Language of document : ECLI:EU:T:2019:855

Rechtssache T683/18

Santa Conte

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

 Urteil des Gerichts (Siebte Kammer) vom 12. Dezember 2019

„Unionsmarke – Anmeldung der Unionsbildmarke CANNABIS STORE AMSTERDAM – Absolutes Eintragungshindernis – Marke, die gegen die öffentliche Ordnung verstößt – Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung (EU) 2017/1001 – Art. 7 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001“

1.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen – Prüfung im Hinblick auf die Wahrnehmung des Zeichens durch die maßgeblichen Verkehrskreise

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. f und Abs. 2)

(vgl. Rn. 21, 29-33, 45)

2.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen – Berücksichtigung von in Mitgliedstaaten gegebenen besonderen Umständen, die für sich genommen die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise in diesen Staaten beeinflussen können

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. f und Abs. 2)

(vgl. Rn. 34, 35, 52)

3.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen – Bildmarke CANNABIS STORE AMSTERDAM

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. f und Abs. 2)

(vgl. Rn. 44, 64, 65, 69, 74-76)

4.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen – Beurteilung allein anhand einer Prüfung der Marke selbst in Verbindung mit den Waren oder Dienstleistungen, auf die sie sich bezieht – Umstände betreffend das Verhalten des Markeninhabers – Unbeachtlich

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. f und Abs. 2)

(vgl. Rn. 68)

5.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen – Öffentliche Ordnung – Begriff

(Verordnung 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. f und Abs. 2)

(vgl. Rn. 71-73)

Zusammenfassung

Mit Urteil vom 12. Dezember 2019, Conte/EUIPO (CANNABIS STORE AMSTERDAM) (T‑683/18), hat das Gericht die Klage gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) abgewiesen, mit der die Eintragung der Marke „CANNABIS STORE AMSTERDAM“ verweigert worden war, weil diese Marke gegen die öffentliche Ordnung verstoße.

Die Klägerin, Frau Santa Conte, hatte das Bildzeichen mit dem Wortbestandteil „CANNABIS STORE AMSTERDAM“ und einem Bildbestandteil, der Cannabisblätter darstellt, für Waren und Dienstleistungen der Klassen 30, 32 und 43 (Lebensmittel, Getränke und Dienstleistungen zur Verpflegung von Gästen) angemeldet. Die Beschwerdekammer des EUIPO verweigerte die Eintragung aufgrund von Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung 2017/1001(1), weil das Zeichen gegen die öffentliche Ordnung verstoße.

Erstens hat das Gericht darauf hingewiesen, dass das maßgebliche Kriterium für die Beurteilung, ob ein Zeichen gegen die öffentliche Ordnung verstößt, die Wahrnehmung ist, die die maßgeblichen Verkehrskreise von der Marke haben. Diese Wahrnehmung kann auf aus wissenschaftlicher oder technischer Sicht ungenauen Definitionen beruhen, was bedeutet, dass es auf die konkrete und gegenwärtige Wahrnehmung des Zeichens ankommt und es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher über sämtliche Informationen verfügt. Daher hat die Beschwerdekammer unter Hinweis darauf, dass die „besondere Form des Cannabisblatts oft als mediales Symbol für Marihuana verwendet wird“, zu Recht nicht auf eine wissenschaftliche Tatsache, sondern auf die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise abgestellt. Außerdem hat das Gericht die Aussage der Beschwerdekammer bestätigt, dass das Wort „Amsterdam“ von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Bezugnahme auf die Stadt in den Niederlanden verstanden werde, die den Rauschgiftkonsum dulde und für ihre „Coffeeshops“ bekannt sei.

Zweitens hat das Gericht hinsichtlich der maßgeblichen Verkehrskreise festgestellt, dass diese aus der breiten Öffentlichkeit in der Union gebildet werden, die nicht unbedingt genaue wissenschaftliche oder technische Kenntnisse über Rauschgift im Allgemeinen und solches, das aus Cannabis gewonnen wird, im Besonderen hat, wenngleich diese Situation je nach dem Mitgliedstaat, um dessen breite Öffentlichkeit es geht, variieren kann. Da die Klägerin in der Markenanmeldung Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs angibt, die sich altersunabhängig an die breite Öffentlichkeit richten, gibt es außerdem keinen Grund, aus dem eine Beschränkung auf ein junges Publikum zulässig wäre.

Drittens hat das Gericht festgestellt, dass in vielen Ländern der Europäischen Union aus Cannabis gewonnene Produkte mit einem Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) von mehr als 0,2 % als illegales Rauschgift gelten. Da die Zeichen, die als gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßend wahrgenommen werden können, insbesondere aus sprachlichen, historischen, sozialen und kulturellen Gründen nicht in allen Mitgliedstaaten gleich sind, hat das Gericht festgestellt, dass die Beschwerdekammer zu Recht die Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten nicht wegen ihrer normativen Geltung, sondern als tatsächliche Anhaltspunkte berücksichtigt hat, die es erlauben, die Wahrnehmung des fraglichen Zeichens durch die maßgeblichen Verkehrskreise in den betreffenden Mitgliedstaaten zu beurteilen. Außerdem hat das Gericht festgestellt, dass das Zeichen von den englischsprachigen maßgeblichen Verkehrskreisen als Hinweis auf ein „Cannabis-Geschäft in Amsterdam“ wahrgenommen wird und von den nicht englischsprachigen maßgeblichen Verkehrskreisen als Hinweis auf „Cannabis in Amsterdam“, was in beiden Fällen – verstärkt durch die bildliche Darstellung von Cannabisblättern als mediales Symbol für Marihuana – eine klare und eindeutige Anspielung auf das dort vermarktete Rauschgift darstellt.

Viertens hat das Gericht hinsichtlich des Begriffs der öffentlichen Ordnung darauf hingewiesen, dass nicht jeder Rechtsverstoß zwingend auch ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist. Dazu ist noch erforderlich, dass der Rechtsverstoß ein Interesse berührt, das nach den jeweiligen Wertesystemen der betreffenden Mitgliedstaaten als grundlegend angesehen wird. Im vorliegenden Fall hat das Gericht festgestellt, dass in den Mitgliedstaaten, in denen der Konsum und die Verwendung des aus Cannabis gewonnenen Rauschgifts weiterhin verboten sind, dem Kampf gegen die Verbreitung dieses Rauschgifts besondere Bedeutung zukommt, hinter der das die öffentliche Gesundheit betreffende Ziel steht, die schädlichen Wirkungen dieser Substanz zu bekämpfen.

In Anbetracht dieser Erwägungen ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das fragliche Zeichen – das von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Hinweis darauf aufgefasst wird, dass die von der Markenanmeldung erfassten Lebensmittel und Getränke sowie entsprechenden Dienstleistungen Rauschgiftsubstanzen enthalten bzw. beinhalten, die in mehreren Mitgliedstaaten verboten sind – gegen die öffentliche Ordnung verstößt.


1      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) sind Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen, von der Eintragung ausgeschlossen.