Language of document : ECLI:EU:T:2010:499

Rechtssache T-49/07

Sofiane Fahas

gegen

Rat der Europäischen Union

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Einfrieren von Geldern – Nichtigkeitsklage – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Begründung – Schadensersatzklage“

Leitsätze des Urteils

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss über das Einfrieren von Geldern bestimmter Personen und Organisationen, die terroristischer Handlungen verdächtigt werden – Beschluss, mit dem die Liste der erfassten Personen, Vereinigungen oder Körperschaften überprüft und ergänzt wird, ohne den früheren Beschluss aufzuheben – Klage einer Person, die in diesem Beschluss nicht genannt ist – Zulässigkeit

(Art. 263 AEUV; Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 6; Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates, Art. 2 Abs. 3; Beschlüsse Nr. 2006/379 und Nr. 2006/1008 des Rates)

2.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beschluss über das Einfrieren von Geldern bestimmter Personen und Organisationen, die terroristischer Handlungen verdächtigt werden – Beschluss, mit dem die Liste der erfassten Personen, Vereinigungen oder Körperschaften überprüft wird und einige Personen auf dieser Liste belassen werden

(Art. 296 AEUV, Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 6; Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates, Art. 2 Abs. 3)

3.      Unionsrecht – Grundsätze – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Beschluss über das Einfrieren von Geldern bestimmter Personen und Organisationen, die terroristischer Handlungen verdächtigt werden – Beschluss, mit dem die Liste der erfassten Personen, Vereinigungen oder Körperschaften überprüft wird und einige Personen auf dieser Liste belassen werden – Gerichtliche Überprüfung durch den Unionsrichter – Voraussetzungen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Gemeinsamer Standpunkt 2001/931 des Rates, Art. 1 Abs. 6; Verordnung Nr. 2580/2001 des Rates, Art. 2 Abs. 3)

1.      Der Beschluss 2006/1008 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus hebt den Beschluss 2006/379 nicht auf, sondern fügt der mit diesem Beschluss erstellten Liste bestimmte Namen und Körperschaften hinzu.

Daher ist die Zulässigkeit einer Klage gegen den Beschluss 2006/1008, die von einer in diesem Beschluss nicht ausdrücklich genannten Person erhoben wurde, vor allem im Licht zweier Erwägungen zu beurteilen. Erstens muss der Rat die Liste von Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind, gemäß Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 und Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus mindestens einmal pro Halbjahr überprüfen. Zweitens ergibt sich aus dem zweiten Erwägungsgrund des Beschlusses 2006/1008, dass dieser die mit dem Beschluss 2006/379 erstellte Liste ergänzt, ohne sie aufzuheben. Darin kommt der Wille des Rates zum Ausdruck, die Personen, deren Namen im Beschluss 2006/379 aufgeführt sind, auf der streitigen Liste zu belassen, was zur Folge hat, dass ihre Gelder weiter eingefroren bleiben. Eine im Beschluss 2006/379 genannte Person ist folglich auch in Bezug auf den Beschluss 2006/1008 als unmittelbar und individuell betroffen und ihre Klage gegen diesen Beschluss als zulässig anzusehen.

(vgl. Randnrn. 34-36)

2.      Sowohl die Begründung eines Ausgangsbeschlusses über das Einfrieren von Geldern als auch die Begründung der Folgebeschlüsse müssen sich nicht nur auf die rechtlichen Voraussetzungen der Anwendung der Verordnung Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere das Vorliegen eines nationalen Beschlusses einer zuständigen Behörde, beziehen, sondern auch auf die besonderen und konkreten Gründe, aus denen der Rat in Ausübung seines Ermessens annimmt, dass der Betroffene einer Maßnahme des Einfrierens von Geldern zu unterwerfen ist.

Gemäß Art. 1 Abs. 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, auf den auch Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 verweist, wird die Überprüfung der Situation des Betroffenen, die vor Erlass der Folgebeschlüsse über das Einfrieren von Geldern durchgeführt werden muss, mit dem Ziel vorgenommen, sich zu vergewissern, dass sein Belassen auf der Liste von Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind, gegebenenfalls auf der Grundlage neuer Informationen oder Beweise nach wie vor gerechtfertigt ist. Sind die Gründe für einen Folgebeschluss über das Einfrieren von Geldern im Wesentlichen die gleichen wie diejenigen, die schon in einem früheren Beschluss geltend gemacht worden sind, kann jedoch eine einfache Erklärung dazu ausreichen, insbesondere wenn es sich bei dem Betroffenen um eine Vereinigung oder Körperschaft handelt.

Da der Rat zudem über ein weites Ermessen bei der Beurteilung der Umstände verfügt, die beim Erlass oder bei der Aufrechterhaltung einer Maßnahme des Einfrierens von Geldern zu berücksichtigen sind, kann nicht verlangt werden, dass er spezifischer angibt, inwieweit das Einfrieren der Gelder einer von einer solchen Maßnahmen betroffenen Person konkret zur Bekämpfung des Terrorismus beiträgt, oder Beweise dafür liefert, dass der Betroffene seine Mittel zur Begehung oder Erleichterung künftiger terroristischer Handlungen nutzen könnte.

(vgl. Randnrn. 53-55, 57)

3.      Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt und in den Art. 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist; er ist im Übrigen auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden.

Insoweit setzt die Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle – die sich u. a. auf die Rechtmäßigkeit der Gründe erstrecken können muss, auf die die Aufnahme des Namens einer Person oder einer Körperschaft in die dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus als Anhang angefügte Liste gestützt ist, die zur Folge hat, dass der Betroffene einer Reihe restriktiver Maßnahmen unterworfen wird – voraus, dass die betreffende Gemeinschaftsbehörde der betroffenen Person oder Körperschaft diese Gründe so weit wie möglich entweder in dem Zeitpunkt, in dem die Aufnahme in die Liste beschlossen wird, oder zumindest schnellstmöglich im Anschluss daran mitteilt, um den Betroffenen eine fristgemäße Ausübung ihres Klagerechts zu ermöglichen.

Hinsichtlich der Folgebeschlüsse über das Einfrieren von Geldern, die der Rat im Rahmen der in Art. 1 Abs. 6 des genannten Gemeinsamen Standpunkts vorgesehenen, mindestens einmal pro Halbjahr stattfindenden regelmäßigen Überprüfung fasst, ob der Verbleib der Betroffenen auf der streitigen Liste gerechtfertigt ist, ist es nicht mehr notwendig, einen Überraschungseffekt zu wahren, um die Wirksamkeit der Sanktionen zu gewährleisten. Vor jedem Folgebeschluss über das Einfrieren von Geldern muss deshalb erneut die Möglichkeit einer Anhörung bestehen und sind gegebenenfalls die neuen zur Last gelegten Unstände mitzuteilen.

(vgl. Randnrn. 59-60)