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BESCHLUSS DER PRÄSIDENTIN DER SIEBTEN KAMMER DES GERICHTS

20. März 2024(*)

„Streithilfe – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Repräsentativer Branchenverband“

In der Rechtssache T‑348/23,

Zalando SE mit Sitz in Berlin (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte R. Briske und K. Ewald sowie Rechtsanwältinnen L. Schneider und J. Trouet,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P.‑J. Loewenthal und L. Wildpanner als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäisches Parlament, vertreten durch U. Rösslein und M. Menegatti als Bevollmächtigte,

und durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch E. Sitbon, N. Brzezinski und M. Moore als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DIE PRÄSIDENTIN DER SIEBTEN KAMMER DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

1        Die Klägerin, die Zalando SE, beantragt mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV die Nichtigerklärung der Entscheidung K(2023) 2727 final der Kommission vom 25. April 2023 zur Benennung von Zalando als sehr große Online-Plattform gemäß Artikel 33 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (Gesetz über digitale Dienste) (ABl. 2022, L 277, S. 1).

2        Mit Schriftsatz, der am 24. Oktober 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Bundesverband E‑Commerce und Versandhandel Deutschland e. V. (im Folgenden: BEVH) einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kommission gestellt.

3        Mit Schriftsätzen, die am 20. November 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, hat die Klägerin ausgeführt, dass das Gericht dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe des BEVH stattgeben sollte, und die Europäische Kommission mitgeteilt, dass das Gericht diesen Antrag zurückweisen sollte.

4        Gemäß Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, können alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines Rechtsstreits glaubhaft machen, dem Rechtsstreit beitreten, sofern es sich nicht um einen Rechtsstreit zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Europäischen Union oder zwischen Mitgliedstaaten und Organen der Union handelt.

5        Der Begriff des berechtigten Interesses am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nach dem Gegenstand des Rechtsstreits selbst zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Klageanträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln. Denn unter dem „Ausgang“ des Rechtsstreits ist die beim angerufenen Gericht beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des Urteils niederschlagen würde. Insbesondere ist zu prüfen, ob der Streithelfer von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen ist und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist (Beschluss vom 6. April 2006, An Post/Deutsche Post und Kommission, C‑130/06 P[I], nicht veröffentlicht, EU:C:2006:248, Rn. 8).

6        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann jedoch auch ein repräsentativer Branchenverband bzw. Berufsverband, dessen Zweck der Schutz der Interessen seiner Mitglieder ist, zur Streithilfe zugelassen werden, wenn der Rechtsstreit Grundsatzfragen aufwirft, die sich auf diese Interessen auswirken können. Folglich muss das Erfordernis, dass ein solcher Verband ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat, als erfüllt angesehen werden, wenn der Verband nachweist, dass er sich in einer solchen Situation befindet, und zwar unabhängig davon, ob der Ausgang des Rechtsstreits eine Änderung der Rechtsstellung des Verbands als solchen zu bewirken vermag (vgl. Beschluss vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung).

7        So kann ein Verband zur Streithilfe zugelassen werden, wenn er erstens eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen, die in dem betreffenden Sektor tätig sind, repräsentiert, wenn zweitens sein Verbandszweck den Schutz der Interessen seiner Mitglieder umfasst, wenn drittens die Rechtssache Grundsatzfragen aufwerfen kann, die das Funktionieren des betreffenden Sektors berühren, und wenn viertens die Interessen seiner Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maß beeinträchtigt werden können (Beschlüsse vom 10. März 2023, Illumina/Kommission, C‑611/22 P, EU:C:2023:205, Rn. 10, und vom 21. Juli 2023, WhatsApp Ireland/Europäischer Datenschutzausschuss, C‑97/23 P, EU:C:2023:608, Rn. 15).

8        Im vorliegenden Fall macht der BEVH geltend, dass jede der vier oben in Rn. 7 genannten Voraussetzungen hier erfüllt sei.

9        Als Erstes bringt der BEVH vor, dass ihm mit Stand zum 1. Oktober 2023 433 der in Deutschland im Online- oder Versandhandel tätigen Unternehmen als Mitglieder angehörten und ihm weitere 130 Unternehmen angeschlossen seien. Er führt, ohne dass ihm die Kommission widerspricht, aus, dass er somit Unternehmen vertrete, deren Umsatz 90 % des E‑Commerce-Umsatzes zwischen Unternehmen und Verbrauchern in Deutschland entspreche.

10      Unter diesen Umständen erfüllt der BEVH, wie im Übrigen die Kommission im Wesentlichen anerkennt, die erste oben in Rn. 7 genannte Voraussetzung, nämlich, dass er eine beträchtliche Anzahl von Unternehmen, die in dem betreffenden Sektor tätig sind, repräsentiert.

11      Als Zweites macht der BEVH geltend, dass aus seiner Verbandssatzung hervorgehe, dass sein Zweck den Schutz der Interessen seiner Mitglieder umfasse.

12      Gemäß § 2 der Verbandssatzung des BEVH hat dieser „die Aufgabe, die gemeinsamen ideellen, rechtlichen, wirtschaftlichen, arbeitsmarkt- sowie sozialpolitischen Interessen seiner Mitglieder … national und international zu wahren und zu fördern“. Folglich ist festzustellen, dass der BEVH die zweite oben in Rn. 7 genannte Voraussetzung erfüllt, was die Kommission im Übrigen nicht bestreitet.

13      Als Drittes trägt der BEVH vor, dass die Verordnung 2022/2065 eine Reihe von Bestimmungen enthalte, die darauf abzielten, ein sichereres Online-Umfeld für Verbraucher und Unternehmen in der Union zu schaffen. Daraus folgert er, dass die vorliegende Rechtssache, da die Klägerin die Rechtswidrigkeit mehrerer Bestimmungen dieser Verordnung geltend mache, Grundsatzfragen aufwerfe, die das Funktionieren des betreffenden Sektors berührten.

14      Insoweit ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des BEVH festzustellen, dass zum einen Online-Plattformen dann als sehr große Online-Plattformen im Sinne von Art. 33 der Verordnung 2022/2065 benannt werden, wenn sie eine durchschnittliche monatliche Zahl von mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern haben, und dass zum anderen die Anbieter dieser sehr großen Online-Plattformen zusätzlichen Verpflichtungen unterliegen, die nicht für die anderen Anbieter von Online-Plattformen gelten.

15      Indem die Klägerin im Rahmen der Klagegründe 2 bis 4 die Rechtswidrigkeit einiger Bestimmungen von Art. 33 der Verordnung 2022/2065 geltend macht, wirft sie in der vorliegenden Rechtssache somit die Frage nach dem Anwendungsbereich der Verpflichtungen von sehr großen Online-Plattformen auf. Eine solche Frage ist eine Grundsatzfrage, die den betreffenden Sektor berührt, was die Kommission im Übrigen nicht bestreitet. Daher ist festzustellen, dass die dritte oben in Rn. 7 genannte Voraussetzung erfüllt ist.

16      Als Viertes macht der BEVH geltend, dass sich das zu erlassende Urteil in erheblichem Maß auf die Interessen seiner Mitglieder auswirken könne. Dabei handele es sich sowohl um die „Gruppe von Mitgliedern“, die bereits den Verpflichtungen für sehr große Online-Plattformen im Sinne von Art. 33 der Verordnung 2022/2065 unterlägen, als auch um andere Mitglieder, die die Anwendung dieser Verpflichtungen antizipieren müssten, da ihre Online-Plattformen in Zukunft die durchschnittliche monatliche Zahl von aktiven Nutzern für eine Benennung als sehr große Online-Plattformen erreichen könnten. Zudem könne sich das Gericht in diesem Urteil veranlasst sehen, den in Art. 24 Abs. 2 der Verordnung genannten Begriff des aktiven Nutzers klarzustellen. Die letztgenannte Bestimmung gelte für alle Anbieter von Online-Plattformen und nicht nur für Anbieter sehr großer Online-Plattformen.

17      Die Kommission entgegnet, dass der BEVH nicht nachweise, dass die Interessen seiner Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maß beeinträchtigt werden könnten. Nur zwei Mitglieder des BEVH, darunter die Klägerin, seien Anbieter sehr großer Online-Plattformen im Sinne von Art. 33 der Verordnung 2022/2065, und diese beiden Mitglieder hätten jeweils Klage gegen die Entscheidungen erhoben, mit denen ihre jeweilige Online-Plattform als sehr große Online-Plattform benannt worden sei. Somit wolle der BEVH mit seinem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe nur das Interesse dieser Mitglieder vertreten, die bereits durch ihre jeweilige Klage ihre eigenen Interessen verträten. Zudem betreffe die Frage der Auslegung des Begriffs „aktiver Nutzer“ nur die Anwendung des Schwellenwerts nach Art. 33 Abs. 1 der Verordnung 2022/2065 auf eine bestimmte Online-Plattform und nicht den Anwendungsbereich der Verordnung.

18      Insoweit wird erstens nicht bestritten, dass mit Blick auf die Klagegründe 2 bis 4 das zu erlassende Urteil die Anbieter sehr großer Online-Plattformen möglicherweise in erheblichem Maß beeinträchtigen kann.

19      Insbesondere trifft es zwar zu, dass der BEVH neben der Klägerin nur einen einzigen Anbieter sehr großer Online-Plattformen unter seinen Mitgliedern namentlich bezeichnet hat, doch hat er klargestellt, dass es sich nur um ein „Beispiel“ handele. Des Weiteren hat er diejenigen seiner Mitglieder, die Anbieter sehr großer Online-Plattformen sind, als „Gruppe“ eingestuft und angegeben, dass er 90 % des E‑Commerce-Umsatzes zwischen Unternehmen und Verbrauchern in Deutschland repräsentiere. Aus den Akten geht somit nicht hervor, dass der BEVH unter seinen Mitgliedern nur zwei Anbieter von sehr großen Online-Plattformen hätte.

20      Zweitens ergibt sich aus Art. 24 Abs. 2 und aus Art. 33 Abs. 4 der Verordnung 2022/2065, dass die Anbieter von Online-Plattformen für die Zwecke ihrer etwaigen Benennung als sehr große Online-Plattformen mindestens alle sechs Monate Informationen über die durchschnittliche monatliche Zahl der aktiven Nutzer dieser Plattformen veröffentlichen. Daraus folgt, dass die Verordnung die häufige Benennung neuer sehr großer Online-Plattformen vorsieht, so dass sich die Liste dieser sehr großen Online-Plattformen regelmäßig ändern kann.

21      Des Weiteren macht die Klägerin mit ihrem zweiten Klagegrund die Rechtswidrigkeit von Art. 33 Abs. 1 der Verordnung 2022/2065 geltend, indem sie vorbringt, dass der in Art. 3 Buchst. p der Verordnung definierte Begriff „aktiver Nutzer einer Online-Plattform“ nicht hinreichend genau sei. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass, wie der BEVH zutreffend geltend macht und wie die Kommission anerkennt, sich das Gericht in dem zu erlassenden Urteil veranlasst sehen könnte, diesen Begriff klarzustellen. Wie oben aus Rn. 20 hervorgeht, könnte eine solche Klarstellung es den Anbietern von Online-Plattformen ermöglichen, zu bestimmen, ob sie als sehr große Online-Plattformen zu benennen sind.

22      Daher macht der BEVH zu Recht geltend, dass sich das zu erlassende Urteil in erheblichem Maß auf diejenigen seiner Mitglieder auswirken könnte, deren Online-Plattformen in Zukunft die durchschnittliche monatliche Zahl von aktiven Nutzern für eine Benennung als sehr große Online-Plattformen erreichen könnten. Außerdem ist dem BEVH in Anbetracht dessen, dass sich die Zahl aktiver Nutzer stetig ändert, nicht vorzuwerfen, dass er unter seinen Mitgliedern nicht genau diejenigen benannt hat, bei denen er davon ausgehen konnte, dass ihre Online-Plattformen diese Zahl erreichen würden.

23      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Interessen der Mitglieder des BEVH durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Maß beeinträchtigt werden können. Daraus folgt, dass die oben in Rn. 7 genannte vierte Voraussetzung erfüllt ist.

24      Nach alledem ist dem Antrag des BEVH auf Zulassung zur Streithilfe in der Rechtssache T‑348/23 stattzugeben.

Aus diesen Gründen hat

DIE PRÄSIDENTIN DER SIEBTEN KAMMER DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Der Bundesverband ECommerce und Versandhandel Deutschland e. V. wird in der Rechtssache T348/23 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Zalando SE zugelassen.

2.      Der Kanzler wird dem Bundesverband ECommerce und Versandhandel Deutschland alle den Hauptparteien zugestellten Verfahrensschriftstücke übermitteln.

3.      Dem Bundesverband ECommerce und Versandhandel Deutschland wird für die Einreichung seines Streithilfeschriftsatzes eine Frist gesetzt werden.

4.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 20. März 2024

Der Kanzler

 

Die Präsidentin

V. Di Bucci

 

K. Kowalik-Bańczyk


*      Verfahrenssprache: Deutsch.