine Unterlassungsanordnung gegen die Beklagten zu erlassen und ihnen aufzugeben, ein Filtersystem einzurichten, das elektronische Dateien mit Musik-, Film- oder audiovisuellen Werken identifizieren kann, an denen die Klägerin Rechte des geistigen Eigentums zu besitzen behauptet, um die urheberrechtswidrige öffentliche Zugänglichmachung dieser Werke zu blockieren.

80.      Obwohl der Gerichtshof zunächst die Bedeutung des Rechts auf geistiges Eigentum hervorhob, hat er deutlich darauf hingewiesen, dass sich weder aus Art. 17 Abs. 2 der Charta noch aus der Rechtsprechung ergebe, dass ein solches Recht „schrankenlos und sein Schutz daher bedingungslos zu gewährleisten wäre“(55). Er hat im Gegenteil ausgeführt, dass der Schutz dieses Rechts „gegen den Schutz anderer Grundrechte abzuwägen [sei]“(56). Der Gerichtshof hat die nationalen Behörden und Gerichte aufgefordert, ein „angemessenes Gleichgewicht“ zwischen dem Schutz des Rechts des geistigen Eigentums, über das die Urheberrechtsinhaber verfügen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, der den Beklagten nach Art. 16 der Charta zukommt, sicherzustellen(57), (58). Der Gerichtshof hat befunden, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, nicht das Erfordernis beachte, ein solches Gleichgewicht zwischen den Grundrechten zu gewährleisten, und sich dabei auf eine Reihe von Argumenten gestützt, die als Auslegungshilfe für die vorlegenden Gerichte verstanden werden können. Im Einzelnen hat der Gerichtshof die Auswirkungen eines solchen Filtersystems kritisiert, weil es die durch die Art. 8 und 11 der Charta geschützten Rechte der Nutzer auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen beeinträchtigen könne(59). Ferner hat er darauf hingewiesen, dass eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit der Beklagten führen würde, weil sie diese verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf ihre Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten(60). So hat der Gerichtshof entschieden, dass das Unionsrecht, „ausgelegt anhand der sich aus dem Schutz der [auf den Einzelfall] anwendbaren Grundrechte ergebenden Anforderungen“, dahin auszulegen ist, dass es der Anordnung an die Beklagten entgegensteht, ein Filtersystem einzurichten(61).

81.      Abschließend ist auf das Urteil McDonagh(62) hinzuweisen, das auf demselben Rechtsgebiet wie die vorliegende Rechtssache ergangen ist und in dem der Gerichtshof geprüft hat, ob Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004, die dem Luftfahrtunternehmen die Pflicht zur Betreuung der Fluggäste auferlegen, deren Flug annulliert wurde, mit den Art. 16 und 17 der Charta vereinbar sind, die die unternehmerische Freiheit und das Recht auf Eigentum verbürgen. Der Gerichtshof hat zunächst ausgeführt, dass die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht nicht absolut gewährleistet werden, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen sind(63). Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass Art. 52 Abs. 1 der Charta unter bestimmten Voraussetzungen Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte zulässt(64). Er hat ferner darauf hingewiesen, dass „[b]ei dieser Beurteilung …, wenn sich mehrere durch die Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüberstehen, darauf zu achten [ist], dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang gebracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen besteht“(65). Der Gerichtshof hat zu Recht festgestellt, dass die Art. 16 und 17 der Charta nicht die einzigen Grundrechte sind, die bei einer Abwägung zu berücksichtigen sind, indem er Art. 38 der Charta einbezogen hat, der wie Art. 169 AEUV darauf abzielt, dass in der Politik der Union ein hohes Niveau des Schutzes der Verbraucher, zu denen die Fluggäste gehören, gewährleistet ist(66). Der Gerichtshof hat somit festgestellt, dass „Art. 5 Abs.1 Buchst. b und [Art.] 9 der Verordnung Nr. 261/2004 … dem Erfordernis entsprechen, die einzelnen betroffenen Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen herzustellen“(67). Er ist zu dem Schluss gelangt, dass die oben genannten Bestimmungen mit den Art. 16 und 17 der Charta vereinbar sind.

3)      Berücksichtigung der Schlussfolgerungen aus der Interessenabwägung bei der Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004

82.      Nach alledem bin ich der Auffassung, dass die in der vorliegenden Rechtssache vorzunehmende Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 darauf bedacht sein sollte, das Kräftegleichgewicht zwischen den Sozialpartnern zu wahren. Genauer gesagt muss sie es den Arbeitnehmern ermöglichen, auf kollektive Maßnahmen zurückzugreifen, ohne jedoch vom Luftfahrtunternehmen zu verlangen, unerträgliche Nachteile hinzunehmen, die die Existenz des Unternehmens gefährden könnten. Meines Erachtens liegt auf der Hand, dass niemand ein Interesse an einem solches Ergebnis haben kann. Auf der Grundlage dieser Bemerkungen allgemeiner Art werde ich im Folgenden einige Hinweise geben, die dem Gerichtshof helfen sollen, die erforderliche Abwägung vorzunehmen, die Einfluss auf die Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 haben wird.

83.      Ich bin empfänglich für das von einigen Beteiligten im Rahmen der vorliegenden Rechtssache vorgebrachte Argument, es müsse anerkannt werden, dass sich das Luftfahrtunternehmen im Fall eines Streiks seiner eigenen Belegschaft auf einen „außergewöhnlichen Umstand“ berufen könne, wenn es – ebenso wie die Arbeitnehmer – versuche, seine Interessen im Rahmen von Verhandlungen durchzusetzen. Hierzu möchte ich darauf hinweisen, dass das Ziel der Verordnung Nr. 261/2004 der Schutz des Verbrauchers ist, wie sich aus ihrem ersten Erwägungsgrund ergibt. Mit dem Erlass der Verordnung Nr. 261/2004 wollte der Gesetzgeber die Interessen der Fluggäste und diejenigen der Luftfahrtunternehmen zum Ausgleich bringen(68). Er hatte hingegen nicht die Absicht, das Recht der Arbeitnehmer zu schützen, im Fall von Interessenkonflikten auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streiks zurückzugreifen, um ihre Interessen zu verteidigen.

84.      Den Fluggästen bei Annullierung oder großer Verspätung eines Flugs, die im Rahmen eines Streiks der Arbeitnehmer verursacht wurde, einen Ausgleichsanspruch zu gewähren, würde die Gefahr entstehen lassen, dass dieser Ausgleichsanspruch für Zwecke von Arbeitskämpfen „instrumentalisiert“ wird. Die Arbeitnehmer hätten nämlich die Möglichkeit, eine Vielzahl von Ausgleichsansprüchen von Fluggästen gegen das Luftfahrtunternehmen entstehen zu lassen, auf diese Weise zusätzlichen Druck auf die Geschäftsleitung des Unternehmens auszuüben und diesem einen schweren wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, weil es ohne die Möglichkeit einer Befreiung grundsätzlich verpflichtet wäre, bei Annullierungen oder erheblichen Verspätungen Ausgleichszahlungen zu leisten. Dies würde für die Luftfahrtunternehmen eine erhebliche finanzielle Belastung bedeuten(69).

85.      In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass ein Luftfahrtunternehmen im Allgemeinen weniger vorteilhaft behandelt wird als andere Wirtschaftsteilnehmer unter ähnlichen Umständen. Wie einige Beteiligte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt haben, erlege ihm die Verordnung Nr. 261/2004 eine nahezu „automatische“ Ausgleichspflicht auf, während sich andere Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich auf Freistellungsbestimmungen und -klauseln berufen könnten, die in den nationalen Rechtsvorschriften über den Schadensersatz bzw. in den Verträgen selbst vorgesehen seien, um sich wirksam gegen Schadensersatzforderungen wehren zu können(70). Da diese Ungleichbehandlung schwer verständlich erscheine, stelle sich die Frage, ob eine „berichtigende“ Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 ins Auge gefasst werden müsse, um eine Befreiungsmöglichkeit für das Luftfahrtunternehmen vorzusehen.

86.      Nach Art. 13 der Verordnung Nr. 261/2004 kann in Fällen, in denen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung leistet oder sonstige sich aus dieser Verordnung ergebende Verpflichtungen erfüllt, keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht des Luftfahrtunternehmens beschränkt, nach geltendem nationalen Recht bei anderen Personen, auch Dritten, Regress zu nehmen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann ein solcher Regress die finanzielle Belastung des Beförderers aus diesen Verpflichtungen mildern oder sogar beseitigen(71). Ich bezweifle jedoch, dass die finanziellen Verluste, die sich im Fall eines Streiks aus einer möglichen Verpflichtung zur Leistung einer Ausgleichszahlung an die Fluggäste ergeben, durch ein hypothetisches Recht des Luftfahrtunternehmens, bei Dritten auf der Grundlage dieser Bestimmung Regress zu nehmen, ausgeglichen werden können(72). Vorbehaltlich dessen, was das in einem bestimmten Fall anwendbare nationale Recht vorsehen könnte, müsste ein solcher Regressanspruch höchstwahrscheinlich gegenüber der natürlichen oder juristischen Person geltend gemacht werden, von der anzunehmen ist, dass sie den Schaden verursacht hat. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass eine solche Forderung im Fall eines „rechtmäßigen“ Streiks, d. h. im Hinblick auf kollektive Maßnahmen gegen den Arbeitgeber, die im Einklang mit dem nationalen Sozial- und Arbeitsrecht ergriffen wurden, erfolglos bleibt(73). Da eine solche Option folglich nicht ausnahmslos durchführbar erscheint, halte ich sie für nicht geeignet, den durch den Streik verursachten Schaden zu mindern und damit den Interessen des Luftfahrtunternehmens Rechnung zu tragen.

87.      Auch wenn das Recht auf kollektive Maßnahmen mit dem Ziel geschaffen wurde, den Arbeitnehmern bei der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber dem Arbeitgeber zu helfen, und es zur Erreichung dieses Ziels beitragen würde, falls der Gerichtshof ein Recht der Fluggäste auf Ausgleichszahlungen im Fall eines Streiks des Personals des Luftfahrtunternehmens anerkennen sollte, ginge eine Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 in diesem Sinne meines Erachtens über das hinaus, was zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich ist. Ich bezweifle stark, dass der Unionsgesetzgeber das in den vorstehenden Nummern beschriebene Ergebnis, nämlich das Gleichgewicht der Kräfte unverhältnismäßig zugunsten der Arbeitnehmer zu verlagern, in Betracht gezogen hat.

88.      Der durch Art. 16 der Charta gewährte Schutz umfasst die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb, wie aus den Erläuterungen zu diesem Artikel hervorgeht, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind(74). Als Arbeitgeber hat das Luftfahrtunternehmen das Recht, seine Interessen zu verteidigen und zu verlangen, dass alle Streitigkeiten mit dem Personal durch Verhandlungen beigelegt werden. Da das Luftfahrtunternehmen das finanzielle Risiko trägt, hat es außerdem das Recht, die Geschäftsführungsmaßnahmen zu ergreifen, die es für geeignet hält, das Überleben des Unternehmens zu sichern. Es hat auch Anspruch auf Schutz vor jeder Störung durch Dritte – einschließlich eines möglichen Rechtsmissbrauchs(75) –, die seine Existenz gefährden könnte(76). Das in den vorstehenden Nummern beschriebene Ergebnis hätte aber gerade zur Folge, dass dem Arbeitgeber de facto das Recht abgesprochen würde, seine Interessen wirksam zu verteidigen, weil die Alternative zu einem Nachgeben gegenüber den Forderungen der Belegschaft darin bestünde, die Gefahr einer Insolvenz des Unternehmens in Kauf zu nehmen, was meines Erachtens mit den in der Charta verankerten Grundrechtsgarantien unvereinbar wäre.

89.      Zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels der Verordnung Nr. 261/2004 halte ich es auch nicht für erforderlich, einen Ausgleichsanspruch der Fluggäste in allen Fällen von Streiks anzuerkennen. Dieses Interesse ist bereits dadurch gewahrt, dass Fluggäste, die infolge eines Streiks der Arbeitnehmer von einer Annullierung oder großen Verspätung ihres Flugs betroffen sind, weiterhin Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung nach Art. 8 sowie auf Unterstützungsleistungen nach Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004 haben. Dies zeigt, dass es verhältnismäßige Mittel gibt, die geeignet sind, den Verbraucher zu schützen und zugleich dem berechtigten Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitgeber an der Aushandlung und dem Abschluss von Tarifverträgen Rechnung zu tragen.

90.      Aus dem Vorstehenden folgt, dass ein von einer Gewerkschaft ausgelöster Streik unter den in diesen Schlussanträgen beschriebenen Bedingungen von einem Luftfahrtunternehmen nicht „beherrschbar“ ist. Als Arbeitgeber hat das Luftfahrtunternehmen das Recht und die Pflicht, im Rahmen der Tarifautonomie der Sozialpartner eine Vereinbarung mit den Arbeitnehmern auszuhandeln. Dagegen kann ihm nicht die alleinige Verantwortung für die Folgen kollektiver Maßnahmen der Belegschaft auferlegt werden.

c)      Zwischenergebnis

91.      Meine Analyse des Sachverhalts lässt mich zu dem Ergebnis kommen, dass die beiden Kriterien, die die Rechtsprechung für die Einstufung als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in seiner Auslegung im Licht des 14. Erwägungsgrundes dieser Verordnung entwickelt hat, im vorliegenden Fall erfüllt sind.

92.      Daher ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass ein Streik, der auf Aufforderung einer Gewerkschaft im Rahmen der Ausübung des Streikrechts durch die Belegschaft des Luftfahrtunternehmens organisiert wird, um Forderungen nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen, unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 fällt, sofern er nicht durch eine vorherige Entscheidung des Unternehmens, sondern durch die Forderungen der Arbeitnehmer ausgelöst wird.

d)      Zur Relevanz der „Rechtmäßigkeit“ eines Streiks und seiner Vorankündigung für die Einstufung eines Umstands als „außergewöhnlich“

93.      Wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits ausgeführt, kann der Umstand, dass der Streik „rechtmäßig“ ist, d. h., dass die kollektive Maßnahme von der Gewerkschaft im Einklang mit den nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften durchgeführt wurde, einen gewissen Einfluss auf den Handlungsspielraum haben, über den der Arbeitgeber in einer solchen Situation verfügt(77). Das Gleiche gilt für die Frage, ob der Streik nach einer „Vorankündigung“ ausgerufen wurde, wobei dieser Aspekt im Übrigen ebenfalls durch das nationale Recht geregelt wird. Diese beiden Aspekte sind eng miteinander verbunden und sollten daher im Hinblick auf ihre Relevanz für die Prüfung der Frage, ob die Fluggäste Anspruch auf eine Ausgleichszahlung haben, zusammen geprüft werden.

94.      Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass es mir – entgegen dem, was das vorlegende Gericht in seiner Vorabentscheidungsfrage andeutet – aus rechtlicher Sicht nicht angemessen erscheint, diese Aspekte unter dem Gesichtspunkt der „tatsächlichen Beherrschbarkeit“ eines Umstands als maßgeblichem Kriterium für seine Einstufung als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 zu analysieren. Ich halte es für angemessener, sie unter dem Gesichtspunkt der „zumutbaren Maßnahmen“ zu prüfen, die das Luftfahrtunternehmen ergreifen muss, um die typischerweise mit dem Eintritt eines „außergewöhnlichen Umstands“ verbundenen Folgen, nämlich die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs, zu verhindern(78). Eine Reihe von Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, spricht für eine Prüfung dieser Aspekte in diesem Stadium der rechtlichen Würdigung.

95.      Erstens steht fest, dass diese Aspekte ausschließlich dem nationalen Recht unterliegen. Es ist mit anderen Worten das nationale Recht, das festlegt, welchen rechtlichen Anforderungen diese Aspekte entsprechen müssen, und letztlich auch, ob ein Streik „rechtmäßig“ ist oder nicht. Ich schließe mich der in der Begründung des Urteils Krüsemann dargelegten Auffassung des Gerichtshofs an, wonach der Ansatz, zur Klärung der Frage, ob Streiks als „außergewöhnliche Umstände“ einzustufen sind, darauf abzustellen, ob sie nach dem einschlägigen nationalen Recht rechtmäßig sind oder nicht, zur Folge hätte, dass der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats abhinge, was die in den Erwägungsgründen 1 und 4 der Verordnung Nr. 261/2004 genannten Ziele beeinträchtigen würde, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sowie harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in der Union sicherzustellen(79). Folglich sollte die mögliche „Rechtmäßigkeit“ eines Streiks nicht als entscheidendes Kriterium für die Feststellung angesehen werden, ob er einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt.

96.      Zweitens liefe eine Unterscheidung nach der „Rechtmäßigkeit“ eines Streiks darauf hinaus, die Erwägungen in Frage zu stellen, die der in den vorliegenden Schlussanträgen vorgenommenen Analyse zugrunde liegen und aus denen sich ergibt, dass das Luftfahrtunternehmen einen Streik, wie er in der ersten Vorlagefrage beschrieben wird, nicht „tatsächlich beherrschen“ kann, weil dessen Ursprung und anschließende Entwicklung nicht allein vom Willen des Arbeitgebers abhängen, sondern auch von den Absichten der Gewerkschaft der Arbeitnehmer, die, wie ich im Einzelnen erläutert habe, eine autonome Einheit ist, auf die der Arbeitgeber keinen Einfluss hat(80). Gerade aus diesen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gewerkschaft beschließt, einen Streik unabhängig davon auszurufen, ob sich ein solches Vorgehen als mit den nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften vereinbar erweist oder nicht. Dies gilt insbesondere für die Einhaltung einer Vorankündigungsfrist. Ich möchte darauf hinweisen, dass in einem solchen Fall die etwaige Rechtswidrigkeit der von einer Gewerkschaft ergriffenen kollektiven Maßnahmen dem Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit eröffnen würde, bei den zuständigen Gerichten die Anordnung der Einstellung dieser Maßnahmen zu beantragen. Da ein solches Verfahren jedoch Zeit in Anspruch nimmt, kann das Risiko nicht ausgeschlossen werden, dass eine gerichtliche Entscheidung erst getroffen wird, nachdem der Arbeitgeber bereits einen enormen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat. Diese Erwägungen zeigen meines Erachtens eindeutig, dass die „Rechtmäßigkeit“ eines Streiks für sich genommen kein geeignetes Kriterium für die Bestimmung des „außergewöhnlichen“ Charakters eines Vorkommnisses darstellt.

97.      Drittens bin ich der Auffassung, dass die Antwort auf die Frage, ob ein von einer Gewerkschaft der Arbeitnehmer ausgerufener Streik als „außergewöhnlicher Umstand“ einzustufen ist, unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit von so großer Bedeutung ist, dass sie nicht dem Zufall überlassen werden sollte. Genau dies wäre aber der Fall, wenn man jedes Mal prüfen müsste, ob die Anforderungen des nationalen Rechts an die ordnungsgemäße Durchführung eines Streiks der Arbeitnehmer einer Fluggesellschaft beachtet wurden. Die Folge wäre ein extrem kasuistischer, wenn nicht gar willkürlicher Ansatz, der sich kaum von der gegenwärtigen Rechtsprechungspraxis unterscheiden würde. Aus Gründen der Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung, und um dem vorlegenden Gericht klare und einfache Beurteilungskriterien an die Hand zu geben, schlage ich dem Gerichtshof vor, allgemein anzuerkennen, dass ein Streik, wie er in der ersten Vorlagefrage beschrieben wird, einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt und dass die den Ausgangsrechtsstreit kennzeichnenden Faktoren, wie z. B. die Vereinbarkeit mit den nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften, die u. a. die Einhaltung einer Vorankündigungsfrist vorschreiben, nur im Rahmen der Prüfung der Frage, ob das Luftfahrtunternehmen „zumutbare Maßnahmen“ getroffen hat, eine Rolle spielen können.

98.      Ein solcher Ansatz in Bezug auf die Anwendung der Verordnung Nr. 261/2004 hätte den Vorzug, die Prüfung zu vereinfachen und es dem nationalen Gericht zu ermöglichen, die Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Außerdem würde er die Fluggäste nicht benachteiligen, weil nicht alle „außergewöhnlichen Umstände“ zu einer Befreiung führen. Eine solche Einstufung des Streiks würde nämlich den Ausgleichsanspruch der betroffenen Fluggäste nicht von vornherein ausschließen, sondern vielmehr die Möglichkeit bieten, mehrere relevante Aspekte, u. a. die Rechtmäßigkeit des Streiks und die Einhaltung einer Vorankündigungsfrist, zu berücksichtigen und so zu einer differenzierteren Schlussfolgerung zu gelangen.

3.      Die Kriterien zur Bestimmung der von jedem Luftfahrtunternehmen zu ergreifenden „zumutbaren Maßnahmen“

a)      Der Begriff „zumutbare Maßnahmen“ im Sinne der Rechtsprechung

99.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist zu bestimmen, welche „zumutbaren“ Maßnahmen das Luftfahrtunternehmen ergreifen muss, um die Folgen eines Streiks wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu verhindern. Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Relevanz bestimmten tatsächlichen Umständen zukommt, insbesondere dem Umstand, dass der Streik dem Luftfahrtunternehmen unter Einhaltung der im nationalen Recht vorgeschriebenen Vorankündigungsfrist angekündigt wurde. Diese Gesichtspunkte sind daher im Licht der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Kriterien einzeln zu prüfen.

100. Wie bereits in meinen Vorbemerkungen ausgeführt(81), geht aus dieser Rechtsprechung hervor, dass das Luftfahrtunternehmen bei Eintritt eines „außergewöhnlichen Umstands“ von seiner Ausgleichspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 nur befreit ist, wenn es nachweisen kann, dass es die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser Umstand zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Flugs führt, ohne dass jedoch von ihm angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer verlangt werden könnten(82).

101. So ist der Gerichtshof von einer flexiblen, vom Einzelfall abhängigen Bedeutung des Begriffs „zumutbare Maßnahme“ ausgegangen und hat es dem nationalen Gericht überlassen, zu beurteilen, ob unter den vorliegenden Umständen angenommen werden kann, dass das Luftfahrtunternehmen die der Situation angemessenen Maßnahmen getroffen hat(83), wobei er darauf hingewiesen hat, dass allein solche Maßnahmen zu berücksichtigen sind, die ihm tatsächlich obliegen können, und nicht solche, die der Zuständigkeit Dritter unterliegen(84).

102. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass die oben angeführte Rechtsprechung ungeachtet des flexiblen und individualisierten Charakters dieses Ansatzes im Interesse des Verbraucherschutzes die Befreiung von besonders strengen Voraussetzungen abhängig macht, die das Luftfahrtunternehmen verpflichten, alles zu unternehmen, was mit den verfügbaren Mitteln objektiv möglich ist, um die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs zu vermeiden. Außerdem ist zu beachten, dass die Beförderungspflicht zum Inhalt hat, dass der Fluggast so bald wie möglich sein Endziel und nicht nur den Umsteigeflughafen erreicht(85). Folglich kann das Luftfahrtunternehmen nicht mit Erfolg geltend machen, diese Pflicht „teilweise erfüllt“ zu haben.

103. Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien ist zu bestimmen, was unter dem Erfordernis zu verstehen ist, alle „zumutbaren Maßnahmen“ zu ergreifen, um die Annullierung eines Flugs infolge eines Streiks der Belegschaft des Luftfahrtunternehmens in einem Kontext wie dem im vorliegenden Fall untersuchten zu verhindern.

b)      Bemerkungen zur Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem nationalen Gericht und dem Unionsgericht

104. Bevor ich diese Aspekte prüfe, möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Rolle des Gerichtshofs im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV darauf beschränkt, die Tragweite des Begriffs „zumutbare Maßnahmen“ zu erläutern. Es ist nämlich Sache des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht die Hinweise zur Auslegung und die Vorgaben an die Hand zu geben, die erforderlich sind, damit es selbst eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts vornehmen und die Bestimmungen der Verordnung Nr. 261/2004 im Einklang mit der vorgenommenen Auslegung anwenden kann. Die Wahrung der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem nationalen Gericht und dem Unionsgericht ist von entscheidender Bedeutung, um das ordnungsgemäße Funktionieren des durch die Verträge errichteten Gerichtssystems zu gewährleisten(86).

105. Damit der Gerichtshof seine Befugnisse wahrnehmen kann, muss das vorlegende Gericht den Sachverhalt eingehend darstellen und den Gerichtshof so in die Lage versetzen, zu verstehen, worum es in der zu entscheidenden Rechtssache geht. In diesem Zusammenhang darf die Verantwortung, die das vorlegende Gericht bei der Feststellung des Sachverhalts zu übernehmen hat, nicht unterschätzt werden, weil nicht auszuschließen ist, dass es relevante Aspekte gibt, die bei der Prüfung dieser Vorlagefrage zu berücksichtigen sind, die sich aber mangels erforderlicher Angaben – z. B. zu den dem Luftfahrtunternehmen zur Verfügung stehenden logistischen, technischen und finanziellen Mitteln – der Kenntnis des Gerichtshofs entziehen. Der Grad der Genauigkeit der Hinweise, die der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht geben wird, wird in hohem Maße von den erlangten Informationen abhängen.

c)      Dem vorlegenden Gericht zu erteilende Auslegungshinweise

106. Die nachstehenden Auslegungshinweise sollen dem vorlegenden Gericht die für eine gezielte und sachdienliche Beurteilung des Sachverhalts erforderlichen Vorgaben an die Hand geben.

1)      Die zumutbaren Maßnahmen müssen die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs verhindern

107. Zunächst ist festzustellen, dass die dem Luftfahrtunternehmen nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 obliegenden zumutbaren Maßnahmen darauf abzielen müssen, die Fluggäste vor den typischen und daher vorhersehbaren nachteiligen Folgen eines „außergewöhnlichen Umstands“, nämlich vor der Annullierung oder großen Verspätung des betreffenden Flugs, zu bewahren. In Anbetracht meines Zwischenergebnisses, wonach ein Streik, wie er in der Vorlagefrage beschrieben wird, als „außergewöhnlicher Umstand“ einzustufen ist(87), braucht das vorlegende Gericht daher nicht zwangsläufig zu prüfen, ob der Streik selbst vom Luftfahrtunternehmen hätte vermieden werden können. Eine solche Schlussfolgerung erscheint mir logisch, weil dem Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ letztlich innewohnt, dass die betroffenen Parteien ihn nicht vorhersehen konnten.

2)      Das Luftfahrtunternehmen muss alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um seine Interessen und die der Passagiere zu wahren

108. Eine nuanciertere Beurteilung ist jedoch gerechtfertigt, wenn der Streik als rechtswidrig eingestuft wird, weil er den Anforderungen des nationalen Sozial- und Arbeitsrechts nicht entspricht. Der vom vorlegenden Gericht angesprochene Gesichtspunkt der „Rechtmäßigkeit“ eines Streiks kann in der Tat eine gewisse Bedeutung für die Bestimmung der „zumutbaren Maßnahmen“ haben, die das Luftfahrtunternehmen zu ergreifen hat(88). Meines Erachtens sollte die Haftung des Luftfahrtunternehmens die Verpflichtung umfassen, alle rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um seine Interessen und mittelbar auch die der Fluggäste zu wahren, einschließlich der Anrufung der für die Entscheidung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zuständigen Gerichte. Ziel eines solchen Vorgehens wäre es, bei den zuständigen Gerichten zu beantragen, die Rechtswidrigkeit der kollektiven Maßnahme festzustellen und gegebenenfalls deren Beendigung anzuordnen(89).

109. Hierzu möchte ich darauf hinweisen, dass Art. 28 der Charta das Recht der Arbeitnehmer auf kollektive Maßnahmen nur im Einklang mit „dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ schützt. Diese Klarstellung soll den Anwendungsbereich des Grundrechts festlegen. Art. 28 der Charta selbst trifft jedoch keine Aussage zu entscheidenden Aspekten wie z. B. den Voraussetzungen, die ein rechtmäßiger Streik erfüllen muss, und überlässt es dem Recht, auf das er verweist, diese zu spezifizieren(90). Art. 52 Abs. 6 der Charta, wonach „[d]en einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten …, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen [ist]“, ist im gleichen Sinne auszulegen(91).

110. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Gesetzgebungsbefugnisse der Union auf den Gebieten, die in den genannten Anwendungsbereich fallen, sehr begrenzt sind. Art. 153 Abs. 1 Buchst. f AEUV bestimmt nämlich, dass das Parlament und der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften für die „Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen“ erlassen können(92). Aus Art. 153 Abs. 5 AEUV ergibt sich jedoch, dass dieser Artikel „nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht [gilt]“(93). Daraus folgt, dass die Union keine Gesetzgebungsbefugnis hat, um Regeln für die Ausübung des Streikrechts zu erlassen(94). Dies ist im Übrigen auch der Grund, warum einige Richtlinien, die sich auf Tarifverhandlungen und kollektive Maßnahmen beziehen, diese Aspekte nicht selbst regeln. Gleichwohl kann sicherlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Gerichtshof das Wesen dieses Rechts in Zukunft im Wege der Rechtsprechung auf der Grundlage der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten definieren könnte(95).

111. Mangels einschlägiger Bestimmungen auf Unionsebene ist das nationale Recht anwendbar. Der Verweis auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ ist im Sinne einer Abhängigkeit von einer durch das nationale Recht festgelegten Rechtmäßigkeitsvoraussetzung auszulegen. Folglich lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass sich die Arbeitnehmer nicht wirksam auf das in Art. 28 der Charta verankerte Recht berufen können, wenn sie gegen die Regeln verstoßen, die für den Rückgriff auf kollektive Maßnahmen gelten. Es steht außer Zweifel, dass die durch Art. 16 der Charta geschützte unternehmerische Freiheit des Luftfahrtunternehmens dann im Fall eines Konflikts Vorrang erhalten muss. Dies vorausgeschickt, ist es Sache des Luftfahrtunternehmens, seine Rechte mit den verfügbaren Rechtsbehelfen durchzusetzen. Die Mitgliedstaaten müssen ihrerseits die erforderlichen Rechtsbehelfe vorsehen, damit im Konfliktfall ein wirksamer Rechtsschutz der Sozialpartner gewährleistet ist, wie es Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verlangen.

3)      Das Luftfahrtunternehmen muss eine Zeitreserve vorsehen, um etwaige unvorhergesehene Umstände aufzufangen

112. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Handlungsspielraum des Luftfahrtunternehmens umso größer ist, je länger die Zeitspanne ist, die zwischen dem Vorkommnis, das einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellt, und der Abflug- oder der Ankunftszeit eines von ihm möglicherweise betroffenen Flugs liegt. Mit anderen Worten: Wenn dem Luftfahrtunternehmen genügend Zeit verbleibt, kann es normalerweise mehrere Alternativen nutzen, um den betroffenen Fluggast zu seinem Endziel zu befördern. Ist die Zeit hingegen knapp, sind diese Alternativen sehr begrenzt oder gar praktisch nicht vorhanden(96). Daraus folgt, dass das Luftfahrtunternehmen angemessene Zeitreserven für unvorhergesehene Umstände vorsehen sollte.

113. Der Gerichtshof hat nämlich im Urteil Eglītis und Ratnieks(97) darauf hingewiesen, dass sich ein vernünftig handelndes Luftfahrtunternehmen dadurch auszeichnet, dass es seine Mittel rechtzeitig plant, um über eine Zeitreserve zu verfügen und andere Lösungen vorsehen zu können. Eine sorgfältige und rationelle Streckenplanung durch das Luftfahrtunternehmen ist daher von entscheidender Bedeutung, um Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten für die Fluggäste aufgrund von Flugannullierungen und großen Verspätungen in Übereinstimmung mit dem im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 genannten Ziel zu vermeiden.

4)      Das Luftfahrtunternehmen hat der Vorankündigung des von der Gewerkschaft ausgerufenen Streiks Rechnung zu tragen

114. Die Argumente, die ich soeben für die Notwendigkeit vorgebracht habe, eine angemessene Zeitreserve vorzusehen, um etwaige unvorhergesehene Umstände aufzufangen, sind auch in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens relevant, in dem die Gewerkschaft unter Einhaltung der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Vorankündigungsfrist zum Streik aufgerufen hat(98). Angesichts der Bedeutung, die der Gerichtshof einer einzuplanenden Zeitreserve beimisst, würde ein Luftfahrtunternehmen meines Erachtens unverantwortlich handeln, wenn es diese zusätzliche Zeit nicht dazu nutzt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Auswirkungen des Streiks auf seinen Betrieb abzumildern. Dies gilt insbesondere für eine Situation wie die im Ausgangsverfahren, in der die Pilotenvereinigungen am 2. April 2019 die Vorankündigung eines Streiks ab 26. April 2019 eingereicht hatten. SAS verfügte daher über mehrere Wochen – d. h. über eine längere Frist als die nach schwedischem Recht vorgesehene Mindestfrist (von sieben Arbeitstagen) –, um die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, dass das Luftfahrtunternehmen verpflichtet ist, bei seiner Planung der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ihm die Ausübung des Streikrechts unter Einhaltung der nach den nationalen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Frist angekündigt wurde.

115. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass sich in bestimmten Fällen die Frage nach der Anwendbarkeit der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausnahmen stellen kann. Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass die betroffenen Fluggäste im Fall der Annullierung eines Flugs Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 dieser Verordnung haben, „es sei denn, … sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum … unterrichtet“, der zwischen zwei Wochen und weniger als sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit betragen kann. Je nach der in Rede stehenden Situation könnte dieses Erfordernis möglicherweise zu einer Überschneidung des Anwendungsbereichs der genannten Bestimmungen führen, nämlich in den Fällen, in denen die nationalen Rechtsvorschriften vorsehen, dass der Aufruf zum Streik unter Einhaltung einer bestimmten Vorankündigungsfrist erfolgen muss.

116. Meines Erachtens ist diese Möglichkeit, für sich allein genommen, aber nicht geeignet, die Anwendbarkeit der einen Ausgleichsanspruch begründenden Bestimmungen, die Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind, nämlich von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004, in Frage zu stellen. Da SAS zudem nicht vorträgt, sich auf die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung aufgezählten Ausnahmen berufen zu haben, um den Fluggästen keine Ausgleichszahlungen leisten zu müssen, scheint mir diese Problematik rein hypothetisch zu sein und daher für die Zwecke der Prüfung der vorliegenden Rechtssache neben der Sache zu liegen.

5)      Das Luftfahrtunternehmen muss seine materiellen und personellen Ressourcen organisieren, um die Kontinuität seines Betriebs zu gewährleisten

117. Wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits erläutert(99), stützt sich das Luftfahrtunternehmen auf materielle und personelle Ressourcen, um den Betrieb des Unternehmens sicherzustellen. In entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch bei technischen Mängeln des Flugzeugs schlage ich vor, dem Luftfahrtunternehmen die Verantwortung dafür aufzuerlegen, sein Personal so zu organisieren und die Aufgaben so zuzuteilen, dass es die Kontinuität seiner Tätigkeiten trotz störender Vorkommnisse gewährleisten kann. Dieser Ansatz steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die ausdrücklich verlangt, dass das Luftfahrtunternehmen „alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser [Umstand] zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges führt“(100). Dies erfordert offenkundig Anstrengungen, das Personal neu zu organisieren. So wie das Luftfahrtunternehmen dafür zu sorgen hat, dass genügend Personal vorhanden ist, um Abwesenheiten im Zusammenhang mit Jahres- und Krankheitsurlaub aufzufangen(101), erscheint es mir daher folgerichtig, zu verlangen, dass das Luftfahrtunternehmen im Rahmen des Möglichen über geeignetes Personal verfügt, das erforderlichenfalls die Aufgaben der streikenden Kollegen übernehmen kann.

118. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Bezugnahme in der Vorlagefrage darauf, dass es sich um einen „Streik der Piloten, die bei [dem] Luftverkehrsunternehmen angestellt sind“, handelte, sowie auf den Umstand, dass der Streik rechtmäßig „im Einklang mit dem nationalen Recht“ eingeleitet wurde, zwei Aspekte aufwirft, die den Handlungsspielraum des Arbeitgebers bei der Einführung von Maßnahmen zur Neuorganisation des Personals erheblich einschränken können und die das vorlegende Gericht im Rahmen seiner Würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen haben wird. Es handelt sich um Einschränkungen tatsächlicher und rechtlicher Art.

119. Zu den Einschränkungen tatsächlicher Art ist festzustellen, dass die Flugzeugpiloten eine zentrale Funktion im Bereich der Beförderung von Fluggästen ausüben, weil diese ein hohes Verantwortungsbewusstsein und die perfekte Beherrschung der technischen Aspekte des Betriebs von Flugzeugen erfordert. Aus diesem Grund durchlaufen die Piloten eine spezielle und intensive Ausbildung, der regelmäßig wiederkehrende Schulungen folgen. Das vorlegende Gericht sieht die Piloten daher zu Recht als „für die Durchführung eines Flugs unerlässlich“ an. In Anbetracht der Tatsache, dass Flugzeugpiloten nicht sinnvoll durch andere Besatzungsmitglieder ersetzt werden können, die andere Funktionen ausüben, erscheint es mir vernünftig, vom Luftfahrtunternehmen zu verlangen, im Rahmen des Möglichen eine operative Kontinuität sicherzustellen. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob und inwieweit eine solche operative Kontinuität im vorliegenden Fall gewährleistet war.

120. In rechtlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass es sich für die Analyse als bedeutsam erweisen kann, dass die nationalen Rechtsvorschriften dem Unternehmen verbieten, Mitarbeiter einzustellen, um die Streikenden zu ersetzen. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Rechtsprechung Maßnahmen, die „angesichts der Kapazitäten des Unternehmens ein nicht tragbares Opfer“ darstellen, nicht als „zumutbar“ einstuft und offensichtlich nur solche Maßnahmen in Betracht zieht, die in personeller, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind. Auch wenn sich der Gerichtshof noch nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert hat, ob dieser Begriff auch rechtlich zulässige Maßnahmen umfasst, habe ich keinen Zweifel, dass dies zu bejahen ist. Das Unionsrecht kann vom Luftfahrtunternehmen nicht verlangen, bewusst gegen nationales Recht zu verstoßen, zumal Art. 28 der Charta den Arbeitnehmern das Recht garantiert, kollektive Maßnahmen im Einklang mit „dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ zu ergreifen, wie ich bereits ausgeführt habe. Da diese Bestimmung auf das nationale Recht verweist und dieses den Umfang des Streikrechts(102) bestimmt, indem es den Befugnissen des Arbeitgebers Grenzen setzt, muss der Arbeitgeber diese Grenzen beachten.

121. Daraus folgt, dass das vom nationalem Recht gegebenenfalls ausgesprochene Verbot, Personal einzustellen, um die Streikenden zu ersetzen, einen Umstand darstellt, dem besondere Bedeutung zukommt und der daher im Rahmen der Beurteilung der „zumutbaren Maßnahmen“, die das Luftfahrtunternehmen möglicherweise hätte ergreifen müssen, zu berücksichtigen ist.

6)      Das Luftfahrtunternehmen muss den Zugang zu Flügen anderer Fluggesellschaften, die nicht vom Streik betroffen sind, erleichtern

122. Die Haftung des Luftfahrtunternehmens gegenüber den Fluggästen endet nicht, wenn ein Streik eintritt. Das Luftfahrtunternehmen ist im Gegenteil verpflichtet, Fluggästen den Zugang zu Flügen anderer, vom Streik nicht betroffener Fluggesellschaften zu erleichtern, ein Thema, zu dem das Urteil Transportes Aéreos Portugueses(103) wertvolle Hinweise gibt. Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof ausgeführt hat, dass „das Luftfahrtunternehmen, das sich … von seiner … Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste befreien möchte, sich grundsätzlich nicht darauf beschränken darf, den betroffenen Fluggästen eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel durch den nächsten Flug anzubieten, den es selbst durchführt und der am Tag nach dem ursprünglich vorgesehenen Ankunftstag am Ziel ankommt“(104).

123. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil festgestellt, dass „[d]ie Sorgfalt, die von dem Luftfahrtunternehmen verlangt wird, damit es sich von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreien kann, … voraus[setzt], dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche anderweitige Beförderung sicherzustellen. Dazu gehört die Suche nach anderen direkten oder indirekten Flügen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen, die derselben Fluggesellschaftsallianz angehören oder auch nicht, durchgeführt werden und mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommen“(105).

124. Nach Auffassung des Gerichtshofs ist „[s]omit … bei dem betreffenden Luftfahrtunternehmen nur dann, wenn kein Platz auf einem anderen direkten oder indirekten Flug verfügbar ist, der es dem betreffenden Fluggast ermöglicht, mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens an seinem Endziel anzukommen, oder wenn die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für das Luftfahrtunternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer darstellt, davon auszugehen, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, indem es den betreffenden Fluggast mit dem nächsten von ihm durchgeführten Flug anderweitig befördert hat“(106).

125. Aus diesem Urteil ergibt sich, dass das Luftfahrtunternehmen grundsätzlich verpflichtet ist, auch die Möglichkeit vorzusehen, eine anderweitige Beförderung auf direkten oder indirekten Flügen sicherzustellen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden, sofern die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für dieses Luftfahrtunternehmen angesichts seiner Kapazitäten kein „nicht tragbares Opfer“ darstellt, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

4.      Antwort auf die erste Vorlagefrage

126. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Streik der bei einem Luftfahrtunternehmen beschäftigten und für die Durchführung eines Flugs unerlässlichen Flugzeugpiloten in einem Ausmaß wie dem im Ausgangsverfahren(107) als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen ist, wenn er von Arbeitnehmerorganisationen nach Vorankündigung und im Einklang mit dem nationalen Recht als kollektive Maßnahme ausgerufen wurde, die dieses Luftfahrtunternehmen veranlassen soll, Gehälter zu erhöhen, Vorteile zu gewähren oder Beschäftigungsbedingungen zu ändern, um den Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen nachzukommen.

127. Unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist das Luftfahrtunternehmen verpflichtet, zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs zu verhindern. Es muss insbesondere alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Interessen und die der Fluggäste zu verteidigen, eine ausreichende Zeitreserve vorsehen, um etwaige unvorhergesehene Umstände aufzufangen, der Vorankündigung des von der Gewerkschaft ausgerufenen Streiks Rechnung tragen, seine materiellen und personellen Ressourcen organisieren, um eine Kontinuität des Betriebs zu gewährleisten, und den Zugang zu Flügen anderer, vom Streik nicht betroffener Fluggesellschaften erleichtern.

C.      Zweite Vorlagefrage

128. Mit seiner zweiten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, zur Beurteilung der Frage, ob ein Streik einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt, zu präzisieren, welche Bedeutung gegebenenfalls der Angemessenheit der von den Arbeitnehmerorganisationen gestellten Forderungen und insbesondere dem Umstand beizumessen ist, dass die geforderte Gehaltserhöhung deutlich über diejenigen hinausgeht, die auf den relevanten nationalen Arbeitsmärkten allgemein üblich sind.

129. In Anbetracht der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die erste Vorlagefrage halte ich eine Prüfung der zweiten Vorlagefrage nicht mehr für erforderlich. Die folgenden Ausführungen sollen daher nur der Vollständigkeit und Klarheit dienen.

130. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ich voll und ganz die von den Parteien des Ausgangsverfahrens vertretene Auffassung teile, dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, in der Sache zu prüfen, ob eine Forderung „angemessen“ ist oder nicht. Wenn der Gerichtshof oder ein nationales Gericht im Rahmen seiner Befassung mit einem Rechtsstreit über die Anwendung der Verordnung Nr. 261/2004 die jeweiligen Standpunkte der Sozialpartner zu beurteilen hätte, wäre die Gefahr einer Einmischung in deren Verhandlungen zu befürchten, was darauf hinausliefe, den Grundsatz der Tarifautonomie in Frage zu stellen. Wie in den vorliegenden Schlussanträgen ausgeführt, bedeutet diese Autonomie, dass es den Sozialpartnern obliegt, die Löhne und Arbeitsbedingungen frei auszuhandeln und festzulegen, ohne dass sich der Staat oder die Organe einmischen. Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof jedenfalls nicht über ausreichende Informationen verfügt, um sich zu dieser Frage fundiert äußern zu können(108).

131. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, von einer Beantwortung dieser Vorlagefrage abzusehen. So wird der Gerichtshof vermeiden, zugunsten einer Partei Stellung zu beziehen und damit Gefahr zu laufen, die Tarifautonomie der Sozialpartner in Frage zu stellen.

D.      Dritte Vorlagefrage

132. Mit der dritten Vorlagefrage soll geklärt werden, welche Bedeutung für die Beurteilung des Begriffs „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 gegebenenfalls dem Umstand beizumessen ist, dass das Luftfahrtunternehmen in der Absicht, einen Streik zu vermeiden, dem Schlichtungsvorschlag einer mit der Vermittlung von Tarifkonflikten betrauten nationalen Stelle annimmt, während die Arbeitnehmerorganisationen diesem Vorschlag nicht zustimmen.

133. In Anbetracht der vorgeschlagenen Antwort auf die erste Vorlagefrage halte ich es nicht für erforderlich, die dritte Vorlagefrage zu prüfen. Im Rahmen meiner Analyse werde ich jedoch der Vollständigkeit und Klarheit halber auf sie eingehen.

134. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Nutzen der verschiedenen Mechanismen zur Streitbeilegung, einschließlich der Mediation, nicht überschätzt werden darf. Diese Mechanismen stellen geeignete Mittel dar, die es den Sozialpartnern ermöglichen, eine Vereinbarung zu erzielen, die ihren Interessen Rechnung trägt(109). Meines Erachtens ist kaum zu bezweifeln, dass der Einsatz der Mediation in erster Linie als Geste guten Willens zu verstehen ist, die eine ernsthafte Bemühung zeigt, einen dauerhaften Kompromiss zu finden.

135. Nach dieser Klarstellung – und da die Rechtsordnung der Union ausdrücklich das Recht der Sozialpartner anerkennt, ihre Meinungsverschiedenheiten frei und gleichberechtigt durch Verhandlungen beizulegen(110) – wäre es meines Erachtens inkohärent, von ihnen zu verlangen, sich eines bestimmten Mechanismus zur Streitbeilegung zu bedienen. Es fällt vielmehr unter ihre Autonomie, den geeigneten Weg zu wählen, um zu einer Einigung zu gelangen, sowie einen Schlichtungsvorschlag nach Maßgabe ihrer jeweiligen Interessen anzunehmen (oder abzulehnen). Ihnen kann daher nicht vorgeworfen werden, diese Interessen auf eine Weise zu verfolgen, die ihnen am besten zusagt.

136. Gerade dieser weite Handlungsspielraum erklärt neben anderen Faktoren, warum der Streik sich als ein Ereignis erweist, das für die Sozialpartner, jeweils einzeln betrachtet, nicht „tatsächlich beherrschbar“ ist, wie ich bereits im Rahmen der Prüfung der für den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ maßgeblichen Kriterien erläutert habe(111). Da es jedem Sozialpartner freigestellt bleibt, eine vorgeschlagene Vereinbarung abzulehnen (und gegebenenfalls einen Gegenvorschlag zu unterbreiten), kann vernünftigerweise nicht behauptet werden, dass ein Streik als Ausdruck einer tiefgreifenden Uneinigkeit für das Luftfahrtunternehmen ein „beherrschbares“ Ereignis darstelle.

137. Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang auf eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gegenstand der zweiten Vorlagefrage hinweisen, weil die hier in Rede stehende Frage ganz offensichtlich darauf abzielt, den Gerichtshof zu ersuchen, sich in der Sache zur „Angemessenheit“ der Verhandlungsposition der Parteien zu äußern. Aus den Gründen, die ich bereits im Rahmen der Prüfung der zweiten Vorlagefrage dargelegt habe, sollte der Gerichtshof jedoch davon absehen, zugunsten der einen oder der anderen Partei Stellung zu nehmen.

138. Für den Fall, dass der Gerichtshof gleichwohl beschließen sollte, diese Vorlagefrage zu beantworten, möchte ich meine Vorbehalte gegenüber einem möglichen Ansatz zum Ausdruck bringen, der darin bestünde, das nationale Gericht aufzufordern, Kriterien anzuwenden, die mit der Haltung oder dem Verhalten der Sozialpartner vor und während des Streiks zusammenhängen(112). Meines Erachtens könnte diese Art von Kriterien eher zu einem zusätzlichen Unsicherheitsfaktor für die Rechtsprechungspraxis werden, weil diese Kriterien den Weg zu einer Kasuistik eröffnen würden, deren Entwicklung schwer vorherzusehen ist. Da die Einstellung oder das Verhalten der Sozialpartner nämlich je nach den auf dem Spiel stehenden Aspekten von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein kann, ist zu befürchten, dass der Ausgang eines bestimmten Rechtsstreits unvorhersehbar werden kann.

139. Für den Fall, dass der Gerichtshof diese Kriterien für relevant halten sollte, befürchte ich zudem, dass ein Zivilgericht, das einen Rechtsstreit wie den vorliegenden zu entscheiden hat, sich unweigerlich mit heiklen arbeitsrechtlichen Fragen konfrontiert sähe, die nicht in seine Zuständigkeit fallen. Müsste der Rechtsstreit hingegen vor ein auf das Arbeitsrecht spezialisiertes nationales Gericht gebracht werden, bestünde die Gefahr, dass dieses Gericht die Umstände der Rechtssache anders beurteilt als das Zivilgericht. Dies alles liefe aber gerade dem Ziel zuwider, das der Gerichtshof verfolgen sollte, nämlich der Festlegung objektiver Kriterien, die geeignet sind, die Rechtssicherheit zu fördern und voneinander abweichende gerichtliche Entscheidungen zu vermeiden(113). Da die vorliegende Rechtssache nur die Auslegung der Verordnung Nr. 261/2004 betrifft, ist davon abzuraten, sie mit Erwägungen zu befrachten, die zu einem anderen Rechtsgebiet, nämlich zum Arbeitsrecht, gehören.

140. Die vorstehenden Ausführungen sind umso relevanter, als die Verordnung Nr. 261/2004 als Rechtsakt der Union eine autonome Auslegung erfordert, um ihre einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Da erstens eine Reihe von arbeitsrechtlichen Aspekten, die im Rahmen der vorliegenden Rechtssache aufgeworfen werden, in die Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers fällt(114) und sich daher von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich unterscheiden kann und zweitens die einschlägigen Bestimmungen dieser Verordnung keinen Verweis auf das nationale Recht enthalten, vermag ich nicht zu erkennen, warum diese Aspekte als Kriterien für die Auslegung des Begriffs „außergewöhnlicher Umstand“ herangezogen werden sollten.

141. Aus den oben dargelegten Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, die dritte Vorlagefrage nicht zu beantworten.

VI.    Ergebnis

142. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Attunda tingsrätt (Gericht erster Instanz Attunda, Schweden) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

–        Ein Streik der bei einem Luftfahrtunternehmen beschäftigten und für die Durchführung eines Flugs unerlässlichen Flugzeugpiloten in einem Ausmaß wie dem im Ausgangsverfahren ist als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 anzusehen, wenn er von Arbeitnehmerorganisationen nach Vorankündigung und im Einklang mit dem nationalen Recht als kollektive Maßnahme ausgerufen wurde, die dieses Luftfahrtunternehmen veranlassen soll, Gehälter zu erhöhen, Vorteile zu gewähren oder Beschäftigungsbedingungen zu ändern, um den Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen nachzukommen.

–        Unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist das Luftfahrtunternehmen verpflichtet, zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs zu verhindern. Es muss insbesondere alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Interessen und die der Fluggäste zu verteidigen, eine ausreichende Zeitreserve vorsehen, um etwaige unvorhergesehene Umstände aufzufangen, der Vorankündigung des von der Gewerkschaft ausgerufenen Streiks Rechnung tragen, seine materiellen und personellen Ressourcen organisieren, um eine Kontinuität des Betriebs zu gewährleisten, und den Zugang zu Flügen anderer, vom Streik nicht betroffener Fluggesellschaften erleichtern.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2004, L 46, S. 1.


3      Urteil vom 17. April 2018, Krüsemann u. a. (C‑195/17, C‑197/17 bis C‑203/17, C‑226/17, C‑228/17, C‑254/17, C‑274/17, C‑275/17, C‑278/17 bis C‑286/17 und C‑290/17 bis C‑292/17, im Folgenden: Urteil Krüsemann, EU:C:2018:258).


4      Vgl. zur Einstufung eines Streiks der Belegschaft einer Fluggesellschaft als „außergewöhnlicher Umstand“: Deutschland (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. August 2012, Rechtssache X ZR 138/11), Vereinigtes Königreich (Urteil des West London County Court vom 17. April 2009, Rechtssache Rigby v. Iberia [2009] 4 WLUK 299), Polen (Urteil des Bezirksgerichts Warschau vom 5. April 2017, XXIII Ga 1889/16 und XXIII Gz 1360/16) und Tschechische Republik (Urteil des Stadtgerichts Prag vom 20. November 2019, Nr. 18 Co 300/2019). Gegen eine solche Einstufung: Frankreich (Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 24. September 2009, Rechtssachen 08‑18.177 und 08‑18.178), Niederlande (Urteil des Bezirksgerichts Rotterdam vom 2. Juni 2017, Rechtssache 5277790) und Italien (Urteil des Friedensgerichts Triest vom 17. September 2012, Rechtssache 668/2012). Diese Aufzählung ist sicherlich nicht abschließend, lässt aber bereits die Vielfalt der gerichtlichen Entscheidungen erkennen.


5      Siehe Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge.


6      Urteil vom 4. Oktober 2012 (C‑22/11, EU:C:2012:604).


7      Vgl. Urteil vom 4. Oktober 2012, Finnair (C‑22/11, EU:C:2012:604, Rn. 33, 37, 38 und 40), und Schlussanträge des Generalanwalts Bot in jener Rechtssache (EU:C:2012:223, Nrn. 49 und 55).


8      Siehe Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge.


9      Urteile vom 5. September 2019, Verein für Konsumenteninformation (C‑28/18, EU:C:2019:673, Rn. 25), vom 26. Februar 2019, Rimšēvičs und EZB/Lettland (C‑202/18 und C‑238/18, EU:C:2019:139, Rn. 45), und vom 17. April 2018, Egenberger (C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 44).


10      Hervorhebung nur hier.


11      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in den verbundenen Rechtssachen X und Visser (C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2017:397, Nr. 132).


12      Urteil vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann (C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 23). Hervorhebung nur hier.


13      Urteil Krüsemann (Rn. 34).


14      Urteil vom 17. September 2015, van der Lans (C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 42).


15      Urteile vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 37), vom 12. März 2020, Finnair (C‑832/18, EU:C:2020:204, Rn. 38), und vom 4. April 2019, Germanwings (C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 20).


16      Urteil vom 22. Dezember 2008 (C‑549/07, EU:C:2008:771).


17      Urteil vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann (C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 24 und 25).


18      Urteil vom 17. September 2015, (C‑257/14, EU:C:2015:618).


19      Urteil vom 17. September 2015, van der Lans (C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 41 und 42).


20      Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann (C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 26), und vom 17. September 2015, van der Lans (C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 38).


21      Immerhin gehört der Grundsatz, dass „niemand zu etwas Unmöglichem verpflichtet ist“ („impossibilium nulla obligatio est“), zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts (vgl. Urteile vom 6. November 2018, Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Kommission/Ferracci, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 79, und vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 42).


22      Urteil vom 4. Mai 2017 (C‑315/15, EU:C:2017:342).


23      Urteil vom 4. April 2019 (C‑501/17, EU:C:2019:288).


24      Urteil vom 26. Juni 2019 (C‑159/18, EU:C:2019:535).


25      Siehe Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge.


26      Vgl. hierzu Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2018 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit sowie zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2111/2005, (EG) Nr. 1008/2008, (EU) Nr. 996/2010, (EU) Nr. 376/2014 und der Richtlinien 2014/30/EU und 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 552/2004 und (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates (ABl. 2018, L 212, S. 1), in der u. a. grundlegende Anforderungen an das fliegende Personal (Anhang IV) und den Flugbetrieb (Anhang V) festgelegt sind. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass das fliegende Personal über eine ausreichende fachliche Befähigung (sowohl in theoretischer als auch praktischer Hinsicht) sowie über die flugmedizinische Tauglichkeit für die zufriedenstellende Ausführung seiner Aufgaben verfügen muss.


27      Vgl. u. a. Richtlinie 2000/79/EG des Rates vom 27. November 2000 über die Durchführung der von der Vereinigung Europäischer Fluggesellschaften (AEA), der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF), der European Cockpit Association (ECA), der European Regions Airline Association (ERA) und der International Air Carrier Association (IACA) geschlossenen Europäischen Vereinbarung über die Arbeitszeitorganisation für das fliegende Personal der Zivilluftfahrt (ABl. 2000, L 302, S. 57), die Beschränkungen und Mindeststandards einschließlich Bestimmungen über bezahlten Jahresurlaub festlegt, sowie Verordnung (EU) Nr. 83/2014 der Kommission vom 29. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf den Flugbetrieb gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 28, S. 17), in der die Anforderungen festgelegt sind, die jeder gewerbliche Luftverkehrsbetreiber und seine Besatzungsmitglieder in Bezug auf Flug- und Dienstzeitbeschränkungen und Ruhevorschriften für Besatzungsmitglieder einzuhalten haben.


28      Hervorhebung nur hier.


29      Siehe Nrn. 24 und 25 der vorliegenden Schlussanträge.


30      Siehe Nrn. 35 und 39 der vorliegenden Schlussanträge.


31      Siehe Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge.


32      In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Finnair (C‑22/11, EU:C:2012:223, Nrn. 53 und 55), die einen Streik des Flughafenpersonals betraf, hat Generalanwalt Bot ausgeführt, dass der Streik dem Luftfahrtunternehmen nicht zugerechnet werden könne, weil es keinen Einfluss auf dieses Ereignis habe. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Vorschlag der Kommission vom 13. März 2013 für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 261/2004 (COM[2013] 130 final) eine nicht erschöpfende Liste von Umständen enthält, die als „außergewöhnlich“ anzusehen sind, in der u. a. „Arbeitsstreitigkeiten [bei] den Erbringern grundlegender Dienstleistungen wie Flughäfen und Flugsicherungsorganisationen“ erwähnt werden, was die hier vertretene Auslegung zu stützen scheint. Dies vorausgeschickt, stelle ich fest, dass „Arbeitsstreitigkeiten beim ausführenden Luftfahrtunternehmen“, d. h. eine Situation wie die in der vorliegenden Rechtssache, diesen Fallgestaltungen gleichgestellt werden.


33      Siehe Nrn. 66 bis 69 der vorliegenden Schlussanträge.


34      Siehe Nrn. 70 bis 76 der vorliegenden Schlussanträge.


35      Siehe Nrn. 77 bis 81 der vorliegenden Schlussanträge.


36      Siehe Nrn. 82 bis 92 der vorliegenden Schlussanträge.


37      Siehe Nr. 92 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Siehe Nr. 57 der vorliegenden Schlussanträge.


39      Vgl. in diesem Sinne Herrmann, C., „Entschädigung der Fluggäste bei ‚wildem Streik‘ – das TUIfly-Urteil des EuGH vom 17.4.2018“, Reise-Recht aktuell: Zeitschrift für das Tourismusrecht, 2018, S. 102, sowie Croon, J., und Callaghan, J. A., „‚Wild Cat‘ Ruling by the European Court of Justice“, Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht, 2018, Nr. 4, S. 601, die vermuten, dass die Argumentation des Gerichtshofs von der Prämisse ausgeht, dass das Luftfahrtunternehmen die Folgen seines Handelns tragen muss, weil es in der Regel das mit der Führung des Unternehmens verbundene wirtschaftliche Risiko zu tragen hat.


40      Vgl. Nr. 74 meiner Schlussanträge in der Rechtssache EPSU/Kommission (C‑928/19 P, EU:C:2021:38).


41      Mitteilung der Kommission „Der europäische soziale Dialog, Determinante für Modernisierung und Wandel“ (KOM[2002] 341 endgültig vom 26. Juni 2002, S. 6).


42      Diese Bestimmung gilt für die Union und über Art. 13 EUV auch für alle Organe. Hervorhebung nur hier.


43      C‑67/96, C‑115/97 und C‑219/97, EU:C:1999:28, Nr. 181.


44      Nach Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1999, S. 28, Rn. 72, müssen „[v]erfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter … einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. [B]eiden Gütern müssen Grenzen gezogen werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können.“ Vgl. auch Alexy, R., „Constitutional Rights and Proportionality“, Journal for constitutional theory and philosophy of law, 2014, Nr. 22, S. 51, der die Auffassung vertritt, dass bestimmte Grundrechte „Grundsätze [sind], die gegeneinander abgewogen werden müssen, damit sie unter Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten so weit wie möglich verwirklicht werden können“.


45      Hervorhebung nur hier.


46      Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich (C-283/11, EU:C:2013:28, Rn. 45).


47      Vgl. Urteile vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google (C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 68), vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 69), vom 11. September 2014, A (C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 51), und vom 25. Mai 2016, Meroni (C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 45).


48      Urteil vom 11. Dezember 2007 (C‑438/05, EU:C:2007:772).


49      Urteil vom 11. Dezember 2007, International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 47).


50      Urteil vom 11. Dezember 2007, International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 74).


51      Urteil vom 11. Dezember 2007, International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 77).


52      Urteil vom 11. Dezember 2007, International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 78 und 79).


53      Urteil vom 24. November 2011 (C‑70/10, EU:C:2011:771).


54      Urteil vom 16. Februar 2012 (C‑360/10, EU:C:2012:85).


55      Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 43), und vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 41).


56      Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 44), und vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 42).


57      Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 46), und vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 43 und 44).


58      Everson, M., und Correia Gonçalves, R, The EU Charter of Fundamental Rights – A Commentary (Peers, Hervey, Kenner, Ward) Oxford 2014, Art. 16, S. 455, Rn. 16.40, unterstreichen die Bedeutung dieser Urteile, weil sie den nationalen Gerichten die Verpflichtung auferlegten, das Recht auf Eigentum gegen die unternehmerische Freiheit abzuwägen, was zur Folge habe, die unternehmerische Freiheit in eine privatrechtliche Verpflichtung oder ein subjektives Recht umzuwandeln.


59      Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 50), und vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 48).


60      Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 48), und vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 46).


61      Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 54), und vom 16. Februar 2012, SABAM (C‑360/10, EU:C:2012:85, Rn. 52).


62      Urteil vom 31. Januar 2013 (C‑12/11, EU:C:2013:43).


63      Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 60).


64      Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 61).


65      Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 62).


66      Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 63).


67      Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 64). Hervorhebung nur hier.


68      Vgl. Urteile vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 52), vom 19. November 2009, Sturgeon u. a. (C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 67), sowie vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a. (C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 39).


69      Vgl. in diesem Sinne Kučko, M., „The decision in TUIfly: are the Ryanair Strikes to be seen as extraordinary circumstances?“, Air and Space Law, 06/2019, Bd. 44, Nr. 3, S. 334, die die Ansicht vertritt, dass ein solches Ergebnis zwar die Rechte der Fluggäste stärken würde, aber für die Fluggesellschaften nicht wünschenswert wäre, weil es den Gewerkschaften einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen könnte. Die Aussicht, zusätzlich zu den während der Dauer des Streiks aufgelaufenen Verlusten Ausgleichszahlungen an die Fluggäste leisten zu müssen, könnte die Fluggesellschaften dazu zwingen, allen (auch überzogenen) Forderungen der Gewerkschaften nachzugeben; vgl. Flöthmann, M., „Verbraucherschutz: Ausgleichszahlungen nach Flugausfall trotz ‚wilden Streiks‘ des Flugpersonals“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2018, S. 461, der die Gefahr sieht, dass die Arbeitnehmer dadurch ermutigt werden könnten, kollektive Maßnahmen gegen die Luftfahrtunternehmen zu ergreifen, um sie zu zwingen, ihren Forderungen nachzukommen.


70      Einige Beteiligte haben darauf hingewiesen, dass das nationale Recht den Anspruch auf Schadensersatz von der Voraussetzung eines „Verschuldens“ („Vorsatz“ oder „Fahrlässigkeit“) in Bezug auf den verursachten Schaden abhängig mache. Sie haben ferner geltend gemacht, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer aufgrund seiner Vertragsautonomie grundsätzlich auf die im Vertrag enthaltenen Freistellungsklauseln berufen oder den Vertrag mit seinem Geschäftspartner neu aushandeln könne.


71      Urteile vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška (C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 36), vom 17. September 2015, van der Lans (C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 46), sowie vom 19. November 2009, Sturgeon u. a. (C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 68).


72      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Finnair (C‑22/11, EU:C:2012:223, Nr. 56), in denen er diese Lösung vorgeschlagen hat. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich diese Rechtssache erstens von der vorliegenden unterscheidet, weil sie einen Streik des Flughafenpersonals (und nicht des Personals des Luftfahrtunternehmens auf Initiative einer Gewerkschaft) betraf, und zweitens der Generalanwalt lediglich ausgeführt hat, dass ein solches Recht nach dem anwendbaren nationalen Recht grundsätzlich bestehen könne.


73      Vgl. in diesem Sinne Wendeling-Schröder, U., „Schadensersatz drittbetroffener Unternehmen bei Streiks?“, Arbeit und Recht, 03/2017, Bd. 65, Nr. 3, S. 96, und Unterschütz, J., „Strike and Remedies for Unlawful Strikes in the Legal System of Poland, Hungary, and Slovakia“, International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations, 2014, Bd. 30, Nr. 3, S. 335, die im Hinblick auf das deutsche, das polnische, das ungarische und das slowakische Recht erläutern, dass ein Anspruch auf Schadensersatz nur als Folge rechtswidriger Streiks oder rechtswidriger Handlungen bei Gelegenheit eines Streiks besteht.


74      Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich (C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 42).


75      Vgl. in diesem Sinne Gernigon, B., Odero, A., und Guido, H., ILO principles concerning the right to strike, Genf 2000, S. 42, die darauf hinweisen, dass das Streikrecht kein absolutes Recht ist und seine Ausübung mit anderen Grundrechten von Bürgern und Arbeitgebern vereinbar sein sollte. Die nationalen Rechtsvorschriften sehen in der Regel Sanktionen für derartige Missbräuche vor, die je nach Schwere der sich aus diesen Missbräuchen ergebenden Folgen von einer Entlassung bis hin zu finanziellen oder strafrechtlichen Sanktionen unterschiedlicher Art reichen können.


76      Vgl. in diesem Sinne Everson, M., und Correia Gonçalves, R., The EU Charter of Fundamental Rights – A Commentary, (Peers, Hervey, Kenner, Ward) Oxford 2014, Art. 16, S. 459, Rn. 16.52, die darauf aufmerksam machen, dass die unternehmerische Freiheit eng mit dem Recht auf Eigentum und dem Recht auf Arbeit verbunden ist, so dass sie als „existenzielles Recht“ angesehen werden muss.


77      Siehe Nrn. 64 und 86 der vorliegenden Schlussanträge.


78      Vgl. Nrn. 108 bis 111 (zur Rechtmäßigkeit eines Streiks) und Nrn. 114 bis 116 (zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der dem Streik vorausgegangenen Vorankündigung) der vorliegenden Schlussanträge.


79      Urteil Krüsemann (Rn. 47).


80      Siehe Nrn. 40 und 64 der vorliegenden Schlussanträge.


81      Siehe Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge.


82      Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 57).


83      Urteile vom 26. Juni 2019, Moens (C‑159/18, EU:C:2019:535, Rn. 27), und vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška (C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 30).


84      Urteile vom 26. Juni 2019, Moens (C‑159/18, EU:C:2019:535, Rn. 27), und vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška (C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 43).


85      Vgl. Urteil vom 26. Februar 2013, Folkerts (C‑11/11, EU:C:2013:106, Rn. 35 und 47).


86      Vgl. Nrn. 67 und 68 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:135).


87      Siehe Nr. 92 der vorliegenden Schlussanträge.


88      Siehe Nr. 94 der vorliegenden Schlussanträge.


89      Vgl. in diesem Sinne Jarec, W., „Eindeutiges und Widersprüchliches im Urteil des EuGH in der Rs Krüsemann ua/TUIfly“, Ecolex, 2019, Nr. 1, S. 102.


90      Vgl. Krebber, S., EUV/AEUV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta. Kommentar (Calliess/Ruffert), 4. Aufl., Art. 28 C.H. Beck, München 2011, S. 2903, Rn. 3.


91      Vgl. in diesem Sinne Barnard, C., The EU Charter of Fundamental Rights – A Commentary (Peers, Hervey, Kenner, Ward), Oxford 2014, Art. 28, S. 792, § 28.57.


92      Hervorhebung nur hier.


93      Hervorhebung nur hier.


94      Vgl. in diesem Sinne Lembke, U., Europäisches Unionsrecht Kommentar (Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze/Armin Hatje), 7. Aufl., 2015, Nomos, Baden-Baden, Bd. 1, Art. 28 GRCh, S. 682, Rn. 15.


95      Vgl. hierzu Krebber, S., EUV/AEUV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta. Kommentar (Calliess/Ruffert), 4. Aufl., C.H. Beck, München 2011, Art. 28 GRCh, S. 2903, Rn. 8.


96      Vgl. hierzu meine Schlussanträge in der Rechtssache Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:135, Nr. 72).


97      Urteil vom 12. Mai 2011,(C‑294/10, EU:C:2011:303, Rn. 28).


98      Siehe Nr. 93 der vorliegenden Schlussanträge.


99      Siehe Nr. 51 der vorliegenden Schlussanträge.


100      Urteil vom 4. April 2019, Germanwings (C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier.


101      Vgl. in diesem Sinne Flöthmann, M., „Verbraucherschutz: Die Ausgleichszahlungen nach Flugausfall trotz wilden Streiks des Flugpersonals“, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2018, S. 461, wonach von einem Luftfahrtunternehmen erwartet werden kann, dass es über ausreichendes Personal verfügt, um seine Tätigkeiten sicherzustellen.


102      Siehe Nr. 111 der vorliegenden Schlussanträge.


103      Urteil vom 11. Juni 2020, (C‑74/19, EU:C:2020:460).


104      Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 58). Hervorhebung nur hier.


105      Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 59). Hervorhebung nur hier.


106      Urteil vom 11. Juni 2020, Transportes Aéreos Portugueses (C‑74/19, EU:C:2020:460, Rn. 60).


107      Siehe Nr. 54 der vorliegenden Schlussanträge.


108      Siehe Nr. 68 der vorliegenden Schlussanträge.


109      García, A., Romero Pender, E., Medina, F., und Euwema, M., „Mediation in Collective Labor Conflicts“, Industrial Relations & Conflict Management, 2019, S. 5 und 10, erläutern, dass kollektive Arbeitskonflikte ein unvermeidlicher Teil des Lebens in einer Gesellschaft sind. Spannungen zwischen den Interessen und Rechten der Beschäftigten, der Unternehmensleitung und der Eigentümer als Anteilseigner oder Amtsträger können leicht zerstörerische Ausmaße annehmen. Aus diesem Grund entwickeln die Gesellschaften rechtliche Rahmenbedingungen für die Beilegung dieser Konflikte. Eines der Instrumente zur Beilegung von Streitigkeiten ist die Mediation, die sich als jegliche Unterstützung der Parteien durch Dritte definieren lässt, die ihnen helfen soll, eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden, ihn zu beenden und Verhandlungslösungen zu finden.


110      Siehe Nr. 71 der vorliegenden Schlussanträge.


111      Siehe Nr. 90 der vorliegenden Schlussanträge.


112      Kriterien wie etwa die „konstruktive und dialogbereite Haltung der Sozialpartner“ oder die „Bereitschaft, einen Mediator in Anspruch zu nehmen“.


113      Siehe Nr. 32 der vorliegenden Schlussanträge.


114      Siehe Nr. 93 der vorliegenden Schlussanträge.