Language of document : ECLI:EU:T:2012:675

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

12. Dezember 2012(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und Gasindustrien im EWR mit Ausnahme von Irland, Spanien, Portugal und dem Vereinigten Königreich – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung und Marktaufteilung – Geldbußen – Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen – Einrede der Rechtswidrigkeit – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Mildernde Umstände – Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens – Verhältnismäßigkeit – Leistungsfähigkeit“

In der Rechtssache T‑400/09

Ecka Granulate GmbH & Co. KG mit Sitz in Fürth (Deutschland),

non ferrum Metallpulver GmbH & Co. KG mit Sitz in St. Georgen bei Salzburg (Österreich),

Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte H. Janssen und M. Franz, sodann Rechtsanwälte H. Janssen und P. Homann,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Antoniadis, K. Mojzesowicz und N. von Lingen als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Simm und G. Kimberley als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der K (2009) 5791 endg. der Kommission vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.396 − Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und Gasindustrie), soweit sie die Klägerinnen betrifft, hilfsweise wegen Herabsetzung der den Klägerinnen in dieser Entscheidung auferlegten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz sowie der Richterin I. Labucka und des Richters D. Gratsias (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2012

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Mit ihrer Entscheidung K (2009) 5791 endg. vom 22. Juli 2009 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR Abkommen (Sache COMP/39.396 − Calciumcarbid und Reagenzien auf Magnesiumbasis für die Stahl- und Gasindustrien) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften fest, dass die Hauptanbieter von Calciumcarbid und Magnesium für die Stahl- und Gasindustrie gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen haben, indem sie sich vom 7. April 2004 bis 16. Januar 2007 an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung beteiligt hatten. Diese bestand in einer Marktaufteilung, Quotenabsprachen, einer Aufteilung der Kunden, Preisfestsetzung und dem Austausch vertraulicher Geschäftsinformationen über Preise, Kunden und Verkaufsvolumen im EWR mit Ausnahme von Irland, Spanien, Portugal und dem Vereinigten Königreich.

2        Das Verfahren wurde nach einem Antrag der Akzo Nobel NV auf Geldbußenerlass im Sinne der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung 2002) eröffnet.

3        Die erste Klägerin, die Ecka Granulate GmbH & Co. KG, ist eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland. Sie steht an der Spitze einer Gruppe von Gesellschaften und hält insbesondere 100 % des Kapitals der Aluma GmbH, die wiederum 100 % des Kapitals der zweiten Klägerin, der non ferrum Metallpulver GmbH & Co. KG, hält. Aluma produzierte Magnesiumgranulat für die Stahlindustrie. Dieser Geschäftsbereich wurde am 1. Januar 2006 an non ferrum Metallpulver übertragen.

4        In Art. 1 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass die Klägerinnen sich vom 14. Juli 2005 bis 16. Januar 2007 an der Zuwiderhandlung beteiligt hatten, und setzte in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d dieser Entscheidung eine Geldbuße in Höhe von 6,4 Mio. Euro gegen sie fest. Für die Zahlung der Geldbuße machte sie die Klägerinnen als Gesamtschuldner haftbar.

5        Wie aus Randnr. 285 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, wurde die Höhe der gegenüber den Klägerinnen und den anderen Adressaten der angefochtenen Entscheidung verhängten Geldbußen nach den Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien) festgesetzt.

6        Aus den Ziff. 9 bis 11 dieser Leitlinien ergibt sich, dass die Festsetzung der Geldbuße in einem zweistufigen Verfahren vorgenommen wird. Auf der ersten Stufe setzt die Kommission für jedes einzelne Unternehmen bzw. jede einzelne Unternehmensvereinigung einen Grundbetrag fest. Sie verwendet hierzu den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen (Ziff. 13). Zur Bestimmung des Grundbetrags wird ein bestimmter Anteil am Umsatz, der sich nach der Schwere des Verstoßes richtet, mit der Anzahl der Jahre der Zuwiderhandlung multipliziert (Ziff. 19). Zeiträume von mehr als sechs Monaten bis zu einem Jahr werden mit einem ganzen Jahr angerechnet (Ziff. 24). Grundsätzlich kann ein Betrag von bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden (Ziff. 21). Jedoch fügt die Kommission gemäß Ziff. 25 der Leitlinien, unabhängig von der Dauer der Beteiligung eines Unternehmens an der Zuwiderhandlung, einen Betrag zwischen 15 % und 25 % des Umsatzes hinzu, um die Unternehmen von vornherein an der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen abzuschrecken.

7        Auf der zweiten Stufe kann die Kommission den auf der ersten Stufe berechneten Grundbetrag der Geldbuße nach oben oder unten anpassen, um erschwerenden oder mildernden Umständen Rechnung zu tragen (vgl. Ziff. 28 und 29 der Leitlinien).

8        Wie aus Randnr. 301 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, legte die Kommission im vorliegenden Fall den Anteil des zu berücksichtigenden Umsatzes für alle am Kartell Beteiligten „[i]n Anbetracht der besonderen Umstände dieses Falles“ und „unter Berücksichtigung der in Randnrn. (294) bis (299) erörterten Kriterien“ auf 17 % fest.

9        Unter Berücksichtigung der Erwägungen in den Randnrn. 302 und 303 der angefochtenen Entscheidung zur Dauer der Zuwiderhandlung gab die Kommission ferner in einer Tabelle in Randnr. 304 dieser Entscheidung den anhand der Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung für jedes von dieser Entscheidung erfasste Unternehmen ermittelten Multiplikator an. Sie setzte für die Klägerinnen für Magnesiumgranulat einen Multiplikator von 1,5 fest.

10      Im Übrigen setzte die Kommission in Randnr. 306 der angefochtenen Entscheidung „[i]n Anbetracht der besonderen Umstände dieses Falles [und] unter Berücksichtigung der oben erörterten Kriterien in Bezug auf die Art der Zuwiderhandlung und [deren] räumliche Ausdehnung“ gemäß Ziff. 25 der Leitlinien den Prozentsatz der der Geldbuße hinzuzufügenden zusätzlichen Summe auf 17 % fest.

11      Randnr. 308 der angefochtenen Entscheidung enthält eine Tabelle, in der für jeden Beteiligten der berechnete Grundbetrag der Geldbuße unter Berücksichtigung der oben genannten Prozentsätze und Multiplikatoren sowie der mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehenden Umsätze, die in einer Tabelle in Randnr. 288 dieser Entscheidung aufgeführt sind, angegeben ist. Der so für die Klägerinnen berechnete Grundbetrag der Geldbuße beläuft sich auf 6,4 Mio. Euro.

12      Die Kommission untersuchte in den Randnrn. 309 bis 312 der angefochtenen Entscheidung, ob es Anlass gab, den Grundbetrag der Geldbuße wegen erschwerender Umstände nach oben anzupassen. Sie verneinte solche Umstände im Fall der Klägerinnen. Außerdem prüfte sie in den Randnrn. 313 bis 331 der angefochtenen Entscheidung, ob für einen oder mehrere am Kartell Beteiligte mildernde Umstände festgestellt werden könnten, verneinte das im Fall der Klägerinnen aber ebenfalls. Die ihnen endgültig auferlegte Geldbuße ist daher mit dem in der vorstehenden Randnummer angegebenen Grundbetrag identisch.

 Verfahren und Anträge der Parteien

13      Mit Klageschrift, die am 6. Oktober 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

14      Der Rat der Europäischen Union hat mit Schriftsatz, der am 1. Dezember 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt, in der vorliegenden Rechtssache zur Unterstützung der Anträge der Kommission als Streithelfer zugelassen zu werden. Der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts hat diesem Antrag mit Beschluss vom 18. Januar 2010 stattgegeben. Der Rat hat seinen Streithilfeschriftsatz am 2. April 2010 eingereicht.

15      Infolge der Änderung der Zusammensetzung der Kammern des Gerichts ist der ursprünglich benannte Berichterstatter der Dritten Kammer zugeteilt worden, an die die vorliegende Rechtssache demzufolge verwiesen worden ist. Wegen der teilweisen Neubesetzung des Gerichts ist die vorliegende Rechtssache einem neuen Berichterstatter derselben Kammer zugewiesen worden.

16      Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung des Gerichts die Kommission aufgefordert, ein Dokument vorzulegen. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

17      Die Klägerinnen und die Kommission haben in der Sitzung vom 27. Juni 2012 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

18      Die Klägerinnen beantragen,

–        die angefochtene Entscheidung, soweit sie von ihr betroffen sind, für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

20      Der Rat beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        eine angemessene Kostenentscheidung zu treffen.

 Rechtliche Würdigung

21      Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf sieben Gründe: erstens auf die Rechtswidrigkeit von Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) wegen Verstoßes gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“, zweitens auf die Rechtswidrigkeit der Leitlinien, soweit diese der Kommission ein zu weites Ermessen bei der Festsetzung der Geldbuße einräumen, drittens, viertens, fünftens und sechstens auf Versäumnisse der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße als Erstes die wirksame Zusammenarbeit, als Zweites die fehlende Erfahrung der Klägerinnen mit Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln, als Drittes die Tatsache, dass sie Anpassungsmaßnahmen eingeführt hätten und in ihrem Fall eine Wiederholungsgefahr gering sei, und als Viertes die Tatsache, dass sie den Magnesium betreffenden Teil des Kartells nicht umgesetzt hätten, als mildernde Umstände zu berücksichtigen, und siebtens auf das Versäumnis der Kommission, die fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Sinne der Ziff. 35 der Leitlinien bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen.

 Zum ersten Klagegrund: Rechtswidrigkeit von Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Verstoßes gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“

22      Mit ihrem ersten Klagegrund machen die Klägerinnen im Wesentlichen eine Einrede der Rechtswidrigkeit des Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 geltend. Gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a kann die Kommission gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 81 EG oder Art. 82 EG verstoßen. Weiter sieht Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 vor, dass die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmensvereinigung 10 % seines bzw. ihres im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Jahresumsatzes nicht übersteigen darf. Schließlich sind nach Art. 23 Abs. 3 bei der Bemessung der Geldbuße sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen.

23      Die Klägerinnen stützen sich auf das Urteil des Gerichtshofs vom 25. September 1984, Könecke (117/83, Slg. 1984, 3291, Randnr. 11), wonach eine Sanktion, selbst wenn sie keinen strafrechtlichen Charakter besitzt, nur dann verhängt werden darf, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruht. Sie weisen darauf hin, dass Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 als Maßstab für die Bemessung der Geldbuße nur die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung anführe, ohne diese beiden Begriffe näher zu definieren. Somit verfüge die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße über ein nahezu unbegrenztes Ermessen, da die einzige Grenze dieses Ermessens die in Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 vorgesehene Obergrenze der Geldbuße sei. Folglich beruhe die Verhängung von Geldbußen wie derjenigen, die ihnen im vorliegenden Fall auferlegt worden sei, nicht auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage und verstoße gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“.

24      Angesichts des Wortlauts des in Randnr. 22 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 lässt sich nicht bestreiten, dass er eine Rechtsgrundlage für die Auferlegung von Sanktionen wie die gegen die Klägerinnen im vorliegenden Fall verhängte Geldbuße darstellt. Ihr Vorbringen ist somit darauf gerichtet, den klaren und unzweideutigen Charakter dieser Rechtsgrundlage in Frage zu stellen, der ihrer Ansicht nach der Kommission ein nahezu unbegrenztes Ermessen bei der Bemessung der zu verhängenden Geldbuße einräumt.

25      Demnach ist die Bezugnahme der Klägerinnen auf einen sogenannten „Bestimmtheitsgrundsatz“ dahin zu verstehen, dass sie sich auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) berufen, wie er in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2007, C 303, S. 1) verankert ist. Dieser Grundsatz verlangt, dass eine unionsrechtliche Regelung die Zuwiderhandlungen und die Sanktionen klar definiert (Urteil des Gerichtshofs vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, C‑352/09 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 80).

26      Zudem verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass eine solche Regelung den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen, und dass sie ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (vgl. Urteil ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnr. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Wie der Rat in seinem Streithilfeschriftsatz zu Recht anmerkt, hat sich das Gericht bereits zur Rechtmäßigkeit der Bestimmungen, die der Kommission die Befugnis verleihen, wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln Geldbußen zu verhängen, im Hinblick auf die oben genannten Grundsätze geäußert.

28      Es hat hierzu festgestellt, dass die Kommission bei der Festsetzung der Höhe einer solchen Geldbuße nicht über ein unbegrenztes Ermessen verfügt, da die anwendbaren Bestimmungen eine Obergrenze der Geldbußen anhand des Umsatzes der betreffenden Unternehmen, d. h. anhand eines objektiven Kriteriums, vorsehen. Auch wenn es somit keine für alle Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln geltende absolute Obergrenze gibt, besteht für die mögliche Geldbuße doch eine bezifferbare und absolute Obergrenze, die bei jedem Unternehmen für jeden Fall der Zuwiderhandlung in einer Weise berechnet wird, bei der der Höchstbetrag der möglichen Geldbuße im Voraus bestimmbar ist (Urteile des Gerichts vom 5. April 2006, Degussa/Kommission, T‑279/02, Slg. 2006, II‑897, Randnrn. 74 bis 76, und vom 8. Oktober 2008, Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, Slg. 2008, II‑2567, Randnrn. 35 und 36).

29      Außerdem hat das Gericht zwar eingeräumt, dass die in Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 genannten Kriterien der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung der Kommission ein weites Ermessen belassen, jedoch darauf hingewiesen, dass es sich um Kriterien handelt, die von anderen Gesetzgebern bei vergleichbaren Bestimmungen herangezogen wurden und die es der Kommission erlauben, Sanktionen unter Berücksichtigung des Grades der Rechtswidrigkeit des fraglichen Verhaltens zu verhängen (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 76, und Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 37).

30      Das Gericht hat ferner darauf hingewiesen, dass die Kommission bei der Festsetzung von Geldbußen wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit in ihrer Auslegung durch seine eigene Rechtsprechung und die des Gerichtshofs zu beachten hat. Es hat hinzugefügt, dass es selbst und der Gerichtshof mit einer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über Klagen gegen die Entscheidungen befinden, mit denen die Kommission Geldbußen festsetzt, und somit nicht nur die Entscheidungen der Kommission für nichtig erklären, sondern auch die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen können. Die Verwaltungspraxis der Kommission unterliegt mithin der unbeschränkten Kontrolle durch den Unionsrichter. Diese Kontrolle hat es gerade ermöglicht, durch eine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung etwaige unbestimmte Begriffe in Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 zu präzisieren (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnrn. 77 und 79, und Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 41).

31      Das Gericht hat zudem festgestellt, dass die Kommission auf der Grundlage der in den einschlägigen Bestimmungen herangezogenen und durch die Rechtsprechung der Unionsgerichte präzisierten Kriterien eine allgemein bekannte und zugängliche Verwaltungspraxis entwickelt hat. Auch wenn die Entscheidungspraxis der Kommission nicht selbst den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen bildet, darf die Kommission doch nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung weder vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich noch unterschiedliche Sachverhalte gleich behandeln, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist. Das Gericht hat ferner daran erinnert, dass die Kommission im Bestreben nach Transparenz und zur Erhöhung der Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen Leitlinien veröffentlicht hat, in denen sie die Berechnungsmethode darlegt, zu deren Anwendung sie sich in jedem Einzelfall verpflichtet. Mit diesen Leitlinien beschränkt sich die Kommission selbst in der Ausübung ihres Ermessens und kann nicht von diesen Normen abweichen, ohne gegebenenfalls wegen Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Gleichbehandlung und den Vertrauensschutz mit einer Sanktion belegt zu werden. Diese Leitlinien enthalten eine allgemeine und abstrakte Regelung des Verfahrens, das sich die Kommission zur Festsetzung der Höhe der verhängten Geldbußen auferlegt hat, und schaffen damit Rechtssicherheit für die Unternehmen. Der Erlass der Leitlinien durch die Kommission hat dazu beigetragen, die Grenzen für die Ausübung des ihr durch die einschlägigen Bestimmungen eingeräumten Ermessens klarzustellen (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnrn. 80 und 82, und Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnrn. 42 und 44).

32      Daher ist das Gericht davon ausgegangen, dass ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf die oben genannten Anhaltspunkte – falls erforderlich mit Hilfe eines Rechtsberaters – in hinreichend genauer Weise die Methode und die Größenordnung der Geldbußen vorhersehen kann, die ihm bei einem bestimmten Verhalten drohen. Dass dieser Wirtschaftsteilnehmer die Höhe der Geldbußen, die die Kommission in jedem Einzelfall verhängen wird, nicht im Voraus genau erkennen kann, stellt keine Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Strafen dar, da aufgrund der Schwere der von der Kommission zu ahndenden Zuwiderhandlungen die Ziele der Repression und der Abschreckung es rechtfertigen, dass die Unternehmen nicht in der Lage sind, den Nutzen einzuschätzen, den sie aus ihrer Beteiligung an einer Zuwiderhandlung ziehen würden, indem sie im Voraus die Höhe der Geldbuße berücksichtigen, die ihnen aufgrund dieses rechtswidrigen Verhaltens auferlegt würde (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 83, und Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 45).

33      In diesem Zusammenhang hat das Gericht klargestellt, dass die Kommission, auch wenn die Unternehmen nicht in der Lage sind, die Höhe der Geldbußen, die sie in jedem Einzelfall verhängen wird, im Voraus genau zu erkennen, in der Entscheidung, mit der eine Geldbuße auferlegt wird, ungeachtet des allgemein bekannten Kontextes der Entscheidung eine Begründung u. a. für die Höhe der verhängten Geldbuße und die dabei angewandte Methode geben muss. Diese Begründung muss die Überlegungen der Kommission so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass es den Betroffenen möglich ist, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit sie die Zweckmäßigkeit der Anrufung des Unionsrichters beurteilen können, und dass dieser gegebenenfalls seine Kontrolle wahrnehmen kann (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 84, und Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 46).

34      Das Gericht hat daher die Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die Bestimmungen, die der Kommission die Befugnis einräumen, wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln Geldbußen zu verhängen, zurückgewiesen (Urteil Degussa/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 88, vgl. auch Urteil Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieses Ergebnis hat der Gerichtshof bestätigt, der das gegen das oben in Randnr. 28 angeführte Urteil Degussa/Kommission eingelegte Rechtsmittel zurückgewiesen hat (Urteil des Gerichtshofs vom 22. Mai 2008, Evonik Degussa/Kommission, C‑266/06 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 36 bis 63).

35      Nach alledem kann die von den Klägerinnen gegen Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 erhobene Rechtswidrigkeitseinrede keinen Erfolg haben, zumal sich die Klägerinnen weder mit der oben angeführten Rechtsprechung auseinandergesetzt noch Argumente vorgetragen haben, um darzutun, dass das Gericht im vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abweichen müsse. Mithin ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Rechtswidrigkeit der Leitlinien

36      Mit ihrem zweiten Klagegrund machen die Klägerinnen die Rechtswidrigkeit der Leitlinien geltend, die ihrer Ansicht nach die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung nach sich zieht.

37      Die Klägerinnen sind der Meinung, dass die Leitlinien rechtswidrig seien, weil sie einen nahezu unbegrenzten Ermessensspielraum der Kommission bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße vorsähen. Sie nehmen insbesondere auf Ziff. 37 der genannten Leitlinien Bezug, wo sich die Kommission das Recht vorbehalte, von dieser in den Leitlinien dargelegten allgemeinen Methode für die Bemessung der Geldbuße abzuweichen, insbesondere dann, wenn dies für eine ausreichend hohe Abschreckungswirkung in einem besonderen Fall notwendig sei.

38      In demselben Zusammenhang berufen sie sich auf Ziff. 35 der Leitlinien, die vorsieht:

„Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Kommission auf Antrag die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld berücksichtigen. Die Kommission wird jedoch keine Ermäßigung wegen der bloßen Tatsache einer nachteiligen oder defizitären Finanzlage gewähren. Eine Ermäßigung ist nur möglich, wenn eindeutig nachgewiesen wird, dass die Verhängung einer Geldbuße gemäß diesen Leitlinien die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und [seine] Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.“

39      Die Klägerinnen sind der Auffassung, diese Ziffer verleihe der Kommission einen besonders großen Ermessensspielraum, da sie danach die fehlende Leistungsfähigkeit eines Unternehmens berücksichtigen könne (nicht „müsse“) und da eine Ermäßigung „möglich“ (nicht verpflichtend) sei, wenn die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des betroffenen Unternehmens unwiderruflich gefährdet sei. Überdies sei es praktisch unmöglich, die Voraussetzung dieser Ziffer hinsichtlich der Beraubung jeglichen Wertes der Aktiva des betroffenen Unternehmens zu erfüllen.

40      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie bereits im Rahmen der Prüfung des ersten Klagegrundes (vgl. Randnr. 31 des vorliegenden Urteils) ausgeführt wurde, zur weiteren Klarstellung der Grenzen der Ausübung des Ermessens, über das sie im Bereich der Geldbußen bei einem Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln verfügt, Leitlinien erlassen hat, die eine allgemeine und abstrakte Regelung des zur Bemessung solcher Geldbußen angewandten Verfahrens enthalten und damit Rechtssicherheit für die Unternehmen schaffen. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Kommission dadurch, dass sie derartige Verhaltensnormen erlassen und durch ihre Veröffentlichung angekündigt hat, dass sie diese künftig auf die von diesen Normen erfassten Fälle anwenden werde, selbst die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und kann nicht von diesen Normen abweichen, ohne sich gegebenenfalls wegen Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Gleichbehandlung und den Vertrauensschutz einer Sanktion auszusetzen (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 211; Urteile des Gerichts Schunk und Schunk Kohlenstoff‑Technik/Kommission, oben in Randnr. 28 angeführt, Randnr. 44, und vom 28. April 2010, Amann & Söhne und Cousin Filterie/Kommission, T‑446/05, Slg. 2010, II‑1255, Randnr. 146).

41      Die Klägerinnen machen gleichwohl geltend, diese Leitlinien ließen der Kommission einen zu weiten Ermessensspielraum und seien daher rechtswidrig. Dieses Vorbringen kann nicht erfolgreich sein.

42      Wie der Gerichtshof entschieden hat, stellen die Leitlinien eine Verhaltensnorm auf, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthalten und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind, abweichen kann (Urteile des Gerichtshofs vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, C‑397/03 P, Slg. 2006, I‑4429, Randnr. 91, und vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission, C‑389/10 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 127). Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kommission im Einzelfall verpflichtet ist, von ihren eigenen Leitlinien abzuweichen, sofern sie Gründe angibt, die mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sie bei der Bemessung der Geldbuße einzuhalten hat, darunter namentlich dem Gleichbehandlungsgrundsatz, vereinbar sind.

43      Nach der Normenhierarchie kann ein Unionsorgan nämlich nicht durch eine interne Verhaltensnorm, die es sich auferlegt, vollständig auf die Ausübung eines Ermessens verzichten, das ihr in einer Bestimmung wie hier Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumt ist (vgl. entsprechend Urteile des Gerichts vom 5. Oktober 1995, Alexopoulou/Kommission, T‑17/95, Slg. ÖD 1995, I‑A‑227 und II‑683, Randnr. 24, und vom 17. Dezember 2003, Chawdhry/Kommission, T‑133/02, Slg. ÖD 2003, I‑A‑329 und II‑1617, Randnr. 41).

44      Des Weiteren ist die Kommission bei der Festsetzung der wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängenden Geldbußen insbesondere verpflichtet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. Randnr. 30 des vorliegenden Urteils). Nach ständiger Rechtsprechung verlangt dieser Grundsatz, dass die Handlungen der Organe nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnr. 226 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen, die der Kommission keinerlei Flexibilität beließen, um einen in jedem Einzelfall angemessenen Betrag festzusetzen, wären mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, da sie zur Verhängung von Geldbußen führen könnten, die weit über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist, oder umgekehrt zur Erreichung dieses Zwecks offensichtlich unzureichend sind.

46      Daraus folgt nicht nur, dass die Leitlinien nicht deshalb rechtswidrig sind, weil sie der Kommission einen gewissen Beurteilungsspielraum bei ihrer Anwendung belassen, sondern auch, dass Leitlinien, die so starr sind, dass sie einen solchen Spielraum ausschließen, mit den Erwägungen der Randnrn. 42 bis 45 des vorliegenden Urteils und der angeführten Rechtsprechung geradezu unvereinbar wären.

47      Die spezifischen Rügen, die die Klägerinnen gegen die Ziff. 35 und 37 dieser Leitlinien ins Feld führen, können ebenfalls keinen Erfolg haben. Insoweit greift das Vorbringen der Klägerinnen zu Ziff. 37 der Leitlinien jedenfalls nicht durch, da die Kommission im vorliegenden Fall bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße, die sie den Klägerinnen in der angefochtenen Entscheidung auferlegt hat, nicht von dem in den Leitlinien angegebenen Verfahren abgewichen ist. Ziff. 37 der Leitlinien wird lediglich in Fn. 685 zu Randnr. 372 der Entscheidung erwähnt, in der es um einen anderen Kartellbeteiligten geht.

48      Was die Kritik an Ziff. 35 der Leitlinien betrifft, so legen die Klägerinnen der Verwendung des Wortes „können“ anstelle von „müssen“ zu große Bedeutung bei. Entgegen der von den Klägerinnen offenbar vertretenen Ansicht kann dieses Wort nicht so verstanden werden, dass die Kommission es willkürlich ablehnen kann, eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren, wenn sämtliche in dieser Ziffer genannten Voraussetzungen erfüllt sind und eine solche Herabsetzung mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße zu beachten sind, vereinbar erscheint. Das Wort ist vielmehr ein zusätzlicher Hinweis auf die Flexibilität, die sich die Kommission in Übereinstimmung mit den in den Randnrn. 42 bis 45 des vorliegenden Urteils ausgeführten Erwägungen vorbehalten muss, wenn sie richtungsweisende Verhaltensnormen wie die Leitlinien erlässt.

49      Was die in dieser Ziffer der Leitlinien vorgesehene Voraussetzung angeht, dass die Aktiva des betroffenen Unternehmens jeglichen Wertes beraubt werden könnten, genügt die Feststellung, dass die Kommission nur auf die insoweit einschlägige Rechtsprechung verwiesen hat.

50      Nach ständiger Rechtsprechung verbietet das Unionsrecht nämlich nicht schlechthin eine Maßnahme einer Unionsbehörde, die zur Insolvenz oder zur Auflösung eines bestimmten Unternehmens führt. Die Auflösung eines Unternehmens in seiner bestehenden Rechtsform kann zwar die finanziellen Interessen der Eigentümer, Aktionäre oder Anteilseigner beeinträchtigen, sie bedeutet aber nicht, dass auch die durch das Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel ihren Wert verlieren (Urteile des Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 372, vom 29. November 2005, Heubach/Kommission, T‑64/02, Slg. 2005, II‑5137, Randnr. 163, und vom 28. April 2010, BST/Kommission, T‑452/05, Slg. 2010, II‑1373, Randnr. 96).

51      Aus dieser Rechtsprechung lässt sich ableiten, dass allein der Fall, dass die durch ein Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel, mit anderen Worten seine Aktiva, verloren gingen, es rechtfertigen könnte, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Möglichkeit seiner Insolvenz oder seiner Auflösung als Folge der Verhängung dieser Geldbuße zu berücksichtigen. Somit kann der Kommission nicht als Fehler oder Verstoß gegen das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze zur Last gelegt werden, dass sie einer Voraussetzung nach Ziff. 35 der Leitlinien Rechnung getragen hat.

52      Demnach ist der zweite Klagegrund unbegründet und zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die wirksame Zusammenarbeit der Klägerinnen als mildernden Umstand zu berücksichtigen

53      Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe ihre Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren nicht als mildernden Umstand, der eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertige, berücksichtigt. Insoweit führen sie an, dass sie in der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte den für die Zuwiderhandlung erheblichen Sachverhalt ausdrücklich nicht bestritten hätten. Dieses Verhalten habe zu einer Arbeitsersparnis der Kommission geführt und die Feststellung der Zuwiderhandlung erleichtert.

54      Die Klägerinnen beziehen sich in diesem Zusammenhang auf Randnr. 158 der angefochtenen Entscheidung und auf Fn. 375, auf die diese Randnummer verweist, die ihrer Ansicht nach bestätigen, dass sie die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme bestimmter Dokumente durch die Kommission in den Räumlichkeiten der zweiten Klägerin nicht bestritten hätten. Sie machen geltend, dass dieses Nichtbestreiten es der Kommission ermöglicht habe, ihren Argumentationsaufwand zu begrenzen und die Zuwiderhandlung leichter festzustellen. Zur Stützung dieses Vorbringens berufen sie sich auf die Urteile des Gerichts vom 10. März 1992, ICI/Kommission (T‑13/89, Slg. 1992, II‑1021, Randnr. 393), und vom 14. Mai 1998, Mayr-Melnhof/Kommission (T‑347/94, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 330), sowie eine ältere Entscheidung der Kommission zu einem anderen Kartell im Bankensektor.

55      Außerdem stelle die Tatsache, dass die Klägerinnen auf eine deutschsprachige Fassung des Auskunftsersuchens, das die Kommission am 9. März 2009 in Englisch an sie gerichtet habe, verzichtet hätten, ein weiteres Beispiel ihrer Zusammenarbeit dar, die es ermöglicht habe, das Verwaltungsverfahren zu beschleunigen. Sie hätten sich auf eine ausdrückliche, mit personellen Engpässen begründete Bitte der Kommission hin zu diesem Verzicht bereit erklärt. Die Kommission habe dadurch, dass sie die Zusammenarbeit der Klägerinnen im Hinblick auf eine Herabsetzung der Geldbuße nicht berücksichtigt habe, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

56      Zu diesem Vorbringen ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei Zuwiderhandlungen, die von mehreren Unternehmen begangen worden sind, für die Bemessung der Geldbußen die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens zu prüfen ist, wobei insbesondere festzustellen ist, welche Rolle jedes bei der Zuwiderhandlung während der Dauer seiner Beteiligung an dieser gespielt hat. Dies ist die logische Folge des Grundsatzes der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen, wonach ein Unternehmen nur für Handlungen bestraft werden darf, die ihm individuell zur Last gelegt werden; dieser Grundsatz gilt in allen Verwaltungsverfahren, die zu Sanktionen nach den Wettbewerbsregeln des Unionsrechts führen können (vgl. Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnrn. 277 und 278 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      In Übereinstimmung mit diesen Erwägungen sieht Ziff. 29 der Leitlinien eine Anpassung des Grundbetrags der Geldbuße aufgrund bestimmter mildernder Umstände vor, die den jeweiligen betroffenen Unternehmen zuzuordnen sind. Diese Ziffer enthält insbesondere eine nicht abschließende Liste mildernder Umstände, die berücksichtigt werden können. Ausweislich des vierten Gedankenstrichs stellt die Kommission mildernde Umstände fest bei „aktive[r] Zusammenarbeit des Unternehmens mit [ihr] außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen und über seine rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinaus“.

58      Dagegen ist das schlichte Nichtbestreiten von Tatsachen durch das betroffene Unternehmen nicht unter den beispielhaft aufgezählten mildernden Umständen in dieser Ziffer der Leitlinien aufgeführt. Die Kommission hat hierzu in ihrer Klagebeantwortung erläutert, sie habe in ihrer Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4) in Abschnitt D Ziff. 2 eine Herabsetzung der Geldbuße wegen der Zusammenarbeit für ein Unternehmen vorgesehen, das der Kommission nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitteile, dass es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stütze, nicht bestreite. Diese Verwaltungspraxis habe sich jedoch nicht als wirksam erwiesen und sei aufgegeben worden, so dass weder die auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbare Kronzeugenregelung noch die Leitlinien eine vergleichbare Bestimmung enthielten. Alle von den Klägerinnen angeführten Präzedenzfälle beträfen die Zeit vor ihrer Mitteilung von 1996 oder Fälle, die während der Geltung dieser Mitteilung entschieden worden seien.

59      Unter Berücksichtigung dieses Vorbringens der Kommission ist festzustellen, dass die Kommission zwar, wie sich aus der in Randnr. 40 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, nicht von den Regeln, die sie sich auferlegt hat, abweichen kann, dass sie jedoch frei darin ist, diese Regeln zu ändern oder zu ersetzen. In einem Fall, der in den Geltungsbereich neuer Regeln fällt –, wie die streitige Zuwiderhandlung, die in zeitlicher Hinsicht in den Geltungsbereich der Leitlinien und der Kronzeugenregelung fällt –, kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, einen mildernden Umstand, der in diesen neuen Regeln nicht vorgesehen ist, nicht berücksichtigt zu haben, nur weil er in den alten Regeln vorgesehen war. Die Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte bei der Bemessung der Geldbuße als mildernde Umstände angesehen hat, bedeutet nämlich nicht, dass sie verpflichtet wäre, in einer späteren Entscheidung ebenfalls so zu verfahren (Urteile des Gerichts Mayr-Melnhof/Kommission, oben in Randnr. 54 angeführt, Randnr. 368, und vom 20. März 2002, LR AF 1998/Kommission, T‑23/99, Slg. 2002, II‑1705, Randnr. 337).

60      Daraus folgt, dass allein die Tatsache, dass die Kommission in älteren Entscheidungen, die nach Regeln und einer Praxis erlassen worden waren, die nach dem Erlass geändert wurden, für eine Herabsetzung der gegen ein Unternehmen wegen seiner Beteiligung an einem Kartell verhängten Geldbuße berücksichtigt hatte, dass dieses Unternehmen den ihm vorgeworfenen Sachverhalt nicht bestritten hatte, nicht bedeutet, dass sie im vorliegenden Fall verpflichtet war, den Klägerinnen aus dem gleichen Grund eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren.

61      Folglich ist im Rahmen dieses Klagegrundes zu prüfen, ob die Tatsache, dass die Klägerinnen den ihnen vorgeworfenen Sachverhalt nicht bestritten haben, und die übrigen von ihnen behaupteten mildernden Umstände gemäß Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien die relative Schwere des Tatbeitrags zum Kartell mildern konnten und eine wirksame Zusammenarbeit mit der Kommission darstellten, so dass eine Herabsetzung der ihnen auferlegten Geldbuße gerechtfertigt ist.

62      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund einer Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des fraglichen Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und diese gegebenenfalls zu beenden (Urteile des Gerichtshofs vom 16. November 2000, SCA Holding/Kommission, C‑297/98 P, Slg. 2000, I‑10101, Randnr. 36, und vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, C‑328/05 P, Slg. 2007, I‑3921, Randnr. 83; Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, BPB de Eendracht/Kommission, T‑311/94, Slg. 1998, II‑1129, Randnr. 325).

63      Erstens ist im Hinblick auf das Nichtbestreiten des Sachverhalts durch die Klägerinnen darauf hinzuweisen, dass das streitige Kartell der Kommission von Akzo Nobel zur Kenntnis gebracht worden war, wie in Randnr. 335 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wird. Anschließend gab auch die Degussa AG, ein weiteres über eine ihrer Tochtergesellschaften an dem Kartell beteiligtes Unternehmen, eine Erklärung ab, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu gelangen; in dieser Erklärung übermittelte sie der Kommission zusätzliche Informationen, die sich u. a. auf den Magnesium betreffenden Teil des Kartells bezogen, was ihr, wie den Randnrn. 350 bis 356 der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist, eine Herabsetzung der ihr auferlegten Geldbuße einbrachte.

64      Wie sich im Übrigen aus Fn. 143 zu Randnr. 64 und aus Randnr. 348 der angefochtenen Entscheidung ergibt, hatte die Kommission in den Räumlichkeiten eines anderen am Kartell beteiligten Unternehmens, nämlich TDR Metalurgija d.d., schriftliche Beweise in Bezug auf den Calciumcarbidpulver betreffenden Teil des Kartells und insbesondere in Bezug auf die erste diesbezügliche Zusammenkunft vom 22. April 2004 beschlagnahmt. Weiter ergibt sich aus den Randnrn. 124 bis 135 und 155 bis 159 der angefochtenen Entscheidung, dass die Kommission auch über schriftliche Beweise in Bezug auf den Magnesium betreffenden Teil des Kartells verfügte, und zwar in Gestalt der Unterlagen, die in den bei einer in den Räumlichkeiten der zweiten Klägerin durchgeführten Nachprüfung beschlagnahmt worden waren und auf die diese in der Folge in ihrer Antwort auf ein Auskunftsverlangen, das die Kommission an sie gerichtet hatte, verwies.

65      Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Kommission über eine erhebliche Zahl von Beweisen für den den Klägerinnen zur Last gelegten Sachverhalt verfügte, sowohl in Form von Erklärungen anderer Kartellbeteiligter als auch in Form von Unterlagen, die eine, wenn auch bruchstückhafte, schriftliche Spur der verschiedenen Zusammenkünfte im Rahmen dieses Kartells und der bei diesen Zusammenkünften getroffenen Absprachen darstellten. Unter diesen Umständen ist, da die Klägerinnen nichts zum Beweis des Gegenteils vorgetragen haben, festzustellen, dass die Kommission jedenfalls in der Lage gewesen wäre, den den Klägerinnen zur Last gelegten Sachverhalt zu beweisen, wenn sie ihn bestritten hätten. Folglich kann entgegen den Behauptungen der Klägerinnen ein Nichtbestreiten nicht als eine wirksame Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens im Sinne von Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien und der in Randnr. 62 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung angesehen werden und somit eine Herabsetzung der ihnen auferlegten Geldbuße nicht rechtfertigen.

66      Zweitens ist auf der Grundlage entsprechender Überlegungen festzustellen, dass auch der Umstand, dass die Klägerinnen die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme der Unterlagen, von der in Randnr. 158 der angefochtenen Entscheidung die Rede ist, nicht bestritten haben, keine derartige Zusammenarbeit darstellt. Die Klägerinnen erklären nicht, auf welche Gründe sich ein solches Bestreiten hätte stützen lassen, und schon gar nicht, ob sie in irgendeiner Weise hätten durchgreifen können. Allein die Tatsache, dass dieses Nichtbestreiten es der Kommission ersparte, darauf erwidern zu müssen, stellt keine wirksame Zusammenarbeit im Sinne der in Randnr. 62 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung dar. Die gegenteilige Sichtweise der Klägerinnen findet keine Stütze in der von ihnen angeführten Rechtsprechung (vgl. Randnr. 54 des vorliegenden Urteils), die im Wesentlichen nur dieselben Erwägungen enthält wie die in Randnr. 62 des vorliegenden Urteils angegebene Rechtsprechung.

67      Drittens stellt es auch keine Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens im Sinne der in Randnr. 62 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung dar, dass die Klägerinnen gegenüber der Kommission auf eine Übermittlung einer deutschsprachigen Fassung des Auskunftsverlangens, das ihnen in Englisch übersandt worden war, verzichtet haben. Zwar konnte dieser Verzicht die Last der der Kommission obliegenden Verwaltungsaufgaben etwas erleichtern, er war jedoch offensichtlich nicht geeignet, ihr die Feststellung der Zuwiderhandlung zu erleichtern und diese zu beenden.

68      Da keine der von den Klägerinnen vorgetragenen Rügen begründet ist, ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum vierten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die fehlende Erfahrung der Klägerinnen mit Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln als mildernden Umstand zu berücksichtigen

69      Die Klägerinnen tragen vor, sie hätten in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt, dass sie keine Erfahrung mit Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln hätten. Außerdem hätten sie der Kommission mitgeteilt, dass sie im Anschluss an deren Ermittlungen hinsichtlich der streitigen Zuwiderhandlung interne Kontrollen in anderen Bereichen ihres Unternehmens durchgeführt hätten, die keine Zuwiderhandlungen aufgedeckt hätten. Folglich sei die von ihnen begangene Zuwiderhandlung auf den von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Bereich beschränkt gewesen. Deshalb werfen sie der Kommission eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insoweit vor, als sie in der angefochtenen Entscheidung „diese Tatsachen nicht als mildernde Umstände“ berücksichtigt habe.

70      Die Beschränkung der Beteiligung eines Unternehmens an einem nach den Wettbewerbsregeln verbotenen Kartell auf nur einen der Geschäftsbereiche dieses Unternehmens ist entgegen der Annahme der Klägerinnen nicht geeignet, die relative Schwere dieser Beteiligung zu mindern, und kann folglich auch keinen mildernden Umstand darstellen, den die Kommission bei der Festsetzung der dem betreffenden Unternehmen aufzuerlegenden Sanktion zu berücksichtigen hätte. Daher sehen die Leitlinien zu Recht keinen entsprechenden mildernden Umstand vor. Der Kommission kann somit nicht als Fehler zur Last gelegt werden, dass sie in der angefochtenen Entscheidung einen solchen Umstand nicht zugunsten der Klägerinnen berücksichtigt hat.

71      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, wie bereits seitens der Kommission geschehen, dass es keinen mildernden Umstand darstellt, dass in der Vergangenheit kein Wettbewerbsverstoß begangen wurde, der Wiederholungsfall aber, d. h., wenn ein Unternehmen nach einer ersten Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes durch die Kommission oder eine nationale Wettbewerbsbehörde eine gleichartige oder ähnliche Zuwiderhandlung fortsetzt oder erneut begeht, in Ziff. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien als erschwerender Umstand anerkannt ist, der eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um bis zu 100 % für jeden festgestellten Verstoß rechtfertigt. Im vorliegenden Fall hat die Kommission tatsächlich einen solchen erschwerenden Umstand für bestimmte andere Kartellbeteiligte bejaht, wie dies den Randnrn. 309 bis 312 der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist, für die Klägerinnen allerdings eindeutig nicht, so dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt worden ist.

72      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der vierte Klagegrund unbegründet und zurückzuweisen ist.

 Zum fünften Klagegrund: Versäumnis der Kommission, die Einführung von Anpassungsmaßnahmen durch die Klägerinnen und das Bestehen einer geringen Wiederholungsgefahr in ihrem Fall bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände zu berücksichtigen

73      Die Klägerinnen führen aus, dass sie im Anschluss an die Ermittlung der Kommission, die die Teilnahme einiger ihrer Mitarbeiter an dem streitigen Kartell aufgedeckt habe, verschiedene Maßnahmen ergriffen hätten, um für die Zukunft jede Gefahr der Wiederholung eines ähnlichen Verstoßes auszuschließen, worüber sie die Kommission in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte informiert hätten.

74      Insbesondere hätten sie mittlerweile eine interne Richtlinie erlassen, mit der die Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus den Wettbewerbsregeln sichergestellt werden solle, und sie hätten die Geschäftsleiter der einzelnen Divisionen angewiesen, in Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung dafür zu sorgen, dass die Einhaltung dieser Richtlinie überprüft werde. Außerdem hätten sie eine Stabsfunktion in Bezug auf die Befolgung der Wettbewerbsregeln geschaffen; die dort eingesetzte Person sei damit betraut, die einzelnen Produktionsstandorte der Klägerinnen zu bereisen und stichprobenartige Kontrollen durchzuführen sowie regelmäßig Schulungen in diesem Bereich zu organisieren.

75      Außerdem könne in ihrem Fall auch aus personellen Gründen ein Rückfallrisiko verneint werden. Sie hätten sich nämlich von Herrn S. getrennt, der von ihrer Seite aus hauptsächlich in das Kartell involviert gewesen sei. Herr K., dessen Rolle bei dem Kartell ohnehin zu vernachlässigen sei, sei ebenfalls aus dem Unternehmen ausgeschieden.

76      Die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung diese Gegebenheiten nicht als mildernde Umstände berücksichtigt, die eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigten, und mithin den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

77      Zunächst ist klarzustellen, dass die Kommission, wie aus den Randnrn. 324 und 325 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen deren Ausführungen, wie diese in den Randnrn. 73 bis 75 des vorliegenden Urteils zusammengefasst sind, im Verwaltungsverfahren berücksichtigt hat, sie jedoch nicht als mildernde Umstände angesehen hat, die eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigten.

78      In Randnr. 324 der angefochtenen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass mehrere Unternehmen vorgebracht hätten, dass ihre Geldbuße ermäßigt werden sollte, weil sie Befolgungsprogramme eingeführt oder Disziplinarmaßnahmen gegen an dem Kartell beteiligte Mitarbeiter getroffen hätten. Die Kommission war der Ansicht, dass eine Herabsetzung der Geldbuße nicht gerechtfertigt sei und führte dazu in Randnr. 325 der angefochtenen Entscheidung aus:

„Auch wenn die Kommission Maßnahmen von Unternehmen begrüßt, die darauf gerichtet sind, die Wiederholung von Kartellverstößen zu vermeiden und Zuwiderhandlungen den zuständigen Behörden zu melden, können diese Maßnahmen nichts an der Tatsache ändern, dass eine Zuwiderhandlung vorliegt, die sanktioniert werden muss … Die Befolgungsprogramme und Disziplinarmaßnahmen können Muttergesellschaften nicht von der Haftung … entbinden.“

79      Diese Überlegungen der Kommission geben lediglich die ständige Rechtsprechung wieder, wonach es zwar bedeutsam ist, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergriffen hat, um künftige Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, dies jedoch nichts daran ändert, dass die festgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde. Allein der Umstand, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis in bestimmten Fällen die Einführung eines Befolgungsprogramms als mildernden Umstand berücksichtigt hat, bedeutet für sie keine Verpflichtung, in jedem Einzelfall in dieser Weise zu verfahren (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 40 angeführt, Randnr. 373; Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T‑7/89, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 357, und ICI/Kommission, oben in Randnr. 54 angeführt, Randnr. 395). Auf diese Rechtsprechung wird im Übrigen in Fn. 651 zu Randnr. 325 der angefochtenen Entscheidung hingewiesen.

80      Demnach kann der Kommission nicht als Fehler zur Last gelegt werden, dass sie in der angefochtenen Entscheidung die Einführung von Befolgungsmaßnahmen durch die Klägerinnen oder deren Trennung von den Mitarbeitern, die die Zuwiderhandlung begangen hatten, nicht als mildernden Umstand berücksichtigt hat, der eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 2006, BASF/Kommission, T‑15/02, Slg. 2006, II‑497, Randnr. 266).

81      Folglich ist der fünfte Klagegrund nicht begründet und zurückzuweisen.

 Zum sechsten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, den Umstand, dass die Klägerinnen den Magnesium betreffenden Teil des Kartells nicht umgesetzt hätten, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße als mildernden Umstand zu berücksichtigen

82      Die Klägerinnen tragen vor, sie hätten in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt, dass sie sich nicht an die ihnen im Rahmen des Kartells zugeteilten Lieferquoten für Magnesium gehalten, sondern ihren Kunden deutlich höhere Mengen dieses Produkts geliefert hätten als die, zu denen sie nach den im Rahmen des Kartells getroffenen Absprachen berechtigt gewesen seien. Sie hätten ihre Ausführungen durch eine Tabelle untermauert. Die Kommission habe aber unter Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Tatsache, dass sie davon abgesehen hätten, das Magnesiumkartell umzusetzen, nicht als mildernden Umstand berücksichtigt.

83      In Randnr. 317 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission u. a. das oben angeführte Vorbringen der Klägerinnen sowie die von anderen Kartellbeteiligten vorgebrachten ähnlichen Argumente zusammengefasst. In Randnr. 318 hat sie die Gründe dargelegt, weshalb sie der Auffassung war, dass die angebliche Nichtumsetzung des Kartells nicht im Sinne eines mildernden Umstands berücksichtigt werden könne. Diese Randnummer lautet:

„Wie in Randnr. (193) erwähnt, wurden die Vereinbarungen zwischen den Calciumcarbidanbietern und zwischen den Magnesiumanbietern umgesetzt. Während der gesamten Dauer des Kartells tauschten die Parteien vertrauliche Geschäftsinformationen aus, ordneten Kunden zu, vereinbarten, die abgesprochenen Preiserhöhungen umzusetzen, und diskutierten die Durchführung der Quotenabsprachen durch Aktualisierung ihrer Tabellen der Marktanteile. Die Vereinbarungen schlossen den weiteren Wettbewerb zwischen den Beteiligten nicht vollständig aus, und die Tatsache, dass es Rivalitäten und Betrügereien gab, ändert nichts an der Schlussfolgerung, dass die Vereinbarungen umgesetzt wurden und den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Calciumcarbid und Magnesiumgranulaten beschränkten …“

84      Den Formulierungen in Randnr. 318 der angefochtenen Entscheidung ist zu entnehmen, dass die Kommission nicht die sachliche Richtigkeit der von den Klägerinnen in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgetragenen und vor dem Gericht wiederholten Behauptungen geprüft hat, sondern vielmehr festgestellt hat, dass diese Behauptungen, einmal als bewiesen unterstellt, nicht als mildernder Umstand eine Herabsetzung der den Klägerinnen für ihre Beteiligung am Kartell aufzuerlegenden Geldbuße rechtfertigten.

85      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das betroffene Unternehmen nach Ziff. 29 dritter Gedankenstrich der Leitlinien, um in den Genuss einer Ermäßigung der Geldbuße aufgrund mildernder Umstände zu kommen, „Beweise [beibringen muss], dass die eigene Beteiligung sehr geringfügig war und sich das Unternehmen der Durchführung der gegen die Wettbewerbsregeln verstoßenden Vereinbarungen in dem Zeitraum, in dem [es] ihnen beigetreten war, in Wirklichkeit durch eigenes Wettbewerbsverhalten auf dem Markt entzogen hat“.

86      Diese Vorschrift der Leitlinien stimmt mit der ständigen Rechtsprechung überein, wonach ein Unternehmen, um in den Genuss eines mildernden Umstands wegen tatsächlicher Nichtdurchführung der rechtswidrigen Vereinbarungen zu kommen, Umstände anführen muss, die belegen können, dass es in der Zeit, in der es an den rechtswidrigen Vereinbarungen beteiligt war, sich deren Durchführung tatsächlich entzogen hat, indem es sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhalten hat (vgl. Urteil Heubach/Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zu diesem Zweck muss dieses Unternehmen zumindest nachweisen, dass es sich den Verpflichtungen zur Umsetzung dieses Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzt hat, dass dadurch sogar dessen Funktionieren selbst gestört wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 15. März 2006, Daiichi Pharmaceutical/Kommission, T‑26/02, Slg. 2006, II‑713, Randnr. 113, und BST/Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 111).

87      Das in Randnr. 82 des vorliegenden Urteils zusammengefasste Vorbringen der Klägerinnen, selbst wenn es als bewiesen angesehen wird, erfüllt nicht die in der vorstehenden Randnummer aufgestellten Voraussetzungen. Wie die Kommission in Randnr. 318 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, haben die Klägerinnen nämlich nicht bestritten, sich an den Vereinbarungen und Absprachen beteiligt zu haben, die das streitige Kartell bildeten. Sie haben lediglich vorgetragen, sich nicht an die Quotenabsprachen mit den anderen Kartellbeteiligten gehalten zu haben, da sie einigen ihrer Kunden höhere Mengen dieses Produkts als in den Quoten vorgesehen geliefert hätten. Da die Klägerinnen keine weiteren stichhaltigen Argumente vorgetragen haben, reicht diese Tatsache allein nicht aus, um zu belegen, dass sie sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhalten oder das Funktionieren des streitigen Kartells sogar gestört haben.

88      Wie die Kommission zutreffend ausführt, hat das Gericht nämlich bereits entschieden, dass ein Unternehmen, das trotz der Abstimmung mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, möglicherweise nur versucht, das Kartell zum eigenen Vorteil zu nutzen, und dass Unternehmen das Risiko, eine beträchtliche Geldbuße zahlen zu müssen, zu leicht minimieren könnten, wenn sie zunächst von einem rechtswidrigen Kartell profitieren und anschließend eine Herabsetzung der Geldbuße mit der Begründung beanspruchen könnten, dass sie bei der Durchführung der Zuwiderhandlung nur eine begrenzte Rolle gespielt hätten, obgleich ihre Haltung andere Unternehmen dazu veranlasst hat, sich in stärkerem Maß wettbewerbsschädigend zu verhalten (vgl. Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Randnr. 491 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie vom Gerichtshof kürzlich in seinem Urteil KME Germany u. a./Kommission, oben in Randnr. 42 angeführt (Randnrn. 94 bis 96), bestätigt, weist eine solch strenge Auslegung der Voraussetzungen, die erforderlich sind, um in den Genuss des mildernden Umstands wegen Nichtdurchführung der rechtswidrigen Vereinbarungen zu kommen, keinen Rechtsfehler auf.

89      Generell ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass ein Unternehmen, dessen Beteiligung an einer Preisabsprache erwiesen ist, sich auf dem Markt nicht in der mit seinen Konkurrenten vereinbarten Weise verhalten hat, nicht notwendigerweise ein bei der Bemessung der Geldbuße, die ihm für die von ihm begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln aufzuerlegen ist, zu berücksichtigender mildernder Umstand (Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998, Cascades/Kommission, T‑308/94, Slg. 1998, II‑925, Randnr. 230, und vom 9. Juli 2003, Cheil Jedang/Kommission, T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473, Randnr. 190).

90      Zwar kann diese Rechtsprechung allein es nicht rechtfertigen, dass die Kommission von ihren Leitlinien abweicht und sich weigert, einen in diesen Leitlinien ausdrücklich anerkannten mildernden Umstand zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003, Daesang und Sewon Europe/Kommission, T‑230/00, Slg. 2003, II‑2733, Randnr. 89). Es ist jedoch bereits darauf hingewiesen worden (vgl. Randnr. 87 des vorliegenden Urteils), dass die von den Klägerinnen geltend gemachten Umstände, selbst wenn sie bewiesen wären, nicht die Voraussetzungen erfüllen, um den ausdrücklich in den Leitlinien vorgesehenen mildernden Umstand der Nichtdurchführung des Kartells zu bejahen.

91      Ferner ist unter Berücksichtigung, dass die Aufzählung der verschiedenen mildernden Umstände in Ziff. 29 der Leitlinien nur beispielhaft ist und dass das Gericht außerdem die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung besitzt, die es ihm erlaubt, die auferlegte Geldbuße oder das auferlegte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen, ohne dass seiner Beurteilung insoweit durch die Leitlinien vorgegriffen würde (Urteile des Gerichts vom 21. Oktober 2003, General Motors Nederland und Opel Nederland/Kommission, T‑368/00, Slg. 2003, II‑4491, Randnr. 188, und vom 27. Juli 2005, Brasserie nationale u. a./Kommission, T‑49/02 bis T‑51/02, Slg. 2005, II‑3033, Randnr. 169), hinzuzufügen, dass angesichts der vorangegangenen und insbesondere der in den Randnrn. 88 und 89 des vorliegenden Urteils ausgeführten Erwägungen die von den Klägerinnen im Rahmen dieses Klagegrundes angeführten Tatsachen nicht als mildernder Umstand eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen können, so dass dieser Klagegrund zurückzuweisen ist.

 Zum siebten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen

92      Die Klägerinnen machen geltend, dass sie mit Schreiben vom 31. März 2009 die Kommission gebeten hätten, ihre fehlende Leistungsfähigkeit im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen. Sie versichern, in ihrem Schreiben die notwendigen Nachweise erbracht zu haben, die eine Anwendung dieser Ziffer der Leitlinien in ihrem Fall rechtfertigten. Die Kommission habe diesen Antrag jedoch zurückgewiesen und sich darauf beschränkt, in Randnr. 375 der angefochtenen Entscheidung den Wortlaut der Ziff. 35 der Leitlinien zu wiederholen. Für die Klägerinnen folgt daraus, dass sich die Kommission nicht mit ihrem substantiierten Vortrag zur Begründung ihres Antrags auseinandergesetzt habe, so dass die angefochtene Entscheidung rechtswidrig sei.

93      In Randnr. 375 der angefochtenen Entscheidung heißt es:

„Nach Prüfung der von [den Klägerinnen] vorgelegten Informationen wird der Schluss gezogen, dass [ihre] Angaben nicht darlegen, dass die mit dieser Entscheidung verhängte Geldbuße die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit [der Klägerinnen] unwiderruflich gefährden und ihre Aktiva jeglichen Wertes berauben würde. Der Antrag betreffend [die] Zahlungsfähigkeit [der Klägerinnen] wird folglich zurückgewiesen.“

94      Es ist wiederholt entschieden worden, dass die Kommission grundsätzlich nicht verpflichtet ist, bei der Bemessung der wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln aufzuerlegenden Geldbuße die schlechte Finanzlage eines Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 40 angeführt, Randnr. 327; Urteile des Gerichts vom 19. März 2003, CMA CGM u. a./Kommission, T‑213/00, Slg. 2003, II‑913, Randnr. 351, und Tokai Carbon u. a./Kommission, oben in Randnr. 50 angeführt, Randnr. 370).

95      In diesem Zusammenhang ist auch die bereits in Randnr. 50 des vorliegenden Urteils angeführte ständige Rechtsprechung einschlägig, wonach das Unionsrecht es nicht schlechthin verbietet, dass eine Maßnahme einer Unionsbehörde zur Insolvenz oder zur Auflösung eines bestimmten Unternehmens führt.

96      Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Kommission mit dem Erlass von Ziff. 35 der Leitlinien irgendeine Verpflichtung auferlegt hätte, die der in den beiden vorangegangenen Randnummern angeführten Rechtsprechung zuwiderliefe, zumal mit dem Hinweis in dieser Ziffer der Leitlinien auf die Voraussetzung, dass die Aktiva des betroffenen Unternehmens jeglichen Wertes beraubt werden, nur, wie bereits in Randnr. 49 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf diese ständige Rechtsprechung Bezug genommen wird. Wie ebenfalls vorstehend schon dargelegt (vgl. Randnr. 51 des vorliegenden Urteils), könnte allein der Fall, dass die durch ein Unternehmen repräsentierten personellen, materiellen und immateriellen Mittel, mit anderen Worten seine Aktiva, verloren gingen, es rechtfertigen, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Möglichkeit seiner Insolvenz oder seiner Auflösung infolge der Verhängung dieser Geldbuße zu berücksichtigen. Somit kann Ziff. 35 der Leitlinien nur dann angewandt werden, wenn diese Voraussetzung, die zu den in dieser Ziffer aufgeführten kumulativen Voraussetzungen gehört, erfüllt ist.

97      Demnach reicht allein der Umstand, dass die Auferlegung einer Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln die Insolvenz des betroffenen Unternehmens herbeiführen könnte, nicht aus, um Ziff. 35 der Leitlinien anzuwenden. Denn nach der in Randnr. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann eine Insolvenz zwar die finanziellen Interessen der betroffenen Eigentümer, Aktionäre oder Anteilseigner beeinträchtigen, sie bedeutet aber nicht notwendigerweise den Untergang dieses Unternehmens. Es kann als solches fortbestehen, entweder durch eine Rekapitalisierung der für insolvent erklärten Gesellschaft oder durch eine umfassende Übernahme des Vermögens, also des Unternehmens, durch eine andere Einheit. Eine solche umfassende Übernahme kann durch einen freiwilligen Erwerb oder durch eine Zwangsveräußerung des Vermögens der insolventen Gesellschaft bei fortgesetztem Betrieb erfolgen.

98      Somit ist Ziff. 35 der Leitlinien insbesondere im Hinblick auf die dort aufgeführte Voraussetzung, dass die Aktiva des betroffenen Unternehmens jeglichen Wertes beraubt werden, so zu verstehen, dass sie die Situation betrifft, in der die in der vorstehenden Randnummer erwähnte Übernahme des Unternehmens unwahrscheinlich oder sogar unmöglich erscheint. In diesem Fall werden die Vermögenswerte des insolventen Unternehmens einzeln zum Verkauf angeboten, und es ist wahrscheinlich, dass viele von ihnen gar keinen Käufer finden oder bestenfalls nur zu einem äußerst geringen Preis verkauft werden, so dass zu Recht davon gesprochen werden kann, wie in Ziff. 35 der Leitlinien, dass seine Aktiva jeglichen Wertes beraubt werden.

99      Zudem setzt die Anwendung dieser Ziffer der Leitlinien ein „gegebenes soziales und ökonomisches Umfeld“ voraus, das nach der Rechtsprechung in den Folgen besteht, die die Zahlung der Geldbuße u. a. in Form einer Zunahme der Arbeitslosigkeit oder einer Beeinträchtigung der dem betroffenen Unternehmen vor- und nachgelagerten Wirtschaftssektoren hätte (Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission, C‑308/04 P, Slg. 2006, I‑5977, Randnr. 106).

100    Wenn die in den beiden vorangegangenen Randnummern genannten kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind, kann tatsächlich geltend gemacht werden, dass die Auferlegung einer Geldbuße, die den Untergang des betroffenen Unternehmens herbeiführen könnte, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, den die Kommission bei jeder Entscheidung über die Verhängung von Geldbußen nach den Wettbewerbsregeln beachten muss. Daraus folgt, dass Ziff. 35 der Leitlinien gerade die Einhaltung dieses Grundsatzes gewährleisten soll.

101    Diesen allgemeinen Erwägungen ist bei der Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen im Rahmen dieses Klagegrundes Rechnung zu tragen.

102    Die Klägerinnen machen insbesondere geltend, sie hätten der Kommission in ihrem Schreiben vom 31. März 2009 mitgeteilt, dass die Unternehmensgruppe, zu der sie gehörten, im Geschäftsjahr 2008 einen Jahresfehlbetrag von 25 Mio. Euro erwirtschaftet habe. Dieser Fehlbetrag sei zum einen auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen gewesen, von der die Automobilhersteller und ihre Zulieferer getroffen worden seien, die zu ihren wichtigsten Kunden zählten, und zum anderen darauf, dass die Rohstoffpreise nach dem im Sommer 2008 erreichten Höchststand ab September 2008 rasant gefallen seien. Der Kommission seien auch detaillierte Informationen mitgeteilt worden, die zeigten, dass sich die negative Entwicklung ihrer finanziellen Situation im Geschäftsjahr 2009 besorgniserregend beschleunigt habe.

103    Außerdem hätten die Klägerinnen der Kommission erklärt, warum ihr Geschäftsmodell in einem besonderen Maß von der Zusammenarbeit mit den Banken abhänge. Aufgrund der schlechten Ergebnisse ihrer Unternehmensgruppe hätten die Banken die Kredite bzw. Kreditlinien, die sie ihnen gewährt hätten, gekürzt oder gekündigt, was sogar die Zahlung der Gehälter an die Belegschaft gefährdet habe. Nach aktualisierten Informationen, die sie der Kommission mit Schreiben vom 27. Mai 2009 übermittelt hätten, könnten 20 % ihrer Belegschaft ihren Arbeitsplatz mit Sicherheit verlieren.

104    Die Klägerinnen hätten die Kommission auch darauf hingewiesen, dass sie zur Vermeidung der befürchteten Insolvenz ihrer Unternehmensgruppe Kosteneinsparungsmaßnahmen ergreifen würden, während die Inhaber sich auf die Leistung finanzieller Beiträge eingestellt hätten. Diese Aufwendungen berücksichtigten jedoch nicht die Höhe der Geldbuße, die die Kommission gegen sie verhängen wolle. Werde eine erhebliche Geldbuße verhängt, hätten sie keine andere Wahl, als Massenkündigungen vorzunehmen, um zusätzliche Einsparungen zu erzielen, ohne dass sicher sei, dass damit eine Insolvenz abgewendet werden könne.

105    Sie hätten der Kommission überdies erläutert, dass eine solche Entwicklung zu einer Zerschlagung ihrer Unternehmensgruppe und zu ihrem Untergang am Markt führen würde, was mit dem Verlust der von ihr abhängigen Arbeitsplätze einherginge. Aufgrund der internen engen technischen, finanziellen und personellen Vernetzungen zwischen den Unternehmen der Gruppe sei diese eine Einheit, die nur schwer zu trennen sei. Ein Ausscheiden der Unternehmensgruppe aus dem Markt würde für die europäische Automobilindustrie ernste Folgen haben, die dann für ihre Versorgung darauf angewiesen wäre, sich Quellen aus dem asiatischen Raum, insbesondere aus China, zu erschließen, von denen sie schließlich abhängig werden würde.

106    Die Klägerinnen weisen ferner darauf hin, dass sie die Kommission auf die katastrophalen Auswirkungen einer eventuellen Insolvenz ihrer Unternehmensgruppe für ihre Belegschaft aufmerksam gemacht hätten. Sämtliche Werke der Gruppe in der Union befänden sich in ländlichen und eher strukturschwachen Regionen. So hätten sie sich beispielsweise auf ihr Werk in Velden (Deutschland) bezogen, wo ihre Unternehmensgruppe einer der beiden Hauptarbeitgeber sei. Die Schließung dieses Werks würde seine Beschäftigten sehr wahrscheinlich zur Langzeitarbeitslosigkeit verurteilen, und die Beschäftigungssituation in dieser ohnehin strukturschwachen Region würde sich damit noch einmal erheblich verschlechtern.

107    Die Klägerinnen schließen ihr Vorbringen mit der Feststellung, dass die Kommission sich in der angefochtenen Entscheidung mit keinem Wort zu der sehr ausführlichen Darstellung der Gründe, warum sie um die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien gebeten hätten, geäußert habe; ebenso wenig habe sie von ihnen Ergänzungen oder Belege erbeten. Die angesichts dieser Unterlassung einzig mögliche Schlussfolgerung sei, dass sich die Kommission mit dem Vorbringen der Klägerinnen zur Begründung ihres Antrags gar nicht auseinandergesetzt habe.

108    Der Antrag der Klägerinnen, mit dem um die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien in ihrem Fall ersucht wird, zeigt, dass sie die in den vorangegangenen Randnummern zusammengefassten Gesichtspunkte tatsächlich geltend gemacht haben, die auf den ersten Blick und vorbehaltlich ihrer Überprüfung ein „gegebenes soziales und ökonomisches Umfeld“ aufzeigen, das eine der kumulativen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Ziffer der Leitlinien ist. Ausweislich von Randnr. 375 der angefochtenen Entscheidung wurde der Antrag der Klägerinnen jedoch mit der Feststellung zurückgewiesen, sie hätten nicht dargelegt, dass eine weitere kumulative Voraussetzung für die Anwendung dieser Ziffer erfüllt sei, nämlich die Voraussetzung, dass die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit ihres Unternehmens gefährdet wäre und ihre Aktiva jeglichen Wertes beraubt würden. Daher ist die sachliche Richtigkeit dieser Feststellung in der angefochtenen Entscheidung zu untersuchen, um den vorliegenden Klagegrund zu beurteilen.

109    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen einen Formfehler wegen Verstoßes gegen die Begründungspflicht sowie einen materiellen Fehler wegen unzureichender Prüfung ihrer Tatsachenbehauptungen und folglich eine fehlerhafte Beurteilung des relevanten Sachverhalts durch die Kommission rügen. Diese beiden Rügen, obschon ihrer Natur nach unterschiedlich, beruhen auf derselben Prämisse. Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass sie die hohe Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz der gesamten Unternehmensgruppe, der sie angehören, für den Fall, dass die ihnen für ihre Beteiligung an dem streitigen Kartell aufzuerlegende Geldbuße über einen rein symbolischen Betrag hinausgehe, dargetan und damit genügend Gründe für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien in ihrem Fall geliefert hätten. Ausgehend von dieser Prämisse meinen sie, dass die Kommission zum einen die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien in ihrem Fall zu Unrecht und aufgrund einer falschen Beurteilung des Sachverhalts verweigert habe. Zum anderen habe die Kommission gegen die Begründungspflicht verstoßen, da die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Begründung zur Rechtfertigung der Zurückweisung ihres Antrags nicht über eine bloße Wiedergabe des Wortlauts von Ziff. 35 der Leitlinien hinausgehe.

110    Die in der vorstehenden Randnummer aufgestellte Prämisse ist jedoch falsch.

111    Die Klägerinnen hatten, wie sie geltend machen, in ihrem Antrag in der Tat eine Vielzahl von Gründen für die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz ihrer Unternehmensgruppe dargelegt. Allerdings hat die Kommission erklärt, sie habe selbst die Möglichkeit einer Insolvenz der Klägerinnen geprüft und hierzu eine Analyse ihrer finanziellen Situation gestützt auf das „Z-Faktor-Modell von Altmann“ durchgeführt, aus der sie geschlossen habe, dass die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz nicht sehr hoch sei.

112    Nach den in den Randnrn. 97 und 98 des vorliegenden Urteils angestellten Erwägungen reicht es jedoch für die Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien nicht aus, nachzuweisen, dass das betroffene Unternehmen im Fall der Verhängung einer Geldbuße insolvent wird. Nach dem Wortlaut dieser Ziffer muss „eindeutig nachgewiesen [werden], dass die Verhängung einer Geldbuße … die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und [seine] Aktiva jeglichen Wertes berauben würde“, was bei einer Insolvenz der das fragliche Unternehmen betreibenden Gesellschaften nicht automatisch der Fall ist. Die Klägerinnen hätten die Anwendung dieser Ziffer der Leitlinien daher nur dann verlangen können, wenn sie objektive Beweise für diese Möglichkeit erbracht hätten; dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung dieser Ziffer.

113    Aus dem Schreiben der Klägerinnen vom 31. März 2009 ergibt sich nicht, dass das der Fall war. Der einzige Teil dieses Schreibens, der in diesem Zusammenhang relevant sein könnte, sind die Ausführungen unter 3.2.5 („Zerschlagung der Ecka-Gruppe als Folge der Geldbuße“). Auf diesen Teil ihres Schreibens beziehen sich die Klägerinnen mit ihrem in Randnr. 105 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Vorbringen. Zwar haben sich die Klägerinnen darin um den Nachweis bemüht, dass wegen der internen Vernetzungen und der von vielen Gesellschaften der Gruppe zugunsten anderer Gesellschaften dieser Gruppe eingegangenen finanziellen Verflechtungen die isolierte Übertragung einer dieser Gesellschaften, um die für die Zahlung der Geldbuße und das Überleben der Gruppe erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen, nahezu unmöglich gewesen sei.

114    Mit dieser Argumentation kann jedoch unabhängig von ihrer Begründetheit nicht der Nachweis geführt werden, dass im Fall einer Insolvenz der gesamten Unternehmensgruppe die Aktiva der Klägerinnen und der anderen Unternehmen dieser Gruppe jeglichen Wertes beraubt würden. Im Rahmen einer gerichtlichen Liquidation der die Unternehmen der Gruppe betreibenden Gesellschaften würden ihre Vermögenswerte als Folge der Erklärung ihrer Insolvenz frei von Pflichten und Lasten übertragen. Eventuelle vor der Insolvenzerklärung eingegangene Verpflichtungen oder übernommene Lasten würden so weit wie möglich allein durch den Erlös aus der Übertragung befriedigt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Vermögenswerte einer Gesellschaft im gerichtlichen Insolvenzverfahren generell zu einem besseren Preis realisiert werden können, wenn sie als Ganzes im Hinblick auf einen fortgesetzten Betrieb des Unternehmens übertragen werden (vgl. auch Randnr. 98 des vorliegenden Urteils). Bei einer solchen Veräußerung werden die Aktiva nicht nur nicht jeglichen Wertes beraubt, sondern das Unternehmen bleibt vielmehr als solches bestehen, auch wenn es von einer anderen natürlichen oder juristischen Person, dem Erwerber, betrieben wird.

115    Um in den Genuss der Anwendung von Ziff. 35 der Leitlinien zu kommen, hätten die Klägerinnen also die Gründe darlegen müssen, warum im Fall einer Insolvenz die Übertragung der gesamten Vermögenswerte ihres Unternehmens bei fortgesetztem Betrieb unwahrscheinlich oder sogar unmöglich wäre. Dazu ist jedoch im Schreiben vom 31. März 2009 nichts ausgeführt worden. Die Klägerinnen haben zu diesem Klagegrund auch vor dem Gericht keine entsprechenden Ausführungen gemacht.

116    Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht der Vorwurf gemacht werden, dass sie in der angefochtenen Entscheidung nicht detailliert auf das in diesem Schreiben ausgeführte Vorbringen der Klägerinnen geantwortet oder ihre Begründungspflicht verletzt hat. Die Kommission muss zwar, um dieser Pflicht nachzukommen, die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführen, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt, doch braucht sie nicht auf alle vor ihr geltend gemachten Tatsachen und Argumente, einschließlich jener, die für die vorzunehmende Würdigung eindeutig untergeordnete Bedeutung haben, einzugehen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, Slg. 2008, I‑4951, Randnr. 169 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, sind die von den Klägerinnen in diesem Schreiben vorgebrachten Argumente nicht wesentlich und von untergeordneter Bedeutung für die von der Kommission vorzunehmende Beurteilung, ob Ziff. 35 der Leitlinien im Fall der Klägerinnen Anwendung findet.

117    Aus der vorangegangenen Würdigung ergibt sich auch, dass der Kommission ebenso wenig der Vorwurf gemacht werden kann, dass sie den Antrag der Klägerinnen, in ihrem Fall Ziff. 35 der Leitlinien anzuwenden, zu Unrecht als unbegründet zurückgewiesen hat.

118    Nach alledem ist der letzte Klagegrund zurückzuweisen, soweit mit ihm die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung angestrebt wird; damit ist unter Berücksichtigung auch der Ergebnisse der Prüfung der ersten sechs Klagegründe der Antrag auf Nichtigerklärung insgesamt zurückzuweisen.

119    Was schließlich den Hilfsantrag auf Abänderung der Höhe der gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße angeht, ist das Gericht der Ansicht, dass keiner der Gesichtspunkte, die die Klägerinnen im Rahmen der einzelnen vorstehend geprüften Klagegründe geltend machen, eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen kann. Insbesondere zum siebten Klagegrund ist darauf hinzuweisen, dass sich den Verfahrensakten oder dem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen der Klägerinnen nichts entnehmen lässt, was dafür spräche, dass die Auferlegung der streitigen Geldbuße die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens der Klägerinnen unwiderruflich gefährden und seine Aktiva jeglichen Wertes berauben würde, insbesondere weil ihre vollständige Übernahme bei fortgesetztem Betrieb unwahrscheinlich oder sogar unmöglich wäre. Folglich stellt das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung fest, dass die Höhe dieser Geldbuße unter Berücksichtigung der Schwere und der Dauer der von der Kommission festgestellten Zuwiderhandlung und der wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerinnen den Umständen des vorliegenden Falles angemessen und daher aufrechtzuerhalten ist.

120    Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

121    Nach Art. 87 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Ferner tragen nach Art. 87 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

122    Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß den Anträgen der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Der Rat trägt seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Ecka Granulate GmbH & Co. KG und die non ferrum Metallpulver GmbH & Co. KG tragen neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Der Rat der Europäischen Union trägt seine eigenen Kosten.

Czúcz

Labucka

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Dezember 2012.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Vorgeschichte des Rechtsstreits

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

Zum ersten Klagegrund: Rechtswidrigkeit von Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Verstoßes gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“

Zum zweiten Klagegrund: Rechtswidrigkeit der Leitlinien

Zum dritten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die wirksame Zusammenarbeit der Klägerinnen als mildernden Umstand zu berücksichtigen

Zum vierten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die fehlende Erfahrung der Klägerinnen mit Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln als mildernden Umstand zu berücksichtigen

Zum fünften Klagegrund: Versäumnis der Kommission, die Einführung von Anpassungsmaßnahmen durch die Klägerinnen und das Bestehen einer geringen Wiederholungsgefahr in ihrem Fall bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände zu berücksichtigen

Zum sechsten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, den Umstand, dass die Klägerinnen den Magnesium betreffenden Teil des Kartells nicht umgesetzt hätten, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße als mildernden Umstand zu berücksichtigen

Zum siebten Klagegrund: Versäumnis der Kommission, bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die fehlende Leistungsfähigkeit der Klägerinnen im Sinne von Ziff. 35 der Leitlinien zu berücksichtigen

Kosten


* Verfahrenssprache: Deutsch.