Language of document : ECLI:EU:T:2008:483

Rechtssache T-270/06

Lego Juris A/S

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Anmeldung einer dreidimensionalen Gemeinschaftsmarke – Roter Lego-Stein – Absolutes Eintragungshindernis – Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist – Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Beweisangebote“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Gemeinschaftsrichter – Rechtmäßigkeit der Entscheidung einer Beschwerdekammer

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 63)

2.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Zeichen, die ausschließlich aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii)

3.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Zeichen, die ausschließlich aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii)

1.      Die beim Gericht erhobene Klage dient der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) im Sinne von Art. 63 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke. Daher ist es nicht Aufgabe des Gerichts, die tatsächlichen Umstände im Licht erstmals vor ihm vorgelegter Beweismittel zu überprüfen. Die Zulassung solcher Beweismittel verstößt nämlich gegen Art. 135 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts, wonach die Schriftsätze der Parteien den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand nicht ändern können.

Weder die Verfahrensbeteiligten noch das Gericht selbst sind indessen daran gehindert, in ihre Auslegung des Gemeinschaftsrechts Elemente einzubeziehen, die sich aus der gemeinschaftlichen, nationalen oder internationalen Rechtsprechung ergeben. Diese Möglichkeit der Berücksichtigung nationaler gerichtlicher Entscheidungen ist nicht Gegenstand der vorstehend in Erinnerung gerufenen Rechtsprechung, denn es geht in diesem Zusammenhang nicht darum, der Beschwerdekammer vorzuwerfen, sie habe in einem bestimmten nationalen Urteil genannte Tatsachen außer Betracht gelassen, sondern um die Rüge, dass sie gegen eine Vorschrift der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen habe, wobei Rechtsprechung zur Untermauerung dieser Rüge herangezogen wird.

(vgl. Randnrn. 22, 24)

2.      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke sind von der Eintragung Zeichen ausgeschlossen, „die ausschließlich … aus der Form der Ware [bestehen], die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist“.

Das in diesem Artikel enthaltene Wort „ausschließlich“ ist im Licht des in den Randnrn. 79, 80 und 83 des Urteils vom 18. Juni 2002, Philips (C-299/99), verwendeten Ausdrucks „wesentliche Merkmale, die einer technischen Funktion entsprechen“ zu lesen. Diesem Ausdruck kann nämlich entnommen werden, dass eine Form durch das Hinzufügen von nicht wesentlichen Merkmalen, die keine technische Funktion haben, diesem absoluten Eintragungshindernis nicht entgeht, wenn alle wesentlichen Merkmale der Form einer technischen Funktion entsprechen.

Die in dem Artikel enthaltene Formulierung „zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich“ bedeutet nicht, dass dieses absolute Eintragungshindernis nur eingriffe, wenn die fragliche Form die einzige ist, die die Erreichung der betreffenden Wirkung erlaubt. Für das Eingreifen dieses absoluten Eintragungshindernisses genügt es demgemäß, dass die wesentlichen Merkmale der Form jene Merkmale aufweisen, die für das Erreichen der fraglichen technischen Wirkung technisch kausal und hinreichend sind, selbst wenn diese Wirkung durch andere Formen erreicht werden kann, die die gleiche oder eine andere technische Lösung nutzen.

(vgl. Randnrn. 36, 38-39, 43)

3.      Die Ermittlung der wesentlichen Merkmale, die einer technischen Funktion entsprechen, wird im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke mit dem konkreten Ziel vorgenommen, die Prüfung der Funktionalität der in Frage stehenden Form zu ermöglichen. Um die Funktionalität der wesentlichen Merkmale einer Form zu untersuchen, ist jedoch die Wahrnehmung des angesprochenen Verbrauchers nicht erheblich. Denn der angesprochene Verbraucher verfügt möglicherweise nicht über die technischen Kenntnisse, die für die Beurteilung der wesentlichen Merkmale einer Form erforderlich sind, so dass aus seiner Sicht bestimmte Merkmale wesentlich sein können, obgleich sie es im Kontext einer Untersuchung der Funktionalität nicht sind, und umgekehrt. Es ist deshalb festzustellen, dass die wesentlichen Merkmale einer Form für die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 in objektiver Weise und auf der Grundlage der grafischen Darstellung und etwaigen Beschreibungen, die bei der Anmeldung eingereicht wurden, bestimmt werden müssen.

Im Rahmen der Untersuchung der Funktionalität der auf diese Weise bestimmten wesentlichen Merkmale ist das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) durch nichts daran gehindert, jedes relevante Beweiselement zu berücksichtigen.

(vgl. Randnrn. 70, 78)