Language of document : ECLI:EU:T:2014:19

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

21. Januar 2014(*)

„Außervertragliche Haftung – Medizinprodukte – Art. 8 und 18 der Richtlinie 93/42/EWG – Untätigkeit der Kommission, nachdem ihr eine Entscheidung über die Untersagung des Inverkehrbringens mitgeteilt worden war – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht“

In der Rechtssache T‑309/10

Christoph Klein, wohnhaft in Großgmain (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Schneider-Addae-Mensah,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Sipos und G. von Rintelen als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt C. Winkler,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum, dann durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

wegen einer auf Art. 268 AEUV in Verbindung mit Art. 340 Abs. 2 AEUV gestützten Klage auf Ersatz des Schadens, der dem Kläger dadurch entstanden sein soll, dass die Kommission die ihr nach Art. 8 der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169, S. 1) obliegenden Pflichten verletzt habe,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters S. Frimodt Nielsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Richterin M. Kancheva (Berichterstatterin) und des Richters E. Buttigieg,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2013

folgendes

Urteil

 Rechtlicher Rahmen

1        Die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169, S. 1) bezweckt u. a. die Harmonisierung der Zertifizierungs- und Kontrollverfahren für Medizinprodukte. Sie sieht die Erteilung der CE-Kennzeichnung für Medizinprodukte vor, bei denen, nachdem sie dem Verfahren der Konformitätsbewertung unterzogen wurden, die grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie als erfüllt angesehen worden sind. Die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen wird entweder vom Hersteller in eigener Verantwortung oder durch die von den Mitgliedstaaten bestimmten Zertifizierungsstellen bescheinigt.

2        Art. 1 („Begriffsbestimmungen, Anwendungsbereich“) der Richtlinie 93/42 bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt für Medizinprodukte und ihr Zubehör … Medizinprodukte und Zubehör werden nachstehend ‚Produkte‘ genannt.“

3        Art. 2 („Inverkehrbringen und Inbetriebnahme“) der Richtlinie 93/42 lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit die Produkte nur in den Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender und gegebenenfalls Dritter bei sachgemäßer Installation, Instandhaltung und ihrer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung nicht gefährden.“

4        Art. 3 („Grundlegende Anforderungen“) der Richtlinie 93/42 lautet:

„Die Produkte müssen die grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I erfüllen, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind.“

5        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten behindern in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die die CE-Kennzeichnung nach Artikel 17 tragen, aus der hervorgeht, dass sie einer Konformitätsbewertung nach Artikel 11 unterzogen worden sind.“

6        Art. 8 („Schutzklausel“) der Richtlinie 93/42 schreibt vor:

„(1)      Stellt ein [Mitgliedstaat] fest, dass in Artikel 4 Absatz 1 bzw. Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich genannte Produkte die Gesundheit und/oder die Sicherheit der Patienten, der Anwender oder gegebenenfalls Dritter gefährden können, auch wenn sie sachgemäß installiert, instand gehalten und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, so trifft er alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um diese Produkte vom Markt zurückzuziehen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich diese Maßnahmen mit, nennt die Gründe für seine Entscheidung und gibt insbesondere an, ob die Nichtübereinstimmung mit dieser Richtlinie zurückzuführen ist auf

a)      die Nichterfüllung der in Artikel 3 genannten grundlegenden Anforderungen,

b)      eine unzulängliche Anwendung der Normen gemäß Artikel 5, sofern die Anwendung dieser Normen behauptet wird,

c)      einen Mangel in diesen Normen selbst.

(2)      Die Kommission konsultiert sobald wie möglich die Betroffenen. Stellt die Kommission nach dieser Anhörung fest,

–        dass die Maßnahme gerechtfertigt ist, so unterrichtet sie hiervon unverzüglich den Mitgliedstaat, der die Maßnahme getroffen hat, sowie die anderen Mitgliedstaaten. Ist die in Absatz 1 genannte Entscheidung in einem Mangel der Normen begründet, so befasst die Kommission nach Anhörung der Betroffenen den in Artikel 6 genannten Ausschuss innerhalb von zwei Monaten, sofern der Mitgliedstaat, der die Entscheidung getroffen hat, diese aufrechterhalten will, und leitet das in Artikel 6 genannte Verfahren ein;

–        dass die Maßnahme nicht gerechtfertigt ist, so unterrichtet sie davon unverzüglich den Mitgliedstaat, der die Maßnahme getroffen hat, sowie den Hersteller oder seinen in der [Europäischen Union] niedergelassenen Bevollmächtigten.

(3)      Ist ein mit dieser Richtlinie nicht übereinstimmendes Produkt mit der CE-Kennzeichnung versehen, so ergreift der zuständige Mitgliedstaat gegenüber demjenigen, der diese Kennzeichnung angebracht hat, die geeigneten Maßnahmen und unterrichtet davon die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten.

(4)      Die Kommission sorgt dafür, dass die Mitgliedstaaten über den Verlauf und die Ergebnisse dieses Verfahrens unterrichtet werden.“

7        Nach Art. 9 („Klassifizierung“) der Richtlinie 93/42 sind die Medizinprodukte gemäß den Regeln des Anhangs IX zu klassifizieren.

8        Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie 93/42 sieht vor:

„Für Produkte der Klasse I mit Ausnahme der Sonderanfertigungen und der für klinische Prüfungen bestimmten Produkte muss der Hersteller, damit die CE-Kennzeichnung angebracht werden kann, das Verfahren gemäß Anhang VII einhalten und vor dem Inverkehrbringen die erforderliche EG-Konformitätserklärung ausstellen.“

9        Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 bestimmt:

„Mit Ausnahme von Sonderanfertigungen und Produkten, die für klinische Prüfungen bestimmt sind, müssen alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäß Artikel 3 auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein.“

10      Art. 18 („Unrechtmäßige Anbringung der CE-Kennzeichnung“) der Richtlinie 93/42 schreibt vor:

„Unbeschadet des Artikels 8 gilt Folgendes:

a)      Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass die CE-Kennzeichnung unberechtigterweise angebracht wurde, ist der Hersteller oder sein in der [Europäischen Union] ansässiger Bevollmächtigter verpflichtet, den weiteren Verstoß unter den vom Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen zu verhindern.

b)      Falls die Nichtübereinstimmung weiterbesteht, muss der Mitgliedstaat nach dem Verfahren des Artikels 8 alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um das Inverkehrbringen des betreffenden Produkts einzuschränken oder zu untersagen oder um zu gewährleisten, dass es vom Markt genommen wird.“

11      Art. 19 („Verbote und Beschränkungen“) der Richtlinie 93/42 lautet:

„(1)      Jede in Anwendung dieser Richtlinie getroffene Entscheidung, die

a)      ein Verbot oder eine Beschränkung des Inverkehrbringens, der Inbetriebnahme eines Produkts oder der Durchführung der klinischen Prüfungen

oder

b)      die Aufforderung zur Zurückziehung der Produkte vom Markt zur Folge hat,

ist genau zu begründen. Sie wird dem Betreffenden unverzüglich unter Angabe der Rechtsmittel, die nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats eingelegt werden können, und der Fristen für die Einlegung dieser Rechtsmittel mitgeteilt.

(2)      Bei der in Absatz 1 genannten Entscheidung muss der Hersteller oder sein in der [Union] niedergelassener Bevollmächtigter die Möglichkeit haben, seinen Standpunkt zuvor darzulegen, es sei denn, dass eine solche Anhörung angesichts der Dringlichkeit der zu treffenden Maßnahmen nicht möglich ist.“

12      Anhang I der Richtlinie 93/42 enthält die grundlegenden Anforderungen, denen die in ihren Anwendungsbereich fallenden Medizinprodukte genügen müssen. Insbesondere schreibt er vor:

„I. ALLGEMEINE ANFORDERUNGEN

1.      Die Produkte müssen so ausgelegt und hergestellt sein, dass ihre Anwendung weder den klinischen Zustand und die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit und die Gesundheit der Anwender oder gegebenenfalls Dritter gefährdet, wenn sie unter den vorgesehenen Bedingungen und zu den vorgesehenen Zwecken eingesetzt werden, wobei etwaige Risiken verglichen mit der nützlichen Wirkung für den Patienten vertretbar und mit einem hohen Maß des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit vereinbar sein müssen.

3.      Die Produkte müssen die vom Hersteller vorgegebenen Leistungen erbringen, d. h., sie müssen so ausgelegt, hergestellt und verpackt sein, dass sie geeignet sind, eine oder mehrere der in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a) genannten Funktionen entsprechend den Angaben des Herstellers zu erfüllen.

II. ANFORDERUNGEN AN DIE AUSLEGUNG UND DIE KONSTRUKTION

13.      Bereitstellung von Informationen durch den Hersteller

13.6.      Die Gebrauchsanweisung muss nach Maßgabe des konkreten Falles folgende Angaben enthalten:

c)      bei Produkten, die zur Erfüllung ihrer Zweckbestimmung mit anderen medizinischen Einrichtungen oder Ausrüstungen kombiniert oder an diese angeschlossen werden müssen: alle Merkmale, soweit sie zur Wahl der für eine sichere Kombination erforderlichen Einrichtungen oder Ausrüstungen erforderlich sind;

m)      ausreichende Angaben zu Arzneimitteln, für deren Verabreichung das betreffende Produkt bestimmt ist; hierzu zählen auch Angaben zu Beschränkungen in der Wahl der zu verabreichenden Stoffe;

p)      bei Produkten mit Messfunktion der vom Hersteller vorgegebene Genauigkeitsgrad;

…“

13      Anhang VII („EG-Konformitätserklärung“) der Richtlinie 93/42 beschreibt das Verfahren, das die Hersteller der zur Klasse I gehörenden Medizinprodukte befolgen müssen, um sicherzustellen und zu erklären, dass die betreffenden Produkte den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie entsprechen. Daneben legt dieser Anhang fest, welche technische Dokumentation der Hersteller der zur Klasse I gehörenden Medizinprodukte für einen dort vorgesehenen Zeitraum zur Einsichtnahme durch die nationalen Behörden bereithalten muss. Die technische Dokumentation enthält u. a. eine nach Anhang X der Richtlinie 93/42 durchzuführende Analyse der Risiken und der klinischen Daten sowie die Kennzeichnung und die Gebrauchsanweisung.

14      Anhang IX („Klassifizierungskriterien“) der Richtlinie 93/42 legt die Regeln zur Bestimmung der Klassifizierung der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/42 fallenden Medizinprodukte fest. Er sieht insbesondere vor:

„III.      KLASSIFIZIERUNG

1.      Nicht invasive Produkte

1.1      Regel 1

Alle nicht invasiven Produkte gehören zur Klasse I, es sei denn, es findet eine der folgenden Regeln Anwendung.

1.2.      Regel 2

Alle nicht invasiven Produkte für die Durchleitung oder Aufbewahrung von Blut, anderen Körperflüssigkeiten oder ‑geweben, Flüssigkeiten oder Gasen zum Zwecke einer Perfusion, Verabreichung oder Einleitung in den Körper gehören zur Klasse IIa,

–        wenn sie mit einem aktiven medizintechnischen Produkt der Klasse IIa oder einer höheren Klasse verbunden werden können;

–        wenn sie für die Aufbewahrung oder Durchleitung von Blut oder anderen Körperflüssigkeiten oder für die Aufbewahrung von Organen, Organteilen oder Körpergeweben eingesetzt werden;

in allen anderen Fällen werden sie der Klasse I zugeordnet.

…“

15      Anhang X („Klinische Bewertung“) Abschnitt 1 der Richtlinie 93/42 bestimmt in seiner auf den Sachverhalt des vorliegenden Falles anwendbaren Fassung:

„1.      Allgemeine Bestimmungen

1.1.      Das Erbringen des Nachweises, dass die in Anhang I Abschnitte 1 und 3 genannten merkmal- und leistungsrelevanten Anforderungen von dem Produkt bei normalen Einsatzbedingungen erfüllt werden, sowie die Beurteilung von unerwünschten Nebenwirkungen müssen insbesondere bei implantierbaren Produkten und bei Produkten der Klasse III durch klinische Daten belegt werden. Die Angemessenheit der klinischen Daten ist gegebenenfalls unter Berücksichtigung der einschlägigen harmonisierten Normen auf Folgendes zu stützen:

1.1.1.            auf eine Zusammenstellung der derzeit verfügbaren einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, die die vorgesehene Anwendung des Produkts und die dabei zum Einsatz kommenden Techniken behandelt, sowie gegebenenfalls auf einen schriftlichen Bericht mit einer kritischen Würdigung dieser Zusammenstellung oder

1.1.2.            auf die Ergebnisse aller klinischen Prüfungen, einschließlich der Prüfungen gemäß Abschnitt 2.

1.2.      Alle Daten müssen entsprechend den Bestimmungen von Artikel 20 vertraulich behandelt werden.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

16      Der Kläger, Christoph Klein, ist Vorstand der mittlerweile insolventen atmed AG, einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Er ist zudem der Erfinder einer Inhalierhilfe für Asthmatiker, die er sich zu Beginn der 1990er Jahre patentieren ließ.

 Entscheidung über die Untersagung des Produkts „Inhaler“

17      Die Inhalierhilfe des Klägers wurde von 1996 bis 2001 von der Primed Halberstadt GmbH hergestellt und von der deutschen Gesellschaft Broncho-Air Medizintechnik AG unter dem Namen „Inhaler Broncho Air®“ (im Folgenden: Produkt „Inhaler“) vertrieben. Bei seinem Inverkehrbringen auf dem deutschen Markt trug dieses Produkt die CE-Kennzeichnung zum Ausweis seiner Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42.

18      Im Jahr 1996 übermittelten die deutschen Behörden der Broncho-Air Medizintechnik AG einen Entscheidungsentwurf für ein Vertriebsverbot des Produkts „Inhaler“. Darin führten sie aus, wegen des Fehlens einer umfassenden klinischen Bewertung bestünden Bedenken, ob dieses Produkt die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 erfülle. Die deutschen Behörden brachten des Weiteren ihre Absicht zum Ausdruck, eine Rückrufaktion der bereits in den Verkehr gebrachten Exemplare durchzuführen.

19      Im Anschluss an ein Gespräch mit den deutschen Behörden teilte die Broncho-Air Medizintechnik AG diesen mit Schreiben vom 22. Mai 1997 mit, dass das Produkt „Inhaler“ seit dem 1. Januar 1997 nicht mehr in den Verkehr gebracht und sein Vertrieb ausgesetzt worden sei, bis weitere Studien und Versuche zur Übereinstimmung dieses Produkts mit der Richtlinie 93/42 vorlägen. Außerdem teilte sie den deutschen Behörden mit, dass das Produkt nicht im Ausland vertrieben worden sei.

20      Gleichwohl erließen die deutschen Behörden am 23. September 1997 eine Anordnung, mit der das Inverkehrbringen des Produkts „Inhaler“ untersagt wurde. Darin führten sie im Wesentlichen aus, nach der Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden: BfArM) erfülle das fragliche Medizinprodukt nicht die grundlegenden Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 93/42, da seine Unbedenklichkeit nach den vom Hersteller bereitgestellten Angaben nicht ausreichend wissenschaftlich gesichert sei.

21      Am 7. Januar 1998 übermittelten die deutschen Behörden der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein Schreiben mit dem Betreff „Schutzklauselverfahren nach Artikel 8 der Richtlinie 93/42/EWG zu der Inhalierhilfe … ‚Inhaler Broncho Air‘“, mit dem sie die Kommission über ihre Untersagungsentscheidung sowie deren Begründung in Kenntnis setzten.

22      Im Anschluss an diese Mitteilung der deutschen Behörden erging keine Entscheidung der Kommission.

 Entscheidung über die Untersagung des Produkts „effecto“

23      Ab 2002 wurde die Inhalierhilfe des Klägers exklusiv von der atmed AG unter dem Namen „effecto®“ (im Folgenden: Produkt „effecto“) vertrieben. Sie übernahm im Jahr 2003 auch die Herstellung. Das Produkt trug bei seinem Inverkehrbringen auf dem deutschen Markt die CE-Kennzeichnung zum Ausweis seiner Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42.

24      Am 18. Mai 2005 erließen die deutschen Behörden einen Bescheid, mit dem der atmed AG das Inverkehrbringen des Produkts „effecto“ untersagt wurde. Sie vertraten im Wesentlichen die Auffassung, das Konformitätsbewertungsverfahren, insbesondere die klinische Bewertung, sei nicht in geeigneter Weise durchgeführt worden, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Produkt die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 erfülle. Die deutschen Behörden teilten diese Entscheidung nicht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 der Kommission mit.

25      Am 16. Januar und am 17. August 2006 nahm die atmed AG zu den Dienststellen der Kommission Kontakt auf, wobei sie rügte, dass die deutschen Behörden die Entscheidung, das Inverkehrbringen des Produkts „effecto“ zu untersagen, nicht der Kommission mitgeteilt hätten. Sie vertrat die Auffassung, dass ein Schutzklauselverfahren nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 einzuleiten sei.

26      Im Hinblick auf die von der atmed AG erhaltenen Informationen bat die Kommission die deutschen Behörden mit Schreiben vom 6. Oktober 2006 um Mitteilung, ob sie die Voraussetzungen für ein Schutzklauselverfahren nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 als erfüllt ansähen.

27      Am 12. Dezember 2006 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission mit, dass ihrer Ansicht nach das 1998 bezüglich des Produkts „Inhaler“ eingeleitete Verfahren ein Schutzklauselverfahren im Sinne der genannten Vorschrift darstelle und dass ein neues Verfahren in Bezug auf das gleiche Produkt unter anderem Namen nicht gerechtfertigt sei. Ferner teilten die deutschen Behörden der Kommission mit, dass sie die Übereinstimmung des Produkts „effecto“ mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 nach wie vor für zweifelhaft hielten, und baten deshalb die Kommission um Bestätigung ihrer Untersagungsentscheidung.

28      Am 13. Dezember 2006 unterrichtete die Kommission die atmed AG über die Antwort der deutschen Behörden.

29      Am 18. Dezember 2006 forderte die atmed AG die Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie zur Fortsetzung des nach deren Ansicht im Jahr 1998 eingeleiteten Schutzklauselverfahrens auf.

30      Am 22. Februar 2007 schlug die Kommission den deutschen Behörden vor, den Bescheid vom 18. Mai 2005 im Kontext des Schutzklauselverfahrens von 1998 zu bewerten und auf der Grundlage der neuen Informationen zu bearbeiten. Dadurch könne eine erneute Mitteilung vermieden und eine größere Effizienz sichergestellt werden.

31      Mit Schreiben vom 18. Juli 2007 teilte die Kommission den deutschen Behörden mit, sie sei zu dem Schluss gelangt, dass es vorliegend um einen Fall unrechtmäßiger Anbringung der CE-Kennzeichnung gehe, der deshalb nach Art. 18 der Richtlinie 93/42 zu behandeln sei. Dabei bezweifelte die Kommission, dass das Produkt „effecto“ außerstande sein sollte, die grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie zu erfüllen. Vielmehr hielt sie für den Nachweis, dass es diesen Anforderungen entspreche, weitere klinische Daten für erforderlich und forderte die deutschen Behörden auf, eng mit der atmed AG zusammenzuarbeiten, um zu ermitteln, welche Daten noch fehlten. Eine Kopie dieses Schreibens an die deutschen Behörden übermittelte die Kommission dem Kläger.

32      Im Jahr 2008 richtete der Kläger an das Europäische Parlament eine Petition wegen der unzureichenden Weiterverfolgung seiner Angelegenheit durch die Kommission und der sich daraus ergebenden schädlichen Auswirkungen auf das betroffene Unternehmen.

33      Am 12. Januar 2011 nahm das Parlament die Entschließung B7‑0026/2011 an.

34      Am 9. März 2011 forderte der Kläger die Kommission auf, Schadensersatz in Höhe von 170 Mio. Euro an die atmed AG und in Höhe von 130 Mio. Euro an ihn selbst zu zahlen.

35      Die Kommission wies die Schadensersatzforderung des Klägers am 11. März 2011 zurück.

 Verfahren und Anträge der Parteien

36      Mit Schriftsatz, der am 27. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, ihm zur Erhebung einer Schadensersatzklage Prozesskostenhilfe nach den Art. 94 und 95 der Verfahrensordnung des Gerichts zu gewähren.

37      Der Präsident des Gerichts hat diesem Antrag mit Beschluss vom 13. September 2010 stattgegeben.

38      Mit Schriftsatz, der am 2. Mai 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die Bewilligung einer erweiterten Prozesskostenhilfe nach den Art. 94 und 95 der Verfahrensordnung beantragt.

39      Dieser Antrag ist durch Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 9. Juni 2011 zurückgewiesen worden.

40      Mit Klageschrift, die am 15. September 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

41      Mit Schriftsatz, der am 12. Januar 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Bundesrepublik Deutschland beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 19. April 2012 hat der Präsident der Siebten Kammer des Gerichts diesen Streitbeitritt zugelassen. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihren Streithilfeschriftsatz am 4. Juni 2012 eingereicht.

42      Infolge einer Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Ersten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.

43      Das Gericht (Erste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 64 der Verfahrensordnung zur schriftlichen Beantwortung einiger Fragen aufzufordern. Die Parteien sind dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen.

44      In der Sitzung vom 18. Juni 2013 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

45      Der Kläger beantragt,

–        festzustellen, dass die Kommission dadurch, dass sie in dem seit 1998 laufenden Schutzklauselverfahren für die streitigen Medizinprodukte keine Entscheidung erlassen hat, und dadurch, dass sie nach dem Erlass der Vertriebsverbotsentscheidung durch die deutschen Behörden kein Schutzklauselverfahren gemäß Art. 8 der Richtlinie 93/42 eingeleitet hat, gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 93/42 und dem Unionsrecht verstoßen und dem Kläger damit unmittelbar einen Schaden verursacht hat;

–        die Kommission zu verurteilen, dem Kläger den verursachten, noch zu beziffernden Schaden zu ersetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

46      Die Kommission beantragt,

–        die Klage bezüglich der angeblich vor dem 29. Juli 2006 entstandenen Schäden als unzulässig, in jedem Fall aber als unbegründet abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

47      Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Anträge der Kommission auf Abweisung der Schadensersatzklage als unbegründet und auf Verurteilung des Klägers zur Tragung der Kosten.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Zulässigkeit

48      Nach Ansicht der Kommission sind die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche gemäß Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union teilweise verjährt.

49      Der Kläger tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen.

50      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs, der nach Art. 53 Abs. 1 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, die aus außervertraglicher Haftung der Union hergeleiteten Ansprüche in fünf Jahren nach Eintritt des Ereignisses, das ihnen zugrunde liegt, verjähren. Die Verjährung wird durch Einreichung der Klageschrift beim Gericht oder dadurch unterbrochen, dass der Geschädigte seinen Anspruch vorher gegenüber dem zuständigen Unionsorgan geltend macht. In letzterem Fall muss die Klage innerhalb der in Art. 263 AEUV vorgesehenen Frist von zwei Monaten erhoben werden.

51      Nach ständiger Rechtsprechung beginnt die Verjährungsfrist, wenn alle Voraussetzungen, von denen die Ersatzpflicht abhängt, erfüllt sind und sich insbesondere der geltend gemachte Schaden konkretisiert hat (Urteil des Gerichtshofs vom 19. April 2007, Holcim [Deutschland]/Kommission, C‑282/05 P, Slg. 2007, I‑2941, Rn. 29 und 30, und Beschluss des Gerichts vom 1. April 2009, Perry/Kommission, T‑280/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 36).

52      Im Fall eines sukzessiv eingetretenen Schadens erfasst die Verjährungsfrist nach Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs die mehr als fünf Jahre vor der Unterbrechungshandlung liegende Zeit, ohne etwaige später entstandene Ansprüche zu berühren (Beschlüsse des Gerichts vom 14. Dezember 2005, Arizona Chemical u. a./Kommission, T‑369/03, Slg. 2005, II‑5839, Rn. 116, und vom 10. April 2008, 2K-Teint u. a./Kommission und EIB, T‑336/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 106).

53      Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass der Kläger seinen Schadensersatzanspruch gegenüber der Kommission vorher geltend gemacht hat. Sein am 9. März 2011 gestellter Antrag kann jedoch nicht als eine die Verjährung unterbrechende Handlung im Sinne von Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs angesehen werden, da der Antragstellung nicht, wie diese Bestimmung verlangt, innerhalb von zwei Monaten die Klageerhebung gefolgt ist. Daher kann nur die in der vorliegenden Rechtssache am 15. September 2011 eingereichte Klageschrift als eine die Verjährung unterbrechende Handlung angesehen werden.

54      Infolgedessen ist der vorliegende Antrag, falls ein sukzessiv eingetretener Schaden vorliegen sollte, jedenfalls als unzulässig zurückzuweisen, soweit er den Schaden betrifft, der vor dem 15. September 2006 entstanden sein soll.

 Zur Begründetheit

 Vorbemerkungen

55      Nach Art. 340 Abs. 2 AEUV ersetzt die Union im Bereich der außervertraglichen Haftung den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

56      Nach ständiger Rechtsprechung tritt die außervertragliche Haftung der Union für ein rechtswidriges Verhalten ihrer Organe im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV nur dann ein, wenn mehrere Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Das dem Organ vorgeworfene Verhalten muss rechtswidrig sein, es muss ein Schaden entstanden sein, und zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen (Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 1982, Oleifici Mediterranei/EWG, 26/81, Slg. 1982, 3057, Rn. 16, und Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2005, Beamglow/Parlament u. a., T‑383/00, Slg. 2005, II‑5459, Rn. 95).

57      Was zunächst die Voraussetzung hinsichtlich des dem betreffenden Organ oder der betreffenden Einrichtung vorgeworfenen rechtswidrigen Verhaltens angeht, verlangt die Rechtsprechung den Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen (Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission, C‑352/98 P, Slg. 2000, I‑5291, Rn. 42). Für die Beurteilung der Frage, ob das Erfordernis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes erfüllt ist, besteht das entscheidende Kriterium darin, ob das betreffende Unionsorgan oder die betreffende Unionseinrichtung die Grenzen, die seinem bzw. ihrem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Verfügt das Organ bzw. die Einrichtung nur über ein erheblich verringertes oder gar auf null reduziertes Ermessen, kann die bloße Verletzung des Unionsrechts für die Annahme eines hinreichend qualifizierten Verstoßes ausreichen (Urteil des Gerichtshofs vom 10. Dezember 2002, Kommission/Camar und Tico, C‑312/00 P, Slg. 2002, I‑11355, Rn. 54, und Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2001, Comafrica und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, T‑198/95, T‑171/96, T‑230/97, T‑174/98 und T‑225/99, Slg. 2001, II‑1975, Rn. 134).

58      Sodann kann, was die Voraussetzung des tatsächlichen Vorliegens eines Schadens betrifft, die Haftung der Union nur eintreten, wenn dem Kläger ein tatsächlicher und sicherer Schaden entstanden ist (Urteil des Gerichts vom 16. Januar 1996, Candiotte/Rat, T‑108/94, Slg. 1996, II‑87, Rn. 54). Der Kläger hat dem Unionsrichter Beweise für das Vorliegen und den Umfang eines solchen Schadens zu unterbreiten (Urteil des Gerichtshofs vom 21. Mai 1976, Roquette frères/Kommission, 26/74, Slg. 1976, 677, Rn. 22 bis 24, und Urteil des Gerichts vom 9. Januar 1996, Koelman/Kommission, T‑575/93, Slg. 1996, II‑1, Rn. 97).

59      Was schließlich die Voraussetzung des Vorliegens eines Kausalzusammenhangs zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden angeht, muss sich Letzterer mit hinreichender Unmittelbarkeit aus dem gerügten Verhalten ergeben, und dieses muss die entscheidende Ursache für den entstandenen Schaden sein, wohingegen keine Verpflichtung zum Ersatz jeder noch so entfernten nachteiligen Folge einer rechtswidrigen Situation besteht (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 1979, Dumortier u. a./Rat, 64/76, 113/76, 167/78, 239/78, 27/79, 28/79 und 45/79, Slg. 1979, 3091, Rn. 21, und Urteil des Gerichts vom 10. Mai 2006, Galileo International Technology u. a./Kommission, T‑279/03, Slg. 2006, II‑1291, Rn. 130 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Kläger hat zu beweisen, dass zwischen dem gerügten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht (vgl. Urteil des Gerichts vom 30. September 1998, Coldiretti u. a./Rat und Kommission, T‑149/96, Slg. 1998, II‑3841, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Liegt eine der drei Voraussetzungen für den Eintritt der außervertraglichen Haftung der Union nicht vor, sind die Schadensersatzansprüche zurückzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die beiden anderen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 15. September 1994, KYDEP/Rat und Kommission, C‑146/91, Slg. 1994, I‑4199, Rn. 81, und Urteil des Gerichts vom 20. Februar 2002, Förde-Reederei/Rat und Kommission, T‑170/00, Slg. 2002, II‑515, Rn. 37). Im Übrigen ist der Unionsrichter nicht gehalten, die Prüfung dieser Voraussetzungen in einer bestimmten Reihenfolge vorzunehmen (Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 1999, Lucaccioni/Kommission, C‑257/98 P, Slg. 1999, I‑5251, Rn. 13).

61      Im vorliegenden Fall macht der Kläger geltend, dass die drei in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für den Eintritt der außervertraglichen Haftung der Union erfüllt seien. Das Gericht hält es für geboten, zunächst das Vorliegen des der Kommission vorgeworfenen rechtswidrigen Verhaltens, sodann das Vorliegen des behaupteten Schadens und schließlich das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen den beiden genannten Tatbestandsmerkmalen zu prüfen.

 Zum rechtswidrigen Verhalten

62      Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 der Richtlinie 93/42 verstoßen. Erstens habe sie im Anschluss an den Eingang des die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „Inhaler“ betreffenden Schreibens vom 7. Januar 1998 keine Entscheidung erlassen. Zweitens hätte sie, als sie vom Bescheid vom 18. Mai 2005 über die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „effecto“ Kenntnis erlangt habe, ein Schutzklauselverfahren einleiten müssen. Drittens verstießen die beiden Unterlassungen der Kommission gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

–       Zum Verbot des Produkts „Inhaler“

63      Zur Entscheidung über das Verbot des Produkts „Inhaler“ führt der Kläger aus, zwar hätten die deutschen Behörden mit Schreiben vom 7. Januar 1998 ein Schutzklauselverfahren eingeleitet, doch habe die Kommission es nie durch eine endgültige Entscheidung zum Abschluss gebracht. Dies stelle eine gegen die Richtlinie 93/42 verstoßende Untätigkeit dar, denn nach Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie sei die Kommission, wenn ihr eine nationale Entscheidung mitgeteilt werde, mit der das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts untersagt worden sei, zum Erlass einer Entscheidung verpflichtet, mit der festgestellt werde, ob diese Maßnahme gerechtfertigt sei. Außerdem hätte die Kommission nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 93/42 den Mitgliedstaat sowie die von diesem Verfahren Betroffenen über ihre Entscheidung unterrichten müssen.

64      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

65      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 93/42, wie sich aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, zum Ziel hat, die Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz im Hinblick auf die Anwendung der Medizinprodukte zu harmonisieren, um den freien Verkehr dieser Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt zu gewährleisten (Urteil des Gerichtshofs vom 19. November 2009, Nordiska Dental, C‑288/08, Slg. 2009, I‑11031, Rn. 19). Die Richtlinie bezweckt somit, das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in Einklang zu bringen (Urteile des Gerichtshofs vom 14. Juni 2007, Medipac-Kazantzidis, C‑6/05, Slg. 2007, I‑4557, Rn. 52, und vom 22. November 2012, Brain Products, C‑219/11, Rn. 28).

66      Nach Art. 2 der Richtlinie 93/42 dürfen die in ihren Anwendungsbereich fallenden Medizinprodukte nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie die in der Richtlinie genannten Anforderungen erfüllen. Nach Art. 3 der Richtlinie 93/42 bedeutet dies im Wesentlichen, dass die Medizinprodukte den grundlegenden Anforderungen gemäß ihrem Anhang I entsprechen müssen.

67      Des Weiteren sieht Art. 4 der Richtlinie 93/42 vor, dass die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten behindern, die die grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen und gemäß deren Art. 17 Abs. 1 mit der CE-Kennzeichnung versehen sind. Wenn diese Produkte den harmonisierten Normen entsprechen und gemäß den Verfahren der Richtlinie zertifiziert worden sind, ist davon auszugehen, dass sie diese grundlegenden Anforderungen erfüllen, und deshalb anzunehmen, dass sie sich für ihren Verwendungszweck eignen. Die betreffenden Medizinprodukte müssen außerdem in der Union frei verkehrsfähig sein (Urteile Medipac-Kazantzidis, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 42, und Nordiska Dental, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 22).

68      Die Vermutung der Konformität der Medizinprodukte kann jedoch widerlegt werden (Urteile Medipac-Kazantzidis, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 44, und Nordiska Dental, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 23).

69      Insbesondere müssen nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 Mitgliedstaaten, die Risiken im Zusammenhang mit Medizinprodukten, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde, festgestellt haben, alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen treffen, um diese Produkte vom Markt zurückzuziehen und ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Unter derartigen Umständen ist der betreffende Mitgliedstaat nach dieser Bestimmung verpflichtet, der Kommission unverzüglich die getroffenen Maßnahmen und namentlich die Gründe für ihren Erlass mitzuteilen. Die Kommission wiederum muss nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 prüfen, ob die vorläufigen Maßnahmen gerechtfertigt sind, und, wenn dies der Fall ist, den Mitgliedstaat, der die Maßnahmen getroffen hat, sowie die anderen Mitgliedstaaten davon unverzüglich unterrichten (Urteile Medipac-Kazantzidis, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 46, und Nordiska Dental, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 24).

70      Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 93/42 bestimmt, dass der betreffende Mitgliedstaat, wenn sich herausstellt, dass ein Medizinprodukt trotz CE-Kennzeichnung nicht die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie erfüllt, die geeigneten Maßnahmen ergreifen und davon die Kommission sowie die übrigen Mitgliedstaaten unterrichten muss. Ferner muss nach Art. 18 der Richtlinie, wenn ein Mitgliedstaat feststellt, dass die CE-Kennzeichnung unberechtigterweise angebracht wurde, der Hersteller oder sein in der Union ansässiger Bevollmächtigter den Verstoß unter den von diesem Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen abstellen (Urteil Medipac-Kazantzidis, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 47).

71      Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Kommission keine Entscheidung erließ, nachdem sie das die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „Inhaler“ betreffende Schreiben vom 7. Januar 1998 erhalten hatte. Die Parteien streiten jedoch darüber, welche Verpflichtung die Kommission nach Eingang dieses Schreibens traf. Während der Kläger vorträgt, das Schreiben vom 7. Januar 1998 habe die Mitteilung einer Schutzklausel im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 enthalten, so dass die Kommission eine Entscheidung nach dieser Bestimmung hätte erlassen müssen, vertritt die Kommission die Auffassung, sie sei mit diesem Schreiben lediglich über einen Fall der unberechtigten CE-Kennzeichnung im Sinne von Art. 18 der Richtlinie 93/42 unterrichtet worden, so dass sie in Anbetracht von Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie nicht habe tätig werden müssen.

72      Dazu ist zunächst festzustellen, dass der Kläger nicht in Abrede stellt, dass das Produkt „Inhaler“ ein Medizinprodukt im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 93/42 war und damit den Bestimmungen dieser Richtlinie unterlag und dass die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen des Anhangs I Voraussetzung seines Inverkehrbringens war. Zudem räumt der Kläger ein, dass dieses Produkt anfangs mit der CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht worden sei, um seine Konformität mit den Bestimmungen der Richtlinie 93/42 auszuweisen.

73      Sodann hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung – ebenfalls ohne Widerspruch des Klägers – dargelegt, dass das Produkt „Inhaler“ zur Klasse I der Medizinprodukte im Sinne des Art. 9 und des Anhangs IX der Richtlinie 93/42 gehöre. Nach Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie 93/42 obliegt es aber bei Produkten der Klasse I dem Hersteller des Medizinprodukts, eigenverantwortlich sicherzustellen, dass das betreffende Produkt mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 übereinstimmt, damit vor seinem Inverkehrbringen die CE-Kennzeichnung angebracht werden kann. Außerdem hat der Hersteller nach dem Verfahren des Anhangs VII neben einer EG-Konformitätserklärung, mit der er sicherstellt und erklärt, dass das Produkt den grundlegenden Anforderungen entspricht, die technische Dokumentation, mit der diese Konformität belegt werden kann, zur Einsichtnahme durch die nationalen Behörden für Kontrollzwecke bereitzuhalten. Die technische Dokumentation umfasst insbesondere eine nach Anhang X der Richtlinie 93/42 durchzuführende Analyse der Risiken und der klinischen Daten sowie die Kennzeichnung und die Gebrauchsanweisung.

74      Schließlich hat die Bundesrepublik Deutschland mit dem Schreiben vom 7. Januar 1998, anknüpfend an die bereits getroffenen Feststellungen der deutschen Behörden in deren Entscheidungsentwurf von 1996 und in der Anordnung vom 23. September 1997 (siehe oben, Rn. 18 und 20), die Kommission darüber unterrichtet, dass der Hersteller des Produkts „Inhaler“ es nicht vermocht habe, klinische Daten vorzulegen, die zum Nachweis der Unbedenklichkeit und der beworbenen Leistungen des Produkts im Sinne der grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 geeignet seien. Insbesondere reichten, wie die deutschen Behörden unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des BfArM ausführten, die vom Hersteller dieses Produkts gemachten Angaben weder aus, um die Bedenken hinsichtlich einer Gefährdung durch den Inhalator auszuräumen, noch, um die Erfüllung der in den Abschnitten 1 und 3 des Anhangs I der Richtlinie 93/42 aufgestellten grundlegenden Anforderungen nachzuweisen. Darüber hinaus teilten die deutschen Behörden der Kommission mit, dass das Medizinprodukt nicht mit den Informationen versehen gewesen sei, die ihm hätten beigegeben werden müssen, damit es sich im Einklang mit Abschnitt 13.6 des Anhangs I der Richtlinie 93/42 in einem seine Benutzung ermöglichenden sicheren und betriebsbereiten Zustand befinde.

75      Daraus folgt, dass die deutschen Behörden mit einem Fall konfrontiert waren, in dem die CE-Kennzeichnung vom Hersteller ungerechtfertigterweise auf dem Produkt „Inhaler“ angebracht worden war, denn im Wesentlichen war die Prüfung der Übereinstimmung dieses Produkts mit den grundlegenden Anforderungen nicht nach Maßgabe der Richtlinie 93/42 vorgenommen und bei dieser Prüfung insbesondere weder Anhang VII noch Anhang X dieser Richtlinie beachtet worden. Insoweit hatte die Vertriebsgesellschaft in ihrem Schreiben vom 22. Mai 1997 an die deutschen Behörden (siehe oben, Rn. 19) selbst eingeräumt, dass es weiterer Studien und Versuche in Bezug auf die Übereinstimmung des Medizinprodukts mit der Richtlinie 93/42 bedürfe.

76      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das an die Kommission gerichtete Schreiben der deutschen Behörden vom 7. Januar 1998 allein dazu diente, die Kommission von einer nach Art. 18 der Richtlinie 93/42 getroffenen Entscheidung über eine Untersagung des Inverkehrbringens in Kenntnis zu setzen.

77      Da Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 93/42 im Übrigen nur eine Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Unterrichtung der Kommission über die Entscheidung, das Inverkehrbringen zu untersagen, und keine Verpflichtung der Kommission zum Tätigwerden begründet (vgl. auch die oben in Rn. 70 angeführte Rechtsprechung), war die Kommission im Anschluss an den Eingang dieses Schreibens nicht zum Erlass einer Entscheidung verpflichtet.

78      Die vorstehende Beurteilung kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass im Betreff des Schreibens vom 7. Januar 1998 auf das Schutzklauselverfahren nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 Bezug genommen wurde.

79      Insoweit ist nämlich daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der rechtlichen Bedeutung eines Verwaltungsakts auf sein Wesen und nicht auf sein förmliches Erscheinungsbild abzustellen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, Slg. 1981, 2639, Rn. 9, und Urteil des Gerichts vom 29. Januar 2002, Van Parys und Pacific Fruit Company/Kommission, T‑160/98, Slg. 2002, II‑233, Rn. 60).

80      Dass im vorliegenden Fall im Betreff des Schreibens vom 7. Januar 1998 auf das Schutzklauselverfahren nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 Bezug genommen wurde, steht nicht der Schlussfolgerung entgegen, dass mit diesem Schreiben in Anbetracht seines Inhalts und der Tatsache, dass es auf der Untersagungsanordnung vom 23. September 1997 beruhte, die Kommission über einen Fall unrechtmäßiger CE-Kennzeichnung unterrichtet wurde, so dass für sie keine Verpflichtung zum Erlass einer Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 bestehen konnte. Im Übrigen ist festzustellen, dass die deutschen Behörden in der mündlichen Verhandlung in Beantwortung einer Frage des Gerichts eingeräumt haben, dass der Wortlaut des Schreibens vom 7. Januar 1998 fehlerhaft sei, was daran liege, dass die Entscheidung zum Produkt „Inhaler“ eine der ersten von ihnen im Rahmen der Richtlinie 93/42 erlassenen Entscheidungen gewesen sei.

81      Der Kläger trägt weiter vor, das Erfordernis einer endgültigen Entscheidung der Kommission nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 beruhe darauf, dass jeder von einer Untersagungsentscheidung betroffene Hersteller die Möglichkeit haben müsse, zu erfahren, ob die Entscheidung der nationalen Behörden, das Inverkehrbringen zu untersagen, gerechtfertigt sei oder nicht. Er vertritt im Kern die Auffassung, dass ohne ein Tätigwerden der Kommission das in der Richtlinie 93/42 vorgesehene Recht auf freien Verkehr von Medizinprodukten leerlaufen würde.

82      Dazu ist jedoch festzustellen, dass es nach der Richtlinie 93/42 Sache der nationalen Gerichte ist, die Rechtmäßigkeit der von den nationalen Behörden in diesem Bereich getroffenen Entscheidungen, mit denen das Inverkehrbringen untersagt wurde, zu prüfen. Insbesondere sieht nämlich Art. 19 der Richtlinie 93/42 vor, dass jede von den nationalen Behörden in Anwendung dieser Richtlinie getroffene Entscheidung, die ein Verbot oder eine Beschränkung des Inverkehrbringens oder die Aufforderung zur Zurückziehung der Produkte vom Markt zur Folge hat, dem Betreffenden unter genauer Angabe der Rechtsmittel, die nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats eingelegt werden können, und der Fristen für die Einlegung dieser Rechtsmittel mitzuteilen ist. Im vorliegenden Fall ist dem Schreiben vom 23. September 1997 zu entnehmen, dass die deutschen Behörden den Kläger über die ihm zu Gebote stehenden Rechtsbehelfe für eine Anfechtung ihrer Entscheidung informierten. Zudem hat der Kläger in seinen Schriftsätzen angegeben, dass er bei der zuständigen deutschen Behörde im Wege des Widerspruchs die Rechtswidrigkeit der Untersagungsentscheidung für das Produkt „Inhaler“ gerügt habe.

83      Schließlich macht der Kläger geltend, im vorliegenden Fall ergebe sich die Verpflichtung der Kommission zum Erlass einer Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 aus dem Grundsatz des guten Regierens, wie er zum einen im Weißbuch über Europäisches Regieren (ABl. 2001, C 287, S. 1, im Folgenden: Weißbuch) und zum anderen im Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien der Kommission (im Folgenden: Leitfaden) beschrieben werde.

84      Insoweit ist jedoch erstens darauf hinzuweisen, dass das Weißbuch lediglich ein Dokument mit Handlungsvorschlägen für die Union in einem bestimmten Bereich ist. Allgemein stellt ein Weißbuch oft eine Folgemaßnahme zu einem Grünbuch dar, dessen Ziel es ist, einen Konsultationsprozess auf europäischer Ebene in die Wege zu leiten. Daher handelt es sich um eine Mitteilung, mit der eine politische Debatte angestoßen werden soll und nicht etwa Verpflichtungen für die Kommission in einem Fall wie dem vorliegenden geschaffen werden sollen.

85      Zweitens kann der Leitfaden zum einen keine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Kommission in dem vom Kläger zum Ausdruck gebrachten Sinne sein, und zum anderen heißt es darin, dass sich die Maßnahmen, die die nationalen Behörden und die Kommission im Rahmen der Behandlung von Verstößen gegen Bestimmungen der „Richtlinien nach dem neuen Konzept“, wie der Richtlinie 93/42, zu treffen haben, in jedem Einzelfall nach der Art der festgestellten Nichtübereinstimmung richten. Insbesondere stellen nach dem Leitfaden Fälle wie der vorliegende, in denen die Verpflichtung, die nach der Richtlinie erforderlichen Angaben wie die technische Dokumentation oder die klinischen Daten zur Einsichtnahme durch die zuständigen Behörden bereitzuhalten, unzureichend erfüllt wurde, Beispiele für eine „unerhebliche Nichtübereinstimmung“ dar. In diesen Fällen müssen die nationalen Behörden dem Hersteller aufgeben, die Zuwiderhandlung abzustellen, das Inverkehrbringen des betreffenden Produkts beschränken oder untersagen und erforderlichenfalls sicherstellen, dass das Produkt vom Markt genommen wird. Im Gegensatz zu den Fällen „erheblicher Nichtübereinstimmung“, die ebenfalls im Leitfaden behandelt werden, rechtfertigen die Fälle „unerheblicher Nichtübereinstimmung“ nicht die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 (vgl. Abschnitt 8.2.2 [„Korrekturmaßnahmen“] des Leitfadens).

86      Daraus ist zu schließen, dass entgegen der Auffassung des Klägers – so bedauerlich das Ausbleiben einer Reaktion seitens der Kommission im Anschluss an die Mitteilung der Entscheidung über die Untersagung des Produkts „Inhaler“ durch die deutschen Behörden auch war – aus der Tatsache, dass die Kommission im Anschluss an diese Mitteilung keine Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 erließ, nicht abgeleitet werden kann, dass sie sich rechtswidrig verhielt.

–       Zum Verbot des Produkts „effecto“

87      In Bezug auf die Untersagungsentscheidung für das Produkt „effecto“ macht der Kläger im Wesentlichen zwei Rügen geltend. Die erste Rüge geht dahin, dass die Kommission auch ohne eine förmliche Mitteilung durch die deutschen Behörden eine Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 hätte erlassen müssen. Dazu trägt er vor, die Kommission hätte tätig werden müssen, als sie Kenntnis von der Existenz der Untersagungsentscheidung für das Produkt „effecto“ erlangt habe. Die zweite Rüge geht dahin, dass die Kommission zumindest ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland hätte einleiten müssen, um sie zur Mitteilung der Untersagungsentscheidung zu zwingen.

88      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

89      Hinsichtlich der ersten Rüge, die im Wesentlichen auf die Feststellung abzielt, dass die Kommission von sich aus ein Schutzklauselverfahren für das Produkt „effecto“ hätte einleiten müssen, ist zunächst der Kommission beizupflichten, dass diese Rüge die in der Richtlinie 93/42 vorgenommene Zuständigkeitsverteilung zwischen ihr und den Mitgliedstaaten verkennt. Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie ist es nämlich Sache der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit Medizinprodukte nicht in den Verkehr gebracht werden können, wenn sie die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten gefährden. Für diese Fälle sieht die Richtlinie ein System vor, bei dem die Überwachung des Marktes den nationalen Behörden und nicht der Kommission obliegt. Zudem gehört nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 die Initiative für ein Schutzklauselverfahren zur ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, so dass nur sie ein solches Verfahren einleiten können. Insoweit sieht Art. 8 der Richtlinie 93/42 nicht vor, dass die Kommission von sich aus die Mitgliedstaaten über ihre Feststellungen zu nationalen Maßnahmen unterrichten kann.

90      Des Weiteren trägt der Kläger vor, jede andere Lösung als eine Verpflichtung der Kommission, in einem Fall wie dem vorliegenden das Schutzklauselverfahren von Amts wegen einzuleiten, wäre nicht effizient. Insoweit genügt jedoch der Hinweis, dass nach dem in Art. 5 Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Im vorliegenden Fall war es der Kommission verwehrt, außerhalb der solcherart durch die Richtlinie 93/42 festgelegten Zuständigkeiten tätig zu werden, und dies kann ihr nicht gestützt auf ein Wirksamkeitskriterium zum Vorwurf gemacht werden.

91      Schließlich geht das Vorbringen des Klägers, die Kommission habe gegen ihre Verpflichtungen verstoßen, weil sie nicht tätig geworden sei, als sie von der Untersagungsentscheidung für das Produkt „effecto“ Kenntnis erlangt habe, in tatsächlicher Hinsicht fehl.

92      Erstens enthielt nämlich die E-Mail vom 16. Januar 2006, die nach Ansicht des Klägers als Grundlage für das Tätigwerden der Kommission hätte dienen müssen, nur abstrakte Fragen ohne konkrete Bezugnahme auf die Untersagungsentscheidung vom 18. Mai 2005. Die Kommission konnte angesichts des Inhalts dieser E-Mail nicht wissen, dass die deutschen Behörden für das streitige Medizinprodukt eine Untersagungsentscheidung erlassen hatten. Zweitens unternahm die Kommission, sobald sie durch zusätzliche Informationen des Klägers Kenntnis von der Untersagungsentscheidung für das Produkt „effecto“ erlangt hatte, eine Reihe von Schritten, um in Erfahrung zu bringen, ob die Untersagungsentscheidung der deutschen Behörden gerechtfertigt war. Insbesondere wandte sie sich in einem ersten Schritt an diese Behörden und fragte sie nach den Gründen, die sie dazu bewogen hatten, die Untersagungsentscheidung nicht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 mitzuteilen. In einem zweiten Schritt brachte sie ihre Absicht zum Ausdruck, zur Vermeidung einer neuen Mitteilung die deutsche Entscheidung auf der Grundlage von Art. 18 der Richtlinie 93/42 zu prüfen. Überdies unterrichtete sie den Kläger regelmäßig sowohl über die Antworten der deutschen Behörden auf ihre Fragen als auch über ihre eigenen Maßnahmen (siehe oben, Rn. 26 bis 31).

93      Somit ist die erste Rüge zurückzuweisen.

94      Zur zweiten Rüge, mit der der Kläger seinen Schadensersatzanspruch darauf gründet, dass die Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 226 EG eingeleitet habe, genügt der Hinweis, dass die Kommission nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Frage, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, über ein Ermessen verfügt (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1989, Star Fruit/Kommission, 247/87, Slg. 1989, 291, Rn. 11, und Beschluss des Gerichts vom 12. November 1996, SDDDA/Kommission, T‑47/96, Slg. 1996, II‑1559, Rn. 42). Trotz der an sie gerichteten Aufforderung, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, war die Kommission dazu nicht verpflichtet, so dass seine unterbliebene Einleitung keinen Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts darstellt.

95      Somit ist die zweite Rüge zurückzuweisen.

96      Folglich kann entgegen der Auffassung des Klägers aus der Tatsache, dass die Kommission kein Schutzklauselverfahren nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 einleitete, und der Tatsache, dass sie auch kein Verfahren nach Art. 226 EG einleitete, als sie Kenntnis davon erhielt, dass die deutschen Behörden im Jahr 2005 eine Untersagungsentscheidung für das Produkt „effecto“ erlassen hatten, nicht abgeleitet werden, dass sie sich rechtswidrig verhielt.

–       Zum Verstoß gegen die Charta der Grundrechte

97      In der Erwiderung rügt der Kläger, die Kommission habe seine Grundrechte, wie sie in der Charta der Grundrechte niedergelegt seien, verletzt. Er vertritt im Wesentlichen die Auffassung, die Untätigkeit der Kommission sowie der Umstand, dass er seine Medizinprodukte nicht habe vertreiben dürfen, stellten eine Verletzung der Berufsfreiheit, der unternehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts dar, die in den Art. 15, 16 und 17 der Charta vorgesehen seien.

98      Nach Art. 48 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

99      Im vorliegenden Fall hat der Kläger seine Ausführungen zur Verletzung der Grundrechte erstmals im Stadium der Erwiderung vorgebracht und nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Sie stellen auch keine Erweiterung eines bereits zuvor vorgetragenen Angriffsmittels des Klägers dar.

100    Somit ist das Vorbringen des Klägers als unzulässig zurückzuweisen.

–       Ergebnis hinsichtlich des rechtswidrigen Verhaltens

101    Aus den vorstehenden Rn. 62 bis 100 folgt, dass der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass die Kommission ihre Verpflichtungen aus Art. 8 der Richtlinie 93/42 verletzt oder im Sinne der oben in Rn. 57 angeführten Rechtsprechung gegen eine andere Norm des Unionsrechts verstoßen hat. Infolgedessen ist im vorliegenden Fall kein rechtswidriges Verhalten festzustellen.

 Zum Schaden und zum Kausalzusammenhang

102    Nach der oben in Rn. 60 angeführten Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen für eine außervertragliche Haftung der Union kumulativ vorliegen. Schon wenn eine von ihnen nicht erfüllt ist, greift daher diese Haftung nicht ein.

103    Im vorliegenden Fall hat der Kläger, wie sich aus der vorstehenden Rn. 101 ergibt, nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzung des Vorliegens eines rechtswidrigen Verhaltens der Kommission erfüllt ist.

104    Soweit der Antrag des Klägers auf Ersatz des Schadens, der ihm aufgrund der 1998 und 2005 verhängten Verbote des Inverkehrbringens der Produkte „Inhaler“ und „effecto“ entstanden sein soll, nicht ohnehin verjährt ist, ist er folglich jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass zu prüfen ist, ob die beiden weiteren Haftungsvoraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

105    Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

106    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem gesamten Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Kommission seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

107    Nach Art. 87 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Demgemäß sind der Bundesrepublik Deutschland ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Herr Christoph Klein trägt seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

Frimodt Nielsen

Kancheva

Buttigieg

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Januar 2014.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.