SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
GERARD HOGAN
vom 23. September 2021(1)
Rechtssache C‑433/20
Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH
gegen
Strato AG
(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Wien [Österreich])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 2 – Vervielfältigungsrecht – Art. 5 Abs. 2 Buchst. b – Ausnahme für Privatkopien – Server, die im Eigentum Dritter stehen und natürlichen Personen zum privaten Gebrauch zur Verfügung gestellt werden – Erbringung einer Cloud-Computing-Dienstleistung – Auslegung des Begriffs ‚auf beliebigen Trägern‘ – Gerechter Ausgleich“
I. Einleitung
1. Das Aufkommen des kommerziellen Fotokopiergeräts seit den späten 1950ern war vielleicht nur die erste in einer Reihe technologischer Entwicklungen, die für das traditionelle Verständnis des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte sowie insbesondere ihrer Ausnahmen und Beschränkungen eine Herausforderung darstellten. Das Aufkommen des Fotokopiergeräts bedeutete, dass urheberrechtlich geschütztes Material in einer Weise vervielfältigt werden konnte, die sich so gut wie nicht kontrollieren oder auch nur feststellen ließ. Die digitale Revolution, die seit dem Aufkommen des Internets und des World Wide Web in den frühen 1990ern andauert, hat dieses traditionelle Verständnis vor noch größere Herausforderungen gestellt.
2. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen legt einen anderen Aspekt dieses neuen Problems vor. Ist eine natürliche Person, die rechtmäßig im Besitz urheberrechtlich geschützten Materials ist, berechtigt, für ihre eigenen rein privaten Zwecke eine Kopie anzufertigen und diese gegen Zahlung einer Gebühr unter Verwendung von Cloud-Computing-Techniken auf einem kommerziellen Server zu speichern, und wenn ja, welche Zahlung wird dann gegebenenfalls dem Inhaber des Urheberrechts geschuldet? Dies ist im Wesentlichen die Frage, die das Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit diesem Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, das am 15. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs der Europäischen Union eingegangen ist. Die Vorlage betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(2).
3. Das Ersuchen ergeht in einem Verfahren zwischen der Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH (im Folgenden: Austro-Mechana), einer Urheberrechtsverwertungsgesellschaft, einerseits und der Strato AG (im Folgenden: Strato), einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die eine Dienstleistung zur Speicherung von Daten in der Cloud erbringt, andererseits. Das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht betrifft die Frage, ob Strato für die von ihr in Österreich natürlichen Personen zum privaten Gebrauch überlassene Speicherkapazität in der Cloud einen Ausgleich für die Verwertung des Vervielfältigungsrechts schuldet.
4. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, die Frage des Kopierens durch natürliche Personen zum privaten Gebrauch im digitalen Umfeld, genauer gesagt die Vervielfältigung oder Speicherung urheberrechtlich geschützter Inhalte in der Cloud(3), zu prüfen.
5. Es ist hervorzuheben, dass eine solche Vervielfältigung rechtmäßig ist, wenn ein Mitgliedstaat in Hinsicht auf das ausschließliche Vervielfältigungsrecht nach Art. 2 der Richtlinie 2001/29 die Ausnahme für „Privatkopien“ nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b eingeführt hat, sofern dem Rechtsinhaber gezahlt wird, was als „gerechter Ausgleich“ bezeichnet wird. Hat allerdings der fragliche Mitgliedstaat keinen Gebrauch von der Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b gemacht, wäre eine solche Vervielfältigung urheberrechtlich geschützten Materials ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers als Verstoß gegen Art. 2 offenkundig rechtswidrig(4).
6. In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof zunächst ersucht zu prüfen, ob und, wenn ja, in welchem Umfang die Ausnahme für Privatkopien auch in Bezug auf Vervielfältigungen in der Cloud gilt, die natürliche Personen zum privaten Gebrauch von urheberrechtlich geschützten Inhalten anfertigen. Sollte der Gerichtshof der Auffassung sein, dass die Ausnahme für Privatkopien auch für solche Vervielfältigungen gilt, müsste er sodann die Frage prüfen, was gegebenenfalls einen „gerechten Ausgleich“ gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 darstellen würde, der Rechtsinhabern in Bezug auf den Speicher in der Cloud geschuldet wird, der natürlichen Personen zum privaten Gebrauch durch Internetdienstleister zur Verfügung gestellt wird.
7. Da natürliche Personen bereits beim Erwerb von Geräten, Medien oder Ausrüstung – wie etwa Smartphones, Tablets oder Computern(5) –, die das Speichern und folglich die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Inhalte in der Cloud erlauben, eine Abgabe gezahlt haben könnten, mit der somit den Rechtsinhabern ein (gerechter) Ausgleich für den infolge der Vervielfältigung erlittenen Schaden geleistet wird, stellt sich sodann insbesondere die Frage, ob im Wege des in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 geforderten „gerechten Ausgleichs“ von Internetdienstleistern, die in der Cloud für diese selben Inhalte Speicherplatz zur Verfügung stellen, eine (zusätzliche) Abgabe gezahlt werden sollte.
8. Vor der Prüfung dieser Fragen ist jedoch zunächst der rechtliche Rahmen darzustellen, in dem die vorliegende Rechtssache steht.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Richtlinie 2001/29
9. In den Erwägungsgründen 2, 5, 9, 10, 31, 32, 35, 38 und 44 der Richtlinie 2001/29 heißt es:
„(2) Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung in Korfu am 24. und 25. Juni 1994 die Notwendigkeit der Schaffung eines allgemeinen und flexiblen Ordnungsrahmens auf Gemeinschaftsebene für die Förderung der Entwicklung der Informationsgesellschaft in Europa hervorgehoben. Hierzu ist unter anderem ein Binnenmarkt für neue Produkte und Dienstleistungen erforderlich. Wichtige gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, mit denen ein derartiger Ordnungsrahmen sichergestellt werden sollte, wurden bereits eingeführt, in anderen Fällen steht ihre Annahme bevor. In diesem Zusammenhang spielen das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte eine bedeutende Rolle, da sie die Entwicklung und den Vertrieb neuer Produkte und Dienstleistungen und die Schaffung und Verwertung ihres schöpferischen Inhalts schützen und fördern.
…
(5) Die technische Entwicklung hat die Möglichkeiten für das geistige Schaffen, die Produktion und die Verwertung vervielfacht und diversifiziert. Wenn auch kein Bedarf an neuen Konzepten für den Schutz des geistigen Eigentums besteht, so sollten die Bestimmungen im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte doch angepasst und ergänzt werden, um den wirtschaftlichen Gegebenheiten, z. B. den neuen Formen der Verwertung, in angemessener Weise Rechnung zu tragen.
…
(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller, Verbraucher, von Kultur und Wirtschaft sowie der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Eigentums anerkannt worden.
(10) Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten, was ebenso für die Produzenten gilt, damit diese die Werke finanzieren können. …
…
(31) Es muss ein angemessener Rechts- und Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern sowie zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern und Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden. …
(32) Die Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe sind in dieser Richtlinie erschöpfend aufgeführt. Einige Ausnahmen oder Beschränkungen gelten, soweit dies angemessen erscheint, nur für das Vervielfältigungsrecht. Diese Liste trägt den unterschiedlichen Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten Rechnung und soll gleichzeitig die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts sichern. Die Mitgliedstaaten sollten diese Ausnahmen und Beschränkungen in kohärenter Weise anwenden; dies wird bei der zukünftigen Überprüfung der Umsetzungsvorschriften besonders berücksichtigt werden.
…
(35) In bestimmten Fällen von Ausnahmen oder Beschränkungen sollten Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, damit ihnen die Nutzung ihrer geschützten Werke oder sonstigen Schutzgegenstände angemessen vergütet wird. Bei der Festlegung der Form, der Einzelheiten und der etwaigen Höhe dieses gerechten Ausgleichs sollten die besonderen Umstände eines jeden Falls berücksichtigt werden. Für die Bewertung dieser Umstände könnte der sich aus der betreffenden Handlung für die Rechtsinhaber ergebende etwaige Schaden als brauchbares Kriterium herangezogen werden. In Fällen, in denen Rechtsinhaber bereits Zahlungen in anderer Form erhalten haben, z. B. als Teil einer Lizenzgebühr, kann gegebenenfalls keine spezifische oder getrennte Zahlung fällig sein. Hinsichtlich der Höhe des gerechten Ausgleichs sollte der Grad des Einsatzes technischer Schutzmaßnahmen gemäß dieser Richtlinie in vollem Umfang berücksichtigt werden. In bestimmten Situationen, in denen dem Rechtsinhaber nur ein geringfügiger Nachteil entstünde, kann sich gegebenenfalls keine Zahlungsverpflichtung ergeben.
…
(38) Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit erhalten, unter Sicherstellung eines gerechten Ausgleichs eine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht für bestimmte Arten der Vervielfältigung von Ton‑, Bild- und audiovisuellem Material zu privaten Zwecken vorzusehen. Dazu kann die Einführung oder Beibehaltung von Vergütungsregelungen gehören, die Nachteile für Rechtsinhaber ausgleichen sollen. …
…
(44) Bei der Anwendung der Ausnahmen und Beschränkungen im Sinne dieser Richtlinie sollten die internationalen Verpflichtungen beachtet werden. Solche Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nicht auf eine Weise angewandt werden, dass die berechtigten Interessen der Rechtsinhaber verletzt werden oder die normale Verwertung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegenstände beeinträchtigt wird. Die von den Mitgliedstaaten festgelegten Ausnahmen oder Beschränkungen sollten insbesondere die gesteigerte wirtschaftliche Bedeutung, die solche Ausnahmen oder Beschränkungen im neuen elektronischen Umfeld erlangen können, angemessen berücksichtigen. Daher ist der Umfang bestimmter Ausnahmen oder Beschränkungen bei bestimmten neuen Formen der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände möglicherweise noch enger zu begrenzen.“
10. Art. 2 („Vervielfältigungsrecht“) der Richtlinie 2001/29 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:
a) für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,
b) für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen,
c) für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger,
d) für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und die Vervielfältigungsstücke ihrer Filme,
e) für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.“
11. Art. 3 („Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände“) der Richtlinie 2001/29 sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.
(2) Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, zu erlauben oder zu verbieten, dass die nachstehend genannten Schutzgegenstände drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind:
a) für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen;
b) für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger;
c) für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und auf Vervielfältigungsstücke ihrer Filme;
d) für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Rechte erschöpfen sich nicht mit den in diesem Artikel genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit.“
12. In Art. 5 („Ausnahmen und Beschränkungen“) der Richtlinie 2001/29 heißt es in Abs. 2 Buchst. b:
„Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen:
…
b) in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei berücksichtigt wird, ob technische Maßnahmen gemäß Artikel 6 auf das betreffende Werk oder den betreffenden Schutzgegenstand angewendet wurden“.
13. Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“
B. Österreichisches Recht
14. § 42b Abs. 1 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes(6) (im Folgenden: UrhG) sieht in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung(7) vor:
„(1) Ist von einem Werk … seiner Art nach zu erwarten, dass es durch Festhalten auf einem Speichermedium … zum eigenen oder privaten Gebrauch vervielfältigt wird, so hat der Urheber Anspruch auf eine angemessene Vergütung (Speichermedienvergütung), wenn Speichermedien jeder Art, für die solche Vervielfältigungen geeignet sind, im Inland gewerbsmäßig in Verkehr kommen.“
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsersuchen
15. Austro-Mechana ist eine Urheberrechtsverwertungsgesellschaft, die die Nutzungsrechte und die Vergütungsansprüche an Werken der Musik (mit und ohne Text) im eigenen Namen, jedoch im Interesse und für Rechnung ihrer Bezugsberechtigten treuhändig wahrnimmt. Zum Wahrnehmungsbereich von Verwertungsgesellschaften wie Austro-Mechana zählen insbesondere die gesetzlichen Vergütungsansprüche gemäß § 42b Abs. 1 UrhG, d. h. der Anspruch auf die Speichermedienvergütung.
16. Austro-Mechana erhob vor dem Handelsgericht Wien (Österreich) Klage gegen Strato, eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die eine Dienstleistung unter dem Namen „HiDrive“ erbringt. Die fragliche Dienstleistung werde von ihrer Anbieterin beschrieben als „virtueller [Cloud‑]Speicher, der so schnell arbeite und so unkompliziert zu bedienen sei wie eine (externe) Festplatte“. Strato werbe damit, dass der Speicherplatz „genug Platz dafür biete, Fotos, Musik und Filme zentral an einem Ort abzulegen“.
17. Austro-Mechana begehrte die Rechnungslegung und in weiterer Folge die Zahlung einer von Strato nach § 42b Abs. 1 UrhG geschuldeten Speichermedienvergütung. Da die in § 42b Abs. 1 UrhG gewählte Formulierung schon nach ihrem Wortlaut bewusst allgemein gehalten sei, greife die Speichermedienvergütung auch dann, wenn Speichermedien jeder Art im Inland – auf welche Art und in welcher Form auch immer – gewerbsmäßig „in Verkehr kommen“, worunter auch die Überlassung von Speicherplatz in der Cloud zu subsumieren sei. Die Umschreibung „in Verkehr kommen“ stelle nicht auf die physische Verbreitung ab, sondern lasse bewusst Raum für die Einbeziehung aller Vorgänge, die Nutzern im Ergebnis im Inland Speicherplatz zu Vervielfältigung zum (eigenen oder) privaten Gebrauch zur Verfügung stellten. Zusätzlich stelle § 42b Abs. 3 UrhG auch klar, dass es nicht darauf ankomme, ob das Inverkehrbringen vom Inland oder vom Ausland ausgehe.
18. Strato bestritt das Klagebegehren. Sie wandte ein, aus der geltenden Fassung des UrhG ergebe sich keine Vergütung für Cloud-Dienstleistungen und der Gesetzgeber habe diese Möglichkeit in Kenntnis der technischen Möglichkeiten bewusst nicht umgesetzt. Cloud-Dienstleistungen und physische Speichermedien könnten nicht miteinander verglichen werden. Eine Auslegung, die auch Cloud-Dienstleistungen umfasse, sei nicht möglich, da keine Speichermedien in Verkehr gebracht, sondern nur Speicherplatz zur Verfügung gestellt werde. Strato verkaufe oder vermiete keine physischen Speichermedien nach Österreich, sondern biete nur Online-Speicherplatz auf ihren in Deutschland gehosteten Servern an. Sie habe für ihre Server in Deutschland bereits indirekt (weil vom Hersteller/Importeur eingepreist) die Urheberrechtsabgabe geleistet. Auch hätten die österreichischen Nutzer bereits eine Urheberrechtsabgabe für die Geräte gezahlt, mit denen Inhalte überhaupt erst in die Cloud geladen werden könnten. Eine zusätzliche Speichermedienvergütung für Cloud-Speicher würde zu einer doppelten oder gar dreifachen Abgabenpflicht führen.
19. Das Handelsgericht Wien wies die Klage ab. Es stellte im Wesentlichen fest, dass Urhebern und Leistungsschutzberechtigten (im Folgenden: Rechtsinhaber) ein Anspruch auf eine angemessene Vergütung zustehe, wenn Speichermedien (von einer im In- oder Ausland gelegenen Stelle) im Inland gewerbsmäßig in Verkehr kämen, wenn von einem Schutzgegenstand seiner Art nach zu erwarten sei, dass er durch Festhalten auf einem Speichermedium zum eigenen oder zum privaten Gebrauch (in einer nach § 42 Abs. 2 bis 7 UrhG erlaubten Weise) vervielfältigt werde, und zwar in Bezug auf Speichermedien jeder Art, die für solche Vervielfältigungen geeignet seien.
20. Das Handelsgericht Wien stellte fest, § 42b Abs. 1 UrhG, in dem ausdrücklich von „Speichermedien jeder Art“ die Rede sei, schließe – interne und externe – Computerfestplatten ein. Cloud-Dienstleistungen existierten in den unterschiedlichsten Ausgestaltungsformen. Der Kern der Dienstleistung sei die Zusicherung, dass der Nutzer über eine bestimmte Speicherkapazität verfüge, ohne dass er einen Anspruch darauf habe, dass die Inhalte auf einem bestimmten Server oder auf bestimmten Servern gespeichert würden, sondern er sei darauf beschränkt, die Speicherkapazität „irgendwo in der Cloud“ des Anbieters abrufen zu können. Somit überlasse Strato ihren Kunden keine Speichermedien, sondern sie stelle – als Dienstleistung – Speicherkapazität online zur Verfügung. In der Begutachtung des Entwurfs der Urh-Nov(8) sei zwar die Berücksichtigung der Cloud-Speicherung ausdrücklich und mit Formulierungsvorschlägen gefordert worden, doch habe der Gesetzgeber bewusst entschieden, eine derartige Regelung nicht aufzunehmen.
21. Austro-Mechana legte gegen dieses Urteil vor dem vorlegenden Gericht Berufung ein. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Antwort auf die Frage, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 die Speicherung urheberrechtlich geschützten Inhalts in der Cloud erfasse, nicht ganz klar sei. In dieser Hinsicht weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 29. November 2017, VCAST (C‑265/16, EU:C:2017:913, im Folgenden: Urteil VCAST), festgestellt habe, dass das Abspeichern von Inhalten in einer Cloud einer dem Urheber vorbehaltenen Rechteverwertung gleichkomme.
22. Im Licht der vorstehenden Erwägungen hat das Oberlandesgericht Wien (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist der Begriff „auf beliebigen Trägern“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen, dass darunter auch Server zu verstehen sind, die im Besitz dritter Personen stehen, die natürlichen Personen (Kunden) zum privaten Gebrauch (und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke) auf diesen Servern Speicherplatz zur Verfügung stellen, den die Kunden zum Vervielfältigen durch Abspeichern nutzen („cloud computing“)?
2. Wenn ja: Ist die in Frage 1 zitierte Vorschrift so auszulegen, dass sie auf eine nationale Regelung anzuwenden ist, wonach der Urheber Anspruch auf eine angemessene Vergütung (Speichermedienvergütung) hat,
– wenn von einem Werk (das durch Rundfunk gesendet, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt oder auf einem zu Handelszwecken hergestellten Speichermedium festgehalten worden ist) seiner Art nach zu erwarten ist, dass es zum eigenen oder privaten Gebrauch vervielfältigt wird, indem es auf einem „Speichermedium jeder Art, das für eine solche Vervielfältigung geeignet ist und im Inland gewerbsmäßig in Verkehr kommt“, gespeichert wird,
– und wenn dabei die in Frage 1 beschriebene Methode des Abspeicherns verwendet wird?
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof
23. Schriftliche Erklärungen haben Austro-Mechana, Strato, die dänische, die französische, die niederländische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission eingereicht.
24. Mit Ausnahme der dänischen Regierung haben sie alle in der Sitzung des Gerichtshofs am 7. Juli 2021 mündlich verhandelt.
V. Würdigung
A. Erste Frage
25. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Ausnahme für Privatkopien gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 Vervielfältigungen betrifft, die natürliche Personen zum privaten Gebrauch auf Speicherplatz oder ‑kapazität (in der Cloud) anfertigen, der bzw. die von einem Dritten, der Internetdienstleister ist, zur Verfügung gestellt oder überlassen wird. Das vorlegende Gericht fragt im Wesentlichen, ob die Wendung „Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 die auf Cloud-Computing-Dienstleistungen eines Dritten gestützte Vervielfältigung umfasst.
26. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass die erste Vorlagefrage unter anderem wegen der Verwendung der Formulierung „im Inland gewerbsmäßig in Verkehr kommen“ in § 42b Abs. 1 UrhG aufgeworfen worden ist. Strato hat sowohl vor dem vorlegenden Gericht als auch vor diesem Gerichtshof argumentiert, der österreichische Gesetzgeber habe mit der Verwendung dieser Formulierung klar ein Modell des Ausgleichs für Rechtsinhaber vorsehen wollen, das sich ausschließlich auf die Vermarktung physischer Aufzeichnungsmedien/‑träger konzentriere und somit die Nutzung von Cloud-Computing-Dienstleistungen ausschließe, die von Dritten erbracht würden(9).
27. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ist auch ersichtlich, dass das vorlegende Gericht um die Klarstellung des Urteils VCAST und insbesondere des Umfangs ersucht, in dem dieses Urteil auf den Sachverhalt und den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens angewendet werden kann.
28. Es ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zu der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 enthaltenen Ausnahme, die zwingender Art ist, die Ausnahmen oder Beschränkungen nach Art. 5 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht für die Mitgliedstaaten lediglich fakultativ sind(10).
29. In ihren Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen VG Wort u. a. (C‑457/11 bis C‑460/11, EU:C:2013:34, Nrn. 35 bis 37) hat Generalanwältin Sharpston darauf hingewiesen, dass die Ausnahmen und Beschränkungen fakultativ seien, gebe den Mitgliedstaaten einen gewissen Handlungsspielraum in diesem Bereich. Sie war somit der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat eine Maßnahme einführen könne, die hinter dem nach den fraglichen Bestimmungen Zulässigen zurückbleibe. Beispielsweise dürfe ein Mitgliedstaat gestützt auf Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 vorsehen, dass eine Ausnahme in Bezug auf Vervielfältigungen durch eine natürliche Person allein dann bestehe, wenn sie auf Papier erfolgten und ausschließlich für private Studien bestimmt seien, da der Umfang dieser Ausnahme enger wäre als das Zulässige, gleichwohl aber vollständig in dessen Rahmen bliebe.
30. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof später in seinem Urteil vom 5. März 2015, Copydan Båndkopi (C‑463/12, EU:C:2015:144, Rn. 33), festgestellt hat, dass die Mitgliedstaaten keine Modalitäten für einen gerechten Ausgleich vorsehen dürfen, die dazu führen würden, dass verschiedene Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern, die vergleichbare, von der für Privatkopien geltenden Ausnahme erfasste Waren vermarkten, oder verschiedene Gruppen von Nutzern geschützter Gegenstände ungleich behandelt würden, ohne dass dies gerechtfertigt wäre.
31. Meiner Auffassung nach sollte der gleiche Ansatz für Dienstleistungen gelten. Allgemeiner ließe sich sagen, dass die Mitgliedstaaten, selbst wenn sie in Bezug auf die Art und Weise, in der sie von der Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b in ihren nationalen Rechten Gebrauch machen, über ein weites Ermessen verfügen(11), zu diesem Zweck keine Rechtsvorschriften erlassen können, die dem der Richtlinie 2001/29 zugrunde liegenden Zweck selbst widersprechen oder sonst von ihm abweichen würden(12). Es wäre z. B. wichtig zu betonen, dass Mitgliedstaaten, die beschließen, von der Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Gebrauch zu machen, dies auf eine technologieneutrale(13) Weise tun müssen.
32. Dementsprechend geht es in der vorliegenden Rechtssache um den tatsächlichen Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 und nicht den Umfang, in dem sein Anwendungsbereich durch einen Mitgliedstaat beschränkt werden kann, wenn er diese Bestimmung nach nationalem Recht umsetzt, indem er vielleicht in ungerechtfertigter Weise eine Abgabe für Privatkopien nur auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen anwendet. Hier ist der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 sehr eindeutig: Die Mitgliedstaaten können eine Ausnahme von dem nach Art. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen ausschließlichen Vervielfältigungsrecht in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person(14) zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung vorsehen, dass die Inhaber des ausschließlichen Rechts einen gerechten Ausgleich erhalten(15).
33. Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Bestimmungen wie Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29, die von dem durch Art. 2 dieser Richtlinie festgelegten Vervielfältigungsrecht abweichen, eng auszulegen und erlauben daher keine Auslegung, die über die ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgeht(16). Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass die Anfertigung einer Kopie durch eine zu privaten Zwecken handelnde natürliche Person eine Handlung sei, die einen Schaden für den Urheber des fraglichen Werks begründen könne, wenn dies ohne vorherige Genehmigung dieses Rechtsinhabers geschehe(17). Darüber hinaus hat der Gerichtshof ausgeführt, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 zwar dahin zu verstehen sei, dass es die Ausnahme für Privatkopien dem Inhaber des Urheberrechts untersage, sein ausschließliches Recht, Vervielfältigungen zu erlauben oder zu verbieten, gegenüber Personen geltend zu machen, die private Kopien von seinen Werken anfertigten, dass diese Bestimmung aber nicht dahin verstanden werden dürfe, dass sie dem Inhaber des Urheberrechts über diese ausdrücklich vorgesehene Beschränkung hinaus auferlegen würde, Verletzungen seiner Rechte, die mit der Anfertigung von Privatkopien einhergehen können, zu tolerieren(18).
34. Das vorlegende Gericht hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt, dass § 42b Abs. 1 UrhG die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 enthaltene Ausnahme für Privatkopien umsetze. In Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie werden jedoch keine Begriffe verwendet, die der Formulierung „im Inland gewerbsmäßig in Verkehr kommen“ in § 42b Abs. 1 UrhG entsprechen. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 ausschließlich auf physische Medien oder Träger beschränken wollte.
35. Stattdessen gewinnt man den deutlichen Eindruck, dass die Verwendung der weiten und technologieneutralen Wendung – „Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern“(19) – in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 gegen eine solche Auslegung spricht(20). Schon eine wörtliche Auslegung dieser Wendung allein(21) gewährleistet meines Erachtens, dass die Ausnahme nicht auf Vervielfältigungen auf physischen Medien oder Trägern oder in der Tat in einer analogen oder nicht digitalen Form beschränkt wird(22). Die Ausnahme erfasst somit u. a. Vervielfältigungen sowohl in analoger als auch in digitaler Form(23) und Vervielfältigungen auf einem physischen Träger wie Papier oder CDs/DVDs oder auf einem etwas weniger körperlichen Medium/Träger wie etwa im Fall des Ausgangsverfahrens Speicherplatz oder ‑kapazität(24), die in der Cloud von einem Internetdienstleister zur Verfügung gestellt werden. In dieser Hinsicht ist der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dem des Art. 5 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie gegenüberzustellen, da Letzterer ausdrücklich vorsieht, dass sein Anwendungsbereich auf „Vervielfältigungen auf Papier oder einem ähnlichen Träger“(25) beschränkt ist.
36. Dieses Ergebnis wird außerdem durch eines der von der Richtlinie 2001/29 verfolgten Hauptziele gestützt, nämlich sicherzustellen, dass der Urheberrechtsschutz in der Union im Zuge der technologischen Entwicklung und durch das Aufkommen neuer Formen der Verwertung urheberrechtlich geschützter Inhalte nicht veraltet und obsolet wird(26). Dieses Ziel würde jedoch beeinträchtigt, wenn die Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf diesen Schutz, die dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 zufolge vor dem Hintergrund der neuen elektronischen Medien erlassen wurden, dergestalt ausgelegt würden, dass die vergleichbare Berücksichtigung solcher technologischer Entwicklungen und das Aufkommen insbesondere der digitalen Medien und Cloud-Computing-Dienstleistungen ausgeschlossen wäre(27).
37. Meine Schlussfolgerung hierzu ändert sich nicht durch den Umstand, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte auf Speicherplätzen in der Cloud vervielfältigt werden, die von einem Dritten, der ein Internetdienstleister ist, zur Verfügung gestellt oder überlassen werden. In seinem Urteil VCAST(28), das auch Cloud-Computing-Dienstleistungen betraf – wenn auch in dem anderen Kontext der Ermöglichung des rechtswidrigen Herunterladens urheberrechtlich geschützten Fernsehmaterials – hat der Gerichtshof seine ständige Rechtsprechung bekräftigt, dass es zur Berufung auf Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 nicht erforderlich ist, dass die betreffenden natürlichen Personen die Anlagen zur Vervielfältigung besitzen. Ein Dritter kann somit Geräte überlassen oder Kopierdienstleistungen erbringen, die die notwendige tatsächliche Voraussetzung dafür darstellen, dass diese natürlichen Personen Privatkopien erhalten können(29).
38. Wie ich soeben dargelegt habe, wurde in der Rechtssache, die zum Urteil VCAST geführt hat, die Cloud-Technologie von VCAST dazu verwendet, kommerziell Zugang zu (urheberrechtlich geschützten) Fernsehprogrammen zu ermöglichen, die von italienischen Fernsehstationen produziert worden waren. In dieser Rechtssache stellte VCAST ihren Kunden rechtswidrig über das Internet ein Videoaufzeichnungssystem zur Verfügung, das zu diesem Zweck Speicherplatz in der Cloud verwendete(30). Demgegenüber betrifft der Fall des Ausgangsverfahrens lediglich die Bereitstellung von Speicherkapazität in der Cloud und das potenzielle Speichern von rechtmäßig erworbenem, urheberrechtlich geschütztem Material auf den Computern/Servern des Dienstleisters durch natürliche Personen zum privaten Gebrauch. Dieser moderne technologische Fortschritt darf gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies rechtlich gesehen einem Fotokopieren eines gesamten Buches oder einem „Brennen“ einer Kopie einer CD auf die Festplatte eines Computers entsprechen könnte, wenn in den genannten Beispielen das Buch oder die CD beide von dem fraglichen Verbraucher erworben worden sind(31).
39. Die in dem Urteil VCAST angeführte Urheberrechtsverletzung war zugegebenermaßen für den Rechtsinhaber eklatanter und schädlicher als die aufgrund des Sachverhalts der vorliegenden Rechtssache potenziell gegebene, da in jener Rechtssache die öffentliche Wiedergabe die Form einer rechtswidrigen Rundfunkübertragung annahm, die von dem Rechtsinhaber nicht erlaubt worden war. Tatsache bleibt, dass es in beiden Rechtssachen um die Handlung der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Inhalte auf einem „Medium“ durch eine natürliche Person geht. Aus dem Urteil VCAST – und in der Tat der früheren Rechtsprechung – ergibt sich eindeutig, dass der Gerichtshof bereits implizit akzeptiert hat, dass diese Rechtsprechung und Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 auf solche Vervielfältigungen urheberrechtlich gestützter Inhalte in der Cloud Anwendung finden(32). Wiederum darf der Umstand nicht übersehen werden, dass in den Fällen, in denen ein Mitgliedstaat von der Option des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Gebrauch macht, die Vervielfältigungshandlung einer natürlichen Person zu ihrem privaten Gebrauch nicht rechtswidrig ist(33), jedoch in diesem Fall ein gerechter Ausgleich zu zahlen ist.
40. Der Bereitsteller solcher Vervielfältigungsgeräte oder der Erbringer solcher Kopierdienstleistungen kann jedoch urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht ohne die Erlaubnis des Rechtsinhabers zur Verfügung stellen. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 impliziert somit, dass dem Rechtsinhaber deshalb nicht auch sein Recht genommen wird, den Zugang zu den Werken oder Gegenständen zu verbieten oder zu erlauben, von denen diese Personen im Einklang mit seinen Bestimmungen Privatkopien anfertigen möchten(34). Denn in seinem Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a. (C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 41), hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen sei, dass er nicht für den Fall gelte, dass Privatkopien auf der Grundlage einer unrechtmäßigen Quelle angefertigt würden(35).
41. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 betrifft die darin enthaltene Ausnahme oder Beschränkung ausschließlich das in Art. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Vervielfältigungsrecht(36). Sie erstreckt sich u. a. nicht auf das Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände, die in Art. 3 dieser Richtlinie genannt sind.
42. Aus dem Sachverhalt des Urteils VCAST ergibt sich klar, dass der Internetdienstleister in dieser Rechtssache zwei Dienstleistungen erbracht hatte, die in der Vervielfältigung und der Zugänglichmachung von Werken und der betreffenden Schutzgegenstände bestanden, die sodann in einem Cloud-Datenspeicherplatz gespeichert wurden, der vom Nutzer bei einem anderen Anbieter erworben wurde(37). Wie ich bereits angeführt habe, deutet in der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts nichts darauf hin, dass Strato natürlichen Personen zu ihrem privaten Gebrauch andere Dienstleistungen erbrachte als Speicherkapazität in der Cloud.
43. Im Licht der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass die Wendung „auf beliebigen Trägern“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 die auf Cloud-Computing-Dienstleistungen eines Dritten gestützte Vervielfältigung umfasst.
B. Zweite Frage
44. Aufgrund meines Ergebnisses zur ersten Vorlagefrage bedarf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts einer Beantwortung. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 es erfordert, dass nationale Rechtsvorschriften über private Kopien wie § 42b Abs. 1 UrhG die Zahlung eines gerechten Ausgleichs an Rechtsinhaber in Bezug auf Speicherplatz bzw. ‑kapazität in der Cloud vorsehen, die natürlichen Personen zum privaten Gebrauch von Dritten zur Verfügung gestellt wird. Diese Frage wurde angesichts des Umstands gestellt, dass § 42b Abs. 1 UrhG in Bezug auf Cloud-Dienstleistungen keine Zahlung einer Vergütung vorsieht. Diese Vorschrift sieht jedoch eine Vergütung in Bezug auf eine Reihe von Medien vor.
45. In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, dass Strato vor dem vorlegenden Gericht geltend gemacht hat, sie habe „für ihre Server in Deutschland bereits indirekt (weil vom Hersteller/Importeur eingepreist) die Urheberrechtsabgabe geleistet, und auch die (österreichischen) Nutzer hätten für die Geräte, mit denen Content überhaupt erst in die [C]loud geladen werden könne, bereits eine Urheberrechtsabgabe gezahlt. Eine zusätzliche Speichermedienvergütung für [C]loud-Speicher würde zu einer doppelten oder gar dreifachen Abgabenpflicht führen.“
1. Vorbringen
46. Austro-Mechana ist der Auffassung, dass Vervielfältigungen in der Cloud dem Rechtsinhaber auf ähnliche Weise Schaden zufügten wie der Vertrieb von Aufzeichnungsmedien oder Vervielfältigungsgeräten oder die Erbringung von Vervielfältigungsdienstleistungen und dass sie daher einem gerechten Ausgleich unterliegen müssten. § 42b Abs. 1 UrhG sei daher im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen, dass der darin vorgesehene gerechte Ausgleich in Bezug auf eine Erbringung von Dienstleistungen zur Vervielfältigung in der Cloud geschuldet werde.
47. Strato ist der Auffassung, Cloud-Computing-Dienstleistungen seien vom österreichischen Gesetzgeber ausdrücklich von § 42b Abs. 1 UrhG ausgenommen worden, um die Zahlung doppelter oder dreifacher Abgaben zu vermeiden. Sie weist in dieser Hinsicht darauf hin, dass sich das geschützte Material, um Cloud-Computing-Dienstleistungen zu nutzen, auf einem Speichermedium befinden müsse, bevor es in die Cloud geladen werden könne. Nach österreichischem Recht sei eine Urheberrechtsabgabe für das Speichermedium – Mobiltelefon, Computer, Tablet – zu zahlen, mit dem die Privatkopie angefertigt werde. Außerdem zahlten die Nutzer eine Lizenzgebühr für den Zugang zu dem Original. Des Weiteren macht Strato geltend, der Nutzer könne mit der einfachen Aufzeichnung der Privatkopie in der Cloud selbst nicht viel tun. Vielmehr verwende der Nutzer die Cloud, um die heruntergeladenen Inhalte auf anderen Endgeräten einzusehen oder sie auf diesen zu speichern. Solche Geräte hätten jedoch ihre eigenen Speichermedien, die einer Abgabe unterlägen. Allein auf Seiten der Nutzer verfügten die Rechtsinhaber mindestens über drei Einnahmequellen: erstens in Bezug auf den anfänglichen Erwerb des Werks, zweitens in Bezug auf das Speichern auf dem Endgerät, das für das (Hoch-)Laden genutzt werde und einer Abgabe unterliege, und drittens in Bezug auf das Speichern auf dem Endgerät, das für das Herunterladen genutzt werde und ebenfalls einer Abgabe unterliege. Strato ist entsprechend dem Urteil vom 27. Juni 2013, VG Wort u. a. (C‑457/11 bis C‑460/11, EU:C:2013:426, Rn. 78), auch der Auffassung, wenn eine Privatkopie mittels einer Kette von Geräten angefertigt werde, könne ein Gerät in der Kette mit dem Erfordernis des gerechten Ausgleichs belegt werden.
48. Die österreichische Regierung ist der Auffassung, ein Server, durch den Privatpersonen Cloud-Computing-Dienstleistungen angeboten würden, stelle ein Aufzeichnungsmedium dar, bezüglich dessen der Produzent oder Importeur eine Vergütung abzuführen habe. Diese Vergütung werde an den Cloud-Computing-Dienste-Anbieter weitergegeben. Ein zusätzlicher Vergütungsanspruch gegen den Clouddienste-Anbieter sei daher nicht erforderlich und könnte zu einer Überkompensation führen.
49. Die dänische Regierung ist der Auffassung, Cloud-Computing-Dienstleistungen könnten nicht mit der Zurverfügungstellung von digitaler Vervielfältigungsausrüstung, ‑geräten und ‑medien an Privatpersonen oder der Erbringung von Vervielfältigungsdienstleistungen an diese gleichgesetzt werden. Daher sei das Urteil Padawan, das für physische Speichermedien wie CDs und DVDs gelte und dem Cloud-Computing zeitlich vorausgehe, nicht auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache übertragbar. Cloud-Computing diene nicht notwendigerweise natürlichen Personen dazu, Privatkopien zu erwerben. Eine Cloud-Computing-Dienstleistung stelle lediglich einen digitalen Speicherplatz für digitale Inhalte dar, und die auf diese Weise gespeicherten Inhalte seien für Privatpersonen nur über die Arten von Speichermedien zugänglich, die zunächst für die Einleitung des Speichers genutzt würden, nämlich Smartphones oder Computer. Es seien daher diese Erstspeichermedien – und nicht die Cloud-Computing-Dienstleistung –, die eine notwendige Voraussetzung dafür darstellten, dass Einzelne in den Besitz einer Privatkopie kämen. Ein System, in dem Cloud-Computing-Dienstleistungen einer Abgabe unterlägen, scheine daher nicht dem Erfordernis eines „angemessenen Ausgleichs“ im 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 zu entsprechen. Es bestehe die nicht unerhebliche Gefahr einer Überkompensation, die in mehrfachen Zahlungen für dieselbe Privatkopie bestehe. Dies könnte sich insbesondere in Fällen ereignen, in denen zwei Abgaben für das Speichermedium, auf dem die Kopie angefertigt werde, und für die anschließende Dienstleistung, die in ihrer Speicherung bestehe (z. B. einer Cloud-Computing-Dienstleistung), gezahlt würden.
50. Die französische Regierung weist darauf hin, von Dienstleistern genutzte Server seien, selbst wenn sie der Zahlung einer Abgabe auf Privatkopien unterlägen, nicht notwendigerweise durch die Anfertigung privater Kopien in dem betreffenden Mitgliedstaat in Verkehr gebracht und erworben. Daher solle der Umstand, dass ein doppelter Ausgleich nicht ausgeschlossen werden könne, nicht dazu führen, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu nehmen, Cloud-Dienstleister, die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Nutzern Dienstleistungen erbrächten, zu Abgaben zu verpflichten. Andernfalls sei kein wirksamer Ausgleich für den Verlust gegeben, der von den in diesem Zusammenhang angefertigten Privatkopien herrühre(38). Jedenfalls stellten die Abgaben für Privatkopien, die in dem betreffenden Mitgliedstaat auf Geräte gezahlt würden, die zum Hochladen von Inhalten einer Cloud-Dienstleistung erforderlich seien, in Hinblick auf die vom Anbieter dieser Dienstleistung zu zahlende Vergütung keine doppelte Zahlung dar. Auf diesen Geräten angefertigte Vervielfältigungen, die zur Abgabe für Privatkopien führten, stellten private Vervielfältigungshandlungen dar, die sich von denen unterschieden, die durch die Cloud-Dienstleistung vorgenommen würden. Jede dieser Handlungen führe in dem betreffenden Mitgliedstaat zu einem unterschiedlichen Schaden und verpflichte zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs.
2. Urteil Padawan
51. Da diese gesamte Problematik der Anfertigung von Privatkopien und des gerechten Ausgleichs vom Gerichtshof erstmals in seinem Urteil Padawan geprüft wurde, mag es angezeigt erscheinen, diese Entscheidung näher zu betrachten.
52. In dieser Rechtssache begehrte eine spanische Urheberrechtsverwertungsagentur die Erhebung einer als Abgabe für Privatkopien bezeichneten Zahlung, die nach dem spanischen Recht für Unternehmen vorgesehen war, die CD‑, DVD- und MP3-Geräte vertrieben. Dem wurde mit der Begründung widersprochen, die Anwendung dieser Abgabe auf digitale Träger, die unterschiedslos und unabhängig von ihrem Verwendungszweck erfolge, sei nicht mit der Richtlinie 2001/29 vereinbar.
53. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Anfertigung einer Kopie „durch eine zu privaten Zwecken handelnde natürliche Person … eine Handlung [ist], die einen Schaden für den Urheber des fraglichen Werks begründen kann“(39). Zwar räumte er ein, dass grundsätzlich diese Person verpflichtet sei, „den an diese Vervielfältigung anknüpfenden Schaden wiedergutzumachen, indem sie den Ausgleich finanziert, der an den betroffenen Rechtsinhaber gezahlt wird“(40), er lenkte aber die Aufmerksamkeit auch auf die erheblichen praktischen Schwierigkeiten, die Verstöße privater Nutzer zu identifizieren, sowie den Umstand, dass sich der durch solche einzelne Verstöße verursachte Schaden lediglich als geringfügig erweisen und somit keine Zahlungsverpflichtung begründen könnte.
54. Der Gerichtshof stellte des Weiteren fest, dass „es den Mitgliedstaaten daher frei[steht], zur Finanzierung des gerechten Ausgleichs eine ‚Abgabe für Privatkopien‘ einzuführen, die nicht die betroffenen Privatpersonen, sondern diejenigen belastet, die über Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung verfügen und sie zu diesem Zweck Privatpersonen rechtlich oder tatsächlich zur Verfügung stellen oder diesen die Dienstleistung einer Vervielfältigung erbringen. Im Rahmen eines solchen Systems haben die über diese Anlagen verfügenden Personen die Abgabe für Privatkopien zu leisten. Innerhalb eines solchen Systems sind zwar – entgegen dem, was der 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 zu verlangen scheint – nicht die Nutzer von Schutzgegenständen die Schuldner der Finanzierung des gerechten Ausgleichs. Zum einen stellt jedoch die Tätigkeit der Schuldner dieser Finanzierung, nämlich die Überlassung von Anlagen, Geräten und Medien zur Vervielfältigung an private Nutzer oder die von ihnen erbrachte Dienstleistung der Vervielfältigung, die notwendige tatsächliche Voraussetzung dafür dar, dass natürliche Personen Privatkopien erhalten können. Zum anderen steht nichts dem entgegen, dass diese Schuldner den Betrag der Abgabe für Privatkopien in den Preis für die Überlassung dieser Anlagen, Geräte oder Medien zur Vervielfältigung oder in den Preis für die Erbringung der Vervielfältigungsleistung einfließen lassen. So wird die Belastung durch die Abgabe letztlich vom privaten Nutzer getragen, der diesen Preis zahlt. Daher ist der private Nutzer, dem die Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung zur Verfügung gestellt werden oder der von einer Vervielfältigungsdienstleistung profitiert, tatsächlich als der ‚indirekte Schuldner‘ des gerechten Ausgleichs anzusehen.“(41)
55. Der Gerichtshof kam daher zu dem Ergebnis, dass die Abgabenregelung es der Person, die die Ausgleichszahlung an die im Namen der Rechtsinhaber handelnden Verwertungsgesellschaften schulde, ermögliche, diese Kosten von Privatnutzern beim Erwerb z. B. von Aufzeichnungsanlagen wiederzuerlangen, so dass diese Regelung grundsätzlich dem gerechten Ausgleich entspreche, der zwischen den Interessen der Rechtsinhaber und anderen Personen herbeizuführen sei(42).
56. Der Gerichtshof stellte zudem fest, dass ein notwendiger Zusammenhang zwischen der Anwendung der Abgabe auf Privatpersonen und dem den Rechtsinhabern möglicherweise durch Privatkopien verursachten Schaden bestehe. Da bei solchen Verbrauchern vermutet werde, dass sie „sämtliche mit diesen Anlagen verbundenen Funktionen, einschließlich der Vervielfältigungsfunktion,“ ausschöpften und nutzten, folge daraus, dass allein die technische Fähigkeit dieser Anlagen oder dieser Geräte, Kopien zu fertigen, „ausreicht, um die Anwendung der Abgabe für Privatkopien zu rechtfertigen, sofern diese Anlagen oder Geräte natürlichen Personen als privaten Nutzern überlassen worden sind“(43).
3. Analyse
57. Wie wir gesehen haben, sieht Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 vor, dass Mitgliedstaaten, die eine Ausnahme „zum privaten Gebrauch“ einführen, verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die wirksame Erhebung des gerechten Ausgleichs zu gewährleisten, der dazu bestimmt ist, den Rechtsinhabern den ihnen entstandenen Schaden zu ersetzen(44). Da Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 fakultativ ist und keine weiteren Einzelheiten zu den verschiedenen Parametern der Regelung des gerechten Ausgleichs vorsieht, zu dessen Einführung er verpflichtet, ist klar, dass die Mitgliedstaaten über ein weites Ermessen in Hinblick auf die Parameter ihres nationalen Rechts verfügen(45). Dementsprechend können die Mitgliedstaaten die Personen, die diesen gerechten Ausgleich zu zahlen haben(46), sowie dessen Form, Einzelheiten und Höhe in Einklang mit der Richtlinie 2001/29 und allgemeiner mit dem Unionsrecht bestimmen, auch wenn, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, der Begriff des gerechten Ausgleichs selbst einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstellt(47). Wie sich aus den Erwägungsgründen 35 und 38 der Richtlinie 2001/29 ergibt, bringt ihr Art. 5 Abs. 2 Buchst. b den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, ein besonderes Ausgleichssystem zu schaffen, das aufgrund einer unter bestimmten Umständen widerlegbaren Vermutung eingreift, dass den Rechtsinhabern ein Schaden entsteht, der grundsätzlich eine Verpflichtung der Nutzer zur Vergütung oder zum Ausgleich begründet(48).
58. Da das Kopierpotenzial – insbesondere im digitalen Umfeld – allgegenwärtig und alles durchdringend ist, hat der Unionsgesetzgeber in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 eine Ausnahme für Privatkopien eingeführt, um sicherzustellen, dass die Rechtsinhaber keinen unangemessenen Schaden erleiden(49), den solche Kopien verursachen(50). Wenn Mitgliedstaaten beschließen, die Ausnahme für Privatkopien nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 in ihr nationales Recht umzusetzen, sind sie insbesondere verpflichtet, die Zahlung eines gerechten Ausgleichs an den Rechtsinhaber vorzusehen.
59. Ein gerechter Ausgleich besteht in einem Ausgleich, der den Schaden, der Rechtsinhabern durch das private Kopieren entsteht, weder über- noch unterkompensiert(51). Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis eines gerechten Ausgleichs in Bezug auf solches Kopieren in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 seiner Natur nach an die Stelle oder näherungsweise an die Stelle des den Rechtsinhabern verursachten Schadens tritt. Aufgrund der privaten Natur solchen Kopierens ist eine Kontrolle oder Feststellung schwer – in der Tat nahezu unmöglich, so dass der Gerichtshof den Mitgliedstaaten daher gestattet hat, im Rahmen ihres Ermessensspielraums in Hinblick auf das private Kopieren bestimmte widerlegbare Vermutungen einzuführen(52).
60. Wie der Gerichtshof in Rn. 51 des Urteils vom 11. Juli 2013, Amazon.com International Sales u. a. (C‑521/11, EU:C:2013:515), festgestellt hat, sind die Vergütungsregelungen für Privatkopien derzeit im Hinblick auf den Großteil des Trägermaterials notwendigerweise ungenau, da in der Praxis nicht festgestellt werden kann, welches Werk von welchem Nutzer mit Hilfe welches Trägermediums vervielfältigt wurde(53). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass es in Hinblick auf Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung auf der Hand liege, dass die Höhe einer solchen im Vorhinein festgelegten Abgabe nicht auf der Grundlage des Kriteriums des tatsächlichen Nachteils, dessen Umfang im Stadium des Inverkehrbringens der betreffenden Geräte im Inland noch nicht bekannt sei, ermittelt werden könne. Diese Abgabe müsse daher zwangsläufig pauschalen Charakter haben(54).
61. Der 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 stellt auch klar, dass in den Fällen, in denen Rechtsinhaber bereits Zahlungen „in anderer Form erhalten haben, z. B. als Teil einer Lizenzgebühr“, gegebenenfalls keine spezifische oder getrennte Zahlung fällig sein kann(55). Wie der 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 klarstellt, kann sich in bestimmten Situationen, in denen „dem Rechtsinhaber nur ein geringfügiger Nachteil entstünde, … gegebenenfalls keine Zahlungsverpflichtung ergeben.“ Ich möchte auch darauf hinweisen, dass gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/29, wie er vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. März 2015, Copydan Båndkopi (C‑463/12, EU:C:2015:144, Rn. 72), ausgelegt wurde, der betreffende Mitgliedstaat die konkrete Höhe des den Rechtsinhabern geschuldeten Ausgleichs davon abhängig machen kann, ob technische Maßnahmen angewandt werden oder nicht, damit für sie tatsächlich ein Anreiz besteht, diese Maßnahmen zu treffen und so freiwillig zur korrekten Anwendung der Ausnahme für Privatkopien beizutragen.
62. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in Rn. 78 des Urteils vom 27. Juni 2013, VG Wort u. a. (C‑457/11 bis C‑460/11, EU:C:2013:426), festgestellt: „Werden die betreffenden Vervielfältigungen in einem einheitlichen Verfahren mit Hilfe einer Kette von Geräten angefertigt, steht es den Mitgliedstaaten zudem frei, an die vor der Anfertigung der Kopie liegenden Schritte anzuknüpfen und gegebenenfalls ein System einzuführen, in dem der gerechte Ausgleich von den Personen entrichtet wird, die über ein Gerät verfügen, das als Teil dieser Kette in nicht eigenständiger Weise zu diesem Verfahren beiträgt, da diese Personen die Möglichkeit haben, die Kosten der Abgabe auf ihre Kunden abzuwälzen. Der Gesamtbetrag des gerechten Ausgleichs, der als Ersatz für den Schaden geschuldet wird, der den Rechtsinhabern am Ende eines solchen einheitlichen Verfahrens entsteht, darf jedoch nicht substanziell von demjenigen abweichen, der für die Vervielfältigung mittels nur eines Geräts festgelegt ist.“
63. Nebenbei bemerkt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Unionsgesetzgeber diesen Aspekt des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 möglicherweise überdenken sollte(56). Der Begriff „gerechter Ausgleich“ ist so weit und offen, dass ein gewisses Maß an subjektiver Bewertung unvermeidbar ist. Abgesehen von den Hinweisen, die Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 und bestimmte Erwägungsgründe dieser Richtlinie, insbesondere ihre Erwägungsgründe 31 und 35, bieten, gibt es wenige andere rechtliche Normen, die nationalen Gerichten oder diesem Gerichtshof als Anleitung dafür dienen können, welcher Ausgleich – wenn überhaupt – in dem vorliegenden Zusammenhang als „gerecht“ angesehen werden könnte(57).
64. Insoweit sieht Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 im Wesentlichen vor, dass die Ausnahme oder Beschränkung in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie die normale Verwertung(58) des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigen und die berechtigten Interessen(59) des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzen darf.
4. Anwendung dieser Grundsätze in der vorliegenden Rechtssache
65. Wendet man sich nun der vorliegenden Rechtssache zu, ist es erforderlich, den Umfang zu bewerten, in dem – wenn überhaupt – Rechtsinhaber berechtigt sind, in Bezug auf die Speicherkapazität in der Cloud, die natürlichen Personen zum privaten Gebrauch(60) zur Verfügung gestellt wird, einen (zusätzlichen) Ausgleich zu erhalten, da – wie in der vorliegenden Rechtssache – die nationalen Rechtsvorschriften offenbar bereits die Zahlung von Abgaben in Bezug auf ein sehr breites Spektrum festgelegter Medien vorsehen.
66. Jeder Schritt des Vorgangs des Hoch- und Herunterladens urheberrechtlich geschützter Inhalte in die und aus der Cloud von Geräten oder Medien wie Smartphones stellt eine Vervielfältigung dieser Inhalte dar, die grundsätzlich unter Verstoß gegen Art. 2 der Richtlinie 2001/29 erfolgt, sofern eine solche Vervielfältigung nicht aufgrund einer Ausnahme oder Beschränkung gemäß Art. 5 dieser Richtlinie gerechtfertigt ist. Da Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 gleichermaßen eine Unter- wie auch eine Überkompensation vermeiden und so einen angemessenen Ausgleich zwischen dem privaten Nutzer und dem Rechtsinhaber erreichen wollen, stellt sich die Frage, ob angesichts des Umstands, dass der Nutzer bereits eine angemessene Abgabe auf von ihm in der Abfolge genutzte Geräte und Medien gezahlt haben könnte(61), in Bezug auf jeden Schritt in dieser Abfolge von Kopien, einschließlich der Vervielfältigung/des Speicherns in der Cloud, eine gesonderte Abgabe zu zahlen ist.
67. In der mündlichen Verhandlung am 7. Juli 2021 haben sowohl Austro-Mechana als auch die österreichische Regierung ausgeführt, dass in Österreich eine Abgabe auf Privatkopien nicht auf Geräte, sondern lediglich in Bezug auf Medien zu zahlen ist. Offenbar wird diese Angabe, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, durch die Private Copying Global Study 2020(62) bestätigt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen(63), dass nach dieser Studie Abgaben in Bezug auf ein sehr breites Spektrum von Medien(64) erhoben werden. Somit ist offenbar eine Abgabe u. a. auf in Mobiltelefonen integrierte Speicher mit Musik- und/oder Videowiedergabe, auf in einer Reihe von Computern und Tablets integrierte Speicher, auf in Smartwatches integrierte Speicher sowie auf DVDs, USB-Sticks usw. zu zahlen. In Bezug auf die Überlassung von Speicherkapazität in der Cloud wird keine Abgabe erhoben(65). In dieser Studie wurde bezüglich Österreich in dem Abschnitt „Erläuterungen zu Entwicklungen“ angeführt, dass „es jedoch einen erheblichen Rückgang der Verkäufe physischer Medien, mit Ausnahme der Mobiltelefone, gibt. Für private Kopien und/oder Streaming-Dienstleistungen wird immer mehr auf die Cloud gesetzt. Eine Abgabe für Privatkopien in der Cloud stellt daher das unmittelbare strategische Ziel von Austro-Mechana dar.“
68. Somit ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass sich, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, das Verhalten natürlicher Personen in Bezug auf Privatkopien(66) weiterentwickelt, wobei mehr auf eine beschränkte Zahl von Geräten und Medien wie Smartphones und Tablets in Verbindung mit Cloud-Computing-Dienstleistungen gesetzt wird als auf ein breites Spektrum von Geräten und Medien allein. Außerdem scheint es, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, dass hinsichtlich der Abgaben eher Geräte und Medien als Cloud-Computing-Dienstleistungen erfasst werden.
69. Das Recht auf einen gerechten Ausgleich gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 greift aufgrund einer unter bestimmten Umständen widerlegbaren Vermutung ein, dass den Rechtsinhabern ein Schaden entsteht, der grundsätzlich eine Verpflichtung der Nutzer zur Vergütung oder zum Ausgleich begründet. In dieser Hinsicht besteht bei der Bewertung des Schadens der Rechtsinhaber insbesondere eine widerlegbare Vermutung, dass natürliche Personen sämtliche Vervielfältigungs- und Speicherkapazitäten ihnen zur Verfügung gestellter elektronischer Geräte oder Medien nutzen(67). Außerdem wird vermutet, dass der Schaden des Rechtsinhabers aufgrund der Privatkopien in dem Mitgliedstaat entsteht, in dem der Endverbraucher wohnt(68).
70. Meines Erachtens ist angesichts der notwendig ungenauen Natur von Pauschalabgaben auf Geräte und Medien Vorsicht geboten, bevor solche Pauschalabgaben mit anderen Ausgleichssystemen verbunden werden oder ihnen andere Abgaben für Cloud-Dienstleistungen aufgepfropft werden, sofern nicht vorher eine empirische Studie zu diesem Gegenstand durchgeführt wird – und sofern nicht insbesondere festgestellt wird, ob den Rechtsinhabern durch die kombinierte Nutzung solcher Geräte/Medien und Dienstleistungen ein zusätzlicher Schaden verursacht wird –, da dies zu Überkompensation führen und den im 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 genannten angemessenen Ausgleich zwischen Rechtsinhabern und Nutzern beeinträchtigen könnte.
71. Wenn die Vervielfältigung/Speicherung in der Cloud nicht berücksichtigt wird, könnte zudem die Gefahr einer Unterkompensation des Schadens des Rechtsinhabers bestehen. Da das Hoch- und Herunterladen urheberrechtlich geschützter Inhalte in bzw. aus der Cloud unter Nutzung von Geräten oder Medien als ein einheitliches Verfahren zum Zweck des privaten Kopierens eingestuft werden könnte, steht es den Mitgliedstaaten im Licht ihres weiten Ermessens gleichwohl frei, gegebenenfalls ein System einzuführen, in dem ein gerechter Ausgleich nur in Bezug auf Geräte oder Medien gezahlt wird, die einen notwendigen Teil dieses Verfahrens darstellen, sofern dies den Schaden, der dem Rechtsinhaber mit dem fraglichen Vorgang verursacht wird, widerspiegelt.
72. Zusammengefasst ist daher in Bezug auf die auf Cloud-Computing-Dienstleistungen eines Dritten gestützte Vervielfältigung durch eine natürliche Person zu eigenen persönlichen Zwecken keine gesonderte Abgabe zu zahlen, sofern die in Bezug auf die Geräte/Medien in dem fraglichen Mitgliedstaat gezahlten Abgaben auch den dem Rechtsinhaber durch eine solche Vervielfältigung verursachten Schaden widerspiegeln. Wenn ein Mitgliedstaat tatsächlich entschieden hat, ein Abgabensystem in Bezug auf Geräte/Medien vorzusehen, ist das vorlegende Gericht grundsätzlich berechtigt, zu vermuten, dass dies an sich einen „gerechten Ausgleich“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 darstellt, es sei denn, der Rechtsinhaber (oder sein Vertreter) kann klar darlegen, dass eine solche Zahlung unter den Umständen des konkreten Falles unzureichend wäre.
73. Diese Bewertung – die erhebliche wirtschaftliche Kompetenz und Kenntnis eines Spektrums von Industrien erfordert – ist auf nationaler Ebene durch das vorlegende Gericht vorzunehmen.
VI. Ergebnis
74. Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Oberlandesgerichts Wien, (Österreich) wie folgt zu beantworten:
Die Wendung „Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft umfasst die auf Cloud-Computing-Dienstleistungen eines Dritten gestützte Vervielfältigung.
Für die auf Cloud-Computing-Dienstleistungen eines Dritten gestützte Vervielfältigung durch eine natürliche Person zu eigenen persönlichen Zwecken ist keine gesonderte Abgabe zu zahlen, sofern die in Bezug auf die Geräte/Medien in dem fraglichen Mitgliedstaat gezahlten Abgaben auch den dem Rechtsinhaber durch eine solche Vervielfältigung verursachten Schaden widerspiegeln. Wenn ein Mitgliedstaat tatsächlich entschieden hat, ein Abgabensystem in Bezug auf Geräte/Medien vorzusehen, ist das vorlegende Gericht grundsätzlich berechtigt, zu vermuten, dass dies an sich einen „gerechten Ausgleich“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 darstellt, es sei denn, der Rechtsinhaber (oder sein Vertreter) kann klar darlegen, dass eine solche Zahlung unter den Umständen des konkreten Falles unzureichend wäre.