Language of document : ECLI:EU:T:2023:287

URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)

24. Mai 2023(*)

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionswortmarke Joro – Ältere nationale Wortmarke JOKO – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Ähnlichkeit der Waren – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑68/22,

Granini France mit Sitz in Mâcon (Frankreich), vertreten durch Rechtsanwalt J. Wachsmuth,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch T. Klee und D. Gája als Bevollmächtigte,

Beklagter,

anderer Beteiligter im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO:

Josef Pichler, wohnhaft in St. Leonhard in Passeier (San Leonardo in Passiria, Italien),

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin K. Kowalik-Bańczyk sowie der Richter E. Buttigieg (Berichterstatter) und I. Dimitrakopoulos,

Kanzler: T. Henze, geschäftsführender Kanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von drei Wochen nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, Granini France, die Aufhebung der Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 8. November 2021 (Sache R 2336/2020‑1) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 11. Oktober 2019 meldete die andere Partei des Verfahrens vor der Beschwerdekammer des EUIPO, Herr Josef Pichler, beim EUIPO das Wortzeichen Joro als Unionsmarke an.

3        Die Marke wurde für die Waren der Klassen 32 und 33 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet. Für die Zwecke der vorliegenden Klage sind folgende Waren der Klasse 33 relevant: „Aperitifs auf der Grundlage eines destillierten alkoholischen Likörs; Aperitifs aus Likör; Ginseng-Likör; Japanischer Likör aromatisiert mit Umeextrakten; Likör aus rotem Ginseng; Liköre aus Gerstenschrot; Mit japanischen Pflaumenextrakten aromatisierter Tonic-Likör [Umeshu]; Alkoholische Cocktailmischungen; Alkoholische Cocktails mit Milch; Alkoholische Cocktails mit gekühlter Gelatine; Alkoholische Fruchtcocktail‑Getränke; Alkoholische Fruchtgetränke; Alkoholische Getränke auf Teebasis; Alkoholische Mischgetränke, ausgenommen Biermischgetränke; Alkoholische Mixgetränke; Aperitifs; Japanische süße Weine mit Extrakten aus Ginseng und Chinarinde; Wein aus schwarzer Himbeere [Bokbunjaju]; Alkoholhaltige Getränke mit Fruchtgehalt; Bowlen [Getränke]; Alkoholhaltige Fruchtextrakte“.

4        Am 12. Dezember 2019 erhob die Klägerin, Granini France, Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für im Wesentlichen die oben in Rn. 3 genannten Waren.

5        Der Widerspruch wurde auf die ältere französische Wortmarke JOKO gestützt, die folgende Waren der Klasse 32 erfasst: „Fruchtsäfte und Gemüsesäfte (Getränke), Fruchtgetränke und Gemüsegetränke, Fruchtcocktails und Gemüsecocktails (Getränke), Getränke aus Fruchtextrakten und Getränke aus Gemüseextrakten, Nektare und andere alkoholfreie Obst- und Gemüsegetränke; Limonaden; Sodawasser; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken; Alkoholfreie Getränke“.

6        Als Widerspruchsgrund wurde das in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) genannte Eintragungshindernis angeführt.

7        Am 19. November 2020 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 teilweise statt. Im Hinblick auf im Wesentlichen verschiedene alkoholische Getränke der Klasse 33, die von der angemeldeten Marke erfasst sind (siehe oben, Rn. 3) wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch jedoch auf der Grundlage derselben Bestimmung zurück, da diese Waren keine Ähnlichkeit mit den verschiedenen alkoholfreien Getränken der Klasse 32 aufwiesen, die von der älteren Marke erfasst seien (siehe oben, Rn. 5).

8        Am 8. Dezember 2020 legte die Klägerin beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

9        Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass die von der älteren Marke und von der angemeldeten Marke jeweils erfassten Waren einander nicht ähnlich seien, so dass eine Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ausgeschlossen sei.

 Anträge der Parteien

10      Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,

–        die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Widerspruch hinsichtlich der oben in Rn. 3 genannten Waren stattgegeben wird;

–        hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, soweit darin der Widerspruch hinsichtlich der oben in Rn. 3 genannten Waren zurückgewiesen wurde;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

11      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

12      Die Klägerin stützt ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, und zwar auf einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001.

13      Gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ist die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit einer älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt. Dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

14      Für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 setzt eine Verwechslungsgefahr voraus, dass eine Identität oder Ähnlichkeit zwischen den einander gegenüberstehenden Marken und eine Identität oder Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen besteht. Es handelt sich hierbei um kumulative Voraussetzungen (vgl. Urteil vom 22. Januar 2009, Commercy/HABM – easyGroup IP Licensing [easyHotel], T‑316/07, EU:T:2009:14, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der von einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren sind insbesondere alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis kennzeichnen, in dem diese Waren zueinander stehen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihr Charakter als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren. Es können auch andere Faktoren wie die Vertriebswege der betreffenden Waren berücksichtigt werden (vgl. Urteil vom 11. Juli 2007, El Corte Inglés/HABM – Bolaños Sabri [PiraÑAM diseño original Juan Bolaños], T‑443/05, EU:T:2007:219, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16      In der angefochtenen Entscheidung ist die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Rede stehenden Waren einander nicht ähnlich seien. Insbesondere hat die Beschwerdekammer in den Rn. 27, 28 und 30 der angefochtenen Entscheidung bei der Beurteilung der Ähnlichkeit dieser Waren im Hinblick auf ihre Art, ihren Verwendungszweck, ihre Nutzung und ihren Charakter als miteinander konkurrierende Waren diese verglichen, indem sie sich auf zum einen „Wasser“ und „Mineralwässern“ und zum anderen der allgemeinen Kategorie alkoholischer Getränke inhärente Merkmale gestützt hat. Sie ist davon ausgegangen, dass die aus dem Vergleich dieser Getränke gezogenen Schlussfolgerungen für die in Rede stehenden Waren maßgeblich seien. In Bezug auf die oben genannten Aspekte für die Beurteilung der Ähnlichkeit ist sie zu dem Ergebnis gelangt, dass die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren einander nicht ähnlich seien.

17      Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren hat die Beschwerdekammer in den Rn. 29 und 31 der angefochtenen Entscheidung in Anbetracht des einander ergänzenden Charakters dieser Waren und ihrer Vertriebswege diese Beurteilung auf der Grundlage der aus dem Vergleich der allgemeinen Kategorien alkoholischer bzw. alkoholfreier Getränke gezogenen Schlussfolgerungen vorgenommen. Ganz allgemein hat sie in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass die Verbraucher zwischen den mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten alkoholischen Getränken und den von der älteren Marke erfassten alkoholfreien Getränken danach unterschieden, ob sie Alkohol enthielten oder nicht, so dass sie nicht erwarteten, dass diese Getränke dieselbe betriebliche Herkunft hätten.

18      Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren einander nicht ähnlich seien. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit dieser Waren habe die Beschwerdekammer einen zu strengen Maßstab angewandt und insbesondere die Erwägungen zum Vergleich von im Wesentlichen „Wasser“ und „Mineralwässern“ mit verschiedenen alkoholischen Getränken falsch auf den vorliegenden Fall übertragen, ohne zu berücksichtigen, dass sich diese Getränke von den Waren unterschieden, die von den einander gegenüberstehenden Marken erfasst würden. Für alle mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten Waren gebe es ein von der älteren Marke erfasstes alkoholfreies Pendant. Die Beschwerdekammer habe zwischen den in Rede stehenden Waren kategorisch nach dem Vorhandensein oder Fehlen von Alkohol in ihrer Zusammensetzung unterschieden, ohne andere gemeinsame Merkmale, insbesondere den Umstand, dass sie die gleichen Ausgangsstoffe enthielten oder auf ähnliche Weise hergestellt würden, zu berücksichtigen. Somit seien die in Rede stehenden Waren im Hinblick auf ihre Art, ihren Verwendungszweck, ihre Nutzung, ihre Hersteller und ihre Vertriebswege ähnlich. Außerdem stünden diese Waren miteinander im Wettbewerb.

19      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Wie sich aus sämtlichen vom EUIPO beim Gericht eingereichten Schriftsätzen ergibt, räumt das EUIPO zwar ein, dass das Vorhandensein oder Fehlen von Alkohol in den in Rede stehenden Getränken für die Beurteilung ihrer Ähnlichkeit nicht entscheidend sein kann, macht aber im Wesentlichen geltend, dass die Klägerin nicht dargetan habe, dass die alkoholfreien Pendants der mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten alkoholischen Getränke zum Zeitpunkt der Anmeldung dieser Marke auf dem Markt gewesen seien. Jedenfalls liege in Bezug auf keinen der für die Beurteilung der Ähnlichkeit relevanten Faktoren eine Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren vor.

20      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Vergleich der fraglichen Waren auf das Verzeichnis der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren gestützt werden muss (vgl. Urteil vom 6. April 2022, Moio/EUIPO – Paul Hartmann (moio.care), T‑276/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:221, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne und entsprechend auch Urteil vom 16. Juni 2010, Kureha/HABM – Sanofi-Aventis [KREMEZIN], T‑487/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:237, Rn. 71). Außerdem ist bei der Auslegung dieses Verzeichnisses die wörtliche Bedeutung des in Rede stehenden Begriffs zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2017, EUIPO/Cactus, C‑501/15 P, EU:C:2017:750, Rn. 42).

21      Nach dieser Klarstellung ist in Bezug auf die ältere Marke zum einen festzustellen, dass das Verzeichnis der Waren, für die diese Marke Schutz genießt, nicht einfach die allgemeine Kategorie der alkoholfreien Getränke umfasst, auf die sich die Beschwerdekammer bei ihrer Prüfung des einander ergänzenden Charakters und der Vertriebswege gestützt hat, sondern ganz bestimmte unterschiedliche nicht alkoholische Getränke (vgl. oben, Rn. 5). Zum anderen können „Wasser“ und „Mineralwässer“, die die Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Prüfung der Art, des Verwendungszwecks, der Nutzung und des Charakters der in Rede stehenden Waren als miteinander konkurrierende Waren berücksichtigt hat, nicht allen – im Übrigen sehr unterschiedlichen – von der älteren Marke erfassten Getränken gleichgesetzt werden.

22      Das Verzeichnis der mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten Waren umfasst nicht die allgemeine Kategorie alkoholischer Getränke, die die Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Beurteilung des Vergleichs der in Rede stehenden Waren herangezogen hat, sondern enthält spezifische alkoholische Getränke (vgl. oben, Rn. 3).

23      Es ist jedoch festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Anbetracht der dem EUIPO im Rahmen der Beurteilung der Ähnlichkeit der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren im Sinne der oben in Rn. 20 angeführten Rechtsprechung obliegenden Verpflichtung, das Warenverzeichnis – und zwar zum einen das der in Rede stehenden Markenanmeldung beiliegende Warenverzeichnis und zum anderen das anlässlich der Eintragung der älteren Marke erstellte Warenverzeichnis – zu berücksichtigen, eine konkrete Beurteilung auf der Grundlage der spezifischen Getränke vornehmen musste, die in den jeweiligen Warenverzeichnissen der einander gegenüberstehenden Marken aufgeführt sind, und dabei alle relevanten Faktoren für die Beurteilung der Ähnlichkeit zu berücksichtigen hatte. Statt diesem Ansatz zu folgen, hat die Beschwerdekammer ihre Schlussfolgerungen jedoch auf allgemeine Erwägungen zu den Unterschieden zwischen alkoholischen Getränken auf der einen und alkoholfreien Getränken oder „Wasser“ und „Mineralwässern“ auf der anderen Seite gestützt.

24      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung zwar ergibt, dass die Unterscheidung zwischen alkoholischen und alkoholfreien Getränken notwendig ist, da bestimmte Verbraucher keinen Alkohol konsumieren möchten oder können (vgl. Urteil vom 22. September 2021, Sociedade da Água de Monchique/EUIPO – Ventura Vendrell [chic ÁGUA ALCALINA 9,5 PH], T‑195/20, EU:T:2021:601, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Bedeutung, die dieser Unterscheidung beizumessen ist, erlaubt es der Beschwerdekammer jedoch nicht, von der oben in Rn. 23 genannten Verpflichtung abzuweichen, indem sie den Vergleich der in Rede stehenden Waren u. a. auf der Grundlage der allgemeinen Kategorien alkoholischer und alkoholfreier Getränke vornimmt.

25      Ein Ansatz, der darin bestünde, den Vergleich der Ähnlichkeit der in Rede stehenden spezifischen Waren auf die allgemeinen Kategorien alkoholischer bzw. alkoholfreier Getränke zu beschränken, liefe nämlich im Wesentlichen auf die Begründung einer allgemeinen Vermutung hinaus, dass sämtliche Getränke, die zu einer der beiden genannten Kategorien gehören, allein aufgrund des Merkmals des Vorhandenseins oder Fehlens von Alkohol in ihrer Zusammensetzung nicht ähnlich seien. Dieser Ansatz nähme der oben in Rn. 15 angeführten Rechtsprechung aber jede praktische Wirksamkeit, da er die fehlende Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren auf einen Faktor stützte, der die Art der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren betrifft. Zudem geht aus dieser Rechtsprechung nicht hervor, dass einem die Art der in Rede stehenden Waren betreffenden Faktor für die Beurteilung der Ähnlichkeit der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren generell Vorrang vor den anderen in dieser Rechtsprechung genannten Faktoren zur Beurteilung der Ähnlichkeit zukommt.

26      Ferner weisen, wie die Klägerin geltend macht, die spezifischen Getränke in den Warenverzeichnissen der einander gegenüberstehenden Marken, auch wenn sie sich durch das Vorhandensein oder das Fehlen von Alkohol in ihrer Zusammensetzung unterscheiden, gegenüber den in der angefochtenen Entscheidung geprüften Getränken weitere Merkmale auf, insbesondere in Bezug auf ihre Nutzung, ihre Zutaten, ihren Herstellungsprozess, ihre Vertriebswege und ihre Hersteller, die die Beschwerdekammer nicht konkret unter Berücksichtigung der spezifischen Waren geprüft hat, die von den einander gegenüberstehenden Marken jeweils erfasst sind.

27      Außerdem ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass das Verhältnis der Ähnlichkeit zwischen den spezifischen alkoholfreien Getränken, die von der älteren Marke erfasst sind, und den mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten spezifischen alkoholischen Getränken nicht jenem gleichgesetzt werden kann, das sich aus dem Vergleich von erstens „Wasser“ und „Mineralwässern“ mit der allgemeinen Kategorie alkoholischer Getränke und zweitens der allgemeinen Kategorie alkoholfreier Getränke mit der allgemeinen Kategorie alkoholischer Getränke ergibt.

28      Daher hat die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung ihre Analyse der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten spezifischen Waren zu Unrecht nicht auf die in Rn. 34 der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung gestützt, der zufolge die Erwägungen zum Vergleich von „Wasser“ und „Mineralwässern“ mit der allgemeinen Kategorie der alkoholischen Getränke im Wesentlichen „allgemeingültige Wahrheiten und Grundsätze für den gesamten EU-Getränkemarkt (sowohl für alkoholische als auch für alkoholfreie Getränke)“ darstellten.

29      Schließlich kann das Vorbringen des EUIPO, wonach die Klägerin nicht dargetan habe, dass die alkoholfreien Pendants der mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten alkoholischen Getränke zum Zeitpunkt der Anmeldung dieser Marke auf dem Markt gewesen seien, nicht zum Erfolg führen. Dieser Umstand hat nämlich keine Auswirkung auf die der Beschwerdekammer obliegende Verpflichtung, den Vergleich der in Rede stehenden Waren auf der Grundlage der Verzeichnisse der Waren vorzunehmen, die jeweils von den einander gegenüberstehenden Marken erfasst sind.

30      Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung der Beschwerdekammer dadurch, dass diese die in Rede stehenden spezifischen Waren, die von den einander gegenüberstehenden Marken erfasst sind, nicht berücksichtigt hat, mit einem Rechtsfehler behaftet ist.

31      Nach alledem ist dem einzigen Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 geltend gemacht wird, stattzugeben.

32      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die dem Gericht zustehende Abänderungsbefugnis zwar nicht bewirkt, dass es dazu ermächtigt wäre, seine eigene Beurteilung an die Stelle der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung zu setzen, oder gar dazu, eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer noch nicht Stellung genommen hat. In Situationen, in denen das Gericht nach einer Überprüfung der von der Beschwerdekammer vorgenommenen Beurteilung auf der Grundlage der erwiesenen tatsächlichen und rechtlichen Umstände die Entscheidung zu finden vermag, die die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen, ist diese Befugnis jedoch auszuüben (Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 72).

33      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer nach der Feststellung, dass eine der kumulativen Anwendungsvoraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001, nämlich die Ähnlichkeit oder Identität der in Rede stehenden Waren, nicht erfüllt sei, das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im vorliegenden Fall ausgeschlossen hat, ohne die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken zu prüfen. Vor diesem Hintergrund ist es im Sinne der oben in Rn. 32 angeführten Rechtsprechung nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Abänderung dieser Entscheidung selbst erstmals die Ähnlichkeit der spezifischen Waren, die jeweils in den Warenverzeichnissen der einander gegenüberstehenden Marken enthalten sind, sowie die Ähnlichkeit dieser Marken selbst zu beurteilen.

34      Folglich ist der Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen.

35      Sodann ist der hilfsweise gestellte Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu prüfen.

36      Insoweit ist daran zu erinnern, dass dem einzigen Klagegrund, mit dem die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 rügt, stattgegeben worden ist (siehe oben, Rn. 30 und 31).

37      Daher ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne dass über die Zulässigkeit der von der Klägerin erstmals vor dem Gericht vorgelegten Anlagen K7 bis K10 entschieden zu werden braucht.

 Kosten

38      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

39      Da das EUIPO unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 8. November 2021 (Sache R 2336/2020-1) wird aufgehoben.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Das EUIPO trägt die Kosten.

Kowalik-Bańczyk

Buttigieg

Dimitrakopoulos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. Mai 2023.

Der geschäftsführende Kanzler

 

Der Präsident

T. Henze

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.