Language of document : ECLI:EU:C:2023:994

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 14. Dezember 2023(1)

Rechtssache C90/22

„Gjensidige“ ADB,

andere Parteien:

„Rhenus Logistics“ UAB,

„ACC Distribution“ UAB

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas [Oberstes Gericht Litauens])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 71 – Verhältnis zu einem internationalen Übereinkommen, das für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen regelt – Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR-Übereinkommen) – Nicht ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung – Anerkennung einer in den Anwendungsgereich des CMR-Übereinkommens fallenden Entscheidung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats – Ursprungsgericht, das seine Zuständigkeit auf einer anderen Grundlage festgestellt hat – Vereinbarkeit mit den Grundsätzen, die der Funktionsweise der Verordnung Nr. 1215/2012 zugrunde liegen – Gründe für die Versagung der Anerkennung einer Entscheidung – Art. 45“






I.      Einleitung

1.        Bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten muss das angerufene Gericht oft zunächst feststellen, ob es für die Entscheidung der Sache international zuständig ist. Innerhalb der Europäischen Union wird diese Prüfung bei Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen grundsätzlich durch die diesbezüglichen Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012(2) geregelt.

2.        Gleichzeitig räumt diese Verordnung, wie ich im Folgenden näher darlegen werde, den speziellen Vorschriften der von den Mitgliedstaaten geschlossenen besonderen internationalen Übereinkommen Vorrang ein.

3.        Allerdings hat der Gerichtshof in seinem Urteil TNT Express(3) im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anwendung dieser speziellen Vorschriften bestimmte Grundsätze nicht beeinträchtigen darf, auf denen das System der justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union beruht, wie beispielsweise die Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit oder die geordnete Rechtspflege.

4.        Die Komplexität des sich daraus ergebenden Vorgehens wird aus dem Rechtsstreit ersichtlich, der zu dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geführt hat. Dieser Rechtsstreit entstand nach dem Diebstahl einer Fracht während ihrer Beförderung von den Niederlanden nach Litauen. Der betreffende Versicherer verlangte eine Entschädigung von der Frachtführerin, und zwar in Litauen unter Berufung auf eine im Beförderungsvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung.

5.        Zu diesem Zeitpunkt hatte die Frachtführerin jedoch bereits in den Niederlanden ein Gerichtsverfahren eingeleitet, um feststellen zu lassen, dass ihre Haftung in diesem bestimmten Zusammenhang begrenzt sei. Bevor es dieser Klage stattgab, erklärte sich das niederländische Gericht unter Anwendung einer der Zuständigkeitsvorschriften des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (im Folgenden: CMR-Übereinkommen)(4) für zuständig, und zwar unabhängig von der oben genannten Gerichtsstandsvereinbarung, die seiner Ansicht nach die anderen (alternativen) Zuständigkeitsgründe des CMR-Übereinkommens nicht ausschließen konnte.

6.        Nachdem die litauischen Gerichte diese Entscheidung anerkannt hatten, legte die „Gjensidige“ ADB (im Folgenden: Gjensidige) beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens, Litauen), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. Sie macht geltend, die Anerkennung der Entscheidung des niederländischen Gerichts stehe im Widerspruch zur Verordnung Nr. 1215/2012, da diese Verordnung grundsätzlich die Ausschließlichkeit der sich aus einer Gerichtsstandsvereinbarung ergebenden Zuständigkeit vorsehe.

7.        Unter diesen Umständen fragt sich das vorlegende Gericht erstens, welche Zuständigkeitsvorschriften anwendbar sind. Es weist darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 den in einem speziellen internationalen Übereinkommen wie dem CMR-Übereinkommen festgelegten Vorschriften Anwendungsvorrang einräume. Es hat jedoch Zweifel, ob dieser Vorrang es erlaubt, eine Gerichtsstandsvereinbarung in Anbetracht des verstärkten Schutzes, den die Verordnung Nr. 1215/2012 diesen Vereinbarungen gewährt, außer Acht zu lassen. Zweitens möchte es wissen, ob dieser verstärkte Schutz dazu führen muss, dass dem niederländischen Urteil die Anerkennung versagt wird. Auch wenn die Verordnung Nr. 1215/2012 einen solchen Ansatz nicht ausdrücklich zulässt, ersucht das vorlegende Gericht um Klarstellung, ob eine weitere Auslegung der Verordnung geboten ist, um im Wesentlichen die Absichten der Parteien zu wahren, wie sie in der streitigen Gerichtsstandsvereinbarung dokumentiert sind.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Völkerrecht

8.        Das CMR-Übereinkommen gilt gemäß seinem Art. 1 „für jeden Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene Ort … in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer ein Vertragsstaat ist. Dies gilt ohne Rücksicht auf den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit der Parteien“(5).

9.        Art. 31 des CMR-Übereinkommens bestimmt:

„(1)      Wegen aller Streitigkeiten aus einer diesem Übereinkommen unterliegenden Beförderung kann der Kläger, außer durch Vereinbarung der Parteien bestimmte Gerichte von Vertrag[s]staaten, die Gerichte eines Staates anrufen, auf dessen Gebiet

a)      der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Hauptniederlassung oder die Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle hat, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen worden ist, oder

b)      der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung vorgesehene Ort liegt.

Andere Gerichte können nicht angerufen werden[(6)].

(2)      Ist ein Verfahren bei einem nach Absatz 1 zuständigen Gericht wegen einer Streitigkeit im Sinne des genannten Absatzes anhängig oder ist durch ein solches Gericht in einer solchen Streitsache ein Urteil erlassen worden, so kann eine neue Klage wegen derselben Sache zwischen denselben Parteien nicht erhoben werden, es sei denn, dass die Entscheidung des Gerichtes, bei dem die erste Klage erhoben worden ist, in dem Staat nicht vollstreckt werden kann, in dem die neue Klage erhoben wird.

(3)      Ist in einer Streitsache im Sinne des Absatzes 1 ein Urteil eines Gerichtes eines Vertrag[s]staates in diesem Staat vollstreckbar geworden, so wird es auch in allen anderen Vertrag[s]staaten vollstreckbar, sobald die in dem jeweils in Betracht kommenden Staat hierfür vorgeschriebenen Formerfordernisse erfüllt sind. Diese Formerfordernisse dürfen zu keiner sachlichen Nachprüfung führen.

(4)      Die Bestimmungen des Absatzes 3 gelten für Urteile im kontradiktorischen Verfahren, für Versäumnisurteile und für gerichtliche Vergleiche, jedoch nicht für nur vorläufig vollstreckbare Urteile sowie nicht für Verurteilungen, durch die dem Kläger bei vollständiger oder teilweiser Abweisung der Klage neben den Verfahrenskosten Schadenersatz und Zinsen auferlegt werden.

…“

10.      Art. 41 Abs. 1 des CWR-Übereinkommens sieht vor, dass „[u]nbeschadet der Bestimmungen des Artikels 40 … jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar von den Bestimmungen dieses Übereinkommens abweicht, nichtig und ohne Rechtswirkung [ist]. Die Nichtigkeit solcher Vereinbarungen hat nicht die Nichtigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen zur Folge.“

B.      Unionsrecht

11.      Im 21. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es, dass „[i]m Interesse einer abgestimmten Rechtspflege … Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden [müssen], damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren … vorgesehen werden …“

12.      Im 22. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es: „Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird. In einem solchen Fall muss das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das letztere Gericht erklärt, dass es gemäß der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist. Hierdurch soll in einem solchen Fall sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet. Das vereinbarte Gericht sollte das Verfahren unabhängig davon fortsetzen können, ob das nicht vereinbarte Gericht bereits entschieden hat, das Verfahren auszusetzen.“

13.      Kapitel II Abschnitt 6 der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält Art. 24 („Ausschließliche Zuständigkeiten“), der bestimmt:

„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig:

1.      für Verfahren, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.

2.      für Verfahren, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. …

3.      für Verfahren, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden;

4.      für Verfahren, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Unionsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt.

5.      für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.“

14.      Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 befindet sich in Kapitel II Abschnitt 7 dieser Verordnung und bestimmt: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. …“

15.      Art. 29 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:

„(1)      Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht unbeschadet des Artikels 31 Absatz 2 das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.

…“

16.      In Art. 31 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„…

(2)      Wird ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen, das gemäß einer Vereinbarung nach Artikel 25 ausschließlich zuständig ist, so setzt das Gericht des anderen Mitgliedstaats unbeschadet des Artikels 26 das Verfahren so lange aus, bis das auf der Grundlage der Vereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist.

(3)      Sobald das in der Vereinbarung bezeichnete Gericht die Zuständigkeit gemäß der Vereinbarung festgestellt hat, erklären sich die Gerichte des anderen Mitgliedstaats zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.

…“

17.      Art. 45 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:

„(1)      Die Anerkennung einer Entscheidung wird auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn

a)      die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde;

… oder

e)      die Entscheidung unvereinbar ist

i)      mit Kapitel II Abschnitte 3, 4 oder 5, sofern der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, oder

ii)      mit Kapitel II Abschnitt 6.

(3)      Die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts darf, unbeschadet des Absatzes 1 Buchstabe e, nicht nachgeprüft werden. Die Vorschriften über die Zuständigkeit gehören nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a.

…“

18.      Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung lässt Übereinkünfte unberührt, denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder die Vollstreckung von Entscheidungen regeln.

(2)      Um eine einheitliche Auslegung des Absatzes 1 zu sichern, wird er in folgender Weise angewandt:

b)      Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat von einem Gericht erlassen worden sind, das seine Zuständigkeit auf eine Übereinkunft über ein besonderes Rechtsgebiet gestützt hat, werden in den anderen Mitgliedstaaten nach dieser Verordnung anerkannt und vollstreckt.

Sind der Ursprungsmitgliedstaat und der ersuchte Mitgliedstaat Vertragsparteien einer Übereinkunft über ein besonderes Rechtsgebiet, welche die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen regelt, so gelten diese Voraussetzungen. In jedem Fall können die Bestimmungen dieser Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen angewandt werden.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19.      Die „ACC Distribution“ UAB (im Folgenden: ACC Distribution), die Auftraggeberin, und die „Rhenus Logistics“ UAB (im Folgenden: Rhenus Logistics), die Frachtführerin, schlossen einen Vertrag über die Beförderung von Computerausrüstung von den Niederlanden nach Litauen. Während dieser Beförderung wurde ein Teil der Fracht gestohlen.

20.      Klausel 3 des Beförderungsvertrags bestimmte: „Werden Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten nicht durch Verhandlungen zwischen den Parteien beigelegt, wird das Gericht damit befasst, in dessen Bezirk der Rechtssitz des Auftraggebers eingetragen ist.“ Da sich der eingetragene Sitz von ACC Distribution (der Auftraggeberin) in Litauen befindet, wurde von den Parteien die Zuständigkeit der litauischen Gerichte vereinbart.

21.      Nach dem Diebstahl leistete Gjensidige, ein Versicherer, der die Fracht versichert hatte, am 21. April 2017 an ACC Distribution eine Versicherungszahlung in Höhe von 205 108,89 Euro.

22.      Am 3. Februar 2017 wurde bei der Rechtbank Zeeland-West-Brabant (Bezirksgericht Seeland-Westbrabant, Niederlande, im Folgenden: Bezirksgericht Seeland-Westbrabant) u. a. von Rhenus Logistics gegen u. a. ACC Distribution Klage erhoben. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht geht aus den Akten hervor, dass sich Rhenus Logistics bei der Erhebung dieser Klage auf das CMR-Übereinkommen (in dessen Anwendungsbereich der Rechtsstreit fiel) berief, wonach der Kläger u. a. die Gerichte eines Staates anrufen kann, in dessen Gebiet der Ort der Übernahme des Gutes liegt(7).

23.      Diese Klage war auf die Feststellung gerichtet, dass die zivilrechtliche Haftung der Frachtführerin im Zusammenhang mit dem oben genannten Diebstahl begrenzt sei. ACC Distribution und Gjensidige machten unter Bezugnahme auf die im Beförderungsvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung die Unzuständigkeit des niederländischen Gerichts geltend. Diese Einrede der Unzuständigkeit wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 41 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens nichtig sei, weil sie die Wahl von nach Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens für den Rechtsstreit zuständigen Gerichten beschränke.

24.      Am 19. September 2017 leitete Gjensidige beim Kauno apygardos teismas (Regionalgericht Kaunas, Litauen; im Folgenden: Regionalgericht) gegen Rhenus Logistics ein Verfahren ein und begehrte Schadensersatz in Höhe von 205 108,89 Euro zuzüglich Zinsen. Diese Klage war auf einen Forderungsübergang gestützt, den Gjensidige nach der Versicherungszahlung an ACC Distribution geltend gemacht hatte.

25.      Rhenus Logistics beantragte daraufhin, die Klage abzuweisen, und machte geltend, es sei eine Rechtshängigkeitssituation entstanden, die durch Anerkennung der Zuständigkeit des Bezirksgerichts Seeland-Westbrabant zu lösen sei, das das erste in dieser Sache angerufene Gericht gewesen sei.

26.      Vor diesem Hintergrund setzte das Regionalgericht das Verfahren aus. Diese Entscheidung wurde im Berufungsverfahren vom Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens; im Folgenden: Berufungsgericht) bestätigt.

27.      Mit Urteil vom 25. September 2019 stellte das Bezirksgericht Seeland-Westbrabant fest, dass die Haftung u. a. von Rhenus Logistics gegenüber u. a. ACC Distribution und Gjensidige begrenzt sei und den in Art. 23 Abs. 3 des CMR-Übereinkommens vorgesehenen Entschädigungsbetrag nicht übersteigen dürfe(8). Gegen dieses Urteil wurde kein Rechtsmittel eingelegt.

28.      Gemäß dieser Entscheidung überwies Rhenus Logistics den entsprechenden Betrag an Gjensidige. Letztere erklärte sodann die teilweise Rücknahme ihrer in Litauen anhängigen Klage und erhielt diese Klage im Übrigen aufrecht.

29.      Mit Urteil vom 22. Mai 2020 akzeptierte das Regionalgericht die teilweise Klagerücknahme, während die Klage im Übrigen abgewiesen wurde. Das Regionalgericht stellte fest, dass das Endurteil des Bezirksgerichts Seeland-Westbrabant in Rechtskraft erwachsen sei. Das Berufungsgericht bestätigte diese Auffassung.

30.      Am 2. Juni 2021 erhob Gjensidige beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) Kassationsbeschwerde. Gjensidige machte u. a. geltend, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 im Gegensatz zum CMR-Übereinkommen die Ausschließlichkeit der durch eine Gerichtsstandsvereinbarung bestimmten Zuständigkeit begründe und dass die im Ausgangsverfahren eingetretene Situation dazu führen müsse, dass dieser Verordnung der Vorrang eingeräumt werde. Die gegenteilige Lösung habe weniger günstige Folgen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und gewährleiste insbesondere nicht die Beachtung der Grundsätze der Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeit und der geordneten Rechtspflege.

31.      Da der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) insoweit Zweifel hat, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 unter Berücksichtigung der Art. 25, 29 und 31 sowie der Erwägungsgründe 21 und 22 dieser Verordnung dahin ausgelegt werden, dass er die Anwendung von Art. 31 des CMR-Übereinkommens auch in Fällen zulässt, in denen ein in den Anwendungsbereich dieser beiden Rechtsinstrumente fallender Rechtsstreit Gegenstand einer Gerichtsstandsvereinbarung ist?

2.      Kann Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers, Gerichtsstandsvereinbarungen in der Europäischen Union stärker zu schützen, erweiternd dahin ausgelegt werden, dass er nicht nur Kapitel II Abschnitt 6 dieser Verordnung, sondern auch Abschnitt 7 dieses Kapitels erfasst?

3.      Kann der in der Verordnung Nr. 1215/2012 verwendete Begriff „öffentliche Ordnung“ nach Prüfung der Besonderheiten des Sachverhalts und der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen dahin ausgelegt werden, dass er den Grund erfasst, dessentwegen einem Urteil eines anderen Mitgliedstaats die Anerkennung versagt wird, wenn die Anwendung eines besonderen Übereinkommens wie des CMR-Übereinkommens eine Rechtslage schafft, in der in derselben Rechtssache sowohl die Gerichtsstandsvereinbarung als auch die Rechtswahlvereinbarung nicht beachtet werden?

32.      Rhenus Logistics, Gjensidige, die litauische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Beteiligten haben sich auch in der Sitzung vom 23. März 2023 mündlich geäußert.

IV.    Würdigung

33.      Nach einleitenden Bemerkungen zu den relevanten Gesichtspunkten des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren (A) und zum Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache TNT Express, auf das sich die Fragen des vorlegenden Gerichts zumindest teilweise stützen (B), werde ich mich der materiellen Prüfung der Vorlagefragen zuwenden (C).

34.      Zu diesem Zweck werde ich mich zuerst mit der Prämisse befassen, auf der das vorliegende Ersuchen beruht, nämlich dass es im Rahmen des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens, bei dem es um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Urteils geht, noch immer möglich sei, die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Seeland-Westbrabant als Ursprungsgericht zu überprüfen. Ich werde darlegen, dass diese Prämisse unzutreffend ist und dass in einer solchen Situation grenzüberschreitende Wirkungen eines Urteils nur dann vermieden werden können, wenn sich eine Partei erfolgreich auf einen der in der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Gründe für die Versagung seiner Anerkennung berufen hat (C.1). Das vorlegende Gericht zieht diese Möglichkeit im Rahmen der zweiten und der dritten Vorlagefrage in Betracht. Ich werde erläutern, dass diese Gründe nicht die Situation umfassen, in der das Ursprungsgericht im Wesentlichen seine Zuständigkeit festgestellt hat, obwohl es kein Gericht eines durch eine Gerichtsstandsvereinbarung bestimmten Mitgliedstaats war (C.2).

35.      Der Vollständigkeit halber und um auf die umfangreiche Erörterung dieser Frage im vorliegenden Verfahren einzugehen, werde ich darlegen, dass die im CMR-Übereinkommen enthaltene einschlägige Zuständigkeitsvorschrift keineswegs im Widerspruch zu den Grundsätzen steht, auf denen die Verordnung Nr. 1215/2012 beruht, wenn man die im Urteil TNT Express aufgestellten Prüfkriterien anwendet (D).

A.      Relevante Gesichtspunkte des vorliegenden Rechtsstreits

36.      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Ausgangsrechtsstreit auf den Diebstahl eines Teils der Fracht während deren internationaler Beförderung zurückzuführen ist. Obwohl der Beförderungsvertrag eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der litauischen Gerichte enthielt(9), wurde der durch diesen Diebstahl ausgelöste Rechtsstreit letztlich von den niederländischen Gerichten verhandelt und entschieden(10).

37.      Dies beruhte darauf, dass dieser Rechtsstreit sachlich in den Anwendungsbereich des CMR-Übereinkommens fiel, das nicht nur materiell-rechtliche Vorschriften über die Haftung im Rahmen der Beförderung von Gütern auf der Straße, sondern u. a. auch Zuständigkeitsvorschriften für Streitigkeiten aus einer solchen Beförderung enthält.

38.      Genauer gesagt hat der Kläger nach Art. 31 des CMR-Übereinkommens die Wahl zwischen vier möglichen Gerichtsständen, nämlich erstens den Gerichten des von den Parteien vereinbarten Staates, zweitens den Gerichten des Staates, in dem der Beklagte – im Wesentlichen – seinen (Wohn‑)Sitz hat(11), drittens den Gerichten des Ortes der Übernahme des Gutes oder viertens den Gerichten des für die Ablieferung vorgesehenen Ortes.

39.      Obwohl sich aus diesen Vorschriften ergibt, dass die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen können, kann – zumindest nach Ansicht des Bezirksgerichts Seeland-Westbrabant – eine solche Vereinbarung offenbar nicht ausschließlich sein(12). Dies scheint auch die Auffassung des vorlegenden Gerichts zu sein.

40.      Meines Wissens hat Rhenus Logistics, die betroffene Frachtführerin, ihre Klage beim Bezirksgericht Seeland-Westbrabant unter Berufung auf die oben in Nr. 38 genannte dritte Kategorie erhoben(13). Ihre Klage scheint präventiv gewesen zu sein, da diese Gesellschaft die gerichtliche Feststellung begehrte, dass ihre Haftung für den Schaden aus dem Diebstahl auf einen bestimmten Betrag begrenzt sei.

41.      Meinem Verständnis nach begrenzt Art. 23 Abs. 3 des CMR-Übereinkommens grundsätzlich die Haftung des Frachtführers für den Verlust des Gutes(14). Offensichtlich gilt eine solche Haftungsbegrenzung nach Art. 29 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens jedoch nicht, „wenn [der Frachtführer] den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichtes dem Vorsatz gleichsteht“.

42.      Insoweit können die Gerichte der Vertragsstaaten des CMR-Übereinkommens unterschiedlicher Auffassung sein, was die Voraussetzungen betrifft, unter denen die letztgenannte Bestimmung Anwendung findet(15). Wenn es zu einem Rechtsstreit kommt, führt dies möglicherweise zu einem Wettlauf zu dem Gericht, das aller Wahrscheinlichkeit nach eine für die betreffende Partei günstige Auslegung vornimmt. Dies kann wiederum dazu führen, dass in verschiedenen Staaten parallele Gerichtsverfahren eingeleitet werden, und zwar von der Partei, die über die Güter verfügungsberechtigt ist, um den Ersatz des Schadens oder Verlusts zu erwirken, und umgekehrt vom Frachtführer, um eine Feststellung zu erwirken, mit der die Haftung für einen solchen Schaden oder Verlust ausgeschlossen oder begrenzt wird(16).

43.      Gjensidige hat im vorliegenden Verfahren auf die unterschiedlichen Auffassungen der niederländischen Gerichte einerseits und der litauischen Gerichte andererseits zu den Voraussetzungen hingewiesen, unter denen die Haftung der Frachtführer als unbegrenzt angesehen werden kann. Diese Partei hat vorgebracht, dass der von den niederländischen Gerichten eingenommene Standpunkt für die Frachtführer günstiger sei, da die Voraussetzungen für ihre unbegrenzte Haftung schwieriger zu erfüllen seien. Das vorlegende Gericht scheint ebenfalls dieser Ansicht zu sein.

44.      Rhenus Logistics erwirkte die Feststellung, dass ihre Haftung in den Niederlanden begrenzt sei. Dieses Urteil wurde sodann von den litauischen Gerichten in den Stadien des Ausgangsverfahrens, die dem beim vorlegenden Gericht anhängigen vorausgingen, anerkannt. In diesem Verfahren begehrte Gjensidige zunächst eine Entschädigung für den Verlust eines Teils der Fracht. In der Folge beschränkte sie ihre Forderung auf den Betrag, der über den Betrag hinausging, den Rhenus Logistics bereits in Durchführung des niederländischen Urteils an sie gezahlt hatte.

45.      In diesem Zusammenhang macht Gjensidige geltend, die Anerkennung dieses Urteils sei rechtswidrig, weil das niederländische Gericht seine Zuständigkeit unter Verstoß gegen die geltende Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt habe. Nach Ansicht von Gjensidige hätte dieser Vereinbarung der Vorrang eingeräumt werden müssen, da die Zuständigkeit, die sich aus einer Gerichtsstandsvereinbarung ergebe, nach Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 im vorliegenden Fall ausschließlich sei(17).

46.      Konkret macht diese Partei geltend, angesichts des Umstands, dass der vorliegende Rechtsstreit sowohl unter das CMR-Übereinkommen als auch unter die (allgemeinere) Verordnung Nr. 1215/2012 falle – und da diese beiden Rechtsakte offenbar widersprüchliche Vorschriften über die Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung enthielten –, sei dem niederländischen Urteil die Anerkennung zu versagen, weil die Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften des CMR-Übereinkommens, auf die sich dieses Urteil stütze, weniger günstige Folgen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts habe als – wie ich das Vorbringen verstehe – die Anwendung der Verordnung Nr. 1215/2012 in Bezug auf die Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung.

47.      In diesem Zusammenhang stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, welche Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden sind und ob dem niederländischen Urteil die Anerkennung zu versagen ist.

48.      Damit der Leser die Argumente von Gjensidige und die Fragen des vorlegenden Gerichts (und insbesondere die erste Vorlagefrage) vollständig nachvollziehen kann, werde ich mich zunächst dem zuwenden, woran sie sich wohl orientieren, nämlich dem Urteil TNT Express des Gerichtshofs.

B.      Besondere internationale Übereinkommen: Vorrang, allerdings geknüpft an Bedingungen

49.      Art. 71 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 erkennt das Bestehen spezieller Zuständigkeits- und Vollstreckungsvorschriften an, die in den von den Mitgliedstaaten geschlossenen besonderen internationalen Übereinkommen enthalten sein können, und räumt diesen Instrumenten Vorrang ein. In dieser Bestimmung heißt es nämlich, dass diese Verordnung „Übereinkünfte unberührt [lässt], denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder die Vollstreckung von Entscheidungen regeln“.

50.      Im 35. Erwägungsgrund dieser Verordnung wird diese „Kollisionsklausel“(18) als Ausdruck der Wahrung der internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten dargestellt. Wenngleich diese Formulierung den Leser vielleicht zu der Annahme verleiten könnte, dass Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 Verpflichtungen betrifft, die gegenüber Drittstaaten eingegangen werden, geht aus dem Wortlaut des Art. 71 und insbesondere aus dem zweiten Satz von dessen Abs. 2 hervor, dass er, wie die Kommission anmerkt, auch für die Beziehungen innerhalb der Europäischen Union gilt(19).

51.      Gleichzeitig ist Art. 71 auch so beschrieben worden, dass er die Besonderheit der Rechtsgebiete anerkennt, die durch die jeweiligen bereichsspezifischen Übereinkommen geregelt werden(20).

52.      Zuvor war diese Bestimmung wortgleich in Art. 71 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 enthalten, die der Verordnung Nr. 1215/2012 vorausging.

53.      Die Auslegung dieser Bestimmung stand im Mittelpunkt des Urteils TNT Express des Gerichtshofs(21), das im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem gleichnamigen Transportunternehmen und dem Versicherer einer während der Beförderung verloren gegangenen Fracht erging. In diesem Verfahren wandte sich TNT in den Niederlanden gegen die Vollstreckung eines Urteils eines deutschen Gerichts, mit dem sie zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden war.

54.      Die Vorlagefragen drehten sich – ähnlich wie die implizite Frage im vorliegenden Fall – in erster Linie darum, ob das Gericht des ersuchten Staates (in diesem Fall der Niederlande) die Zuständigkeit des deutschen Gerichts (als Ursprungsgericht) überprüfen durfte(22). Obwohl dies nach der (damals geltenden) Verordnung Nr. 44/2001 verboten war (wie es auch heute nach der Verordnung Nr. 1215/2012 verboten ist), ergibt sich diese Lösung nicht zwangsläufig aus dem CMR-Übereinkommen.

55.      Aus diesem Grund musste der Gerichtshof das Zusammenspiel zwischen den beiden Rechtsakten prüfen. Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass an den Vorrang, den Art. 71 dieser Verordnung besonderen internationalen Übereinkommen wie dem CMR-Übereinkommen einräumt, eine wichtige Bedingung geknüpft ist: Die Vorschriften solcher Übereinkommen haben nur Vorrang, sofern sie „in hohem Maße vorhersehbar sind, eine geordnete Rechtspflege fördern und es erlauben, die Gefahr von Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden, und sofern sie den freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Union (favor executionis) unter mindestens ebenso günstigen Bedingungen gewährleisten, wie sie in der genannten Verordnung vorgesehen sind“(23).

56.      Zu dieser Schlussfolgerung gelangte der Gerichtshof, nachdem er ausgeführt hatte, dass die in den besonderen internationalen Übereinkommen enthaltenen Vorschriften nicht zu „weniger günstigen Ergebnissen im Hinblick auf das Ziel des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts führen [dürfen] als die Bestimmungen der genannten Verordnung“(24) und „nicht die Grundsätze beeinträchtigen [dürfen], auf denen die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der Union beruht …“(25).

57.      Ich werde noch auf die konkrete Schlussfolgerung eingehen, die der Gerichtshof in dieser Rechtssache aus diesen Erwägungen gezogen hat. Hier mag die Feststellung genügen, dass es in der Wissenschaft gemischte Reaktionen auf die in diesem Urteil aufgestellten allgemeinen Prüfkriterien gab und dass im Wesentlichen darauf hingewiesen wurde, dass die Anwendung schwierig sei(26) – obschon die in Art. 71 festgelegten Vorschriften als einfache Kollisionsnormen gedacht seien – und dass durch ihr Vorliegen „in gewisser Weise“(27) dem Wortlaut dieser Bestimmung(28) „Gewalt angetan werde“. Gleichzeitig wurde das Urteil auch als Lösung für das Problem anerkannt, dass die gemeinsame Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung gefährdet sein könnte, wenn abweichende Vorschriften von besonderen Übereinkommen auf Situationen innerhalb der Europäischen Union angewandt werden(29).

58.      Wie dem auch sei, die im Urteil TNT Express entwickelten Prüfkriterien, die nun die Anwendung von Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 leiten, sind zu einem unvermeidlichen Element der vergleichenden Bewertung potenziell konkurrierender Regelungen der gerichtlichen Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung geworden(30). Verständlicherweise haben Erwägungen, die auf diesen Prüfkriterien beruhen, Eingang in die Schriftsätze des Ausgangsverfahrens und in die Überlegungen gefunden, die das vorlegende Gericht veranlasst haben, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zu stellen, auf das ich nun näher eingehen werde.

C.      Die Vorlagefragen in der vorliegenden Rechtssache

59.      Die drei Vorlagefragen in der vorliegenden Rechtssache bringen offenbar die Sorge des vorlegenden Gerichts zum Ausdruck, dass die von den Parteien des Ausgangsverfahrens getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nicht beachtet wurde, als das Bezirksgericht Seeland-Westbrabant sich bereit erklärte, über die Klage von Rhenus Logistics zu verhandeln und entscheiden.

60.      Mit der ersten Vorlagefrage wird konkret gefragt, ob Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 im Licht der Erwägungsgründe 21 und 22 dieser Verordnung die Anwendung der alternativen Zuständigkeitsvorschriften des Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens zulässt, wenn der fragliche Rechtsstreit durch eine Gerichtsstandsvereinbarung geregelt wird.

61.      Ich fürchte, diese Frage beruht auf der Prämisse, dass es dem vorlegenden Gericht möglich ist, die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts auch noch im Stadium der Anerkennung nachzuprüfen. Ich werde im Folgenden darlegen, dass eine solche Nachprüfung ausgeschlossen ist und dass daher die Antwort auf die erste Frage für das Ausgangsverfahren unerheblich ist (C.1).

62.      Wenn eine Partei die grenzüberschreitenden Wirkungen einer Entscheidung vermeiden möchte, muss sie zu diesem Zweck vielmehr einen der in der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Gründe für die Versagung der Anerkennung dieser Entscheidung geltend machen. Ich werde mich daher mit diesem Aspekt, konkret der zweiten und der dritten Vorlagefrage, befassen, mit denen das vorlegende Gericht wissen möchte, ob der Umstand, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nicht zur Anwendung gelangt ist, zur Versagung der Anerkennung des in den Niederlanden ergangenen Urteils führen muss, und darlegen, dass diese Fragen zu verneinen sind (C.2).

1.      Warum es für das vorlegende Gericht unmöglich ist, die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts nachzuprüfen

63.      Wie sich aus dem 26. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 ergibt, beruhen die in dieser Verordnung festgelegten Anerkennungs- und Vollstreckungsvorschriften auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Europäischen Union. Diese Vorschriften gehen von der Prämisse aus, dass von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidungen so zu behandeln sind, als ob sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen wären(31).

64.      Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens im Wesentlichen ausgeführt hat, besteht demnach eines der grundlegenden Merkmale des mit der Verordnung Nr. 1215/2012 eingeführten Systems in der automatischen Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats erlassen wurden. Insbesondere schließt dieses System die Möglichkeit aus, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats durch die Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats nachgeprüft wird, wie Art. 45 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1215/2012 klarstellt(32).

65.      Die im vorliegenden Fall in Rede stehende Situation wird jedoch nicht (oder zumindest nicht ausschließlich, wie ich weiter unten erläutern werde) durch die Verordnung Nr. 1215/2012 geregelt, sondern durch die speziellen Vorschriften des CMR-Übereinkommens, denen Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 Vorrang einräumt. Es stellt sich daher die Frage, ob das Verbot, die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts nachzuprüfen, auch in einem solchen Fall gilt.

66.      Meines Erachtens ist dies der Fall.

67.      Insoweit weise ich erstens darauf hin, dass das CMR-Übereinkommen kein Rechtsinstrument der Europäischen Union ist und der Gerichtshof daher für seine Auslegung nicht zuständig ist(33).

68.      Diese Einschränkung bedeutet jedoch nicht, dass der Gerichtshof den Wortlaut solcher Rechtsakte nicht berücksichtigen kann, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Anderenfalls ließe sich nicht feststellen, ob diese Übereinkommen überhaupt konkurrierende Vorschriften enthalten(34).

69.      Auf dieser Grundlage stelle ich zweitens in Bezug auf den konkreten Inhalt des CMR-Übereinkommens fest, dass die Vorschriften des CMR-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung eher rudimentär sind, was im vorliegenden Verfahren sowohl von Rhenus Logistics als auch von Gjensidige eingeräumt worden ist(35).

70.      Diese Vorschriften befinden sich in Art. 31 Abs. 3 des CMR-Übereinkommens, der die Vollstreckbarkeit eines in einem Vertragsstaat ergangenen Urteils in den anderen Staaten vorbehaltlich der Einhaltung von „Formerfordernissen“ verbindlich vorschreibt und eine Nachprüfung in der Sache ausschließt.

71.      Andere Aspekte der Anerkennung und Vollstreckung scheinen nicht geregelt zu sein, was bedeutet, dass solche Vorschriften im Recht des ersuchten Staates ermittelt werden müssen(36).

72.      Hinsichtlich der Mitgliedstaaten ist dieses Recht in der Verordnung Nr. 1215/2012 verankert. Die anwendbare Regelung ist daher meines Erachtens die in den Art. 45 ff. dieser Verordnung vorgesehene, einschließlich der oben genannten Grundregel, die im Rechtsraum innerhalb der Europäischen Union die Nachprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts verbietet.

73.      Im Übrigen gelangt das Urteil TNT Express unabhängig von den vorstehenden Erwägungen zu demselben Ergebnis.

74.      Denn nachdem er die Prüfkriterien für die Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012, wie sie im vorigen Abschnitt beschrieben worden sind, dargelegt hatte, stellte der Gerichtshof fest, dass „die Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats keineswegs besser als die des Ursprungsmitgliedstaats in der Lage sind, über die Zuständigkeit der Gerichte des Letzteren zu entscheiden“(37). Der Gerichtshof führte aus, dass gerade dieser Umstand dazu geführt habe, dass eine solche Nachprüfung nach dem Unionsrecht verboten sei.

75.      Obwohl sich der Gerichtshof nicht ausdrücklich zu der Frage äußerte, ob die Grundsätze, auf denen das Funktionieren der Verordnung Nr. 44/2001 beruht, der Nachprüfung der gerichtlichen Zuständigkeit im Rahmen der Anwendung eines besonderen Übereinkommens tatsächlich entgegenstehen, wurde das Urteil TNT Express allgemein so verstanden, dass es die letztgenannte Option bestätigt(38). In der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens haben die Kommission und die litauische Regierung im Wesentlichen denselben Standpunkt vertreten.

76.      Zusammenfassend bin ich daher der Ansicht, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, das um die Anerkennung einer Entscheidung ersucht wird, die von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats in Anwendung des CMR-Übereinkommens erlassen wurde, – ob diese Frage nun unter dem Gesichtspunkt der im Urteil TNT Express aufgestellten Prüfkriterien oder gestützt auf den Wortlaut dieses Übereinkommens betrachtet wird – die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts nicht nachprüfen darf. Folglich ist die Antwort auf die erste Vorlagefrage für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits unerheblich, da dieses nicht nachprüfen kann, ob das Bezirksgericht Seeland-Westbrabant seine Zuständigkeit vor Erlass des Urteils, um dessen Anerkennung es im Ausgangsverfahren geht, zu Recht bejaht hat.

77.      Nach dieser Klarstellung werde ich mich jetzt der Frage zuwenden, ob der Umstand, dass dieses Gericht seine Zuständigkeit unabhängig von der streitigen Gerichtsstandsvereinbarung bejaht hat, einen Grund darstellen kann, der es ermöglicht, dem daraufhin ergangenen Urteil die Anerkennung zu versagen.

2.      Kann einem Urteil die Anerkennung versagt werden, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung außer Acht gelassen wird?

78.      Wie bereits ausgeführt, fällt der beim vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit in den Anwendungsbereich des CMR-Übereinkommens. Nach Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 hat dieses Übereinkommen Vorrang vor dieser Verordnung(39). Auf den ersten Blick mag es daher überraschend erscheinen, sich an der Verordnung Nr. 1215/2012 zu orientieren, um darüber zu befinden, ob ihre Bestimmungen die Versagung der Anerkennung des oben genannten Urteils erlauben.

79.      Ich habe jedoch bereits dargelegt, dass in Ermangelung einer speziellen Regelung im CMR-Übereinkommen die Vorschriften des Rechts des ersuchten Mitgliedstaats anwendbar sind, was im Fall Litauens die Verordnung Nr. 1215/2012 ist. Das vorlegende Gericht stellt daher zu Recht detaillierte Überlegungen zu diesem Rechtsinstrument an.

80.      Die Verordnung Nr. 1215/2012 funktioniert, wie bereits erwähnt, auf der Grundlage der automatischen Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats erlassen wurden.

81.      Abweichend von dieser Regel kann die Anerkennung nur aus einem der in Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 ausdrücklich genannten Gründe verweigert werden (wenn, wie die Kommission hervorhebt, ein diesbezüglicher Antrag gestellt wird).

82.      In Bezug auf die vorliegende Rechtssache gehören zu diesen Gründen zum einen nach Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 ein Verstoß gegen die in Kapitel II Abschnitt 6 dieser Verordnung aufgeführten Zuständigkeitsvorschriften (zweite Vorlagefrage) und zum anderen eine Situation, in der davon auszugehen ist, dass die Anerkennung der betreffenden Entscheidung der öffentlichen Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 offensichtlich widersprechen würde (dritte Vorlagefrage).

83.      Das vorlegende Gericht ist sich dessen bewusst, dass im Prinzip keiner dieser Gründe auf den vorliegenden Fall zutrifft. Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, mit denen ich mich im Folgenden befassen werde, möchte es jedoch wissen, ob dem niederländischen Urteil auf der Grundlage einer weiten Auslegung dieser Gründe die Anerkennung versagt werden kann.

a)      Weite Auslegung des in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Grundes?

84.      Aus Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 ergibt sich, dass auf einen entsprechenden Antrag hin die Anerkennung einer Entscheidung versagt wird, wenn diese Entscheidung mit den Zuständigkeitsvorschriften in Kapitel II Abschnitt 6 dieser Verordnung unvereinbar ist.

85.      Die darin (genauer gesagt in Art. 24, der die einzige Bestimmung des oben genannten Abschnitts ist) beschriebenen Vorschriften begründen die ausschließliche Zuständigkeit für Streitigkeiten in Bezug auf fünf aufgelistete Sachgebiete. Kurz gesagt handelt es sich dabei um i) bestimmte Aspekte des Eigentums an unbeweglichen Sachen, ii) bestimmte gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten, iii) die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register, iv) die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte sowie v) die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen.

86.      Von diesen Zuständigkeitsvorschriften kann nicht durch eine Vereinbarung abgewichen werden(40), und ihr Grundgedanke ist unter Verweis auf die besondere Verknüpfung zwischen den erfassten Bereichen und dem jeweiligen Mitgliedstaat beschrieben worden(41).

87.      Insbesondere ergibt sich aus der obigen Beschreibung, dass Kapitel II Abschnitt 6 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbar ist. Ich weise darauf hin, dass diese Vereinbarungen unter Abschnitt 7 dieses Kapitels fallen.

88.      Das vorlegende Gericht ist sich dieses Umstands bewusst, möchte aber mit seiner zweiten Frage wissen, ob die durch die Verordnung Nr. 1215/2012 vorgenommenen legislativen Änderungen, durch die der Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen verstärkt wurde, bedeuten, dass die Vorschrift des Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii weit auszulegen ist, so dass nicht nur der Verstoß gegen die Vorschriften von Kapitel II Abschnitt 6 dieser Verordnung, sondern auch der Verstoß gegen Abschnitt 7 erfasst ist.

89.      Meines Erachtens ist dies nicht der Fall.

90.      Das vorlegende Gericht weist zutreffend darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 im Vergleich zur Verordnung Nr. 44/2001 die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen durch eine besondere Rechtshängigkeitsregelung in Art. 31 Abs. 2 und 3 erhöht(42).

91.      Ungeachtet dieser Änderung hat sich der Unionsgesetzgeber jedoch dafür entschieden, sie nicht in das System der Gründe aufzunehmen, die es ermöglichen, einer Entscheidung die Anerkennung zu versagen.

92.      Die Liste dieser Gründe ist in Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 enthalten, und sie ist erschöpfend(43).

93.      Das Gleiche muss logischerweise im Speziellen für den in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieses Rechtsinstruments genannten Grund gelten, der einen Verstoß gegen die Vorschriften über die ausschließliche Zuständigkeit in Anwendung von Kapitel II Abschnitt 6 der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft.

94.      Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung folgenlos bleibe, wenn es keinen Grund gebe, der es ermögliche, einer Entscheidung, die gegen eine solche Vereinbarung verstoße, die Anerkennung zu versagen.

95.      Ich fürchte, dass dies genau die Logik der Funktionsweise der Verordnung Nr. 1215/2012 in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ist, die die automatische Anerkennung von Entscheidungen fördert, selbst wenn die in der Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften nicht beachtet wurden, mit Ausnahme der in Art. 45 Abs. 1 dieser Verordnung erschöpfend aufgeführten Fälle(44).

96.      In Bezug auf die Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften sieht diese Bestimmung vor, dass die Anerkennung nur dann versagt werden kann, wenn die Unvereinbarkeit i) die hier erörterten, in Kapitel II Abschnitt 6 dieser Verordnung aufgeführten Vorschriften (Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012) oder ii) die in anderen Abschnitten dieses Kapitels aufgeführten Vorschriften, die kurz gesagt den Schutz der als schwächer erachteten Partei bezwecken (Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i dieser Verordnung), betrifft(45). Art. 45 Abs. 1 erfasst hingegen keine Verletzung von anderen in der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften.

97.      Es sei daran erinnert, dass die in Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 aufgeführten Gründe Ausnahmen von der allgemeinen Regel darstellen, wonach die Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten automatisch anzuerkennen sind. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache halte ich es dennoch für überflüssig, auf den allgemeinen Auslegungsgrundsatz hinzuweisen, wonach Ausnahmen eng auszulegen sind. Dieser Grundsatz ist nützlich, wenn der Anwendungsbereich der Ausnahme vage ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 ist eindeutig und verweist auf genaue Zuständigkeitsvorschriften, deren Verletzung in seinen Anwendungsbereich fallen kann. Unter diesen Umständen würde die vom vorlegenden Gericht erwogene und von Gjensidige vorgeschlagene Auslegung schlicht dem Wortlaut dieser Bestimmung zuwiderlaufen.

98.      Zusammenfassend bin ich in diesem Punkt der Ansicht, dass man vom Unionsgesetzgeber, wenn er gewollt hätte, dass der Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen so weit gehen soll, dass er im Fall eines Verstoßes gegen diese Vereinbarungen die Form eines neuen Versagungsgrundes annimmt, hätte erwarten können, dass er dies ausdrücklich so zum Ausdruck bringt. Der Wortlaut der streitigen Bestimmung, der es erlaubt, dass einer Entscheidung die Anerkennung versagt wird, deutet indes darauf hin, dass der Gesetzgeber diese Absicht offensichtlich nicht gehabt hat.

b)      Weite Auslegung des auf die öffentliche Ordnung gestützten Versagungsgrundes?

99.      Mit der dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Rede stehende Situation zu einer weiten Auslegung des in Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Grundes führen könnte, wonach die Anerkennung einer Entscheidung grundsätzlich zu versagen ist, wenn eine solche Anerkennung der öffentlichen Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde.

100. Ich bin der Ansicht, dass alle Ausführungen, die ich zu dem in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Grund gemacht habe, hier entsprechend gelten, weil der Wortlaut von Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 ebenso eindeutig ist.

101. Die Antwort auf die dritte Vorlagefrage wird zum Teil in Art. 45 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1215/2012 gegeben, wie die litauische Regierung im Wesentlichen ausführt. In dieser Bestimmung heißt es, dass „[d]ie Vorschriften über die Zuständigkeit … nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) … [gehören]“. Diese Bestimmung gilt unbeschadet der in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Gründe, die im vorangegangenen Unterabschnitt der vorliegenden Schlussanträge erörtert worden sind, und es gibt für mich keinen Grund, weshalb diese Bestimmung abweichend von ihrem Wortlaut ausgelegt werden sollte.

102. Zudem bezieht sich die dritte Frage des vorlegenden Gerichts, bei der es um die Anwendbarkeit des auf die öffentliche Ordnung gestützten Grundes geht, nicht nur auf einen Fall, in dem eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht beachtet wurde, sondern auch auf einen Fall, in dem eine Vereinbarung über das anwendbare Recht verletzt wurde.

103. Aus den Akten geht jedoch nichts über den Abschluss einer solchen Vereinbarung zwischen den beteiligten Parteien hervor.

104. Dieser Teil der dritten Frage erscheint daher unzulässig.

105. Die Vorlageentscheidung deutet jedoch darauf hin, dass das vorlegende Gericht besorgt darüber ist, dass das Bezirksgericht Seeland-Westbrabant mit der Feststellung seiner Zuständigkeit für die Entscheidung über den streitigen Anspruch die Anwendbarkeit des niederländischen Rechts in der Sache ausgelöst hat, was wiederum dazu geführt hat, dass sich die Haftung der Frachtführerin nach niederländischem und nicht nach litauischem Recht bestimmt. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Beklagte im Verfahren vor dem niederländischen Gericht (d. h. nach meinem Verständnis Gjensidige) diese Folgen nicht habe vorhersehen können. Mit diesen Ausführungen ist meines Erachtens gemeint, dass die Frage der Haftung der Frachtführerin durch Anwendung des litauischen Rechts und nicht durch Anwendung des niederländischen Rechts hätte entschieden werden müssen und dass das Ergebnis für eine Partei wie Gjensidige weniger günstig ist.

106. Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass Art. 29 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens, der in Bezug auf die Voraussetzungen, unter denen die Haftung des Frachtführers als unbegrenzt angesehen werden könne, auf nationales Recht verweise(46), mit Art. 3 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008(47) unvereinbar zu sein scheine.

107. Darüber hinaus bezweifelt das vorlegende Gericht, dass die sich daraus ergebende Situation mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren sowie mit den Grundsätzen vereinbar ist, auf denen, wie ich dies verstehe, die Verordnung Nr. 1215/2012 beruht.

108. Dazu möchte ich zunächst anmerken, dass das beim vorlegenden Gericht anhängige Verfahren, wie bereits wiederholt ausgeführt, die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Urteils betrifft.

109. Die Kernfrage im vorliegenden Zusammenhang ist daher, ob die Unterschiede im materiellen Recht, die zwischen dem niederländischen und dem litauischen Recht offensichtlich in Bezug auf den Umfang der Haftung des Frachtführers bestehen, die Versagung der Anerkennung des daraufhin ergangenen Urteils durch Anwendung des Grundes der öffentlichen Ordnung nach Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 zu rechtfertigen vermögen.

110. Ich meine, dass dies nicht möglich ist.

111. Erstens steht es den Mitgliedstaaten zwar nach ständiger Rechtsprechung frei, die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nach ihren eigenen nationalen Vorstellungen zu bestimmen, doch hat der Gerichtshof über die Grenzen zu wachen, innerhalb deren sich das Gericht eines Mitgliedstaats auf diesen Begriff stützen darf, um einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung die Anerkennung zu versagen(48).

112. Zweitens kann dieser Grund nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden(49), wenn die Anerkennung „gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats [bzw. des Staates, in dem die Anerkennung beantragt oder verweigert wird,] stünde“(50).

113. Drittens kann, umgekehrt, der in Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 genannte Versagungsgrund nicht nur deshalb ausgelöst werden, weil die vom Gericht des Ursprungsstaats angewandten Rechtsvorschriften von denen abweichen, die das Gericht des ersuchten Staates im Fall seiner eigenen Befassung mit dem Rechtsstreit angewandt hätte(51).

114. Die Hauptsorge des vorlegenden Gerichts scheint darin zu bestehen, dass infolge der angeblich fehlerhaften Bestimmung des für die Klage aus dem streitigen Anspruch zuständigen Gerichts dieser Anspruch schließlich nach niederländischem und nicht nach litauischem Recht bestimmt wurde.

115. Soweit diese Sorge sich in der Feststellung konkretisiert, dass das niederländische Gericht zu Unrecht das niederländische Recht als das anwendbare Recht bestimmt habe, stelle ich fest, dass ein solcher Fehler, selbst wenn er erwiesen wäre, für sich genommen nicht zu einer Versagung der Anerkennung führen kann.

116. Aus der oben angeführten Rechtsprechung ergibt sich, dass eine solche Versagung nur möglich ist, wenn die Anerkennung des daraufhin ergangenen Urteils gegen einen Grundsatz verstoßen würde, der im ersuchten Staat als wesentlich angesehen wird.

117. Hinsichtlich der konkreten Folgen der Anerkennung des streitigen niederländischen Urteils im vorliegenden Fall legt das vorlegende Gericht jedoch nicht dar, wie die oben genannten materiell-rechtlichen Unterschiede die öffentliche Ordnung Litauens beeinträchtigen würden und auf welche Weise daher die Anerkennung dieses Urteils gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats stünde.

118. Unter diesen Umständen sind meines Erachtens die zweite und die dritte Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass Art. 45 Abs.1 Buchst. a und e Ziff. ii der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er eine Situation nicht erfasst, in der das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf der Grundlage einer von mehreren Vorschriften festgestellt hat, die in einem besonderen Übereinkommen im Sinne von Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 enthalten sind und die eine Gerichtsstandsvereinbarung umfassen, diese aber nicht als ausschließlich qualifizieren, wenn das Ursprungsgericht nicht das Gericht war, das von den betroffenen Parteien in der Gerichtsstandsvereinbarung bezeichnet wurde. Ferner ist Art. 45 Abs. 1 Buchst. a Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass ein Fehler bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts, selbst wenn er erwiesen wäre, für sich genommen nicht dazu führen kann, dass einer Entscheidung die Anerkennung mit der Begründung versagt wird, dass sie der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht.

119. Diese Antwort stellt meines Erachtens in Verbindung mit der oben in Nr. 76 der vorliegenden Schlussanträge vorgeschlagenen eine sachdienliche Klarstellung dar, die es dem vorlegenden Gericht ermöglichen wird, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden. Der Vollständigkeit halber und um die eingehende Erörterung aufzunehmen, die diese Problematik im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erfahren hat, werde ich jedoch darlegen, dass die Zuständigkeitsvorschriften des CMR-Übereinkommens keineswegs gegen die Grundsätze verstoßen, auf denen die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen innerhalb der Europäischen Union beruht, wie sie sich aus der Anwendung der im Urteil TNT Express aufgestellten Prüfkriterien ergeben.

D.      Die „Prüfkriterien des Urteils TNT  Express“ und der nicht ausschließliche Charakter einer Zuständigkeit aufgrund  einer Gerichtsstandsvereinbarung

120. Bei den Erörterungen in der vorliegenden Rechtssache hat sich vieles um die Frage gedreht, ob die Zuständigkeitsvorschriften des CMR-Übereinkommens in Widerspruch zu den im Urteil TNT Express aufgestellten Prüfkriterien und damit zu den Grundsätzen stehen, die der Funktionsweise der Verordnung Nr. 1215/2012 zugrunde liegen.

121. Das Problem, wie es vom vorlegenden Gericht wahrgenommen wird, besteht darin, dass auf der einen Seite die durch eine Gerichtsstandsvereinbarung begründete Zuständigkeit in der Verordnung Nr. 1215/2012 grundsätzlich als ausschließlich qualifiziert wird. Auf der anderen Seite scheint aber das CMR-Übereinkommen, auch wenn es die Begründung der Zuständigkeit auf dieser Grundlage erlaubt, ihrem ausschließlichen Charakter entgegenzustehen (zumindest in der Auslegung des Übereinkommens durch das Bezirksgericht Seeland-Westbrabant, der auch das vorlegende Gericht zu folgen scheint).

122. Insoweit weise ich zunächst darauf hin, dass der Gerichtshof, wie das vorlegende Gericht anmerkt, bereits in seinem Urteil Nickel & Goeldner Spedition festgestellt hat, dass die Zuständigkeitsvorschriften des Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens mit den im Urteil TNT Express aufgestellten Prüfkriterien nicht unvereinbar sind. Wie die Kommission anmerkt, hat der Gerichtshof jedoch in diesem Urteil alle Zuständigkeitsvorschriften des Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens (wie oben in Nr. 38 aufgeführt) mit Ausnahme der im vorliegenden Fall streitigen geprüft(52).

123. Ich kann nachvollziehen, dass das vorlegende Gericht deshalb die Frage aufwirft, ob die unterschiedliche Behandlung, die das CMR-Übereinkommen (wiederum in der Auslegung durch das Bezirksgericht Seeland-Westbrabant) im Vergleich zur Verordnung Nr. 1215/2012 auf Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden scheint, zu einem Konflikt mit den Grundsätzen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen innerhalb der Europäischen Union führt.

124. Ich denke nicht, dass dies der Fall ist.

125. Vor allem scheint in Anbetracht der vom Bezirksgericht Seeland-Westbrabant vertretenen Auffassung in der Tat ein Unterschied zwischen dem CMR-Übereinkommen und der Verordnung Nr. 1215/2012 in Bezug auf die auf Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbare Regelung zu bestehen.

126. Ich bin gleichwohl der Ansicht, dass ein solcher Unterschied für sich genommen kein Problem darstellt.

127. Sollte nämlich jeder einzelne Unterschied dazu führen, dass die spezielle Regelung von der Verordnung Nr. 1215/2012 verdrängt würde, so würde Art. 71 Abs. 1 dieser Verordnung jegliche Bedeutung genommen. In den Rechtsbeziehungen innerhalb der Europäischen Union könnte niemals eine von der Verordnung Nr. 1215/2012 abweichende spezielle Regelung angewandt werden. Ein solches Ergebnis kann jedoch in Anbetracht des klaren Wortlauts dieser Bestimmung nicht akzeptiert werden.

128. Vielmehr ist die Anwendung spezieller Vorschriften, die sich möglicherweise von den in der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Vorschriften unterscheiden, nur dann abzulehnen, wenn sie tatsächlich im Widerspruch zu den im Urteil TNT Express dargelegten Grundsätzen stehen. Was die Zuständigkeitsvorschriften betrifft, so sind zum einen die Grundsätze der hohen Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften und der Rechtssicherheit für die Bürger und zum anderen der Grundsatz der geordneten Rechtspflege relevant(53).

129. Meines Erachtens wird keiner dieser Grundsätze gefährdet.

130. Erstens bin ich der Ansicht, dass es für die Wahrung des Grundsatzes der hohen Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften darauf ankommt, dass der Kläger leicht entscheiden kann, wo er Klage erhebt, und dass der Beklagte vernünftigerweise vorhersehen kann, wo dies geschieht.

131. Dies trifft meines Erachtens auf Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens zu. Diese Bestimmung enthält keine vage formulierte Vorschrift, die beispielsweise vorsieht, dass der geeignete Gerichtsstand im Einzelfall nach Maßgabe aller Umstände und im Interesse der Gerechtigkeit bestimmt wird. Im Gegenteil: Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens legt mehrere Kategorien von Gerichtsständen fest, die durch allgemeine und leicht verständliche Kategorien klar definiert sind (nämlich, kurz gesagt, den Sitz des Beklagten, den Ort der Übernahme des Gutes durch den Frachtführer, den für die Ablieferung vorgesehenen Ort oder die Vereinbarung der Parteien).

132. Im vorliegenden Fall scheint die Krux darin zu bestehen, dass die Zuständigkeit, wie sie im CMR-Übereinkommen (in der vom Bezirksgericht Seeland-Westbrabant zugrunde gelegten Auslegung) geregelt ist, wenn sie durch eine Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt wird, keine ausschließliche wird. Vielmehr scheinen nach dieser Auslegung des CMR-Übereinkommens auch alle anderen in Art. 31 Abs. 1 vorgesehenen Gerichtsstände möglich zu sein.

133. Insoweit lässt sich in der Tat argumentieren, dass die Vermutung der Ausschließlichkeit, die die Verordnung Nr. 1215/2012 Gerichtsstandsvereinbarungen verleiht, die Rechtssicherheit für die Bürger (und besonders für den Beklagten) verstärkt, indem sie klarstellt, dass andere hypothetische Gerichtsstände grundsätzlich mit Erfolg ausgeschlossen werden können, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde und sofern nichts anderes bestimmt ist.

134. Meiner Ansicht nach ist jedoch die Entscheidung darüber, ob ein so bezeichneter Gerichtsstand als ausschließlich anzusehen ist oder nicht, letztlich eine politische Frage, zu der in verschiedenen Rechtsordnungen (und in ihren verschiedenen Rechtsgebieten) unterschiedliche Positionen vertreten werden können.

135. In dieser Hinsicht könnten die Verfasser eines Übereinkommens, das eine bestimmte Materie regelt, wie das CMR-Übereinkommen, gute Gründe gehabt haben, angesichts der Besonderheit des Sektors auf der Verfügbarkeit mehrerer Gerichtsstände zu bestehen(54).

136. Zudem weise ich darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 zwar eine Vermutung der Ausschließlichkeit für Gerichtsstandsvereinbarungen aufstellt, dass diese Ausschließlichkeit jedoch keine absolute Regel ist und dass die Parteien davon abweichen können. Wenn dies der Fall ist, wird die Lage mit der vergleichbar, die sich aus Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens ergibt. Im Übrigen schränkt die Verordnung Nr. 1215/2012 selbst die Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen ein, da diese Vereinbarungen die Funktionsweise der Zuständigkeitsvorschriften in bestimmten Bereichen nicht ändern können(55).

137. Was zweitens die geordnete Rechtspflege und die Gefahr von Parallelverfahren betrifft, so erhöht der Umstand, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht als ausschließlich angesehen wird, diese Gefahr tatsächlich. Ich weise allerdings darauf hin, dass Art. 31 Abs. 2 des CMR-Übereinkommens eine Rechtshängigkeitsregel enthält, die – in ihrer allgemeinen Formulierung – derjenigen des Art. 29 der Verordnung Nr. 1215/2012 insofern entspricht, als sie nach meinem Verständnis darauf abzielt, die Gefahr paralleler Verfahren und unvereinbarer Urteile zu vermeiden(56).

138. Zwar enthält das CMR-Übereinkommen im Gegensatz zur Verordnung Nr. 1215/2012 keine Rechtshängigkeitsregeln, die speziell Gerichtsstandsvereinbarungen schützen würden (wie die des Art. 31 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1215/2012). Dieser Unterschied ist jedoch die logische Folge der oben erwähnten politischen Entscheidung, die sich aus solchen Vereinbarungen ergebende Zuständigkeit als eine Alternative zu betrachten, die neben anderen möglichen Regelungen beibehalten werden soll.

139. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen gelange ich daher zu der Auffassung, dass Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 und die im Urteil TNT Express aufgestellten Prüfkriterien einer Auslegung der Zuständigkeitsregel des Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens nicht entgegenstehen, wonach eine Zuständigkeit, die sich aus einer Gerichtsstandsvereinbarung ergibt, nicht als ausschließlich angesehen werden kann.

140. Ich weise nochmals darauf hin, dass ich meine Analyse im vorliegenden Abschnitt nur der Vollständigkeit halber und deshalb vorgenommen habe, um auf die lebhafte Diskussion einzugehen, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zu dieser Frage stattgefunden hat. Insbesondere verweise ich auf meine obigen Ausführungen, aus denen hervorgeht, dass die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts vom vorlegenden Gericht in dem die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Urteils betreffenden Ausgangsverfahren nicht nachgeprüft werden kann.

V.      Ergebnis

141. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens, Litauen) wie folgt zu antworten:

Art. 45 Abs. 1 Buchst. a und e Ziff. ii der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

ist dahin auszulegen, dass die darin genannten Gründe für die Versagung der Anerkennung nicht auf eine Situation Anwendung finden, in der das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf der Grundlage einer von mehreren Vorschriften bejaht hat, die in einem besonderen Übereinkommen im Sinne von Art. 71 der Verordnung Nr. 1215/2012 enthalten sind und die eine Gerichtsstandsvereinbarung umfassen, diese aber nicht als ausschließlich qualifizieren, wenn das Ursprungsgericht nicht das Gericht war, das in der von den betroffenen Parteien geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung bezeichnet wurde.

Ferner ist Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass ein Fehler, sollte er erwiesen sein, bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts für sich genommen nicht dazu führen kann, dass einer Entscheidung die Anerkennung mit der Begründung versagt wird, dass sie der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).


3      Urteil vom 4. Mai 2010, TNT Express Nederland (C‑533/08, EU:C:2010:243) (im Folgenden: Urteil TNT Express). Dieses Urteil betraf die der Verordnung Nr. 1215/2012 vorausgehende Verordnung, nämlich die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1). Letztere ersetzte ihrerseits das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1978, L 304, S. 77) (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen von 1968). Nach ständiger Rechtsprechung gilt Folgendes: „[D]a die [Verordnung Nr. 1215/2012] die Verordnung Nr. 44/2001 aufhebt und ersetzt, die ihrerseits das Brüsseler Übereinkommen von 1968 ersetzt hat, [gilt] die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Rechtsinstrumente nach ständiger Rechtsprechung auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 …, soweit die betreffenden Bestimmungen als ‚gleichwertig‘ angesehen werden können.“ Vgl. beispielsweise Urteil vom 10. März 2022, BMA Nederland (C‑498/20, EU:C:2022:173, Rn. 27).


4      Abgeschlossen in Genf am 19. Mai 1956, United Nations Treaty Series, Bd. 399, S. 189, geändert durch das Protokoll zum Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), Genf, 5. Juli 1978, United Nations Treaty Series, Bd. 1208, S. 427, und durch das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) betreffend den elektronischen Frachtbrief, Genf, 20. Februar 2008, United Nations Treaty Series, Bd. 2762, S. 23.


5      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die litauische Sprachfassung des amtlichen Textes des CMR-Übereinkommens im Vergleich zu den anderen Sprachfassungen ungenau sei.


6      Ich weise darauf hin, dass manche öffentlich zugänglichen Fassungen des CMR-Übereinkommens den Satz „[a]ndere Gerichte können nicht angerufen werden“, der sich am Ende von Art. 31 Abs. 1 des CWR-Übereinkommens befindet, nicht zu enthalten scheinen. In der offiziellen Fassung der United Nations Treaty Series (UNTS) ist er jedoch enthalten.


7      Siehe auch die weiter gehenden Ausführungen unten in Fn. 13.


8      In Art. 23 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens heißt es: „Hat der Frachtführer auf Grund der Bestimmungen dieses Übereinkommens für gänzlichen oder teilweisen Verlust des Gutes Schadenersatz zu leisten, so wird die Entschädigung nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung berechnet.“ In Art. 23 Abs. 3 dieses Übereinkommens wird hinzugefügt, dass „[d]ie Entschädigung … jedoch 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts nicht übersteigen [darf]“.


9      Wie oben in Nr. 20 der vorliegenden Schlussanträge ausführlicher dargelegt.


10      Gjensidige macht geltend, die beiden Klagen hätten nicht denselben Gegenstand und beträfen nicht dieselben Parteien. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen der Rechtshängigkeit erfüllt sind. Wie dieses Gericht zutreffend hervorhebt, ist davon auszugehen, dass eine negative Feststellungsklage und eine Schadensersatzklage, die wegen desselben Schadens erhoben werden, für die Zwecke der Anwendung der Rechtshängigkeitsregel des Art. 29 der Verordnung Nr. 1215/2012 denselben Anspruch betreffen. Urteil vom 19. Dezember 2013, Nipponkoa Insurance Co. (Europe) (C‑452/12, EU:C:2013:858, im Folgenden: Urteil Nipponkoa, Rn. 40 bis 49), das die entsprechende Regelung der Verordnung Nr. 44/2001 betraf, oder Urteil vom 6. Dezember 1994, Tatry (C‑406/92, EU:C:1994:400, im Folgenden: Urteil Tatry, Rn. 44).


11      Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens nimmt insbesondere auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten, seine Hauptniederlassung oder die Zweigniederlassung oder Geschäftsstelle, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen worden ist, Bezug.


12      Siehe Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge. Die Vertragsparteien des CMR-Übereinkommens vertreten offensichtlich unterschiedliche Positionen zu dieser Frage. Vgl. Abschnitt 7.3 der vom Institut du Droit International des Transports verfassten Zusammenfassungen über die Anwendung von Art. 31 des CMR-Übereinkommens, die unter folgender Adresse abrufbar sind: https://www.idit.fr/rapports-pays/index.php?lang=en. Vgl. auch Kommentar zum Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), Vereinte Nationen 1975, Abs. 240, S. 64, ECE/TRANS/14.


13      Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht geht aus den Akten hervor, dass die in Rede stehenden Güter von den Niederlanden nach Litauen befördert werden sollten. Dagegen scheinen alle anderen in Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge genannten Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit der litauischen Gerichte zu sprechen.


14      Siehe oben, Fn. 8.


15      Vgl. insoweit Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache TNT Express Nederland (C‑533/08, EU:C:2010:50, im Folgenden: Schlussanträge in der Rechtssache TNT Express, Nr. 22). Aus der Akte ergibt sich, dass insoweit auch zwischen der niederländischen und der litauischen Rechtsprechung Unterschiede bestehen.


16      Ebd.


17      Ich weise darauf hin, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 ausschließlich ist, sofern nichts anderes bestimmt ist.


18      Cremona, M., „The Internal Market and Private International Law Regimes: A Comment on Case C‑533/08 TNT Express Nederland BV v AXA Versicherung AG, Judgment of the Court (Grand Chamber) of 4 May 2010“, EUI Department of Law Working Paper, Nr. 2014/08, Juli 2014, S. 12. Im 35 . Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es: „Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren, darf sich diese Verordnung nicht auf von den Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkommen in besonderen Rechtsgebieten auswirken.“


19      Urteil TNT Express, Rn. 47.


20      Urteil Tatry, Rn. 24. Vgl. auch Urteil TNT Express, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Brite Strike Technologies (C‑230/15, EU:C:2016:366, Nr. 31). Diese Logik lag wohl vor allem Art. 57 des Brüsseler Übereinkommens von 1968 zugrunde. Diese Bestimmung, um die es im Urteil Tatry ging, ging Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 voraus und unterschied sich von dieser nur (aber wesentlich) dadurch, dass sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offenhielt, solche besonderen Übereinkommen in der Zukunft zu schließen. Urteil TNT Express, Rn. 38.


21      Oben in Fn. 3 der vorliegenden Schlussanträge angeführt.


22      Schlussanträge in der Rechtssache TNT Express, Nr. 27.


23      Urteil TNT Express, Rn. 56.


24      Ebd., Rn. 51.


25      Der Gerichtshof führte unter Verweis auf die Erwägungsgründe 6, 11, 12 und 15 bis 17 der Verordnung Nr. 44/2001 die Grundsätze des freien Verkehrs der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, der Vorhersehbarkeit der zuständigen Gerichte und somit der Rechtssicherheit für die Bürger, der geordneten Rechtspflege, der möglichst weitgehenden Vermeidung der Gefahr von Parallelverfahren und des gegenseitigen Vertrauens in die Justiz im Rahmen der Union auf. Urteil TNT Express, Rn. 49.


26      Cremona, M., zitiert oben in Fn. 18, S. 6.


27      Kuijper, P. J., „The Changing Status of Private International Law Treaties of the Member States in Relation to Regulations No. 44/2001“, Legal Issues of Economic Integration, 2011, S. 89 bis 104, S. 99.


28      Vgl. auch Attal, M., „Droit international privé communautaire et conventions internationales: une délicate articulation“, Petites affiches, Nr. 238, 2010, S. 22.


29      Kuijper, P. J., zitiert oben in Fn. 27, S. 102. Zu einer abweichenden Position vgl. Cremona, M., zitiert oben in Fn. 18, S. 6.


30      Wiedergegeben in den Urteilen Nipponkoa, Rn. 36 bis 39, vom 4. September 2014, Nickel & Goeldner Spedition (C‑157/13, EU:C:2014:2145, im Folgenden: Urteil Nickel & Goeldner Spedition, Rn. 38), und vom 14. Juli 2016, Brite Strike Technologies (C‑230/15, EU:C:2016:560, im Folgenden: Urteil Brite Strike Technologies, Rn. 65).


31      Vgl. im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 44/2001 auch Urteil vom 16. Juli 2015, Diageo Brands (C‑681/13, EU:C:2015:471, im Folgenden: Urteil Diageo Brands, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32      Dies wird durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt. Vgl. das jüngst ergangene Urteil vom 7. April 2022, H Limited (C‑568/20, EU:C:2022:264, im Folgenden: Urteil H Limited, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 44/2001 vgl. Urteile vom 28. April 2009, Apostolides (C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 49), und vom 15. November 2012, Gothaer Allgemeine Versicherung u. a. (C‑456/11, EU:C:2012:719, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Zusammenhang mit dem Brüsseler Übereinkommen von 1968 vgl. Urteil vom 28. März 2000, Krombach (C‑7/98, EU:C:2000:164, Rn. 31).


33      Urteil TNT Express, Rn. 63.


34      Ich teile die Auffassung, dass sich die Situation nicht von der unterscheidet, in der der Gerichtshof Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts berücksichtigen muss, um festzustellen, ob ihnen das Unionsrecht entgegensteht. Schlussanträge in der Rechtssache TNT Express, Nrn. 76 und 78. Sie unterscheidet sich auch nicht von der Situation, dass der Gerichtshof den Inhalt völkerrechtlicher Übereinkünfte im Sinne von Art. 351 AEUV berücksichtigt, um festzustellen, ob die Mitgliedstaaten „Unvereinbarkeiten“ im Sinne dieser Bestimmung beheben müssen.


35      Ich weise darauf hin, dass dieses Übereinkommen aus dem Jahr 1956 stammt und in den Jahren 1978 und 2008 geändert wurde (siehe oben, Fn. 4). Diese Änderungen sind im Zusammenhang mit der vorliegenden Rechtssache nicht relevant.


36      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge in der Rechtssache TNT Express, Nr. 93.


37      Urteil TNT Express, Rn. 55.


38      Vgl. beispielsweise Lamont-Black, S., „The UK Supreme Court on jurisdiction over successive CMR Convention carriers and European Union rules“, Uniform Law Review, Bd. 21, Ausgabe 4, 2016, S. 487 bis 509, S. 498, sowie Kuijper, P. J., zitiert oben in Fn. 27, S. 99 (worin allerdings darauf hingewiesen wurde, dass dieses Ergebnis nicht ganz sicher sei).


39      Vgl. auch Art. 71 Abs. 2 Buchst. b und Art. 71 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 1215/2012.


40      Dies ergibt sich aus Art. 25 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012, wonach „Gerichtsstandsvereinbarungen … keine rechtliche Wirkung [haben], wenn … die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig sind“.


41      Urteil vom 13. Juli 2000, Group Josi (C‑412/98, EU:C:2000:399, Rn. 46), im Zusammenhang mit Art. 16 des Brüsseler Übereinkommens von 1968. Vgl. beispielsweise auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Apostolides (C‑420/07, EU:C:2008:749, Nr. 83) zur Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben.


42      Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass bei Parallelverfahren, von denen eines bei dem aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung angerufenen Gericht anhängig ist, die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats von einer Entscheidung über die Sache Abstand nehmen, wenn das gemäß einer Vereinbarung zuständige Gericht bestätigt, dass es zuständig ist, und sofern dieses Gericht nicht erklärt, dass dies nicht der Fall ist. Vgl. auch 22. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012.


43      Vgl. Urteil H Limited, Rn. 31, oder im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 44/2001 Urteil vom 23. Oktober 2014, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, im Folgenden: Urteil flyLAL, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch 30. Erwägungsgrund, auf den die litauische Regierung zu Recht hinweist, wonach die „Anerkennung einer Entscheidung nur versagt werden [sollte], wenn mindestens einer der in dieser Verordnung genannten Versagungsgründe gegeben ist“.


44      Wie das vorlegende Gericht anmerkt, kann der behauptete Verstoß gegen Zuständigkeitsvorschriften mit den im Mitgliedstaat des betreffenden Gerichts zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen angegriffen werden.


45      Das ist bei den Abschnitten 3, 4 oder 5 des Kapitels II der Verordnung Nr. 1215/2012 der Fall.


46      Siehe oben Nrn. 41 bis 43.


47      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6).


48      Vgl. beispielsweise Urteil flyLAL, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung.


49      Urteil vom 28. April 2009, Apostolides (C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung), im Zusammenhang mit Art. 34 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001.


50      Vgl. Urteil Diageo Brands, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung.


51      Vgl. in diesem Sinne Urteil flyLAL, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung.


52      Urteil Nickel & Goeldner Spedition, Rn. 39 bis 41.


53      Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof in Rn. 53 seines Urteils TNT Express feststellte, dass die – für die Frage der Zuständigkeit – relevanten Grundsätze die hohe Vorhersehbarkeit, die geordnete Rechtspflege und die weitestgehende Vermeidung der Gefahr von Parallelverfahren seien. In Rn. 65 des Urteils Brite Strike Technologies ist von den Grundsätzen der Rechtssicherheit für die Bürger und der geordneten Rechtspflege die Rede.


54      Ich weise darauf hin, dass eine ähnliche Flexibilität auch in Art. 21 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Beförderung von Gütern auf See, United Nations Treaty Series, 1978, Bd. 1695, S. 3, oder in Art. 46 Abs. 1 der Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM) beabsichtigt zu sein scheint, die Art. 31 Abs. 1 des CMR-Übereinkommens sehr ähnlich sind.


55      Vgl. Art. 15, 19, 23 und 25 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012.


56      Diese Bestimmungen sind oben in den Nrn. 9 und 15 wiedergegeben.