Language of document : ECLI:EU:T:1999:80

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

20. April 1999 (1)

„Wettbewerb — Artikel 85 EG-Vertrag — Wirkungen eines Nichtigkeitsurteils —Rechte der Verteidigung — Geldbuße“

In den verbundenen Rechtssachen T-305/94, T-306/94, T-307/94, T-313/94,T-314/94, T-315/94, T-316/94, T-318/94, T-325/94, T-328/94, T-329/94 und T-335/94

Limburgse Vinyl Maatschappij NV, Gesellschaft belgischen Rechts, Brüssel,Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Inne G. F. Cath, zugelassen beim HogeRaad der Nederlanden, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts LambertDupong, 4-6, rue de la Boucherie, Luxemburg,

Elf Atochem SA, Gesellschaft französischen Rechts, Paris, Prozeßbevollmächtigte:Rechtsanwälte Xavier de Roux, Charles-Henri Léger und Jacques-PhilippeGunther, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Jacques Loesch,11, rue Goethe, Luxemburg,

BASF AG, Gesellschaft deutschen Rechts, Ludwigshafen (Deutschland),Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Ferdinand Hermanns, Düsseldorf,Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Jacques Loesch und Marc Wolters,11, rue Goethe, Luxemburg,

Shell International Chemical Company Ltd, Gesellschaft englischen Rechts,London, Prozeßbevollmächtigte: Kenneth B. Parker, QC, London, und Solicitor

John W. Osborne, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Jean Hoss,2, place Winston Churchill, Luxemburg,

DSM NV und DSM Kunststoffen BV, Gesellschaften niederländischen Rechts,Heerlen (Niederlande), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Inne G. F. Cath,zugelassen beim Hoge Raad der Nederlanden, Zustellungsanschrift: Kanzlei desRechtsanwalts Lambert Dupong, 4-6, rue de la Boucherie, Luxemburg,

Wacker-Chemie GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts, München (Deutschland),

Hoechst AG, Gesellschaft deutschen Rechts, Frankfurt am Main (Deutschland),

Prozeßbevollmächtigte der beiden Letztgenannten: Rechtsanwälte Hans Hellmannund Hans-Joachim Hellmann, Köln, Zustellungsanschrift: Kanzlei derRechtsanwälte Jacques Loesch und Marc Wolters, 11, rue Goethe, Luxemburg,

Société artésienne de vinyle, Gesellschaft französischen Rechts, Paris,Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Bernard van de Walle de Ghelcke, Brüssel,Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Alex Schmitt, 7, Val Sainte-Croix,Luxemburg,

Montedison SpA, Gesellschaft italienischen Rechts, Mailand (Italien),Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Giuseppe Celona, Giorgio Aghina, beideMailand, und Piero Angelo Maria Ferrari, Rom, Zustellungsanschrift: Kanzlei desRechtsanwalts Georges Margue, 20, rue Philippe II, Luxemburg,

Imperial Chemical Industries plc, Gesellschaft englischen Rechts, London,Prozeßbevollmächtigte: David Vaughan, QC, Barrister David Anderson, London,und Solicitors Victor White und Richard Coles, London, Zustellungsanschrift:Kanzlei des Rechtsanwalts Lambert Dupong, 4-6, rue de la Boucherie, Luxemburg,

Hüls AG, Gesellschaft deutschen Rechts, Marl (Deutschland),Prozeßbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwalt Hansjürgen Herrmann, Köln, späterRechtsanwalt Frank Montag, Köln, Zustellungsanschrift: Kanzlei des RechtsanwaltsJacques Loesch, 11, rue Goethe, Luxemburg,

Enichem SpA, Gesellschaft italienischen Rechts, Mailand, Prozeßbevollmächtigte:Rechtsanwälte Mario Siragusa, Rom, und Francesca Maria Moretti, Bologna,Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Elvinger, Hoss und Prussen,2, place Winston Churchill, Luxemburg,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch BerendJan Drijber, Julian Currall und Marc van der Woude, Juristischer Dienst, alsBevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwälte Éric Morgan de Rivery, Paris, AlexanderBöhlke, Frankfurt am Main, Barrister David Lloyd Jones, London, RechtsanwaltRenzo Maria Morresi, Bologna, und Nicholas Forwood, QC, später durch JulianCurral, Beistand: Rechtsanwalt Marc van der Woude, Brüssel,Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, CentreWagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli1994 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags (IV/31.865, PVC)(ABl. L 239, S. 14)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Dritte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter K. Lenaerts undA. Potocki,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9.bis 12. Februar 1998,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1.
    Nachdem die Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 13. und 14.Oktober 1983 eine Nachprüfung gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 17 desRates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), im Polypropylensektorvorgenommen hatte, legte sie eine besondere Akte für Polyvinylchlorid (PVC) an.

In der Folge nahm sie mehrere Nachprüfungen in den Geschäftsräumen derbetroffenen Unternehmen vor und richtete mehrere Auskunftsverlangen an diese.

2.
    Am 24. März 1988 eröffnete die Kommission gegen 14 PVC-Hersteller von Amtswegen ein Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17. Am 5. April1988 übermittelte sie allen diesen Unternehmen eine Mitteilung derBeschwerdepunkte gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 99/63/EWG derKommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und(2) der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268). SämtlicheAdressaten beantworteten die Mitteilung der Beschwerdepunkte im Juni 1988. Siewurden mit Ausnahme von Shell International Chemical Company Ltd, die keinenentsprechenden Antrag gestellt hatte, im September 1988 mündlich angehört.

3.
    Am 1. Dezember 1988 gab der Beratende Ausschuß für Kartell- undMonopolfragen seine Stellungnahme zu dem Entscheidungsvorschlag derKommission ab.

4.
    Nach Abschluß des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung89/190/EWG vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 desEWG-Vertrags (IV/31.865, PVC) (ABl. 1989, L 74, S. 1; nachstehend: ursprünglicheEntscheidung oder Entscheidung 1988). Mit dieser Entscheidung setzte dieKommission eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 desVertrages gegen folgende PVC-Hersteller fest: Atochem SA, BASF AG, DSM NV,Enichem SpA, Hoechst AG, Hüls AG, Imperial Chemical Industries plc, LimburgseVinyl Maatschappij NV, Montedison SpA, Norsk Hydro AS, Société artésienne devinyle, Shell International Chemical Company Ltd, Solvay et Cie und Wacker-Chemie GmbH.

5.
    Alle diese Unternehmen mit Ausnahme von Solvay et Cie (nachstehend: Solvay)erhoben gegen diese Entscheidung beim Gemeinschaftsrichter Klage aufNichtigerklärung.

6.
    Mit Beschluß vom 19. Juni 1990 erklärte das Gericht in der Rechtssache T-106/89(Norsk Hydro/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) dieKlage der Norsk Hydro für unzulässig.

7.
    Die in das Register der Kanzlei des Gerichts unter den Nummern T-79/89, T-84/89,T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 undT-104/89 eingetragenen Rechtssachen wurden zu gemeinsamem mündlichenVerfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

8.
    Mit Urteil vom 27. Februar 1992 erklärte das Gericht in den Rechtssachen T-79/89,T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89,T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315) dieEntscheidung 1988 für inexistent.

9.
    Auf Rechtsmittel der Kommission hob der Gerichtshof mit Urteil vom 15. Juni1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555;nachstehend: Urteil vom 15. Juni 1994) das Urteil des Gerichts auf und erklärte dieEntscheidung 1988 für nichtig.

10.
    Auf dieses Urteil hin erließ die Kommission am 27. Juli 1994 eine neueEntscheidung gegen die von der ursprünglichen Entscheidung betroffenenHersteller mit Ausnahme von Solvay und von Norsk Hydro AS (nachstehend:Norsk Hydro) (Entscheidung 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli 1994betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag [IV/31.865, PVC] [ABl.L 239, S. 14; nachstehend: Entscheidung oder zweite Entscheidung]).

11.
    Die zweite Entscheidung enthält u. a. folgende Artikel:

Artikel 1

BASF AG, DSM NV, Elf Atochem SA, Enichem SpA, Hoechst AG, Hüls AG,Imperial Chemical Industries Plc, Limburgse Vinyl Maatschappij NV, MontedisonSpA, Société artésienne de vinyle SA, Shell International Chemical [Company] Ltdund Wacker-Chemie GmbH haben gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstoßen,indem sie (zusammen mit Norsk Hydro ... und Solvay ...) an einer Vereinbarungund/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, die etwa imAugust 1980 beschlossen wurde und auf deren Grundlage die PVC-Hersteller, diedie EWG beliefern, an regelmäßigen Sitzungen teilnahmen, um Zielpreise undZielquoten festzusetzen, abgestimmte Initiativen zur Anhebung des Preisniveaus zuplanen und die Anwendung der besagten geheimen Vereinbarungen zukontrollieren.

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen, die nach wie vor auf dem PVC-Sektorin der EG tätig sind, sind verpflichtet (außer Norsk Hydro und Solvay, die bereitseiner bestandskräftigen Abstellungsentscheidung unterliegen), die festgestellteZuwiderhandlung unverzüglich abzustellen (falls sie dies noch nicht getan haben)und in Zukunft bezüglich ihrer PVC-Geschäfte von allen Vereinbarungen oderaufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnlichesbezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch vonInformationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durchdie Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung,Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oderaufgrund derer sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oderstillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb derGemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum Austausch von den PVC-Sektorbetreffenden Informationen, dem sich die Hersteller anschließen, muß unterAusschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das

Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten läßt, insbesondere dürfen dieUnternehmen untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevantenInformationen austauschen, die ein solches System nicht erfaßt.

Artikel 3

Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des inArtikel 1 festgestellten Verstoßes folgende Geldbußen festgesetzt:

i)    BASF AG: eine Geldbuße von 1 500 000 ECU,

ii)    DSM NV: eine Geldbuße von 600 000 ECU,

iii)    Elf Atochem SA: eine Geldbuße von 3 200 000 ECU,

iv)    Enichem SpA: eine Geldbuße von 2 500 000 ECU,

v)    Hoechst AG: eine Geldbuße von 1 500 000 ECU,

vi)    Hüls AG: eine Geldbuße von 2 200 000 ECU,

vii)    Imperial Chemical Industries Plc: eine Geldbuße von 2 500 000 ECU,

viii)    Limburgse Vinyl Maatschappij NV: eine Geldbuße von 750 000 ECU,

ix)    Montedison SpA: eine Geldbuße von 1 750 000 ECU,

x)    Société artésienne de vinyle SA: eine Geldbuße von 400 000 ECU,

xi)    Shell International Chemical Company Ltd: eine Geldbuße von 850 000ECU,

xii)    Wacker-Chemie GmbH: eine Geldbuße von 1 500 000 ECU.“

Verfahren

12.
    Die Unternehmen Limburgse Vinyl Maatschappij NV (nachstehend: LVM), ElfAtochem, BASF AG (nachstehend: BASF), Shell International Chemical CompanyLtd (nachstehend: Shell), DSM NV et DSM Kunststoffen BV (nachstehend: DSM),Wacker-Chemie GmbH (nachstehend: Wacker), Hoechst AG (nachstehend:Hoechst), Société artésienne de vinyle (nachstehend: SAV), Montedison SpA(nachstehend: Montedison), Imperial Chemical Industries plc (nachstehend: ICI),Hüls AG (nachstehend: Hüls) und Enichem SpA (nachstehend: Enichem) habenmit Klageschriften, die zwischen dem 5. und 14. Oktober 1994 bei der Kanzlei desGerichts eingegangen sind, die vorliegenden Klagen erhoben.

13.
    Auf der Grundlage von Artikel 64 der Verfahrensordnung hat am 6. April 1995eine Sitzung zwischen den Mitgliedern der Dritten erweiterten Kammer und denParteien stattgefunden. In dieser Sitzung haben die Parteien sich damiteinverstanden erklärt, das schriftliche Verfahren auszusetzen und die mündlicheVerhandlung auf die Prüfung der verfahrensrechtlichen Klagegründe zubeschränken. Sie haben sich dabei für die Verbindung der Rechtssachen T-305/94,T-306/94, T-307/94, T-313/94, T-314/94, T-315/94, T-316/94, T-318/94, T-325/94,T-328/94, T-329/94 und T-335/94 ausgesprochen.

14.
    Das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstattersbeschlossen, die mündliche Verhandlung, beschränkt auf die Prüfung derverfahrensrechtlichen Klagegründe, ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

15.
    Die Präsidentin der Dritten erweiterten Kammer hat mit Beschluß vom 25. April1995 (nicht in der Sammlung veröffentlicht) die Rechtssachen T-305/94, T-306/94,T-307/94, T-313/94, T-314/94, T-315/94, T-316/94, T-318/94, T-325/94, T-328/94,T-329/94 und T-335/94 wegen ihres Zusammenhangs nach Artikel 50 derVerfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden.

16.
    Die mündliche Verhandlung hat am 13. und 14. Juni 1995 stattgefunden.

17.
    Mit Beschluß vom 14. Juli 1995 (nicht in der Sammlung veröffentlicht) hat diePräsidentin der Dritten erweiterten Kammer die Fortsetzung des schriftlichenVerfahrens und die Aufhebung der Verbindung der Rechtssachen angeordnet.

18.
    Das schriftliche Verfahren ist am 20. Februar 1996 geschlossen worden.

19.
    Im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen hat das Gericht (Dritte erweiterteKammer) den Parteien mit Schreiben vom 7. Mai 1997 seine Entscheidungmitgeteilt, allen Klägerinnen Zugang zu gewähren zu den Akten der Kommissionin der Sache, die zu der Entscheidung geführt hat, mit Ausnahme derkommissionsinternen Dokumente und der Dokumente, die Geschäftsgeheimnisseoder andere vertrauliche Angaben enthalten.

20.
    Nachdem die Klägerinnen im Juni und Juli 1997 Einsicht in die Akten genommenhatten, haben alle bis auf die Klägerinnen in den Rechtssachen T-315/94 undT-316/94 ihre Stellungnahme im Juli bzw. im September 1997 bei der Kanzlei desGerichts eingereicht. Die Kommission hat als Antwort hierauf im Dezember 1997eine Stellungnahme abgegeben.

21.
    Mit Beschluß vom 22. Januar 1998 hat die Präsidentin der Dritten erweitertenKammer des Gerichts nach Anhörung der Parteien die vorliegenden Rechtssachenerneut zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden.

22.
    Das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstattersbeschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat den Parteien imRahmen prozeßleitender Maßnahmen aufgegeben, verschiedene schriftliche Fragenzu beantworten und eine Reihe von Schriftstücken vorzulegen. Die Parteien sinddem nachgekommen.

23.
    Die Parteien haben in der Sitzung vom 9. bis 12. Februar 1998 mündlich verhandeltund Fragen des Gerichts beantwortet.

24.
    Sie haben dabei erklärt, sie hätten keine Einwände gegen die Verbindung derRechtssachen zu gemeinsamer Entscheidung.

25.
    In der mündlichen Verhandlung war das Gericht mit der Präsidentin V. Tiili sowieden Richtern C. P. Briët, K. Lenaerts, A. Potocki und J. D. Cooke besetzt. NachAblauf der Amtszeit von Richter Briët am 17. September 1998 ist das vorliegendeUrteil gemäß Artikel 32 § 1 der Verfahrensordnung von den drei unterzeichnendenRichtern beraten worden.

Anträge der Parteien

26.
    Sämtliche Klägerinnen beantragen,

—    die Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu erklären,

—    hilfsweise, die gegen sie festgesetzte Geldbuße für nichtig zu erklären oderherabzusetzen,

—    der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

27.
    In den Rechtssachen T-315/94, T-316/94 und T-329/94 beantragen Wacker, Hoechstund Hüls weiterhin,

—    den Bericht des Anhörungsbeauftragten beizuziehen und anzuordnen, daßer ihnen zugänglich gemacht wird,

—    anzuordnen, daß ihnen das vollständige Protokoll der Anhörungeinschließlich aller Anlagen zugänglich gemacht wird.

28.
    Darüber hinaus beantragen Wacker und Hüls in den Rechtssachen T-315/94, undT-329/94,

—    anzuordnen, daß die Beklagte dem Gericht das Gutachten ihres JuristischenDienstes vorlegt, das dieser zu Verfahrensfragen im Zusammenhang mit derangefochtenen Entscheidung erstellt hat, und ferner anzuordnen, ihnendieses Gutachten zugänglich zu machen.

29.
    In den Rechtssachen T-315/94 und T-316/94 beantragen Wacker und Hoechst,

—    die Verfahrensakten der Rechtssache T-92/89 beizuziehen.

30.
    In der Rechtssache T-325/94 beantragt Montedison weiterhin,

—    die Kommission zum Ersatz des Schadens zu verurteilen, der ihr durch dieKosten für die Stellung der Sicherheit und durch alle anderen Kosten alsFolge der zweiten Entscheidung entstanden ist,

—    die Verfahrensakten der Rechtssache T-104/89 und die dort vorgelegtenSchriftstücke beizuziehen,

—    das geschäftsführende Mitglied des Verwaltungsrats und den am 1.November 1982 zuständigen Manager von Montedison als Zeugen zuvernehmen.

31.
    Die Kommission beantragt,

—    die Klagen abzuweisen,

—    den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit der Klagegründe im Hinblick auf die Artikel 44 § 1, 46 § 1 und48 § 2 der Verfahrensordnung

32.
    Die Kommission hat gegenüber mehreren Klagegründen die Einrede derUnzulässigkeit erhoben und diese je nach Fall auf Artikel 44 § 1 Buchstabe c oderauf Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung gestützt. Eine Klägerin hat ebenfalls eineEinrede der Unzulässigkeit erhoben, die sie auf Artikel 46 § 1 derVerfahrensordnung stützt. Jede dieser drei Gruppen von Einreden ist getrennt zuuntersuchen.

I — Zu den Einreden der Unzulässigkeit, die auf Artikel 44 § 1 Buchstabe c derVerfahrensordnung gestützt sind

Vorbringen der Parteien

33.
    Die Kommission trägt vor, Montedison habe in ihrer Erwiderung allgemein aufsämtliche verfahrensrechtlichen Klagegründe verwiesen, die die Parteien in ihrengemeinsamen Plädoyers in der Sitzung vom 13. und 14. Juni 1995 angeführt hätten.Montedison habe diese Plädoyers ihrem Schriftsatz nicht beigefügt, da sie demGericht angeblich bekannt seien.

34.
    Auch Enichem zähle in dem verfahrensrechtlichen Teil ihresErwiderungsschriftsatzes einleitend sämtliche verfahrensrechtlichen Klagegründeauf, die die Klägerinnen in ihren gemeinsamen Plädoyers in der Sitzung vom 13.und 14. Juni 1995 vorgetragen hätten, und erkläre, sich diese Gründe zu eigen zumachen. Zu diesem Zweck habe Enichem ihrer Erwiderung die Notizen sämtlicherProzeßbevollmächtigter der Klägerinnen für ihre Plädoyers beigefügt.

35.
    Solche Verweisungen ständen nicht im Einklang mit Artikel 44 § 1 Buchstabe c derVerfahrensordnung des Gerichts (Beschluß des Gerichts vom 29. November 1993in der Rechtssache T-56/92, Koelman/Kommission, Slg. 1993, II-1267, Randnrn. 21bis 23). Das Gericht könne nämlich nicht an Stelle der Klägerin in den Unterlagen,auf die verwiesen worden sei, selbst die Umstände suchen und bestimmen, die esals Grundlage für die Anträge in der Klageschrift betrachten könnte.

36.
    Auch die Klagegründe, die Shell in ihrer Erwiderung aufgezählt habe und die inden dazugehörigen Anlagen näher ausgeführt worden seien, müßten für unzulässigerklärt werden und seien im Verfahren nicht zu berücksichtigen (Urteile desGerichtshofes vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-347/88,Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 29, vom 13. März 1992 in derRechtssache C-43/90, Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-1909, Randnr. 8; Urteildes Gerichts vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-37/91, ICI/Kommission, Slg.1995, II-1901, Randnr. 46, und Beschluß des Gerichts vom 28. April 1993 in derRechtssache T-85/92, Hoe/Kommission, Slg. 1993, II-523).

37.
    Jeder Schriftsatz müsse nämlich klar die für den konkreten Fall maßgeblichentatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erkennen lassen und — mit Ausnahmeder Klageschrift — dem vorangegangenen Schriftsatz entsprechen. Durch dieVerweisung auf beigefügte Schriftstücke, die andere Prozeßbevollmächtigte inanderen Rechtssachen vorgelegt hätten, zwinge die Klägerin das Gericht, selbst dieUmstände zu bestimmen, auf die Shell ihre Klage stützen wolle. Zudem seien diebeigefügten Unterlagen nur vorbereitende Notizen einiger Prozeßbevollmächtigterfür die Sitzung vom 13. und 14. Juni 1995 gewesen und entsprächen nicht unbedingtden tatsächlichen Plädoyers. Das Sitzungsprotokoll sei aber nicht zugänglich. Imübrigen stütze sich die Klägerin nur auf einige Teile der Notizen eines derProzeßbevollmächtigten für sein Plädoyer. Einige dieser Notizen verwiesenwiederum auf Argumente anderer Parteien in deren Anträgen und Schriftsätzen.

38.
    Schließlich seien die Rechtssachen nur zu gemeinsamer mündlicher Verhandlungverbunden worden, und die Präsidentin der Dritten erweiterten Kammer habe anderen Schluß die Trennung der Rechtssachen angeordnet.

Würdigung durch das Gericht

39.
    Die Klageschrift muß gemäß Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnungden Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. DieseAngaben müssen so klar und genau sein, daß dem Beklagten die Vorbereitung

seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage,gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, ermöglicht wird. Um dieRechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist esfür die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, daß die wesentlichen tatsächlichen undrechtlichen Umstände, auf denen die Klage beruht, zumindest in gedrängter Form,jedenfalls aber zusammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut derKlageschrift selbst hervorgehen. Die Klageschrift kann zwar in einzelnen Punktendurch Verweisungen auf bestimmte Stellen beigefügter Schriftstücke gestützt undergänzt werden, eine allgemeine Verweisung auf andere Schriftstücke, selbst wennsie der Klageschrift beigefügt sind, kann jedoch das Fehlen wesentlicher Umständein der Klageschrift nicht ausgleichen (vgl. u. a. Beschluß Koelman/Kommission,Randnr. 21). Zudem ist es nicht Sache des Gerichts, die Klagegründe undArgumente, auf die sich die Klage möglicherweise stützen läßt, in den Anlagen zusuchen und zu bestimmen, denn die Anlagen haben eine bloße Beweis- undHilfsfunktion (Urteil des Gerichts vom 7. November 1997 in der RechtssacheT-84/96, Cipeke/Kommission, Slg. 1997, II-2081, Randnr. 34).

40.
    Diese Auslegung des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung gilt auchfür die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Erwiderung, die nach Artikel 47 § 1der Verfahrensordnung die Klageschrift ergänzen soll.

41.
    Im vorliegenden Fall verweisen Shell, Montedison und Enichem in ihrerErwiderung allgemein auf die Klagegründe und Argumente, die einige Klägerinnenin der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht am 13. und 14. Juni 1995vorgetragen haben. Diese allgemeine Verweisung auf Schriftstücke, selbst wenn sieder Erwiderung beigefügt sind, kann nicht die Wiedergabe des Sachverhalts, derKlagegründe und der Argumente im Schriftsatz selbst ersetzen.

42.
    Ergänzend zu ihrer Erwiderung verweist Enichem in einzelnen Punkten auf diebeigefügten Schriftstücke. Diese Verweise bezeichnen jedoch das betreffendebeigefügte Schriftstück nur allgemein und erlauben es damit dem Gericht nicht,genau die Argumente zu bestimmen, die es als Ergänzung der in der Klageschriftvorgetragenen Gründe betrachten könnte.

43.
    Soweit Shell, Montedison und Enichem in ihren Erwiderungen auf diegemeinsamen Plädoyers verweisen, genügen diese Schriftsätze somit nicht denAnforderungen des Artikels 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung und könnendaher nicht berücksichtigt werden.

II — Zur Einrede der Unzulässigkeit, die auf Artikel 46 § 1 der Verfahrensordnunggestützt wird

Vorbringen der Parteien

44.
    Nach Ansicht von Hüls ist es nach Artikel 46 § 1 Buchstabe b derVerfahrensordnung unzulässig, wenn die Kommission als Entgegnung aufbestimmte Klagegründe in der Klageschrift auf den Sitzungsbericht in derRechtssache T-86/89, Hüls/Kommission, verweise (Urteile des Gerichtshofes vom8. Juli 1965 in den Rechtssachen 19/63 und 65/63, Prakash/Euratom, Slg. 1965, 718,736, vom 28. April 1971 in der Rechtssache 4/69, Lütticke/Kommission, Slg. 1971,325, Randnr. 2, und Kommission/Deutschland, Randnrn. 7 und 8; Urteile desGerichts vom 5. Dezember 1990 in der Rechtssache T-82/89, Marcato/Kommission,Slg. 1990, II-735, Randnr. 22, und ICI/Kommission, Randnr. 47).

45.
    Die Kommission führt aus, die Textübernahme in ihrer Klagebeantwortung seikeine pauschale Verweisung im Sinne der von Hüls angeführten Rechtsprechung.Hüls verkenne in Wirklichkeit die Funktion einer Anlage, die eine förmlicheBezugnahme ohne überflüssige Wiederholung gestatte. Im übrigen sei dieBezugnahme auf eine andere Klage zwischen denselben Parteien wegen desselbenGesamtkomplexes zulässig (Urteil ICI/Kommission, Randnr. 47).

Würdigung durch das Gericht

46.
    Nach Artikel 46 § 1 Buchstabe b der Verfahrensordnung muß dieKlagebeantwortung die tatsächliche und rechtliche Begründung enthalten. DieseBegründung muß, sei es auch in gedrängter Form, hinreichend klar und genau inder Klagebeantwortung selbst enthalten sein, um dem Kläger die Vorbereitungseiner Erwiderung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage,gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, zu ermöglichen.

47.
    Im konkreten Fall hat die Kommission unter der Überschrift „Die materiellenRügen“ sich auf folgende Erklärung in ihrer Klagebeantwortung beschränkt: „DieKommission sieht sich zu ihrer Verteidigung ihrerseits veranlaßt, ihr seinerzeitigesVerteidigungsvorbingen [im Rahmen der Klagen gegen die Entscheidung 1988] indas vorliegende Verfahren einzuführen. Statt einer wörtlichen Wiedergabe derKlagebeantwortung hält sie es im gegenwärtigen Verfahrensstadium für sinnvollund zweckmäßig, auf ihren Vortrag in der Rechtssache T-86/89 zu verweisen, wieer im Sitzungsbericht zusammengefaßt ist.“ Sie führt anschließend dieentsprechenden Titel des Sitzungsberichts auf, verweist auf Seitenzahlen diesesBerichts und ergänzt das Vorbringen, auf das sie verweist, um einige Anmerkungen.

48.
    Unter der Überschrift „Die materiellen Rügen“ gibt die Beklagte die tatsächlicheund rechtliche Begründung nur in Form von Überschriften wieder. DieseBegründung genügt daher nicht den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klarheit undGenauigkeit. Infolgedessen sind diese tatsächlichen und rechtlichen Gründe fürunzulässig zu erklären.

III — Zu den Einreden der Unzulässigkeit, die auf Artikel 48 § 2 derVerfahrensordnung gestützt werden

Vorbringen der Parteien

49.
    Die Kommission macht geltend, daß jedes erstmals in der Erwiderung vorgetrageneAngriffs- und Verteidigungsmittel, das nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründegestützt werde, die erst während des Verfahrens zutage getreten seien, ein neuesAngriffs- oder Verteidungsmittel sei, das aufgrund von Artikel 48 § 2 derVerfahrensordnung für unzulässig zu erklären sei (Urteile des Gerichts vom 10.März 1992 in der Rechtssache T-68/89, T-77/89 und T-78/89, SIV u. a./Kommission,Slg. 1992, II-1403, Randnr. 82, vom 18. November 1992 in der Rechtssache T-16/91,Rendo u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2417, Randnr. 131, und vom 21. Februar1995 in der Rechtssache T-29/92, SPO u. a./Kommission, Slg. 1995, II-289, Randnr.409).

50.
    Im vorliegenden Fall seien mehrere Angriffsmittel von LVM, BASF, DSM und ICIaufgrund dieser Bestimmung unzulässig.

51.
    Der Beschluß der Präsidentin der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts vom14. Juli 1995 über die Fortsetzung des schriftlichen Verfahrens und die Aufhebungder Verbindung der Rechtssachen sei nicht so zu verstehen, daß er einer Parteierlaube, sämtliche verfahrensrechtlichen Klagegründe geltend zu machen,einschließlich der Gründe, die nur in der Klageschrift anderer Klägerinnenvorgetragen worden seien.

52.
    Darüber hinaus müßten die meisten Anlagen der Erwiderung von Hülsausgeschlossen werden, da sie entgegen Artikel 35 § 3 der Verfahrensordnung nichtin der Verfahrenssprache verfaßt seien.

Würdigung durch das Gericht

53.
    Nach Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- undVerteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, essei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erstwährend des Verfahrens zutage getreten sind.

54.
    BASF hat im vorliegenden Fall erstmals in der Erwiderung folgende Klagegründegeltend gemacht: Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem, Verstoß gegen dasAbkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), Verstoßgegen die seinerzeit geltende Geschäftsordnung der Kommission, Verjährung,Verstoß gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte undGrundfreiheiten vom 4. November 1950 (MRK) sowie Verstoß gegen dieVerpflichtung zur Anhörung der Klägerin, bevor die Entscheidung getroffen wird,von dem Verfahren gemäß den Verordnungen Nrn. 17 und 99/63 abzuweichen.

55.
    ICI rügt in ihrer Erwiderung einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung derKommission, da der Juristische Dienst der Kommission vor Erlaß der Entscheidung

nicht konsultiert worden sei. Die fehlende Konsultierung des Juristischen Dienstesder Kommission vor Erlaß der Entscheidung, die durch den Sitzungsbericht in derRechtssache T-307/94 vor der Sitzung vom Juni 1995 zutage getreten sei, stelle eineneue, während des Verfahrens zutage getretene Tatsache dar. Dem kann nichtgefolgt werden. Dazu genügt die Feststellung, daß in diesem Sitzungsbericht keineRede davon ist, daß der Juristische Dienst überhaupt nicht konsultiert worden sei,sondern es heißt dort: „Die Kommission behauptet, es gebe kein Gutachten desJuristischen Dienstes zu der Frage, ob eine neue Entscheidung gegenüber denPVC-Herstellern auf der Grundlage des Verwaltungsverfahrens erlassen werdenkönne, das vor dem Erlaß der Entscheidung vom 21. Dezember 1988 durchgeführtworden sei.“ Somit läßt sich nicht die Ansicht vertreten, daß diese Stelle desSitzungsberichts in der Rechtssache T-307/94 eine neue Tatsache sei, die zeige, daßes vor Erlaß der Entscheidung keine Stellungnahme des Juristischen Dienstesgegeben habe.

56.
    Soweit die Argumentation von ICI dahin zu verstehen sein sollte, daß im Rahmendieses Klagegrundes und durch die Verweisung auf ein ihrer Erwiderung als Anlagebeigefügtes gemeinsames Plädoyer geltend gemacht wird, daß die bei Erlaß derEntscheidung geltende Geschäftsordnung der Kommission rechtswidrig gewesen sei,so ist festzustellen, daß dieser Einwand der Rechtswidrigkeit erstmals in derErwiderung vorgetragen worden ist, obwohl die Klägerin nicht daran gehindert war,ihn in ihrer Klageschrift anzuführen.

57.
    Hüls beruft sich in ihrer Erwiderung auf die als Anlage beigefügten, für diePlädoyers bestimmten Notizen zu den in der Sitzung vom 13. und 14. Juni 1995gemeinsam dargestellten Themen. Die in diesen Notizen behandelten Themenbetreffen, soweit sie in der Erwiderung ausführlicher erörtert werden, Klagegründe,die Hüls in ihrer Klageschrift geltend gemacht hatte, mit Ausnahme desKlagegrundes der fehlenden Beteiligung der Überwachungsbehörde derEuropäischen Freihandelsgemeinschaft (EFTA), der erstmals in der Erwiderungangeführt worden ist.

58.
    Die Notizen für die gemeinsamen Plädoyers in der Anlage der Erwiderung vonHüls sind nicht in der von der Klägerin gewählten Verfahrenssprache verfaßt. Hülshat entgegen Artikel 35 § 3 der Verfahrensordnung keine auszugsweiseÜbersetzung dieser umfangreichen Schriftstücke vorgelegt. Unter den ganzbesonderen Umständen des vorliegenden Falles und unter Berücksichtigung derZustimmung des Gerichts zur Benutzung irgendeiner der Verfahrenssprachen fürden Vortrag einiger gemeinsamer Themen in der mündlichen Verhandlung vom 13.und 14. Juni 1995 wäre es jedoch nach Ansicht des Gerichts trotz der von ihmverfügten Aufhebung der Verbindungen der Rechtssachen im Anschluß an dieseVerhandlung ein übertriebener Formalismus, diese Anlagen, die in einer anderenals der von der Klägerin gewählten Verfahrenssprache verfaßt sind, nicht zuakzeptieren. Somit sind die Anlagen der Erwiderung von Hüls in der vorgelegtenForm zulässig.

59.
    LVM und DSM machen in ihrer Erwiderung zur Begründung des Klagegrundes desVerstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den sie bereits in ihrerKlageschrift vorgetragen haben, geltend, daß die Kommission gegen ihreBegründungspflicht nach Artikel 190 EG-Vertrag verstoßen habe. Angesichts derFormulierung dieser Rüge im Kontext des betreffenden Klagegrundes kommtdiesem Vorbringen kein eigenständiger Charakter gegenüber dem Klagegrund zu,in dessen Rahmen diese Rüge erhoben worden ist. Sie kann daher nicht als eineigenständiger Klagegrund angesehen werden, der erstmals in der Erwiderunggeltend gemacht worden ist.

60.
    Nach Artikel 113 der Verfahrensordnung kann das Gericht schließlich jederzeit vonAmts wegen prüfen, ob unverzichtbare Prozeßvoraussetzungen fehlen.

61.
    Das Gericht stellt in diesem Zusammenhang fest, daß Elf Atochem erstmals inihrer Erwiderung geltend gemacht hat, daß die Kommission gegen ihreVerpflichtung zur Zusammenarbeit mit der EFTA-Überwachungsbehörde verstoßenhat.

62.
    SAV hat in ihrer Klageschrift einen „Verstoß gegen die Grundsätze derordnungsgemäßen Verwaltung und des rechtlichen Gehörs [gerügt], weil dasVerfahren nicht in einer angemessenen Frist eingeleitet worden ist“. In ihrerErwiderung hat sie unter dem Klagegrund „Verstoß gegen die Grundsätze dergeordneten Rechtspflege und des rechtlichen Gehörs“ vorgetragen, daß dieKommission die Anhörung im September 1988 nicht berücksichtigt habe, da sienicht genügend Zeit gehabt habe, sich vor Erlaß der Entscheidung 1988 näher mitdem Anhörungsprotokoll zu befassen. Diese letztgenannte Feststellung ist als eingetrennter Klagegrund anzusehen, da er in keiner Weise die Einleitung desVerfahrens innerhalb einer angemessenen Frist betrifft. Dieser Klagegrund, der inkeiner Verbindung zu einem der in der Klageschrift vorgetragenen Gründe steht,ist daher als ein erstmals in der Erwiderung geltend gemachtes Angriffsmittelanzusehen.

63.
    Im vorliegenden Fall ist während des Verfahrens kein neuer Grund zutage getreten,der das verspätete Vorbringen von Elf Atochem und SAV rechtfertigen könnte.Diese beiden Klägerinnen hätten die entsprechenden Angriffsmittel daher in ihrerKlageschrift geltend machen können. Folglich können sie diese nach Artikel 48 § 2nicht in der Erwiderung vortragen.

64.
    Nach alledem sind die Angriffsmittel, die Elf Atochem, BASF, SAV, ICI und Hülserstmals in ihrer Erwiderung geltend gemacht haben und die nicht auf rechtlichenoder tatsächlichen Gründen beruhen, die erstmals während des Verfahrens zutagegetreten sind, für unzulässig zu erklären.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung

I — Zu den Klagegründen, die Form- und Verfahrensmängel betreffen

65.
    Die verschiedenen Klagegründe, die Form- und Verfahrensmängel betreffen, lassensich in vier Hauptgruppen einteilen. Zunächst wenden sich die Klägerinnen gegendie Auslegung, die die Kommission der Tragweite des Urteils vom 15. Juni 1994gegeben hat, mit der die Entscheidung 1988 für nichtig erklärt worden ist, undgegen die Folgerungen, die die Kommission daraus gezogen hat (A). Sodann rügensie Unregelmäßigkeiten beim Erlaß und bei der Feststellung der Entscheidung (B).Sie machen ferner geltend, daß das Verfahren vor Erlaß der Entscheidung 1988Unregelmäßigkeiten aufgewiesen habe (C). Schließlich sei die Entscheidungbezüglich einer Reihe von Fragen, die in die drei vorhergehenden Gruppen fielen,unzureichend begründet (D).

A — Die Wirkungen des Urteils vom 15. Juni 1994, mit dem die Entscheidung 1988 fürnichtig erklärt worden ist

66.
    Die Klagegründe und Argumente der Klägerinnen lassen sich unter dreiGesichtspunkte einordnen. Erstens habe die Kommission wegen des Urteils vom15. Juni 1994 keine neue Entscheidung erlassen können. Zweitens, so einigeKlägerinnen, habe das Urteil vom 15. Juni 1994 durch die Nichtigerklärung derEntscheidung 1988 die den Erlaß dieser Entscheidung vorbereitenden Rechtsakterückwirkend gegenüber allen Unternehmen, die die Adressaten gewesen seien,beseitigt. Drittens hätte die Kommission, wenn sie eine neue Entscheidung hättetreffen können, um die Konsequenzen aus dem Urteil vom 15. Juni 1994 zu ziehen,jedenfalls bestimmte Verfahrenserfordernisse beachten müssen.

1.    Zur Befugnis der Kommission, nach dem Urteil vom 15. Juni 1994 eine neueEntscheidung zu erlassen

67.
    Die Argumente der Klägerinnen lassen sich in drei Teile gliedern. Mit dem erstenTeil wird geltend gemacht, die Kommission habe nach dem Urteil vom 15. Juni1994 keine neue Entscheidung in der „PVC-Sache“ treffen können. Der zweite Teilenthält Klagegründe bezüglich des Zeitablaufs: Danach habe die Kommission ihreBefugnis zum Erlaß der Entscheidung nicht mehr ausüben können. Schließlich gehtes beim dritten Teil um die Klagegründe, nach denen die Kommission fehlerhaftenGebrauch von ihrem Ermessen gemacht hat.

68.
    Jeder Teil ist getrennt zu untersuchen.

a) Zu den Klagegründen, nach denen die Kommission die Entscheidung nichterlassen konnte

69.
    Zur Begründung ihrer Auffassung, daß die Kommission die Entscheidung nichthabe erlassen können, führen die Klägerinnen zwei Klagegründe an.

70.
    Der erste Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen die Rechtskraft. Der zweiteKlagegrund betrifft einen Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem.

Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Rechtskraft

— Vorbringen der Parteien

71.
    LVM, DSM, ICI und Enichem machen geltend, die Kommission habe dieEntscheidung nicht erlassen können, ohne gegen die Rechtskraft des Urteils vom15. Juni 1994 zu verstoßen.

72.
    LVM und DSM tragen vor, die Unterscheidung zwischen verfahrensrechtlichen undmateriell-rechtlichen Mängeln der angefochtenen Entscheidung habe weder einerechtliche Grundlage, noch lasse sie sich auf den Wortlaut oder die Rechtsprechungstützen. Weder Artikel 174 EG-Vertrag noch das Urteil des Gerichts vom 6. April1995 in den verbundenen Rechtssachen T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89,T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-101/89, T-103/89, T-105/89,T-107/89 und T-112/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1995, II-729, Randnr. 78)enthielten eine solche Unterscheidung. Da das Urteil vom 15. Juni 1994 zu dieserFrage schweige, sei es dahin zu verstehen, daß die Sache abschließend geregeltworden sei (Urteile des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in der Rechtssache138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333, Randnr. 37, und vom 30. September1982 in der Rechtssache 108/81, Amylum/Rat, Slg. 1982, 3107, Randnr. 5;Schlußanträge des Generalanwalts Reischl in dieser Rechtssache, Slg. 1982, 3139,3151 f.). Die Tatsache, daß der Gerichtshof das Urteil des Gerichts aufgehoben undüber die zur Entscheidung reife Sache selbst entschieden habe, bestätigte dieseAuslegung.

73.
    Enichem macht geltend, der Gerichtshof habe mit seinem Urteil vom 15. Juni 1994das gegen die PVC-Hersteller eingeleitete Verfahren endgültig abschließen wollen,indem er von seiner Befugnis nach Artikel 54 Absatz 1 Satz 2 EG-Satzung desGerichtshofes Gebrauch gemacht habe. Auch wenn der Gerichtshof nur bestimmteKlagegründe geprüft habe, habe er somit über den Rechtsstreit insgesamtentschieden. Sämtliche Aspekte dieses Streits würden somit von der Rechtskrafterfaßt.

74.
    In Wirklichkeit führe die Auffassung der Kommission dazu, daß den materiell-rechtlichen Rügen ein Vorrang vor den verfahrensrechtlichen Rügen eingeräumtwerde, die dann nur von untergeordneter Bedeutung seien. JederVerfahrensverstoß könnte somit leicht korrigiert werden. Jede Geltendmachung vonVerfahrensmängeln vor dem Gemeinschaftsrichter wäre dann nutzlos, und dieBemühungen im vorliegenden Fall vor dem Gericht und anschließend vor demGerichtshof wären umsonst gewesen.

75.
    Nach Ansicht der Kommission wird von der Rechtskraft nur das erfaßt, worüberder Gerichtshof entschieden habe. Im vorliegenden Fall sei der einzige Grund, dender Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juni 1994 für die Aufhebung derEntscheidung 1988 angeführt habe, das Fehlen der Feststellung in dervorgeschriebenen Form, so daß nur die Beurteilung des Gerichtshofes hinsichtlichder Formmängel in Rechtskraft erwachsen sei. Die anderen verfahrensrechtlichenund materiell-rechtlichen Rügen seien vom Gerichtshof also nicht geprüft worden.

76.
    Es gebe keine Vorschrift, nach der der Gerichtshof die Rechtssache nach derNichtigerklärung der Entscheidung 1988 an das Gericht hätte zurückverweisenkönnen.

— Würdigung durch das Gericht

77.
    Die Rechtskraft erstreckt sich lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen,die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand der betreffenden gerichtlichenEntscheidung waren (Urteil des Gerichtshofes vom 19. Februar 1991 in derRechtssache C-281/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-347, Randnr. 14, undBeschluß des Gerichtshofes vom 28. November 1996 in der RechtssacheC-277/95 P, Lenz/Kommission, Slg. 1996, I-6109, Randnr. 50).

78.
    Der Gerichtshof hat im Urteil vom 15. Juni 1994 festgestellt, daß dem Gericht einRechtsirrtum unterlaufen ist, als es die Entscheidung 89/190 für inexistent erklärte,und daß das angefochtene Urteil daher aufzuheben ist (Randnrn. 53 und 54). Erhat beschlossen, gemäß Artikel 54 Absatz 1 Satz 2 der EG-Satzung desGerichtshofes über den Rechtsstreit endgültig zu entscheiden, da dieser zurEntscheidung reif war (Randnr. 55).

79.
    Der Gerichtshof hat deshalb die Klagegründe, die die Klägerinnen in ihrenNichtigkeitsklagen vor dem Gericht gegen die Entscheidung 1988 vorgetragenhaben, wie folgt zusammengefaßt: „Das Vorverfahren sei mit verschiedenenMängeln behaftet gewesen; die angefochtene Entscheidung sei nicht oder nichtausreichend begründet; die Verteidigungsrechte seien nicht gewahrt worden; dievon der Kommission vorgenommene Beweisführung sei anfechtbar; dieangefochtene Entscheidung verstoße gegen Artikel 85 EWG-Vertrag und gegen dieallgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts; die Entscheidung verletzte dieVerjährungsvorschriften; sie sei durch Ermessensmißbrauch gekennzeichnet; dieverhängten Geldbußen seien rechtswidrig“ (Randnr. 56).

80.
    Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt: „Die Klägerinnen haben die Rüge derfehlenden und unzureichenden Begründung der streitigen Entscheidung imwesentlichen darauf gestützt, daß die Begründung der ihnen zugestelltenEntscheidung wahrscheinlich in mehreren, manchmal wesentlichen Punkten von derEntscheidung abweiche, die vom Kommissionskollegium in seiner Sitzung vom 21.Dezember 1988 angenommen worden sei [Randnr. 57]. Einige Klägerinnen habenferner dem Verteidigungsvorbringen der Kommission entnommen, daß die

Entscheidung in zwei verbindlichen Sprachen, nämlich Italienisch undNiederländisch, nicht angenommen worden sei, da dem Kollegium lediglich die aufdeutsch, englisch und französisch abgefaßten Entwürfe vorgelegt worden seien[Randnr. 58] ... In ihrer abschließenden Stellungnahme haben die Klägerinnenvorgetragen, es liege ein Verstoß gegen Artikel 12 der Geschäftsordnung derKommission vor [Randnr. 59].“ Im Anschluß daran hat der Gerichtshof mit derPrüfung der „Begründetheit dieser Rüge“ begonnen (Randnr. 61).

81.
    Nach der Feststellung, daß die Kommission gegen Artikel 12 Absatz 1 ihrerGeschäftsordnung verstoßen hat, indem sie die Entscheidung 1988 nicht in der indiesem Artikel vorgesehenen Form ausgefertigt hat, hat der Gerichtshof festgestellt:„Die Entscheidung ist daher wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften fürnichtig zu erklären, ohne daß auf die anderen von den Klägerinnen erhobenenRügen eingegangen zu werden braucht“ (Randnr. 78).

82.
    Daraus folgt, daß weder die anderen von den Klägerinnen vor dem Gerichterhobenen verfahrensrechtlichen Klagegründe noch die materiell-rechtlichen, nochdie hilfsweise gegenüber den festgesetzten Geldbußen erhobenen Klagegründetatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand des Urteils vom 15. Juni 1994waren.

83.
    Artikel 54 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes lautet: „Ist das Rechtsmittelbegründet, so hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Er kannsodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidungreif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.“

84.
    Satz 2 dieser Bestimmung bedeutet nicht, daß der Gerichtshof, wenn er endgültigüber den Rechtsstreit entscheidet, indem er einen oder mehrere der Klagegründefür begründet hält, ipso jure über alle von den Klägerinnen im Kontext derRechtssache geltend gemachten tatsächlichen oder rechtlichen Fragen entscheidet.Die Auffassung von Enichem verkennt, daß die entschiedene Rechtssache nurbezüglich der tatsächlichen und rechtlichen Fragen, über die tatsächlich odernotwendigerweise entschieden worden ist, in materieller Rechtskraft erwächst.

85.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem

— Vorbringen der Parteien

86.
    LVM, DSM, Montedison und ICI werfen der Kommission vor, daß sie durch denErlaß einer neuen Entscheidung nach der Nichtigerklärung der Entscheidung 1988durch den Gerichtshof gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen habe.

87.
    LVM, DSM und ICI verweisen darauf, daß der Gemeinschaftsrichter die Beachtungder allgemeinen Rechtsgrundsätze wie des Grundsatzes ne bis in idem, der auchim Protokoll Nr. 7 zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechteund in Artikel 14 Absatz 7 des am 16. März 1966 in New York unterzeichnetenInternationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte niedergelegt sei,sicherstellen müsse (Urteile des Gerichtshofes vom 5. Mai 1966 in denRechtssachen 18/65 und 35/65, Gutmann/Kommission, Slg. 1966, 154, und vom 15.März 1967 in den Rechtssachen 18/65 und 35/65, Gutmann/Kommission, Slg. 1967,79).

88.
    Nach Ansicht von LVM und DSM hat die Kommission diesen Grundsatz indoppeltem Sinne verletzt: Zum einen habe sie wegen ein und derselbenZuwiderhandlung zweimal eine Sanktion verhängt; zum anderen habe sie zweimalein Ermittlungsverfahren — selbst wenn sich dieses im zweiten Fall auf den Erlaßund die Zustellung der Entscheidung beschränkt habe — aufgrund ein und desselbenSachverhalts eingeleitet (Urteile vom 5. Mai 1966, Gutmann/Kommission, Slg. 1966,178, vom 15. März 1967, Gutmann/Kommission, Slg. 1967, 88, sowie Schlußanträgedes Generalanwalts Mayras in der durch Urteil des Gerichtshofes vom 14.Dezember 1972 entschiedenen Rechtssache 7/72, Boehringer/Kommission, Slg.1972, 1293, 1296).

89.
    Für die Feststellung eines Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem sei alleindie Identität der zur Last gelegten Handlungen entscheidend (UrteilBoehringer/Kommission, Randnr. 6), die hier gegeben sei. Die Nichtigerklärung derursprünglichen Entscheidung, die zwar die Rechtswirkungen entfallen lasse, nichtaber die Tatsache ungeschehen mache, daß ein Ermittlungsverfahren durchgeführt,eine Zuwiderhandlung festgestellt und eine Geldbuße verhängt worden sei, seiebensowenig von Bedeutung wie die Rechtskraft.

90.
    Nach Ansicht von ICI ist das Urteil vom 15. Juni 1994 verbindlich und endgültig,was bedeute, daß es rechtskräftig geworden sei (Artikel 65 der Verfahrensordnungdes Gerichtshofes). Der Gerichtshof habe die Rechtssache nicht an das Gerichtzurückverwiesen. Da die Entscheidung 1988 insgesamt und nicht nur in einigenPunkten für nichtig erklärt worden sei, stelle das Urteil einen endgültigenFreispruch dar. Die Kommission habe daher gegen den Grundsatz ne bis in idemverstoßen, indem sie auf der Grundlage der gleichen rechtlichen und tatsächlichenGegebenheiten die gleiche Entscheidung erlassen habe. Schließlich habe derGerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juni 1994 der Kommission nicht den Erlaßeiner neuen Entscheidung aufgegeben (vgl. im Umkehrschluß Urteil desGerichtshofes vom 23. Oktober 1974 in der Rechtssache 17/74, Transocean MarinePaint/Kommission, Slg. 1974, 1063, Randnr. 22).

91.
    Die Kommission trägt vor, die Argumente von LVM, DSM und ICI im Rahmendieses Klagegrundes ständen im Widerspruch zu deren Meinung, die Entscheidung1988 habe wegen ihrer rückwirkenden Nichtigerklärung niemals bestanden.

92.
    Der Gerichtshof habe die Erheblichkeit des Grundsatzes ne bis in idem imWettbewerbsrecht der Gemeinschaft anerkannt (Urteil Boehringer/Kommission),so daß die Berufung der Klägerinnen auf die MRK oder den Internationalen Paktüber bürgerliche und politische Rechte überflüssig sei.

93.
    Jedenfalls sei das Vorbringen der Klägerinnen nicht begründet, da dieEntscheidung nach der Nichtigerklärung der Entscheidung 1988 durch denGerichtshof als die erste Entscheidung anzusehen sei, die das Verhalten der aufdem PVC-Markt tätigen Unternehmen wegen Verstoßes gegen Artikel 85 EG-Vertrag ahnde. Weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht seien denUnternehmen zwei Geldbußen auferlegt worden.

94.
    Der Grundsatz ne bis in idem betreffe nur die Möglichkeit der Verhängung vonSanktionen; er dürfe daher nicht mit dem Grundsatz der Rechtskraft einerEntscheidung verwechselt werden.

— Würdigung durch das Gericht

95.
    Die Klägerinnen werfen der Kommission vor, durch den Erlaß der Entscheidungden allgemeinen Rechtsgrundsatz ne bis in idem verletzt zu haben, der zum einenverbiete, für ein und dieselbe Zuwiderhandlung zwei Sanktionen zu verhängen, undzum anderen, auf der Grundlage ein und desselben Sachverhalts zweimal einErmittlungsverfahren einzuleiten.

96.
    Im vorliegenden Zusammenhang besagt dieser Grundsatz, daß die Kommissiongegen ein Unternehmen wegen eines Verhaltens, zu dem das Gericht oder derGerichtshof bereits festgestellt hat, daß die Kommission dessenWettbewerbswidrigkeit nachgewiesen oder nicht nachgewiesen hat, keineErmittlungen nach den Verordnungen Nrn. 17 und 99/63 wegen Verstoßes gegendie Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft führen oder eine Geldbuße verhängendarf.

97.
    Erstens hat der Gerichtshof im vorliegenden Fall die Entscheidung 1988 mit Urteilvom 15. Juni 1994 für nichtig erklärt. Die Kommission hat mit Erlaß der zweitenEntscheidung nach dieser Nichtigerklärung gegen die Klägerinnen keine zweiteSanktion für ein und dieselbe Zuwiderhandlung verhängt.

98.
    Zweitens hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juni 1994 über keine dervon den Klägerinnen angeführten materiell-rechtlichen Klagegründe entschieden,als er die Entscheidung 1988 für nichtig erklärt hat (vorstehend, Randnr. 81).Daher hat die Kommission mit dem Erlaß der zweiten Entscheidung nur den vomGerichtshof beanstandeten Formfehler behoben. Die Kommission hat somit nichtzweimal Ermittlungen wegen ein und desselben Sachverhalts gegen die Klägerinnendurchgeführt.

99.
    Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

b) Zu den auf die Länge des verstrichenen Zeitraums gestützten Klagegründen

100.
    Einige Klägerinnen führen zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung derEntscheidung mehrere Klagegründe an, die die Länge des verstrichenen Zeitraumsbetreffen. Erstens habe die Kommission den Grundsatz der Sachbehandlunginnerhalb angemessener Frist verletzt. Zweitens habe sie rechtsmißbräuchlichgehandelt. Schließlich habe sie die Grundsätze eines fairen Verfahrens verletzt. Dadie Kommission hierauf eine für alle Verfahren gemeinsame Antwort gegeben hat,werden ihre Argumente gegen diese Klagegründe insgesamt nach denen derKlägerinnen wiedergegeben.

Vorbringen der Parteien

— Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Sachbehandlunginnerhalb angemessener Frist

101.
    LVM, DSM und ICI machen geltend, die von einem Verfahren nach Artikel 85EG-Vertrag betroffenen Unternehmen hätten Anspruch darauf, daß dieKommission innerhalb einer angemessenen Frist entscheide. Diese Garantie einerSachbehandlung innerhalb angemessener Frist sei im Gemeinschaftsrecht verankert(vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 24. November 1987 in der Rechtssache223/85, RSV/Kommission, Slg. 1987, 4617, Randnr. 14) und gelte unabhängig vonden Vorschriften über die Verjährung in der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 desRates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährungim Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft(ABl. L 319, S. 1).

102.
    Zudem ergebe sich aus Artikel 6 Absatz 1 MRK, daß über die Stichhaltigkeit einerstrafrechtlichen Anklage innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden sei,damit die Betroffenen über ihre Rechtslage nicht zu lange im Ungewissen blieben.

103.
    Der Lauf der Frist beginnt nach Ansicht von LVM und DSM mit jederErmittlungshandlung im Sinne des Artikels 2 der Verordnung 2988/74(Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Eckle vom 15. Juli 1982,Serie A, Nr. 51, Randnr. 73, Urteil Foti u. a. vom 10. Dezember 1982, Serie A, Nr.56, Randnr. 52, und Urteil Corigliano vom 10. Dezember 1982, Serie A, Nr. 57,Randnr. 34). Die Frist ende mit dem Erlaß der ursprünglichen Entscheidung.

104.
    Im vorliegenden Fall habe die Frist im Dezember 1983 begonnen, als dieKommission die Nachprüfungen durchgeführt habe, und im Dezember 1988geendet. In diesen fünf Jahren sei die Kommission von April 1984 bis Januar 1987untätig geblieben.

105.
    Im Rahmen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte dürfeeine angemessene Frist zwei Jahre nicht überschreiten, es sei denn, daß besondereUmstände vorlägen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil Königvom 28. Juni 1978, Serie A, Nr. 27, Randnrn. 98 f.). Daß der Sachverhalt unter dasWettbewerbsrecht falle, sei kein besonderer Umstand.

106.
    Die Nichteinhaltung einer angemessenen Frist für den Erlaß der Entscheidung 1988und erst recht für den der zweiten Entscheidung habe zudem ein berechtigtesVertrauen bei den Unternehmen begründet, daß die Untersuchungen nichtweitergeführt würden.

107.
    ICI trägt vor, im vorliegenden Fall sei zweimal eine Verzögerung eingetreten. ImErmittlungszeitraum sei die Kommission vom 5. Juni 1984, dem Zeitpunkt, zu demdie Klägerin auf eine Entscheidung nach Artikel 11 Absatz 5 der Verordnung Nr.17 geantwortet habe, bis zum Januar 1987, dem Beginn der Nachforschungen inden Räumlichkeiten anderer PVC-Hersteller, untätig geblieben. Diese Frist seiunangemessen (Urteile RSV/Kommission, und Urteile des Gerichts vom 2. Mai1995 in den Rechtssachen T-163/94 und T-165/94, NTN Corporation und KoyoSeiko/Rat, Slg. 1995, II-1381, und vom 28. September 1995 in der RechtssacheT-95/94, Sytraval und Brink's France/Kommission, Slg. 1995, II-2651).

108.
    Die durch die Rechtsstreitigkeiten verursachte Verzögerung von fast fünf Jahrensei der Kommission wegen der in ihrem Fall festgestellten Verfahrensverstößezuzurechnen.

109.
    LVM, DSM und ICI kommen zu dem Ergebnis, daß die Kommission wegenÜberschreitung der angemessenen Frist nicht mehr zum Erlaß der Entscheidung1988 und erst recht nicht der zweiten Entscheidung befugt gewesen sei. Die zweiteEntscheidung sei daher wegen mangelnder Befugnis der Kommission für nichtig zuerklären (Urteile des Gerichtshofes vom 12. November 1987 in der Rechtssache344/85, Ferriere San Carlo/Kommission, Slg. 1987, 4435, und RSV/Kommission).

— Zum Klagegrund des Rechtsmißbrauchs

110.
    Wacker und Hoechst machen geltend, daß, losgelöst von der Beurteilung derVerjährungsfrage, der lange Zeitraum zwischen 1983 und 1987, in dem dieKommission untätig geblieben sei, und der Zeitraum zwischen dem Beginn derangeblichen Zuwiderhandlung und dem Zeitpunkt des Erlasses der zweitenEntscheidung, nämlich vierzehn Jahre, einen Rechtsmißbrauch belegten. DieseVerzögerung sei allein von der Kommission zu vertreten.

— Zum Klagegrund des Verstoßes gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens

111.
    Hüls und Enichem werfen der Kommission vor, die Grundsätze eines fairenVerfahren verletzt zu haben.

112.
    Nach Ansicht von Enichem ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden,da zwischen den ersten Ermittlungen und dem Erlaß der Entscheidung ein sehrlanger Zeitraum verstrichen sei. Die Parteien seien dadurch in eine äußerstschwierige und unangenehme Lage versetzt worden, da sie den Sachverhalt nichtgenau hätten rekonstruieren können.

113.
    Nach Ansicht von Hüls ist das Verhalten der Kommission mit den Grundsätzeneines fairen Verfahrens nicht vereinbar.

114.
    Erstens habe die Kommission, obwohl sie von dem angeblichen Verstoß spätestensseit 1983 Kenntnis gehabt habe, erst im September 1987 Nachprüfungen in denRäumlichkeiten von Hüls durchgeführt. Diese Verzögerung derVerfahrenseinleitung habe Hüls in ihren Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränktund tatsächlich zu einer Beweislastumkehr zu ihren Lasten geführt. Dies gelte erstrecht für das Jahr 1994. Im übrigen hätte die insgesamt eingetretene Verzögerungsich auf die Bemessung der Geldbuße auswirken müssen (Urteil des Gerichtshofesvom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico undCommercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223).

115.
    Zweitens beruft sich die Klägerin darauf, daß der Grundsatz der VerwirkungBestandteil des geltenden Gemeinschaftsrechts sei (Urteile des Gerichtshofes vom14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnr. 49,vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87, Orkem/Kommission, Slg. 1989,3283, Randnr. 30; vgl. auch Artikel 6 MRK und Entscheidung der EuropäischenKommission für Menschenrechte vom 9. Februar 1990 im Fall Melchers &Co./Bundesrepublik Deutschland, Nr. 13258/87). Die Verordnung Nr. 2988/74könne das Problem nicht erschöpfend geregelt haben; bei einem Konflikt gehe derGrundsatz der Verwirkung als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechtszwangsläufig der Verordnung vor. Aufgrund dieser Verwirkung sei es unzulässig,1994 eine Entscheidung über einen fast fünfzehn Jahre zurückliegenden Sachverhaltzu erlassen.

116.
    Die Kommission bestreitet nicht, daß es im Gemeinschaftsrecht ein auf dieErfordernisse der Rechtssicherheit und einer geordneten Verwaltung gegründetesallgemeines Prinzip gebe, nach dem eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisseinnerhalb bestimmter zeitlicher Grenzen ausüben müsse (Urteil des Gerichtshofesvom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 45/69, Boehringer/Kommission, Slg. 1970, 769,Randnr. 6).

117.
    Die Verordnung Nr. 2988/74 entspreche jedoch gerade diesem Ziel derRechtssicherheit, da sie die Kommission und die Wirtschaftsteilnehmer in die Lageversetze, im voraus zu wissen, innerhalb welcher zeitlicher Grenzen die Kommissionhandeln könne, um eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln derGemeinschaft festzustellen.

118.
    Diese Verordnung schließe jedoch eine Bezugnahme auf andere rechtlicheKriterien wie „übermäßige Verzögerung“, unangemessene Frist, Rechtsmißbrauch,faires Verfahren oder Verwirkung aus. Im übrigen würden solche Kriterien nurVerwirrung und Rechtsunsicherheit stiften, da sie nicht unter den im vorausschriftlich festgelegten Regeln aufgeführt seien (Urteil vom 15. Juli 1970,Boehringer/Kommission, Randnr. 47) und auf einem unscharfen und subjektivenBegriff beruhten.

119.
    Zu den Argumenten von LVM und DSM trägt die Kommission vor, daß aufgrunddieser Verordnung die Anwendung des Artikels 6 MRK für die rechtliche Lage derUnternehmen ebenfalls keine Rolle spiele. Auch wenn die Verweisung auf dieMRK erheblich wäre, sei die von den Klägerinnen angeführte Rechtsprechung diesjedenfalls nicht, da es dort um den Begriff der angemessenen Frist inStrafverfahren gegen natürliche Personen gehe, nicht aber in Fällen, in denenWirtschaftsrecht auf juristische Personen angewandt werde. Für die komplexentatsächlichen Sachverhalte im letztgenannten Bereich sei die Frist von zwei Jahren,die von LVM und DSM angeführt werde, offensichtlich unzureichend, wie dieDauer derartiger Verfahren vor dem Gericht oder dem Gerichtshof belegten.Immer noch unter der Voraussetzung, daß der Verweis auf Artikel 6 MRKerheblich sei, könne der Lauf der Frist erst mit der Mitteilung derBeschwerdepunkte beginnen; die Untersuchungsmaßnahmen wie z. B. dieNachforschungen und die Auskunftsverlangen dienten lediglich der Klärung desSachverhalts und stellten keine Beschuldigung dar. Im vorliegenden Fall sei dieEntscheidung 1988 einige Monate nach der Mitteilung der Beschwerdepunkteergangen. Der Kommission könne daher entgegen der Ansicht von LVM und DSMkeine Untätigkeit vorgeworfen werden, die ein berechtigtes Vertrauen hinsichtlichdes Ausgangs des Verwaltungsverfahrens begründet hätte.

Würdigung durch das Gericht

120.
    Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte zu den allgemeinenRechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat (vgl.insbesondere Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33, undUrteil des Gerichtshofes vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95, Kremzow,Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14). Dabei lassen sich der Gerichtshof und das Gerichtvon den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von denHinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz derMenschenrechte geben, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oderdenen sie beigetreten sind. Der Europäischen Konvention zum Schutze derMenschenrechte kommt insoweit eine besondere Bedeutung zu (Urteile desGerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986,1651, Randnr. 18, und Kremzow, Randnr. 14). Im übrigen achtet nach Artikel FAbsatz 2 des Vertrages über die Europäische Union die „Union ... dieGrundrechte, wie sie in der ... Europäischen Konvention zum Schutze derMenschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den

gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeineGrundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben“.

121.
    Daher ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung dieser Erwägungen die Kommissiongegen den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Einhaltung einerangemessenen Frist für den Erlaß von Entscheidungen nach Abschluß derVerwaltungsverfahren auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik verstoßen hat (Urteildes Gerichts vom 22. Oktober 1997 in den Rechtssachen T-213/95 und T-18/96,SCK und FNK/Kommission, Slg. 1997, II-1739, Randnr. 56).

122.
    Der Verstoß gegen diesen Grundsatz, wenn er denn bewiesen wäre, rechtfertigtejedoch die Nichtigerklärung der Entscheidung nur, wenn damit auch dieVerteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen verletzt worden wären. Wennnämlich nicht bewiesen ist, daß die übermäßig lange Verfahrensdauer dieMöglichkeit für die betroffenen Unternehmen, sich wirksam zu verteidigen,beeinträchtigt hat, wirkt sich die Nichtbeachtung des Grundsatzes derSachbehandlung innerhalb angemessener Frist nicht auf die Rechtsgültigkeit desVerwaltungsverfahrens aus und kann daher nur als Ursache eines Schadensangesehen werden, der vor dem Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Klage nachden Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EG-Vertrag geltend gemacht werden kann.

123.
    Im vorliegenden Fall betrug die Gesamtdauer des Verwaltungsverfahrens vor derKommission etwa 62 Monate. Der Zeitraum, in dem der Gemeinschaftsrichter dieRechtmäßigkeit der Entscheidung 1988 und das Urteil des Gerichts nachgeprüfthat, kann bei der Bestimmung der Dauer des Verfahrens vor der Kommission nichtberücksichtigt werden.

124.
    Für die Beurteilung der Angemessenheit des Verwaltungsverfahrens vor derKommission ist zwischen dem Verfahrensabschnitt, der durch die Nachprüfungenim PVC-Sektor im November 1983 gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 17eingeleitet worden ist, und dem Abschnitt zu unterscheiden, der mit dem Eingangder Mitteilung der Beschwerdepunkte bei den betroffenen Unternehmen begonnenhat. Die Angemessenheit der Dauer dieser beiden Abschnitte ist getrennt zubeurteilen.

125.
    Der erste Abschnitt von 52 Monaten reicht von den ersten Nachprüfungen imNovember 1983 bis zur Einleitung des Verfahrens gemäß Artikel 3 der VerordnungNr. 17 durch die Kommission im März 1988 auf der Grundlage des Artikels 9Absatz 3 dieser Verordnung.

126.
    Die Angemessenheit eines solchen Verfahrensabschnitts beurteilt sich nach denbesonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere nach dessenKontext, dem Verhalten der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Bedeutungder Angelegenheit für die verschiedenen betroffenen Unternehmen und derKomplexität der Sache.

127.
    Unter Berücksichtigung des gesamten Aktenmaterials erscheint die Dauer diesesErmittlungsverfahrens in den einzelnen dem Gericht zur Prüfung vorgelegtenRechtssachen angemessen.

128.
    In diesem Zusammenhang ist die Komplexität des von der Kommissionaufzuklärenden Sachverhalts hervorzuheben, die auf der Art der beanstandetenVerhaltensweisen und auf ihrer Verbreitung auf dem relevanten geographischenMarkt beruht, der das gesamte Tätigkeitsgebiet der wichtigsten PVC-Herstellerinnerhalb des Gemeinsamen Marktes umfaßt.

129.
    Die Komplexität des aufzuklärenden Sachverhalts rührt auch von der Zahl und derUnübersichtlichkeit der von der Kommission zusammengetragenen Schriftstückeher. Die bei den Nachprüfungen in dem genannten Zeitraum in denRäumlichkeiten mehrerer Hersteller petrochemischer Erzeugnisse aufgefundenenSchriftstücke sowie die Antworten dieser Hersteller auf Fragen der Kommissiongemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 ergaben eine besonders umfangreicheAkte. Zudem mußte die Kommission bei den sehr zahlreichen imVerwaltungsverfahren zusammengetragenen Schriftstücken solche, die zur PVC-Akte gehörten, und andere, die zu einer für den benachbarten Sektor LDPEangelegten Akte gehörten, voneinander trennen. In dem zuletzt genannten Sektorwurden ebenso wie bei anderen thermoplastischen Erzeugnissen in eben dieser ZeitErmittlungen und ein Verfahren zur Feststellung von Verstößen durchgeführt, dieUnternehmen vorgeworfen wurden, die auch Parteien des vorliegenden Verfahrenssind. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Akten enthielten nach einer erstenNumerierung durch die Verwaltung eine Folge von Schriftstücken mit 1 072 Seitenund nach einer anderen Numerierung mehr als 5 000 Seiten ohne diekommissionsinternen Schriftstücke.

130.
    Schließlich ergab sich die Komplexität des aufzuklärenden Sachverhalts aus derSchwierigkeit, die Beteiligung der Unternehmen an dem ihnen vorgeworfenenKartell und deren Zahl nachzuweisen. Dazu heißt es in der Entscheidung, daß„[s]iebzehn Unternehmen ... während des ... erfaßten Zeitraums an dem Verstoßbeteiligt“ gewesen seien (Randnr. 2, zweiter Absatz, der Entscheidung) und daß dieendgültige Entscheidung an vierzehn Unternehmen gerichtet gewesen sei.

131.
    Der zweite Zeitraum reicht von der Mitteilung der Beschwerdepunkte bis zumErlaß der Entscheidung am 27. Juli 1994.

132.
    Ob die Dauer dieses Verfahrensabschnitts angemessen war, ist ebenfalls anhandder vorstehend (Randnr. 126) genannten Kriterien, insbesondere der Bedeutungder Angelegenheit für die betroffenen Unternehmen, zu beurteilen. Diesemletztgenannten Kriterium kommt nämlich ein besonderes Gewicht für dieBeurteilung der Frage zu, ob die Dauer dieses Abschnitts in dem Verfahren zurFeststellung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln angemessenwar. Zum einen setzt die Mitteilung der Beschwerdepunkte in einem Verfahren zur

Feststellung von Zuwiderhandlungen die Einleitung des Verfahrens nach Artikel3 der Verordnung Nr. 17 voraus. Mit der Einleitung dieses Verfahrens bringt dieKommission ihren Willen zum Ausdruck, zu einer Entscheidung zur Feststellungeiner Zuwiderhandlung zu gelangen (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom6. Februar 1973 in der Rechtssache 48/72, Brasserie de Haecht, Slg. 1973, 77,Randnr. 16). Zum anderen kann ein Unternehmen erst mit Eingang der Mitteilungder Beschwerdepunkte von dem Gegenstand des gegen es eingeleiteten Verfahrensund den ihm von der Kommission vorgeworfenen Verhaltensweisen Kenntniserlangen. Die Unternehmen haben daher ein besonderes Interesse daran, daß dieKommission diesen zweiten Verfahrensabschnitt beschleunigt durchführt, ohnedabei jedoch ihre Verteidigungsrechte zu verletzen.

133.
    Im vorliegenden Fall hat dieser zweite Verfahrensabschnitt vor der Kommissionzehn Monate gedauert. Ein solcher Zeitraum rechtfertigt nicht den Vorwurfübermäßiger Länge. Die Beschwerdepunkte sind den betreffenden UnternehmenAnfang April 1988 mitgeteilt worden. Diese haben dazu im Juni 1988 Stellunggenommen. Mit Ausnahme von Shell, die keinen entsprechenden Antrag gestellthatte, wurden die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 5. bis 8.September 1988 und am 19. September 1988 angehört. Am 1. Dezember 1988 gabder Beratende Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen seine Stellungnahme zumEntscheidungsvorschlag der Kommission ab, und 20 Tage später erließ diese dieursprüngliche Entscheidung. Die zweite Entscheidung wurde 42 Tage nach derVerkündung des Urteils vom 15. Juni 1994 erlassen.

134.
    Somit sind die ursprüngliche Entscheidung und nach deren Nichtigerklärung durchden Gerichtshof auch die zweite Entscheidung in einer angemessenen Frist nachder Mitteilung der Beschwerdepunkte ergangen.

135.
    Nach alledem hat die Kommission im Einklang mit dem Grundsatz der Wahrungeiner angemessenen Frist in dem dem Erlaß der Entscheidung vorangehendenVerwaltungsverfahren gehandelt. Die Verteidigungsrechte der betroffenenUnternehmen sind daher durch die Länge des verstrichenen Zeitraums nichtverletzt worden.

136.
    Somit sind die Klagegründe, die sich auf die Länge des verstrichenen Zeitraumsstützen, zurückzuweisen.

c) Zu den Klagegründen, die sich auf einen Ermessensfehlgebrauch derKommission stützen

Vorbringen der Parteien

137.
    Enichem macht geltend, die Kommission habe dadurch, daß sie sich nach derNichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung durch den Gerichtshof zumErlaß einer neuen Entscheidung für verpflichtet gehalten habe, den Umfang ihrereigenen Befugnisse verkannt, deren Ausübung in dem einschlägigen Bereich allein

in ihrem Ermessen stehe (Urteil Transocean Marine Paint/Kommission, und Urteiledes Gerichtshofes vom 26. April 1988 in den Rechtssachen 97/86, 193/86, 99/86 und215/86, Asteris u. a./Kommission, Slg. 1988, 2181, und vom 4. Februar 1992 in derRechtssache C-294/90, British Aerospace und Rover/Kommission, Slg. 1992, I-493).Weder Artikel 176 EG-Vertrag noch die Verordnung Nr. 2988/74 könnten daherdie Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung zum Neuerlaß der für nichtig erklärtenEntscheidung sein.

138.
    LVM und DSM tragen vor, daß die Ermittlung und Verfolgung von Verstößengegen die Wettbewerbsregeln zwar im Ermessen der Kommission stehe, daß dieseaber ihr Ermessen in den Grenzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere desVerhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausüben müsse. An diesem Grundsatz seiensowohl das mit dem Erlaß des Rechtsakts verfolgte Ziel als auch die zurDurchsetzung dieses Zieles eingesetzten Mittel zu messen.

139.
    Zunächst sei das mit dem Erlaß der Entscheidung verfolgte Ziel nicht, denWettbewerb im PVC-Sektor zu schützen, sondern, wie das Fehlen einesVorverfahrens zeige, dem Urteil vom 15. Juni 1994, mit dem die Praxis derKommission verurteilt worden sei, die Wirkung zu nehmen. Die Notwendigkeit unddie Zweckmäßigkeit des durch dieses Urteil nicht gebotenen Erlasses derEntscheidung sei daher nicht bewiesen. Das tatsächlich verfolgte Ziel rechtfertigenicht die Verhängung einer Geldbuße oder zumindest nicht einer so hohenGeldbuße.

140.
    Sodann sei die Entscheidung, selbst wenn sie den Schutz des Wettbewerbsbezweckt hätte, auch deshalb rechtswidrig, weil sie ohne ein vorherigesUntersuchungsverfahren ein zur Erreichung dieses Ziels unverhältnismäßiges Mitteldarstelle.

141.
    Somit obliege es der Kommission, die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeitihrer Maßnahme nachzuweisen. Im vorliegenden Fall habe die Entscheidung dieseFrage unter Verstoß gegen Artikel 190 EG-Vertrag nicht behandelt.

142.
    Nach Ansicht von Montedison ist die Entscheidung ermessensfehlerhaft, da ihrErlaß auf der Verfolgungswut und der Verbissenheit von Beamten der Kommissionberuhe.

143.
    Zu dem Vorwurf von Enichem vertritt die Kommission die Auffassung, daß sie imRahmen ihres Ermessens von einem Tätigwerden absehen könne (Urteil desGerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90,Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223). Ein Unternehmen könne ihr dagegennicht vorwerfen, von ihren Befugnissen Gebrauch gemacht zu haben (Urteil desGerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission,Slg. 1994, II-549, Randnrn. 64 und 65).

144.
    Im vorliegenden Fall wäre es nicht logisch gewesen, daß die Kommission, die ihrErmessen dahin gehend ausgeübt habe, daß sie die Entscheidung 1988 erlassenhabe, darauf verzichtet hätte, von ihren Befugnissen Gebrauch zu machen, obwohldie im Urteil vom 15. Juni 1994 beanstandeten Fehler aus dem letzten Abschnittdes Verfahrens zum Erlaß der Entscheidung stammten (Urteil Asterisu. a./Kommission, Randnr. 28). Zudem sei die Verhängung einer Geldbuße schonan sich ein Rechtfertigungsgrund für den Erlaß einer Entscheidung, selbst wenn dieParteien die Zuwiderhandlung abgestellt hätten. Artikel 176 des Vertrages sei imvorliegenden Fall nicht einschlägig.

145.
    Zu dem von LVM und DSM geltend gemachten Klagegrund trägt die Kommissionvor, sie habe mit dem Erlaß der Entscheidung ihr Bemühen gezeigt, dieWettbewerbsregeln unter Beachtung des Urteils vom 15. Juni 1994 und derVerordnung Nr. 2988/74 anzuwenden. Da die verhängten Geldbußen denen in derEntscheidung 1988 entsprächen, könne ihr nicht vorgeworfen werden, denVerhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt zu haben.

146.
    Zur Begründung der Entscheidung trägt die Kommission vor, daß sie angesichts derihr nach Artikel 155 EG-Vertrag obliegenden Aufgabe nicht verpflichtet sei, dieZweckmäßigkeit ihrer Maßnahme zu rechtfertigen.

147.
    Schließlich habe Montedison keine objektiven, genauen und schlüssigen Indizienzum Nachweis eines Ermessensmißbrauchs vorgetragen (Urteile des Gerichts in derRechtssache Automec/Kommission, Randnr. 105, und vom 19. Mai 1994 in derRechtssache T-465/93, Consorzio gruppo di azione locale „MurgiaMessapica“/Kommission, Slg. 1994, II-361, Randnr. 66).

Würdigung durch das Gericht

148.
    Wie weit die Verpflichtungen der Kommission im Wettbewerbsrecht reichen, istanhand des Artikels 89 Absatz 1 EG-Vertrag zu prüfen, der auf diesem Gebietbesonderer Ausdruck des allgemeinen Überwachungsauftrags ist, der derKommission in Artikel 155 EG-Vertrag erteilt worden ist.

149.
    Der der Kommission im Wettbewerbsrecht erteilte Überwachungsauftrag umfaßtdie Aufgabe, einzelne Zuwiderhandlungen zu ermitteln und zu ahnden, beinhaltetaber auch die Pflicht, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die imVertrag niedergelegten Grundsätze im Wettbewerbsrecht anzuwenden und dasVerhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken (Urteil des Gerichtshofesvom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, MusiqueDiffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 105).

150.
    Artikel 85 EG-Vertrag ist zudem ein Ausfluß des allgemeinen, der Tätigkeit derGemeinschaft in Artikel 3 Buchstabe g gesetzten Zieles, ein System zu errichten,das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen

schützt (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in derRechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 38).

151.
    Angesichts dieses allgemeinen Zieles und des der Kommission erteilten Auftragswar diese zwar nach dem Urteil vom 15. Juni 1994, mit dem die Entscheidung 1988für nichtig erklärt worden ist, nicht zum Erlaß der zweiten Entscheidungverpflichtet, um die beanstandeten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisenfestzustellen, jedoch auch nicht daran gehindert, da sie bei der Ausübung des ihreingeräumten Ermessens weder die Rechtskraft verletzt (vorstehend, Randnrn. 77bis 85) noch die betroffenen Unternehmen wegen Verhaltensweisen, zu denen dasGericht oder der Gerichtshof bereits festgestellt hätte, daß die Kommission derenWettbewerbswidrigkeit nachgewiesen hat, verfolgt oder eine Sanktion gegen sieverhängt hat (vorstehend, Randnrn. 95 bis 99).

152.
    Somit war es Sache der Kommission, nach Maßgabe des ihr durch den Vertragerteilten Auftrags zu beurteilen, ob die Entscheidung zu erlassen war.

153.
    Was das Vorbringen von LVM und DSM (vorstehend, Randnrn. 138 und 139) zurStützung des Klagegrundes eines Verstoßes gegen denVerhältnismäßigkeitsgrundsatz betrifft, so ist dies in dem Sinne zu verstehen, daßdie Kommission ermessensmißbräuchlich gehandelt habe, indem sie die zweiteEntscheidung erlassen habe, wie auch von Montedison ausdrücklich geltendgemacht wird.

154.
    Eine Entscheidung ist nur dann ermessensmißbräuchlich, wenn aufgrund objektiver,schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, daß sie ausschließlichoder zumindest überwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mitdem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziellvorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen (Urteile des Gerichtshofes vom12. November 1996 in der Rechtssache C-84/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg.1996, I-5755, Randnr. 69, und vom 25. Juni 1997 in der Rechtssache C-285/94,Italien/Kommission, Slg. 1997, I-3519, Randnr. 52).

155.
    Da LVM, DSM und Montedison entsprechende Indizien nicht aufgezeigt haben,ist diese Rüge zurückzuweisen.

156.
    Das Vorbringen von LVM und DSM, die Entscheidung stelle ohne eine vorherigeUntersuchung ein zur Erreichung des angestrebten Zieles des Wettbewerbsschutzesunverhältnismäßiges Mittel dar, betrifft eine Frage, die bei der Beurteilung derRechtmäßigkeit der Art und Weise des Erlasses der Entscheidung zu prüfen seinwird (nachstehend, Randnr. 269).

157.
    Zu der Rüge, die Entscheidung sei hinsichtlich der Notwendigkeit und derVerhältnismäßigkeit der Maßnahme der Kommission mangelhaft begründet, genügtdie Feststellung, daß der erste Bezugsvermerk der Entscheidung der Kommission

den „Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ anführt, was implizit,aber zwangsläufig eine förmliche Bezugnahme auf den der Kommission erteiltenAuftrag darstellt.

158.
    Nach alledem sind die auf einen angeblichen Ermessensfehlgebrauch derKommission gestützten Klagegründe zurückzuweisen.

2. Zur Tragweite des Urteils vom 15. Juni 1994

a) Zu den Rügen, die sich auf die Wirkung „erga omnes“ des Urteils vom 15. Juni1994 stützen

Vorbringen der Parteien

159.
    Nach Ansicht von Atochem, BASF und SAV wirkt die Nichtigerklärung derEntscheidung 1988, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juni 1994ausgesprochen habe, erga omnes und schaffe daher eine für alle Beteiligten neueRechtslage (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Februar 1955 in der Rechtssache3/54, Assider/Hohe Behörde, Slg. 1955, 131), und zwar auch für diejenigen, dienicht rechtzeitig Klage erhoben hätten.

160.
    SAV trägt hierzu vor, sie sei gegenüber Solvay und Norsk Hydro diskriminiertworden, da die Entscheidung sich nicht an die Letztgenannten richte und dieEntscheidung 1988 diesen gegenüber aufgrund des Urteils vom 15. Juni 1994 keineWirkung mehr entfalte.

161.
    Für LVM und DSM hat die Kommission gegen den Grundsatz derNichtdiskriminierung verstoßen, da in Artikel 1 der Entscheidung eineZuwiderhandlung sämtlicher PVC-Hersteller festgestellt werde und diese damit ineine vergleichbare Lage versetzt würden, während sie in den Artikeln 2 bis 4 derEntscheidung, in denen die Geldbußen festgesetzt würden, ausdrücklich hiervonausgenommen würden.

162.
    Die Kommission könne sich zur Rechtfertigung nicht darauf berufen, daß dieEntscheidung 1988 gegenüber diesen beiden Unternehmen gültig geblieben sei, danach Artikel 174 EG-Vertrag die für nichtig erklärte Handlung als „inexistent“anzusehen und die Parteien in die frühere Lage zurückzuversetzen seien (Urteil desGerichtshofes vom 31. März 1971 in der Rechtssache 22/70, Kommission/Rat, Slg.1971, 263, Randnr. 60). Die Nichtigerklärung wirke auch erga omnes; Artikel 174EG-Vertrag beschränke die Wirkung der Nichtigerklärung keineswegs auf dieUnternehmen, die gegen die Handlung rechtswirksam Klage erhoben hätten. Imübrigen könne, wenn eine Entscheidung für alle Adressaten nach Artikel 189 EG-Vertrag verbindlich sei, die Nichtigkeit auch nur für alle gelten.

163.
    Würde man den Argumenten der Kommission folgen, so würde sich die gerügteDiskriminierung auch bei der Vollstreckung zeigen; während die zweite

Entscheidung gegenüber ihren Adressaten vollstreckbar wäre, wäre dieEntscheidung 1988 dies nicht gegenüber Solvay und Norsk Hydro. Diese entgingenjeder Sanktion, obwohl sie sich in einer Lage befänden, die der der anderenUnternehmen vergleichbar sei.

164.
    Die Kommission trägt vor, daß die Entscheidung 1988 ein Bündel individuellerEntscheidungen sei. Da Solvay gegen diese Entscheidung keine und Norsk Hydronicht rechtzeitig Klage erhoben hätten, sei die Entscheidung 1988 ihnen gegenüberbestandskräftig geworden (namentlich Urteile des Gerichtshofes vom 17. November1965 in der Rechtssache 20/65, Collotti/Gerichtshof, Slg. 1965, 1112, vom 14.Dezember 1965 in der Rechtssache 52/64, Pfloeschner/Kommission, Slg. 1965, 1288,und vom 14. Juni 1988 in der Rechtssache 161/87, Muysers undTülp/Rechnungshof, Slg. 1988, 3037, Randnrn. 9 und 10).

165.
    Die Frage der Wirkung erga omnes von Nichtigkeitsurteilen, die dieNichtigerklärung normativer Rechtsakte mit Auswirkungen auf die Rechtsordnungim allgemeinen betreffe, stelle sich im vorliegenden Fall nicht; ein Urteil, das eineindividuelle Entscheidung für nichtig erkläre, könne nur eine relative Wirkunghaben.

166.
    Der von LVM und DSM geltend gemachte Klagegrund eines Verstoßes gegen dasDiskriminierungsverbot sei unzulässig, da die Stellung von Solvay und Norsk Hydrodie Interessen der beiden Klägerinnen nicht verletzen könne. Im übrigen sei derKlagegrund nicht begründet, da für Solvay und Norsk Hydro weiterhin dieEntscheidung 1988 gelte.

Würdigung durch das Gericht

167.
    Die Entscheidung 1988 ist zwar nur als eine einzige Entscheidung abgefaßt undveröffentlicht, sie stellt aber ein Bündel von Einzelfallentscheidungen dar, mitdenen festgestellt wird, welcher Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag denjeweiligen Adressaten zur Last gelegt wird, und mit denen diesen eine Geldbußeauferlegt wird. Die Kommission hätte nämlich, wenn sie es gewollt hätte, formalauch mehrere getrennte Einzelfallentscheidungen erlassen können, mit denen siedie Verstöße gegen Artikel 85 EG-Vertrag festgestellt hätte.

168.
    Nach Artikel 189 EG-Vertrag ist jede dieser Einzelfallentscheidungen, die Teil derEntscheidung 1988 ist, in allen Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet.Wenn ein Adressat gegen die Entscheidung 1988 keine Nichtigkeitsklage nachArtikel 173 EG-Vertrag eingereicht hat, hat diese Entscheidung somit ihmgegenüber Bestand und bleibt bindend (vgl. in diesem Sinne Urteil desGerichtshofes vom 9. März 1994 in der Rechtssache C-188/92, TWD TextilwerkeDeggendorf, Slg. 1994, I-833, Randnr. 13).

169.
    Wenn also ein Adressat Nichtigkeitsklage erhebt, ist der Gemeinschaftsrichter nurmit den Teilen der Entscheidung befaßt, die diesen Adressaten betreffen. Die dieanderen Adressaten betreffenden Teile der Entscheidung, die nicht angefochtenworden sind, werden dagegen nicht Gegenstand des Rechtsstreits, über den derGemeinschaftsrichter zu befinden hat.

170.
    Der Gemeinschaftsrichter kann im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nur über denStreitgegenstand entscheiden, der ihm von den Parteien unterbreitet wird. DieEntscheidung 1988 konnte daher nur in bezug auf die Adressaten, die vor demGemeinschaftsrichter mit ihrer Klage obsiegt haben, für nichtig erklärt werden.

171.
    Nummer 2 des Tenors des Urteils vom 15. Juni 1994 führt daher nur insoweit zurNichtigkeit der Entscheidung 1988, als diese die Parteien betrifft, die vor demGerichtshof obsiegt haben.

172.
    Die Rechtsprechung, auf die sich die Klägerinnen zur Stützung ihrer These einerWirkung erga omnes berufen, ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da dasangeführte Urteil Assider/Hohe Behörde die Wirkung eines Urteils betrifft, mitdem eine im Rahmen des EGKS-Vertrags ergangene allgemeine Entscheidung undnicht wie im vorliegenden Fall ein Bündel individueller Entscheidungen für nichtigerklärt worden war.

173.
    Nach alledem hat die Kommission die Klägerinnen nicht diskriminiert, indem sieSolvay und Norsk Hydro in die Artikel des verfügenden Teils der Entscheidungnicht aufgenommen hat. Der Kommission kann eine Diskriminierung nämlich nurvorgeworfen werden, wenn sie vergleichbare Sachverhalte in unterschiedlicherWeise behandelt und dadurch bestimmte Betroffene gegenüber anderenbenachteiligt, ohne daß diese Ungleichbehandlung durch das Vorliegen objektiverUnterschiede von einigem Gewicht gerechtfertigt wäre (Urteil des Gerichtshofesvom 15. Januar 1985 in der Rechtssache 250/83, Finsider/Kommission, Slg. 1985,131, Randnr. 8). Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, daß entgegen derBehauptung der Klägerinnen deren Lage und die von Norsk Hydro und Solvaynicht vergleichbar waren, da die Entscheidung 1988 nicht gegenüber den beidenLetztgenannten für nichtig erklärt worden war. Zudem hat die Kommission auf eineFrage des Gerichts erklärt, daß Norsk Hydro und Solvay die ihnen auferlegtenGeldbußen gezahlt hätten, so daß die Klägerinnen nicht behaupten können, sichgegenüber diesen beiden Unternehmen in einer schlechteren Lage zu befinden.

174.
    Nach alledem kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Nichtigerklärung derEntscheidung 1988 durch den Gerichtshof entgegen der Auffassung derKlägerinnen keine Wirkung erga omnes hatte und der Klagegrund eines Verstoßesgegen das Diskriminierungsverbot daher als unbegründet zurückzuweisen ist.

b) Zu den Rügen, die die Ungültigkeit der Verfahrenshandlungen vor dem Erlaßder Entscheidung betreffen

Vorbringen der Parteien

175.
    Elf Atochem und BASF tragen vor, die Nichtigerklärung der Entscheidung 1988durch den Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juni 1994 habe ex tunc gewirkt.Daher hätte die von der Entscheidung 1988 verschiedene zweite Entscheidungjedenfalls erst nach Abschluß eines neuen Verwaltungsverfahren ergehen dürfen.

176.
    Nach Ansicht von Wacker, Hoechst und Hüls hat die Nichtigerklärung der dasVerwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung 1988 durch den Gerichtshofipso jure die Rechtswidrigkeit des gesamten kontradiktorischenVerwaltungsverfahrens, d. h. des Verfahrens seit der Mitteilung derBeschwerdepunkte, nach sich gezogen (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnrn.48 bis 52, und vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission,Slg. 1983, 3151, Randnr. 30; Urteile des Gerichts vom 18. Dezember 1992 in denRechtssachen T-10/92, T-11/92, T-12/92 und T-15/92, Cimenteries CBRu. a./Kommission, Slg. 1992, II-2667, Randnr. 47, und SIV u. a./Kommission,Randnr. 83). Das streitige Verfahren vor der Kommission und die abschließendeEntscheidung bildeten ein einheitliches Verwaltungsverfahren. Infolgedessen sei diezweite Entscheidung rechtswidrig, da die Kommission vor Erlaß dieserEntscheidung kein neues Verwaltungsverfahren durchgeführt habe. ZurBegründung dieser Ansicht tragen Wacker und Hoechst vor, daß die Handlungenin einem Verwaltungsverfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 nurvorbereitende Handlungen seien, deren Rechtmäßigkeit nur zusammen mit derverfahrensabschließenden Entscheidung überprüft werden könne (Urteil desGerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission,Slg. 1981, 2639, Randnrn. 9 ff., und Beschluß des Gerichtshofes vom 18. Juni 1986in den Rechtssachen 142/84 und 156/84, Reynolds/Kommission, Slg. 1986, 1899,Randnrn. 13 ff.).

177.
    Infolgedessen hätte die Kommission nach Ansicht von Wacker, Hoechst und Hülsnach der Nichtigerklärung für den Erlaß einer neuen Entscheidung ein neuesstreitiges Verwaltungsverfahren (Urteil Cimenteries CBR u. a./Kommission) unterBeachtung sämtlicher wesentlichen hierfür vorgeschriebenen Formvorschrifteneinleiten müssen.

178.
    Nach Ansicht von Wacker und Hoechst läßt sich zudem weder dem Tenor noch derBegründung des Urteils vom 15. Juni 1994 entnehmen, daß der Gerichtshof dasVerwaltungsverfahren, das zum Erlaß der Entscheidung 1988 geführt habe,entgegen diesen Grundsätzen bis zum Zeitpunkt des festgestellten Verstoßes habefortbestehen lassen wollen (Urteil des Gerichtshofes vom 6. März 1979 in derRechtssache 92/78, Simmenthal/Kommission, Slg. 1979, 777, Randnrn. 106 bis 109).Schließlich habe die Kommission kein Recht zur Nachbesserung bei Verletzungwesentlicher Formvorschriften (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Februar 1979 inden Rechtssachen 15/76 und 16/76, Frankreich/Kommission, Slg. 1979, 321,

Randnrn. 7 bis 11; Schlußanträge des Generalanwalts Warner in der Rechtssache30/78, Distillers Company/Kommission, Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1980,Slg. 1980, 2229, 2267, 2297 ff.).

179.
    Enichem trägt vor, die Nichtigerklärung der Entscheidung 1988 habe dieVerfahrenshandlungen beseitigt, die dieser Entscheidung vorausgegangen unddieser untergeordnet seien. Diesen Handlungen komme nämlich eine eigenständigeBedeutung zu; sie könnten im übrigen für sich genommen nicht Gegenstand einerNichtigkeitsklage sein (Urteile IBM/Kommission und Cimenteries CBRu. a./Kommission).

180.
    Nach Ansicht von Montedison hat ein zu einer Geldbuße verurteiltes UnternehmenAnspruch auf ein Vorverfahren. Es treffe daher nicht zu, daß die dem fehlerhaftenAbschnitt vorausgegangenen Verfahrensabschnitte für den Erlaß einer neuenHandlung rechtsgültig blieben, insbesondere wenn das Verwaltungsverfahren dasRecht auf eine streitige Erörterung und die Verteidigungsrechte der betroffenenPartei schützen solle. Die verschiedenen Verfahrensabschnitte seien nämlichnotwendige Etappen, die die Kommission zurücklegen müsse, bevor sie eineGeldbuße verhängen könne (Urteil IBM/Kommission, Randnr. 17).

181.
    Die Kommission macht geltend, daß das betroffene Organ einem Nichtigkeitsurteilnur dann nachkomme, wenn es nicht nur den Tenor des Urteils beachte, sondernauch die Gründe, die zu diesem geführt hätten und die dessen notwendigeGrundlage bildeten (Urteil Asteris u. a./Kommission, Randnr. 27). Im vorliegendenFall sei der einzige Grund für die Nichtigerklärung der Entscheidung 1988 derVerstoß gegen den die Ausfertigung von Rechtsakten betreffenden Artikel 12Absatz 1 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnung der Kommission (Urteil vom15. Juni 1994, Randnrn. 76 bis 78). Infolgedessen sei das vorangegangeneVerwaltungsverfahren durch das Urteil des Gerichtshofes weder betroffen noch inFrage gestellt worden.

182.
    Nach Artikel 176 EG-Vertrag sei zur Durchführung eines Urteils die Lagewiederherzustellen, wie sie vor Eintritt der vom Gerichtshof beanstandetenUmstände bestanden habe (Urteil des Gerichts vom 15. Juli 1993 in denRechtssachen T-17/90, T-28/91 und T-17/92, Camara Alloisio u. a./Kommission, Slg.1993, II-841, Randnr. 79). Die Kommission habe daher unter Beachtung derverletzten Formvorschriften eine neue Entscheidung erlassen können (Urteil desGerichtshofes vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-331/88, Fedesa u. a.,Slg. 1990, I-4023, Randnr. 34; Schlußanträge des Generalanwalts Mischo, UrteilFedesa u. a., Slg. 1990, 4042, Nr. 57, und Urteil Cimenteries CBRu. a./Kommission, Randnr. 47).

Würdigung durch das Gericht

183.
    Nummer 2 des Tenors des Urteils vom 15. Juni 1994 lautet:

„Die Entscheidung 89/190/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.865, PVC)wird für nichtig erklärt.“

184.
    Um die Tragweite des Urteils, mit der die Entscheidung 1988 für nichtig erklärtworden ist, zu bestimmen, sind die Gründe dieses Urteils heranzuziehen. DieseGründe benennen nämlich zum einen die Bestimmung, die als rechtswidrigangesehen wird, und lassen zum anderen die spezifischen Gründe der im Tenorfestgestellten Rechtswidrigkeit erkennen (Urteil Asteris u. a./Kommission, Randnr.27, und Urteile des Gerichts vom 5. Juni 1992 in der Rechtssache T-26/90,Finsider/Kommission, Slg. 1992, II-1789, Randnr. 53 und des Gerichtshofes vom 12.November 1998 in der Rechtssache C-415/96, Spanien/Kommission, Slg. 1998,I-6993, Randnr. 31).

185.
    Aus der Begründung des Urteils vom 15. Juni 1994 ergibt sich, daß dieEntscheidung 1988 für nichtig erklärt worden ist, weil sie nicht nach Artikel 12Absatz 1 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnung der Kommission festgestelltworden ist.

186.
    Nach der Feststellung, daß die Kommission u. a. verpflichtet ist, geeigneteMaßnahmen zu treffen, damit der vollständige Wortlaut der vom Kollegiumangenommenen Rechtsakte eindeutig bestimmt werden kann (Randnr. 73), hat derGerichtshof auf Artikel 12 Absatz 1 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnungverwiesen, der lautet: „Die von der Kommission in einer Sitzung oder imschriftlichen Verfahren gefaßten formellen Beschlüsse werden in der Sprache oderin den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, durch die Unterschriften desPräsidenten und des Exekutivsekretärs festgestellt“ (Randnr. 74).

187.
    Weiter heißt es in dem Urteil: „Anders als die Kommission meint, ist die in diesemArtikel 12 Absatz 1 vorgesehene Ausfertigung der Rechtsakte keine bloßeFormalie, die ihr Erinnerungsvermögen stützen soll; sie soll vielmehr dieRechtssicherheit gewährleisten, indem sie den vom Kollegium angenommenenWortlaut in allen verbindlichen Sprachen feststellt. Damit ermöglicht sie es, imStreitfall die vollkommene Übereinstimmung der zugestellten oder veröffentlichtenTexte mit dem angenommenen Text und damit zugleich mit dem Willen der sieerlassenden Stelle zu prüfen“ (Randnr. 75). „Artikel 12 Absatz 1 derGeschäftsordnung der Kommission, der die Ausfertigung der Rechtsakte vorsieht,stellt somit eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Artikels 173 [desVertrages] dar, wegen deren Verletzung die Nichtigkeitsklage gegeben ist“(Randnr. 76).

188.
    Nach dem Hinweis, daß die Kommission nicht bestritten hat, die streitigeEntscheidung nicht gemäß den Bestimmungen ihrer Geschäftsordnung festgestelltzu haben, ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, daß die Entscheidung 1988„wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften für nichtig zu erklären [ist], ohne

daß auf die anderen von den Klägerinnen erhobenen Rügen eingegangen zuwerden braucht“ (Randnr. 78).

189.
    Aus den wiedergegebenen Randnummern folgt, daß der Gerichtshof dieEntscheidung 1988 wegen eines Verfahrensfehlers für nichtig erklärt hat, derausschließlich die Art und Weise betraf, in der diese Entscheidung schließlich vonder Kommission erlassen wurde. Da der festgestellte Verfahrensfehler im letztenAbschnitt des Verfahrens zum Erlaß der Entscheidung 1988 aufgetreten ist, berührtdie Nichtigerklärung nicht die Gültigkeit der Maßnahmen, die zur Vorbereitungdieser Entscheidung vor dem Abschnitt getroffen worden sind, in dem dieser Fehleraufgetreten ist (in diesem Sinne Urteile Fedesa u. a., Randnr. 34, undSpanien/Kommission, Randnr. 32).

190.
    Diese Feststellung wird auch nicht durch die Argumentation einiger Klägerinnenentkräftet, wonach die Nichtigerklärung der Entscheidung 1988 zwangsläufig dieVerfahrenshandlungen vor dieser Entscheidung beseitigt habe, da diese sich nichtvon der abschließenden Entscheidung trennen ließen. Daß rein vorbereitendeMaßnahmen nicht mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden können (UrteilIBM/Kommission, Randnr. 12), erklärt sich daraus, daß die Kommission ihrenStandpunkt noch nicht endgültig festgelegt hat. Daraus ergibt sich aber nicht, daßdie Gültigkeit dieser Maßnahmen in Frage gestellt wird, wenn die abschließendeEntscheidung aufgrund eines Verfahrensfehlers für nichtig erklärt wird, der wie imvorliegenden Fall in einem auf diese Maßnahmen folgenden Abschnitt aufgetretenist.

191.
    Diese Feststellung wird auch nicht durch die Argumente entkräftet, die auf dasUrteil Cimenteries CBR u. a./Kommission gestützt werden. In den Verfahren, diezu diesem Urteil geführt haben, hat das Gericht die Klagen, die von denKlägerinnen namentlich gegen die Entscheidung der Kommission, ihnen keineEinsicht in sämtliche zu ihrer Akte gehörenden Schriftstücke zu gewähren, erhobenworden waren, mangels einer anfechtbaren Handlung als unzulässig abgewiesen.Das Gericht hat dazu im Rahmen der rechtlichen Würdigung festgestellt: „Wennnun aber das Gericht bei einer Klage gegen eine das Verwaltungsverfahrenabschließende Entscheidung ein — in diesem Verfahren mißachtetes — Recht aufvollständige Akteneinsicht bestätigen und daher die endgültige Entscheidung derKommission wegen Verletzung des Rechts auf Anhörung aufheben würde, so wäredas gesamte Verfahren rechtswidrig gewesen“ (Randnr. 47).

192.
    Diese Verweisung auf „das gesamte Verfahren“ kann nicht losgelöst vom folgendenSatz der Urteilsbegründung ausgelegt werden, wonach die Kommission dann dasVerfahren erneut beginnen und „den betroffenen Unternehmen undUnternehmensvereinigungen Gelegenheit ... geben [könnte], ihren Standpunkt zuden gegen sie erhobenen Beanstandungen im Lichte sämtlicher neuerGesichtspunkte, zu denen ihnen von Anfang an Zugang hätte gewährt werdenmüssen, zu äußern“ (Randnr. 47). Der Wortlaut dieser Würdigung läßt erkennen,

daß das Gericht nicht der Auffassung gewesen ist, daß die Gültigkeit der Mitteilungder Beschwerdepunkte in Frage gestellt werden könnte.

193.
    Nach alledem ist festzustellen, daß die Gültigkeit der Handlungen, die den Erlaßder Entscheidung 1988 vorbereitet haben, durch die Nichtigerklärung dieserEntscheidung durch den Gerichtshof nicht in Frage gestellt worden ist.Infolgedessen sind die Rügen betreffend die Ungültigkeit dieser Handlungen alsunbegründet zurückzuweisen.

3. Zur Art und Weise des Erlasses der zweiten Entscheidung nach derNichtigerklärung der Entscheidung 1988

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerinnen

194.
    Die Klägerinnen tragen im wesentlichen vor, daß selbst dann, wenn der festgestellteFehler im letzten Verfahrensabschnitt vor Erlaß der Entscheidung 1988 aufgetretensei, die Kommission bei seiner Behebung vor Erlaß der zweiten Entscheidungbestimmte Verfahrensgarantien hätte beachten müssen.

195.
    Es handele sich gegenüber der Entscheidung 1988 um eine neue Entscheidung, dadie erstere für nichtig erklärt worden sei. Allein aufgrund dieses Umstands hättevor Erlaß der zweiten Entscheidung ein neues Verwaltungsverfahren eingeleitetwerden müssen. Nach Ansicht einiger Klägerinnen hätte das Verwaltungsverfahrenvollständig wiederholt werden müssen, während andere der Meinung sind, daßeinige Abschnitte dieses Verfahrens hätten durchgeführt werden müssen. Ganzallgemein habe die Kommission den Anspruch der Klägerinnen auf rechtlichesGehör verletzt.

— Zu den nach dem Sekundärrecht vorgeschriebenen Verfahrensabschnitten

196.
    LVM, Elf Atochem, BASF, Shell, DSM, SAV, Montedison, ICI und Hüls machengeltend, daß sie sich nicht gemäß den Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 17und 99/63 hätten äußern können, die Ausdruck des grundlegendengemeinschaftsrechtlichen Prinzips des rechtlichen Gehörs seien, das auch gelte,wenn besondere Rechtsvorschriften fehlten (Urteile des Gerichtshofes in denRechtssachen Transocean Marine Paint/Kommission, British Aerospace undRover/Kommission, Hoffmann-La Roche/Kommission, Randnr. 9, vom 29. Oktober1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewycku. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 81, Musique Diffusion françaiseu. a./Kommission, Randnrn. 9 und 10, und vom 9. November 1983 in derRechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7; Urteile desGerichts vom 10. Juli 1990 in der Rechtssache T-64/89, Automec/Kommission, Slg.1990, II-367, Randnr. 46, und vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-36/91,ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847, Randnr. 69). Nach Ansicht von SAV ist dieEntscheidung 1988 so anzusehen, als ob sie niemals bestanden hätte, so daß die

Kommission das gesamte Verwaltungsverfahren hätte wiederholen müssen, wozusie sich im übrigen im Vierten Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 49)verpflichtet habe. Zudem beruhe, so SAV und ICI, die von der Kommissionvertretene Auffassung, daß nur wesentliche Änderungen des Inhalts der für nichtigerklärten Entscheidung bei ihrer Berichtigung ein neues Verfahren rechtfertigenkönnten, auf der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum institutionellenGleichgewicht, um das es im vorliegenden Fall nicht gehe (Urteil Fedesa u. a.).

197.
ICI widerspricht dem Argument der Kommission, daß sie sich auf die Berichtigungdes vom Gerichtshof festgestellten Fehlers habe beschränken dürfen, ohne dieParteien anzuhören, denn die Entscheidung 1988 und die zweite Entscheidung seienbezüglich der Beteiligten, der wirtschaftlichen Lage des Marktes und derEntwicklung der Rechtsprechung in den Jahren vor Erlaß der zweiten Entscheidungunter unterschiedlichen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen ergangen.

198.
    SAV und Montedison machen in diesem Zusammenhang geltend, daß der fürnichtig erklärte Rechtsakt in Ausübung eines Ermessens erlassen worden sei unddas Organ deshalb den wegen eines Formfehlers für nichtig erklärten Rechtsakt nurunter Beachtung der erforderlichen Formvorschriften und der Rechte derVerteidigung neu erlassen könne, selbst wenn eine besondere Vorschrift fehle(Urteil Transocean Marine Paint/Kommission, Randnr. 16).

199.
    LVM, Elf Atochem, BASF, Shell, DSM, Wacker, Hoechst, SAV, ICI, Hüls undEnichem machen im einzelnen geltend, daß die Kommission gegen ihreVerpflichtungen, die sie sich selbst im Hinblick auf die Aufgabe desAnhörungsbeauftragten auferlegt habe, verstoßen habe, indem sie nicht vorher einVerwaltungsverfahren durchgeführt habe. Elf Atochem, Shell, SAV, ICI undEnichem verweisen auf den Beschluß der Kommission vom 23. November 1990über die Durchführung von Anhörungen im Verfahren zur Anwendung der Artikel85 und 86 EWG-Vertrag sowie der Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag (ZwanzigsterBericht über die Wettbewerbspolitik, S. 360). Nach Ansicht von BASF und Hüls hatdie Kommission gegen die Artikel 5, 6 und 7 des Beschlusses der Kommission vom8. September 1982 über das Mandat des Anhörungsbeauftragten (DreizehnterBericht über die Wettbewerbspolitik, S. 284) verstoßen.

200.
    ICI trägt vor, die Entscheidung wäre wesentlich anders ausgefallen, wenn derAnhörungsbeauftragte beteiligt worden wäre, da ICI bei dieser Gelegenheitnamentlich die Verjährung der Handlungen, die Verzögerung beim Erlaß derEntscheidung, die Weigerung der Kommission, ihr Akteneinsicht zu gewähren, dieFrage der Selbstbezichtigung, die Tragweite des Artikels 20 der Verordnung Nr. 17und den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise hätte geltend machen können.

201.
    Nach Ansicht von Hüls war die Beteiligung des Anhörungsbeauftragten im Jahr1988 nicht geeignet, diesem die Wahrnehmung seiner Aufgaben im Jahr 1994 zuermöglichen; tatsächlich müsse ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen derBeteiligung des Anhörungsbeauftragten und dem Erlaß der entsprechenden

Entscheidung bestehen. Die Haltung der Kommission im vorliegenden Fall sei umso befremdlicher, als die Rolle des Anhörungsbeauftragten erweitert worden sei(Dreiundzwanzigster Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nr. 203 ff; Beschluß94/810/EGKS, EG der Kommission vom 12. Dezember 1994 über das Mandat desAnhörungsbeauftragten in Wettbewerbsverfahren vor der Kommission, ABl. L 330,S. 67).

202.
    Enichem trägt ergänzend vor, das von der Kommission angeführte Urteil desGerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-9/89 (Hüls/Kommission, Slg.1992, II-499) lasse nicht den Schluß zu, daß die Anhörung desAnhörungsbeauftragten nicht in jedem Verfahren ein verbindlich vorgeschriebenerAbschnitt sei. Wäre der Anhörungsbeauftragte gehört worden, hätte er sich zurZweckmäßigkeit des Erlasses einer neuen Entscheidung, zu den Nummern 55 bis59 der Entscheidungsbegründung, die gegenüber der Begründung derursprünglichen Entscheidung neu gewesen seien (Urteil des Gerichtshofes vom 29.Juni 1994 in der Rechtssache C-135/92, Fiskano/Kommission, Slg. 1994, I-2885,Randnr. 40) und in die ausschließliche Zuständigkeit des Kollegiums derKommissionsmitglieder fielen, zur Höhe der Geldbuße, die in diskriminierenderWeise und unzutreffend nach dem Umsatz 1987 statt dem des Jahres 1993festgesetzt worden sei, zur Frage der Verjährung, die entgegen der Ansicht derKommission ein materieller Klagegrund sei, zur Regelung der Akteneinsicht, zurWirkung erga omnes des Urteils des Gerichtshofes, zur Anwendung desGrundsatzes der Rechtskraft, nach dem die Kommission zum Erlaß der zweitenEntscheidung, die den gleichen Sachverhalt betroffen habe, nicht befugt gewesensei und mit deren Erlaß gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen habe, sowiezur Entwicklung des PVC-Marktes, von dem sich die Klägerin 1986 zurückgezogenhabe, indem sie ihre Geschäftstätigkeiten auf ein Unternehmen übertragen habe,das sie zu 50 % gemeinsam mit ICI gegründet habe und an dem sie nur noch eineMinderheitsbeteiligung halte, äußern können. Die zweite Entscheidung hättedadurch im Kern berührt werden können. Aufgrund der von der Kommissiongetroffenen Entscheidung habe die Klägerin sich gezwungen gesehen, Klage zuerheben, um eine solche Stellungnahme abgeben zu können.

203.
    LVM, Elf Atochem, BASF, DSM, Wacker, Hoechst, SAV, ICI, Hüls und Enichemsind der Ansicht, daß die Kommission gegen ihre Verpflichtung zur Anhörung desBeratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen (nachstehend: BeratenderAusschuß) vor Erlaß der Entscheidung verstoßen habe; die Anhörung sei in Artikel10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 vorgeschrieben. Der Beratende Ausschußmüsse nämlich vor Erlaß jeder Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegendie Wettbewerbsregeln gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17festgestellt werde, und vor jeder Entscheidung über die Verhängung einerGeldbuße gemäß Artikel 15 Absatz 3 dieser Verordnung beteiligt werden. Da diezweite Entscheidung gegenüber der ursprünglichen neu gewesen sei, sei dieAnhörung des Beratenden Ausschusses, die 1988 stattgefunden habe, entwederunwirksam oder unzureichend. Die zweite Entscheidung müsse daher wegen

Verletzung wesentlicher Formvorschriften für nichtig erklärt werden (Schlußanträgedes Generalanwalts Gand, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 707, 709 bis711, des Generalanwalts Warner, Distillers Company/Kommission, Slg. 1980, 2267,2293, und des Generalanwalts Sir Gordon Slynn in den Rechtssachen 228/82 und229/82, Ford/Kommission, Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1984, Slg.1984, 1129, 1147, 1173; einige Klägerinnen verweisen auch auf die Rechtsprechungzur Verletzung der Anhörungspflicht: Urteil des Gerichtshofes vom 21. Dezember1954 in der Rechtssache 2/54, Italien/Hohe Behörde, Slg. 1954, 78, Urteil RoquetteFrères/Rat sowie Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-65/90,Parlament/Rat, Slg. 1992, I-4593, vom 5. Oktober 1993 in den RechtssachenC-13/92, C-14/92, C-15/92 und C-16/92, Driessen u. a., Slg. 1993, I-4751, und vom1. Juni 1994 in der Rechtssache C-388/92, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2067). Dasvon der Kommission angeführte Urteil des Gerichtshofes vom 15. Mai 1975 in derRechtssache 71/74 (Frubo/Kommission, Slg. 1975, 563) sei dagegen nichteinschlägig, da sich die allgemeine Anhörung der Mitgliedstaaten im Rahmen derVerordnung Nr. 26/62 des Rates vom 4. April 1962 zur Anwendung bestimmterWettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und auf denHandel mit diesen Erzeugnissen (ABl. 1962, Nr. 30, S. 993) in einer Situation, inder die Kommission keine Zweifel habe, nicht mit der Anhörung des BeratendenAusschusses vergleichen lasse, wie sie im einzelnen in der Verordnung Nr. 17geregelt sei.

204.
    Die Anhörung des Beratenden Ausschusses sei um so mehr aus den beidenfolgenden Gründen geboten gewesen. Erstens sei, so tragen BASF, Wacker,Hoechst, SAV, Hüls und Enichem vor, die Entscheidung die erste nach der vomGemeinschaftsrichter ausgesprochenen Nichtigerklärung einer gegenüber denselbenUnternehmen ergangenen früheren Entscheidung gewesen. Wie von SAV und ICIvorgetragen wird, hätte der Beratende Ausschuß, der eng an der abgestimmtenEntwicklung der Wettbewerbspolitik zu beteiligen sei (Dreizehnter Bericht über dieWettbewerbspolitik, Nr. 79), aufgrund der ihm übertragenen Aufgabe zurZweckmäßigkeit des Erlasses einer neuen Entscheidung gehört werden müssen,wenn die frühere für nichtig erklärt worden sei, was offenkundig — Präzedenzfällein der Rechtsprechung fehlten — unter die Wettbewerbspolitik falle. Da der Erlaßeiner neuen Entscheidung nach der Nichtigerklärung der früheren in das Ermessender Kommission falle, wäre eine Anhörung des Beratenden Ausschusses über dieZweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens um so notwendiger gewesen. Im übrigensei die Kommission in der Vergangenheit in dieser Weise vorgegangen(Entscheidung 75/649/EWG der Kommission vom 23. Oktober 1975 betreffend einVerfahren nach Artikel 85 des Vertrages (IV/223 — Transocean Marine PaintAssociation) (ABl. L 286, S. 24).

205.
    Zweitens, so BASF, Wacker, Hoechst, ICI, Hüls und Enichem, hätte der BeratendeAusschuß auch wegen der textlichen Änderungen, die die Entscheidung gegenüberder ursprünglichen Entscheidung aufweise, aber — nach Ansicht einiger Klägerinnen— auch wegen der Länge des Verfahrens, der besonderen Umstände, die zurNichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung geführt hätten, der bei der

Sachverhaltsaufklärung vor dem Gericht festgestellten Fehler der Kommission, dergegen diese Entscheidung erhobenen Klagen und der Marktentwicklung für diesesErzeugnis seit 1988 gehört werden müssen. ICI verweist in diesem Zusammenhangdarauf, daß die Änderung der Zusammensetzung des Beratenden Ausschussesebenfalls eine erneute Anhörung dieses Organs rechtfertige. In demselbenZusammenhang macht BASF geltend, daß die Anhörung des BeratendenAusschusses den betroffenen Unternehmen auch ein faires Verfahren und denAnspruch auf rechtliches Gehör gewährleisten solle, wie sich aus den Artikeln 1,7 Absatz 1 und 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 99/63 ergebe.

206.
    Nach Ansicht von BASF, Wacker, Hoechst und ICI hätte diese Anhörung dieKommission dazu bringen können, eine andere Entscheidung, insbesonderehinsichtlich der Geldbußen, zu erlassen oder sogar auf den Erlaß der zweitenEntscheidung zu verzichten. Durch die Streichung zweier Sätze in Randnummer 37der ursprünglichen Entscheidung über die schädlichen Wirkungen des Kartells hatdie Kommission nach Meinung von BASF einen Gesichtspunkt fallengelassen, derzwangsläufig Einfluß auf die Entscheidung über die Verhängung einer Geldbußeund deren Bemessung gehabt habe.

207.
    BASF und ICI sind darüber hinaus der Ansicht, wenn der Beratende Ausschuß vorder Erneuerung einer Freistellung gehört werden müsse, müsse er auch gehörtwerden, wenn die Kommission anstelle einer für nichtig erklärten Entscheidungeine neue Entscheidung erlasse.

208.
    LVM und DSM machen im einzelnen geltend, daß die Kommission dadurch, daßsie den Beratenden Ausschuß nicht vor Erlaß der Entscheidung angehört habe, denMitgliedstaaten die Möglichkeit genommen habe, bei der Festlegung dergemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik mitzuwirken. Die obligatorische Anhörungdes Beratenden Ausschusses fördere die Bemühungen um das institutionelleGleichgewicht auf diesem Gebiet. Der Verstoß gegen diese Verpflichtung müssedaher zur Nichtigerklärung der zweiten Entscheidung wegen Verletzungwesentlicher Formvorschriften und sogar wegen Unzuständigkeit führen, wenn dieseVerpflichtung dahin verstanden werde, daß sie die Zustimmung der zuständigenBehörden der Mitgliedstaaten verlange.

209.
    Nach Ansicht von SAV kann die Rechtsprechung zum institutionellenGleichgewicht, die die Verpflichtung der Anhörung des Parlaments zu einemRichtlinienvorschlag betreffe, der anschließend geändert worden sei (insbesondereUrteil vom 16. Juli 1992, Parlament/Rat), nicht auf den Fall übertragen werden,daß der Beratende Ausschuß zu einer den Adressaten beschwerenden neuenEntscheidung nicht gehört worden sei.

210.
    Schließlich rügen SAV und ICI einen Verstoß der Kommission gegen Artikel 190des Vertrages, da die Bezugsvermerke der Entscheidung sich nur auf die Anhörungdes Beratenden Ausschusses vor Erlaß der Entscheidung 1988 bezögen.

211.
    Auch SAV trägt im einzelnen vor, daß die Kommission gegen ihre Verpflichtungzur Zusammenarbeit mit der EFTA-Überwachungsbehörde verstoßen habe.Insbesondere die Artikel 53, 56 und 58 des Abkommens über den EuropäischenWirtschaftsraum, das am 2. Mai 1992 in Porto unterzeichnet und am 1. Januar 1994in Kraft getreten sei, sowie dessen Protokolle 21 und 23, verpflichteten dieKommission zur Zusammenarbeit mit der EFTA-Überwachungsbehörde bei derFestlegung der Wettbewerbspolitik und beim Erlaß individueller Entscheidungenauf diesem Gebiet. Durch das Versäumnis, den Beratenden Ausschuß anzuhören,habe die Kommission der EFTA-Überwachungsbehörde die Möglichkeitgenommen, ihren Standpunkt darzulegen. Die Verpflichtung zur Zusammenarbeitmit dieser Behörde bestehe allein aufgrund der Tatsache des Erlasses einerEntscheidung, unabhängig davon, ob diese Entscheidung mit einer früheren, fürnichtig erklärten Entscheidung identisch sei. Zudem hätte dieÜberwachungsbehörde zur Zusammenarbeit mit der Kommission aufgerufenwerden müssen, da es sich um eine Sache handele, die die Wettbewerbspolitik inFrage stelle.

— Zu dem von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch auf rechtliches Gehör

212.
    Die Kommission habe in mehrfacher Hinsicht das Recht der Unternehmen aufMitteilung ihres Standpunkts verletzt.

213.
    Erstens tragen LVM und DSM vor, schon die Absicht, einen neuen beschwerendenRechtsakt zu erlassen, begründe die Verpflichtung, die Parteien hierzu zu hören(Urteil des Gerichtshofes vom 12. Februar 1992 in den Rechtssachen C-48/90 undC-66/90, Niederlande u. a./Kommission, Slg. 1992, I-565, Randnr. 44). ICI meint,sie hätte jedenfalls zu der Frage gehört werden müssen, ob eine neue Entscheidungin dem konkreten Fall wünschenswert oder ratsam sei.

214.
    Zweitens tragen SAV, Hüls und Enichem vor, die Vorentscheidung, vom normalenVerfahren für den Erlaß einer Entscheidung abzuweichen, hätte eine Anhörung derParteien zu dieser Vorentscheidung gerechtfertigt.

215.
    Nach Ansicht von SAV hat die Kommission eine Wahl getroffen, als sie sich dafürentschieden habe, nicht das gesamte Verwaltungsverfahren für den Erlaß derzweiten Entscheidung erneut durchzuführen. Das Recht des Adressaten einesRechtsakts, über die Bedingungen informiert zu werden, unter denen dieKommission eine Entscheidung erlassen wolle, erlege der Verwaltung auch ohneeine besondere Regelung eine dem entsprechende Verpflichtung auf (Urteile desGerichtshofes vom 27. Juni 1991 in den Rechtssachen C-49/88, Al-Jubail Fertilizerund Saudi Arabian Fertilizer/Rat, Slg. 1991, I-3187, Randnr. 16, Niederlandeu. a./Kommission). Die Kommission hätte daher die Unternehmen zu derbeabsichtigten Verfahrensentscheidung hören müssen.

216.
    Hüls trägt vor, sie hätte Gelegenheit erhalten müssen, zu der Rechtmäßigkeit desvon der Kommission nach dem Urteil vom 15. Juni 1994 beabsichtigten Verfahrens,

insbesondere zu der Frage, ob eine neue Entscheidung ohne erneute Anhörunghabe erlassen werden können, Stellung zu nehmen.

217.
    BASF, Wacker, Hoechst und Hüls weisen darauf hin, daß die Kommission, diehinsichtlich des Vorgehens für den Erlaß der zweiten Entscheidung unsichergewesen sei, ihren Juristischen Dienst um ein Gutachten hierzu gebeten habe.BASF, Hüls und Wacker beantragen, der Kommission aufzugeben, diesesGutachten zu den Akten zu reichen, oder, so der Antrag von BASF, wenn nur einemündliche Stellungnahme abgegeben worden sei, den Bediensteten zu hören, derdiese abgegeben habe.

218.
    Drittens tragen LVM, BASF, Shell, DSM, SAV, ICI und Enichem vor, der Erlaßeiner neuen Entscheidung beinhalte die Verpflichtung der Kommission, vor Erlaßeines beschwerenden Rechtsakts die betroffenen Unternehmen zu hören (Urteiledes Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84,Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2263, Randnr. 27, vom 10. Juli 1986 in derRechtssache 40/85, Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2321, Randnr. 28, vom 11.November 1987 in der Rechtssache 259/85, Frankreich/Kommission, Slg. 1987,4393, Randnr. 12, vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87,Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnr. 29, und Niederlandeu. a./Kommission, Randnr. 44). Die Unternehmen hätten sich dann insbesonderezu der Entwicklung der Rechtsprechung zum Begriff der abgestimmtenVerhaltensweise und der Art und Weise, den Nachweis für eine solche zu führen,äußern können. Ebenso hätten sie zu der Entwicklung der Rechtsprechung zu denBedingungen der Einsicht in die Akten der Kommission, der Auslegung derVerjährungsvorschriften, der Verzögerung, mit der die Kommission entschiedenhabe, der Diskriminierung im Verhältnis zu Norsk Hydro und Solvay und demGrundsatz ne bis in idem Stellung nehmen können.

219.
    Wacker, Hoechst und ICI vertreten in diesem Zusammenhang die Ansicht, daß dieKommission den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht allein auf die gegenübereinem Unternehmen erhobenen Vorwürfe beschränken könne. Ein Unternehmenmüsse seinen Standpunkt darlegen können, wenn die Kommission neue, bishernoch nicht mitgeteilte Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art einbringe.

220.
    Nach Meinung von LVM und DSM entbindet auch die Möglichkeit für dieUnternehmen, die Streitigkeit dem Gericht zu unterbreiten, die Kommission nichtdavon, die Unternehmen vor Erlaß einer Entscheidung zu hören (Urteil vom 29.Juni 1995 in der Rechtssache T-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 108). Der Verstoßgegen ein grundlegendes Recht könne auf diese Weise nicht geheilt werden, ohnedaß gegen das institutionelle Gleichgewicht verstoßen werde.

221.
    Nach Ansicht von SAV hätte das frühere Verfahren nur dann in dem Abschnittwiederaufgenommen werden dürfen, in dem der Fehler aufgetreten sei, wenn esauf den neuesten Stand gebracht worden wäre, was bedeute, daß die Kommission

die zwischenzeitlich eingetretenen tatsächlichen und rechtlichen Änderungen hätteberücksichtigen müssen (Urteile des Gerichtshofes vom 3. Oktober 1991 in derRechtssache C-261/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437, British Aerospace undRover/Kommission, Schlußanträge des Generalanwalts Van Gerven in dieserRechtssache, Slg. 1992, I-504, Nrn. 10 und 12). SAV meint, daß sie hätte angehörtwerden müssen, um sich auf die Entwicklung der Rechtsprechung (vorstehend,Randnr. 218) berufen zu können, was zum besonderen Zweck desVerwaltungsverfahrens gehöre. Im übrigen ändere die Tatsache allein, daß SAVsich im Rahmen der vorliegenden Klage auf diese Rechtsprechung berufen könne,nichts an der Verpflichtung der Kommission, sie hierzu vorher anzuhören, was zueiner anderen Entscheidung hätte führen können.

222.
    Viertens vertreten LVM, Elf Atochem, BASF, Shell, DSM, Wacker, Hoechst, SAV,ICI, Hüls und Enichem die Ansicht, daß die Unternehmen hätten angehört werdenmüssen, weil die Entscheidung in wesentlichen Punkten textliche Abweichungengegenüber der ursprünglichen Entscheidung aufweise (Urteile des Gerichtshofesvom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 51/69, Bayer/Kommission, Slg. 1972, 745,Randnr. 11, und in der Rechtssache 55/69, Cassella/Kommission, Slg. 1972, 887,Randnr. 11). Dies gelte für die Beurteilung der Verjährungsvorschriften, dieStreichung zweier Sätze zu den Kartellwirkungen (Randnr. 37 der Entscheidung),die Hinzufügung eines Teils, der das Verfahren seit 1988 betreffe, sowie dieAuslassung von Solvay und Norsk Hydro. Shell meint darüber hinaus, daß dieAufrechterhaltung der Abstellungsverfügung (Artikel 2 der Entscheidung) ein Belegdafür sei, daß die Kommission über Informationen bezüglich des Zeitraums1988—1994 verfügt haben müsse, zu denen Shell nicht gehört worden sei.

223.
    Fünftens trägt BASF vor, daß das frühere Verwaltungsverfahren mit derEntscheidung 1988 abgeschlossen worden sei, so daß eine erneute Anhörung derUnternehmen erforderlich gewesen wäre.

224.
    Sechstens tragen BASF, Wacker, Hoechst, ICI und Hüls vor, daß sie hättenangehört werden müssen, weil ein Zeitraum von sechs Jahren zwischen derAnhörung und dem Erlaß der zweiten Entscheidung vergangen sei. In diesem Sinnemacht auch Shell geltend, daß der Zeitraum zwischen der angeblichenZuwiderhandlung und dem Erlaß der Entscheidung übermäßig lang gewesen sei;es stelle sich somit die Frage, ob das Verfahren nicht unbillig sei und sichungerecht zum Nachteil der Klägerin auswirke. BASF, Wacker, Hoechst und Hülsmachen geltend, das Verfahren zur Feststellung einer Zuwiderhandlung, das zueiner Festsetzung von Geldbußen führe, habe eine abschreckende Funktion (UrteilMusique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 106) und einen quasi-strafrechtlichen Charakter. Daher müßten gleiche Garantien wie in einemStrafverfahren gelten. Unter diesen Garantien sei insbesondere das Erforderniseines angemessenen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Anhörung undEntscheidung zu nennen (Urteil des Gerichts vom 7. Juli 1994 in der RechtssacheT-43/92, Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441, Randnr. 167). DerZeitraum von sechs Jahren, der im vorliegenden Fall zwischen diesen beiden

Zeitpunkten verstrichen sei und nicht den Unternehmen angelastet werden könne,da die Entscheidung 1988 mit schweren Mängeln behaftet gewesen sei, könne nichtals angemessen angesehen werden. Angesichts der Veränderungen des PVC-Marktes, der Lage von BASF und der wesentlichen Änderungen am Text derEntscheidung wäre für den Erlaß der Entscheidung eine erneute Anhörung derUnternehmen unter Berücksichtigung sämtlicher zum Zeitpunkt ihres Erlassesbestehender tatsächlicher und rechtlicher Umstände erforderlich gewesen.

225.
    ICI macht schließlich geltend, sie sei nicht in der Lage gewesen, ihre Interessenwirksam zu verteidigen, da zwischen ihrer schriftlichen und mündlichenStellungnahme und dem Erlaß der Entscheidung sechs Jahre verstrichen seien; dasRecht, seinen Standpunkt gebührend darzulegen, setze nämlich voraus, in demrechtlichen und tatsächlichen Kontext gehört zu werden, wie er unmittelbar vorErlaß einer Entscheidung bestehe.

Vorbringen der Kommission

226.
    Zu dem Vorbringen der Klägerinnen führt die Kommission aus, daß dieEntscheidung 1988 durch das Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 gegenüberden Klägerinnen für nichtig erklärt worden sei, weil diese Entscheidung unterVerstoß gegen Artikel 12 Absatz 1 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnung derKommission nicht festgestellt worden sei (Urteil vom 15. Juni 1994, Randnrn. 76bis 78).

227.
    Daher sei die Gültigkeit des Verfahrens, das bis zu dem Abschnitt durchgeführtworden sei, in dem der Fehler aufgetreten sei, nicht in Frage gestellt. Somit sei dieKommission berechtigt gewesen, dem Urteil des Gerichtshofes in der Weisenachzukommen, daß sie sich auf den Erlaß einer ordnungsgemäß festgestelltenEntscheidung beschränkt habe, da zum einen nach der Nichtigerklärung derEntscheidung keine neue Vorschrift über das Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag erlassen worden sei und es zum anderen keine neuen Tatsachen gebe, weildie zur Last gelegten Handlungen lange zurücklägen. Dies entspreche im übrigendem besonderen Zweck des vorherigen Verwaltungsverfahrens (Urteil desGerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVBund VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, Randnr. 52). Jede andere Lösung wäre einübertriebener Formalismus (Urteil Frubo/Kommission, Randnr. 11).

228.
    Die textlichen Unterschiede zwischen der Entscheidung 1988 und der zweitenEntscheidung seien nicht wesentlich (Urteile des Gerichtshofes in der RechtssacheACF Chemiefarma/Kommission, Randnr. 178, vom 4. Februar 1982 in derRechtssache 817/79, Buyl u. a./Kommission, Slg. 1982, 245, Randnr. 23, Fedesau. a., vom 16. Juli 1992, Parlament/Rat, und vom 1. Juni 1994, Parlament/Rat), sodaß die von einigen Klägerinnen angeführte Rechtsprechung (namentlich dieUrteile Transocean Marine Paint/Kommission und British Aerospace undRover/Kommission) nicht einschlägig sei.

229.
    In Wirklichkeit seien die Änderungen am Text rein redaktioneller Art undrechtfertigten nicht die Eröffnung einer Anhörung, da diese Zusätze keinebeschwerenden Punkte enthielten. Wenn zwei Sätze der Randnummer 37 derdeutschen Fassung der Entscheidung 1988 in derselben Randnummer der zweitenEntscheidung nicht mehr auftauchten, so allein aus Gründen der Abstimmung mitden anderen ebenfalls verbindlichen Sprachfassungen. Da die Anpassung desTextes keine Beschwer enthalte, sei eine Anhörung dieser Klägerinnen hierzu nichtnotwendig gewesen.

230.
    Da der Fehler, der zur Nichtigerklärung der Entscheidung 1988 geführt habe, klarauf den letzten Abschnitt des Erlasses der Entscheidung begrenzt gewesen sei unddie zweite Entscheidung sich in nichts wesentlich von der früheren unterscheide,seien sämtliche Verfahrensabschnitte vor Erlaß der Entscheidung 1988 rechtsgültiggeblieben.

231.
    Da es somit keine neuen Beschwerdepunkte gegen die Klägerinnen gegeben habe,sei die Kommission nicht verpflichtet gewesen, eine neue Mitteilung derBeschwerdepunkte an die Unternehmen zu richten oder diesen Gelegenheit zugeben, sich mündlich oder schriftlich zu äußern, oder den Anhörungsbeauftragtenmit der Sache zu befassen, was sich von den ersten beiden Verfahrensabschnittennicht abtrennen lasse.

232.
    Die Kommission sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Beratenden Ausschußanzuhören. Aufgrund der Nichtigerklärung der Entscheidung 1988 sei die Anhörungdes Beratenden Ausschusses am 30. November 1988 als Anhörung vor Erlaß derzweiten Entscheidung anzusehen, da es keine neuen Beschwerdepunkte gegebenhabe. Dem Sinn und Zweck des Artikels 10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 seidamit genügt. Der Hinweis auf das Äußerungsrecht des Beratenden Ausschussesim Zusammenhang mit der Erneuerung einer Freistellungsentscheidung sei imvorliegenden Fall nicht einschlägig. Eine solche Erneuerung betreffe nämlich einenanderen zeitlichen Bezugsrahmen, so daß die Beurteilungen sich auf verschiedeneParameter stützten.

233.
    In den Rechtssachen BASF und ICI trägt die Kommission vor, ihr Standpunktbezüglich des Beratenden Ausschusses schließe unwesentliche Textanpassungen wiedie bezüglich der Verjährung und der Streichung zweier Sätze in der deutschenFassung der Entscheidung nicht aus. Die Rechtssache Transocean MarinePaint/Kommission, auf die sich SAV beziehe, zeige, daß eine neue Stellungnahmenur erforderlich sei, wenn ein sachlicher Gesichtspunkt dem Beratenden Ausschußursprünglich nicht unterbreitet worden sei. Dies sei hier nicht der Fall.

234.
    Im übrigen sei die Kommission nicht an die Stellungnahme des BeratendenAusschusses gebunden, wie sich aus Artikel 10 Absatz 6 Satz 2 der Verordnung Nr.17 ergebe.

235.
    In der Rechtssache SAV sei der Beratende Ausschuß jedenfalls über die Antwortdieses Unternehmens auf die Beschwerdepunkte unterrichtet worden (UrteileMichelin/Kommission, Randnr. 7, und Hüls/Kommission, Randnr. 86); dieseBeschwerdepunkte hätten sich seit 1988 nicht geändert. Eine Anhörung desBeratenden Ausschusses zur Zweckmäßigkeit des Erlasses einer neuenEntscheidung sei nirgendwo vorgeschrieben.

236.
    Schließlich sei nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 99/63 die Anhörung desBeratenden Ausschusses erst nach Anhörung der Parteien vorgeschrieben. Da eineerneute Anhörung der Parteien nicht erforderlich gewesen sei, sei aus den gleichenGründen eine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses nicht gebotengewesen (Urteil des Gerichtshofes vom 21. September 1989 in den Rechtssachen46/87 und 227/88, Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859, Randnr. 54).

237.
    Im übrigen habe allein die Kommission zu beurteilen, ob der Erlaß einerEntscheidung oder einer neuen Entscheidung zweckmäßig sei (Urteil ParkerPen/Kommission, Randnr. 65), so daß sie die Parteien über eine beabsichtigteVerfahrensentscheidung nicht anzuhören brauche. Im übrigen gebe es keineeigenständige Entscheidung der Kommission, ein anderes als das gesetzlichvorgesehene Verfahren zu wählen.

238.
    Schließlich sei die angebliche Weiterentwicklung der Rechtsprechung zum Begriffder abgestimmten Verhaltensweise und zur Frage der Akteneinsicht nicht erheblich,da es keinen Bezug zu den den Referenzzeitraum betreffenden Beschwerdepunktengebe. Diese angebliche Weiterentwicklung der Rechtsprechung habe somit nicht zueiner Änderung der den Klägerinnen zur Last gelegten Beschwerdepunkte geführt.Wenn diese Entwicklung von den Klägerinnen geltend gemacht werden könne, umdie Nichtigerklärung des vorherigen Verwaltungsverfahrens zu erreichen, könne siejedenfalls nicht dazu führen, daß die Entscheidung deshalb für nichtig erklärtwerde, weil das Verfahren nicht wiedereröffnet worden sei.

239.
    Im übrigen seien die Verfahrensfragen, die in der Rechtsprechung weiterentwickeltworden seien, normalerweise nicht Teil der Mitteilung der Beschwerdepunkte undseien von der Kommission in ihrer Entscheidung nicht geprüft worden (Urteile vom14. Juli 1972, ICI/Kommission, und Michelin/Kommission). Die Gesichtspunkte zurAkteneinsicht, die in der Entscheidung genannt würden, gehörten nicht zu der denverfügenden Teil tragenden wesentlichen Begründung.

240.
    In der Rechtssache Elf Atochem liege das Argument der Klägerin, daß sie zurAnwendung der Grundsätze ne bis in idem und der Verhältnismäßigkeit hättegehört werden müssen, neben der Sache, da es im vorliegenden Fall um keinendieser Grundsätze gehe. Zudem sei das Argument, das diese Klägerin aus derEntwicklung des PVC-Marktes zwischen 1988 und 1994 herleite, unerheblich, dadiese Entwicklung, selbst wenn man sie als gegeben unterstellte, auf die Beurteilungder Ereignisse zwischen 1980 und 1984 keinen Einfluß habe. In demselben Sinne

verweist die Kommission in der Rechtssache T-313/94 darauf, daß die Entscheidungkeinen Anhaltspunkt dafür enthalte, daß Vorgänge aus den Jahren 1988—1994 zurStützung des Artikels 2 des verfügenden Teils herangezogen worden wären.

241.
    In den Rechtssachen BASF, Wacker und Hoechst erwidert die Kommission auf dendie Länge des Zeitraums zwischen Anhörung und Entscheidung betreffendenKlagegrund, daß das Verwaltungsverfahren in Wettbewerbssachen keinStrafverfahren sei und der Grundsatz der Mündlichkeit ihm fremd sei. Aus diesemGrunde sei nichts dagegen einzuwenden, daß die Mitglieder der Kommission derAnhörung nicht persönlich beiwohnten und sich über deren Ergebnisse durchPersonen unterrichten ließen, die die Kommission gemäß Artikel 9 Absatz 1 derVerordnung Nr. 99/63 hierzu beauftragt habe (Urteil vom 15. Juli 1970,Boehringer/Kommission, Randnr. 23). Im übrigen sorge der Anhörungsbeauftragtedafür, daß über die Anhörung eine Niederschrift angefertigt und von dembetroffenen Unternehmen durchgelesen und genehmigt werde.

242.
    Schließlich begründe der bloße Zeitablauf zwischen der Zuwiderhandlung und derzweiten Entscheidung, zwischen der Entscheidung 1988 und der zweitenEntscheidung sowie zwischen der Anhörung und der zweiten Entscheidung keinRecht auf Anhörung, da die Verfolgungsverjährung nach dem Willen desGesetzgebers der Gemeinschaft während des Gerichtsverfahrens ruhe (Artikel 3der Verordnung Nr. 2988/74). Shell, die die Dauer zwischen der Zuwiderhandlungund der zweiten Entscheidung rüge, habe insoweit keinen Schaden erlitten.

243.
    Im übrigen sei die Entscheidung nicht überraschend ergangen. Die Kommissionhabe nämlich ihre Absichten am Tag der Verkündung des Urteils des Gerichtshofesdurch ein Pressekommuniqué bekanntgegegben.

244.
    Schließlich habe die Kommission nicht gegen Bestimmungen des EWR-Abkommensverstoßen; dieses sei nämlich in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar, da die derEntscheidung zugrunde liegenden Ereignisse vor dem Inkrafttreten diesesAbkommens am 1. Januar 1994 stattgefunden hätten.

245.
    In den Rechtssachen BASF, Wacker und Hüls trägt die Kommission vor, daß es einGutachten ihres Juristischen Dienstes zu der Frage, ob eine neue Entscheidunggegenüber den PVC-Herstellern auf der Grundlage des vor Erlaß der Entscheidung1988 durchgeführten Verwaltungsverfahrens möglich sei, nicht existiere. Selbst wennes ein solches gäbe, wäre es jedenfalls ein rein internes Schriftstück und Drittennicht zugänglich (Urteil Hüls/Kommission, Randnr. 86).

Würdigung durch das Gericht

246.
    Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen,namentlich zu Geldbußen oder zu Zwangsgeldern führen können, einenfundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der auch in einem

Verwaltungsverfahren beachtet werden muß (Urteil Hoffmann-LaRoche/Kommission, Randnr. 9).

247.
    In Durchführung dieses Grundsatzes verpflichten Artikel 19 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17 und Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63 die Kommission, inihrer Endentscheidung nur die Beschwerdepunkte in Betracht zu ziehen, zu denendie beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sich äußern konnten.

248.
    Das Recht der betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, sichim schriftlichen und im mündlichen Teil des Verwaltungsverfahrens zu den von derKommission in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten zu äußern, ist einwesentlicher Bestandteil der Verteidigungsrechte (Urteil Hoechst/Kommission,Randnr. 52). Die Anhörung ist nämlich erforderlich, damit „die Unternehmen undUnternehmensvereinigungen nach Abschluß der Untersuchungen das Recht haben,sich zu allen Beschwerdepunkten zu äußern, die die Kommission in ihrenEntscheidungen in Betracht ziehen will“ (dritte Begründungserwägung derVerordnung Nr. 99/63).

249.
    Die Wahrung der Verteidigungsrechte verlangt daher, daß den betroffenenUnternehmen oder Unternehmensvereinigungen die Möglichkeit eingeräumt wird,sich zu den Beschwerdepunkten zu äußern, die die Kommission gegenüber deneinzelnen Betroffenen in ihrer endgültigen Entscheidung, mit der sie einen Verstoßgegen die Wettbewerbsregeln feststellt, in Betracht ziehen will.

250.
    Im vorliegenden Fall ist bereits festgestellt worden, daß die Nichtigerklärung derEntscheidung 1988 nicht die Gültigkeit der Maßnahmen berührt, die zurVorbereitung dieser Entscheidung vor dem Abschnitt getroffen worden sind, in demdieser Fehler aufgetreten ist (vorstehend, Randnr. 189). Die Gültigkeit der jederKlägerin Anfang April 1988 zugestellten Mitteilung der Beschwerdepunkte ist daherdurch das Urteil vom 15. Juni 1994 nicht in Frage gestellt worden. Ebenso ist ausden gleichen Gründen die Gültigkeit des mündlichen Teils desVerwaltungsverfahrens, der im September 1988 vor der Kommission stattgefundenhat, nicht beeinträchtigt.

251.
    Daher war eine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen vor Erlaß derzweiten Entscheidung nur erforderlich, soweit diese gegenüber der vom Gerichtshoffür nichtig erklärten ursprünglichen Entscheidung neue Beschwerdepunkte enthielt.

252.
    Die Klägerinnen bestreiten nicht, daß die zweite Entscheidung gegenüber der von1988 keinen neuen Beschwerdepunkt enthält. Somit war es richtig, daß dieKommission die Entscheidung erließ, ohne eine erneute Anhörung der betroffenenUnternehmen durchzuführen. Daß die Entscheidung unter anderen tatsächlichenund rechtlichen Umständen erging, als sie bei Erlaß der ursprünglichenEntscheidung herrschten, bedeutet keineswegs, daß die Entscheidung neueBeschwerdepunkte enthielt.

253.
    Da die Kommission nicht verpflichtet war, die betroffenen Unternehmen erneutanzuhören, hat sie nicht gegen ihren Beschluß vom 23. November 1990 über dieDurchführung von Anhörungen in Verfahren zur Anwendung der Artikel 85 und86 EWG-Vertrag sowie der Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag verstoßen. DieserBeschluß galt nämlich nicht während des dem Erlaß der Entscheidungvorangegangenen mündlichen Teils des Verwaltungsverfahrens.

254.
    Was den Beratenden Ausschuß betrifft, dessen Zuständigkeit, Zusammensetzungund Anhörung in Artikel 10 Absätze 3 bis 6 der Verordnung Nr. 17 geregelt sind,so hat dieser seine Stellungnahme zum Entscheidungsvorschlag der Kommission am1. Dezember 1988 abgegeben.

255.
    Der Auffassung der Klägerinnen, daß die Kommission den Beratenden Ausschußaufgrund der Umstände des vorliegenden Falles vor Erlaß der zweitenEntscheidung erneut hätte anhören müssen, kann nicht gefolgt werden.

256.
    Artikel 1 der Verordnung Nr. 99/63 lautet nämlich: „Bevor die Kommission denBeratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen anhört, nimmt sie eineAnhörung nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 vor.“ Diese Vorschriftbestätigt, daß die Anhörung der beteiligten Unternehmen und die des Ausschussesin denselben Fällen erforderlich sind (Urteil Hoechst/Kommission, Randnr. 54).

257.
    Wie das Gericht bereits festgestellt hat (vorstehend, Randnr. 252), war imvorliegenden Fall eine erneute Anhörung der betroffenen Unternehmen vor Erlaßder zweiten Entscheidung nicht erforderlich. Da diese Entscheidung gegenüber derEntscheidung 1988, die auf einen Entscheidungsvorschlag zurückging, zu dem derAusschuß gemäß Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 gehört worden war,nur redaktionelle Änderungen enthielt, die an den Beschwerdepunkten nichtsänderten, war eine erneute Anhörung des Beratenden Ausschusses nicht notwendig.

258.
    Die Entscheidung erwähnt in ihrer Einleitung ausdrücklich die Anhörung desBeratenden Ausschusses. Die Rüge von SAV und ICI, die Entscheidung seiinsoweit unzureichend begründet, ist daher zurückzuweisen.

259.
    Zu der Rüge eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit derEFTA-Überwachungsbehörde genügt die Feststellung, daß eine erneute Anhörungder betroffenen Unternehmen und eine erneute Anhörung des BeratendenAusschusses vor Erlaß der zweiten Entscheidung nicht erforderlich waren und daßdie einschlägigen Bestimmungen des EFTA-Abkommens und der Protokolle 21 und23 auf das laufende Verwaltungsverfahren nicht anwendbar waren. DieseBestimmungen sind nämlich am 1. Januar 1994 in Kraft getreten, als dieVerfahrensabschnitte, die eine Zusammenarbeit zwischen der Kommission und derEFTA-Überwachungsbehörde vorschreiben, nämlich die Anhörung derUnternehmen und die Anhörung des Beratenden Ausschusses, bereits beendetwaren.

260.
    Die Klägerinnen berufen sich auch auf die Rechtsprechung, nach der dieBeachtung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu einer die Betroffenenbeschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz desGemeinschaftsrechts ist und auch dann sichergestellt werden muß, wenn einebesondere Regelung fehlt (namentlich Urteil Niederlande u. a./Kommission,Randnr. 44).

261.
    Aus dieser Rechtsprechung läßt sich jedoch nicht herleiten, daß die Kommissiondie Klägerinnen vor Erlaß der sie beschwerenden Maßnahme hätte erneut anhörenmüssen.

262.
    Das Verwaltungsverfahren zur Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 85 EG-Vertrag richtet sich nach den Verordnungen Nrn. 17 und 99/63. DieseSonderregelung enthält Bestimmungen (vorstehend, Randnr. 247), die denGrundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte ausdrücklich und wirksamgewährleisten.

263.
    Unabhängig davon gebietet nach dieser Rechtsprechung der Grundsatz derWahrung der Verteidigungsrechte, daß dem Adressaten der Entscheidung vor Erlaßder ihn beschwerenden endgültigen Entscheidung eine genaue und vollständigeDarstellung der Beschwerdepunkte, die die Kommission gegen ihn in Betrachtziehen will, mitgeteilt wird.

264.
    Somit läßt sich entgegen der Auffassung der Klägerinnen aus dieserRechtsprechung nicht herleiten, daß der Kommission, wenn sie gegen mehrereUnternehmen ein Verfahren zur Feststellung eines Verstoßes gegen dieWettbewerbsregeln der Gemeinschaft einleitet, zur Wahrung derVerteidigungsrechte zu mehr verpflichtet ist, als diesen Unternehmen im Laufedieses Verfahrens Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit derbehaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission für ihreBehauptung einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts herangezogenen Unterlagengebührend Stellung zu nehmen.

265.
    Auch das Urteil Transocean Marine Paint/Kommission, das die Klägerinnen für dieangebliche Notwendigkeit einer erneuten Anhörung angeführt haben, ist imvorliegenden Fall nicht einschlägig, da es einen besonderen Fall betrifft, nämlichdie Wahrung der Verteidigungsrechte eines Unternehmens, wenn die Kommissioneine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag von bestimmten Auflagenabhängig machen will.

266.
    Somit war die Kommission nicht verpflichtet, vor Erlaß der zweiten Entscheidungdie betroffenen Unternehmen zu dem von ihr beabsichtigten Erlaß einer neuenbeschwerenden Maßnahme, zu ihrer Verfahrensentscheidung, zu verschiedenenAusführungen, die bestimmte tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte betrafen,oder zu den Abweichungen zwischen dem Text der zweiten Entscheidung und dem

der für nichtig erklärten ursprünglichen Entscheidung zu hören. Es isthervorzuheben, daß nicht behauptet worden ist, daß diese Punkte neueBeschwerdepunkte darstellten.

267.
    Daran, daß die Kommission zu einer erneuten Anhörung der betroffenenUnternehmen nicht verpflichtet war, ändert auch der Umstand nichts, daß zwischendem mündlichen Teil des Verwaltungsverfahrens und dem Erlaß der zweitenEntscheidung sechs Jahre vergangen sind. Diese Unternehmen hatten nämlichGelegenheit, im September 1988 mündlich zu den Beschwerdepunkten Stellung zunehmen, die sich seither nicht geändert haben und in der zweiten Entscheidunggegen sie verwandt worden sind.

268.
    Selbst wenn der Juristische Dienst der Kommission ein Gutachten zu der Frageerstellt hätte, ob gegen die PVC-Hersteller eine neue Entscheidung auf derGrundlage des der Entscheidung 1988 vorangegangenen Verwaltungsverfahrensergehen könnte, ist zur Wahrung der Verteidigungsrechte nicht erforderlich, daßdie an einem Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag beteiligtenUnternehmen zu einem solchen Gutachten Stellung nehmen können, das ein reinkommissionsinternes Dokument darstellt. Die Kommission ist nicht verpflichtet,dem Gutachten ihres Juristischen Dienstes zu folgen, so daß dieses keinentscheidender Faktor ist, den der Gemeinschaftsrichter bei seiner Prüfung zuberücksichtigen hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil Hüls/Kommission, Randnr. 86).

269.
    Zurückzuweisen ist auch das Argument von LVM und DSM (vorstehend, Randnr.140), daß die Entscheidung deshalb rechtswidrig sei, weil sie ohne eine vorherigeUntersuchung ein zur Erreichung des angestrebten Zieles des Wettbewerbsschutzesunverhältnismäßiges Mittel darstelle. Dazu genügt die Feststellung, daß dieKommission nicht verpflichtet war, die betroffenen Unternehmen vor Erlaß derzweiten Entscheidung erneut anzuhören. Die von den Klägerinnen vertreteneAuffassung, es bestehe ein Mißverhältnis, beruht somit auf einer falschen Prämisse.

270.
    Nach alledem sind sämtliche Rügen der Klägerinnen zurückzuweisen.

B — Unregelmäßigkeiten bei Erlaß und Feststellung der Entscheidung

271.
    Einige Klägerinnen machen geltend, daß bei Erlaß und Feststellung derEntscheidung der Kommission Unregelmäßigkeiten vorgekommen seien.

272.
    Wacker und Hoechst haben in der Sitzung den Klagegrund der mangelhaftenFeststellung der Entscheidung fallengelassen, was der Kanzler zu Protokollgenommen hat. Die Rücknahme dieses Klagegrundes umfaßt auch den Klagegrundder mangelnden Übereinstimmung zwischen den Wacker und Hoechst zugestelltenAbschriften der Entscheidung und dem Original, da dieser zweite Klagegrund engmit dem ersten zusammenhängt.

273.
    Das Vorbringen der Klägerinnen gliedert sich in mehrere Klagegründe.

1. Zu den Klagegründen, die die Rechtswidrigkeit der Geschäftsordnung derKommission vom 17. Februar 1993 betreffen

Vorbringen der Parteien

274.
    LVM und DSM verweisen darauf, daß die Entscheidung aufgrund derBestimmungen der Geschäftsordnung der Kommission vom 17. Februar 1993 (ABl.L 230, S. 16; nachstehend: Geschäftsordnung) ergangen sei. Nach Artikel 16 dieserGeschäftsordnung würden die gefaßten Beschlüsse dem Protokoll der Sitzungbeigefügt, in der sie angenommen worden seien, und durch die Unterschriften desPräsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite dieses Protokollsfestgestellt.

275.
    Nach Ansicht von LVM und DSM kann eine Partei sich auf die Verletzung einersolchen Geschäftsordnung als einer wesentlichen Formvorschrift berufen (Urteilvom 27. Februar 1992, BASF u. a./Kommission, Randnr. 75). Im vorliegenden Fallstehe die Regelung über die Feststellung nicht im Einklang mit den Grundsätzen,die in den Urteilen vom 27. Februar 1992 (BASF u. a./Kommission, Randnrn. 75und 78) und vom 15. Juni 1994 (Randnrn. 75, 76 und 78) aufgestellt worden seienund nach denen die Verpflichtung zur Feststellung durch die Unterschrift desPräsidenten und des Generalsekretärs der Kommission auf dem Rechtsakt selbstein grundlegendes Erfordernis des Gemeinschaftsrechts zum Ausdruck bringe, dasauf Erwägungen der Rechtssicherheit beruhe. Infolgedessen gebe es keinenverbindlichen, ordnungsgemäß festgestellten Rechtsakt in niederländischer Sprache.

276.
    Enichem macht geltend, daß die Kommission mit Erlaß der Entscheidung entwedergegen die im Urteil vom 15. Juni 1994 aufgeführten Grundsätze oder gegen ihreGeschäftsordnung verstoßen habe. Die Artikel 2 und 16 dieser Geschäftsordnungüber die Ermächtigung zum Erlaß von Beschlüssen bzw. die Feststellung der nachdiesem Verfahren gefaßten Beschlüsse seien nicht mit dem Kollegialprinzipvereinbar.

277.
    Die Art und Weise der Feststellung der Beschlüsse nach Artikel 16 derGeschäftsordnung gewährleiste nicht die vom Gerichtshof geforderteRechtssicherheit, da das Protokoll und nicht die beschlossene Maßnahmefestgestellt werde.

278.
    Die Kommission entgegnet auf die Klagegründe von LVM und DSM, daß diegegen die Geschäftsordnung erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit unzulässig sei.Die Geschäftsordnung eines Organs sei nämlich kein Rechtsakt mit allgemeinerGeltung, der in allen seinen Teilen verbindlich und in allen Mitgliedstaaten für dieZwecke des Artikels 184 EG-Vertrag unmittelbar anwendbar sei. Jedenfallsverwechselten LVM und DSM das Kollegialprinzip nach Artikel 163 EG-Vertragund die Feststellung der Beschlüsse. Die Behauptung sei falsch, daß Artikel 12 derGeschäftsordnung in der bei Erlaß der Entscheidung 1988 geltenden Fassung der

einzige Weg zur Einhaltung des Kollegialprinzips sei (Urteil vom 15. Juni 1994,Randnrn. 72 bis 77).

279.
    Enichem habe weder nachgewiesen, inwiefern die Geschäftsordnung nicht imEinklang mit dem Urteil des Gerichtshofes stehe, noch dargetan, inwiefern derMangel an Übereinstimmung Aspekte des Erlasses der Entscheidung betreffe(Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-35/92,Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957).

Würdigung durch das Gericht

280.
    Das Vorbringen der Klägerinnen ist dahin zu verstehen, daß sie dieRechtswidrigkeit einiger Bestimmungen der Geschäftsordnung der Kommissiongeltend machen, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung galten. DieKlägerinnen stellen nämlich inzidenter gemäß Artikel 184 EG-Vertrag dieGültigkeit einiger Bestimmungen der Geschäftsordnung in Frage, indem sie sich aufeinen der Klagegründe im Rahmen der in Artikel 173 EG-Vertrag genanntenRechtmäßigkeitskontrolle berufen, nämlich die Verletzung des Vertrages oder einerbei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm.

281.
    Die Einrede der Rechtswidrigkeit von Bestimmungen der Geschäftsordnung bestehtaus zwei Teilen. Erstens machen LVM, DSM und Enichem geltend, Artikel 16Absatz 1 der Geschäftsordnung über die Art und Weise der Feststellung dergefaßten Beschlüsse laufe dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider, wie ihn derGerichtshof im Urteil vom 15. Juni 1994 erläutert habe. Zweitens macht Enichemgeltend, daß Artikel 2 Buchstabe c und 16 Absatz 2 der Geschäftsordnung über dasErmächtigungsverfahren dem Kollegialprinzip zuwiderliefen.

— Zur Zulässigkeit der Einrede der Rechtswidrigkeit

282.
    Das Gericht hält es für erforderlich, von Amts wegen die Zulässigkeit der Einrededer Rechtswidrigkeit insgesamt zu prüfen, ohne sich nur auf die Entgegnung derKommission zu beschränken.

283.
    Artikel 184 EG-Vertrag lautet: „Ungeachtet des Ablaufs der in Artikel 173 Absatz5 genannten Frist kann jede Partei in einem Rechtsstreit, bei dem es auf dieGeltung einer vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam erlassenenVerordnung oder einer Verordnung des Rates, der Kommission oder der[Europäischen Zentralbank] ankommt, vor dem Gerichtshof die Unanwendbarkeitdieser Verordnung aus den in Artikel 173 Absatz 2 genannten Gründen geltendmachen.“

284.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil Simmenthal/Kommission,Randnrn. 39 bis 41) ist Artikel 184 EG-Vertrag der Ausdruck eines allgemeinenGrundsatzes, der jeder Partei das Recht gewährleistet, zum Zweck derNichtigerklärung einer sie unmittelbar und individuell betreffenden Entscheidung

die Gültigkeit derjenigen früheren Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane zubestreiten, die die Rechtsgrundlage für die angegriffene Entscheidung bilden, fallsdie Partei nicht das Recht hatte, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag unmittelbar gegendiese Rechtshandlungen zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne daßsie ihre Nichtigerklärung hätte beantragen können.

285.
    Artikel 184 EG-Vertrag ist daher weit auszulegen, damit eine wirksameRechtmäßigkeitskontrolle der Handlungen der Organe gewährleistet ist. In diesemSinn hat der Gerichtshof im Urteil Simmenthal/Kommission (Randnr. 40) bereitsfestgestellt, daß das Anwendungsgebiet dieses Artikels sich auf diejenigenHandlungen der Gemeinschaftsorgane erstrecken muß, die, obwohl nicht in Formeiner Verordnung ergangen, gleichartige Wirkungen wie eine solche entfalten.

286.
    Artikel 184 EG-Vertrag ist auch auf die Bestimmungen einer Geschäftsordnungeines Organs anzuwenden, die zwar nicht die Rechtsgrundlage der angefochtenenEntscheidung bilden und keine gleichartigen Wirkungen wie die Bestimmungeneiner Verordnung im Sinne dieses Artikels entfalten, aber die wesentlichenFormvorschriften festlegen, deren Beachtung für den Erlaß dieser Entscheidungerforderlich ist und die deshalb die Rechtssicherheit für die Adressaten dieserEntscheidung gewährleisten. Jeder Adressat einer Entscheidung kann nämlichinzidenter die Rechtswidrigkeit des Rechtsakts geltend machen, von dem dieformelle Gültigkeit dieser Entscheidung abhängt, auch wenn der betreffendeRechtsakt nicht die Rechtsgrundlage der Entscheidung ist, sofern der Betroffenenicht die Möglichkeit hatte, die Nichtigerklärung dieses Rechtsakts vor derMitteilung der streitigen Entscheidung zu beantragen.

287.
    Infolgedessen kann gegenüber den Bestimmungen der Geschäftsordnung derKommission die Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben werden, sofern diese demSchutz des einzelnen dienen.

288.
    Die Einrede der Rechtswidrigkeit ist auf das zu beschränken, was für dieEntscheidung des Rechtsstreits unerläßlich ist.

289.
    Artikel 184 hat nämlich nicht den Zweck, einer Partei zu gestatten, dieUnanwendbarkeit eines Rechtsakts allgemeinen Charakters mit jeder beliebigenKlage geltend zu machen. Der allgemeine Rechtsakt, dessen Rechtswidrigkeitgeltend gemacht wird, muß unmittelbar oder mittelbar auf denstreitgegenständlichen Fall anwendbar sein, und es muß ein unmittelbarerrechtlicher Zusammenhang zwischen der angegriffenen Entscheidung und dembetreffenden allgemeinen Rechtsakt bestehen. (Urteile des Gerichtshofes vom 31.März 1965 in der Rechtssache 21/64, Macchiorlati Dalmas e Figli/Hohe Behörde,Slg. 1965, 241, 259, vom 13. Juli 1966 in der Rechtssache 32/65, Italien/Rat undKommission, Slg. 1966, 457, 487, und Urteil des Gerichts vom 26. Oktober 1993 inden Rechtssachen T-6/92 und T-52/92, Reinarz/Kommission, Slg. 1993, II-1047,Randnr. 57).

290.
    Im vorliegenden Fall zielt der zweite Teil der Einrede der Rechtswidrigkeit auf dieFeststellung, daß die Bestimmungen der Geschäftsordnung der Kommission überdie Ermächtigung gegen das Kollegialprinzip verstießen. Enichem behauptet abernicht einmal, daß die Entscheidung im Rahmen einer übertragenen Zuständigkeiterlassen worden sei, und trägt auch nichts vor, was dies nahelegen könnte. DaEnichem einen unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang zwischen derEntscheidung und den Bestimmungen der Geschäftsordnung, derenRechtswidrigkeit sie geltend macht, nicht dargetan hat, ist der zweite Teil derEinrede der Rechtswidrigkeit als unzulässig zurückzuweisen.

291.
    Zum ersten Teil der Einrede der Rechtswidrigkeit ist festzustellen, daß dieEntscheidung nach Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung festgestellt wordenist. Somit besteht ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen derEntscheidung und diesem Artikel der Geschäftsordnung, dessen Rechtswidrigkeitdie Klägerinnen geltend machen.

292.
    Artikel 16 der Geschäftsordnung regelt die Art und Weise der Feststellung desRechtsakts, der die Klägerinnen beschwert. Die Feststellung der Rechtsakte in derin der Geschäftsordnung der Kommission vorgesehenen Art und Weise soll dieRechtssicherheit gewährleisten, indem sie den vom Kollegium angenommenenWortlaut in allen verbindlichen Sprachen feststellt (Urteil vom 15. Juni 1994,Randnr. 75). Diese Bestimmung soll somit dem Schutz der Adressaten desRechtsakts dienen und kann daher mit einer Einrede der Rechtswidrigkeitangegriffen werden.

293.
    Daraus folgt, daß der erste Teil der Einrede der Rechtswidrigkeit, die LVM, DSMund Enichem gegen Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung erhoben haben,zulässig ist. Daher ist die Begründetheit dieser Einrede hinsichtlich des angeblichenVerstoßes gegen das Erfordernis der Rechtssicherheit zu prüfen.

— Rechtswidrigkeit des Artikels 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung wegen Verstoßesgegen das Erfordernis der Rechtssicherheit

294.
    Nach Ansicht der Klägerinnen ist die Entscheidung rechtswidrig, da die in Artikel16 Absatz 1 der Geschäftsordnung vorgesehene Art und Weise der Feststellung vonRechtsakten mit dem vom Gerichtshof im Urteil vom 15. Juni 1994 angeführtenErfordernis der Rechtssicherheit unvereinbar sei.

295.
    Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung lautet in der bei Erlaß der Entscheidunggeltenden Fassung:

„Die von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefaßtenBeschlüsse werden in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlichsind, dem Protokoll der Kommissionssitzung beigefügt, in der diese Beschlüsseangenommen wurden oder in der ihre Annahme vermerkt wurde. Diese Beschlüsse

werden durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf derersten Seite dieses Protokolls festgestellt.“

296.
    Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 15. Juni 1994 festgestellt, daß dieKommission nach Artikel 162 Absatz 2 EG-Vertrag u. a. verpflichtet ist, geeigneteMaßnahmen zu treffen, damit der vollständige Wortlaut der vom Kollegiumangenommenen Rechtsakte eindeutig bestimmt werden kann (Randnrn. 72 und 73).

297.
    Nach den Ausführungen des Gerichtshofes soll die Feststellung der Rechtsaktegemäß Artikel 12 Absatz 1 der zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung 1988geltenden Geschäftsordnung, wonach die „von der Kommission in einer Sitzungoder im schriftlichen Verfahren gefaßten formellen Beschlüsse ... in der Spracheoder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, durch die Unterschriften desPräsidenten und des Exekutivsekretärs festgestellt [werden]“, die Rechtssicherheitgewährleisten, indem der vom Kollegium angenommene Wortlaut in allenverbindlichen Sprachen festgestellt wird. Weiter hat der Gerichtshof ausgeführt:„Damit ermöglicht [die Feststellung] es, im Streitfall die vollkommeneÜbereinstimmung der zugestellten oder veröffentlichten Texte mit dem [vomKollegium] angenommenen Text und damit zugleich mit dem Willen der sieerlassenden Stelle zu prüfen“ (Randnr. 75).

298.
    Unter Berücksichtigung dieser Begründung des Urteils vom 15. Juni 1994 ist zuprüfen, ob die in Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung vorgesehenenModalitäten (vorstehend, Randnr. 295) geeignet sind, den vollständigen Wortlautder vom Kollegium angenommenen Rechtsakte eindeutig zu bestimmen.

299.
    Entgegen der Ansicht der Klägerinnen hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom15. Juni 1994 nicht zu der Frage Stellung genommen, ob die Feststellung gemäßArtikel 12 Absatz 1 der zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung 1988geltenden Geschäftsordnung die im Hinblick auf das Erfordernis derRechtssicherheit einzig zulässige Art der Feststellung ist. Der Gerichtshof hat zwarausgeführt, wozu die Feststellung der Rechtsakte dient (Randnr. 75), hat aber nichtgesagt, daß sich dies nur in der Art und Weise erreichen läßt, die in Artikel 12Absatz 1 der seinerzeit geltenden Geschäftsordnung für die Feststellungvorgeschrieben war.

300.
    Im übrigen war zwischen den Parteien vor dem Gerichtshof unstreitig, daß dieKommission gegen die Regelung über die Feststellung verstoßen hatte, wie sie inder Geschäftsordnung der Kommission vorgesehen war, so daß der Gerichtshof dieursprüngliche Entscheidung wegen Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriftenfür rechtswidrig erklären konnte, ohne sich zur Rechtmäßigkeit der Feststellung,wie sie in Artikel 12 Absatz 1 der früheren Geschäftsordnung geregelt war, äußernzu müssen.

301.
    Schließlich genügt die Unterschrift auf dem Protokoll nach Ansicht der Klägerinnennicht dem Erfordernis der Rechtssicherheit, da es keinen Rechtsakt gebe, der dieUnterschrift des Präsidenten und des Generalsekretärs trage, und sich deshalb dievollkommene Übereinstimmung der zugestellten oder veröffentlichten Texte mitdem vom Kollegium der Kommissionsmitglieder angenommenen Text nichtüberprüfen lasse. Die Klägerinnen meinen daher, daß nur die erste Seite desProtokolls festgestellt sei.

302.
    Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Die Modalitäten der Feststellunggemäß Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung bieten als solche einehinreichende Garantie dafür, daß im Streitfall die vollkommene Übereinstimmungder zugestellten oder veröffentlichten Texte mit dem vom Kollegiumangenommenen Text und damit zugleich mit dem Willen der sie erlassenden Stellegeprüft werden kann. Da dieser Text dem Protokoll beigefügt ist und die ersteSeite dieses Protokolls vom Präsidenten und vom Generalsekretär unterschriebenist, besteht eine Verbindung zwischen diesem Protokoll und den Schriftstücken, aufdie es sich bezieht, die es erlaubt, sich über den genauen Inhalt und die genaueForm der Entscheidung des Kollegiums zu vergewissern.

303.
    Dabei spricht eine Vermutung dafür, daß eine Behörde gemäß den geltendenRechtsvorschriften gehandelt hat, solange die Rechtswidrigkeit ihres Handelns nichtvom Gemeinschaftsrichter festgestellt worden ist.

304.
    Infolgedessen ist die Feststellung nach den Modalitäten des Artikels 16 Absatz 1der Geschäftsordnung als rechtmäßig anzusehen. Der Klagegrund ist daherzurückzuweisen.

2. Zu den Klagegründen eines Verstoßes gegen das Kollegialprinzip und gegen dieGeschäftsordnung der Kommission

Vorbringen der Parteien

305.
    LVM und DSM machen geltend, die Kommission habe bei Erlaß der Entscheidunggegen ihre Geschäftsordnung verstoßen. In ihren Erwiderungen weisen sie daraufhin, daß die ihnen zugestellte „beglaubigte Abschrift“ der Entscheidung von demfür Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglied unterzeichnet sei, wasdafür spreche, daß die Entscheidung nicht vom Kollegium derKommissionsmitglieder, sondern unter Verstoß gegen das Kollegialprinzip nur vondem betreffenden Mitglied erlassen worden sei. Dies allein genüge, um dieVermutung der Gültigkeit der Entscheidung in Frage zu stellen (Urteile vom 29.Juni 1995 in der Rechtssache T-37/91, ICI/Kommission, und T-31/91,Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1821). LVM und DSM beantragen, derKommission aufzugeben, hierzu ergänzende Informationen vorzulegen.

306.
    Elf Atochem weist darauf hin, daß die Entscheidung kaum einen Monat nach demUrteil des Gerichtshofes ergangen sei; nach den Erklärungen eines Sprechers der

Kommission vor der Presse sei diese Entscheidung im Kollegium ohne weitereErörterung ergangen. Diese Umstände seien geeignet, die Gültigkeit derEntscheidung wegen Verstoßes gegen das Kollegialprinzip in Frage zu stellen.

307.
    Nach Ansicht der Kommission kann ein Verstoß gegen interne Vorschriften derBeschlußfassung nur geltend gemacht werden, wenn die Klägerin anhand konkreterAnhaltspunkte nachweisen könne, daß Grund für Zweifel an der Gültigkeit derBeschlußfassung bestehe. Mangels solcher Anhaltspunkte gelte der Rechtsakt derKommission als rechtsgültig ergangen (Urteil Deere/Kommission, Randnr. 31). Imvorliegenden Fall hätten die Klägerinnen keinen konkreten Anhaltspunktvorgetragen.

Würdigung durch das Gericht

308.
    Der Umstand, daß auf der Abschrift der Entscheidung, die an LVM und DSMgerichtet war, der Name des für Wettbewerbsfragen zuständigenKommissionsmitglieds und die Angabe „beglaubigte Abschrift“ („voor gelijkluidendafschrift“ auf Niederländisch) stehen, bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß dieEntscheidung unter Verstoß gegen das Kollegialprinzip ergangen ist. Nach demWortlaut der Entscheidung handelt es sich um eine „Entscheidung derKommission“. Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut, daß die „Kommission derEuropäischen Gemeinschaften“ die Entscheidung auf der Grundlage desSachverhalts und der rechtlichen Würdigung erlassen hat.

309.
    Somit führen diese Klägerinnen weder einen Anhaltspunkt noch einen konkretenUmstand an, der die Vermutung der Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungenwiderlegen könnte (vgl. namentlich Urteil Dunlop Slazenger/Kommission, Randnr.24).

310.
    Mangels eines solchen Anhaltspunktes kann das Gericht die beantragteBeweiserhebung nicht anordnen.

311.
    Die Tatsache, daß die Entscheidung kurze Zeit nach dem Urteil vom 15. Juni 1994ergangen ist und der — einmal als bewiesen unterstellte — Umstand, daß sie ohneErörterung vom Kollegium der Kommissionsmitglieder angenommen worden ist,bedeuten in keiner Weise, daß das Kollegialprinzip verletzt worden ist.

312.
    Infolgedessen sind die Klagegründe zurückzuweisen.

3. Zu dem Klagegrund bezüglich des Inhalts der dem Kollegium derKommissionsmitglieder zur Beratung vorgelegten Akte

313.
    ICI macht geltend, daß dem Kollegium der Kommissionsmitglieder infolge derMängel des Verwaltungsverfahrens vor Erlaß der Entscheidung nicht alle für dieRechtssache erheblichen Schriftstücke vorgelegen hätten und daß es insbesondere

nicht über einen neuen Bericht des Anhörungsbeauftragten und ein neues Protokollüber die Ergebnisse der Anhörung des Beratenden Ausschusses verfügt habe. DasKollegium der Kommissionsmitglieder, dessen Zusammensetzung sich gegenüber1988 erheblich geändert habe, sei daher über das Verteidigungsvorbringen von ICInicht unterrichtet gewesen.

314.
    Nach Ansicht der Kommission entbehrt dieser Klagegrund jeder rechtlichenGrundlage.

315.
    Wie bereits dargelegt, hat die Kommission nach der Nichtigerklärung derEntscheidung 1988 durch den Gerichtshof durch den Verzicht auf eine erneuteAnhörung der betroffenen Unternehmen oder eine erneute Anhörung desBeratenden Ausschusses vor dem Erlaß der Entscheidung keinen Rechtsfehlerbegangen (vorstehend, Randnrn. 246 bis 258).

316.
    Da die Klägerin von einer falschem Prämisse ausgeht, ist der Klagegrund nichtbegründet und daher zurückzuweisen.

4. Zu den Klagegründen, die den Verstoß gegen den Grundsatz der Identität vonberatendem und beschlußfassendem Organ und den Grundsatz der Unmittelbarkeitbetreffen

Vorbringen der Parteien

317.
    Nach Ansicht von Hüls kann gemäß dem Grundsatz der Identität von beratendemund beschlußfassendem Organ eine Entscheidung nur von Personen erlassenwerden, die an dem Verfahren teilgenommen oder die Möglichkeit gehabt hätten,sich einen unmittelbaren Eindruck von der Sache zu verschaffen. Im vorliegendenFall seien bei Erlaß der Entscheidung die meisten Mitglieder der Kommission,insbesondere das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied sowie derGeneraldirektor der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission(Generaldirektion IV) nicht dieselben Personen gewesen, die bei den Ermittlungenim Jahr 1988 im Amt gewesen seien.

318.
    In Wettbewerbssachen sei die Kommission nicht als Behörde als solche zuverstehen, d. h. nicht als eine von ihren Mitgliedern unabhängige Institution. Indiesem Zusammenhang seien die Artikel 1 und 12 der Geschäftsordnung, wonachdie Kommission als Kollegium handele, sowie Artikel 6 des Mandats desAnhörungsbeauftragten zu berücksichtigen.

319.
    BASF, Wacker und Hoechst machen geltend, daß die Kommission gegen denGrundsatz der Unmittelbarkeit verstoßen habe. Bei Erlaß der angefochtenenEntscheidung waren nach dem Vortrag von BASF die meisten Mitglieder derKommission und der Generaldirektor der Generaldirektion IV nicht dieselbenPersonen, die 1988 im Amt gewesen seien. Infolgedessen sei die Entscheidung vonPersonen erlassen worden, die mit dem Sachverhalt nicht völlig vertraut gewesen

seien und auch nicht die Zeit gehabt hätten, sich nach der Verkündung des Urteilsvom 15. Juni 1994 damit vertraut zu machen. Mit diesem Klagegrund werde nichtverlangt, daß die Kommissionsmitglieder bei den Anhörungen persönlich anwesendseien, sondern daß sie über das, was dort gesagt werde, aufgrund der Anwendungder Verfahrensregeln, insbesondere der Anhörung des Anhörungsbeauftragten,genau informiert seien.

320.
    Nach Ansicht von Wacker und Hoechst müssen die Personen, die die Entscheidungausarbeiteten, an den Anhörungen teilgenommen haben oder sich zumindest einenzeitlich nahen und durch unmittelbar beteiligte Dritte vermittelten Eindruck vonder Anhörung verschafft haben. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, da derüberwiegende Teil der bei der Anhörung beteiligten Kommissionsmitglieder beiErlaß der zweiten Entscheidung nicht mehr im Amt gewesen sei.

321.
    Nach Ansicht der Kommission gibt es die Grundsätze der Gleichheit und derUnmittelbarkeit nicht. Das Wettbewerbsverfahrensrecht der Gemeinschaft stelle aufFunktionsträger und nicht auf die jeweiligen Personen ab, die die betreffendenFunktionen ausübten (Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, Randnrn. 71 und 72).Es gebe keine Bestimmung, daß die verschiedenen Abschnitte desWettbewerbsverfahrens in ein und derselben Amtszeit der Mitglieder derKommission durchzuführen seien.

Würdigung durch das Gericht

322.
    Die Klägerinnen machen die Verletzung eines allgemeinen Grundsatzes derKontinuität der Zusammensetzung des Verwaltungsorgans geltend, das mit einerSache befaßt ist, die zur Verhängung einer Geldbuße führen kann.

323.
    Ein solcher allgemeiner Grundsatz besteht nicht (Urteil ACFChemiefarma/Kommission, Randnr. 72).

324.
    Somit ist dieser Klagegrund als nicht begründet zurückzuweisen.

C — Mängel des Verwaltungsverfahrens

325.
    Die Klägerinnen machen hilfsweise mehrere Klagegründe geltend, mit denen sieUnregelmäßigkeiten in dem Verwaltungsverfahren vor dem Erlaß der Entscheidungrügen. Wacker und Hoechst haben in der Sitzung den Klagegrund, mit dem sieeinen Verstoß gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl.1958, Nr. 17, S. 385) gerügt haben, fallengelassen, was vom Kanzler zu Protokollgenommen worden ist.

326.
    Bei den Klagegründen läßt sich unterscheiden zwischen denen, die Mängel bei derMitteilung der Beschwerdepunkte betreffen, und anderen, die Mängel bei der

Anhörung betreffen. Der Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Recht aufEinsicht in die Akten der Kommission geltend gemacht wird, wird im Anschluß anden Teil des Urteils geprüft, der den materiell-rechtlichen Fragen gewidmet ist.

1. Zu den Klagegründen, die angebliche Mängel bei der Mitteilung derBeschwerdepunkte betreffen

a) Zu dem Klagegrund, mit dem Formfehler bei der Mitteilung derBeschwerdepunkte geltend gemacht werden

Vorbringen der Parteien

327.
    Nach Ansicht von Wacker und Hoechst beruht die Entscheidung auf einer nichtordnungsgemäßen Mitteilung der Beschwerdepunkte. Erstens seien diese unterVerstoß gegen Artikel 2 der Verordnung Nr. 99/63 nur durch einen Bedienstetender Kommission übermittelt worden. Zweitens habe die Mitteilung derBeschwerdepunkte, die ein umfangreiches Dokument gewesen sei, das nicht habeerkennen lassen, ob es vollständig gewesen sei, gegen den genannten Artikel 2verstoßen, nach dem die Kommission die Beschwerdepunkte schriftlich mitteile. DieBeschwerdepunkte hätten folglich in einer einheitlichen schriftlichen Urkundemitgeteilt werden müssen. Drittens hätte die Mitteilung der Beschwerdepunkte vonihrem Verfasser unterzeichnet sein müssen.

328.
    Nach Ansicht der Kommission ist dieser Klagegrund offenkundig unhaltbar.

Würdigung durch das Gericht

329.
    Zu dem Vorwurf, daß ein Bediensteter der Kommission ermächtigt worden sei, dieBeschwerdepunkte mitzuteilen, ist festzustellen, daß laut den Akten dasBegleitschreiben zu der an die Klägerinnen gerichteten Mitteilung derBeschwerdepunkte vom Stellvertretenden Generaldirektor der Generaldirektion IVder Kommission im Namen des Generaldirektors dieser Generaldirektionunterzeichnet war.

330.
    Mit der Unterzeichnung dieses Schreiben hat der Stellvertretende Generaldirektornicht aufgrund einer Übertragung von Befugnissen, sondern im Rahmen einerbloßen Übertragung der Zeichnungsberechtigung durch das zuständige Mitglied derKommission an den Generaldirektor gehandelt (Urteil des Gerichtshofes vom 14.Juli 1972 in der Rechtssache 52/69, Geigy/Kommission, Slg. 1972, 787, Randnr. 5).Die Kommission übt ihre Befugnisse üblicherweise im Wege einer solchenÜbertragung aus (Urteil VBVB und VBBB/Kommission, Randnr. 14).

331.
    Da die Klägerinnen nichts vorgetragen haben, was die Annahme rechtfertigenwürde, daß das Verwaltungsorgan der Gemeinschaft im vorliegenden Fall von deneinschlägigen Rechtsvorschriften abgewichen ist (Urteil VBVB undVBBB/Kommission, Randnr. 14), ist die Rüge zurückzuweisen.

332.
    Auch die Rügen, die einen angeblichen Verstoß gegen die Formvorschriften für dieMitteilung der Beschwerdepunkte betreffen, sind zurückzuweisen.

333.
    Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 99/63 lautet: „Die Kommission teilt denUnternehmen und Unternehmensvereinigungen die in Betracht gezogenenBeschwerdepunkte schriftlich mit.“ Diese Bestimmung verlangt nicht, daß dieMitteilung der Beschwerdepunkte selbst eine eigenhändige Unterschrift trägt oderaus einer förmlichen einheitlichen Urkunde besteht.

334.
    Nach alledem ist der Klagegrund zurückzuweisen.

b) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 desRates

Vorbringen der Parteien

335.
    BASF, Hüls und Enichem werfen der Kommission einen Verstoß gegen Artikel 3der Verordnung Nr. 1 vor. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe nämlichAnlagen enthalten, die zum richtigen Verständnis der Beschwerdepunkteunerläßlich, aber nicht in der Sprache des Mitgliedstaats abgefaßt gewesen seien,dessen Hoheitsgewalt die Klägerinnen unterständen. Dies gelte auch für die vonder Kommission am 3. Mai 1988 übermittelten Schriftstücke. Nach Ansicht vonEnichem hat die Kommission auch gegen Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63verstoßen.

336.
    Die Kommission meint, daß die Argumentation der Klägerinnen im Widerspruchzum Wortlaut und zum Geist des Artikels 3 der Verordnung Nr. 1 stehe. DieÜberfülle von Reaktionen seitens dieser Klägerinnen zeige im übrigen, daß sietatsächlich keine besonderen Schwierigkeiten gehabt hätten, den gesamten Inhaltdes Beweismaterials zu verstehen.

Würdigung durch das Gericht

337.
    Die Anlagen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, die nicht von der Kommissionstammen, sind nicht als „Schriftstücke“ im Sinne des Artikels 3 der Verordnung Nr.1 des Rates zu betrachten. Sie sind vielmehr als Beweisstücke anzusehen, auf diesich die Kommission stützt. Sie müssen deshalb dem Empfänger so, wie sie sind,zur Kenntnis gebracht werden (vgl. namentlich Urteil des Gerichts vom 6. April1995 in der Rechtssache T-148/89, Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063,Randnr. 21). Die Kommission hat somit nicht gegen Artikel 3 der Verordnung Nr.1 des Rates verstoßen.

338.
    Zu dem von Enichem erhobenen Vorwurf eines Verstoßes gegen Artikel 4 derVerordnung Nr. 99/63 ist festzustellen, daß die eigentliche Mitteilung derBeschwerdepunkte, die an diese Klägerin in italienischer Sprache gerichtet war,

einschlägige Auszüge aus den Anlagen enthielt. Diese Art der Darstellung ließsomit genau erkennen, auf welchen Sachverhalt und auf welche rechtlichenArgumente sich die Kommission gestützt hatte (Urteil Tréfilunion/Kommission,Randnr. 21). Die Klägerin war infolgedessen imstande, sich angemessen zuverteidigen.

339.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

c) Zum Klagegrund einer unzureichenden Frist für die Vorbereitung der Antwortauf die Mitteilung der Beschwerdepunkte

Vorbringen der Parteien

340.
    Wacker und Hoechst machen geltend, die Kommission habe ihnen keineGelegenheit gegeben, von den Akten Kenntnis zu nehmen und anschließend ihrenStandpunkt gebührend darzulegen (Urteil des Gerichtshofes vom 27. Oktober 1977in der Rechtssache 121/76, Moli/Kommission, Slg. 1977, 1971, Randnr. 20). Mitihrer Weigerung, die den Klägerinnen für eine Stellungnahme zur Mitteilung derBeschwerdepunkte eingeräumte Frist trotz der konkreten Umstände zu verlängern,habe die Kommission sowohl gegen die Rechte der Verteidigung als auch gegenArtikel 11 der Verordnung Nr. 99/63 verstoßen.

341.
    BASF rügt, nicht über genügend Zeit zur Prüfung der Schriftstücke verfügt zuhaben, die ihr mit Schreiben vom 3. Mai 1988 übermittelt worden seien.

342.
    Die Kommission entgegnet auf das Vorbringen von Wacker und Hoechst, daßArtikel 11 der Verordnung Nr. 99/63 eingehalten worden sei. So habe die Klägerinfür die schriftliche Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zwei Monateund für die Vorbereitung auf die Anhörung im September 1988 fünf Monate Zeitgehabt. Diese Fristen seien völlig ausreichend, insbesondere wenn man sie mit denFristen des Artikels 173 Absatz 5 EG-Vertrag vergleiche (Urteil des Gerichtshofesvom 14. Februar 1978 in der Rechtssache 27/76, United Brands/Kommission, Slg.1978, 207, Randnrn. 270 bis 273). Daran ändere auch nichts, daß bestimmteAnlagen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht in der Sprache der Klägerinverfaßt gewesen seien, da die Klägerin und ihr Prozeßbevollmächtigter keineVerständnisschwierigkeiten gehabt hätten.

343.
    Zu dem Argument von BASF führt die Kommission aus, die Klägerin könnebezüglich der Schriftstücke in der Anlage zum Schreiben der Kommission vom 3.Mai 1988 angesichts des Wortlauts dieses Schreibens nicht behaupten, daß sie erstnach Erlaß der Entscheidung den Nutzen dieser Schriftstücke für ihre Verteidigungerkannt habe; die Bewertung sei ihre Sache gewesen. Da das Schreiben am 3. Mai1988 versandt worden und die Antwort am 10. Juni 1988 eingegangen sei, habe derKlägerin genügend Zeit zur Verfügung gestanden; die Klägerin habe keineFristverlängerung über diesen Zeitpunkt hinaus beantragt und sich im übrigen

ausführlich geäußert. Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 99/63 sei somiteingehalten worden.

Würdigung durch das Gericht

344.
    Artikel 2 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 bestimmt: „In der Mitteilung derBeschwerdepunkte setzt die Kommission eine Frist, innerhalb welcher dieUnternehmen und Unternehmensvereinigungen Gelegenheit haben, sich zuäußern.“ Dazu heißt es in Artikel 11 Absatz 1 dieser Verordnung: „[D]ieKommission [trägt] dem für die Äußerung erforderlichen Zeitaufwand und derDringlichkeit des Falles Rechnung. Die Frist muß mindestens zwei Wochenbetragen; sie kann verlängert werden.“

345.
    Im vorliegenden Fall wurde die Mitteilung der Beschwerdepunkte an diebetroffenen Unternehmen am 5. April 1988 versandt. Diese sollten sich bis zum 16.Mai 1988 zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen äußern.

346.
    Mit Schreiben vom 3. Mai 1988 übersandte die Kommission an die Adressaten derMitteilung der Beschwerdepunkte eine Reihe von ergänzenden Schriftstücken mitdem Hinweis, daß diese zwar in den Beschwerdepunkten nicht erwähnt seien, doch„für die Beurteilung der Sache insgesamt erheblich sein könnten“.

347.
    Wacker und Hoechst beantragten eine Fristverlängerung bis zum 15. Juli 1988. MitSchreiben vom 18. Mai 1988 gewährte die Kommission ihnen insbesondere wegender Übermittlung der ergänzenden Schriftstücke am 3. Mai 1988 eine Verlängerungbis zum 10. Juni 1988.

348.
    Auf den Antrag auf Fristverlängerung, den BASF am 5. Mai 1988 gestellt hatte undder bei der Kommission am 17. Mai 1988 eingegangen war, setzte die Kommissionmit Schreiben vom 24. Mai 1988 das Fristende für die Antwort auf die Mitteilungder Beschwerdepunkte auf den 10. Juni 1988 fest.

349.
    Unter den Umständen des vorliegenden Falles war die den Klägerinnen bewilligteFrist von etwa zwei Monaten hinreichend, um ihnen die Vorbereitung ihrerAntwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen (in diesem SinneUrteil United Brands/Kommission, Randnrn. 272 und 273).

350.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

2. Zu den Klagegründen, mit denen Mängel bei der Anhörung gerügt werden

a) Zum Klagegrund einer für die Vorbereitung der Anhörung unzureichenden Frist

351.
    Nach Ansicht von Wacker und Hoechst verfügte der Anhörungsbeauftragte nichtüber genügend Zeit, um die Anhörung vorzubereiten.

352.
    Die Kommission ist der Ansicht, daß diese Behauptung jeder Grundlage entbehre.

353.
    Selbst wenn die Klägerinnen zur Anführung eines solchen Klagegrundes berechtigtwären, haben sie nicht dargetan, inwiefern die dem Anhörungsbeauftragteneingeräumte Frist für die Vorbereitung der Anhörung für diesen nicht ausreichendgewesen sein soll, und nicht einmal vorgetragen, inwiefern dieser Umstand, wennihr Vorbringen begründet wäre, das Verwaltungsverfahren hätte fehlerhaft machenkönnen.

354.
    Somit ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

b) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1

Vorbringen der Parteien

355.
    Nach Ansicht von BASF, Wacker, Hoechst und Enichem hat die Kommission gegenArtikel 3 der Verordnung Nr. 1 verstoßen. Das Anhörungsprotokoll gebe dieÄußerungen der verschiedenen Beteiligten nur in der von diesen benutzten Sprachewieder und nicht allein in der Sprache des Mitgliedstaats, dessen Hoheitsgewaltdiese Klägerinnen unterlägen. Diese Äußerungen sind nach Meinung von BASFebenfalls von wesentlicher Bedeutung, da der Vorwurf, ein Kartell gebildet zuhaben, gegen sämtliche Unternehmen erhoben worden sei.

356.
    Die Kommission hält diesen Klagegrund für unbegründet.

Würdigung durch das Gericht

357.
    Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 lautet: „Über die wesentlichenErklärungen jeder angehörten Person wird eine Niederschrift angefertigt. DieNiederschrift wird verlesen und von der angehörten Person genehmigt.“

358.
    Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerinnen den wesentlichen Inhalt derim Protokoll niedergelegten eigenen Erklärungen gebührend zur Kenntnis nehmenkonnten.

359.
    Zudem bestreiten die Klägerinnen nicht, daß sie dem Gang der Anhörung dank desSimultandolmetschens folgen konnten. Sie behaupten auch nicht, daß dieNiederschrift mangels einer Übersetzung der Teile, die in einer anderen Spracheabgefaßt waren als der des Staates, dessen Hoheitsgewalt sie unterstehen, in bezugauf sie Ungenauigkeiten oder wesentliche Auslassungen enthalte, deren nachteiligeFolgen das Verwaltungsverfahren fehlerhaft machen könnten (Urteile ACFChemiefarma/Kommission, Randnr. 52, und Parker Pen/Kommission, Randnr. 74).

360.
    Somit ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

c) Zum Klagegrund der Unvollständigkeit des Anhörungsprotokolls

Vorbringen der Parteien

361.
    Nach Ansicht von BASF ist das Anhörungsprotokoll unvollständig. Es fehltennämlich entscheidende Teile der Ausführungen der anderen Unternehmen. Soseien in dem Protokoll entgegen den dort enthaltenen Hinweisen die Plädoyers, dieim Namen aller betroffenen Unternehmen vorgetragen worden seien, das Plädoyerder Klägerin und das anderer Unternehmen nicht beigefügt gewesen. Da es sichum Anschuldigungen wegen geheimer Abreden handele, sei die Kenntnis undPrüfung des Verteidigungsvorbringens der anderen Beteiligten von wesentlicherBedeutung. Die Kommission könne sich nicht auf Artikel 9 Absatz 4 derVerordnung Nr. 99/63 berufen, da diese Bestimmung nur die Prüfung derRichtigkeit des Inhalts des Protokolls durch die angehörte Person betreffe, nichtaber das Recht, von den Ausführungen der anderen Beteiligten Kenntnis zuerlangen.

362.
    Wacker und Hoechst tragen den gleichen Klagegrund vor und führen dazu aus, daßdas Protokoll keinen Hinweis auf die gemeinsamen Ausführungen der einzelnenUnternehmen enthalte.

363.
    Nach Ansicht der Kommission entspricht das BASF zugestellte AnhörungsprotokollArtikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63, da das Unternehmen anhand diesesProtokolls seine eigenen Erklärungen habe überprüfen können. Der Klägerin denText der Erklärungen, die die anderen betroffenen Unternehmen und ihreBevollmächtigten bei der Anhörung abgegeben hätten, zur Genehmigungvorzulegen, habe daher keinen Sinn.

364.
    Im übrigen seien BASF, Wacker und Hoechst diese Erklärungen bekannt gewesen,da sie an der Anhörung teilgenommen hätten.

Würdigung durch das Gericht

365.
    Im mündlichen Teil des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission, der vom 5. bis8. September 1988 und am 19. September 1988 durchgeführt wurde, hatten dieBeteiligten Gelegenheit zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu bestimmtenThemen.

366.
    Aus dem Anhörungsprotokoll, das jedem an diesem Verfahrensabschnitt Beteiligtenübermittelt wurde, ergibt sich, daß die gemeinsamen Stellungnahmen in einerZusammenfassung wiedergegeben wurden.

367.
    Aus dem Protokoll ergibt sich ebenfalls, daß der vollständige Wortlaut derverschiedenen im Namen der betroffenen Personen abgegebenen Stellungnahmenin den Anlagen zum Protokoll hätte enthalten sein müssen. Diese Anlagen warendem Protokoll jedoch nicht beigefügt.

368.
    Dieser Umstand ist aber kein Mangel des Verwaltungsverfahrens, das zurRechtswidrigkeit der verfahrensabschließenden Entscheidung führen kann. Artikel9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 (wiedergegeben vorstehend in Randnr. 357)soll nämlich den angehörten Personen die Gewähr bieten, daß die Niederschrift mitihren wesentlichen Erklärungen übereinstimmt (Urteil vom 14. Juli 1972,ICI/Kommission, Randnr. 29). Soweit die gemeinsamen Plädoyers die Klägerinnenbetrafen, konnten diese vom wesentlichen Inhalt dieser Erklärungen Kenntniserlangen, da die Erklärungen insoweit in das Anhörungsprotokoll aufgenommenworden waren. Im übrigen machen die Klägerinnen nicht geltend, daß dieWiedergabe dieser Erklärungen in zusammengefaßter Form Unrichtigkeitenenthalten hätte. Da diese Plädoyers im Namen der Klägerinnen gehalten wurden,können diese nicht mit Erfolg geltend machen, daß sie keine hinreichende Kenntnisvon diesen Stellungnahmen gehabt hätten.

369.
    Daß der Text der Ausführungen von BASF und der anderen Beteiligten, dieErklärungen abgegeben haben, nicht als Anlage zum Protokoll übermittelt wurde,stellt ebenfalls keinen Mangel des Verwaltungsverfahrens dar, das zurRechtswidrigkeit der Entscheidung führen könnte, da das Protokoll selbst diewesentlichen Erklärungen wiedergibt.

370.
    Jedenfalls ist festzustellen, daß BASF, Wacker und Hoechst an der Anhörungteilgenommen haben und dabei von den tatsächlich gemeinsam dargestelltenThemen und den von anderen Beteiligten individuell abgegebenen ErklärungenKenntnis erlangen konnten.

371.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

d) Zum Klagegrund der Nichtvorlage des Berichts des Anhörungsbeauftragten

Vorbringen der Parteien

372.
    Wacker und Hoechst machen geltend, daß ihnen Gelegenheit hätte gegebenwerden müssen, vom Bericht des Anhörungsbeauftragten Kenntnis zu nehmen undsich dazu zu äußern. Die Kommission habe diesen Bericht rechtswidrigerweise nichtvorgelegt.

373.
    Nach Ansicht von BASF und Hüls ist die Entscheidung rechtswidrig, weil sie nichtden Bericht des Anhörungsbeauftragten berücksichtige. Der zur Zeit derEntscheidung 1988 erstellte Bericht des Anhörungsbeauftragten könne nämlichtatsächliche und rechtliche Feststellungen enthalten, die in die gleiche Richtunggingen wie die Kritik der Unternehmen. Die Klägerinnen beantragen daher, derKommission aufzugeben, den Bericht des Anhörungsbeauftragten vorzulegen.

374.
    Die Kommission widersetzt sich dem Antrag auf Beiziehung des Berichts desAnhörungsbeauftragten mit der Begründung, daß es sich um ein Dritten nichtzugängliches internes Schriftstück handele.

Würdigung durch das Gericht

375.
    Die Wahrung der Verteidigungsrechte verlangt nicht, daß den von einem Verfahrennach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag betroffenen Unternehmen Gelegenheitgegeben wird, zu dem Bericht des Anhörungsbeauftragten, der ein rein internesSchriftstück der Kommission ist, Stellung zu nehmen. Nach der Rechtsprechung istdie Kommission an diesen Bericht, der für sie den Wert eines Gutachtens hat, inkeiner Weise gebunden. Dieser Bericht ist deshalb kein entscheidender Faktor, dender Gemeinschaftsrichter bei seiner Prüfung zu berücksichtigen hätte (Beschlußvom 11. Dezember 1986 in der Rechtssache 212/86 R, ICI/Kommission, Randnrn.5 bis 8, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Die Wahrung derVerteidigungsrechte ist nämlich rechtlich hinreichend sichergestellt, wenn die beider Ausarbeitung der endgültigen Entscheidung zusammenwirkenden Stellenkorrekt über die Argumentation der Unternehmen informiert worden sind, diediese in Beantwortung der ihnen von der Kommission mitgeteiltenBeschwerdepunkte und gegenüber den von der Kommission zur Erhärtung dieserBeschwerdepunkte vorgelegten Beweismitteln vorgetragen haben (UrteilMichelin/Kommission, Randnr. 7).

376.
    Der Bericht des Anhörungsbeauftragten dient nicht dem Zweck, das Vorbringender Unternehmen zu ergänzen, zu korrigieren, neue Beschwerdepunkte zuformulieren oder neue Beweismittel gegen die Unternehmen zu liefern (namentlichUrteile des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89,Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 54, und Hüls/Kommission,Randnr. 87).

377.
    Folglich können die Unternehmen aus dem Grundsatz der Wahrung derVerteidigungsrechte keinen Anspruch darauf ableiten, daß ihnen der Bericht desAnhörungsbeauftragten zur Stellungnahme übermittelt wird (UrteilePetrofina/Kommission, Randnr. 55, und Hüls/Kommission, Randnr. 88).

378.
    Infolgedessen ist der Klagegrund zurückzuweisen.

D — Verstoß gegen Artikel 190 EG-Vertrag

Vorbringen der Parteien

379.
    Nach Ansicht der Klägerinnen ist in mehrfacher Hinsicht gegen dieBegründungspflicht gemäß Artikel 190 EG-Vertrag verstoßen worden.

380.
    So tragen Wacker und Hoechst vor, die Entscheidung sei in drei wesentlichenPunkten nicht hinreichend begründet: bezüglich des Vorliegens derTatbestandsmerkmale einer Zuwiderhandlung, der Qualifizierung als Vereinbarungoder abgestimmte Verhaltensweise und der Beteiligung dieser Klägerinnen.

381.
    Nach Ansicht von Montedison läßt die Entscheidung nicht erkennen, aus welchenErwägungen die Kommission beschlossen habe, die Geldbußen zu bestätigen, diefür einen Sachverhalt verhängt worden seien, der zehn bis fünfzehn Jahrezurückliege (Urteil des Gerichtshofes vom 2. Mai 1990 in der Rechtssache C-27/89,Scarpe, Slg. 1990, I-1701, Randnr. 27, und Urteil des Gerichts vom 24. Oktober1991 in der Rechtssache T-3/89, Atochem/Kommission, Slg. 1991, II-1177, Randnr.222). Im vorliegenden Fall gebe es kein berechtigtes Interesse (vgl. im GegenschlußUrteile des Gerichtshofes vom 2. März 1983 in der Rechtssache 7/82,GVL/Kommission, Slg. 1983, 483, und vom 18. September 1992,Automec/Kommission, Randnr. 85), das die Ermittlungen gegen ein Unternehmenrechtfertigte, das sich seit mehr als zehn Jahren vom Markt zurückgezogen habe.

382.
    ICI macht geltend, die Entscheidung enthalte keinerlei Begründung für dieVerzögerung der Entscheidung der Kommission, für die Verfahrensentscheidung,mit der auf eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Anhörung derParteien verzichtet worden ist, für die Verwendung von Schriftstücken, die in einemanderen Ermittlungsverfahren aufgefunden worden seien, oder von Beweisen, dieunter Verletzung des Rechts, sich nicht selbst zu belasten, erlangt worden seien, fürdie Weigerung, gemäß den von der Rechtsprechung aufgestellten BedingungenAkteneinsicht zu gewähren, für die Verhängung einer Geldbuße, die zudem aufeinem tatsächlichen Irrtum beruhe, und für die Feststellung, daß die Entscheidung1988 gegenüber Solvay und Norsk Hydro wirksam bleibe.

383.
    Nach Ansicht von Hüls ist die Entscheidung aus sich heraus unabhängig von denSchriftstücken, auf die sie sich beziehe, nicht verständlich; keines dieserSchriftstücke sei aber der Entscheidung beigefügt. Die Kommission nehme bei derrechtlichen Würdigung weder auf bestimmte konkrete Beweismittel noch auf deneingangs der angefochtenen Entscheidung geschilderten Sachverhalt Bezug.Schließlich sei die Entscheidung vor allem im Hinblick auf die Dauer desVerfahrens nicht ordnungsgemäß begründet (Urteil Sytraval und Brink'sFrance/Kommission, Randnr. 77 in Verbindung mit Randnr. 56).

384.
    Enichem trägt vor, die Kommission habe nicht erläutert, warum sie nach Ablaufeines so langen Zeitraums erneut eine Geldbuße gegen die betroffenenUnternehmen verhängt habe. Weder die Verordnung Nr. 2988/74, die höchstensdie Zuständigkeit der Kommission, nicht aber deren Entscheidung begründenkönne, noch der Umstand, daß die Kommission bereits 1988 die Verhängung derGeldbußen beschlossen habe, was nicht bedeute, daß sie nach dem Urteil vom 15.Juni 1994 erneut dazu verpflichtet gewesen wäre, könnten einen ausreichendenGrund liefern.

385.
    Die Kommission hält diesen Klagegrund für unbegründet. Nach ihrer Ansichtgenügt die Entscheidung den Anforderungen des Artikels 190 EG-Vertrag.

Würdigung durch das Gericht

386.
    Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung vonEinzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfungder Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenenso ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidungbegründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtungermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art desRechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (vgl.insbesondere Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der RechtssacheT-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, Randnr. 51).

387.
    In der ersten Randnummer der Entscheidung wird auf „den Vertrag zur Gründungder Europäischen Gemeinschaft“ und damit implizit, aber zwangsläufig förmlich aufden Auftrag der Kommission verwiesen (vorstehend, Randnrn. 148 und 149).Bereits diese Verweisung ist eine ausreichende Begründung für das Interesse derKommission an der Feststellung einer Zuwiderhandlung und an deren Ahndung.Da die Kommission bei der Ausübung der ihr im Vertrag im Wettbewerbsrechteingeräumten Befugnisse über ein Ermessen verfügt, muß sie ihre Gründe für dieWahl dieses Weges nicht näher darlegen. Daher ist das Vorbringen vonMontedison und Enichem zurückzuweisen.

388.
    Was den von Wacker, Hoechst und Hüls erhobenen Vorwurf der unzureichendenBegründung betrifft, so hat die Kommission zwar nach Artikel 190 EG-Vertrag ihreEntscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichenGesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung abhängt, sowiedie Erwägungen aufzuführen, die sie zu deren Erlaß veranlaßt haben; sie brauchtjedoch nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die währenddes Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden (vgl. namentlich Urteil VanLandewyck u. a./Kommission, Randnr. 66). Die Randnummern 7 bis 27 enthalteneine klare Darstellung der wesentlichen Schriftstücke, die die Kommission alsBeweise für die Zuwiderhandlung ansieht. Ebenso enthalten die Randnummern 28bis 39 eine ausreichende Begründung der rechtlichen Folgerungen, die sie aus demSachverhalt zieht.

389.
    Kein Begründungsmangel der Entscheidung ist es, daß die Kommission für dieVerzögerung der Entscheidung, für die Verfahrensentscheidung, auf eine neueMitteilung der Beschwerdepunkte oder eine Anhörung der Parteien zu verzichten,für die Verwendung von Schriftstücken, die im Rahmen eines anderenErmittlungsverfahrens aufgefunden worden sind oder von Beweisen, die unterVerletzung des Rechts, sich nicht selbst zu belasten, erlangt sind, für die Weigerunggemäß den von der Rechtsprechung aufgestellten Bedingungen Akteneinsicht zugewähren, und für die Verhängung einer Geldbuße, die angeblich auf einemtatsächlichen Irrtum beruht, keine Erklärungen gibt. Diese Argumente von ICI sindnämlich im wesentlichen darauf gerichtet, die Begründetheit der Würdigung dieserverschiedenen Fragen durch die Kommission anzuzweifeln. Solche Argumente, die

zur Prüfung der Begründetheit der Entscheidung gehören, sind in dem vorliegendenKontext unerheblich.

390.
    Was das Argument von ICI betrifft, daß die zweite Entscheidung keine Begründungdafür enthalte, daß die Entscheidung 1988 gegenüber Norsk Hydro und Solvaywirksam sei, so genügt der Hinweis, daß die zweite Entscheidung hierzu eineausdrückliche Begründung enthält. In Randnummer 59 der Entscheidung heißt esnämlich: „Da Solvay nicht beim Gerichtshof auf Nichtigerklärung der Entscheidunggeklagt hat und die Klage von Norsk Hydro für unzulässig erklärt wurde, bleibt dieEntscheidung 89/190/EWG ihnen gegenüber gültig.“

391.
    Somit ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.

II — Zu den materiell-rechtlichen Klagegründen

392.
    Die Klägerinnen entwickeln im wesentlichen drei Argumentationslinien. Erstensführen sie eine Reihe von Klagegründen an, die die Beweise betreffen (A).Zweitens machen sie geltend, daß ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag weder tatsächlich noch rechtlich vorliege (B). Drittens führt jede KlägerinArgumente zum Beweis dafür an, daß jedenfalls sie an der ihr zur Last gelegtenZuwiderhandlung nicht beteiligt gewesen sei (C).

A — Zu den Beweisen

393.
    Die Klagegründe umfassen zwei Gesichtspunkte. Zum einen machen dieKlägerinnen geltend, daß einige der gegen sie verwendeten Beweise unzulässigseien. Zum anderen ziehen sie den Beweiswert der gegen sie angeführtenBeweismittel in Frage.

1. Zur Zulässigkeit der Beweise

394.
    Die Klägerinnen machen geltend, daß die gegen sie verwendeten Beweiseunzulässig seien. Sie führen hierzu sechs Klagegründe an: erstens sei gegen denGrundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung verstoßen worden; zweitens sei dasgrundsätzliche Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht selbst zu belasten,verletzt worden; drittens sei Artikel 20 der Verordnung Nr. 17 verletzt worden;viertens könne die Weigerung, auf die Auskunftsverlangen zu antworten oderSchriftstücke vorzulegen, nicht als Beweis gewertet werden, der gegen sie spreche;fünftens seien ihnen bestimmte Schriftstücke niemals oder, sechstens, verspätetübermittelt worden.

395.
    Diesen Klagegründen ist nach Ansicht der Klägerinnen gemeinsam, daß im Falleihrer Begründetheit die streitigen Schriftstücke im Verfahren unberücksichtigtbleiben müßten und die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ohne sie zu beurteilenwäre (Urteil AEG/Kommission, Randnrn. 24 bis 30, und Beschluß des Präsidenten

des Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der Rechtssache 46/87 R,Hoechst/Kommission, Slg. 1987, 1549, Randnr. 34).

a) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unverletzlichkeit derWohnung

Vorbringen der Parteien

396.
    Nach Ansicht von LVM und DSM kann das Gericht prüfen, ob Nachprüfungen imRahmen des Artikels 14 der Verordnung Nr. 17 im Einklang mit Artikel 8 MRKständen. Diese Bestimmung habe nämlich unmittelbare Geltung imGemeinschaftsrecht. Nachprüfungen in den Geschäftsräumen einer natürlichen oderjuristischen Person aufgrund von Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17stellten eine „Durchsuchung“ dar, die unter Artikel 8 MRK falle.

397.
    Auch wenn die Klägerinnen gegen die Nachprüfungsentscheidungen keine Klageerhoben hätten, hätten sie doch weiterhin ein Interesse an der Überprüfung ihrerRechtmäßigkeit, da die Entscheidung auf Beweisen beruhe, die auf unzulässigeWeise erlangt worden seien. Zudem hätten sich die Nachprüfungen in denGeschäftsräumen von DSM am 6. Dezember 1983 auf einen Prüfungsauftrag nachArtikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 gegründet, der mit einerNichtigkeitsklage nach Artikel 173 EG-Vertrag nicht angefochten werden könne.

398.
    Mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes machen die Klägerinnen geltend, daß dieKommission bei ihren Nachprüfungen gegen den Grundsatz der Unverletzlichkeitder Wohnung im Sinne des Artikels 8 MRK verstoßen habe, wie er in derRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ausgelegtworden sei (EuGHMR, Urteil vom 16. Dezember 1992, Niemietz/Deutschland,Serie A, Nr. 251-B) und dessen Prüfung weiter reiche als die imGemeinschaftsrecht (Urteil Hoechst/Kommission und Urteil des Gerichtshofes vom17. Oktober 1989 in der Rechtssache 85/87, Dow Benelux/Kommission, Slg. 1989,3137).

399.
    So seien die Nachprüfungsanordnungen ohne vorherige richterliche Genehmigungergangen. Die Nachprüfungsentscheidungen oder Prüfungsaufträge seien allgemeinohne irgendeine Einschränkung formuliert gewesen und hätten nicht denGegenstand der Nachprüfung erkennen lassen, wie die an LVM gerichteteNachprüfungsentscheidung vom 4. November 1987 und der Prüfungsauftrag vom29. November 1983 belegten, aufgrund dessen die Nachprüfungen in denRäumlichkeiten von DSM am 6. Dezember 1983 durchgeführt worden seien. EineNachprüfung sei nur zulässig, soweit sie erforderlich sei (Artikel 14 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17 und Artikel 8 MRK). Diese Erforderlichkeit sei im Lichte derBeschreibung der Verdachtsmomente, die die Kommission überprüfen wolle, zubeurteilen; im vorliegenden Fall fehle eine solche Beschreibung gerade.

400.
    Folglich seien alle Nachprüfungsanordnungen der Kommission im vorliegenden Fallrechtswidrig.

401.
    Enichem macht geltend, daß „die folgende Nachprüfungsentscheidung rechtswidrigist, da ihr Gegenstand ... allgemein formuliert ist“ und damit gegen Artikel 14 derVerordnung Nr. 17 verstoße.

402.
    Mit dem zweiten Teil dieses Klagegrundes stellen LVM und DSM dieRechtmäßigkeit der Durchführung der Nachprüfungen der Kommission in Frage.Diese habe bei ihren Nachprüfungen angesichts der Art und des Umfangs derdabei tatsächlich geprüften Schriftstücke das Geschäftsgeheimnis verletzt.

403.
    Nach Ansicht der Kommission ist die Europäische Konvention zum Schutze derMenschenrechte nicht auf gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsverfahrenanwendbar. Zudem sei der Klagegrund nicht zulässig, da die Klägerinnen gegen dieNachprüfungsanordnung der Kommission keine Klage erhoben hätten.

404.
    Zur Begründetheit des Klagegrundes trägt die Kommission vor, daß Artikel 8 MRKin der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nichtsan der Erheblichkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofes ändere (UrteileHoechst/Kommission und Dow Benelux/Kommission).

Würdigung durch das Gericht

405.
    Die Kommission hat im vorliegenden Fall Nachprüfungen nach Artikel 14 Absatz2 der Verordnung Nr. 17 in den Räumlichkeiten folgender Unternehmendurchgeführt: bei Shell und ICI auf der Grundlage eines Prüfungsauftrags vom 16.November 1983, bei DSM auf der Grundlage eines Prüfungsauftrags vom 29.November 1983, bei EVC, einem gemeinsamen Unternehmen von ICI undEnichem, auf der Grundlage eines Prüfungsauftrags vom 17. Juli 1987, und bei Hülsauf der Grundlage eines Prüfungsauftrags vom 17. September 1987.

406.
    Die Kommission hat am 15. Januar 1987 gegenüber den Unternehmen Alcudia,Atochem, BASF, Hoechst und Solvay und am 4. November 1987 gegenüberWacker und LVM Nachprüfungsentscheidungen gemäß Artikel 14 Absatz 3 derVerordnung Nr. 17 erlassen.

407.
    Zunächst ist die Zulässigkeit des Klagegrundes, die von der Kommission verneintwird, und dann die Begründetheit zu prüfen.

i) Zur Zulässigkeit des Klagegrundes

408.
    Nachprüfungsentscheidungen sind selbst Rechtsakte, die mit einer Nichtigkeitsklagenach Artikel 173 EG-Vertrag angefochten werden können. So sieht Artikel 14Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 ausdrücklich vor, daß die

Nachprüfungsentscheidung „auf das Recht hin[weist], vor dem Gerichtshof gegendie Entscheidung Klage zu erheben“.

409.
    Nach gefestigter Rechtsprechung wird eine Entscheidung der Gemeinschaftsorgane,die von ihrem Adressaten nicht innerhalb der Frist des Artikels 173 EG-Vertragangefochten worden ist, ihm gegenüber bestandskräftig. Diese Rechtsprechungberuht vor allem auf der Erwägung, daß die Klagefristen der Wahrung derRechtssicherheit dienen sollen, indem sie verhindern, daß das Rechtswirkungenentfaltende Gemeinschaftshandeln wieder und wieder in Frage gestellt wird(namentlich Urteil des Gerichtshofes vom 30. Januar 1997 in der RechtssacheC-178/95, Wiljo, Slg. 1997, I-585, Randnr. 19).

410.
    LVM ist daher wegen Fristversäumnisses davon ausgeschlossen, dieRechtswidrigkeit der Nachprüfungsentscheidung geltend zu machen, die an siegerichtet war und von ihr nicht fristgerecht angefochten worden ist. Der Klagegrundist daher unzulässig.

411.
    Dagegen können LVM und DSM, soweit von der Kommission erlangteSchriftstücke gegen sie verwendet werden, die Rechtswidrigkeit der gegen andereUnternehmen gerichteten Nachprüfungsentscheidungen geltend machen, denn essteht nicht fest, daß die beiden Unternehmen mit einer gegen diese Entscheidungengerichteten unmittelbaren Klage ohne jeden Zweifel deren Rechtswidrigkeit hättengeltend machen können.

412.
    Ebenso können die Klägerinnen im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen dieEndentscheidung die Rechtswidrigkeit der Prüfungsaufträge geltend machen, dieals solche nicht mit einer Klage nach Artikel 173 EG-Vertrag anfechtbar sind.

413.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann ein Unternehmen mit einerKlage auf Nichtigerklärung des Rechtsakts, auf dessen Grundlage die Kommissioneine Nachprüfung durchführt, nicht die Rechtswidrigkeit des Ablaufs desNachprüfungsverfahrens geltend machen. Die richterliche Überprüfung derUmstände, unter denen eine Nachprüfung durchgeführt worden ist, hatgegebenenfalls im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen die von der Kommissionnach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag erlassene Endentscheidung zu erfolgen(Urteil Dow Benelux/Kommission, Randnr. 49, sowie Schlußanträge desGeneralanwalts Mischo in dieser Rechtssache, Slg. 1989, 3149, Nr. 127 a. E.;Beschluß des Gerichts vom 9. Juni 1997 in der Rechtssache T-9/97, ElfAtochem/Kommission, Slg. 1997, II-909, Randnr. 25).

414.
    Die Klägerinnen können somit ebenfalls Einwände gegen den Ablauf der von derKommission durchgeführten Nachprüfungsverfahren erheben.

415.
    Somit beschränkt sich die von der Kommission geltend gemachte Unzulässigkeit aufden Klagegrund von LVM, soweit dieser sich gegen die an LVM gerichteteNachprüfungsentscheidung richtet.

416.
    Bezüglich des von Enichem vorgetragenen Klagegrundes ist jedoch festzustellen,daß das Gericht weder anhand der Schriftsätze der Klägerin noch aufgrund dermündlichen Verhandlung die Nachprüfungsentscheidung ermitteln konnte, derenRechtmäßigkeit von der Klägerin verneint wird. Daher ist der Klagegrund, soweiter von Enichem geltend gemacht wird, für unzulässig zu erklären, da dem Gerichtweder dessen Sinn noch dessen Tragweite erkennbar ist.

ii) Zur Begründetheit des Klagegrundes

417.
    Aus den bereits dargelegten Gründen (vorstehend, Randnr. 120) ist der Klagegrunddahin zu verstehen, daß mit ihm ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz desGemeinschaftsrechts geltend gemacht wird, der Schutz gegen willkürliche oderunverhältnismäßige Eingriffe staatlicher Gewalt in die Sphäre der privatenBetätigung jeder natürlichen oder juristischen Person gewährleistet (UrteileHoechst/Kommission, Randnr. 19, Dow Benelux/Kommission, Randnr. 30, undUrteil des Gerichtshofes vom 17. Oktober 1989 in den Rechtssachen 97/87, 98/87und 99/87, Dow Chemical Ibérica u. a./Kommission, Slg. 1989, 3165, Randnr. 16).

418.
    Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen: Der eine betrifft die Gültigkeit derNachprüfungsanordnungen, der andere die Durchführung dieser Anordnungen.

— Zur ersten Rüge bezüglich der Gültigkeit der Nachprüfungsanordnungen

419.
    Erstens ist unstreitig, daß die Nachprüfungsentscheidungen, die die Kommission1987 an einige Unternehmen gerichtet hat, mit der Entscheidung übereinstimmenoder vergleichbar sind, die am 15. Januar 1987 an Hoechst gerichtet worden war.Hoechst hatte gegen diese Entscheidung eine Nichtigkeitsklage erhoben, die vomGerichtshof abgewiesen wurde (Urteil Hoechst/Kommission). Soweit die heute vonLVM und DSM vorgetragenen Rügen und Argumente mit den seinerzeit vonHoechst vorgetragenen übereinstimmen oder vergleichbar sind, sieht das Gerichtkeinen Grund, von der Rechtsprechung des Gerichtshofes abzuweichen.

420.
    Diese Rechtsprechung beruht auf dem vorstehend genannten allgemeinengemeinschaftsrechtlichen Grundsatz, der für juristische Personen gilt. Wenn dieRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zurAnwendbarkeit des Artikels 8 MRK auf juristische Personen sich seit Erlaß derUrteile Hoechst/Kommission, Dow Benelux/Kommission und Dow Chemical Ibéricau. a./Kommission weiterentwickelt haben sollte, hätte dies daher keine unmittelbareAuswirkung auf die Richtigkeit der in diesen Urteilen vertretenen Lösungen.

421.
    Zweitens beruhen, wie sich aus Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 ergibt,die aufgrund eines bloßen Auftrags durchgeführten Nachprüfungen auf der

freiwilligen Mitarbeit der Unternehmen (Urteile Hoechst/Kommission, Randnr. 31,Dow Benelux/Kommission, Randnr. 42, und Dow Chemical Ibéricau. a./Kommission, Randnr. 28). Daran ändert auch nichts der Umstand, daß Artikel15 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 17 eine Sanktion vorsieht. Einesolche Sanktion kommt nämlich nur zur Anwendung, wenn das Unternehmen, dassich zur Zusammenarbeit bei der Nachprüfung bereit erklärt hat, die angefordertenBücher oder sonstigen Geschäftsunterlagen nicht vollständig vorlegt.

422.
    Hat ein Unternehmen an einer aufgrund eines Prüfungsauftrags durchgeführtenNachprüfung tatsächlich mitgewirkt, ist die Rüge eines übermäßigen Eingriffs derstaatlichen Gewalt unbegründet, sofern keine Anhaltspunkte dafür genannt werden,daß die Kommission über die von dem Unternehmen angebotene Zusammenarbeithinausgegangen sei.

423.
    Somit ist dieser Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

— Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes betreffend die Durchführung derNachprüfungsanordnungen

424.
    Die Klägerinnen tragen dazu lediglich vor, daß die Kommission angesichts desUmfangs der kopierten und mitgenommenen Schriftstücke das Geschäftsgeheimnisder Unternehmen verletzt habe.

425.
    Die angeblich unverhältnismäßige Menge der von der Kommission kopiertenSchriftstücke, zu der die Klägerinnen im übrigen nichts Näheres vorgetragen haben,kann als solche keinen Fehler im Ablauf einer Nachprüfung darstellen, zumal wenndie Kommission wegen eines Kartells sämtlicher europäischer Hersteller einesbestimmten Sektors ermittelt. Zudem sind die Beamten und sonstigen Bedienstetender Kommission nach Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet, dieKenntnisse, die sie in Durchführung dieser Verordnung erlangt haben und die ihrerNatur nach unter das Berufsgeheimnis fallen, nicht preiszugeben.

426.
    Somit sind Unregelmäßigkeiten bei den von der Kommission durchgeführtenNachprüfungen nicht nachgewiesen.

427.
    Aufgrund dessen ist der vorliegende Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

b) Zum Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Recht, „die Aussage zuverweigern“ und sich nicht selbst zu belasten, gerügt wird

Vorbringen der Parteien

428.
    Dieser Klagegrund umfaßt zwei Teile.

429.
    Mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes machen LVM, DSM und ICI geltend, daßnach Artikel 14 Absatz 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politischeRechte sowie nach Artikel 6 MRK in der Auslegung durch den EuropäischenGerichtshof für Menschenrechte jeder Beschuldigte einschließlich der Unternehmenvon Anfang an das Recht habe, jede Aussage zu verweigern (EuGHMR, UrteilFunke/Frankreich, Randnr. 44, und Stellungnahme der Europäischen Kommissionfür Menschenrechte vom 10. Mai 1994, Saunders/Vereinigtes Königreich, Nrn. 69,71 und 76; anders das frühere Urteil des Gerichtshofes, Orkem/Kommission,Randnrn. 30 bis 35 und 37 bis 41; die dort vorgenommene Würdigung, dieerheblich hinter dem Urteil Funke/Frankreich zurückbleibe, habe nun keineBedeutung mehr). Die Kommission könne die Rechtsprechung des EuropäischenGerichtshofes für Menschenrechte nicht außer acht lassen (Urteile desGerichtshofes vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991,I-2925, Randnr. 41, und Orkem/Kommission, Randnr. 30).

430.
    Folglich müßten alle Informationen, die die Kommission aufgrund von Artikel 11der Verordnung Nr. 17 erhalten habe, im Verfahren unberücksichtigt bleiben. Diesgelte sowohl für die Entscheidungen über die Anforderung von Auskünften gemäßArtikel 11 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 als auch für die Auskunftsverlangennach Artikel 11 Absatz 1 dieser Verordnung; da nämlich die Sanktionen nachArtikel 15 Absatz 1 Buchstabe b dieser Verordnung sowohl in dem einen als auchin dem anderen Fall verhängt werden könnten, handle es sich um erzwungeneAuskünfte im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes fürMenschenrechte.

431.
    Die Rechte der verletzten Unternehmen könnten nicht mit der Begründung außerBetracht gelassen werden, daß ein solches Ergebnis die Rechtmäßigkeit desArtikels 11 der Verordnung Nr. 17 insgesamt in Frage stellen könnte; dieKommission müsse deshalb den Nachweis der Zuwiderhandlung mit anderenMitteln führen, die mit den Artikeln 6 und 8 MRK vereinbar seien.

432.
    Somit könne keine der Antworten der Unternehmen auf die Auskunftsverlangen,die die Kommission an sie gerichtet habe, zur Beweisführung beitragen.

433.
    Mit dem zweiten Teil dieses Klagegrundes berufen sich LVM, Elf Atochem, DSM,ICI und Enichem auf ihr Recht, sich nicht selbst zu belasten.

434.
    Infolgedessen müssen nach Ansicht von LVM, Elf Atochem, DSM und ICI dieAntworten auf die Fragen, die in den Urteilen des Gerichtshofes vom 18. Oktober1989 in den Rechtssachen Orkem/Kommission und 27/88 (Solvay/Kommission, Slg.1989, 3355) für rechtswidrig erklärt worden seien, im Verfahren unberücksichtigtbleiben.

435.
    Elf Atochem greift auf diese Weise die an sie gerichtete Entscheidung nach Artikel11 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 an. LVM, DSM und ICI machen dagegen dieRechtswidrigkeit sämtlicher Auskunftsverlangen geltend, unabhängig davon, an

welches Unternehmen sie gerichtet sind und auf welche Rechtsgrundlage sie sichstützen.

436.
    Nach Ansicht von Enichem hat die Kommission die Unternehmen dazu gebracht,sich selbst zu belasten, indem sie sie gezwungen habe, Nachprüfungen zu dulden,obwohl sie nicht den geringsten Anhaltspunkt für die vermuteten Verhaltensweisengehabt habe.

437.
    Nach Ansicht der Kommission ist die Europäische Konvention für Menschenrechteauf gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsverfahren nicht anwendbar. Zudem sei derKlagegrund nicht zulässig, da die Klägerinnen gegen die Entscheidungen über dieAnforderung von Auskünften keine Klage erhoben hätten.

438.
    Jedenfalls hätten die Unternehmen im vorliegenden Fall keine Antwort aufirgendeine der Fragen gegeben, die der Gerichtshof für gemeinschaftsrechtswidriggehalten habe (Urteile Orkem/Kommission und vom 18. Oktober 1989,Solvay/Kommission).

Würdigung durch das Gericht

439.
    Im Rahmen ihrer Untersuchung in der vorliegenden Sache hat die Kommission andie meisten Klägerinnen Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr.17 gerichtet. Einige waren Auskunftsverlangen nach Artikel 11 Absatz 1, andereEntscheidungen gemäß Artikel 11 Absatz 5.

440.
    Zunächst ist die Zulässigkeit des Klagegrundes, die von der Kommission verneintwird, anschließend seine Begründetheit zu prüfen.

— Zur Zulässigkeit des Klagegrundes

441.
    Aus den vorstehend dargelegten Gründen bezüglich derNachprüfungsentscheidungen, die auf die Entscheidungen über die Anforderungvon Auskünften übertragbar sind, sind die Klägerinnen wegen Fristversäumnissesdavon ausgeschlossen, die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen über dieAnforderung von Auskünften geltend zu machen, die an sie gerichtet waren unddie sie nicht binnen zwei Monaten ab Zustellung angefochten haben.

442.
    Der Klagegrund ist daher unzulässig, soweit er darauf abzielt, die Entscheidungenüber die Anforderung von Auskünften, die an die einzelnen Klägerinnen gerichtetworden sind, für rechtswidrig zu erklären.

— Zur Begründetheit des Klagegrundes

443.
    Die Kommission soll durch die ihr in der Verordnung Nr. 17 eingeräumtenBefugnisse in die Lage versetzt werden, die ihr durch den Vertrag übertragene

Aufgabe zu erfüllen, nämlich für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln imGemeinsamen Markt zu sorgen.

444.
    Während der Voruntersuchung erkennt die Verordnung Nr. 17 dem Unternehmen,auf das sich eine Untersuchungsmaßnahme bezieht, nicht das Recht zu, sich demVollzug dieser Maßnahme mit der Begründung zu entziehen, daß die Ergebnisseden Beweis für eine von ihm begangene Zuwiderhandlung gegen dieWettbewerbsregeln erbringen könnten. Sie erlegt ihm im Gegenteil eineVerpflichtung zur aktiven Mitwirkung auf, aufgrund deren es alle den Gegenstandder Untersuchung betreffenden Informationen für die Kommission bereithaltenmuß (Urteil Orkem/Kommission, Randnr. 27, und Urteil des Gerichts vom 8. März1995 in der Rechtssache T-34/93, Société générale/Kommission, Slg. 1995, II-545,Randnr. 72).

445.
    In Ermangelung eines in der Verordnung Nr. 17 ausdrücklich verankerten Rechtszur Verweigerung der Aussage ist zu prüfen, ob sich nicht aus dem Erfordernis derWahrung der Rechte der Verteidigung, das der Gerichtshof als fundamentalenGrundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung angesehen hat, Beschränkungen derUntersuchungsbefugnisse der Kommission während der Voruntersuchung ergeben(Urteil Orkem/Kommission, Randnr. 32).

446.
    Die Rechte der Verteidigung müssen in Verfahren, die zu Sanktionen führenkönnen, beachtet werden, doch muß auch verhindert werden, daß diese Rechte innichtwiedergutzumachender Weise in Voruntersuchungsverfahren beeinträchtigtwerden, die von entscheidender Bedeutung für den Nachweis rechtswidrigerVerhaltensweisen von Unternehmen sein können (Urteile Orkem/Kommission,Randnr. 33, und Société générale/Kommission, Randnr. 73).

447.
    Um die praktische Wirksamkeit des Artikels 11 Absätze 2 und 5 der VerordnungNr. 17 zu sichern, kann die Kommission das Unternehmen jedoch verpflichten, ihralle erforderlichen Auskünfte über ihm eventuell bekannte Tatsachen zu erteilenund ihr erforderlichenfalls die in seinem Besitz befindlichen Schriftstücke, die sichhierauf beziehen, zu übermitteln, selbst wenn sie dazu verwendet werden können,den Beweis für ein wettbewerbswidriges Verhalten des Betreffenden oder einesanderen Unternehmens zu erbringen (Urteile Orkem/Kommission, Randnr. 34, vom18. Oktober 1989, Solvay/Kommission und Société générale/Kommission, Randnr.74).

448.
    Die Anerkennung eines Rechts auf uneingeschränkte Aussageverweigerung, das dieKlägerinnen geltend machen, ginge tatsächlich über das hinaus, was für dieWahrung der Rechte der Verteidigung der Unternehmen erforderlich ist, und wäreeine nicht gerechtfertigte Behinderung der Kommission bei der Erfüllung der ihrdurch Artikel 89 EG-Vertrag übertragenen Aufgabe, über die Einhaltung derWettbewerbsregeln im Gemeinsamen Markt zu wachen. Die Unternehmen habensowohl bei ihren Antworten auf die Auskunftsverlangen als auch anschließend imVerwaltungsverfahren, wenn die Kommission die Eröffnung eines solchen

gegebenenfalls beschließt, in jeder Hinsicht Gelegenheit, sich insbesondere zu denSchriftstücken, die sie vorlegen mußten, oder zu ihren Antworten aufAuskunftsverlangen der Kommission zu äußern.

449.
    Die Kommission darf jedoch durch eine Entscheidung über die Anforderung vonAuskünften nicht die Verteidigungsrechte des Unternehmens beeinträchtigen. Siedarf daher dem Unternehmen nicht die Verpflichtung auferlegen, Antworten zuerteilen, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müßte, fürdie die Kommission den Beweis zu erbringen hat (Urteile Orkem/Kommission,Randnrn. 34 a. E. und 35, vom 18. Oktober 1989, Solvay/Kommission und Sociétégénérale/Kommission, Randnr. 74).

450.
    In diesem Rahmen ist das Vorbringen der Klägerinnen zu würdigen.

451.
    Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die in den Entscheidungen über dieAnforderung von Auskünften enthaltenen Fragen, die von den Klägerinnen mitdiesem Teil des Klagegrundes beanstandet werden, mit denen übereinstimmen, dieder Gerichtshof in seinen Urteilen Orkem/Kommission und vom 18. Oktober 1989,Solvay/Kommission für nichtig erklärt hat. Auch diese Fragen sind deshalbrechtswidrig.

452.
    Aus den Akten ergibt sich jedoch, wie die Kommission hervorgehoben hat, daß dieUnternehmen entweder eine Beantwortung dieser Fragen abgelehnt oder dieTatsachen geleugnet haben, über die sie befragt wurden.

453.
    Unter diesen Umständen hat die Rechtswidrigkeit der betreffenden Fragen keineAuswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung.

454.
    Tatsächlich haben die Klägerinnen weder eine Antwort anführen können, die siegerade auf diese Fragen gegeben hätten, noch mitgeteilt, welchen Gebrauch dieKommission von diesen Antworten in der Entscheidung gemacht haben soll.

455.
    Zweitens ist ein Unternehmen anders als bei den Entscheidungen über dieAnforderung von Auskünften zu einer Antwort auf Auskunftsverlangen nachArtikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 nicht verpflichtet.

456.
    Somit stand es den Unternehmen frei, auf Fragen, die ihnen aufgrund dieserVorschrift gestellt wurden, zu antworten oder nicht. Daran ändert auch derUmstand nichts, daß in Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 17eine Sanktion vorgesehen ist. Eine solche Sanktion kann nur verhängt werden,wenn das Unternehmen, das sich zur Beantwortung bereit erklärt hat,unzutreffende Auskünfte gibt.

457.
    Daher erlegt die Kommission mit Auskunftsverlangen nach Artikel 11 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17 einem Unternehmen nicht die Verpflichtung auf, Antworten zu

geben, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müßte, fürdie die Kommission den Beweis zu erbringen hat.

458.
    Drittens ist zu dem besonderen Argument von Enichem festzustellen, daß dieFrage, ob die Kommission das ihr auferlegte Verbot beachtet hat, dieUnternehmen nicht zur Erteilung von Antworten zu verpflichten, durch die sie dasVorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müßten, nur im Hinblick auf die Artund den Inhalt der gestellten Fragen, nicht aber auf die Anhaltspunkte zubeurteilen ist, über die die Kommission vorher verfügte. Im übrigen hat der Gerichtshof im Urteil Hoechst/Kommission bezüglich einerNachprüfungsentscheidung, die mit den an die anderen PVC-Hersteller gerichtetenEntscheidungen vergleichbar ist, festgestellt, daß diese Entscheidung die in Artikel14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 vorgeschriebenen wesentlichen Angabenenthielt. Insbesondere hat er darauf hingewiesen, daß in dieser Entscheidungnamentlich Informationen erwähnt wurden, die dafür sprachen, daß zwischeneinigen PVC-Herstellern Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisenbestanden und durchgeführt wurden, die möglicherweise gegen Artikel 85 EG-Vertrag verstießen (Urteil Hoechst/Kommission, Randnr. 42). Somit ist dasArgument von Enichem zurückzuweisen.

459.
    Infolgedessen ist der Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

c) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr.17

Vorbringen der Parteien

460.
    LVM, DSM, ICI, Hüls und Enichem verweisen darauf, daß nach Artikel 20 Absatz1 der Verordnung Nr. 17 rechtmäßig gewonnene Informationen nur zu dem Zweckverwertet werden dürften, zu dem sie beschafft worden seien (Urteil DowBenelux/Kommission, Randnrn. 17 und 18, und zu damit zusammenhängendenFragen: Urteile des Gerichtshofes vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-67/91,Asociación Española de Banca Privada u. a., Slg. 1992, I-4785, Randnrn. 35 bis 39und 42 bis 54, und vom 10. November 1993 in der Rechtssache C-60/92, Otto, Slg.1993, I-5683, Randnr. 20).

461.
    Wenn die Kommission im Rahmen einer Untersuchung gesammelte Informationenals Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage verwenden dürfe, ob es angebrachtsei, ein anderes Untersuchungsverfahren zu eröffnen (Dow Benelux/Kommission,Randnr. 19), könne sie diese Informationen jedoch nicht als Beweis für diese neueZuwiderhandlung verwenden (Urteil Asociación Española de Banca Privada u. a.,Randnr. 42), für die sie andere Beweismittel finden müsse.

462.
    In folgendem Fall habe die Kommission bei den Ermittlungen in der Sache, diezum Erlaß der Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.149 —

Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1) geführt habe, Schriftstücke aufgefunden, vondenen einige später rechtswidrig als Beweise in der vorliegenden Sache verwandtworden seien. Im einzelnen handele es sich um die sogenannten„Planungsdokumente“, ein Schriftstück mit der Bezeichnung „sharing the pain“[Teilung der Bürde] in den Anlagen 3 bzw. 6 zur Mitteilung der Beschwerdepunkteund um einen Vermerk von ICI vom 15. April 1981 in der Anlage zum Schreibender Kommission vom 27. Juli 1988. LVM und DSM machen geltend, daß es auchum Schriftstücke von DSM gehe.

463.
    Indem die Kommission diese Schriftstücke als Beweise in der vorliegenden Sacheverwandt habe, habe sie folglich gegen Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17verstoßen.

464.
    Nach Ansicht von Enichem hat die Kommission damit auch gegen Artikel 14Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 17 verstoßen, da sie im Rahmen derUntersuchung des Polypropylen-Marktes Unterlagen gesammelt habe, die nicht vonihrem Prüfungsauftrag umfaßt gewesen seien.

465.
    Die Kommission macht im wesentlichen geltend, daß die streitigen Schriftstücke aufder Grundlage von PVC betreffenden Prüfungsaufträgen in die Akten desvorliegenden Verfahrens aufgenommen worden seien. Daher stehe derVerwendung dieser Unterlagen im vorliegenden Fall nichts entgegen.

Würdigung durch das Gericht

466.
    Vor der Prüfung der Begründetheit des Klagegrundes ist der Sachverhaltklarzustellen.

— Sachverhalt

467.
    Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die Kommission die streitigen Schriftstückeim Rahmen der Untersuchung des Polypropylen-Sektors erlangt und als Beweisein der angefochtenen Entscheidung verwandt hat.

468.
    Ferner ergibt sich aus den Akten, daß die Kommission eine neue Kopie derstreitigen Unterlagen im Rahmen von Prüfungsaufträgen verlangt hat, die sich vorallem auf PVC bezogen haben.

469.
    Die Planungsdokumente hat die Kommission im Rahmen einer späterenNachprüfung auf der Grundlage eines insbesondere PVC betreffendenPrüfungsauftrags erneut kopiert.

470.
    Die Anlage 6 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte und den Vermerk von ICI vom15. April 1981 hat die Kommission unter genauer Bezeichnung bei derNachprüfung vom 23. November 1983 auf der Grundlage eines insbesondere PVC

betreffenden Prüfungsauftrags noch einmal angefordert, wie ein Schreiben von ICIan die Kommission vom 16. März 1984 belegt. ICI kann sich nicht mit Erfolgdarauf berufen, sich in diesem Schreiben trotz allem der Aufnahme dieserUnterlagen in die PVC-Akten widersetzt zu haben; aus diesem Schreiben ergibtsich vielmehr ausdrücklich, daß sein Verfasser eine neue Kopie freiwillig zu diesemZweck übersandt hat.

471.
    Auf die Schriftstücke von DSM verweisen nur dieses Unternehmen und LVM.Jedoch hat sich weder anhand der Schriftsätze noch durch die in der mündlichenVerhandlung gestellten Fragen klären lassen, um welche Dokumente es sichhandelt. Aus der Erwiderung dieser beiden Klägerinnen ergibt sich jedenfalls, daßdie Kommission die streitigen Unterlagen erstmals im Rahmen der „Polypropylen-Sache“ erhalten und sie im Dezember 1983 im Rahmen einer Nachprüfung in denGeschäftsräumen von DSM auf der Grundlage eines insbesondere PVCbetreffenden Prüfungsauftrags erneut angefordert und erhalten hat.

— Zur Begründetheit des Klagegrundes

472.
    Nach den Artikeln 14 und 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 dürfen die beiNachprüfungen erlangten Kenntnisse unstreitig nicht zu anderen als den imPrüfungsauftrag oder in der Nachprüfungsentscheidung angegebenen Zweckenverwendet werden. Dieses Verbot soll neben dem Berufsgeheimnis dieVerteidigungsrechte der Unternehmen schützen. Diese Rechte würden nämlich inschwerwiegender Weise beeinträchtigt, wenn die Kommission gegenüber denUnternehmen bei einer Nachprüfung erlangte Beweise anführen könnte, die inkeinem Zusammenhang mit dem Gegenstand und dem Zweck der Nachprüfungstehen (Urteile Dow Benelux/Kommission, Randnr. 18).

473.
    Dies bedeutet jedoch nicht, daß es der Kommission verwehrt wäre, einUntersuchungsverfahren einzuleiten, um Informationen, die sie bei einer früherenNachprüfung zufällig erlangt hat, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder zuvervollständigen, wenn diese Informationen einen Hinweis auf Verhaltensweisenliefern, die gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages verstoßen (Urteil DowBenelux/Kommission, Randnr. 19).

474.
    Im übrigen steht fest (vgl. vorstehend, Randnrn. 467 bis 471), daß die Kommissionsich nicht darauf beschränkt hat, die in einem anderen Verfahren erlangtenUnterlagen von Amts wegen in das vorliegende Verfahren einzuführen, sonderndiese Unterlagen im Rahmen von insbesondere PVC betreffendenPrüfungsaufträgen erneut angefordert hat.

475.
    Daraus folgt, daß es bei diesem Klagegrund nur um die Frage geht, ob dieKommission von Unterlagen, die sie in einem ersten Verfahren erlangt und alsIndiz zur Rechtfertigung der Eröffnung eines anderen Verfahrens verwendet hat,auf der Grundlage eines Prüfungsauftrags oder einer Entscheidung, die dieses

zweite Verfahren betreffen, erneut eine Kopie anfordern und diese Unterlagendann als Beweismittel in diesem zweiten Verfahren verwenden darf.

476.
    Da die Kommission diese Unterlagen auf der Grundlage von insbesondere PVCbetreffenden Aufträgen oder Entscheidungen gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr.17 erneut erlangt und sie zu dem in diesen Aufträgen oder Entscheidungenangegebenen Zweck verwendet hat, hat sie die Rechte der Unternehmen, wie siesich aus dieser Bestimmung ergeben, beachtet.

477.
    Die Tatsache, daß die Kommission die Unterlagen in einer bestimmtenRechtssache zum ersten Mal erlangt hat, begründet keinen uneingeschränktenSchutz, der so weit ginge, daß diese Unterlagen nicht in einer anderen Rechtssacherechtmäßig angefordert und als Beweise verwendet werden könnten. Andernfallswürden die Unternehmen, wie die Kommission ausgeführt hat, bei einerNachprüfung in einem ersten Verfahren dazu verleitet, sämtliche Unterlagen, dieden Nachweis für eine andere Zuwiderhandlung liefern könnten, vorzulegen, umsich dadurch vor einer Verfolgung dieser anderen Zuwiderhandlung zu schützen.Eine solche Lösung ginge über das hinaus, was zum Schutz des Berufsgeheimnissesund der Verteidigungsrechte notwendig ist, und würde die Kommission inunzulässiger Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgabe behindern, über die Einhaltungder Wettbewerbsregeln im Gemeinsamen Markt zu wachen.

478.
    Nach alledem ist der Klagegrund zurückzuweisen.

d) Zu dem Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die Weigerung, aufAuskunftsverlangen zu antworten oder Unterlagen vorzulegen, nicht als Beweisgewertet werden dürfe

Vorbringen der Parteien

479.
    Elf Atochem und BASF sind der Ansicht, daß die Kommission die Tatsache, daßsie auf Auskunftsverlangen nicht geantwortet oder keine Unterlagen vorgelegthätten, nicht als Beweis für die Zuwiderhandlung oder ihre Beteiligung an dieserwerten dürfe. Dies gelte erst recht deshalb, weil für diese Weigerung objektiveGründe bestanden hätten.

480.
    Für die Kommission bietet die Entscheidung keine Grundlage für diesesVorbringen.

Würdigung durch das Gericht

481.
    Bei der Prüfung dieses Klagegrundes ist zwischen dem Nachweis derZuwiderhandlung und dem der Beteiligung bestimmter Unternehmen daran zuunterscheiden.

— Nachweis der Zuwiderhandlung

482.
    Die Kommission hat zwar unmittelbar oder mittelbar darauf hingewiesen, daß dieUnternehmen die Beantwortung bestimmter Fragen abgelehnt hätten(Entscheidung, Randnrn. 6 a. E., 8 a. E., 9, dritter Absatz, 14, erster Absatz, 16,erster Absatz, 18, erster Absatz, 20, dritter und vierter Absatz, 26, dritter undfünfter Absatz, 37, zweiter Absatz), doch hat sie diesen Umstand in derEntscheidung nicht als Beweis für die Zuwiderhandlung gewertet.

483.
    Tatsächlich hat sie in diesen einzelnen Punkten nur darauf hingewiesen, daß sie vonden Unternehmen nicht die verlangten Auskünfte habe erhalten können und sichdaher auf andere Umstände zum Nachweis der Zuwiderhandlung habe stützen,insbesondere in stärkerem Maße Schlußfolgerungen aus den ihr zur Verfügungstehenden Informationen habe ziehen müssen.

484.
    Somit ist dieser Teil des Klagegrundes nicht begründet.

— Nachweis der Beteiligung an der Zuwiderhandlung

485.
    Da es nur um die Frage der Beteiligung der Unternehmen an dem angeblichenKartell geht, kann eine Klägerin nicht die Beweise in Zweifel ziehen, die demNachweis der Beteiligung anderer Unternehmen an der Zuwiderhandlung dienen.Die Prüfung des Klagegrundes beschränkt sich somit auf die Untersuchung, ob dieKommission als Beweis für die Teilnahme von ICI und Elf Atochem die Tatsachegewertet hat, daß diese es abgelehnt haben oder nicht in der Lage waren, dieAuskunftsverlangen zu beantworten.

486.
    Auch wenn die Klägerinnen nicht die Stellen in der Entscheidung haben benennenkönnen, aus denen hervorgehen soll, daß die Kommission ihre Weigerung, aufAuskunftsverlangen zu antworten, als Beweis für ihre Beteiligung an derangeblichen Zuwiderhandlung gewertet hat, ergibt sich aus Randnummer 26, ersterAbsatz a. E., der Entscheidung doch, daß „die Kommission auch die von jedemHersteller gespielte Rolle und die Beweise für die Beteiligung der einzelnenUnternehmen an dem Kartell berücksichtigt [hat]. Den einzelnen Herstellernwurden im Laufe des Verwaltungsverfahrens die näheren Angaben mitgeteilt.“

487.
    Diese Angaben enthalten die mit „Individuelle Besonderheiten“ überschriebenenUnterlagen in der Anlage zur Mitteilung der Beschwerdepunkte.

488.
    Im Fall von Elf Atochem heißt es im Abschnitt „Hauptsächliche Nachweise für dieBeteiligung an der Zuwiderhandlung“ in dem entsprechenden Schriftstück: „[DasUnternehmen] lehnt es ab, Angaben nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 zuseiner Beteiligung [an den] Sitzungen zu machen.“

489.
    Die Weigerung oder die Unmöglichkeit, auf Auskunftsverlangen zu antworten, kannals solche keinen Nachweis für die Beteiligung eines Unternehmens an einemKartell darstellen.

490.
    Bei der Beurteilung der Frage der Beteiligung von Elf Atochem an dem Kartell istdaher dieser von der Kommission angeführte Umstand unberücksichtigt zu lassen.

491.
    Im Fall von ICI fehlt ein ähnlicher Hinweis in den „Individuellen Besonderheiten“.Da es keinen Hinweis gibt, daß die Kommission die Tatsache, daß diesesUnternehmen eine Antwort auf Auskunftsverlangen abgelehnt hat oder nicht gebenkonnte, als Beweis für die Beteiligung an dem Kartell gewertet hat, ist derKlagegrund, soweit er von ICI geltend gemacht wird, als unbegründetzurückzuweisen.

e) Zum Klagegrund der fehlenden Übermittlung von Schriftstücken

Vorbringen der Parteien

492.
    Wacker und Hoechst machen erstens geltend, daß die Auszüge aus der Fachpressezwar in der Liste der Anlagen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgeführt,aber nicht beigefügt gewesen seien und daher nicht gegen sie verwandt werdenkönnten. Zweitens sei der Vermerk von ICI vom 15. April 1981, auf den sich dieKommission berufe, weder in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt nochdieser beigefügt gewesen. In der Erwiderung machen sie geltend, daß dieserVermerk ihnen niemals mitgeteilt worden sei.

493.
    Nach Ansicht von Hüls kann der Vermerk von ICI vom 15. April 1981 nicht als einzulässiger Beweis angesehen werden, da er der Mitteilung der Beschwerdepunktenicht beigefügt gewesen sei.

494.
    Außerdem dürfe die Anlage 15 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte über dieVerkäufe der vier deutschen Hersteller im ersten Quartal 1984 und im gesamtenJahr 1984 im Verfahren nicht berücksichtigt werden, da sie auf der Grundlage vonAngaben erstellt worden sei, die nicht mitgeteilt worden seien (UrteilAEG/Kommission, Randnr. 30).

495.
    Die Kommission trägt vor, die Auszüge aus der Fachpresse seien der Mitteilung derBeschwerdepunkte beigefügt gewesen. Wenn der Vermerk von ICI vom 15. April1981 dieser Mitteilung nicht beigefügt gewesen sei, sei er den Parteien doch am 28.Juli 1988 mitgeteilt worden. Es lasse sich daraus also nichts für die Frage derRechtmäßigkeit der Entscheidung herleiten. Soweit Wacker und Hoechst diefehlende Mitteilung dieses Schriftstücks rügten, sei dieses Angriffsmittel nachArtikel 48 § 2 der Verfahrensordnung unzulässig.

Würdigung durch das Gericht

496.
    Erstens waren die Auszüge aus der Fachpresse offensichtlich Teil der Mitteilungder Beschwerdepunkte (Sonderanlage mit der Überschrift: „BekanntePreisinitiativen“). Auch wenn Wacker und Hoechst sie dennoch nicht erhaltenhaben sollten, handelte es sich dabei doch naturgemäß um allgemein zugänglicheSchriftstücke. Daher kann die fehlende Übermittlung dieser Schriftstücke, selbstwenn sie bewiesen wäre, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nichtbeeinträchtigen.

497.
    Zweitens gibt es keine Bestimmung, die es der Kommission verböte, den Parteiennach der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte neue Schriftstückezu übermitteln, in denen sie eine Stütze für ihr Vorbringen sieht, sofern sie denUnternehmen die erforderliche Zeit einräumt, sich hierzu zu äußern (UrteilAEG/Kommission, Randnr. 29). Daher kann die Tatsache allein, daß einSchriftstück in der Mitteilung der Beschwerdepunkte weder erwähnt noch dieserbeigefügt ist, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht beeinträchtigen. Zudembehaupten die Klägerinnen nicht, daß sie, nachdem die Kommission ihnen eineKopie dieses Schriftstücks mit Schreiben vom 27. Juli 1988 übersandt und dabei aufseine Bedeutung für die behauptete Quotenregelung hingewiesen hatte, nicht in derLage gewesen seien, gebührend hierzu Stellung zu nehmen. Tatsächlich hatten siedie Möglichkeit, sich sowohl schriftlich als auch mündlich dazu zu äußern.

498.
    Soweit, drittens, dieser Klagegrund darauf gestützt wird, daß dieses SchriftstückWacker und Hoechst niemals mitgeteilt worden sei, handelt es sich um ein neuesAngriffsmittel im Rahmen der Erwiderung. Da nicht vorgetragen worden ist, daßes auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt sei, die erst während desVerfahrens zutage getreten seien, ist es nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnungfür unzulässig zu erklären.

499.
    Viertens stellt die Anlage 15 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte keinselbständiges Beweismittel dar, sondern gibt, wenn auch in gedrängter Form, dieGrundlagen der Berechnung wieder, die die Kommission zur Bekräftigung ihrerSchlußfolgerungen aus dem Anhang 10 durchgeführt hat. Diese Schlußfolgerungenwurden in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vollständig dargelegt, und dieKlägerin konnte sich dazu rechtzeitig äußern. Selbst wenn diese Anlage 15unzulässig sein sollte, weil sie keine ausreichenden Informationen enthielt, müßtedas Gericht jedenfalls die Stichhaltigkeit der Schlußfolgerungen prüfen, die dieKommission in Randnummer 14 der Entscheidung aus der Anlage 10 zurMitteilung der Beschwerdepunkte gezogen hat.

500.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

f) Zum Klagegrund der verspäteten Übermittlung der Schriftstücke

Vorbringen der Parteien

501.
    BASF trägt vor, daß die Anlage 3 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, die einganz wesentliches belastendes Beweismittel darstelle, ihr erst bei der Anhörung am6. September 1988 vollständig übermittelt worden sei. Trotz entsprechendenAntrags bei dieser Anhörung sei ihr daher unter Verstoß gegen die Artikel 3, 4 und7 der Verordnung Nr. 99/63 keine Möglichkeit zu einer Stellungnahme hierzugegeben worden.

502.
    Die Kommission macht geltend, dieser Klagegrund betreffe nicht die Anlage 3selbst, sondern die unleserlichen handschriftlichen Notizen darauf. Von diesenNotizen habe die Klägerin hinreichend Kenntnis gehabt.

Würdigung durch das Gericht

503.
    Unstreitig waren die Schriftstücke, die die Anlage 3 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte darstellen, der der Klägerin am 5. April 1988 übersandtenMitteilung beigefügt. Der Klagegrund beschränkt sich somit auf die angeblichverspätete Übermittlung der Transkription der unleserlichen handschriftlichenNotizen auf den vier Seiten, aus denen diese Anlage besteht.

504.
    Ebenso ist unstreitig, daß die Klägerin eine vollständige Transkription derhandschriftlichen Notizen erst am 6. September 1988 bei der Anhörung erhaltenhat.

505.
    Die einzige handschriftliche Notiz, auf die sich die Kommission in der Entscheidunghat berufen wollen, ist jedoch in der Anlage zur Mitteilung der Beschwerdepunktezu den bekannten Preisinitiativen ausführlich wiedergegeben. Somit hatte dieKlägerin in jeder Hinsicht Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.

506.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

507.
    Nach alledem sind die Klagegründe, mit denen die Unzulässigkeit der Beweise, diedie Kommission gegen die Klägerinnen herangezogen hat, geltend gemacht wird,unbeschadet der vorstehenden Randnummer 490 zurückzuweisen.

2. Zur Beweisführung

508.
    Die Argumentation der Klägerinnen hierzu umfaßt im wesentlichen zweiKlagegründe oder Gruppen von Klagegründen. Zum einen bestreiten sie denBeweiswert bestimmter Arten von Beweismitteln, die die Kommission gegen sieanführt, zum anderen rügen sie, daß die Kommission die Grundsätze derBeweiserhebung verletzt habe.

a) Zum Klagegrund des fehlenden Beweiswerts bestimmter von der Kommissionangeführter Gruppen von Beweisen

Vorbringen der Parteien

509.
    Nach Ansicht von LVM und DSM darf nach den Grundsätzen des niederländischenStrafverfahrens und nach dem Recht auf ein faires Verfahren (fair trial) im Sinnedes Artikels 6 MRK (EuGHMR, Urteil Kostovski vom 20. November 1989, SerieA, Nr. 166, Randnrn. 39 und 44, und indirekt Urteile des Gerichts vom 17.Dezember 1991 in der Rechtssache T-4/89, BASF/Kommission, Slg. 1991, II-1523,Randnrn. 64 bis 72, und in der Rechtssache T-6/89, Enichem Anic/Kommission, Slg.1991, II-1623, Randnrn. 69 bis 73) der Nachweis belastender Tatsachen nichtausschließlich auf Erklärungen des Angeschuldigten oder auf Erklärungen andererbeschuldigter Unternehmen, die grundsätzlich als verdächtig gälten, so daß sie nurihrem Verfasser entgegengehalten werden dürften, oder auf „offiziöse“ Schreibengestützt werden, deren Glaubwürdigkeit und Echtheit naturgemäß ungewiß seien.

510.
    Daher sei im vorliegenden Fall die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sieausschließlich auf solche Unterlagen und nicht auf zulässige Beweismittel gestütztsei.

511.
    Die Kommission hält dem entgegen, die Bestimmungen des niederländischenStrafrechts und die unangemessen weite Auslegung des Urteils Kostovski seien fürdie Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln nicht einschlägig.Sie nähmen den Artikeln 11 und 14 der Verordnung Nr. 17 jede praktischeBedeutung.

Würdigung durch das Gericht

512.
    Erstens gibt es keine Bestimmung und keinen allgemeinen gemeinschaftsrechtlichenGrundsatz, die es der Kommission verbieten, sich auf Auskünfte und Schriftstückewie die von den Klägerinnen angeführten zu berufen. Zweitens wäre, würde mander Ansicht der Klägerinnen folgen, die der Kommission obliegende Beweislast fürVerhaltensweisen, die gegen die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag verstoßen, nichttragbar und mit der durch den Vertrag der Kommission übertragenen Aufgabe derÜberwachung der richtigen Anwendung dieser Bestimmungen unvereinbar.

513.
    Die Klägerinnen berufen sich zur Stützung ihrer Auffassung zu Unrecht auf dieUrteile BASF/Kommission und Enichem Anic/Kommission. Aus der Begründungdieser von den Klägerinnen genannten Urteile ergibt sich nämlich, daß das Gerichtkeineswegs den Beweiswert von Erklärungen der Unternehmen grundsätzlichverneint hat, sondern festgestellt hat, daß in diesem Fall die angeführtenSchriftstücke nicht den Sinn und die Bedeutung hatten, die ihnen die Kommissionbeigemessen hatte.

514.
    Somit gehen die von den Klägerinnen angeführten Klagegründe in der Frage auf,ob die Kommission ihre Tatsachenfeststellungen mit den von ihr vorgelegtenBeweismitteln belegen kann.

b) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen die Regeln der Beweisführung

Vorbringen der Parteien

515.
    LVM, Elf Atochem, BASF, DSM, Wacker, Hoechst und ICI machen als besondereKlagegründe geltend, daß die Kommission gegen den Grundsatz derUnschuldsvermutung und gegen die ihr obliegende Beweispflicht verstoßen habe.

516.
    Die durch Artikel 6 MRK garantierte Unschuldsvermutung sei ein allgemeinerGrundsatz des Gemeinschaftsrechts und finde im Rahmen der Artikel 85 und 86EG-Vertrag volle Anwendung (Urteile des Gerichtshofes, ACFChemiefarma/Kommission, Randnr. 153, vom 21. Februar 1973 in der Rechtssache6/72, Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, vom 16.Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73,111/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 301, undvom 28. März 1984 in den Rechtssachen 29/83 und 30/83, CRAM undRheinzink/Kommission, Slg. 1984, 1679; Urteile BASF/Kommission, Randnrn. 70und 71, und Enichem Anic/Kommission, Randnr. 70).

517.
    Unabhängig von den praktischen Schwierigkeiten, auf die die Kommission bei derBeweiserhebung stoße, obliege ihr daher die Beweislast für eine angeblicheZuwiderhandlung als Ausgleich für die ihr eingeräumten weitenUntersuchungsbefugnisse (Urteile Hoechst/Kommission und DowBenelux/Kommission).

518.
    Die Kommission könne sich dabei nicht auf Behauptungen, Vermutungen oderSchlußfolgerungen beschränken. Sie müsse schwerwiegende, klare und schlüssigeIndizien anführen (z. B. Urteil Europemballage und Continental Can/Kommission,Randnrn. 31 bis 37, United Brands/Kommission, Randnrn. 264 bis 267, und SuikerUnie u. a./Kommission, Randnr. 166; Schlußanträge des Generalanwalts Sir GordonSlynn, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1914, und Urteildes Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85,C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiöu. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307; im übrigen müsse ein unmittelbarerKausalzusammenhang zwischen den Tatsachen und den daraus gezogenenSchlußfolgerungen bestehen, die objektiv über vernünftige Zweifel erhaben seinmüßten (Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 56/65,LTM, Slg. 1966, 281, 305 f.).

519.
    Dagegen müßten Zweifel zugunsten der Unternehmen sprechen, denen eineZuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag vorgeworfen werde. Im übrigenmüßten die Unternehmen die Behauptungen der Kommission nicht unbedingtentkräften, sondern lediglich dartun, daß sie ungesichert und unzureichendbewiesen seien (Schlußanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn, Musiquediffusion française, u. a./Kommission, Slg. 1983, 1931). Andernfalls träfe die

Unternehmen eine unzulässige Beweislastumkehr; sie müßten den negativen Beweisihrer Nichtbeteiligung am Kartell erbringen und wären damit zu einer „probatiodiabolica“ gezwungen.

520.
    Im vorliegenden Fall habe die Kommission gegen diese Prinzipien und Regelnverstoßen.

521.
    Die Kommission hat nach Ansicht von LVM und DSM keineswegs Tatsachenbewiesen, sondern lediglich angeführt, was sie als mittelbare Beweise betrachte, wasaber in Wirklichkeit nur Behauptungen, Vermutungen oder Folgerungen seien(z. B. Randnrn. 9, 16, 20 und 23 der Entscheidung).

522.
    Elf Atochem macht geltend, die Kommission, die die Untauglichkeit der Beweisekenne, über die sie verfüge (Randnrn. 31 und 38 der Entscheidung), habe wederdie Richtigkeit der Daten, auf die sie ihre Analyse stütze, noch die Begründetheitihrer Würdigung dargetan. In Wirklichkeit habe sie das Vorliegen einesGesamtplans und aufgrund von Sitzungen zwischen einigen Herstellern, über derenZweck sie zugestandenermaßen keine Informationen besitze, die Durchführungeines solchen Plans behauptet, dessen Grundlage die 1980 bei ICI entdecktenVorschläge seien. Die Kommission habe jedoch weder die Beteiligung jedeseinzelnen Herstellers an dem, was sie als „gemeinsame Initiativen“ bezeichne, nochden einheitlichen Willen der Unternehmen nachweisen können, denen sie diegemeinsame Durchführung einer Zuwiderhandlung vorwerfe.

523.
    Nach Ansicht von BASF beruht die Beweisführung der Kommission auf einem„Zirkelschluß“. So gehe die Kommission zunächst von einem bestimmtenBeweisgehalt der vorliegenden Beweismittel aus und verwende dann dieselbenBeweismittel, um den Nachweis zu führen, daß sie den ihnen schon von vornhereinzugeschriebenen Beweisgehalt hätten. Dies sei eine unzulässige Beweislastumkehr.Ebenso unzulässig sei es, aus dem Fehlen belastender Schriftstücke, z. B. über dieSitzungen der Hersteller, eine Schuldvermutung zu konstruieren. Das Fehlen vonUnterlagen sei im übrigen angesichts des zwischen den ersten Ermittlungen und derMitteilung der Beschwerdepunkte verstrichenen Zeitraums unvermeidlich.

524.
    Wacker und Hoechst machen geltend, die Kommission habe durch einemißbräuchliche Ausnutzung des Indizienbeweises gegen die Regeln über dieBeweisführung verstoßen. Sie habe ihre Argumentation so aufgebaut, daß sie ausden Ausführungshandlungen auf das Vorhandensein einer Grundvereinbarungschließe und umgekehrt, ohne aber jemals das Vorliegen einer solchenVereinbarung oder solcher Handlungen zu beweisen.

525.
    Nach Ansicht von SAV hat die Kommission, obwohl sie eingeräumt habe, überkeine entscheidenden Beweise für die Teilnahme bestimmter Unternehmen,darunter der Klägerin, an dem Kartell zu verfügen, einen solchen Nachweis aus derBeteiligung jedes angeblichen Teilnehmers „an dem Kartell insgesamt“ hergeleitet.Die Kommission habe sich in Wirklichkeit darauf beschränkt, die Beteiligung aller

Unternehmen aus der Beteiligung einiger weniger abzuleiten (Randnr. 25 derEntscheidung). Daher seien die drei Beweise, die die individuelle Beteiligung vonSAV belegen sollten, ohne Beweiswert.

526.
    ICI macht geltend, daß die Beweise im vorliegenden Fall nicht ausreichten, um dieTatsachenbehauptungen der Kommission überzeugend zu belegen. Dies gelte fürden Gegenstand der Sitzungen und die dabei von den Herstellern eingegangenenVerpflichtungen (Randnr. 9, dritter und vierter Absatz, der Entscheidung), für dieDurchführung einer „Quoten“- und Preisregelung, für die Folgerung, daß die Preiseauf einer Abstimmung beruhten, oder auch für den Kausalzusammenhang zwischenden Planungsdokumenten und den späteren Feststellungen der Kommission hierzu(Randnrn. 24, zweiter Absatz, und 30, zweiter Absatz, der Entscheidung).

527.
    Jedenfalls genügten diese Tatsachenbehauptungen nicht, um die rechtlichenFolgerungen zu rechtfertigen, die die Kommission hieraus sowohl in bezug auf dasBestehen einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise als auchin bezug auf die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten ziehe(Urteil United Brands/Kommission, Randnrn. 248 bis 267, und Schlußanträge desGeneralanwalts Sir Gordon Slynn, Musique diffusion française/Kommission, Slg.1983, 1930 f.).

528.
    Hüls trägt vor, die Kommission habe ohne jede Erklärung in der angefochtenenEntscheidung etwas als feststehend qualifiziert, was in dem Schreiben derKommission vom 24. November 1987, mit dem die Klägerin um Auskünfte gebetenworden sei, erst bloße Wahrscheinlichkeiten gewesen seien. In Wirklichkeit sei dieKommission seit dem Auskunftsverlangen von der vorgefaßten Meinungausgegangen, daß die Klägerin gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen habe.

529.
    Die Kommission hält dem im wesentlichen entgegen, daß sie nicht gegen ihreBeweispflicht verstoßen habe. Nach ihrer Meinung verfügt sie über hinreichendeBeweise für die Feststellung einer Zuwiderhandlung (Randnr. 23 derEntscheidung). Falls diese Feststellung falsch sei, sei dies bei der Begründetheit zuprüfen. Insbesondere seien mittelbare Beweise zulässig (namentlich Urteile vom 14.Juli 1972, ICI/Kommission, Randnrn. 64 bis 68, CRAM und Rheinzink/Kommission,Randnrn. 16 bis 20, und Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Randnr. 71). Diessei im übrigen unerläßlich, da sich die europäischen Wirtschaftskreise zunehmendder Bedeutung des Wettbewerbsrechts bewußt würden. Im übrigen dürften dieBeweise nicht isoliert, sondern müßten zusammen gesehen werden (Urteile vom 14.Juli 1972, ICI/Kommission, Randnr. 68, CRAM und Rheinzink/Kommission,Randnr. 20, und Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Randnr. 163), und dieindividuellen Beweise dürften nicht aus ihrem Zusammenhang herausgelöst werden(Urteil SIV u. a. /Kommission, Randnrn. 91 bis 94).

Würdigung durch das Gericht

530.
    Die Prüfung dieses Klagegrundes geht in die Prüfung des auch von diesen gleichenKlägerinnen erhobenen Klagegrundes ein, mit dem sie offenkundige Fehler bei derBeurteilung des Sachverhalts rügen, die die Kommission beim Nachweis desVorliegens der Zuwiderhandlung und der Beteiligung der Unternehmen daranbegangen habe.

531.
    Somit ist der vorliegende Klagegrund später zu untersuchen, um ihn gleichzeitig mitden anderen materiell-rechtlichen Klagegründen zu prüfen.

B — Zum Vorliegen eines Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag

532.
    Sämtliche Klägerinnen ziehen die Sachverhaltswürdigung der Kommission inZweifel. Nur SAV bestreitet lediglich ihre Teilnahme an dem angeblichen Kartellmit der Begründung, daß sie von diesem keine Kenntnis gehabt habe. ZumNachweis dafür, daß sie an diesem Kartell nicht beteiligt gewesen sei, bestreitet siejedoch auch, zumindest teilweise, die von der Kommission festgestellten Tatsachen.Die letztgenannten Einwände sind daher an dieser Stelle zu prüfen.

533.
    Darüber hinaus beanstanden die Klägerinnen die rechtliche Qualifizierung desSachverhalts durch die Kommission.

534.
    Zunächst sind die tatsächlichen und anschließend die rechtlichen Einwände zuprüfen.

1. Zum Sachverhalt

Zusammenfassung der Entscheidung

535.
    In dem mit „Sachverhalt“ überschriebenen ersten Teil der Entscheidung hat dieKommission in einem ersten einleitenden Abschnitt die Unternehmen bezeichnet,die von der Entscheidung betroffen sind, und insbesondere das in Rede stehendeErzeugnis, den PVC-Markt und die in diesem Bereich bestehende Überkapazitätbeschrieben.

536.
    In einem zweiten Abschnitt ist sie auf die Zuwiderhandlung eingegangen, indem sienacheinander folgende fünf Aspekte geprüft hat: den Ursprung des Kartells(Randnr. 7 der Entscheidung), die Sitzungen der Hersteller (Randnrn. 8 und 9), dasQuotensystem (Randnrn. 10 bis 14), die Überprüfung der Verkäufe auf dennationalen Märkten (Randnrn. 15 und 16) sowie die Zielpreise und Preisinitiativen(Randnrn. 17 bis 22).

537.
    Bezüglich des Ursprungs des Kartells hat sich die Kommission im wesentlichen aufzwei Schriftstücke gestützt, die in den Geschäftsräumen von ICI gefunden wurdenund der Mitteilung der Beschwerdepunkte als Anlage 3 beigefügt waren(nachstehend: Planungsdokumente). Diese beiden Schriftstücke, von denen das

erste mit „checklist“ und das zweite mit „response to proposals“ überschrieben ist,stellen nach Ansicht der Kommission den Plan für ein Kartell dar.

538.
    Bezüglich der Herstellersitzungen hat die Kommission sich insbesondere auf dieAntworten einzelner Hersteller auf die Auskunftsverlangen gestützt, die siewährend des Vorverfahrens an diese gerichtet hatte.

539.
    Bei den Quotenregelungen hat die Kommission den den Unternehmen zur Lastgelegten Sachverhalt auf der Grundlage mehrerer Schriftstücke beschrieben. So hatsie sich auf drei als Anlagen 6, 7 und 9 zur Mitteilung der Beschwerdepunktebeigefügte Schriftstücke bezogen, aus denen sich ihrer Meinung nach ergibt, daßdie PVC-Hersteller eine Ausgleichsregelung zur Verstärkung einer Quotenregelungeingeführt hätten. Das erste Schriftstück mit der Überschrift „sharing the pain“ istein in den Geschäftsräumen von ICI aufgefundenes handschriftliches Dokument,das zweite Schriftstück stammt von ICI, wurde aber bei einem dritten Herstellergefunden (nachstehend: Alcudia-Dokument), und das letzte ist ein internesSchriftstück von DSM, das in den Geschäftsräumen dieses Unternehmens gefundenwurde (nachstehend: DSM-Dokument). Die Kommission hat sich auch auf zweiweitere Schriftstücke gestützt, nämlich einen in den Geschäftsräumen von ICIgefundenen Vermerk vom 15. April 1981, der die Abschrift einer Mitteilung desGeneraldirektors des petrochemischen Geschäftsbereichs von Montedison darstellt(nachstehend: Vermerk vom 15. April 1981; den Klägerinnen von der Kommissionmit Schreiben vom 27. Juli 1988 mitgeteilt), und eine in den Geschäftsräumen vonAtochem gefundene Tabelle (nachstehend: Atochem-Tabelle; Anlage 10 zurMitteilung der Beschwerdepunkte).

540.
    Bezüglich der Regelungen zur Überwachung der Verkäufe, die vorsahen, daß sichdie „inländischen“ Hersteller auf den wichtigsten nationalen Märkten gegenseitigüber die Mengen unterrichteten, die sie auf jedem Markt abgesetzt hatten, hat sichdie Kommission hauptsächlich auf eine Reihe von Tabellen gestützt, die in denGeschäftsräumen von Solvay gefunden wurden (nachstehend: Solvay-Tabellen) unddie als Anlagen 20 bis 40 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt waren.Die Kommission hat weiter auf die Antworten von Solvay vom 25. Februar 1988und von Shell vom 3. Dezember 1987 auf die Auskunftsverlangen Bezuggenommen. Diese Antworten waren der Mitteilung der Beschwerdepunkte alsAnlagen 41 und 42 beigefügt.

541.
    Bei den Preisinitiativen hat sich die Kommission im wesentlichen auf die internenUnterlagen mehrerer PVC-Hersteller gestützt, die als Anlagen P1 bis P70 derMitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt waren, sowie auf Artikel derFachpresse aus der Zeit von 1980 bis 1984, die als unnumerierte Anlagen derMitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt waren.

542.
    Schließlich hat die Kommission in einem dritten Abschnitt Feststellungennamentlich zum Nachweis für das Bestehen eines Kartells getroffen (Randnrn. 23

und 24 der Entscheidung). Dort heißt es: „Die in diesem Fall vorliegendeZuwiderhandlung zeichnet sich dadurch aus, daß jegliche Entscheidung weitgehendauf durch die Umstände bedingte Beweise gestützt werden muß. Das Besteheneines eine Zuwiderhandlung gemäß Artikel 85 darstellenden Sachverhalts wirdmöglicherweise, zumindest teilweise, durch eine logische Ableitung aus anderenbewiesenen Fakten zu belegen sein“ (Randnr. 23 der Entscheidung). Nach derAufzählung der ihr zur Verfügung stehenden Hauptbeweise führt die Kommissionaus, „daß die direkten und aus den Umständen abgeleiteten Beweise imvorliegenden Fall zusammen zu berücksichtigen sind ... Unter Berücksichtigungdieser Erwägung verstärken die einzelnen Beweismittel einander hinsichtlich desbetreffenden Sachverhalts und führen zu der Schlußfolgerung, daß auf dem PVC-Markt ein Marktaufteilungs- und Preisfestsetzungskartell bestand“ (Randnr. 24 derEntscheidung).

Vorbringen der Parteien

543.
    Nach Ansicht der Klägerinnen ist der Kommission der Nachweis der von ihrbehaupteten Tatsachen nicht gelungen.

— Zum Ursprung des Kartells

544.
    Die Klägerinnen machen geltend, daß die Planungsdokumente ohne Beweiswertseien.

545.
    Erstens tragen BASF, DSM, Wacker, Hoechst, Hüls und Enichem vor, es sei nichtbewiesen, daß diese Schriftstücke PVC beträfen; die der Mitteilung derBeschwerdepunkte als Anlagen 1 und 2 beigefügten Schriftstücke sollten somitlediglich suggerieren, daß die Planungsdokumente, die in Anlage 3 zur Mitteilungder Beschwerdepunkte enthalten seien, diesen Tätigkeitsbereich beträfen.

546.
    Zweitens ist nach Ansicht von BASF und Enichem nicht bewiesen, daß dieseSchriftstücke andere Märkte als den britischen Markt beträfen.

547.
    Drittens machen BASF, DSM, Wacker, Hoechst, SAV, Hüls und Enichem geltend,die „response to proposals“ stelle keine Entgegnung auf die „checklist“ dar. Daserste Schriftstück sei nämlich nach dem zweiten entstanden und die in der„response to proposals“ behandelten Themen entsprächen nicht denen der„checklist“. Keines der Planungsdokumente enthalte im übrigen eine Bezugnahmeauf das andere. Schließlich könne die Tatsache, daß diese Schriftstücke bei ihrerEntdeckung miteinander verbunden gewesen seien, das Fehlen einer inhaltlichenEntsprechung nicht ausgleichen.

548.
    Viertens tragen BASF, DSM, Wacker, Hoechst, SAV, Hüls und Enichem vor, daßnicht bekannt sei, wer die Planungsdokumente erstellt habe und für wen siebestimmt gewesen seien; somit sei nicht bewiesen, daß sie nicht nur die Ansichten

verschiedener Angestellter von ICI wiedergäben oder daß sie an andereUnternehmen gerichtet oder diesen zur Kenntnis gebracht worden seien.

549.
    Fünftens gibt es nach Ansicht der Klägerinnen keinen Beweis für einenZusammenhang zwischen diesen Dokumenten und den späteren restriktivenVereinbarungen, die die Kommission als bewiesen ansehe.

550.
    Schließlich machen BASF und DSM geltend, daß die „checklist“ sich zwar auf eineSitzung vom 18. September 1980 — ohne weitere Angabe — beziehe, dieKommission aber nicht nachgewiesen habe, daß diese Sitzung stattgefunden habe,daß es sich nicht um eine rein interne Sitzung von ICI gehandelt habe, daß sie zurPrüfung der „checklist“ stattgefunden habe oder daß sie zu Ergebnissen geführthabe.

— Zu den Herstellersitzungen

551.
    BASF verweist darauf, daß die Kommission weder Zeitpunkt noch Ort derSitzungen angegeben habe.

552.
    Die Klägerinnen sind mit Ausnahme von Shell der Ansicht, daß die Kommissioneinen wettbewerbswidrigen Zweck dieser Sitzungen nicht nachgewiesen habe. Wenndie Kommission aus den Antworten der Unternehmen auf die Auskunftsverlangenauf den gesetzwidrigen Zweck der Sitzungen schließe, verstehe sie diese Antwortenohne Grund falsch. Aus den Antworten ergebe sich nämlich, daß die Herstellerallgemein die Entwicklung des PVC-Marktes erörtert hätten. Diese Erklärung seidurchaus plausibel, da die Branche sich seinerzeit in einer Krise befunden habe undumfangreiches Material den Wettbewerb auf dem Markt belege. Nach Ansicht vonBASF kann die Kommission aus dem Fehlen von Protokollen dieser Sitzungennicht auf deren Rechtswidrigkeit schließen.

553.
    LVM, BASF, DSM und Enichem tragen vor, daß sich zwischen diesenHerstellersitzungen und einem angeblichen Gesamtplan keine Verbindungherstellen lasse. Jedenfalls kann nach Ansicht von Hüls der angeblichwettbewerbswidrige Zweck der Sitzungen nicht anhand der Planungsdokumentebewiesen werden, da diese ohne Beweiswert seien.

— Zu den Quoten- und Ausgleichsregelungen

554.
    Nach Ansicht der Klägerinnen haben die Schriftstücke, auf die die Kommission sichbeziehe, keinen Beweiswert.

555.
    Erstens könne die Kommission sich nicht mit Erfolg auf die Planungsdokumenteberufen (vorstehend, Randnrn. 544 ff.).

556.
    Zweitens sind BASF, Wacker, Hoechst und Hüls der Ansicht, daß das Schriftstück„sharing the pain“ und das Alcudia-Dokument nicht PVC beträfen und vonbranchenfremden Personen erstellt worden seien; deren Meinungen, die sich aufbruchstückhafte Informationen und Gerüchte stützten, könnten folglich kein Beweisfür eine Zuwiderhandlung sein.

557.
    Keines dieser beiden Dokumente beweise, daß eine Ausgleichsregelung tatsächlichbestanden habe und angewandt worden sei. Im übrigen sei das Alcudia-Dokumentals „Entwurf“ bezeichnet. Darüber hinaus habe ICI in ihrer Antwort vom 9.Oktober 1987 auf ein Auskunftsverlangen erklärt, daß eine solche Regelungniemals praktiziert worden sei.

558.
    Drittens sei auch das DSM-Dokument nicht beweiskräftig.

559.
    So handelt es sich dabei nach Ansicht von DSM, BASF und Hüls in Wirklichkeitum eine interne Marktstudie, in der die globalen Fides-Zahlen mit den eigenenVerkaufszahlen von DSM verglichen würden. Nach Ansicht von DSM ist mit demAusdruck Ausgleich in diesem Dokument nur der Ausgleich bezüglich frühererunzutreffender Angaben von Fides gemeint. Eine Ausgleichsregelung in der von derKommission angenommenen Bedeutung ergäbe im übrigen keinen Sinn, da dieNachfrage nach PVC im ersten Halbjahr 1982 gegenüber dem gleichen Halbjahrdes Vorjahres um 12 % gestiegen sei.

560.
    Wacker und Hoechst machen geltend, das DSM-Dokument sei ein Auszug auseinem umfangreicheren Schriftstück, so daß es für sich genommen unverständlichsei.

561.
    BASF verweist schließlich darauf, daß die Kommission keinen einzigen Fall einesAusgleichs zwischen Herstellern nachgewiesen habe; die Anwendung einer solchenRegelung, deren Funktionsweise nicht dargetan worden sei, sei daher nichtbewiesen. Die Lieferungen geringer Mengen von Hersteller an Hersteller, umEngpässe auszugleichen, könnten nicht als Ausgleichslieferungen angesehen werden.

562.
    Viertens sei die Atochem-Tabelle nicht beweiskräftig.

563.
    Elf Atochem räumt ein, daß dieses Schriftstück in ihren Geschäftsräumen gefundenworden sei, verweist aber darauf, daß es mit dem Unternehmen nichts zu tun habeund im Büro einer Person ohne Entscheidungsbefugnisse unter allgemeinenPlanungsunterlagen, die sich nicht auf PVC bezogen hätten, gefunden worden sei.

564.
    BASF trägt vor, dieses angeblich von 1984 stammende Dokument sei nachträglicherstellt worden, was in einem Quotensystem keinen Sinn ergebe. Wacker undHoechst verweisen darauf, daß nicht bekannt sei, woher die dort angeführtenZahlen stammten; diese Angaben könnten jedenfalls aus öffentlichen Quellenstammen.

565.
    Nach Ansicht von BASF, Wacker, Hoechst und Hüls ist die Behauptung, daß dieAbkürzung „% T“ in der Atochem-Tabelle für eine Zielquote stehe, reineSpekulation; die Angaben für die deutschen Hersteller entsprächen genau demAnteil an der Produktionskapazität, so daß „% T“ Anteil an der Gesamtkapazitätbedeuten könne.

566.
    Im übrigen verweisen LVM, BASF, DSM und Enichem darauf, daß dietatsächlichen Absatzmengen nicht den in der Atochem-Tabelle aufgeführtenMengen entsprächen, was für die Auffassung spreche, daß die angegebenen Zahlennur persönliche Schätzungen seien. In Wirklichkeit verfüge die Kommission nur fürdrei von dreizehn Unternehmen über die tatsächlichen Absatzzahlen, und nur sechsvon elf Zahlen für diese drei Unternehmen entsprächen den tatsächlichenAbsatzzahlen.

567.
    Konkret zu den deutschen Herstellern führen BASF, Wacker, Hoechst und Hülsaus, daß deren Absätze zusammengefaßt seien, so daß die genaue Bestimmung derUnternehmen und ihrer Absätze unmöglich sei. Dies spreche gegen eineQuotenregelung. Im übrigen zeige der Vergleich dieser angeblichen Quoten mitden tatsächlichen Absatzzahlen von Hoechst, wie sie im Oktober 1988 von einerWirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelt und bestätigt worden seien, erheblicheUnterschiede in der Größenordnung von 5 %.

568.
    Fünftens bestreitet BASF die Erheblichkeit der Schriftstücke, auf die dieKommission ihre Analyse der Atochem-Tabelle stützt.

569.
    So zeigten die Anlagen 13 bis 16, die die statistischen Aufzeichnungen über dietatsächlichen Absätze beträfen, lediglich, daß die Meldungen der Hersteller an dasSystem Fides richtig gewesen seien. Die Anlagen 17 und 19 seien nur interneSchriftstücke, die Absatzziele angäben, die sich die Unternehmen selbst gesetzthätten. Die Anlage 18 spreche gegen ein Quotensystem, da ICI dort von einemRückgang ihres Marktanteils für die kommenden Monate spreche.

570.
    Sechstens machen Wacker, Hoechst und Hüls geltend, daß der Vermerk von ICIvom 15. April 1981 ebenfalls ohne Beweiswert sei. Er habe nicht nur keinen Bezugzu PVC, sondern seine Bedeutung bleibe darüber hinaus unklar.

— Zur Überwachung der Verkäufe auf den nationalen Märkten

571.
    Erstens trägt Hüls vor, die Solvay-Tabellen seien so, wie sie zustande gekommenseien, ohne Beweiswert. Sie seien auf der Grundlage von Informationen, derenQuelle unbekannt sei, erst nachträglich für eine Marktstudie erstellt worden. Eshandele sich höchstens um bloße Hypothesen über die Entwicklung der Umsätze,die im folgenden Jahr niemals erreicht worden seien, und um Schätzungen, wie dieabgerundeten Zahlen belegten. Da diese Schriftstücke auf Französisch und nicht

auf Englisch verfaßt worden seien, könne es sich nur um interne Unterlagen vonSolvay handeln.

572.
    Zweitens trägt LVM vor, daß die Solvay-Tabellen nur aussagekräftig wären, wennsie exakt wären; sie wiesen aber erhebliche Unterschiede zu den tatsächlichenVerkäufen auf. Die Kommission habe nämlich nur die vorläufig an Fidesgemeldeten Zahlen und nicht die endgültigen Zahlen von Fides, die allein dietatsächlichen Verkäufe wiedergäben, berücksichtigt. Angesichts der Lade- undLieferzeitpunkte seien Differenzen möglich. Im übrigen verweisen Wacker undHoechst darauf, daß die Solvay-Tabellen keine individuellen Daten für diedeutschen Hersteller enthielten, sondern lediglich globale Zahlen.

573.
    Drittens hätte nach Ansicht von Hüls die Gesamtzahl der PVC-Verkäufe auf demdeutschen Markt (Anlage 20 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte), wenn sie mitden Fides-Meldungen übereinstimmen würde, nach den Regeln des Fides-Systemsnicht die Lieferungen an die Dynamit Nobel AG umfassen dürfen; dieseUnrichtigkeit zeige also, daß die Zahlen in der Anlage 20 nicht mit dem Fides-System übereinstimmten.

574.
    Viertens werfen LVM, BASF, DSM, Montedison und Enichem der Kommissionvor, daß sie keinen Beweis für ihre Behauptung erbracht habe, daß die genauenAbsatzzahlen ohne einen freiwilligen Informationsaustausch zwischen denHerstellern nicht zu erlangen gewesen wären. Solvay habe dagegen erklärt, diestatistischen Unterlagen, auf die die Kommission ihre Anschuldigung stütze, alleinund zu internen Zwecken erstellt zu haben. DSM bestreitet anhand von Beispielendie Behauptung der Kommission, daß eine genaue Berechnung der Marktanteilejedes Herstellers ohne einen Informationsaustausch zwischen diesen nicht möglichgewesen wäre. In Wirklichkeit habe jedes Unternehmen den Absatz derKonkurrenten ohne irgendeinen unzulässigen Informationsaustausch allein aufgrundleicht zugänglicher Informationen sehr genau schätzen können. Nach Ansicht vonBASF setzt der Begriff des Austauschs eine Gegenseitigkeit von Leistungenzwischen Unternehmen voraus; dies sei aber nicht einmal behauptet worden. Auchwenn, so Enichem, in einem Vermerk, der sich auf die Tabelle der Anlage 34 undim übrigen nur auf diese beziehe, von einem Informationsaustausch mit Kollegendie Rede sei, werde dort jedenfalls nicht angegeben, wer diese Kollegen seien;angesichts der aggressiven Politik der Klägerin könne es sich nur umArbeitskollegen bei Solvay und nicht bei der Klägerin handeln. Jedenfalls handelees sich nur um Daten, die sich auf die Vergangenheit und nicht auf die Zukunftbezogen hätten.

575.
    Schließlich machen BASF und Shell geltend, die Kommission habe den Sinn derAntwort von Shell auf ein Auskunftsverlangen entstellt. Zum einen habe Shellnämlich angegeben, daß Solvay keine genauen Informationen mitgeteilt wordenseien; solche Mitteilungen hätten die Absätze in Westeuropa betroffen und könntendamit nicht die Quelle für die Daten in den Unterlagen von Solvay sein, die eineAufteilung nach Ländern enthielten. Solche Informationen seien, wie Shell weiter

ausführt, nur gelegentlich zwischen Januar 1982 und Oktober 1983 mitgeteiltworden, während die Unterlagen von Solvay die Zahlen für die Zeit von 1980 bis1984 enthielten. Diese Tatsachen sprächen dafür, daß die Unterlagen von Solvayauf der Grundlage der veröffentlichten amtlichen Statistiken und der Kontakte mitden Kunden ausgearbeitet worden seien.

— Zu den Preisinitiativen

576.
    BASF, Wacker, Hoechst und Montedison bekräftigen, daß die Planungsdokumentekeinen Beweiswert hätten (vgl. vorstehend, Randnrn. 544 ff.).

577.
    Nach Ansicht von LVM und DSM waren Zielpreise auf dem PVC-Markt nichtdenkbar; die Preise seien nämlich in jedem einzelnen Fall ausgehandelt worden.

578.
    LVM, DSM, Wacker und Hoechst machen geltend, die Anlagen P1 bis P70 zurMitteilung der Beschwerdepunkte seien nicht beweiskräftig, da es sich umnachträglich erstellte unternehmensinterne Berichte handele.

579.
    Für LVM, BASF, DSM, Wacker, Hoechst, Montedison, Hüls und Enichemerlauben diese Anlagen jedenfalls nicht den Schluß, daß die ihnen zur Last gelegtenInitiativen abgestimmt gewesen seien; in Wirklichkeit seien die fraglichen Initiativennur das Ergebnis selbständiger Entscheidungen der Unternehmen ohne irgendeinevorherige Abstimmung. Die Unternehmen hätten sich lediglich klug denMarktbedingungen angepaßt.

580.
    Schließlich tragen die Klägerinnen vor, die Anlagen P1 bis P70 und die ihnen vonder Kommission am 3. Mai 1988 übermittelten Schriftstücke zeigten im Gegenteileinen vom Wettbewerb geprägten Markt, auf dem sich namentlich die Preise häufigschnell entwickelt und einige Hersteller ein aggressives Verhalten gezeigt hätten.

581.
    Die Artikel aus der Fachpresse könnten kein Beweis und nicht einmal ein Indiz füreine Zuwiderhandlung sein. Sie seien daher zur Stützung der Auffassung derKommission nicht ausreichend.

Würdigung durch das Gericht

582.
    Um den Ursprung des Kartells zu ermitteln, hat sich die Kommission auf denWortlaut der Planungsdokumente, die Auskünfte, die ICI hierzu als Antwort aufein an sie gerichtetes Auskunftsverlangen gegeben hat, und auf die engeKorrelation gestützt, die zwischen den in diesen Dokumenten beschriebenengeplanten Verhaltensweisen und den auf dem Markt festgestelltenVerhaltensweisen bestanden habe.

583.
    Somit sind zunächst die verschiedenen Verhaltensweisen zu prüfen, die dieKommission ihrer Ansicht nach auf dem Markt nachgewiesen hat, indem sie sie mitden in den Planungsdokumenten vorgesehenen Verhaltensweisen verglichen hat.

— Zu den Quotenregelungen

584.
    Die „checklist“, das erste Planungsdokument, enthält unter Nummer 3 „Vorschlägefür einen neuen Rahmen für die Sitzungen“. Dieser Abschnitt enthält im Anschlußan eine Aufzählung verschiedener, namentlich in Form von Anfangsbuchstabenoder Abkürzungen genannter Hersteller, die als mögliche Teilnehmer an diesenSitzungen angesehen wurden, einen Unterabschnitt über die „Vorschläge für dasFunktionieren dieser Sitzungen“, der wiederum zwei Teile enthält: „ProzentualeMarktanteile sowie die zulässigen Abweichungen von diesen Marktanteilen“ und„Regelung für die Schaffung neuer Kapazitäten“.

585.
    Die „response to proposals“, das zweite Planungsdokument, enthält unter Nummer2 den Vorschlag, „künftig mengenmäßige Quoten auf betrieblicher und nicht wiefrüher auf nationaler Basis festzulegen“, zusammen mit dem Kommentar: „[S]tarkeUnterstützung, aber damit ein künftiges Quotensystem realistisch und durchführbarist, muß eine Regelung für die Schaffung neuer Kapazitäten und dieWiederinbetriebnahme von Produktionsanlagen nach einer vorübergehendenStillegung“ aufgenommen werden. Nummer 3 dieses Dokuments enthält denfolgenden Vorschlag: „Der Marktanteil der Hersteller müßte auf der Grundlagedes Anteils im Jahre 1979 berechnet werden, wobei offenkundige Anomalien indiesem Jahr zu berichtigen wären“, zusammen mit dem Kommentar: „StarkeUnterstützung“. Schließlich enthält Nummer 4 folgenden Vorschlag: „Eine flexibleGrenze von +/— 5 % sollte für die nach vorstehend unter Nummer 3 festgelegtenMarktanteile gelten, so daß die tatsächliche Marktstellung des einzelnen Herstellerssich entsprechend seinem tatsächlichen Potential entwickeln kann“, zusammen mitfolgendem Kommentar: „Viele Bedenken hiergegen, in erster Linie deshalb, weiles, wenn Marktanteile festgelegt werden sollten, gefährlich wäre, eine Erlaubnis zurÜberschreitung des vereinbarten Anteils aufzunehmen“.

586.
    Zum Nachweis einer Quotenregelung hat sich die Kommission in ihrerEntscheidung auf mehrere Schriftstücke bezogen, die sie sich in Kopie währendihrer Nachprüfungen verschaffen konnte.

587.
    Sie hat sich dabei namentlich auf drei Schriftstücke gestützt, die eineAusgleichsregelung belegten, die 1981 zwischen den PVC-Herstellern durchgeführtworden sei, und damit das Vorliegen von Quotenregelungen bewiesen, derennotwendige Ergänzung die Ausgleichsregelung sei.

588.
    Das in den Geschäftsräumen von ICI aufgefundene Schriftstück „sharing the pain“betrifft in erster Linie eine Regelung, mit der die Belastung durch dieAbsatzbeschränkung für ein anderes thermoplastisches Erzeugnis als PVC geteiltwerden sollte. Dort findet sich jedoch folgende Feststellung: „Die mit

vergleichbaren Regelungen für PVC und LDPE gewonnenen Erfahrungenverheißen nichts Gutes, doch lassen sich einige Lehren daraus ziehen.“ Nach demHinweis auf die „Zielmenge“ fährt der Verfasser des Schriftstücks fort: „In bezugauf was werden die Leistungen beurteilt? Die PVC-Hersteller waren in der Lage,mit vereinbarten Marktteilen für 1981 zu arbeiten.“ Schließlich wird daraufhingewiesen, daß „die PVC-Regelung nur Berichtigungen zuließ, wenn dieVerkäufe eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe weniger als 95 %der Zielmenge erreichten. Dies ermöglichte den Gesellschaften, ihren Marktanteilungestraft zu überschreiten ...“

589.
    Das Alcudia-Dokument, das von ICI stammt, aber bei einem spanischen Herstellergefunden wurde, betrifft den Entwurf einer Regelung eines Ausgleichs zwischenLDPE-Herstellern, die weniger als eine vorher festgelegte Menge verkauft hatten,und solchen, die mehr als diese Menge verkauft hatten. Dort heißt es: „DieRegelung ist sehr ähnlich einer Regelung, die unlängst von den PVC-Herstellerneingeführt und für die Hälfte der Mai- und für die Juni-Verkäufe wirksam wurde.“Anschließend werden die Hauptmerkmale dieses Systems beschrieben, das dem beiPVC angewandten entspricht. So verständigen sich die Hersteller über ihreAbsatzziele, die einem bestimmten Prozentsatz ihres Gesamtabsatzes entsprechen.Sobald die vorläufigen Zahlen von Fides bekannt sind, werden die Zielmengen fürjeden Teilnehmer errechnet und mit den tatsächlichen Verkäufen verglichen, umdie Abweichungen festzustellen. Ein Ausgleich findet zwischen denen statt, die ihreQuote überschritten haben, und denen, die sie nicht erreicht haben. ZurVereinfachung des Verfahrens war auch daran gedacht, die „Hersteller in.Gruppen' zusammenzufassen, in der Hoffnung, daß innerhalb einer GruppeRegelungen gefunden werden können, um die Schwankungen zu beseitigen“.Weiter wird die Möglichkeit einer alternativen Regelung angeführt, die nurSchwankungen über 5 % berücksichtigt. In diesem Dokument vergleicht derVerfasser die vorgeschlagene LDPE-Regelung mit der „PVC-Regelung“ und führtdazu insbesondere aus: „Kann die Regelung nur mit 2 oder 3 der Herstellerfunktionieren? An der PVC-Regelung ist nur ein Hersteller nicht beteiligt.“

590.
    Der Wortlaut dieser Dokumente bestätigt in überzeugender Weise dieSchlußfolgerungen, die die Kommission daraus gezogen hat.

591.
    Auch wenn beide Dokumente ein anderes thermoplastisches Erzeugnis betreffen,beziehen sich die von der Kommission in ihrer Erwiderung genannten Stellen diesesDokuments doch ausdrücklich auf PVC.

592.
    Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Unterlagen, daß die streitigeAusgleichsregelung von allen PVC-Herstellern bis auf einen tatsächlich praktiziertwurde. Das Alcudia-Dokument im besonderen stellt nur insoweit einen Entwurfdar, als es ein anderes thermoplastisches Produkt, nämlich LDPE, betrifft.

593.
    Schließlich ist der Einwand der Klägerinnen, daß diese Dokumente keinezuverlässige Quelle seien, da ihr Verfasser nicht im PVC-Sektor tätig gewesen sei,zurückzuweisen. Beide Dokumente enthalten nämlich genaue Angaben,insbesondere hinsichtlich der Zeitpunkte, der Prozentsätze und der Zahl der an derPVC-Regelung Beteiligten, die zu dem Schluß führen, daß die Verfasser dieRegelung, auf die sie sich beziehen und aus der sie angesichts der „gewonnenenErfahrungen“ eine Lehre ziehen wollen, genau kannten.

594.
    Die Kommission bezieht sich ebenfalls auf das DSM-Dokument vom 12. August1982.

595.
    So stellt der Verfasser des Dokuments, wie die Kommission im vorletzten undletzten Abschnitt der Randnummer 11 der Entscheidung ausführt, eine erheblicheDifferenz von 12 % zwischen den Verkaufsstatistiken für PVC in Westeuropa imersten Halbjahr 1982 und denen im ersten Halbjahr 1981 fest, obwohl dieNachfrage in diesem Raum in spürbar geringerem Umfang gestiegen war.Außerdem sieht der Verfasser deutlich unterschiedliche Entwicklungen zwischenden geographischen Märkten. Nach seiner Meinung können Erklärungen, die sichauf die normale Marktentwicklung stützten (Rückgang der Einfuhren ausDrittländern nach Westeuropa, Lagerbestände und Erhöhung der Produktivität),die ursprünglich in Betracht gezogen worden seien (vgl. dazu Anlage P22 zurMitteilung der Beschwerdepunkte, die ein Schriftstück von DSM vom 12. Juli 1982ist), nicht akzeptiert werden. Der Verfasser fährt fort: „Eine Erklärung könnte infalschen Angaben über die Verkäufe im ersten Halbjahr 1981 (Ausgleich!)gefunden werden. Dieser Punkt wird untersucht werden.“

596.
    Aus diesem Dokument folgt somit, daß die Marktentwicklung im ersten Halbjahr1982 gegenüber dem ersten Halbjahr 1981 sich nicht anhand der normalenMarktbedingungen erklären läßt, sondern durch falsche Absatzmeldungen für daserste Halbjahr 1981. Grund für diese falschen Meldungen waren die Regelungenüber den Ausgleich zwischen den Herstellern. Wie die Kommission ausgeführt hat,beweist dieses Dokument, das vor allem zusammen mit den beiden zuvorbehandelten zu lesen ist, die eine Ausgleichsregelung für das erste Halbjahr 1981belegen, daß einige Hersteller zweifellos für dieses Halbjahr niedrigere als dietatsächlichen Verkaufszahlen angegeben haben, um dieser Regelung zu entgehen.

597.
    Dieses Dokument erlaubt ebenfalls den Schluß, daß diese Regelung wegen desVerhaltens einiger Hersteller nicht besonders gut funktioniert hat. Dies ist imübrigen im Zusammenhang mit dem Dokument „sharing the pain“ zu sehen, indem es heißt, daß „die mit vergleichbaren Regelungen für PVC und LDPEgewonnenen Erfahrungen ... nichts Gutes [verheißen]“.

598.
    Die von DSM vertretene andere Auslegung des Begriffes „Ausgleich“, die imübrigen wenig klar ist, ist nicht überzeugend. Es ist nämlich kaum anzunehmen, daßdie Hersteller zur Berichtigung von Fehlern in ihren Meldungen an Fides für ein

bestimmtes Jahr im folgenden Jahr einen Absatz angegeben haben, dem sie die imvergangenen Jahr weggelassenen Verkäufe hinzugerechnet haben.

599.
    Zum Nachweis einer Quotenregelung bezieht sich die Kommission auch auf einenbei ICI aufgefundenen Vermerk vom 15. April 1981. Dieser Vermerk ist dieMitteilung des Generaldirektors des Geschäftsbereichs Petrochemie vonMontedison an ICI. Dort heißt es: „ICI könnte z. B. bis Ende 1981 über eine neuePVC-Kapazität in Deutschland verfügen und hat seit Januar 1981 eineQuotenerhöhung von 30 KT verlangt.“ ICI plante nämlich, wie die Kommissionausgeführt hat, zu diesem Zeitpunkt den Bau einer neuen Anlage in Deutschlandund die Stillegung älterer Anlagen an einem anderen Ort.

600.
    Wenn dieser Vermerk auch in erster Linie ein anderes thermoplastisches Erzeugnisbetrifft, bezieht er sich in der vorstehend wiedergegebenen Passage dochausdrücklich auf PVC.

601.
    Im übrigen konnten die Klägerinnen das in diesem Vermerk enthaltene Wort„Quote“ nicht anders auslegen, als es die Kommission getan hat. Dieser Vermerkist die Abschrift einer Mitteilung eines Leiters eines Konkurrenzunternehmens, sodaß man nicht davon ausgehen kann, daß das Wort „Quote“ sich lediglich aufunternehmensinterne Ziele von ICI bezieht.

602.
    Nach Ansicht der Kommission hat die auf diese Weise nachgewieseneAbsatzkontrolle zumindest bis April 1984 bestanden. Die Kommission stützt sichhierfür auf die Atochem-Tabelle mit der Überschrift „PVC — erstes Quartal“.

603.
    Diese Tabelle enthält neun Rubriken:

—    In der ersten werden sämtliche europäischen PVC-Hersteller aufgezählt, dieseinerzeit auf dem Markt tätig waren.

—    In der zweiten, der dritten und der vierten Rubrik werden für jedeneuropäischen Hersteller mit Ausnahme der vier deutschen Hersteller, derenAbsatz zusammengefaßt ist, die jeweils im Januar, Februar und Märzerzielten Absätze angegeben. Für die ersten beiden Monate enthält dieTabelle den Hinweis „FIN“ und für den letzten Monat den Hinweis „Q“.Es ist nicht bestritten worden, daß diese Hinweise den endgültigen (englisch:„final“) und sofortigen (englisch: „quick“) Zahlen entsprechen, die an dasFides-Informationssystem weitergegeben wurden; dies ergibt sich im übrigenaus der als Anlage 11 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügtenAntwort von Atochem vom 5. Mai 1987 auf ein Auskunftsverlangen derKommission. Das Fides-System ist, wie in der Entscheidung (Randnr. 12,dritter Absatz) ausgeführt wird, ein statistischer Dienst für die Industrie,der von einem Buchhaltungsunternehmen mit Sitz in Zürich betrieben wird.Die Hersteller, die Mitglieder dieses Systems sind, liefern ihre

Verkaufszahlen zunächst sofort und dann als endgültige Zahlen an eineZentralstelle, die sämtliche Informationen sammelt und für den gesamtenwesteuropäischen Markt umfassende, anonyme Statistiken erstellt.

—    In der fünften Rubrik sind die Gesamtverkäufe für das erste Quartalangegeben.

—    Die sechste Rubrik enthält den Prozentsatz der Verkäufe der europäischenHersteller im Verhältnis zu deren Gesamtabsatz während der ersten vierMonate.

—    Die siebte Rubrik ist überschrieben „% T“.

—    In der achten Rubrik sind die Verkäufe für den Monat April mit demHinweis „Q“ angegeben.

—    In der letzten Rubrik findet sich der Anteil der Hersteller im Verhältniszum Gesamtabsatz der europäischen Hersteller im ersten Quartal.

604.
    Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Abkürzung „% T“offenkundig ein Hinweis auf einen angestrebten Marktanteil (englisch: „target“) sei.Sie entnimmt diesem Dokument ebenfalls, daß die genannten Hersteller ihreVerkaufszahlen außerhalb des offiziellen Fides-Systems untereinander ausgetauschthätten, um die Durchführung einer Quotenregelung zu überwachen. Schließlich hatdie Kommission geprüft, inwieweit die Hersteller die ihnen zugewiesene Zielmengeerreicht haben.

605.
    Zunächst ist festzustellen, daß die genaue Identität des Verfassers des Dokumentsnicht entscheidend ist. Von Bedeutung ist allein, ob die Schlußfolgerungen, die dieKommission aus der Atochem-Tabelle gezogen hat, richtig sind.

606.
    Es ist unstreitig, daß diese Tabelle die ersten Monate des Jahres 1984 betrifft, wiesich auch aus der Antwort von Atochem vom 5. Mai 1987 auf einAuskunftsverlangen ergibt. Da die Tabelle für die Monate März und April 1984 nur„sofortige“ und keine endgültigen Zahlen enthält, kann diese Tabelle im Mai 1984erstellt worden sein.

607.
    Erstens ist die Auslegung der Abkürzung „% T“ durch die Kommission zutreffend.Es ist nicht denkbar, daß diese Abkürzung nur die rein unternehmensinternfestgesetzten Zielmengen betrifft; dies würde nämlich nicht erklären, wieso derVerfasser des Dokuments über sämtliche in den einzelnen Unternehmen internfestgesetzten Ziele verfügte. Zudem läßt sich diese Abkürzung nicht losgelöst vomZusammenhang der vorliegenden Rechtssache auslegen, insbesondere nicht ohneBerücksichtigung der anderen Schriftstücke, die überzeugend das Vorliegen einerQuotenregelung der PVC-Hersteller belegen. Im übrigen ergibt sich aus derTabelle, daß in dem Schriftstück nicht die Marktanteile im Verhältnis zum

Gesamtabsatz in Westeuropa angegeben werden, da die Einfuhren nichtberücksichtigt worden sind, sondern der jeweilige Marktanteil der Hersteller imVerhältnis zu dem von diesen in ihrer Gesamtheit repräsentierten Markt, wasbestätigt, daß das Ziel die Kontrolle des Marktanteils im Rahmen der Absprachewar. Schließlich haben die Klägerinnen keine andere plausible Bedeutung derAbkürzung „% T“ im Kontext dieser Rechtssache angeben können.

608.
    Zweitens hat die Kommission versucht, zu überprüfen, ob die in der Tabelle für dieeinzelnen Hersteller angegebenen Verkaufsmengen den von den Unternehmen beiFides tatsächlich gemeldeten Mengen entsprachen. Nach den Angaben derKommission hierzu war es ihr nicht möglich, von allen Herstellern eine Kopiedieser Meldungen zu erlangen, und sie konnte daher die in der Tabelleangegebenen Verkaufszahlen nicht systematisch überprüfen. Von einigenUnternehmen hat die Kommission jedoch die Verkaufszahlen erhalten. Aus diesenZahlen ergibt sich, daß zehn der Verkaufszahlen, die sie überprüfen konnte, mitden Meldungen der Hersteller an Fides identisch sind. Darüber hinaus liegen fünfweitere Verkaufszahlen, die Solvay und LVM betreffen, nahe bei der in der Tabellegenannten Zahl.

609.
    Schließlich hat sich die Kommission bemüht, die Verkäufe der vier deutschenHersteller für das erste Quartal 1984 zu errechnen. Sie hat sich dazu der von dreidieser Unternehmen (BASF, Wacker und Hüls) an Fides gemeldeten Daten, diesie in Kopie erhalten konnte, und der von Hoechst in deren Antwort vom 27.November 1987 auf ein Auskunftsverlangen der Kommission selbst angegebenenVerkaufszahlen bedient. Auf diese Weise gelangte sie zu einer Gesamtmenge von198 353 t, die sie mit der Gesamtmenge von 198 226 t, die sich aus der Atochem-Tabelle ergibt, verglich. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gesamtmengenkann in der Tat vernachlässigt werden und bestätigt die Auffassung derKommission, daß ein solches Ergebnis ohne einen Informationsaustausch zwischenden Herstellern nicht möglich gewesen wäre.

610.
    Die Kommission hat auf das Ergebnis dieser Berechnung und dieSchlußfolgerungen verwiesen, die sie daraus in der Mitteilung derBeschwerdepunkte gezogen hat. Bei der Anhörung vor der Kommission hatHoechst jedoch die von ihr selbst ursprünglich vorgelegten Zahlen bestritten undneue Zahlen vorgelegt. Die Kommission hat aber nachweisen können, daß diesenicht glaubhaft sind. So hat sie in der Entscheidung (Randnr. 14, Fußnote 1)ausgeführt: „Neue von Hoechst anläßlich der mündlichen Anhörung (aber ohneBeweismaterial) vorgelegte Zahlen ... sind völlig aus der Luft gegriffen. Sie würdenbedeuten, daß Hoechst eine Kapazitätsauslastung von über 105 % hatte, währenddie Kapazitätsauslastung bei anderen nur 70 % betrug.“ Tatsächlich hat Hoechstzugegeben, daß diese neuen Zahlen unzutreffend waren, und hat der Kommissionmit Schreiben vom 21. Oktober 1988 eine dritte Serie von Zahlen vorgelegt.

611.
    Diese neue Zahlenserie enthält gegenüber den ursprünglich vorgelegten Zahleneine unbedeutende Berichtigung der Verkaufszahlen von Hoechst in Europa, dieim übrigen die Richtigkeit der Zahlen in der Atochem-Tabelle nur bestätigt;hinzugefügt ist dort aber als „Verkäufe an die Verbraucher“ im Sinne der Fides-Meldungen der Eigenverbrauch von Hoechst für ihr Werk Kalle. Angesichts derUmstände, unter denen diese Zahlen vorgelegt worden sind, können sie aber nichtals hinreichend glaubhaft angesehen werden, um die von der Klägerin in ihrerAntwort auf ein Auskunftsverlangen selbst vorgelegten Zahlen in Zweifel zu ziehen.

612.
    Die deutschen Hersteller machen jedoch geltend, daß ihre Verkäufezusammengefaßt und nicht einzeln ausgewiesen worden seien; infolgedessen genügees, daß drei der vier deutschen Hersteller an diesem Informationsaustauschteilgenommen hätten, um den Anteil des vierten durch einfache Subtraktion vonden offiziellen Gesamtzahlen von Fides zu ermitteln. Daher sei die Atochem-Tabelle für keinen der vier deutschen Hersteller aussagekräftig. Dieses Vorbringenist zurückzuweisen. Die Tabellen von Fides zeigen nämlich die Verkäufe ausDeutschland insgesamt und nicht nur die Verkäufe der vier deutschen Hersteller;diese Statistiken weisen für das erste Quartal 1984 einen Gesamtabsatz auf, dererheblich höher ist als der Gesamtabsatz von BASF, Wacker, Hoechst und Hülsallein. Unter diesen Umständen ließ sich bei Kenntnis der Verkaufszahlen von dreivon ihnen nicht durch Subtraktion ein Gesamtabsatz der vier deutschen Herstellerermitteln, der ebenso genau ist wie der in der Atochem-Tabelle ausgewiesene.

613.
    Die in der Atochem-Tabelle angeführten Verkaufszahlen sind bis auf die für dieUnternehmen ICI und Shell, die offensichtlich gerundet worden sind, genau; für ICIenthält die Tabelle in einer Fußnote folgenden Hinweis: „Berechnet auf derGrundlage der Fides-Daten“. Dies erhärtet den Schluß der Kommission, daß dieZahlen für die anderen Hersteller nicht bloße Schätzungen aufgrund der offiziellenDaten seien, sondern Angaben der Hersteller selbst. Wenn die Hersteller ihreeigenen Verkaufszahlen individuell an Fides melden, so geschieht dies aufvertraulicher Basis. Die Hersteller erhalten im Gegenzug nur zusammengefaßteDaten und nicht die von den anderen Herstellern gemeldeten individuellen Daten.

614.
    Drittens hat die Kommission geprüft, ob die Marktanteile der Hersteller imVerhältnis zueinander für 1984 der Zielmenge entsprachen, die in der Atochem-Tabelle angegeben ist. So konnte sie anhand der ihr zur Verfügung stehendenInformationen feststellen, daß der Marktanteil von Solvay 1984 mit der in derAtochem-Tabelle genannten Zielmenge übereinstimmte. Zudem konnte siefeststellen, daß der Marktanteil der vier deutschen Hersteller für 1984 in Höhe von24 % nahe an die in dieser Tabelle angegebene Zielmenge von 23,9 %heranreichte. Schließlich belief sich der Marktanteil von ICI für 1984 auf 11,1 %,während die Zielmenge für dieses Unternehmen in der Atochem-Tabelle mit 11 %angegeben war. Übrigens ist bezeichnend, wie auch die Kommission hervorgehobenhat, daß zwei interne Schriftstücke von ICI vom 18. September und vom 16.Oktober 1984, die als Anlagen 17 und 18 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte

vorgelegt wurden, sich genau auf eine Zielmenge von 11 % für das Unternehmenbeziehen.

615.
    Enichem macht geltend, daß ihr Anteil am Absatz 1984 12,3 % betragen habe, waseindeutig unter dem in der Atochem-Tabelle angegebenen Satz liege. DieserEinwand ist zurückzuweisen. Enichem ist aufgefordert worden, anzugeben, aufwelcher Grundlage sie ihren Marktanteil für 1984 ermittelt hat, konnte aberkeinerlei Erklärung zu den von ihr herangezogenen Unterlagen abgeben. Zudemhat diese Klägerin in den Anlagen zu ihrer Klageschrift (Band III, Anlage 2) eineTabelle vorgelegt, die ihre jährlichen Verkäufe für die Zeit von 1979 bis 1986wiedergibt und der sich entnehmen läßt, daß die Marktanteile für jedes dieserJahre auf die gleiche Weise berechnet worden sind. Die Klägerin hat auf eineentsprechende Aufforderung des Gerichts im Rahmen prozeßleitender Maßnahmenfür die Jahre 1979 bis 1982 zu erklären versucht, wie sie ihren Marktanteilberechnet hat. Dabei hat sie lediglich für jedes dieser Jahre ihre Verkaufszahlenangegeben, aber keine Einzelheiten, die dieses Vorbringen stützen könnten.Darüber hinaus sind diese Verkaufszahlen nicht auf die Verkäufe der europäischenHersteller in Westeuropa, sondern auf die Zahlen des europaweiten Verbrauchsbezogen, der zwangsläufig höher ist, da er die Einfuhren einschließt. Dadurch hatdie Klägerin ihren Marktanteil erheblich herabgesetzt.

616.
    Infolgedessen sind die Zahlen, die Enichem vorgelegt hat, nicht als zuverlässiganzusehen.

617.
    Somit sind die tatsächlichen Wertungen, die die Kommission in der Entscheidungvorgenommen hat, zutreffend.

— Zur Überwachung der Verkäufe auf den nationalen Märkten

618.
    In der „checklist“ ist im Rahmen der Vorschläge für die Funktionsweise des neuenRahmens für die Sitzungen die Rede von einem „Austausch der monatlichenVerkaufsdaten jedes Herstellers nach Ländern“.

619.
    Für den Nachweis einer Regelung, wonach die inländischen Hersteller auf denwichtigsten nationalen Märkten sich gegenseitig über die Mengen unterrichteten,die sie auf jedem Markt abgesetzt hatten, hat sich die Kommission vor allem aufdie Tabellen von Solvay gestützt.

620.
    Diese Tabellen haben den gleichen Aufbau.

621.
    Die Tabellen für den deutschen Markt (Anlagen 20 bis 23 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte) umfassen mehrere Spalten. Die erste enthält folgendeRubriken: „Verbrauch MN“ (d. h. Verbrauch auf dem nationalen Markt),„Einfuhren Dritter“ und „Verkauf inländischer Hersteller“; in dieser letzten Rubrikstehen die Namen der wichtigsten inländischen Hersteller. In den folgenden Spalten

folgt jeweils auf die Spalte „Annahmen“ für ein bestimmtes Jahr eine Spalte„Realisierung“ für dasselbe Jahr. Jede dieser Spalten ist noch einmal unterteilt, inder ersten sind die Mengen, in der zweiten ist der Prozentsatz angegeben. DenRubriken in der ersten Spalte sind in den anderen Spalten Zahlen zugeordnet.Angegeben ist der Absatz jedes deutschen Herstellers; daher entspricht dasArgument von Wacker und Hoechst, daß die Verkaufszahlen der deutschenHersteller zusammengefaßt und nicht einzelnen aufgeführt seien, nicht denTatsachen.

622.
    Die anderen Tabellen für den französischen Markt (Anlagen 24 bis 28 zurMitteilung der Beschwerdepunkte), für den Benelux-Markt (Anlagen 29 bis 32) undfür den italienischen Markt (Anlagen 33 bis 40) umfassen ebenfalls mehrereSpalten. Die erste enthält die Namen der inländischen Hersteller mit den Rubriken:„Gesamtmenge der inländischen Hersteller“, „Einfuhren“, wobei manchmal dieEinfuhren „aus anderen Fides-Ländern“ und aus „Drittländern (nicht Fides)“getrennt sind, und „Gesamtmarkt“. Die beiden folgenden Spalten geben zweiaufeinander folgende Jahre wieder; jede dieser Spalten ist noch einmal unterteilt,die erste für Mengen, die andere für Prozentsätze; den Rubriken der ersten Spalteentsprechen Zahlen in den anderen Spalten. In einigen Fällen wird in einerzusätzlichen Spalte die prozentuale Entwicklung von einem Jahr zum anderenwiedergegeben. Zudem ist in einigen Fällen eine Spalte „Prognosen“ für daslaufende Jahr angefügt.

623.
Wie sich aus der Entscheidung ergibt und wie die Kommission auf eine Frage desGerichts bestätigt hat, betrifft die vorliegende Rüge nur den deutschen, denitalienischen und den französischen Markt.

624.
    Zunächst enthalten die Solvay-Tabellen nicht nur „Annahmen“, sondern auch die„Realisierung“. Da der Informationsaustausch auf der „Realisierung“ beruht, kannes sich nur um Informationen aus der Vergangenheit handeln; das Argument, daßes sich nur um zukünftige Schätzungen handele, geht daher in tatsächlicher Hinsichtfehl. Da die Solvay-Tabellen auf Anfang März des Jahres datiert werden können,das auf das Jahr folgt, für das die Verkaufszahlen nach Hersteller und Landausgetauscht worden sind, können sie nicht als so alt angesehen werden, daß sienicht mehr vertraulich wären.

625.
    Zudem enthalten die Tabellen zwar Zahlen in Kilotonnen, gegebenenfalls bis aufeine Stelle hinter dem Komma, doch läßt sich daraus nicht ableiten, daß es sich nurum Schätzungen von Solvay allein handele. Tatsächlich sind die Verkaufszahlen vonSolvay, von der diese Tabellen stammen, selbst nur in Kilotonnen angegeben.

626.
    Die Kommission hat geprüft, ob die in den Tabellen angegebenen Verkäufe dentatsächlichen Verkäufen der dort genannten Hersteller entsprechen. Sie war jedochnicht in der Lage, sämtliche dort enthaltenen Zahlen zu überprüfen, da dieMehrheit der Hersteller erklärt hat, daß sie nicht in der Lage seien, ihreVerkaufsstatistiken vorzulegen.

627.
    Die Überprüfung der Kommission hat zu der Feststellung geführt, daß für dendeutschen Markt die von der Kommission erlangten Absatzzahlen der HerstellerHüls, BASF und ICI für die einzelnen Jahre sich genau mit den in den Solvay-Tabellen genannten Zahlen deckten oder diesen sehr nahe kamen (Randnr. 16,zweiter Absatz, der Entscheidung). BASF hat in diesem Zusammenhang in ihrerKlageschrift erklärt: „Diese Unterlagen geben ein sehr zuverlässiges Bild von denAbsatzverhältnissen der hauptsächlichen Konkurrenten.“ Hüls trägt jedoch vor, daßdie Solvay-Tabellen für Deutschland für das Jahr 1980 Gesamtverkäufe von 736,7Kilotonnen auswiesen; im Fall von Wacker und Hüls umfasse dieser Betrag aberausweislich einer Fußnote in der Anlage 20 zur Mitteilung der Beschwerdepunktedie Verarbeitung für Dynamit Nobel AG („+ travail à façon pour DNAG inclus“),die in die Fides-Statistiken nicht aufgenommen werde. Dieser Einwand erklärtjedoch keineswegs, wie Solvay die Verkaufszahlen, die dieser „Verarbeitung“entsprechen, kennen konnte; diese Kenntnis spricht vielmehr für dieSchlußfolgerung der Kommission, daß die Hersteller sich ihre Verkaufszahlenaußerhalb des Fides-System mitgeteilt haben.

628.
    Für den französischen Markt hat die Kommission festgestellt, daß dieVerkaufszahlen von Shell, LVM und Atochem in den Solvay-Tabellen fürbestimmte Jahre sehr nah an die tatsächlichen Verkaufszahlen, die sie habeerhalten können, heranreichten (Randnr. 16, dritter Absatz, der Entscheidung).

629.
    Für den italienischen Markt hat die Kommission keine tatsächlichenVerkaufszahlen erlangen können. Die Klägerinnen, die in diesen Tabellennamentlich aufgeführt sind, haben die Richtigkeit der dort genannten Zahlen nichtbestritten. Zudem enthält die erste Tabelle für den italienischen Markt, wie dieKommission hervorgehoben hat, folgenden Hinweis: „Die Aufteilung desitalienischen Marktes unter die verschiedenen Hersteller für 80 wurde auf derGrundlage eines Informationsaustauschs mit unseren Kollegen vorgenommen.“ Imübrigen enthalten die als Anlagen 37 und 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunktebeigefügten Tabellen, die die Verkäufe 1983 betreffen, neben dem Namen deskleinsten Herstellers auf dem italienischen Markt den Hinweis „Schätzungen“.Schließlich hat Solvay in ihrer Antwort vom 25. Februar 1988 auf einAuskunftsverlangen angegeben: „Aufgrund der Besonderheiten des italienischenMarktes können wir nicht ausschließen, daß bestimmte Verkaufszahlen zwischenden Konkurrenten ausgetauscht worden sind.“ Unter diesen Umständen kann dervon Enichem vorgeschlagenen Auslegung des Worts „Kollegen“ nicht gefolgtwerden.

630.
    Dennoch sind die Klägerinnen der Ansicht, daß diese Zahlen nicht unbedingt dasErgebnis eines Austauschs unter den Herstellern seien. Sie behaupten in diesemZusammenhang nicht, daß die in den Solvay-Tabellen angeführten Zahlen selbstallgemein zugänglich gewesen seien, sondern machen geltend, daß sie aufgrund vonauf dem Markt verfügbaren Informationen oder bereits allgemein zugänglichenInformationen hätten ermittelt werden können. Sie stützen sich dabei auf die

Erläuterungen, die Solvay zu der Erstellung der Tabellen gegeben hat und nachdenen diese ohne Kontakte zu den Konkurrenten hätten erstellt werden können.

631.
    Shell hat in ihrer Antwort vom 3. Dezember 1987 auf ein Auskunftsverlangenerklärt, daß „Solvay gelegentlich in der Zeit von Januar 1982 bis Oktober 1983angerufen hat, um eine Bestätigung ihrer Schätzungen von Shells Verkaufsmengenzu erhalten“. Shell behauptet jedoch, keine genauen Informationen mitgeteilt zuhaben.

632.
    Zum französischen Markt hat Solvay erklärt, daß das Volumen des Gesamtmarktessich namentlich aufgrund der Fides-Statistiken genau habe bestimmen lassen. NachAbzug ihres eigenen Absatzvolumens habe sie das Gesamtabsatzvolumen ihrerKonkurrenten auf dem französischen Markt erhalten. Zur Ermittlung des Absatzesjedes einzelnen Herstellers hat Solvay folgendes ausgeführt: „Wenn der Kunde zueiner Gruppe gehört, die PVC herstellt, aber trotzdem einen Teil von anderenHerstellern bezieht, wird pauschal geschätzt, daß die Muttergesellschaft 80 % desBedarfs ihrer Tochtergesellschaft deckt und der Rest sich auf die Konkurrentenaufteilt; ist bekannt, daß einer der PVC-Verbraucher sich hauptsächlich bei einemHersteller eindeckt, rechnen die französischen Manager [von Solvay] pauschal, daßdieser Hersteller 50 % des Bedarfs dieses Kunden deckt; deckt sich der Kunde beimehreren Herstellern ein und liegt keiner der genannten Fälle vor, erfolgt dieAufteilung zwischen den verschiedenen Lieferanten linear entsprechend ihrerAnzahl (Beispiel: bei vier Lieferanten für einen bestimmten Kunden weisen diefranzösischen Manager jedem von ihnen 25 % der Einkäufe dieses Kunden zu).“So bestimmt Solvay den Anteil jedes Herstellers bei ihren eigenen Kunden. „Fürdie Bestimmung der Gesamtmengen, die die Konkurrenten tatsächlich auf demgesamten Markt verkauft haben, wenden die französischen Manager [von Solvay]die auf diese Weise ermittelten Marktanteile auf den Gesamtverbrauch von PVCan ... und erhalten auf diese Weise annähernd den Gesamtabsatz [der]Konkurrenten [von Solvay].“

633.
    Hierzu ist festzustellen, daß diese von Solvay angegebene Berechnungsmethode, aufdie sich die anderen Klägerinnen berufen, auf pauschalen Schätzungen beruht undfür Annäherungswerte und Zufälligkeiten weiten Raum läßt. Sie erlaubt es nicht,den Absatz der einzelnen Hersteller so klar und genau zu bestimmen, wie er sichaus den Solvay-Tabellen ergibt.

634.
    Bezüglich des deutschen Marktes hat Solvay ausgeführt, daß der Anteil dereinzelnen Konkurrenten an den Verkäufen aufgrund von „Gesprächen mitKunden“, allgemein zugänglichen Informationen (offizielle Statistiken undFachpresse) und der „gründlichen Kenntnis des Marktes der deutschen Manager“von Solvay bestimmt worden sei. Auch hierzu ist festzustellen, daß Solvay anhanddieser Methode ebenfalls nicht ohne jeden Informationsaustausch mit denKonkurrenten zu ebenso genauen Ergebnissen wie denen in den Solvay-Tabellenkommen konnte. Laut den Antworten der Klägerinnen auf eine Frage des Gerichtshatte ein einzelner Hersteller manchmal mehrere hundert Kunden.

635.
    Beispiele, die DSM als Nachweis dafür angeführt hat, daß die Verkaufszahlen leichtaufgrund allgemein zugänglicher Informationen hätten errechnet werden können,liegen neben der Sache. Diese Beispiele beziehen sich nämlich auf die Ermittlungdes Gesamtmarktes und des Marktanteils der Klägerin selbst, um die es in derEntscheidung nicht geht.

636.
    Die von den Klägerinnen vorgetragenen tatsächlichen Rügen sind daherzurückzuweisen.

— Zu den Zielpreisen und den Preisinitiativen

637.
    Wie bereits festgestellt (vorstehend, Randnr. 584) enthält die „checklist“ unterNummer 3 Vorschläge, wie der geplante neue Rahmen für die Sitzungenfunktionieren sollte. Nach der namentlichen Aufzählung von zehn PVC-Herstellernin Form von Anfangsbuchstaben oder Abkürzungen enthält das Schriftstückfolgende Punkte: „Wie ist eine bessere Preistransparenz zu erreichen“, „Rabatt fürImporteure (höchstens 2 %?)“, „höhere Preise im Vereinigten Königreich und inItalien (Anhebung des Preisniveaus?)“ und „Bekämpfung derKundenabwanderung“. Das Schriftstück enthält auch eine Rubrik mit derÜberschrift „Preisvorschläge“, in der man u. a. lesen kann: „Periode der Stabilität(wir sind einverstanden, die Bedingungen des zweiten Quartals 1980 zu akzeptieren,aber nur für eine begrenzte Zeit)“ und „Preisniveau von Oktober bis Dezember1980 und Zeitpunkte der Durchführung“. Schließlich enthält die Rubrik, die eineSitzung vom 18. September 1980 betrifft, insbesondere den Hinweis: „Verpflichtungherbeiführen für die Preisbewegungen Oktober/Dezember“.

638.
    Die „response to proposals“ enthält zwei Bemerkungen zu den Preisen. Auf denersten Vorschlag, wonach „es ein gemeinsames Preisniveau in Westeuropa gebenmüßte“, folgt als Antwort: „Vorschlag unterstützt, aber Zweifel hinsichtlich derMöglichkeit, den traditionellen Rabatt für Importeure fallen zu lassen.“ Nach demsechsten Vorschlag sollte „eine Preiserhöhung nicht während [einer]Stabilisierungsphase von drei Monaten versucht werden“, in der die Lieferanten nurmit den Kunden in Kontakt treten sollten, die sie in den vorangegangenen dreiMonaten beliefert haben (Nr. 5 der „response to proposals“). Dieser Vorschlagwurde wie folgt beantwortet: „... aufgrund der aktuellen Verluste sollte dieMöglichkeit einer Erhöhung der Preise zum 1. Oktober nicht ausgeschlossenwerden, obwohl insoweit Schwierigkeiten bestehen, nämlich die einstimmigeUnterstützung zu erreichen und eine entsprechende Steigerung zu einem Zeitpunktdurchzuführen, zu dem ein Rückgang der Nachfrage in Westeuropa wahrscheinlichist.“

639.
    Die Kommission hat in ihrer Entscheidung etwa fünfzehn Preisinitiativen festgestellt(vgl. Tabelle 1 im Anhang der Entscheidung), von denen die erste am 1. November1980 erfolgt ist.

640.
    Im Rahmen der vorliegenden Klagen bestreiten nur LVM und DSM schon dasBestehen der von der Kommission festgestellten Preisinitiativen mit derBegründung, daß solche Initiativen im PVC-Sektor nicht denkbar seien. Dazugenügt der Hinweis, daß die Anlagen P1 bis P70 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte sich gezielt auf Zielpreise und Preisinitiativen beziehen.Unabhängig von der Frage, ob es sich um individuelle oder abgestimmteVerhaltensweisen handelt, genügt dies, um das Argument dieser Klägerinnenzurückzuweisen.

641.
    Das Bestehen der Preisinitiativen ist somit als bewiesen anzusehen. Zu prüfen istdaher, ob diese Initiativen, wie die Kommission behauptet, auf einer Absprachezwischen den PVC-Herstellern beruhten.

642.
    Auch wenn die Anlagen P1 bis P70 für einige Klägerinnen unternehmensinterneSchriftstücke darstellen, die nach den von der Kommission ermittelten Zeitpunktender Preisinitiativen erstellt worden sind, läßt sich daraus nicht schließen, daß sieallein deshalb kein Beweis dafür sein können, daß die Initiativen abgesprochenwaren. Vielmehr ist der Inhalt der betreffenden Schriftstücke zu untersuchen.

643.
    Die Klägerinnen bestreiten nicht, daß die von der Kommission vorgelegtenSchriftstücke zeigen, daß zu den gleichen Zeitpunkten Erhöhungen geplant wordensind, um den PVC-Preis auf ein gleiches Niveau anzuheben, das im allgemeinenweit über dem lag, das in den Tagen vor diesen Erhöhungen auf dem Marktherrschte. Tatsächlich ergibt sich dies für jede der von der Kommissionfestgestellten Initiativen bereits aus dem Wortlaut der Anlagen P1 bis P70. DieArtikel der Fachpresse, die die Kommission als Anlage zur Mitteilung derBeschwerdepunkte vorgelegt hat, bestätigen im übrigen diese Erhöhungen zu denvon der Kommission ermittelten Zeitpunkten.

644.
    Zudem ergibt eine sorgfältige Prüfung der Anlagen P1 bis P70, daß diese Initiativennicht als rein individuelle Maßnahmen angesehen werden können. Sowohl aufgrunddes Wortlauts als auch aufgrund einer Prüfung dieser Anlagen unterBerücksichtigung ihres Zusammenhangs untereinander ist das Gericht zu derÜberzeugung gelangt, daß diese Schriftstücke der materielle Beweis einereuropaweiten Preisabsprache der Hersteller sind.

645.
    So heißt es in der Anlage P1, einem Schriftstück von ICI, nach dem Hinweis, daß„die Nachfrage von PVC auf dem westeuropäischen Markt im Oktober inErwartung der Preiserhöhung zum 1. November erheblich gestiegen ist“,folgendermaßen: „[D]ie für den 1. November angekündigte Preiserhöhung [ist]darauf angelegt, alle westeuropäischen PVC-Preise (Suspension) auf einMindestniveau von 1,50 DM ... anzuheben ...“ Dieses Schriftstück ist imZusammenhang mit den Anlagen P2 und P3 zu sehen, die von Wacker stammenund in denen eine gleiche Erhöhung zum gleichen Zeitpunkt angekündigt wird,sowie mit der Anlage P4, die von Solvay stammt und die folgenden Satz enthält:„[E]inige Importeure bieten im Widerspruch zu dem, was geplant war, Rabatte

zum Nachteil der britischen Hersteller an.“ Auch die Anlage P5, die von DSMstammt, bezieht sich auf die Preisinitiative vom 1. November.

646.
    Auf die zweite Preisinitiative, die für den 1. Januar 1981 vorgesehen war und durchdie der Preis für PVC auf 1,75 DM angehoben werden sollte, wird Bezuggenommen in den Anlagen P2 und P8, die von Wacker stammen, P4, von Solvayerstellt, P 6 und P7, die von ICI herrühren, und P9, die von DSM stammt.Insbesondere die Anlage P4 enthält im Anschluß an den in der vorstehendenRandnummer zitierten Satz den Hinweis: „[D]ie Aussichten für Dezember sindnicht gut, trotz einer für den 1. Januar 1981 angekündigten weiterenPreiserhöhung.“ In der Anlage P6 findet sich folgende Stelle: „[E]ine neueErhöhung der Preise ... auf 1,75 DM ist für alle westeuropäischen Märkte für den1. Januar 1981 angekündigt worden.“

647.
    Die für den 1. Januar 1982 vorgesehene Preisinitiative zur Anhebung des PVC-Preises auf 1,60 DM wird belegt durch zwei Schriftstücke, die von ICI stammen undals Anlagen P19 und P22 der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt waren,sowie durch zwei weitere von DSM herrührende Schriftstücke, die als Anlagen P20und P22 beigefügt waren. Die Anlage P22 enthält folgenden Kommentar: „[D]ieInitiative der Branche zielt auf eine Erhöhung der Preise auf 1,60 DM/380 UKL/tab, erscheint aber nicht erfolgversprechend — BP und Shell lehnen eineZusammenarbeit ab.“ In der Anlage P21 heißt es: „[D]ie Aussichten für Januar[1982] sind nicht günstig. Trotz einer angekündigten Preiserhöhung ist derzeit einSinken der Preise gegenüber dem Niveau im Dezember festzustellen. Insbesonderehaben die britischen Lieferanten die britischen Kunden über die Preiserhöhungnicht einmal informiert.“ Zwar ist denkbar, daß ein Unternehmen z. B. überKunden darüber informiert wird, daß ein Mitbewerber eine Preiserhöhungangekündigt oder nicht angekündigt hat, doch kommt es nicht in Betracht, daßdieses Unternehmen darüber informiert wird, daß ein Hersteller einePreiserhöhung nicht angekündigt hat, die er hätte ankündigen sollen. Dies läßt sichnur dadurch erklären, daß diese erwartete Erhöhung vorher unter den Herstellernabgesprochen war.

648.
    Die für den 1. Mai 1982 angekündigte Initiative zur Anhebung des Preises auf 1,35DM wird durch die Anlagen P23 und P26, die von ICI stammen, P24, die von DSMherrührt, und P25, die von Wacker erstellt worden ist, bestätigt. Insbesondere hatder Verfasser der Anlage P23 bei der Prüfung des Niveaus der Preise auf demeuropäischen Markt im April 1982, insbesondere auf dem deutschen und demfranzösischen Markt, folgendes hinzugefügt: „[D]er Preisrutsch ist Ende des Monatsaufgrund der Ankündigung einer allgemeinen Erhöhung der europäischen Preiseauf 1,35 DM/kg zum 1. Mai zum Stehen gekommen.“ In der Anlage P24, die denMai 1982 betrifft, wird darauf hingewiesen, daß „aufgrund der angekündigtenPreiserhöhung“ die Preise von DSM erhöht worden sind, doch heißt es weiter:„[D]ies liegt noch weit unter der geplanten Anhebung auf 1,35 DM/1,40 DM. Diehauptsächlichen Gründe hierfür sind die Fehlschläge auf dem deutschen und dem

Benelux-Markt sowie die fehlende Zusammenarbeit der britischen undskandinavischen Hersteller bei der Preisanhebung. In Frankreich und in Italien wardie Erhöhung erfolgreicher.“

649.
    Die Initiative vom 1. September 1982 zur Anhebung der Preise auf 1,50 DM/kgwird namentlich durch die Anlagen P29, P39, P41, die von DSM stammen, P30 undP34 von ICI und P31 bis P33, von Wacker erstellt, belegt. In der Anlage P29 vom12. August 1982 heißt es zu den Preisen von August: „[E]in gewisser Druck ist aufdem deutschen, belgischen und luxemburgischen Markt spürbar, was eigentlichüberrascht, da eine größere Preiserhöhung für den 1. September geplant ist.“ Unterder Überschrift „Preise vom September“ heißt es in diesem Schriftstück weiter:„[E]ine größere Preisanhebung auf ungefähr 1,50 DM/kg ist geplant. Bis jetzt istfestzustellen, daß alle größeren Hersteller diese Preiserhöhung angekündigt habenund nur sehr wenige Abweichungen festgestellt wurden.“ Die Anlage P32 enthältfolgenden Kommentar: „Im westeuropäischen Markt bemüht man sich intensiv umeine Preiskonsolidierung per 1. September.“ Die Anlage P33 enthält folgendeFeststellung: „Die zum 1. September eingeleitete Preiserhöhung für homopolymeresPVC auf mindestens DM 150,— %kg hatte von der Tendenz her Erfolg, jedochfinden wir im Oktober noch Positionen, die unser Wettbewerb zu DM 135,— undDM 140,— %kg bedient.“ Der Verfasser der Anlage P34 hat die Lage auf demwesteuropäischen Markt allgemein untersucht und im Oktober 1982 eine Erhöhungder Nachfrage gegenüber dem Vormonat festgestellt; er hat ergänzend ausgeführt:„Dies beruhte jedoch weitgehend auf den Bemühungen um eine Erhöhung derPreise zum 1. September, die logischerweise zu Einkäufen vor diesem Zeitpunktgeführt haben.“ Die Anlage P41 enthält folgenden Kommentar zu der Initiativevom 1. September: „Der Erfolg der Preiserhöhung hängt jetzt weitgehend von derDisziplin der deutschen Hersteller ab.“

650.
    Hinzuweisen ist noch auf die Preiserhöhung in zwei Abschnitten zum 1. April 1983und 1. Mai 1983, die zu einer Anhebung der PVC-Preise auf 1,60 DM, mindestensaber auf 1,50 DM, bzw. auf 1,75 DM, mindestens aber auf 1,65 DM führen sollte.Shell hat in ihrer Antwort vom 3. Dezember 1987 auf ein Auskunftsverlangen(Anlage 42 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) erklärt, daß auf einer Sitzungder westeuropäischen PVC-Hersteller in Paris am 2. oder 3. März 1983 „vonanderen Herstellern Vorschläge zu Preiserhöhungen und zu einer Absatzkontrollegemacht wurden“, allerdings seien keine Verpflichtungen eingegangen worden. ICIhat die Abhaltung dieser Sitzung bestätigt (Anlage 4 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte). In der Anlage P43, die von ICI stammt, findet sich folgendeStelle: „Von Montag, dem 7. März [1983] an, sind sämtliche Kunden darüber zuinformieren, daß die Preise auf 1,60 DM angehoben werden, mit einem Rabatt fürKunden der Kategorie 1 bzw. der Kategorie 2 von 10 bzw. 5 Pfennig.“ DieseErhöhung sollte zum 1. April 1983 erfolgen, wie sich im übrigen aus demFernschreiben ergibt. Der Verfasser der von Shell stammenden Anlage P49 vom13. März 1983 erklärt nach dem Hinweis auf den Preisverfall im März bis auf einNiveau von 1,20 DM/kg: „Es ist eine Großinitiative geplant, um diesen Preisverfallzu bremsen, wobei die Mindestziele für März/April jeweils 1,50 DM/kg und 1,65

DM/kg lauten.“ Ein Fernschreiben von ICI vom 6. April 1983, das als Anlage P45der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt war, enthält folgenden Kommentar:„Die Marktdaten scheinen klar dafür zu sprechen, daß die Branche insgesamt vonnun an die Preisinitiative zum 1. April 1983 durchführt.“ In einem Schriftstück vonWacker vom 25. April 1983 (Anlage P46) wird auf die „Bemühungen, die Vinnol-Eck-Preise im April auf DM 150,— %kg und im Mai auf DM 165,— %kg zuerhöhen“, hingewiesen. In einem internen Bericht von DSM vom 24. Juni 1983(Anlage P48) heißt es nach einem Hinweis auf einen Preisrückgang in Westeuropaim ersten Quartal 1983: „Seit dem 1. April wird der Versuch einer Erhöhung derPreise in Westeuropa unternommen. Die geplante Anhebung bis auf 1,50 DM zum1. April und auf 1,65 DM zum 1. Mai ist gescheitert.“

651.
    Nach einem Vermerk von ICI vom 31. Januar 1983, als Anlage 44 der Mitteilungder Beschwerdepunkte beigefügt, waren „die .Zielpreise' in Europa in dergesamten Industrie ziemlich gut bekannt und somit .Listenpreise'“. Weiter heißtes dort: „Es wird generell die Auffassung vertreten, daß diese Listenpreise nicht ineiner schwachen Marktsituation verwirklicht werden können ..., doch hat dieAnkündigung eine psychologische Wirkung auf die Abnehmer. Man denke analoghierzu an den Kauf eines Wagens, für den der .Listenpreis' so angesetzt ist, daßder Käufer mit einem Rabatt von 10 bis 15 % zufrieden ist und den Eindruck hat,daß er ein .gutes Geschäft' gemacht hat, während der Hersteller oderVertragshändler immer noch eine angemessene Marge hat.“ Der Autor diesesVermerks empfahl daher, „daß die PVC-Industrie in großem Umfang Zielpreiseankündigt, die weit über den Preisen liegen, die wahrscheinlich durchgesetzt werdenkönnen, z. B. 1,65 DM/kg im März“ (Hervorhebungen weggelassen).

652.
    Zudem hat die Fachpresse bei verschiedenen Gelegenheiten auf eine Absprachezwischen den PVC-Herstellern hingewiesen. So konnte man in der ZeitschriftEuropean Chemical News vom 1. Juni 1981 lesen: „Die wichtigsten europäischenKunststoffhersteller versuchen in einer konzertierten Aktion erheblichePreiserhöhungen für [PVC] durchzusetzen und erwarten, das Preisniveau vonAnfang 1981 zu erreichen.“ Am 4. April 1983 heißt es in dieser Zeitschrift: „Dieeuropäischen [PVC-]Hersteller unternehmen eine entschlossenen Versuch, diePreise Anfang April anzuheben. Sie haben sich im März in Paris getroffen, um überPreiserhöhungen zu sprechen.“

653.
    Nach eingehender Prüfung der von der Kommission in der Anlage zur Mitteilungder Beschwerdepunkte vorgelegten zahlreichen Schriftstücke, die die PVC-Preisebetreffen und von denen in den vorstehenden Randnummern 645 bis 650 nur einigeBeispiele angeführt worden sind, hält es das Gericht angesichts der von derKommission beigebrachten materiellen Beweise für bewiesen, daß die in diesenSchriftstücken genannten „Preiserhöhungen“, „Preisinitiativen“ oder „Zielpreise“keine bloßen individuellen Entscheidungen waren, die jeder Hersteller eigenständiggetroffen hat, sondern daß sie unter den Herstellern abgesprochen waren.

654.
    Allerdings ist schon hier darauf hinzuweisen, daß mehrere der Anlagen P1 bis P70von einem Scheitern oder einem gemischten Erfolg einiger Preisinitiativenberichten, worauf die Kommission in Randnummer 22 der Entscheidunghingewiesen hat.

655.
    Diese gescheiterten Versuche oder gemischten Erfolge erklären sich ausverschiedenen Umständen, die die Kommission in Randnummer 22 genannt hatund die ausdrücklich in einigen der Anlagen P1 bis P70 aufgeführt sind. So habeneinige Kunden, um sich zu günstigeren Preisen einzudecken, manchmal in denTagen vor dem Inkrafttreten einer angekündigten Preiserhöhung Käufe inerheblichem Umfang getätigt. Dies ergibt sich namentlich aus den Anlagen P8, P12,P21, P23, P30 und P39.

656.
    Zudem haben die Hersteller, wie sich aus den Anlagen P1 bis P70 ergibt, zumindestbei manchen Gelegenheiten versucht, einen Mittelweg zu finden zwischen derAufrechterhaltung eines bestimmten Niveaus des Absatzes und der Beziehungenzu einzelnen Kunden auf der einen Seite und der Preiserhöhung auf der anderenSeite.

657.
    So wurden den wichtigen Kunden gelegentlich Nachlässe oder Sonderrabatteangeboten (z. B. Anlage 17), oder es wurden mit Kunden zeitlich begrenzteVereinbarungen über Lieferungen zu den Preisen getroffen, die vor der geplantenErhöhung galten (namentlich Anlage P21). Aus mehreren Schriftstücken, die dieKommission erlangt hat, ergibt sich, daß die Hersteller verschiedentlich ihreAbsicht bekundeten, eine geplante Preisinitiative zu unterstützen, sich dabei abervergewisserten, daß dies nicht ihr Auftragsvolumen minderte. So heißt es in einemFernschreiben von ICI vom 18. Dezember 1981 an die verschiedenenTochtergesellschaften in Europa über die Preisinitiative vom Januar 1982: „Esbleibt abzuwarten, ob dieses Preisniveau erreicht wird; beobachten Sie daheraufmerksam die Situation der individuellen Kunden innerhalb von Europa ... Es istsehr wichtig, daß wir in dieser schwierigen Zeit ein gutes Gleichgewicht zwischender Preiserhöhung und der Aufrechterhaltung des Auftragsvolumens finden.“ EinVermerk von Wacker vom 9. August 1982 (Anlage P31) enthält folgendeFeststellung: „Die Wacker-Strategie der nächsten Monate ist wie folgt: Wir werdenuns im Kielwasser der sich abzeichnenden Preiserhöhungsbemühungen unseresWettbewerbs bewegen, keinesfalls aber weitere Mengeneinbußen hinnehmen, d. h.,sollte der Markt diese Erhöhung nicht annehmen, werden wir zu geeigneter Zeitdie nötige Preisflexibilität exerzieren.“ Ebenso enthält ein nicht datierter Vermerkvon DSM (Anlage P41) folgenden Kommentar zu der Initiative vom 1. Januar1983: „DSM wird den Versuch einer Preiserhöhung unterstützen, dabei aber nichtdie Rolle des Vorreiters übernehmen. Die Preiserhöhung wird im Rahmen derVerteidigung unserer Marktanteile unterstützt.“

658.
    Umgekehrt belegen mehrere Schriftstücke die feste Absicht der Hersteller, einePreisinitiative zu unterstützen, oder die tatsächliche Unterstützung einer solchentrotz des damit verbundenen Risikos von Absatzeinbußen. So heißt es z. B. im Fall

von DSM in Anlage P13, daß DSM „die Preisinitiative fest unterstützt“ hat, und dieAnlage P41 enthält folgende Stelle: „Die Preiserhöhung im September und dieEntscheidung von DSM, diese Erhöhung fest zu unterstützen, haben zuAbsatzeinbußen geführt, aber zu deutlich besseren Preisen.“ Im Fall von ICI sindnamentlich folgende Anlagen zu nennen: P16 vom 14. Juli 1981 über diePreisinitiative vom 1. Juni, wo von der Unnachgiebigkeit von ICI bei den Preisendie Rede ist, P30 vom 20. Oktober 1983, die den Hinweis enthält, daß ICI„weiterhin eine besonders harte Linie“ zu den Septemberpreisen vertritt, und P34über die Preisinitiative vom September 1982, wo es heißt: „Erneut haben wir diePreiserhöhung uneingeschränkt unterstützt.“ Zu erwähnen ist im Fall von Wackerauch die Anlage P15 zur Preisinitiative vom 1. September 1981 zur Anhebung desZielpreises auf 1,80 DM: „Die Wacker-Chemie hat es zu ihrer Politik gemacht, imInteresse der dringend notwendigen Preiskonsolidierung im September keinGeschäft unter DM 180,— %kg zu machen.“

659.
    Wie die Kommission in Nummer 22 der Entscheidung ausgeführt hat, ist einigenHerstellern gelegentlich ihr aggressives Marktverhalten vorgeworfen worden, dasPreisinitiativen, die andere Hersteller unterstützen wollten, störte oder zumScheitern brachte. So weist der Verfasser eines Vermerks von DSM vom 25.Februar 1981 (Anlage P9) darauf hin, daß „die für den 1. Januar [1981]angekündigte Preiserhöhung auf 1,75 DM gewiß nicht von Erfolg gekrönt war“, under fährt fort: „Die aggressive Haltung einiger französischer und italienischerLieferanten in den letzten drei Monaten hat zu einem wilden Wettbewerb um dieGroßkunden und damit zu einem Preisrückgang geführt.“ So wird in der von ICIstammenden Anlage P23 vom 17. Mai 1982 darauf hingewiesen, daß ICI um seineMarktanteile im Vereinigten Königreich besorgt sei, und es heißt dann weiter:„Shell, BP und DSM waren besonders aggressiv auf diesem Markt.“ EinSchriftstück von DSM vom 1. Juni 1981, das die Kommission den Unternehmen mitSchreiben vom 3. Mai 1988 übermittelt hat, führt zum belgischen undluxemburgischen Markt im April 1981 aus: „Der Versuch einer Preiserhöhung istnach einem Monat gescheitert. Die Aggressivität von BASF, Solvay, ICI und SAVhat zu einem Preisniveau geführt, das weder höher noch niedriger als das desVormonats ist.“ In einem anderen Schriftstück von DSM vom Oktober 1981 heißtes zu denselben geographischen Märkten: „Im August wurde Druck auf die Preiseausgeübt. Ein aggressiveres Verhalten mehrerer Hersteller (BASF, SAV, Solvay,Anic und ME) machte sich bemerkbar.“ Ein Schriftstück von ICI vom 19. April1982 enthält die Feststellung: „Es ist schwer, eine Bestätigung zu erhalten, wer dieHersteller sind, die die Preise nach unten drücken, aber sowohl Shell als auchSolvay wurden als mögliche Schuldige genannt.“

660.
    Tatsächlich konnte eine Preisinitiative nur in einem günstigen Umfeld erfolgreichsein, das von den Herstellern nicht kontrollierbar war. So ergibt sich aus derAnlage P52, daß nach Ansicht von ICI mehrere Faktoren zu dem vorhersehbarenErfolg der für den 1. Mai 1983 vorgesehenen Initiativen beitrugen, darunter dieabgebauten Lagerbestände, ein Wiederaufleben der Nachfrage, Gerüchte einer

Verknappung, insbesondere für den Export, ein Preisanstieg auf den ausländischenMärkten und die Wirkung der Rationalisierung innerhalb der Branche. AndereSchriftstücke heben die Entwicklung der Nachfrage (z. B. Anlagen P27, P31, P45,P47) oder die der Einfuhren aus Drittländern (z. B. Anlagen P16 und P31) hervor.Umgekehrt führten Faktoren wie Überkapazität, Erhöhung der Einfuhren,Preisrückgang auf den Drittlandsmärkten, die große Zahl von PVC-Herstellern inWesteuropa oder die Inbetriebnahme neuer Anlagen von Shell und ICI zu einererhöhten Anfälligkeit des Preisniveaus (Anlage P21, die von DSM stammt, für dasJahr 1981).

661.
    Diese Prüfung zeigt, daß die Kommission im vorliegenden Fall den Sachverhaltbezüglich der Preisinitiativen zutreffend beurteilt hat.

— Zum Ursprung des Kartells

662.
    Aus der vorangegangenen Untersuchung ergibt sich, daß sowohl hinsichtlich derPreise als auch der Quotenregelung, die die beiden wichtigsten Aspekte derbeanstandeten Zuwiderhandlung sind, zwischen den in den Planungsdokumentenbeschriebenen Vorhaben und den auf dem PVC-Markt tatsächlich festgestelltenVerhaltensweisen schon von den ersten Monaten nach der Erstellung dieserDokumente an eine Korrelation bestand. Zudem bestand, wenn auch in geringeremUmfang, eine Korrelation zwischen den in den Planungsdokumenten beschriebenenVorhaben und den beanstandeten Verhaltensweisen beim Informationsaustauschzwischen Herstellern.

663.
    Das Vorbringen der Klägerinnen zum Ursprung des Kartells ist unterBerücksichtigung des Wortlauts der Planungsdokumente, der Angaben von ICI inihrer als Anlage 4 der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Antwort vom30. April 1984 auf ein Auskunftsverlangen der Kommission und dieser Korrelationzwischen den Planungsdokumenten und den auf dem Markt tatsächlichfestgestellten Verhaltensweisen in den Wochen nach Erstellung dieser Dokumentezu prüfen.

664.
    ICI hat in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen ausgeführt, wenn manbedenke, wo die Unterlagen von der Kommission gefunden worden seien, liege esnahe, daß sich diese auf PVC bezögen. Die Korrelation zwischen denPlanungsdokumenten und den auf dem PVC-Markt tatsächlich festgestelltenVerhaltensweisen bestätigt diese Feststellung.

665.
    Die genaue Identität des Verfassers der Planungsdokumente ist nicht entscheidend.Entscheidend ist allein, ob diese Dokumente als ein Plan für die Bildung einesKartells angesehen werden können, wie die Kommission behauptet. Im übrigensteht auf dem Schriftstück „response to proposals“ der Name des Verfassers;dieser, Herr Sheaff, war Leiter des Geschäftsbereichs „Kunststoffe“ von ICI Anfangder 80er Jahre. ICI hat in ihrer Antwort auf ein Auskunftsverlangen angegeben,daß es naheliege, daß Herr Sheaff auch Verfasser der „checklist“ gewesen sei.

666.
    Das Gericht kann den Einwand nicht gelten lassen, daß die Planungsdokumentenur den britischen Markt oder den britischen und den italienischen Markt beträfen.Zu beachten ist, daß Nummer 1 der „response to proposals“ sich auf ein„gemeinsames Preisniveau für Westeuropa“ bezieht. Nummer 2 dieser Antwortbetrifft die Möglichkeit eines Quotensystems „auf betrieblicher statt auf nationalerBasis“, was zumindest die Möglichkeit ausschließt, daß nur ein einzigergeographischer Markt betroffen war. Zudem wird in Nummer 6 der „response toproposals“ bei der Prüfung der Möglichkeit einer Preiserhöhung im letzten Quartal1980 auf Schwierigkeiten insbesondere wegen eines Rückgangs „der Nachfrage inWesteuropa“ insgesamt hingewiesen. Auch wenn die „checklist“ sich speziell inzwei Punkten auf den britischen und den italienischen Markt bezieht, enthält siedoch eine Nummer 3 mit der Überschrift „Vorschlag für einen neuen Rahmen fürdie Sitzungen“; die Vorschläge dort sind allgemein gefaßt, so daß nichts dafürspricht, daß sie auf einen oder zwei geographische Märkte beschränkt gewesenwären. Die Tatsache, daß diese Vorschläge unmittelbar auf die Liste derwichtigsten europäischen PVC-Hersteller folgen, bestätigt im Gegenteil den Schluß,daß nicht allein der britische und/oder der italienische Markt gemeint waren.Schließlich werden in den Planungsdokumente namentlich zwei Verhaltensweisenerwähnt, von denen die eine Preisinitiativen, deren erste für das letzte Quartal 1980geplant war, und die andere eine Quotenregelung in Verbindung mit einerAusgleichsregelung betraf. Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat,erfolgte eine Initiative zum 1. November 1980, um „alle PVC-Preise der SorteSuspension in Westeuropa auf mindestens 1,50 DM anzuheben“, und schon in denersten Monaten des Jahres 1981 wurde eine Ausgleichsregelung eingeführt, an dersämtliche europäischen Hersteller mit Ausnahme von Shell teilnahmen. DieseKorrelation bestätigt die Feststellung, daß die Planungsdokumente sich nicht bloßauf einen oder zwei nationale Märkte bezogen.

667.
    Die Behauptung der Klägerinnen, daß die Planungsdokumente selbst niemalsaußerhalb der Geschäftsräume von ICI verteilt worden seien, ist nicht entscheidend.Entscheidend ist allein, ob der Inhalt dieser Dokumente ein Vorhaben belegt, dasdie Organisation des PVC-Marktes unter Ausschluß des freien Wettbewerbs zumZiel hatte.

668.
    Das Argument, die beiden Planungsdokumente ständen in keiner Beziehungzueinander, ist zurückzuweisen. Zunächst wurden diese Dokumente in denGeschäftsräumen von ICI gefunden und waren körperlich miteinander verbunden.Sodann sind in der „checklist“ verschiedene Themen aufgezählt, die allgemeinRegelungen zur Kontrolle des Absatzvolumens und zur Preisfestsetzung betreffen.Diese Themen werden dann genauer in der „response to proposals“ behandelt.Überdies finden sich bestimmte, im einzelnen dargestellte Punkte in beidenSchriftstücken, so der Hinweis auf einen Zeitraum der Stabilisierung von dreiMonaten, die Möglichkeit einer Preiserhöhung im letzten Quartal 1980, dieNotwendigkeit, zu einer Einigung zu gelangen, um den neuenProduktionskapazitäten Rechnung zu tragen, oder die Möglichkeit von

Schwankungen bei den im voraus festgelegten Marktanteilen mit dem gleichenHinweis auf eine Schwelle von 5 % und die dazu geäußerten Vorbehalte. Somit istdie Ansicht nicht haltbar, daß es keine Beziehung zwischen diesen beidenSchriftstücken gebe.

669.
    Die Klägerinnen machen jedoch geltend, daß die Kommission aus denPlanungsdokumenten zu Unrecht geschlossen habe, daß das zweitePlanungsdokument die Antwort der PVC-Hersteller auf die Vorschläge von ICI(Randnr. 7, letzter Absatz, der Entscheidung) zusammenfasse. DiePlanungsdokumente könnten sehr wohl nur der Ausdruck der Meinungen oderFeststellungen von Angestellten von ICI oder von Angestellten diesesUnternehmens und von Solvay sein, die in den Nummern 5 und 6 der „checklist“konkret genannt sei. Im übrigen sei die „response to proposals“ vor der „checklist“entstanden, was das Vorbringen der Kommission in sich zusammenfallen lasse.

670.
    Der Wortlaut der Planungsdokumente erlaubt nicht den Schluß, den dieKommission in Randnummer 7, letzter Absatz, und Randnummer 10, erster Absatz,der Entscheidung gezogen hat, nämlich daß das zweite Planungsdokument dieAntwort der anderen PVC-Hersteller auf die Vorschläge von ICI sei; ebensowenigläßt sich aus dem Wortlaut aber folgern, daß diese Unterlagen nur die Ansichtenvon Angestellten von ICI wiedergäben.

671.
    Selbst wenn die Auffassung der Klägerinnen richtig wäre, würde dies dieBeweisführung der Kommission nicht erschüttern. Wie sich nämlich aus dervorangegangenen Prüfung ergibt, hat die Kommission zahlreiche Schriftstückevorgelegt, die die in der Entscheidung beschriebenen Verhaltensweisen belegen.Zudem bleibt die Tatsache, daß die Planungsdokumente, insbesondere die„checklist“, die von einem hochgestellten Manager von ICI stammen, klar den Plandieses Unternehmens, das zum Zeitpunkt der Ausarbeitung dieser Unterlagen einesder wichtigsten europäischen PVC-Hersteller war, zur Bildung eines Kartells zumAusdruck bringen. Außerdem wurden die in diesen Unterlagen vorgesehenenVerhaltensweisen in den darauffolgenden Wochen auf dem PVC-Markt inWesteuropa beobachtet. Somit ergibt sich zumindest, daß diese Planungsdokumentedie Grundlage für die Beratungen und Erörterungen der Hersteller waren und zurtatsächlichen Umsetzung der geplanten rechtswidrigen Maßnahmen geführt haben.

672.
    Die Unterlagen, die die Kommission zur Stützung ihrer tatsächlichen Feststellungenhinsichtlich der Verhaltensweisen auf dem PVC-Markt vorgelegt hat, enthaltenzwar keinen Hinweis auf die Planungsdokumente, doch beweist die Korrelationzwischen diesen Verhaltensweisen und den in diesen Unterlagen beschriebenendoch hinreichend, daß zwischen ihnen eine Verbindung besteht.

673.
    Die Kommission ist daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß diePlanungsdokumente als Ursprung des Kartells angesehen werden können, das inden Wochen nach deren Ausarbeitung in die Tat umgesetzt wurde.

— Zu den Herstellersitzungen

674.
    Zunächst ist festzustellen, daß die Klägerinnen nicht bestritten haben, daßinformelle Sitzungen der Hersteller außerhalb des Rahmens vonWirtschaftsverbänden stattgefunden haben.

675.
    Zudem muß die Kommission bei der Würdigung des Sachverhalts im Hinblick aufArtikel 85 EG-Vertrag nicht unbedingt nachweisen, wann oder gar wo dieSitzungen der Hersteller stattgefunden haben. Im übrigen ergibt sich aus derAntwort von ICI vom 5. Juni 1984 auf ein Auskunftsverlangen der Kommission(Anlage 4 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß diese Sitzungen „ziemlichregelmäßig auf verschiedenen Verwaltungsebenen, d. h. ungefähr einmalmonatlich“, stattfanden. ICI hat sich namentlich aufgrund der Tatsache, daß keineUnterlagen über diese Sitzungen auffindbar waren, außerstande gesehen,Zeitpunkte und Orte der Sitzungen seit August 1980 anzugeben. Dagegen hat sieOrt und Zeitpunkt von neun informellen Sitzungen der Hersteller in den erstenzehn Monaten des am kürzesten zurückliegenden Jahres, 1983, angeben können.Sechs Sitzungen hätten in Zürich am 15. Februar, 11. März, 18. April, 10. Mai, 18.Juli und 11. August 1983, zwei in Paris am 2. März und 12. September 1983 undeine in Amsterdam am 10. Juni 1983 stattgefunden. ICI hat darüber hinaus dieUnternehmen genannt, die zumindest an einigen dieser informellen Sitzungenteilgenommen haben, nämlich, in alphabetischer Reihenfolge: Anic, Atochem,BASF, DSM, Enichem, Hoechst, Hüls, ICI, Kemanord, LVM, Montedison, NorskHydro, PCUK, SAV, Shell, Solvay und Wacker.

676.
    Shell hat in ihrer Antwort vom 3. Dezember 1987 auf ein Auskunftsverlangen(Anlage 42 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) ihre Teilnahme an denSitzungen in Paris am 2. März 1983 und in Zürich am 11. August 1983 bestätigt,für die die Kommission Beweise in Form von Angaben in einem Kalendergefunden hat.

677.
    BASF hat in ihrer Antwort vom 8. Dezember 1987 auf ein Auskunftsverlangen derKommission (Anlage 5 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) ebenfalls angegeben,daß zwischen 1980 und Oktober 1983 „zeitweise wohl bis zu einmal im Monat“Sitzungen der PVC-Hersteller stattgefunden hätten. Sie hat ebenfalls dieUnternehmen angeführt, die an diesen Sitzungen regelmäßig oder unregelmäßigteilgenommen haben; dies sind, in alphabetischer Reihenfolge: Anic, Atochem,Enichem, Hoechst, Hüls, ICI, LVM, Montedison, Norsk Hydro, Shell, Solvay undWacker.

678.
    Schließlich räumt Montedison im Rahmen der vorliegenden Klagen ein, daß die inder Fachpresse genannten informellen Herstellersitzungen stattgefunden hätten.

679.
    Die Klägerinnen bestreiten zwar diese informellen Herstellersitzungen nicht,machen jedoch geltend, der ihnen von der Kommission unterstellte Zweck sei nichtbewiesen.

680.
    Trotz der Zahl von Sitzungen, die in dem genannten Zeitraum stattgefunden haben,und trotz der Untersuchungen gemäß den Artikeln 11 und 14 der Verordnung Nr.17 hat die Kommission eine Niederschrift oder einen Bericht über diese Sitzungennicht finden können. Entgegen der Ansicht der Klägerinnen ergibt sich ausRandnummer 9 der Entscheidung nicht, daß die Kommission allein daraus denSchluß gezogen hat, daß diese Sitzungen einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgthätten.

681.
    ICI hat in ihrer Antwort auf die Auskunftsverlangen erklärt, daß in diesenSitzungen eine Vielzahl von Fragen behandelt „und auch über Preise und Mengendiskutiert“ worden sei. Im einzelnen hat sie ausgeführt, daß „in dem betroffenenZeitraum auf diesen Herstellersitzungen sicherlich über das Preisniveau und dieMargen geredet worden ist, die erforderlich sind, um die Verluste der Herstellerverringern zu können. Jeder Hersteller hat dazu seine Gesichtspunkte vorgetragen,die erörtert worden sind. Oft hatten die Hersteller unterschiedliche Ansichten überdas angemessene Preisniveau ... Jedoch zeichnete sich eine scheinbareÜbereinstimmung in bezug auf das mögliche Preisniveau ab, das die Herstelleranstreben könnten. Diese Diskussionen führten jedoch nicht zur Festlegung aufeinen Festpreis. Nach den Einschätzungen von ICI damals und auch noch heutewar eine solche Übereinstimmung mehr Schein als Wirklichkeit. Feststeht, soweitICI bekannt ist, daß jedes an diesen Diskussionen beteiligte Unternehmen sich freigefühlt hat, eigenständig jede Maßnahme zu treffen, die es im Hinblick auf dieBesonderheiten seiner Lage für angemessen hielt.“

682.
    Shell hat in ihrer Antwort vom 3. Dezember 1987 auf ein Auskunftsverlangen ihreBeteiligung an zwei von ICI aufgeführten Sitzungen eingeräumt. Zu der erstenSitzung in Paris am 2. März 1983 hat sie ausgeführt: „Auf dieser Sitzung wurdendie Schwierigkeiten der Branche diskutiert und Vorschläge von anderen Herstellernfür eine Preiserhöhung und eine Mengenkontrolle gemacht. [Der Vertreter vonShell] hat diese Vorschläge nicht unterstützt. [Er] kann sich nicht erinnern, ob eineVereinbarung oder Übereinstimmung über eine Preisinitiative oder Mengenzustande gekommen ist.“ Zur zweiten Sitzung in Zürich am 11. August 1983 hatShell ausgeführt: „Einige Hersteller haben sich zu einer Preisinitiative geäußert.[Der Vertreter von Shell] hat diese Standpunkte nicht unterstützt. [Er] kann sichnicht erinnern, ob eine Vereinbarung oder Übereinstimmung zustande gekommenist.“

683.
    Entgegen der Ansicht der Klägerinnen hat die Kommission den Sinn der Antworteneiniger Unternehmen auf die Auskunftsverlangen nicht entstellt. So hat sie daraufhingewiesen, daß alle diese Hersteller trotz des Zweckes dieser Sitzungenbehauptet hätten, daß keine „Verpflichtungen“ eingegangen worden seien (vgl.

Randnrn. 8, zweiter Absatz, der Entscheidung für ICI und 9, erster Absatz,insbesondere für Shell und Hoechst).

684.
    Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Planungsdokumente ausdrücklich daraufabzielten, „einen neuen Rahmen für die Sitzungen“ der Hersteller aufzustellen, indenen über Preisvereinbarungen, Absatzkontrolle und Informationsaustauschgesprochen werden sollte. Die Kommission hat solche Sitzungen der Hersteller fürden betreffenden Zeitraum nachgewiesen. Wie sich aus der vorangegangenenUntersuchung ergibt, hat die Kommission für den betreffenden ZeitraumQuotenregelungen, Preisregulierung und Informationsaustausch der Herstellernachgewiesen.

685.
    Aus der engen Übereinstimmung zwischen dem, was in den Planungsdokumentenvorgesehen war, und den tatsächlichen Verhaltensweisen auf dem PVC-Markt hatdie Kommission zutreffend den Schluß gezogen, daß die informellenHerstellersitzungen tatsächlich die in den Planungsdokumenten genannten Themenzum Gegenstand hatten.

686.
    Nach alledem ist festzustellen, daß die Kommission den Zweck derHerstellersitzungen, die zwischen 1980 und 1984 stattgefunden haben, zutreffendermittelt hat.

687.
    Somit sind die Einwände der Klägerinnen bezüglich des Teils „Sachverhalt“ derEntscheidung zurückzuweisen.

2. Rechtliche Würdigung

688.
    Die Klägerinnen werfen der Kommission mehrere Rechtsfehler bei der Anwendungdes Artikels 85 EG-Vertrag vor. Erstens habe die Kommission die denUnternehmen zur Last gelegten Verhaltensweisen rechtsfehlerhaft als Vereinbarung„und/oder“ abgestimmte Verhaltensweise qualifiziert (a). Zweitens habe dieKommission im vorliegenden Fall weder den Tatbestand einer Vereinbarung nochden einer abgestimmten Verhaltensweise zutreffend festgestellt (b). Drittens habesie bei der Bestimmung des Zweckes oder der Wirkung der angeblichen Abspracheauch Artikel 85 EG-Vertrag verkannt (c). Schließlich habe sie auch rechtsfehlerhafteine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten festgestellt (d).

a) Zur Qualifizierung als Vereinbarung „und/oder“ abgestimmte Verhaltensweise

Vorbringen der Parteien

689.
    Nach Ansicht von LVM, Elf Atochem, DSM, Hüls und Enichem hat dieKommission gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßen, indem sie sich imverfügenden Teil der Entscheidung auf den Hinweis beschränkt habe, daß die

Unternehmen an einer Vereinbarung „und/oder“ aufeinander abgestimmtenVerhaltensweise beteiligt gewesen seien.

690.
    Zwar räumen die Klägerinnen ein, daß das Gericht die Möglichkeit einer doppeltenQualifizierung zuläßt (namentlich Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 inder Rechtssache T-8/89, DSM/Kommission, Slg. 1991, II-1833, Randnrn. 234und 235).

691.
    Nach Ansicht von Enichem ist die Kommission jedoch über diese Rechtsprechunghinausgegangen, indem sie eine alternative und keine kumulative rechtlicheQualifizierung vorgenommen habe.

692.
    LVM, Elf Atochem, DSM und Hüls machen geltend, daß die genannteRechtsprechung nur unter besonderen Umständen übertragbar sei. So sei einesolche Lösung nur möglich, wenn der Beweis erbracht sei, daß beide Tatbeständeerfüllt seien. Im vorliegenden Fall habe die Kommission aber weder denTatbestand einer Vereinbarung noch den einer abgestimmten Verhaltensweisefestgestellt.

693.
    LVM, DSM und Enichem tragen vor, die Unterscheidung zwischen diesen beidenrechtlichen Tatbeständen bedinge auch Unterschiede bei der Beweisführung.

Würdigung durch das Gericht

694.
    LVM, Elf Atochem, DSM und Hüls zielen mit ihrer Argumentation nicht daraufab, die Qualifizierung des Sachverhalts als Vereinbarung „und/oder“ abgestimmteVerhaltensweise in Artikel 1 der Entscheidung grundsätzlich in Frage zu stellen,sondern machen geltend, daß eine solche Qualifizierung im vorliegenden Fall nichtmöglich sei, da weder eine Vereinbarung noch eine abgestimmte Verhaltensweisebewiesen sei. Die Antwort auf diesen Klagegrund hängt daher von der Beurteilungdes folgenden Klagegrundes ab.

695.
    Nur Enichem wendet sich somit schon grundsätzlich gegen eine Qualifizierung alsVereinbarung „und/oder“ abgestimmte Verhaltensweise.

696.
    Bei einer komplexen Zuwiderhandlung, an der mehrere Hersteller über mehrereJahre beteiligt waren und deren Ziel die gemeinsame Regulierung des Marktes war,kann von der Kommission nicht verlangt werden, daß sie die Zuwiderhandlung fürjedes Unternehmen zu den einzelnen Zeitpunkten entweder als Vereinbarung oderabgestimmte Verhaltensweise qualifiziert, da jedenfalls beide Formen derZuwiderhandlung von Artikel 85 EG-Vertrag umfaßt werden.

697.
    Die Kommission kann daher eine solche komplexe Zuwiderhandlung zu Recht alsVereinbarung „und/oder“ abgestimmte Verhaltensweise qualifizieren, wenn dieseZuwiderhandlung sowohl Einzelakte aufwies, die als „Vereinbarung“ anzusehensind, als auch Einzelakte, die „abgestimmte Verhaltensweisen“ dargestellt haben.

698.
    In einem solchen Fall ist die doppelte Qualifizierung nicht so zu verstehen, daß fürjeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß ersowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einerabgestimmten Verhaltensweise erfüllt. Sie bezieht sich vielmehr auf einen Komplexvon Einzelakten, von denen einige als Vereinbarung und andere als abgestimmteVerhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag anzusehen sind,der ja für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine spezifischeQualifizierung vorschreibt.

699.
    Somit ist der Klagegrund von Enichem zurückzuweisen.

b) Zu der im vorliegenden Fall vorgenommenen Qualifizierung als „Vereinbarung“und/oder „abgestimmte Verhaltensweise“

Vorbringen der Klägerinnen

700.
    Nach Ansicht der Klägerinnen hat die Kommission weder eine Vereinbarung nocheine abgestimmte Verhaltensweise nachgewiesen.

701.
    BASF und ICI sind der Ansicht, daß für die Qualifizierung als Vereinbarung imSinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag Anhaltspunkte für das Eintreten fürgemeinsame Ziele und für eine gegenseitige Verpflichtung vorliegen müßten(Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 44/69,Buchler/Kommission, Slg. 1970, 733, Randnr. 25, und Van Landewycku. a./Kommission, Randnr. 86). Nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag müsse eineVereinbarung zwischen mindestens zwei Parteien geschlossen werden, die, selbstwenn dies nicht verbindlich geschehe, ihren Willen zu einem bestimmten Verhaltenzum Ausdruck gebracht hätten, das den Wettbewerb verfälschen könne (Urteil desGerichtshofes vom 20. Juni 1978 in der Rechtssache 28/77, Tepea/Kommission, Slg.1978, 1391). Somit sei der Nachweis einer gemeinsamen Sicht der Hersteller nichtausreichend.

702.
    Im vorliegenden Fall sei, wie sich aus der Prüfung des Sachverhalts ergebe, nichtbewiesen, daß die „checklist“, die nicht erkennen lasse, ob sie an andereUnternehmen gerichtet oder ihnen wenigstens zur Kenntnis gebracht worden sei,den Vorschlag einer geheimen Abrede darstelle. Nichts spreche dafür, daß die„checklist“, die ein Vorschlag sei, erörtert, im Einvernehmen erstellt oder vonanderen Herstellern angenommen worden sei. Schließlich könne die „response toproposals“ nicht die Zustimmung zu dem angeblichen Kartell sein, wie schon derInhalt des Schriftstücks zeige. Ebenfalls sei nicht bewiesen, daß die in der „responseto proposals“ zum Ausdruck gebrachten Ansichten von einem der anderen PVC-Hersteller stammten.

703.
    Die Tatsache, daß Sitzungen stattgefunden hätten, erlaubt nach Ansicht derKlägerinnen keinen Schluß auf deren Zweck. Im übrigen gebe es kein Bindeglied

zwischen diesen Sitzungen und dem angeblichen Gesamtplan. Tatsächlich zeigtendie von der Kommission für die Preisinitiativen herangezogenen Schriftstücke, daßdie Unternehmen eine eigenständige Preispolitik entsprechend derMarktentwicklung verfolgt hätten. Dagegen gebe es keine Beweise für einevorherige Abstimmung der Hersteller.

704.
    Elf Atochem macht geltend, die Kommission habe eine Vereinbarung nichtzweifelsfrei nachgewiesen. Allein die Tatsache, daß Sitzungen stattgefunden hätten,genüge nicht, um den Zweck solcher Sitzungen oder die Beteiligung der einzelnenInteressenten aufzuzeigen. Die Kommission könne angesichts von Umständen, diehöchstens Verhaltensweisen zeigten, die weder allgemein noch einheitlich, noch vonDauer gewesen seien, nicht von einer „fortdauernden umfassenden Vereinbarung“ausgehen. Allenfalls hätte es dann eine Vielzahl einzelner, aufeinander folgenderVereinbarungen gegeben.

705.
    Die Klägerinnen wenden sich nicht gegen die Definition der abgestimmtenVerhaltensweise in Randnummer 32, dritter Absatz, der Entscheidung (Urteile desGerichtshofes vom 14. Juli 1972, ICI/Kommission, Randnr. 112, Suiker Unieu. a./Kommission, Randnr. 174, vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80,Züchner, Slg. 1981, 2021, Randnrn. 12 bis 14, und CRAM undRheinzink/Kommission, Randnr. 20). Nach Ansicht von Elf Atochem, BASF, ICIund Hüls enthält der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise jedoch zweiTatbestandsmerkmale, und zwar ein subjektives (die Abstimmung) und einobjektives (ein Marktverhalten, d. h. eine Verhaltensweise). Im vorliegenden Fallhabe die Kommission weder das eine noch das andere Merkmal nachgewiesen. Dadie Kommission insbesondere nicht das Marktverhalten der Unternehmenuntersucht habe, habe sie den Nachweis einer abgestimmten Verhaltensweise nichterbracht.

706.
    LVM und DSM machen geltend, die Kommission habe unter Verstoß gegen Artikel85 EG-Vertrag, den Versuch einer Zuwiderhandlung ahnden wollen. Da es nämlichum den Zweck oder die Wirkung gehe, müßten zwangsläufigAusführungshandlungen vorliegen. Somit fielen der Versuch oder die Absicht, eineunzulässige Vereinbarung zu schließen, und naturgemäß jede Form derAbstimmung, die nicht in Form von „Verhaltensweisen“ zur Ausführung gelangt sei,nicht unter Artikel 85 EG-Vertrag. Nach Ansicht von LVM und DSM kann somitdie bloße Teilnahme an Sitzungen mit einem unzulässigen Ziel nicht als strafbarangesehen werden.

707.
    Elf Atochem trägt vor, daß die Parallelität von Verhaltensweisen nur einunzureichender Beweis einer abgestimmten Verhaltensweise sein könne (UrteilAhlström Osakeyhtiö u. a./Kommission). Zudem könne die Beweislast nicht alleindurch die Feststellung einer solchen Parallelität umgekehrt werden (Schlußanträgedes Generalanwalts Darmon, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993,I-1445). Im übrigen sei selbst diese Parallelität der Verhaltensweisen bei Preisen,Quoten und beim Ausgleich von der Kommission nicht nachgewiesen worden.

708.
    Nach Ansicht von BASF bedeutet allein die Tatsache, daß konkurrierendeUnternehmen ihre Preise erhöhten, nicht, daß sie sich abgesprochen hätten (Urteilvom 14. Juli 1972, ICI/Kommission). Die Klägerin verweist dazu auf dieausschlaggebende Rolle des Preises für den Absatz von PVC, da es sich um einaustauschbares Massengut handele. Der Preis pendele sich somit auf einem Niveauein, auf dem sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht befänden. Senke einHersteller den Preis — die einzige Möglichkeit für ihn, seine Marktanteile zuvergrößern —, führe dies wegen der geringen Zahl von Anbietern zwangsläufig zueinem allgemeinen Preisverfall. Umgekehrt sei eine Preiserhöhung nur erfolgreich,wenn die Marktbedingungen dies zuließen; sei dies nicht der Fall, würden dieanderen Hersteller der Erhöhung nicht folgen, und der Hersteller, der den Vorstoßunternommen habe, verliere entweder Marktanteile oder sei gezwungen, seinePreise wieder zurückzunehmen.

709.
    Wacker und Hoechst machen geltend, die Kommission habe zu Unrecht daraufverzichtet, das tatsächliche Marktverhalten der Unternehmen zu untersuchen.

710.
    SAV wirft der Kommission vor, gegen ihre Verpflichtung zu einer gründlichen undobjektiven Prüfung des wirtschaftlichen Kontexts des angeblichen Kartells verstoßenzu haben (Urteile LTM, Suiker Unie u. a./Kommission, Ahlström Osakeyhtiöu. a./Kommission und SIV u. a./Kommission). Die Kommission habe imvorliegenden Fall nur einige allgemeine Aussagen über den Markt gemacht(Randnrn. 5 und 6 der Entscheidung), das tatsächliche Funktionieren des Marktesaber nicht untersucht.

711.
    Nach Ansicht von Montedison hat die Kommission nicht die Bedingungenberücksichtigt, die für die Festsetzung von Preisen für Erzeugnisse gälten, die fürgewerbliche Abnehmer bestimmt seien. Tatsächlich würden die Preislistenregelmäßig veröffentlicht, wobei der vom Branchenführer praktizierte Preis denanderen erlaube, ihre Position festzulegen, ohne daß dies einen Verzicht aufeigenständiges Verhalten bedeuten würde (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission).Die Kommission führe gegen diese offenkundigen Tatsachen lediglich den Zweckder Sitzungen, wie er in den Planungsdokumenten beschrieben sei, die Teilnahmefast aller PVC-Hersteller an diesen Sitzungen und die internen Geschäftsberichteder Hersteller an (Entscheidung, Randnr. 21). Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür,daß der in einem Unternehmen verfaßte Vorschlag von 1980 akzeptiert undausgeführt worden sei, wobei die Klägerin im übrigen dort nicht erwähnt wordensei; allein die Tatsache, daß fast alle Hersteller an Sitzungen teilgenommen hätten,sage nichts über den Inhalt dieser Sitzungen aus; schließlich beträfen diegeschäftsinternen Berichte nicht die Klägerin. Selbst wenn man unterstelle, daßdiese Berichte nach den Sitzungen erstellt worden seien, bedeute dies nicht, daßdie Erhöhungen der Listenpreise abgestimmt gewesen seien.

712.
    Nach Ansicht von Enichem liegt die Tatsache, daß keine Preisinitiative jemalserfolgreich gewesen sei, nahe, daß es sich um individuelle Bemühungen gehandelt

habe. Zudem zeigten die von der Kommission aufgefundenen Schriftstücke(Anlagen P zur Mitteilung der Beschwerdepunkte), wie stark der Wettbewerb aufdem Markt gewesen sei, was nicht einfach der mangelnden Disziplin eines Kartellszugeschrieben werden könne; mangels unmittelbarer Beweise müßte dieBehauptung eines Kartells durch das tatsächliche abgesprochene Verhalten dervermuteten Teilnehmer belegt werden, woran es im vorliegenden Fall fehle.

713.
    LVM, Elf Atochem, DSM, SAV, ICI, Hüls und Enichem tragen vor, daß diebeschuldigten Unternehmen, selbst wenn man die tatsächlichen Feststellungen derKommission als bewiesen unterstellte, nur Umstände nachzuweisen brauchten, diediesen Sachverhalt in einem anderen Licht erschienen ließen und damit eine andereErklärung als die der Kommission ermöglichten (Urteile CRAM undRheinzink/Kommission, Randnr. 16, und Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission,namentlich Randnrn. 70 und 72).

714.
    Bei den Preisinitiativen habe die Kommission die Erklärung der Klägerinnen, diesich auf die wirtschaftliche Theorie der „barometrischen Preisführung“ stütze, ohneErhebung irgendwelcher Beweise zurückgewiesen. Nach dieser Theorie seien diePreisinitiativen jedoch nur die Folge eines normal funktionierenden Marktes ohneirgendeine Abstimmung der Hersteller.

Würdigung durch das Gericht

715.
    Nach ständiger Rechtsprechung reicht es für eine Vereinbarung im Sinne desArtikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag aus, daß die betreffenden Unternehmen ihrengemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt inbestimmter Weise zu verhalten (namentlich Urteile ACFChemiefarma/Kommission, Randnr. 112, und Van Landewyck u. a./Kommission,Randnr. 86).

716.
    Die Klägerinnen versuchen mit ihrer Argumentation zumindest teilweisenachzuweisen, daß die Planungsdokumente nicht als Vereinbarung im Sinne desArtikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag angesehen werden können. Diese Argumentationgeht jedoch ins Leere.

717.
    Wie sich aus der Begründung der Entscheidung, insbesondere ihren Randnummern29 bis 31 über die Struktur der Vereinbarung ergibt, hat die Kommission diePlanungsdokumente nicht als Vereinbarung im Sinne dieser Bestimmungangesehen. Wie bereits festgestellt, hat die Kommission im „Sachverhalt“ derEntscheidung darauf hingewiesen, daß sie diese Unterlagen als „Plan für dasKartell“ betrachte.

718.
    Zudem wiederholen die Klägerinnen mit ihren Argumenten die von ihnen intatsächlicher Hinsicht erhobenen Einwände, die vom Gericht bereits dargestellt undzurückgewiesen worden sind.

719.
    Somit können die Klägerinnen nicht mit Erfolg behaupten, daß die auf denHerstellersitzungen erfolgte gemeinsame Ausarbeitung von Quoten- undAusgleichsregelungen, Preisinitiativen und eines Informationsaustauschs über dietatsächlichen Verkäufe sowie die gemeinsame Durchführung dieser Maßnahmennicht Ausdruck eines gemeinsamen Willens waren, sich auf dem Markt inbestimmter Weise zu verhalten.

720.
    Artikel 85 EG-Vertrag stellt den Begriff „aufeinander abgestimmteVerhaltensweise“ neben die Begriffe „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“und „Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen“, um durch seineVerbotsvorschrift eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen zu erfassen,die zwar noch nicht bis zum Abschluß eines Vertrages im eigentlichen Sinnegediehen ist, jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mitRisiken verbundenen Wettbewerbs treten läßt (Urteil vom 14. Juli 1972,ICI/Kommission, Randnr. 64). Die Kriterien der Koordinierung und derZusammenarbeit, auf die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes abgestellt wird,verlangen nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen „Plans“; sie sind vielmehr imSinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zuverstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politiker auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Es ist zwar richtig, daßdieses Selbständigkeitspostulat nicht das Recht der Unternehmen beseitigt, sichdem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinnanzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbarenFühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt,entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Mitbewerberszu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bildzu setzen, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht(Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnrn. 173 und 174).

721.
    Die Klägerinnen stellen diese Rechtsprechung, auf die die Kommission inRandnummer 33 der Entscheidung verwiesen hat, nicht in Frage, wohl aber derenÜbertragung auf den vorliegenden Fall.

722.
    Indem die Hersteller aber länger als drei Jahre Sitzungen, deren Zweck von derKommission zutreffend festgestellt worden ist, veranstaltet und daran teilgenommenhaben, haben sie sich an einer Abstimmung beteiligt, durch die sie die Risiken desWettbewerbs bewußt durch eine praktische Zusammenarbeit untereinanderausgeschaltet haben.

723.
    Damit hat jeder Hersteller nicht nur das Ziel verfolgt, im voraus die Ungewißheitüber das künftige Verhalten seiner Wettbewerber zu beseitigen, sondern er mußtebei der Festlegung der Politik, die er auf dem Markt verfolgen wollte, zwangsläufigauch unmittelbar oder mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen Informationenberücksichtigen.

724.
    Die Klägerinnen führen jedoch gegen die Folgerungen der Kommission diegenannten Urteile CRAM und Rheinzink/Kommission sowie Ahlström Osakeyhtiöu. a./Kommission an.

725.
    Nach dieser Rechtsprechung brauchen, wenn die Kommission bei ihrenÜberlegungen unterstellt, daß sich die festgestellten Tatsachen nur mit einerAbstimmung zwischen den Unternehmen erklären lassen, die Kläger nur Umständenachzuweisen, die den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einemanderen Licht erscheinen lassen und damit eine andere Erklärung diesesSachverhalts ermöglichen, als sie die Kommission gegeben hat (Urteile CRAM undRheinzink/Kommission, Randnr. 16, sowie Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission,insbesondere Randnrn. 126 und 127).

726.
    Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

727.
    Wie die Kommission nämlich in Randnummer 21 der Entscheidung festgestellt hat,stützt sich der Beweis der Abstimmung der Unternehmen nicht auf die bloßeFeststellung eines parallelen Marktverhaltens, sondern auf Unterlagen, die belegen,daß die Verhaltensweisen abgesprochen waren (vgl. vorstehend, Randnrn. 582 ff.).

728.
    In diesem Fall können sich die Klägerinnen nicht darauf beschränken, einevermeintlich andere Erklärung für den von der Kommission festgestelltenSachverhalt zu geben, sondern müssen diese durch die von der Kommissionvorgelegten Schriftstücke nachgewiesenen Tatsachen entkräften. Wie die Prüfungdes Sachverhalts zeigt, ist dies hier nicht geschehen.

729.
    Somit hat die Kommission zu Recht die Zuwiderhandlung hilfsweise alsabgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertragqualifiziert.

730.
    Wie sich aus Randnummer 31 der Entscheidung ergibt, beruhen dieVerhaltensweisen auf einer Absprache, die mehrere Jahre lang wirksam war, aufdem gleichen Verfahren beruhte und das gleiche gemeinsame Ziel hatte. Daher istdie Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß diese Verhaltensweisen alseine einzige fortdauernde Absprache und nicht als eine Reihe einzelnerVereinbarungen anzusehen waren.

731.
    Somit ist dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

c) Zur Qualifizierung des Zweckes oder der Wirkung als wettbewerbswidrig

Vorbringen der Parteien

732.
    LVM und DSM machen geltend, daß der Begriff der Wettbewerbsbeschränkungals wesentliche Merkmale für die Feststellung einer Zuwiderhandlung einoffenkundiges Verhalten und dessen Auswirkung auf den Markt voraussetze. Da

im vorliegenden Fall kein bestimmtes Verhalten nachgewiesen sei, hätte dieKommission sich darum bemühen müssen, eine Auswirkung auf den PVC-Marktnachzuweisen. Dies habe die Kommission nicht getan, sondern sich mit im übrigenrein spekulativen Behauptungen begnügt.

733.
    LVM, DSM, Wacker und Hoechst führen aus, die Kommission habe zu Unrechtkeine wirtschaftliche Analyse der Wirkungen des angeblichen Kartells durchgeführtoder durchführen lassen, obwohl sie verpflichtet sei, die Auswirkungen auf einenMarkt zu beurteilen und dem wirtschaftlichen Kontext Rechnung zu tragen(namentlich Urteile LTM, und Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Randnr. 70).Im übrigen habe sie, ohne irgendwelche Beweise anzuführen, sämtlichewirtschaftlichen Schlußfolgerungen zurückgewiesen, zu denen ein von denbeschuldigten Unternehmen beauftragter Sachverständiger gelangt sei und nachdenen der PVC-Markt durch einen lebhaften Wettbewerb gekennzeichnet gewesensei. Wacker und Hoechst beantragen wegen der von der Kommissiondurchgeführten unzureichenden Untersuchung der Kartellwirkungen die Einholungeines Sachverständigengutachtens hierüber oder die Einräumung einer Frist für dieVorlage eines solchen Gutachtens. Nach Ansicht von SAV hat sich die Kommissionauf einige allgemeine Feststellungen hinsichtlich des Marktes beschränkt (Randnrn.5 und 6 der Entscheidung), aber nicht untersucht, wie dieser tatsächlich funktionierthabe.

734.
    ICI macht geltend, die Kommission habe bei der Beurteilung der Wirkungen desangeblichen Kartells auf die Preise nicht den vorgelegten wirtschaftlichen BeweisenRechnung getragen. Diese hätten gezeigt, daß der PVC-Markt durch einenlebhaften Wettbewerb gekennzeichnet gewesen sei, was bestätige, daß die PVC-Preise keinem anderen Einfluß als dem freien Wettbewerb ausgesetzt gewesenseien. Die Kommission habe nichts zur Stützung ihrer Auffassung vorgetragen, wasüber bloße Behauptungen hinausgegangen sei. Tatsächlich habe, was auch immerin den Sitzungen vor sich gegangen sei, dies keine Auswirkung auf die Preisegehabt.

735.
    Nach Ansicht von BASF hat die Kommission die Wirkungen des angeblichenKartells unzureichend aufgeklärt, wie die Streichung einer Stelle in Randnummer37 der deutschen Fassung der angefochtenen Entscheidung gegenüber derEntscheidung 1988 zeige.

736.
    Montedison führt aus, daß der PVC-Sektor nach der erheblichen Erhöhung derÖlpreise 1979 in eine schwere Krise geraten sei. Sämtliche Unternehmen hättenvon 1980 bis 1986 mit Verlust produziert, so daß einige von ihnen gezwungengewesen seien, sich vom Markt zurückzuziehen. Angesichts dieser Situation hättensie von ihrem Versammlungsrecht und ihrem Recht auf freie MeinungsäußerungGebrauch gemacht. Daher seien die beanstandeten Verhaltensweisen nicht dasErgebnis rechtswidriger Abstimmungen; sie seien nur der Versuch eines teilweisenAusgleichs der Verluste, was das einzig vernünftige Verhalten auf einem von einer

Krise betroffenen Markt darstelle. Im übrigen hätten die beanstandetenVerhaltensweisen keine Auswirkung auf den Wettbewerb gehabt; die Kommissionhabe selbst festgestellt, daß die Preisinitiativen nur teilweise oder überhaupt nichterfolgreich gewesen seien.

737.
    Hüls macht geltend, die angeblichen Preisinitiativen seien wirkungslos geblieben,da die Marktpreise die angeblichen Zielpreise nicht erreicht hätten.

738.
    Nach Ansicht von Enichem hat die Kommission Auswirkungen auf den Markt nichtnachweisen können. Der angebliche psychologische Effekt, auf den sich dieKommission berufe, sei rechtlich nicht genau faßbar. Im übrigen hätten sich diePreise von Januar 1981 bis Oktober 1984 nur geringfügig entwickelt.

Würdigung durch das Gericht

739.
    Die Würdigung des Sachverhalts ergibt, daß die den Unternehmen vorgeworfeneZuwiderhandlung namentlich in der gemeinsamen Festsetzung der Preise undVerkaufsmengen für den PVC-Markt bestand. Eine solche Zuwiderhandlung, dieals Beispiel ausdrücklich in Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag genannt ist, verfolgteinen wettbewerbswidrigen Zweck.

740.
    Die Tatsache, daß sich der PVC-Sektor zum Zeitpunkt derentscheidungserheblichen Ereignisse in einer schweren Krise befand, kann nicht zudem Schluß führen, daß die Bedingungen für die Anwendung des Artikels 85Absatz 1 EG-Vertrag nicht erfüllt waren. Zwar kann diese Marktlagegegebenenfalls berücksichtigt werden, um ausnahmsweise eine Freistellung nachArtikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag zu erlangen, doch ist festzustellen, daß die PVC-Hersteller niemals einen solchen Freistellungsantrag nach Artikel 4 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17 gestellt haben. Schließlich hat die Kommission bei ihrerWürdigung die Krise, von der die Branche betroffen war, nicht außer acht gelassen,wie sich insbesondere aus Randnummer 5 der Entscheidung ergibt; im übrigen hatsie ihr auch bei der Bemessung der Geldbuße Rechnung getragen.

741.
    Nach ständiger Rechtsprechung brauchen bei der Anwendung von Artikel 85Absatz 1 die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht berücksichtigtzu werden, wenn sich ergibt, daß diese eine Verhinderung, Einschränkung oderVerfälschung des Wettbewerbs bezweckt (namentlich Urteil des Gerichtshofes vom13. Juli 1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten undGrundig/Kommission, Slg. 321, 390). Da der wettbewerbswidrige Zweck der denKlägerinnen vorgeworfenen Verhaltensweisen bewiesen ist, ist der Klagegrund,soweit er dahin zu verstehen ist, daß mit ihm der Nachweis tatsächlicherwettbewerbswidriger Wirkungen verlangt wird, somit zurückzuweisen.

742.
    In der deutschen Fassung der angefochtenen Entscheidung sind zwei Sätze derRandnummer 37 der deutschen Fassung der Entscheidung 1988 über dieKartellwirkungen gestrichen worden. Da mit dieser Streichung lediglich die

verschiedenen Sprachfassungen der angefochtenen Entscheidung angeglichenwerden sollten, können die Klägerinnen dies nicht als Beweis einer unzureichendenUntersuchung der Wirkungen der Zuwiderhandlung anführen.

743.
    Schließlich hat sich die Kommission entgegen den Behauptungen einigerKlägerinnen nicht auf Spekulationen über die Wirkungen der beanstandetenZuwiderhandlung beschränkt. Sie hat nämlich in Randnummer 37 der Entscheidungnur festgestellt, daß es eine Frage von Spekulationen bleibe, ob im Fall fehlendenkollusiven Zusammenwirkens die Preise im Langzeitvergleich niedriger gewesenwären.

744.
    Deswegen ist die Kommission genau zu dem Ergebnis gelangt, daß dieZuwiderhandlung nicht wirkungslos geblieben ist.

745.
    So hat die Festsetzung europäischer Zielpreise den freien Wettbewerb auf demPVC-Markt zwangsläufig beeinträchtigt. Die Käufer hatten auf diese Weise nureinen begrenzten Verhandlungsspielraum hinsichtlich der Preise. Wie im übrigenbereits festgestellt worden ist (vorstehend, Randnr. 655), belegen mehrere derAnlagen P1 bis P70, daß die Käufer sich oft vor dem Inkrafttreten einerPreisinitiative eindeckten. Dies bestätigt die Schlußfolgerung der Kommission, daßdie Käufer sich der Tatsache bewußt waren, daß die Preisinitiativen der Herstellerihren Verhandlungsspielraum einschränken und daher nicht wirkungslos bleibenwürden.

746.
    Wenn die Hersteller auch einige Initiativen als gescheitert angesehen haben (vgl.vorstehend, Randnr. 654), was die Kommission in ihrer Entscheidung keineswegsverkannt hat, wird in mehreren der Anlagen P1 bis P70 doch von einemvollständigen oder teilweisen Erfolg der Preisinitiativen gesprochen. Tatsächlichhaben die Hersteller selbst verschiedentlich festgestellt, daß eine Preisinitiativeentweder einen Zeitraum des Preisrückgangs beendet oder zu einem Ansteigen derMarktpreise geführt habe. Als Beispiele hierfür lassen sich anführen die AnlagenP3 („Der Preiserhöhungsschritt per 1. November [1980] hat sich durchgesetzt,weshalb ein zweiter Schritt eingeleitet wurde ...“), P5 („Die Preiserhöhungen zum1. November [1980] waren kein vollständiger Erfolg, doch sind die Preise erheblichgestiegen“), P17 („Die Preiserhöhungen von Juni [1981] sind allmählich in ganzEuropa akzeptiert worden“), P23 („Der Preisverfall ist zum Ende des Monats[April 1982] aufgrund der Ankündigung einer allgemeinen Anhebung dereuropäischen Preise auf 1,35 DM zum 1. Mai gestoppt worden“) oder P33 („Diezum 1. September [1982] eingeleitete Preiserhöhung für homopolymeres PVC aufmindestens DM 150,— %kg hatte von der Tendenz her Erfolg ...“).

747.
    Somit ergibt sich aus den objektiven Feststellungen der Hersteller imentscheidungserheblichen Zeitraum selbst, daß die Preisinitiativen die Höhe derMarktpreise beeinflußt haben.

748.
    Wie die Kommission im übrigen festgestellt hat (Randnr. 38 der Entscheidung),wurden die beanstandeten Verhaltensweisen über mehr als drei Jahre immerwieder beschlossen. Es ist daher unwahrscheinlich, daß die Hersteller dieseVerhaltensweisen seinerzeit als völlig wirkungs- und nutzlos angesehen haben.

749.
    Infolgedessen hat die Kommission die Wirkungen der den Klägerinnen zur Lastgelegten Zuwiderhandlung zutreffend beurteilt. Unter Berücksichtigung derobjektiven Feststellungen der Hersteller selbst im entscheidungserheblichenZeitraum war die Kommission somit nicht verpflichtet, eine eingehendeWirtschaftsstudie über die Auswirkungen des Kartells auf den Markt zu erstellen.Somit ist dem Antrag von Wacker und Hoechst, die Einholung eines solchenGutachtens anzuordnen, nicht stattzugeben.

750.
    Daher ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

d) Zur Feststellung einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

Vorbringen der Parteien

751.
    Nach Ansicht von LVM und DSM hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß dievon ihr beanstandeten Verhaltensweisen den Handel zwischen Mitgliedstaatenbeeinträchtigt hätten. So sei für die Beeinträchtigung des Handels zwischenMitgliedstaaten nicht entscheidend, daß die Vereinbarung „geeignet“ gewesen sei,den Handel zu beeinflussen, sondern maßgeblich sei die wirtschaftliche Auswirkungder Vereinbarung; diese Auswirkung oder die Möglichkeit einer solchen müssebewiesen werden (Urteile des Gerichtshofes LTM, und vom 11. Juli 1985 in derRechtssache 42/84, Remia u. a./Kommission, Slg. 1985, 2545, Randnr. 22).

752.
    Nach Ansicht von ICI hat sich die Kommission bei der Prüfung der Spürbarkeit derBeeinträchtigung mit unbewiesenen Behauptungen begnügt. Sie habe die Beweisewirtschaftlicher Art, die die Klägerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung derBeschwerdepunkte vorgelegt habe, nicht berücksichtigt. Tatsächlich hätte, was auchimmer sich in den Herstellersitzungen möglicherweise zugetragen habe, dies denHandel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinflussen können.

Würdigung durch das Gericht

753.
    Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verlangt, daß die Vereinbarungen undabgestimmten Verhaltensweisen geeignet sind, den Handel zwischenMitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Daher muß die Kommission nicht nachweisen,daß eine solche Beeinträchtigung tatsächlich stattgefunden hat (Urteil desGerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-219/95 P, FerriereNord/Kommission, Slg. 1997, I-4411, Randnrn. 19 und 20).

754.
    Zudem fallen nach der Rechtsprechung Vereinbarungen, Beschlüsse vonUnternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen nicht

unter die Verbotsvorschrift des Artikels 85, wenn sie den Markt mit Rücksicht aufdie schwache Stellung der Beteiligten auf dem Markt der fraglichen Erzeugnissenur geringfügig beeinträchtigen (Urteil des Gerichtshofes vom 9. Juli 1969 in derRechtssache 5/69, Völk, Slg. 1969, 295, Randnr. 7).

755.
    Wie die Kommission in Randnummer 39 ihrer Entscheidung festgestellt hat,erstreckten sich die beanstandeten Verhaltensweisen auf alle Mitgliedstaaten unddeckten praktisch den gesamten innergemeinschaftlichen Handel mit diesemIndustrieerzeugnis ab. Zudem verkauften die meisten Hersteller ihre Erzeugnissein mehr als einem Mitgliedstaat. Schließlich ist unbestritten, daß wegen desUngleichgewichts von Angebot und Nachfrage auf den verschiedenen nationalenMärkten ein reger innergemeinschaftlicher Handel herrschte.

756.
    Somit ist die Kommission in Randnummer 39 der Entscheidung zu Recht zu demErgebnis gelangt, daß die beanstandeten Verhaltensweisen geeignet waren, denHandel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen.

e) Zu den anderen Klagegründen rechtlicher Art

Zum Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs

757.
    Nach Ansicht von BASF hat die Kommission ermessensmißbräuchlich gehandelt,indem sie nicht die erforderlichen Nachprüfungen durchgeführt habe, um ihreBehauptungen hinsichtlich der Marktauswirkungen des Kartells, des wirtschaftlichenZusammenhangs, der Dauer der Zuwiderhandlung und der Beschränkung desfreien Spiels der Marktkräfte zu belegen. Damit habe sie das ihr durch Artikel 15Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 eingeräumte Ermessen mißbraucht.

758.
    Die Kommission macht geltend, dieser Klagegrund sei nur eine Wiederholungvorangegangener Klagegründe und müsse daher aus den gleichen Gründenzurückgewiesen werden. Jedenfalls habe sie von ihren Befugnissen nicht zu anderenals den angegebenen Zwecken Gebrauch gemacht.

759.
    Da keine objektiven, überzeugenden und schlüssigen Anhaltspunkte dafürvorliegen, daß die Kommission die Entscheidung ausschließlich oder überwiegendzu anderen als den angegebenen Zwecken erlassen hat, ist dieser Klagegrundzurückzuweisen.

Zum Klagegrund der fehlenden Übereinstimmung zwischen dem verfügenden Teilund der Begründung der Entscheidung

760.
    Shell rügt die mangelnde Übereinstimmung zwischen Artikel 1 des verfügendenTeils der Entscheidung und deren Begründung. In der Begründung derEntscheidung sei Shell erstens nur wegen einer abgestimmten Verhaltensweise undnicht wegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen gerügt worden

(Entscheidung, Randnr. 34), zweitens sei dort ihre Teilnahme bei der Ausarbeitungder Planungsdokumente ausgeschlossen worden (Randnr. 48), drittens habe sich dieTeilnahme von Shell von Januar 1982 bis Oktober 1983 erstreckt (Randnrn. 48 und54) und schließlich werde ihre Beteiligung dort als begrenzt bezeichnet (Randnrn.48 und 53). Alle diese Punkte würden im verfügenden Teil anders behandelt.

761.
    Der verfügende Teil einer Entscheidung ist unter Berücksichtigung der ihntragenden Gründe auszulegen.

762.
    Im vorliegenden Fall besteht zwischen Artikel 1 des verfügenden Teils, da er sichnicht nur auf eine Vereinbarung, „sondern auch auf“ eine abgestimmteVerhaltensweise bezieht, und Randnummer 34 der Entscheidung kein Widerspruch.Da dieser Artikel Zuwiderhandlungen „in den in dieser Entscheidung genanntenZeiträumen“ betrifft, kann Shell sich nicht mit Erfolg auf einen Widerspruch zurBegründung der Entscheidung berufen, soweit es um ihre fehlende Beteiligung andem Plan für ein Kartell 1980 und die Dauer ihrer Beteiligung geht. Schließlichenthält der verfügende Teil keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Kommission derbegrenzten Rolle der Klägerin, wie sie in den Randnummern 48 und 53 derEntscheidung beschrieben wird, nicht Rechnung getragen hätte.

763.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

C — Zur Beteiligung der Klägerinnen an der festgestellten Zuwiderhandlung§

764.
    Die Klägerinnen werfen der Kommission erstens vor, vom Grundsatz einerkollektiven Verantwortlichkeit ausgegangen zu sein (1). Zweitens machen siegeltend, daß ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung jedenfalls nicht bewiesensei (2).

1. Zu der angeblichen Zurechnung einer kollektiven Verantwortlichkeit

Vorbringen der Parteien

765.
    Elf Atochem, BASF, SAV, ICI und Enichem sind der Ansicht, daß dieVerantwortlichkeit eines Unternehmens nach einem weltweit anerkanntenGrundsatz nur individuell sein könne.

766.
    Im vorliegenden Fall habe die Kommission gegen diesen Grundsatz verstoßen. InRandnummer 25 der Entscheidung vertrete sie nämlich die Ansicht, es brauchenicht nachgewiesen zu werden, daß jedes Kartellmitglied an jeder Veranstaltungteilgenommen habe; vielmehr reiche es aus, die Beteiligung der Unternehmen andem Kartell „insgesamt“ zu würdigen.

767.
    Die Kommission entgegnet, sie sei sich, wie sich insbesondere aus denRandnummern 25, zweiter Absatz, 26, erster Absatz, und 31 a. E. der Entscheidung

ergebe, durchaus der Notwendigkeit bewußt gewesen, die individuelle Beteiligungder einzelnen Klägerinnen an dem beanstandeten Kartell nachzuweisen.

Würdigung durch das Gericht

768.
    In Randnummer 25, zweiter Absatz, der Entscheidung hat die Kommissionfolgendes festgestellt: „Hinsichtlich der praktischen Verwertbarkeit der Beweise istdie Kommission der Auffassung, daß neben dem Hinweis des Bestehens einesKartells durch überzeugende Beweise auch bewiesen werden muß, daß alleverdächtigen Teilnehmer der gemeinsamen Regelung beigetreten waren. Diesbedeutet jedoch nicht, daß schriftliches Beweismaterial dafür beigebracht werdenmuß, daß jeder Teilnehmer an allen die Zuwiderhandlung darstellenden Sitzungenusw. teilnahm ... Im vorliegenden Fall war es wegen des Fehlens von Unterlagenüber die Preise nicht möglich, die tatsächliche Beteiligung aller Hersteller anabgestimmten Preisinitiativen nachzuweisen. Die Kommission hat deshalb bei deneinzelnen verdächtigen Teilnehmern geprüft, ob ausreichend zuverlässige Beweisefür ihre Beteiligung an dem Kartell insgesamt vorliegen, anstatt nach Nachweisenfür seine Teilnahme an den einzelnen Veranstaltungen zu fahnden.“

769.
    In Randnummer 31 der Entscheidung heißt es am Ende: „Entscheidend ist imvorliegenden Fall das lange Zeit andauernde Zusammenwirken der Hersteller inRichtung auf ein gemeinsames gesetzwidriges Ziel. Jeder Teilnehmer ist nicht nurfür seine eigene unmittelbare Rolle, sondern auch für die Durchführung desKartells insgesamt verantwortlich.“

770.
    Wie sich insbesondere aus der Randnummer 25, zweiter Absatz, erster Satz, derEntscheidung ergibt, hat die Kommission die Notwendigkeit des Nachweises derBeteiligung jedes einzelnen Unternehmens an dem beanstandeten Kartell durchauserkannt.

771.
    Sie hat dazu auf den Begriff des „Kartells insgesamt“ zurückgegriffen. Daraus läßtsich aber nicht herleiten, daß sie vom Grundsatz einer kollektivenVerantwortlichkeit in dem Sinne ausgegangen ist, daß sie einigen Unternehmen dieBeteiligung an Handlungen, zu denen sie keinen Beitrag geleistet haben, nurzugerechnet hätte, weil die Beteiligung anderer Unternehmen an diesenHandlungen bewiesen ist.

772.
    Der Begriff des „Kartells insgesamt“ ist nämlich untrennbar mit dem Wesen derfraglichen Zuwiderhandlung verbunden. Diese besteht, wie dieSachverhaltswürdigung ergeben hat, in der über mehrere Jahre andauerndenregelmäßigen Veranstaltung von Sitzungen konkurrierender Hersteller mit dem Zielder Festlegung unzulässiger Praktiken zur künstlichen Regulierung des PVC-Marktes.

773.
    Ein Unternehmen kann für ein solches Gesamtkartell zur Verantwortung gezogenwerden, auch wenn es nachweislich nur an einem oder mehreren Bestandteilendieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, sofern es wußte oder zwangsläufigwissen mußte, daß die Absprache, an der es insbesondere durch die Teilnahme anregelmäßig über mehrere Jahre stattfindenden Sitzungen beteiligt war, Teil einesGesamtsystems war, das auf die Verfälschung des normalen Wettbewerbs gerichtetwar, und daß sich dieses System auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte.

774.
    Auch wenn die Kommission im vorliegenden Fall wegen des Fehlens vonUnterlagen die Beteiligung jedes einzelnen Unternehmens an der Durchführungder Preisinitiativen, einer der Erscheinungsformen des Kartells, nicht nachweisenkonnte, meinte sie doch, beweisen zu können, daß jedes Unternehmen jedenfallsan den Herstellersitzungen teilgenommen hatte, die namentlich die gemeinsamePreisfestlegung zum Ziel hatten.

775.
    In Randnummer 20, vierter und fünfter Absatz, heißt es: „Die Kommission kanndaher wegen der fehlenden Preisunterlagen der Hersteller nicht beweisen, daß alleHersteller gleichzeitig identische Preislisten einführten oder die .europäischen'DM-Ziele anwandten. Es kann jedoch nachgewiesen werden, daß eines derHauptziele der Sitzungen, an denen alle Hersteller teilnahmen, darin bestand,Preisziele zu setzen und die Preisinitiativen zu koordinieren.“

776.
    Die gleiche Auffassung kommt in Randnummer 26, fünfter Absatz, zum Ausdruck:„Das Maß an Verantwortung jedes Teilnehmers hängt jedoch nicht von denUnterlagen ab, die zufällig oder auf andere Weise bei dem betreffendenUnternehmen aufgefunden werden, sondern eher von seiner Beteiligung an demKartell insgesamt. Die Tatsache, daß die Kommission keine Beweise für dasPreisverhalten einiger Unternehmen erlangte, vermindert somit nicht den Umfangihrer Beteiligung, da sie als Vollmitglieder eines Kartells ausgewiesen wurden, beidem Preisinitiativen geplant waren.“

777.
    Die Kommission macht somit in der Entscheidung geltend, daß sie die Teilnahmejedes einzelnen Unternehmens an bestimmten Veranstaltungen des Kartells undaufgrund einer Vielzahl schlüssiger Indizien auch an den Herstellersitzungen, indenen sich die Unternehmen vor allem über die in den folgenden Tagenanzuwendenden Preise verständigten, habe nachweisen können. Die Kommissionhat sich dabei zulässigerweise darauf gestützt, daß das jeweilige Unternehmen inden Planungsdokumenten erwähnt wird, in denen Maßnahmen vorgesehen waren,die in den Wochen nach der Erstellung dieser Dokumente durchgeführt und aufdem PVC-Markt festgestellt wurden, daß die Beteiligung des Unternehmens an denanderen Veranstaltungen des Kartells nachgewiesen ist oder daß das Unternehmenvon BASF und ICI als Teilnehmer an den Herstellersitzungen genannt wurde.

778.
    Aus alledem ergibt sich, daß die Kommission dem einzelnen Unternehmen keinekollektive Verantwortlichkeit oder eine Verantwortlichkeit für eine Veranstaltungdes Kartells, zu der das Unternehmen keinen Beitrag geleistet hat, angelastet hat,

sondern es nur für die Handlungen verantwortlich gemacht hat, an denen esbeteiligt war.

2. Zur individuellen Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

779.
    Alle Klägerinnen in den vorliegenden Rechtssachen mit Ausnahme von ICIbestreiten entweder im Rahmen eines besonderen Klagegrundes oder im Rahmenanderer Klagegründe, die z. B. die Sachverhaltsfeststellung oder die Regeln derBeweislast betreffen, daß ihre Teilnahme an der beanstandeten Zuwiderhandlungbewiesen sei.

780.
    Somit ist nacheinander der Fall jeder einzelnen Klägerin mit Ausnahme von ICIzu prüfen. Diese Prüfung läßt sich nicht von der des Beweiswerts der von derKommission angeführten Unterlagen und der von ihr daraus gezogenen rechtlichenFolgerungen, die bereits untersucht worden sind, trennen.

a) DSM

Vorbringen der Klägerinnen

781.
    Erstens bestreiten die Klägerinnen, an Herstellersitzungen teilgenommen zu haben,auf denen Preise und Marktanteile erörtert worden seien. Die Beweismittel derKommission hierfür seien nämlich offenkundig unzureichend. So beweise dieErwähnung des Namens DSM in der „checklist“, deren Beweiswert bereits in Fragegestellt worden sei, weder, daß die dort vorgesehene Sitzung stattgefunden, nochdaß DSM daran teilgenommen habe. Die Erklärungen von ICI, die im übrigen mitallem Vorbehalt abgegeben worden seien, beträfen Ereignisse aus dem Jahr 1983,dem Jahr, in dem DSM den PVC-Markt verlassen habe. Schließlich sei DSM vonBASF nicht als einer der Teilnehmer an den Sitzungen genannt worden.

782.
    Zweitens sei für das angebliche Quotensystem das Schriftstück von DSM, das alleinvon der Kommission gegen die Klägerinnen verwertet worden sei und in dem derBegriff „Ausgleich“ erscheine, ohne Beweiswert. Selbst wenn der Begriff dieBedeutung hätte, die die Kommission ihm beilege, hieße dies nicht, daß dieKlägerinnen sich an einem solchen System beteiligt hätten.

783.
    Drittens habe die Kommission das Bestehen einer Regelung für die Überwachungder Verkäufe nicht nachgewiesen.

784.
    Was schließlich die Zielpreise und Preisinitiativen betreffe, so sei nicht bewiesen,daß es abgestimmte Preisinitiativen überhaupt gegeben habe.

Würdigung durch das Gericht

785.
    DSM ist von ICI als Teilnehmer an den Herstellersitzungen genannt worden (vgl.vorstehend, Randnr. 675), deren Rechtswidrigkeit die Kommission nachgewiesenhat (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686). Entgegen der Auffassung derKlägerinnen betreffen die Erklärungen von ICI nicht nur den Zeitraum nachJanuar 1983, sondern vielmehr die informellen Sitzungen, die „von August 1980“an fast einmal monatlich, wie BASF bestätigt hat, stattgefunden haben (vgl.vorstehend, Randnrn. 675 und 677).

786.
    Zudem erscheint DSM in den Planungsdokumenten ausdrücklich als möglicherTeilnehmer an dem von ICI geplanten „neuen Rahmen für die Sitzungen“.Aufgrund der engen Korrelation zwischen den in diesen Dokumenten geplantenVerhaltensweisen und den in den folgenden Wochen auf dem PVC-Marktfestgestellten Verhaltensweisen (vorstehend, Randnrn. 662 ff.) kann die Erwähnungdes Namens von DSM als Indiz für ihre Beteiligung an der beanstandetenZuwiderhandlung gewertet werden.

787.
    Mehrere Schriftstücke, die von der Kommission zu Recht als Beweis für diegemeinsamen Preisinitiativen herangezogen worden sind (vgl. vorstehend, Randnrn.637 bis 661), stammen von DSM. Mehrere dieser Unterlagen, insbesondere dieAnlagen P5, P13, P28 und P41, verweisen zudem darauf, daß DSM diesePreisinitiativen „fest unterstützt“ hat.

788.
    Das Alcudia-Dokument, das neben anderen Unterlagen das Bestehen einerRegelung zur Überwachung der Verkaufsmengen der PVC-Hersteller belegt, führtindirekt DSM an, da es dort heißt: „An der PVC-Regelung [über den Ausgleich]ist nur ein Hersteller nicht beteiligt“ (vgl. vorstehend, Randnr. 589). ICI hat in ihrerAntwort auf ein Auskunftsverlangen angegeben, daß dieser Hersteller Shellgewesen sei. Zudem ist das Schriftstück von DSM, das die Kommission zu Rechtals Beweis für eine Ausgleichsregelung zwischen den Herstellern angesehen hat(vgl. vorstehend, Randnrn. 594 bis 598), ein Monatsbericht über die Marktsituation,der von einer Abteilung von DSM erstellt worden ist.

789.
    Bezüglich der Überwachung der Verkäufe ziehen die Klägerinnen nur das Besteheneiner solchen Regelung in Zweifel. Dieser Einwand ist vom Gericht bereits geprüftund zurückgewiesen worden (vgl. vorstehend, Randnrn. 618 bis 636).

790.
    Nach alledem ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß DSM ander ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt war.

b) Atochem

Vorbringen der Klägerin

791.
    Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission nicht bewiesen, daß Elf Atochemdem beanstandeten Kartell zugestimmt oder sich daran beteiligt habe.

792.
    Zu den Preisinitiativen trägt die Klägerin vor, daß ihr Name oder der Name derin ihr zusammengeschlossenen Gesellschaften in keinem Schriftstück erwähnt sei.Die Akten enthielten keinen Anhaltspunkt dafür, daß Elf Atochem sein Verhaltendem der anderen PVC-Hersteller angeglichen hätte. Mehrere Unterlagen zeigtenim Gegenteil ein wettbewerbsorientiertes und nicht abgestimmtes Verhalten vonihrer Seite.

793.
    Was die angebliche Quoten-, Ausgleichs- und Marktüberwachungsregelung angehe,so seien die beiden Schriftstücke, auf die sich die Vorwürfe gegen Atochem stützten(Atochem-Tabelle und Solvay-Tabellen), ohne Beweiswert. Die Kommission räumein Randnummer 11 der Entscheidung selbst ein, daß von einer Disziplin kaum dieRede gewesen sein könne. Die sich ständig verändernden Marktanteile von ElfAtochem seien mit einer solchen Regelung, an der das Unternehmen beteiligtgewesen sein solle, ganz offenkundig unvereinbar.

794.
    Die Kommission habe weder die Anwesenheit der Klägerin bei denHerstellersitzungen noch deren aktive oder passive Teilnahme an den dortmöglicherweise getroffenen Entscheidungen bewiesen.

Würdigung durch das Gericht

795.
    Atochem wird von ICI als Teilnehmer an den Herstellersitzungen genannt (vgl.vorstehend, Randnr. 675), deren Rechtswidrigkeit die Kommission bewiesen hat(vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

796.
    Die Anwesenheit der Klägerin auf diesen Sitzungen ist von BASF bestätigt worden(vgl. vorstehend, Randnr. 677).

797.
    Zudem wird in den Planungsdokumenten unter den von ICI für die Teilnahme am„neuen Rahmen für die Sitzungen“ in Betracht gezogenen Mitgliedern die „neuefranzösische Gesellschaft“ aufgeführt, bei der es sich unstreitig um dasUnternehmen Chloé handelte, das später Atochem geworden ist.

798.
    Aus den bereits genannten Gründen (vgl. vorstehend, Randnr. 788) führt dasAlcudia-Dokument indirekt Atochem an.

799.
    Die Atochem-Tabelle, die den Absatz der einzelnen im ersten Halbjahr 1984 nochproduzierenden Unternehmen und die entsprechenden Ziele wiedergibt (vgl.vorstehend, Randnrn. 602 ff.), ist am Hauptsitz dieses Unternehmens entdecktworden. Selbst wenn die Behauptung der Klägerin, daß diese Tabelle nicht voneiner ihrer Abteilungen erstellt worden sei, zuträfe, bleibt die Tatsache bestehen,daß in ihr sowohl ein Absatzziel als auch Verkaufszahlen für dieses Unternehmenangegeben sind.

800.
    Das Argument von Atochem, daß „in der Entwicklung der Produktion sich dieangeblichen Quoten nicht widerspiegeln“ (Klageschrift, S. 12), gründet sich auf eineTabelle, die die Anlage 1 zu der Antwort der Klägerin auf die Mitteilung derBeschwerdepunkte war. Dazu genügt die Feststellung, daß diese Tabelle die Jahre1986 und 1987 betrifft, um die es in der vorliegenden Rechtssache nicht geht.

801.
    Schließlich betrifft eine der Absatzzahlen in den Solvay-Tabellen, die dieKommission überprüfen konnte, Atochem und ist zutreffend (vgl. vorstehend,Randnr. 628).

802.
    Wenn die Kommission auch keine Preislisten von Atochem erlangen konnte, diedie Feststellung erlaubt hätten, daß dieses Unternehmen die gemeinsamenPreisinitiativen durchgeführt hat, zeigen die Anlagen P1 bis P70 doch, daß diefranzösischen Hersteller sich von diesen Maßnahmen des Kartells nichtferngehalten haben. So wird, abgesehen von den Schriftstücken wie den AnlagenP1, P6, P15, P19, P22, P26, P29, P32, P45 und P48, in denen auf „allgemeineInitiativen“ zur Anhebung „sämtlicher europäischer Preise“ oder auch auf„Initiativen der Branche“ Bezug genommen wird, in einigen Anlagen speziell derfranzösische Markt aufgeführt, so daß der Schluß zulässig ist, daß diePreisinitiativen dort angekündigt und durchgeführt wurden. Dies ergibt sichnamentlich aus den Anlagen P21, P23, P24, P30, P31 und P38.

803.
    Zwar wird in zwei Schriftstücken das aggressive Preisverhalten französischerHersteller angeführt, doch kann dies die Schlußfolgerungen der Kommission nichterschüttern. Erstens hat diese dem nämlich bei der Sachverhaltsprüfung namentlichin Randnummer 22, dritter Absatz, der Entscheidung Rechnung getragen: „Es istauch zutreffend, daß eine Reihe der an den Sitzungen teilnehmenden Herstellervon anderen Herstellern auf einigen Märkten als .aggressiv' oder .zerstörerisch'bezeichnet wurden. Diese anderen Hersteller betrachteten sich selbst als starkeVerteidiger von Preisinitiativen und waren bereit, zur Durchsetzung einerPreiserhöhung Einbußen des Auftragsvolumens hinzunehmen.“ Die Kommissionhat auf diesen Umstand auch bei ihrer rechtlichen Würdigung namentlich inRandnummer 31, erster Absatz, der Entscheidung verwiesen: „Außerdem kann essein, daß ein bestimmter Hersteller oder eine Gruppe von Herstellern von Zeit zuZeit in bezug auf den einen oder anderen Aspekt der Vereinbarung Vorbehalteerhob oder in einem spezifischen Punkt unzufrieden war ...“ Das gelegentlichaggressive Verhalten einiger Hersteller trug zum Scheitern einiger Initiativen bei,wie sich aus den Randnummern 22, 37 und 38 der Entscheidung ergibt. Zweitensentkräftet der Umstand, daß die Klägerin gelegentlich eine Preisinitiative nichtdurchgeführt hat, nicht die Schlußfolgerung der Kommission; diese hat sich nämlichbei den Unternehmen, für die sie keine Preislisten erlangen konnte, auf dieFeststellung beschränkt, daß diese Unternehmen jedenfalls an denHerstellersitzungen teilgenommen haben, die in erster Linie der Festsetzung vonPreiszielen (vgl. vorstehend, Randnrn. 774 ff.) und nicht der tatsächlichenDurchführung dieser Initiativen dienten (Urteil Atochem/Kommission,Randnr. 100).

804.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin sich an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat.

c) BASF

Vorbringen der Klägerin

805.
    Nach Ansicht der Klägerin liegen keine hinreichenden Beweise dafür vor, daß siedem Kartell insgesamt beigetreten sei. Im vorliegenden Fall beschränkten sich dieseBeweise auf die Planungsdokumente, auf die Beteiligung an regelmäßigenSitzungen, auf die Atochem-Tabelle und die Tabellen von Solvay.

806.
    Erstens sei der Beweiswert der Planungsdokumente bereits bestritten worden. InErmangelung eines Beweises, daß die Klägerin diese Dokumente gekannt undgebilligt habe, könnten sie nicht als Beweis für ihre Beteiligung am Kartell dienen.

807.
    Zweitens rechtfertige keines der Beweismittel den Schluß, daß die Klägerin anwettbewerbswidrigen Absprachen während einer dieser Sitzungen beteiligt gewesensei, was sich jedenfalls nicht aus der bloßen Tatsache herleiten lasse, daß Sitzungenstattgefunden hätten. Jedenfalls habe die Klägerin in ihrer Antwort vom 8.Dezember 1987 auf ein Auskunftsverlangen bereits darauf hingewiesen, daß sienach Oktober 1983 an keiner Sitzung mehr teilgenommen habe, falls solcheZusammenkünfte überhaupt noch stattgefunden hätten.

808.
    Drittens genüge die bloße Erwähnung des Namens der Klägerin in der Atochem-Tabelle, die ohne ihr Wissen erfolgt sei, nicht als Beweis für ihre Beteiligung aneinem rechtswidrigen Kartell. Dieses Schriftstück belege weder, daß BASF eineeigene Quote zugeteilt worden sei, noch, daß sie einem Quotensystem beigetretensei. Die Tabellen von Solvay ließen nicht die Feststellung zu, daß die Klägerin aneinem Informationsaustausch mit ihren Konkurrenten beteiligt gewesen sei.

Würdigung durch das Gericht

809.
    Die Klägerin hat eingeräumt, an den informellen Herstellersitzungen teilgenommenzu haben, deren Rechtswidrigkeit nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag von derKommission nachgewiesen worden ist (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

810.
    Die Anwesenheit der Klägerin in den Sitzungen ist von ICI bestätigt worden (vgl.vorstehend, Randnr. 675).

811.
    Die Klägerin ist in den Planungsdokumenten als möglicher Teilnehmer an dem„neuen Rahmen für die Sitzungen“ genannt worden. Wenn diese Dokumente, wiebereits festgestellt, auch höchstens „einen Plan für ein Kartell“ (vgl. vorstehend,Randnrn. 670 bis 673) darstellen und daher nicht als Beweis für die Beteiligung derKlägerin an der beanstandeten Zuwiderhandlung betrachtet werden können, kann

die Erwähnung der Klägerin in diesen Schriftstücken doch als Indiz für dieseTeilnahme gewertet werden.

812.
    Aus den bereits genannten Gründen (vgl. vorstehend, Randnr. 788) führt dasAlcudia-Dokument indirekt BASF an.

813.
    BASF wird auch in der Atochem-Tabelle genannt, die, wenn auch zusammengefaßt,die Absatzdaten und die prozentualen Verkaufsziele der vier deutschen Herstellerenthält (vgl. vorstehend, Randnr. 612).

814.
    BASF wird auch in den Tabellen von Solvay genannt. Von den aufgeführtenVerkaufszahlen, die die Kommission überprüfen konnte, betreffen zwei dieKlägerin und sind zutreffend (vgl. vorstehend, Randnr. 627).

815.
    Auch wenn die Kommission keine Preislisten von BASF erlangen konnte, die dieFeststellung erlaubt hätten, daß dieses Unternehmen die gemeinsamenPreisinitiativen durchgeführt hat, zeigen die Anlagen P1 bis P70 doch, daß diedeutschen Hersteller diesen Maßnahmen des Kartells nicht ferngeblieben sind. Sowird, abgesehen von den Schriftstücken wie den Anlagen P1, P6, P15, P19, P22,P26, P29, P32, P45 und P48, in denen auf „allgemeine Initiativen“ zur Anhebung„sämtlicher europäischer Preise“ oder auch auf „Initiativen der Branche“ Bezuggenommen wird, in einigen Anlagen speziell der deutsche Markt aufgeführt, so daßder Schluß zulässig ist, daß die Preisinitiativen dort angekündigt und durchgeführtwurden. Dies ergibt sich namentlich aus den Anlagen P23, P24, P26, P29, P30, P41und P58.

816.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt war.

d) Shell

Vorbringen der Klägerin

817.
    Mit der ersten Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes wirft die Klägerin derKommission vor, die besondere Struktur der Shell-Gruppe außer Betracht gelassenzu haben. Zwar sei Shell Adressat der Entscheidung, doch sei sie weder Herstellernoch Lieferant von PVC. Sie sei nur eine Dienstleistungsgesellschaft, die in ihrerBeraterrolle nicht die Möglichkeit gehabt habe, die Produktionsgesellschaften vonShell zur Durchführung eines Preis- und Quotenkartells zu zwingen. Zudem sei dieKommission nicht zu der Annahme berechtigt gewesen, daß dieProduktionsgesellschaften der Gruppe, soweit sie von der Klägerin vielleicht denRat erhalten hätten, in einem bestimmten Fall einen besonderen Preis anzustreben,sich auch tatsächlich entsprechend verhalten hätten.

818.
    Mit der zweiten Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes macht die Klägerin geltend,daß der Nachweis ihrer Teilnahme an den Herstellersitzungen sich weitgehend auf

das Eingeständnis ihrer Vertreter gründe, an zwei Sitzungen teilgenommen zuhaben.

819.
    Ziel der ersten Sitzung in Paris am 2. März 1983 sei es lediglich gewesen, die Krisein der europäischen petrochemischen Industrie und die Notwendigkeit einerNeuordnung dieses Sektors zu erörtern, insbesondere unter Berücksichtigung desersten Entwurfs eines Berichts der Arbeitsgruppe Gatti/Grenier, der nach Sitzungenmit der Kommission erstellt worden sei. Eine gemeinsame Initiative könne aufdieser Sitzung nicht beschlossen worden sein, da die Fachpresse zwei Wochenvorher über die Preiserhöhung berichtet habe; so sei in der Ausgabe der EuropeanChemical News vom 21. Februar 1983 zu lesen gewesen: „Die Hersteller planenoffensichtlich eine Anhebung der Preise auf 1,50 bis 1,65 DM/kg, doch stehen dieTermine noch nicht fest.“ Jedenfalls habe der Vertreter von Shell keine derangeblichen Initiativen unterstützt, wie sich aus der Tatsache ergebe, daß wenigerals vier Wochen nach der Sitzung die Gesellschaften des Shell-Konzerns einenZielpreis von 1,35 DM/kg festgelegt hätten, der eindeutig unter dem angeblichenZielpreis von 1,60 DM/kg oder dem angeblichen Mindestpreis der Branche von1,50 DM/kg liege.

820.
    In der zweiten Sitzung in Zürich im August 1983 seien die Bedingungen desAbsatzes von PVC, die seinerzeitigen Marktpreise und die Notwendigkeit einerPreisanhebung für die Branche erörtert worden. Der Vertreter von Shell habekeine dieser Meinungen unterstützt. Es gebe kein internes Schriftstück derKlägerin, das als Beleg für irgendeinen Zielpreis in diesem Zeitraum dienen könne,und alle in den Unterlagen der Klägerin in diesem Zeitraum aufgeführtenBranchenpreise stammten offenkundig aus unabhängigen Wirtschaftsquellen.

821.
    Mit der dritten Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes macht die Klägerin geltend,daß die einzigen Beweismittel für das Quotensystem die Planungsdokumente von1980 und die Atochem-Tabelle seien; letztere beziehe sich eindeutig auf 1984. Lautder Entscheidung habe Shell an der Ausarbeitung des Planes 1980 nicht mitgewirkt,und ihre angebliche Teilnahme sei im Oktober 1983 beendet gewesen. Daß Shellan der Ausgleichsregelung nicht teilgenommen habe, werde in der Entscheidung(Randnr. 26, zweiter Absatz a. E.) ausdrücklich anerkannt.

822.
    Mit der vierten Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes trägt die Klägerin zu denRegelungen über die Überwachung der Verkäufe auf den inländischen Märktenvor, daß der Nachweis dieser Regelungen sich zum einen auf die Tabellen vonSolvay und zum anderen auf Telefongespräche zwischen Solvay und Shell gründe,die letztere in ihrer Antwort auf ein Auskunftsverlangen eingeräumt habe.

823.
    Die Tabellen von Solvay beträfen folgende großen nationalen Märkte: Deutschland,Italien, Benelux und Frankreich. Im vorliegenden Fall könnten nur die beidenletztgenannten Märkte von Bedeutung sein, da Shell in Deutschland und in Italiennicht als inländischer Hersteller vertreten sei. In bezug auf Benelux räume die

Kommission jedoch selbst ein, daß die angegebenen Zahlen nicht den individuellenFides-Meldungen entsprächen. In bezug auf Frankreich unterschieden sich dieZahlen, die Shell in den Solvay-Tabellen zugeordnet seien, entgegen derBehauptung der Kommission klar von denen in den Meldungen von Shell an Fides.

824.
    Im übrigen habe die Kommission die Antwort von Shell auf das Auskunftsverlangenentstellt. Zum einen seien Solvay keine genauen Informationen mitgeteilt worden;diese Mitteilungen hätten nur die Verkäufe in Westeuropa betroffen und könntensomit nicht die Quelle für die Tabellen von Solvay sein, die eine Aufteilung nachLändern enthielten. Zum anderen seien diese Informationen nur gelegentlichzwischen Januar 1982 und Oktober 1983 übermittelt worden, während die Tabellenvon Solvay die Zahlen für den Zeitraum von 1980 bis 1984 enthielten. Diesbestätige, daß diese Tabellen nur aufgrund der veröffentlichten offiziellenStatistiken und aufgrund von Kontakten mit Kunden erstellt worden seien.

825.
    Mit der fünften Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes macht die Klägerin zu denPreisinitiativen geltend, daß die Entscheidung widersprüchliche Aussagen zumUmfang der Beteiligung von Shell enthalte. Dort werde nämlich gleichzeitigbehauptet, daß Shell an diesen Preisinitiativen teilgenommen habe (Randnr. 20),daß sie über diese unterrichtet gewesen sei (Randnr. 26) und daß sie lediglichKenntnis davon gehabt habe (Randnr. 48).

826.
    Abgesehen von zwei Einzelfällen habe die Klägerin an den Herstellersitzungennicht teilgenommen.

827.
    Die Gesellschaften der Shell-Gruppe hätten ihre Preise unabhängig festgesetzt. Wasdie vier Initiativen angehe, für die die Kommission Unterlagen besitze, die vonShell stammten, so seien die Initiativen der Branche stets vorher in der Fachpresseangekündigt worden. Zudem hätten die von Shell festgesetzten Zielpreise nicht denangeblichen Zielpreisen der Branche entsprochen. Nur einmal, am 1. September1982, hätten die Zahlen übereingestimmt; in diesem Fall habe Shell jedoch ihrenZielpreis erst am 9. September 1982 festgesetzt, und dieser Zielpreis habe erst am1. Oktober 1982 wirksam werden sollen; schon im November 1982 habe Shell ihrenZielpreis wieder gesenkt (1,40 DM/kg statt 1,50 DM/kg).

828.
    Mit der sechsten Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes macht die Klägeringeltend, daß eine abgestimmte Verhaltensweise mit der Strategie von Shellunvereinbar gewesen wäre, da das Unternehmen 1981 eine neue PVC-Fabrik inBetrieb genommen habe, deren sofortige Kapazität von 100 kt je Jahr habe vollausgenutzt werden müssen. Die beiden PVC-Fabriken von Shell seien stärkerausgelastet gewesen als der Durchschnitt der Branche, und die Marktanteile vonShell seien daher stark gewachsen. Unter diesen Bedingungen hätte die Annahmeeiner Quote, der die 1979 erreichte Stellung zugrunde gelegen hätte, keinen Sinngehabt. Tatsächlich hätte kein Jahr als akzeptabler Bezugspunkt dienen können, daShell eine neue Fabrik in Betrieb genommen habe.

Würdigung durch das Gericht

829.
    Mit der ersten Rüge im Rahmen dieses Klagegrundes macht die Klägerin geltend,daß sie wegen der Besonderheiten der Royal-Dutch-Shell-Gruppe denProduktionsgesellschaften dieser Gruppe kein bestimmtes Verhalten, auch keinwettbewerbswidriges, habe vorschreiben können.

830.
    Die Kommission hat in Randnummer 46 der Entscheidung bei der Untersuchungder Besonderheiten der Royal-Dutch-Shell-Gruppe durchaus zur Kenntnisgenommen, daß „die einzelnen Produktions- und Absatzunternehmen auf demChemiesektor in Fragen des Managements allem Anschein nach autonom sind“und daß die Klägerin „eine .Dienstleistungs'-Gesellschaft“ ist.

831.
    Sie hat jedoch darauf hingewiesen, daß die Klägerin unstreitig „für dieKoordinierung und strategische Planung im Thermoplast-Sektor des ... Konzernszuständig ist“. Somit kommt der Klägerin die Aufgabe der Beratung derProduktionsgesellschaften der Gruppe zu.

832.
    Weiter hat die Kommission in Randnummer 46 der Entscheidung ausgeführt, daßdie Klägerin „mit dem Kartell in Verbindung stand“ und „an den Sitzungen imJahre 1983 teilnahm“. Mehrere Anlagen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte überdie Preisinitiativen stammen von der Klägerin (Anlagen P35, P36, P49, P50, P51,P53, P54, P55 und P59). Vor allem diese Anlagen sind der Beweis für zwischen denHerstellern abgestimmte Initiativen (vgl. vorstehend, Randnrn. 637 ff.) und zeigen,daß die Klägerin zumindest über die festgesetzten Zielpreise und die dafürvorgesehenen Termine genau unterrichtet war. Zudem wurde Shell auf den beidenSitzungen, an denen die Klägerin 1983 nach ihrem eigenen Eingeständnisteilgenommen hat, von ihrem damaligen stellvertretenden Generaldirektor Lanevertreten.

833.
    Nach Ansicht der Kommission läßt sich die „Definition des Gerichtshofes einer.aufeinander abgestimmten Verhaltensweise' ... besonders gut auf die Beteiligungdes Unternehmens Shell anwenden, das mit dem Kartell zusammengearbeitet hat,ohne Vollmitglied zu sein, und so in der Lage war, sein eigenes Marktverhaltenaufgrund seiner Kontakte zum Kartell entsprechend anzupassen“ (Entscheidung,Randnr. 34). Auch wenn die Klägerin ihren Verkaufsgesellschaften keine Preisevorschreiben konnte, stand sie aufgrund ihrer Verbindung zu dem Kartell unddurch die Übermittlung der auf diese Weise erlangten Informationen an ihreTochtergesellschaften als treibende Kraft hinter der Beteiligung der Shell-Gruppean der abgestimmten Verhaltensweise. Die genannten Anlagen zur Mitteilung derBeschwerdepunkte, die von der Klägerin stammen und in denen sowohl dieZielpreise als auch der Zeitpunkt ihrer Durchführung aufgeführt sind, waren ihremWortlaut nach an sämtliche Tochtergesellschaften der Gruppe in Europa gerichtet.

834.
    Somit steht die geltend gemachte besondere Struktur der Royal-Dutch-Shell-Gruppe als solche nicht der Feststellung entgegen, daß es der Klägerin möglichwar, sich an einer Verhaltensweise zu beteiligen, die gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstieß, und daß sie damit erst recht Adressat der Entscheidung seinkonnte.

835.
    Was die Beteiligung der Klägerin an dem Kartell betrifft, so hat die Kommissionnamentlich in den Randnummern 48 und 53 der Entscheidung die geringereBedeutung der Rolle der Klägerin bei der beanstandeten Zuwiderhandlungeingeräumt. Somit ist zu prüfen, ob die Kommission hinreichend Beweise für dieFeststellung erbracht hat, daß die Klägerin „nur am Rande beteiligt war“ (Randnr.53 der Entscheidung).

836.
    ICI und BASF haben die Klägerin als Teilnehmer an den informellenHerstellersitzungen genannt (vgl. vorstehend, Randnrn. 675 und 677). Shell räumtein, an zwei Sitzungen teilgenommen zu haben, für die die Kommission den Beweisin Form von Angaben in einem Kalender gefunden hat (vorstehend, Randnr. 676).Allerdings bestreitet Shell, daß diese Sitzungen einen wettbewerbswidrigen Zweckgehabt hätten oder daß sie an irgendeiner Absprache bei dieser Gelegenheitbeteiligt gewesen sei.

837.
    Bezüglich der ersten Sitzung in Paris am 2. März 1983 hat das Gericht festgestellt,daß die Kommission deren wettbewerbswidrigen Zweck nachgewiesen hat (vgl.vorstehend, Randnrn. 650 und 652).

838.
    Daran ändert auch der von der Klägerin angeführte Presseartikel in der ZeitschriftEuropean Chemical News vom 21. Februar 1983 nichts. Der von der Klägerinzitierte Artikel ist nämlich insoweit unklar, als er nicht den Schluß auf individuelleInitiativen zuläßt. Außerdem ist der Zeitpunkt der Initiativen in dem Artikel nurvage angegeben; dagegen enthalten die einige Tage später nach der Sitzung vom2. März 1983 verfaßten Schriftstücke, die die Kommission in den Geschäftsräumender Unternehmen, namentlich bei Shell gefunden hat, den genauen Zeitpunkt derInitiativen.

839.
    Schließlich behauptet Shell, jedenfalls keine Preisinitiative unterstützt zu haben. Sieführt dazu aus, daß sie am 31. März 1983 ihren Zielpreis auf 1,35 DM/kgfestgesetzt habe, d. h. unterhalb des von den Herstellern einvernehmlichfestgesetzten Niveaus. Es bleibt aber die Tatsache bestehen, daß Shell über denvon den Herstellern am 2. März 1983 beschlossenen Preis und über den Zeitpunktder Durchführung dieser Initiative unterrichtet war, wie sich aus der Anlage P49vom 13. März 1983 ergibt. Angesichts der Ungewißheit über das Verhalten ihrerKonkurrenten konnte die Klägerin ihre Preispolitik keineswegs selbständigbestimmen, sondern mußte daher aufgrund ihrer Teilnahme an der Sitzung vom 2.März 1983 zwangsläufig die dort erlangten Informationen unmittelbar odermittelbar berücksichtigen.

840.
    Bezüglich der zweiten Sitzung in Zürich im August 1983 hat die Klägerin in ihrerAntwort auf ein Auskunftsverlangen der Kommission eingeräumt, daß dort „einigeHersteller sich zu einer Preisinitiative geäußert haben“. Wie mehrere Anlagen zurMitteilung der Beschwerdepunkte, etwa die Anlagen P53, P54, P55, P56, P57, P58und P60 belegen, wurde eine Initiative tatsächlich für September 1983 vorgesehenund auch durchgeführt. Den Anlagen P53, P54 und P55, die von der Klägerinstammen, läßt sich entnehmen, daß diese entgegen ihrer Behauptung an diesenInitiativen teilgenommen hat. Sie hatte von der Initiative Kenntnis, bevor diese inder Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde. Die Fachpresse, auf die sich die Klägerinin ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte beruft, berichtete erstEnde September hierüber.

841.
    Das Alcudia-Dokument über die Ausgleichsregelung hat im Hinblick auf dieKlägerin keinen Beweiswert, da Shell nach der Antwort von ICI auf einAuskunftsverlangen der einzige Hersteller war, der daran nicht teilnahm (vgl.vorstehend, Randnr. 788). Wie sich namentlich aus Randnummer 48 derEntscheidung ergibt, hat dies die Kommission in ihrer Ansicht bestärkt, daß dieKlägerin nur am Rande am Kartell beteiligt war.

842.
    Die Atochem-Tabelle betrifft das erste Quartal 1984 und stammt möglicherweisevom Mai 1984 (vgl. vorstehend, Randnr. 606); Shell zog sich dagegen nachRandnummer 54, dritter Absatz, der Entscheidung im Oktober 1983 vom Kartellzurück. Tatsächlich enthält die Atochem-Tabelle nur abgerundete Zahlen über denAbsatz von Shell. Da diese Tabelle jedoch ein prozentuales Ziel für die Klägerinangibt, das nicht vor dem ersten Quartal 1984 beschlossen worden sein konnte,spricht dies dafür, daß Shell sich Ende 1983 von der Quotenregelung nichtferngehalten hatte.

843.
    Was die Regelung der Überwachung der Verkäufe (vgl. vorstehend, Randnrn. 618bis 636) betrifft, so sind nur zwei der in den Tabellen von Solvay aufgeführtengeographischen Märkte im Hinblick auf Shell von Bedeutung, nämlich der Benelux-Markt und Frankreich.

844.
    Die Kommission hat in Beantwortung einer Frage des Gerichts bestätigt, daß derVorwurf der Überwachung der Verkäufe nicht den Benelux-Markt betreffe, wiesich bereits aus der Mitteilung der Beschwerdepunkte ergebe.

845.
    Dagegen ist die Genauigkeit der Zahlen zu beachten, die den Absatz von Shell für1982 und für 1983 auf dem französischen Markt betreffen (vgl. vorstehend, Randnr.628). Diese Genauigkeit bestätigt, daß Shell zumindest bezüglich des französischenMarktes an dem Informationsaustausch teilgenommen hat. Die Klägerin hat inihrer Antwort auf ein Auskunftsverlangen vom 3. Dezember 1987 erklärt, daß„Solvay sie zwischen Januar 1982 und Oktober 1983 gelegentlich anrief, um eineBestätigung ihrer Schätzungen von Shells Verkaufstonnagen zu erhalten“. DieKlägerin verweist darauf, daß sie auch erklärt habe, „keine genauen Angaben

gemacht zu haben“. Die Genauigkeit der Absatzzahlen für den französischen Marktwiderlegt jedoch diese Behauptung.

846.
    Zu dem angeblichen Widerspruch in der Entscheidung über den Umfang derBeteiligung von Shell an den Preisinitiativen ist festzustellen, daß Randnummer 20der Entscheidung nur den Nachweis des gemeinsamen Vorgehens bei denPreisinitiativen betrifft. In Randnummer 26 der Entscheidung wird daraufhingewiesen, daß die Klägerin von diesen Initiativen gewußt habe, und inRandnummer 48 heißt es, daß sie von den Initiativen gewußt und sie unterstützthabe. Randnummer 48 ergänzt also die Randnummer 26 und steht somit nicht imWiderspruch zu dieser.

847.
    Wie bereits festgestellt, beweisen die von der Kommission vorgelegtenSchriftstücke, daß die Klägerin an den Preisinitiativen beteiligt war, die auf denHerstellersitzungen vom 2. März 1983 und 11. August 1983 beschlossen wurden(vgl. vorstehend, Randnrn. 836 bis 840). Ebenso zeigt die Anlage P59, einSchriftstück der Klägerin vom 28. Oktober 1983, daß diese über die für den 1.November 1983 beschlossene Initiative zur Anhebung der PVC-Preise auf 1,90DM/kg vollständig unterrichtet war. Was die für September 1982 vorgeseheneInitiative betrifft, so hatte die Zeitschrift European Chemical News zwar schon imJuli 1982 die Preisinitiative sowie Höhe und Zeitpunkt angekündigt. Dieser Artikelstützt jedoch nicht die Behauptung, daß es sich um individuelle Initiativengehandelt habe. So heißt es dort u. a.: „Die [PVC-]Hersteller diskutieren einePreiserhöhung im September und Oktober (die Spalte .Herstellerpreis' in dernachstehenden Tabelle gibt die vorgesehenen Zielpreise wieder).“ Tatsächlichsprechen, wie bereits festgestellt (vorstehend, Randnr. 649), die von derKommission vorgelegten Schriftstücke dafür, daß diese Initiative auf einerAbstimmung der Hersteller dieser Branche beruhte. Die Tatsache, daß Shell erstAnfang September beschloß, den vereinbarten Zielpreis anzunehmen und imOktober 1982 anzuwenden, ist unter diesen Umständen nicht von Bedeutung. DieAnlage P34 und P39, die von ICI bzw. DSM stammen, zeigen, daß „diePreisinitiative im Oktober fortgesetzt worden ist“.

848.
    Nach alledem ist festzustellen, daß die Klägerin sich von den Regelungen, die diePVC-Hersteller abgesprochen haben, nicht ferngehalten hat. Die Kommission hatdie Beteiligung der Klägerin an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung zutreffendfestgestellt.

849.
    Somit kann das Argument der Klägerin, das sich auf ihre Verkaufsstrategie zuBeginn der achtziger Jahre bezieht, nicht überzeugen. Tatsächlich konnte dieKlägerin durch ihre Teilnahme an der beanstandeten Zuwiderhandlung ihrGeschäftsverhalten aufgrund ihrer Kenntnis der Haltung der anderen Herstellerentsprechend anpassen.

e) LVM

Vorbringen der Klägerin

850.
    Erstens bestreitet die Klägerin, an den Herstellersitzungen teilgenommen zu haben,auf denen die Marktpreise und -anteile erörtert worden seien. Die Beweismittel derKommission seien offenkundig unzureichend. So seien zunächst diePlanungsdokumente etwa 30 Monate vor der Gründung von LVM erstellt worden.Die Erwähnung des Namens von DSM und von SAV, der Muttergesellschaften derKlägerin, sage nicht das geringste über LVM aus. Die Erklärungen von ICI undBASF, in denen LVM als Teilnehmer an den Herstellersitzungen genannt werde,seien unter Vorbehalt abgegeben worden. Es treffe nicht zu, daß die Klägerin inihrem Schreiben vom 28. Januar 1988 eine Antwort auf das Auskunftsverlangenvom 23. Dezember 1987 gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 abgelehnt habe;jedenfalls sei dies kein Beweis für ihre Teilnahme an den Sitzungen.

851.
    Was zweitens das angebliche Quotensystem betreffe, so sei das einzige Schriftstück,das die Kommission gegen sie angeführt habe, die Atochem-Tabelle, nichtbeweiskräftig. Die Tabelle enthalte nämlich Verkaufszahlen, die erheblich von dentatsächlichen Verkäufen abwichen.

852.
    Drittens wären die Solvay-Tabellen nur dann ein Beweis für die Überwachung derVerkäufe, wenn sie zutreffend wären, was aber nicht der Fall sei.

853.
    Schließlich verweist die Klägerin bezüglich der Zielpreise und Preisinitiativendarauf, daß schon das Bestehen abgestimmter Preisinitiativen nicht bewiesen sei.In Wirklichkeit habe sie sich nur vernünftig den Marktbedingungen angepaßt (vgl.Anlagen P13, P21 und P29 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte).

Würdigung durch das Gericht

854.
    LVM ist erst Anfang 1983 gegründet worden. Daher ist die Tatsache, daß derName der Klägerin in den früheren Schriftstücken, die die Kommission zurStützung ihrer Schlußfolgerungen vorgelegt hat, z. B. in den Planungsdokumenten,nicht erwähnt ist, ohne Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob diesesUnternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war. Die Klägerin kann sich zurRechtfertigung ihrer Behauptungen nicht mit Erfolg auf die Anlagen P13, P21 undP29 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte berufen, die sich auf Ereignissebeziehen, die vor der Gründung von LVM liegen und DSM betreffen.

855.
    LVM ist von ICI als Teilnehmer an den informellen Herstellersitzungen genanntworden (vgl. vorstehend, Randnr. 675). Die Kommission hat nachgewiesen, daßdiese Sitzungen einen Zweck verfolgten, der gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertragverstieß (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

856.
    Die Anwesenheit der Klägerin bei diesen Sitzungen ist von BASF bestätigt worden(vgl. vorstehend, Randnr. 677).

857.
    Einige Schriftstücke, die von der Kommission zu Recht als Nachweis fürgemeinsame Preisinitiativen herangezogen worden sind, z. B. die Anlagen P57, P58und P64, stammen von diesem Unternehmen.

858.
    Die Atochem-Tabelle enthält den Namen der Klägerin und die ihr zugeteiltenprozentualen Verkaufsziele; die dort angegebenen Verkaufszahlen kommen dentatsächlichen Verkaufszahlen dieses Unternehmens sehr nahe (vgl. vorstehend,Randnr. 608).

859.
    Die Tabellen von Solvay verweisen ausdrücklich auf LVM. Von den dort genanntenZahlen, die die Kommission überprüfen konnte, betreffen zwei die Klägerin undentsprechen abgerundet in Kilotonnen den tatsächlichen Verkaufszahlen (vgl.vorstehend, Randnrn. 625 und 628).

860.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin sich an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat.

f) Wacker

Vorbringen der Klägerin

861.
    Nach Ansicht der Klägerin läßt sich den Planungsdokumenten nicht entnehmen,daß sie an Diskussionen, Verhandlungen oder Sitzungen teilgenommen habe, aufdie sich die Vorwürfe der Kommission bezögen. Die Auskünfte von ICI und BASF,in denen sie als Teilnehmer an den Herstellersitzungen genannt werde, seien wedergenau noch glaubwürdig.

862.
    Die Klägerin sei weder an einer Quotenregelung noch an einer Ausgleichsregelung,noch an einem Preiskartell beteiligt gewesen. Es gebe keine Unterlagen, die dieentsprechenden Behauptungen der Kommission bestätigten.

Würdigung durch das Gericht

863.
    Wacker ist von ICI als Teilnehmer an den informellen Herstellersitzungen genanntworden (vgl. vorstehend, Randnr. 675). Die Kommission hat nachgewiesen, daßdiese Sitzungen einen Zweck verfolgten, der gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertragverstieß (vgl. vorstehend, Randnummern 679 bis 686).

864.
    Die Anwesenheit der Klägerin bei diesen informellen Sitzungen ist von BASFbestätigt worden (vgl. vorstehend, Randnr. 677).

865.
    Wacker wird in den Planungsdokumenten als möglicher Teilnehmer an dem „neuenRahmen für die Sitzungen“ mit dem Anfangsbuchstaben „W“ genannt. Imentscheidungserheblichen Zeitraum begann nur die Firma Wacker mit diesemAnfangsbuchstaben.

866.
    Mehrere Schriftstücke, die die Kommission zu Recht für den Nachweisgemeinsamer Preisinitiativen herangezogen hat (vgl. vorstehend, Randnrn. 637 bis661), z. B. die Anlagen P2, P3, P8, P15, P25, P31, P32, P33, P47, P62 und P65,stammen von diesem Unternehmen. In diesen Unterlagen wird ausführlich aufPreisinitiativen, Beschlüsse über Preisanhebungen und intensive Bemühungen derBranche zur Konsolidierung der Preise Bezug genommen.

867.
    Aus den gleichen Gründen, wie sie bereits dargelegt worden sind (vgl. vorstehend,Randnr. 788), führt das Alcudia-Dokument indirekt Wacker an.

868.
    Die Klägerin wird in der Atochem-Tabelle genannt, die, wenn auchzusammengefaßt, die Absatzdaten und die prozentualen Verkaufsziele der vierdeutschen Hersteller enthält (vgl. vorstehend, Randnr. 612).

869.
    Die Tabellen von Solvay enthalten die Verkaufszahlen der Klägerin, die nichtbestritten worden sind.

870.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin sich an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat.

g) Hoechst

Vorbringen der Klägerin

871.
    Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich aus den Planungsdokumenten nicht, daß siean den Diskussionen, Verhandlungen oder Sitzungen teilgenommen habe, auf diesich die Vorwürfe der Kommission bezögen. Die Auskünfte von ICI und BASF, diedie Klägerin als Teilnehmer an den Herstellersitzungen genannt hätten, seien wedergenau noch glaubwürdig.

872.
    Die Klägerin sei weder an einem Quotensystem noch an einer Ausgleichsregelungnoch an einem Preiskartell beteiligt gewesen. Es gebe keine Unterlagen, die dieentsprechenden Behauptungen der Kommission bestätigten.

Würdigung durch das Gericht

873.
    Hoechst ist von ICI als Teilnehmer an den informellen Herstellersitzungen genanntworden (vgl. vorstehend, Randnr. 675). Die Kommission hat nachgewiesen, daßdiese Sitzungen einen Zweck verfolgten, der gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertragverstieß (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

874.
    Die Anwesenheit der Klägerin bei diesen informellen Sitzungen ist von BASFbestätigt worden (vgl. vorstehend, Randnr. 677).

875.
    Aus den bereits genannten Gründen (vgl. vorstehend, Randnr. 788) führt dasAlcudia-Dokument indirekt Hoechst an.

876.
    Die Klägerin wird in der Atochem-Tabelle genannt, die, wenn auchzusammengefaßt, die Absatzdaten und die prozentualen Verkaufsziele der vierdeutschen Hersteller enthält (vgl. vorstehend, Randnr. 612).

877.
    Die Solvay-Tabellen enthalten die Verkaufszahlen der Klägerin, die nicht bestrittenworden sind.

878.
    Wenn die Kommission auch keine Preislisten von Hoechst hat erhalten können, diedie Feststellung erlaubt hätten, daß dieses Unternehmen die gemeinsamenPreisinitiativen durchgeführt hat, zeigen die Anlagen P1 bis P70 doch, daß diedeutschen Hersteller sich von diesen Maßnahmen des Kartells nicht ferngehaltenhaben. So wird, abgesehen von den Schriftstücken, wie den Anlagen P1, P6, P15,P19, P22, P26, P29, P32, P45 und P48, in denen auf „allgemeine Initiativen“ zurAnhebung „sämtlicher europäischer Preise“ oder auf „Initiativen der Branche“Bezug genommen wird, in einigen Anlagen speziell der deutsche Markt aufgeführt,so daß der Schluß zulässig ist, daß die Preisinitiativen dort angekündigt unddurchgeführt wurden. Dies ergibt sich namentlich aus den Anlagen P23, P24, P26,P29, P30, P41 und P58.

879.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin sich an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat.

h) SAV

Vorbringen der Klägerin

880.
    Die Klägerin bestreitet, daß es Beweise für ihre Beteiligung an dem angeblichenKartell gebe. Die drei Schriftstücke, die die Kommission gegen sie herangezogenhabe, seien nicht beweiskräftig.

881.
    Die „checklist“, eines der Planungsdokumente, sei nur ein internes Schriftstück vonICI. Es handele sich nur um einen einseitigen Vorschlag dieses Unternehmens. DieKlägerin werde dort nur als PVC-Hersteller oder Unternehmen, dessen Teilnahmean der in diesem Dokument genannten Gruppe von Unternehmen von ICI fürmöglich gehalten worden sei, nicht aber als Teilnehmerin an dem Kartell genannt.Es gebe keinen Beweis dafür, daß dieser Vorschlag an andere Hersteller gerichtetoder von diesen angenommen worden sei. Die „response to proposals“ könne keineAntwort auf die „checklist“ sein, da sie vor dieser erstellt worden sei. Jedenfallsbeweise die „response to proposals“ nicht, daß SAV sich daran beteiligt habe, daihr Name dort nicht genannt werde.

882.
    In der Antwort von ICI vom 5. Juni 1984 auf das Auskunftsverlangen derKommission vom 30. April 1984 werde nur für das Jahr 1983 genau angegeben,

wann und wo die Sitzungen stattgefunden hätten; SAV habe aber jede unmittelbareProduktions- und Vertriebstätigkeit auf dem PVC-Markt zum 1. Januar 1983eingestellt. Zudem sei diese Antwort unbestimmt formuliert und unter Vorbehaltabgegeben worden. Die Klägerin habe dagegen stets bestritten, an Sitzungenteilgenommen zu haben, und sei von BASF nicht als Teilnehmer an den Sitzungengenannt worden (Entscheidung, Randnr. 26, Fußnote 10). Unterstellt, daß SAV aneinigen Sitzungen teilgenommen hätte, sei jedenfalls nicht bewiesen, daß dort überPreise oder Mengen diskutiert worden sei. Die Kommission habe im übrigen dieAusführungen von ICI entstellt, die stets erklärt habe, daß die Sitzungen keinenwettbewerbswidrigen Zweck verfolgt hätten.

883.
    Was die Solvay-Tabellen betreffe, so seien die der Klägerin für den französischenMarkt zugewiesenen Verkaufszahlen keineswegs genau, wie die Kommissionbehaupte, sondern wichen um 8 % bis 25 % von den tatsächlichen Verkäufen derKlägerin ab. Somit sei nicht bewiesen, daß die Klägerin an einemInformationsaustausch, der eine eigene Zuwiderhandlung darstelle, oder an einerAbsprache beteiligt gewesen sei, die sich auf den Informationsaustausch gestützthabe.

884.
    Eine Teilnahme der Klägerin an dem angeblichen Kartell wäre jedenfalls nichteinleuchtend. Seit 1977 als Neuling auf dem PVC-Markt habe sie unter denungünstigen Bedingungen eines durch Überkapazität gekennzeichneten Markteseine aggressive Politik geführt, die durch eine Erhöhung der verkauften Mengenund ihrer Marktanteile zum Ausdruck gekommen sei. Tatsächlich habe die Klägerinkein Interesse an einer Teilnahme an einem Kartell wie dem von der Kommissionbehaupteten gehabt. Die Kommission könne sich im übrigen nicht hinter derBehauptung verschanzen, daß die Herstellersitzungen jedenfalls einenwettbewerbswidrigen Zweck verfolgten, da gerade kein oder kein ausreichenderBeweis für die Teilnahme von SAV an diesen Sitzungen vorliege.

Würdigung durch das Gericht

885.
    Die Klägerin ist von ICI als Teilnehmer an den informellen Herstellersitzungengenannt worden (vgl. vorstehend, Randnr. 675). Die Kommission hat nachgewiesen,daß diese Sitzungen einen Zweck verfolgten, der gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstieß (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686). Zwar hat ICI nur für dasJahr 1983 genau angegeben, wann und wo die Sitzungen stattgefunden haben, dochhat sie auch erklärt, daß informelle Sitzungen „vom August 1980 an“ ungefährmonatlich stattgefunden haben (vgl. vorstehend, Randnr. 675). Die Kommissionsieht daher zu Recht in der Antwort von ICI einen Beleg für die Teilnahme derKlägerin an der Zuwiderhandlung.

886.
    Die Klägerin erscheint in den Planungsdokumenten als möglicher Teilnehmer andem geplanten „neuen Rahmen für die Sitzungen“. Wie sich aus der Entscheidungergibt, sind die Planungsdokumente nur ein „Plan für ein Kartell“ und können

daher nicht als Beweis für die Teilnahme der Klägerin an der beanstandetenZuwiderhandlung angesehen werden. Die Tatsache, daß die Klägerin dort genanntwird, stellt jedoch angesichts der engen Korrelation zwischen den dortbeschriebenen Verhaltensweisen und den in den folgenden Wochen auf dem Marktfestgestellten Verhaltensweisen (vgl. vorstehend, Randnrn. 662 bis 673) ein Indizfür die Teilnahme dar.

887.
    Aus den vorstehend dargelegten Gründen (vgl. vorstehend, Randnr. 788) führt dasAlcudia-Dokument, das zusammen mit anderen Unterlagen Regelungen über denAusgleich zwischen den PVC-Herstellern belegt, indirekt die Klägerin an.

888.
    Was die Solvay-Tabellen angeht, so hat SAV eine Tabelle vorgelegt, bei der es sichum einen Auszug aus ihrer Buchführung handelt und die belegen soll, daß die fürdie Klägerin genannten Verkaufszahlen, d. h. die für den französischen Marktzwischen 1980 und 1982, erheblich und zwar in einer Größenordnung von 8 % bis25 % von den tatsächlichen Verkaufszahlen abweichen. Zwar läßt sich nichtfeststellen, ob die von SAV vorgelegten Zahlen, die aus ihrer Buchführungstammen, in der gleichen Weise wie die in den Solvay-Tabellen berechnet sind. Dadie Kommission die Zahlen jedoch nicht ernsthaft bestritten hat, können dieSolvay-Tabellen nicht als Beweis gegenüber der Klägerin angesehen werden.

889.
    Wenn die Kommission auch keine Preislisten von SAV hat erlangen können, diedie Feststellung erlaubt hätten, daß dieses Unternehmen die gemeinsamenPreisinitiativen durchgeführt hat, zeigen die Anlagen P1 bis P70 doch, daß diefranzösischen Hersteller diesen Maßnahmen des Kartells nicht ferngeblieben sind.So wird, abgesehen von den Dokumenten, wie den Anlagen P1, P6, P15, P19, P22,P26, P29, P32, P45 und P48, in denen auf „allgemeine Initiativen“ zur Anhebung„sämtlicher europäischer Preise“ oder auch auf „Initiativen der Branche“ Bezuggenommen wird, in einigen Anlagen speziell der französische Markt aufgeführt, sodaß der Schluß zulässig ist, daß die Preisinitiativen dort angekündigt unddurchgeführt wurden. Dies ergibt sich namentlich aus den Anlagen P21, P23, P24,P30, P31 und P38.

890.
    Zwar ist in zwei Schriftstücken von dem aggressiven Preisverhalten französischerHersteller die Rede, doch kann dies die Feststellung der Kommission nichtentkräften. Erstens hat die Kommission dem nämlich bei ihrer Prüfung desSachverhalts und ihrer rechtlichen Würdigung Rechnung getragen (vgl. vorstehend,Randnr. 801). Zweitens entkräftet die Tatsache, daß die Klägerin gelegentlich einePreisinitiative nicht durchgeführt hat, nicht die Schlußfolgerung der Kommission;diese hat sich nämlich bei den Unternehmen, für die sie keine Preislisten erlangenkonnte, auf die Feststellung beschränkt, daß diese Unternehmen jedenfalls an denHerstellersitzungen teilgenommen haben, die in erster Linie der Festsetzung vonPreiszielen (vgl. vorstehend, Randnrn. 774 ff.) und nicht der tatsächlichenDurchführung dieser Initiativen dienten (Urteil Atochem/Kommission,Randnr. 100).

891.
    Aufgrund all dessen ist festzustellen, daß die von der Kommission vorgelegtenUnterlagen hinreichend beweisen, daß sich die Klägerin entgegen ihrenBehauptungen an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat. DasGericht wird jedoch zu prüfen haben, ob die vorstehenden Ausführungeninsbesondere zu den Solvay-Tabellen die Feststellungen der Kommission zur Dauerder Beteiligung der Klägerin an der Zuwiderhandlung berühren.

i) Montedison

Vorbringen der Klägerin

892.
    Die Klägerin verweist zunächst darauf, daß sie weder in den Planungsdokumentennoch in der Atochem-Tabelle genannt sei.

893.
    Zudem seien die gegen sie verwendeten Beweismittel nicht beweiskräftig.

894.
    Erstens beweise die Tatsache, daß sie von ICI und BASF als Teilnehmer zumindestan einigen Sitzungen genannt worden sei, nichts, was vorwerfbar wäre. Zudem seinur Montedison und nicht Montedipe von ICI und BASF aufgeführt worden, daMontedison ihre PVC-Produktion zum 1. Januar 1981 eingestellt habe; diesbedeute, daß ihre Teilnahme vor diesem Zeitpunkt beendet gewesen sei.

895.
    Was zweitens den Austausch von im übrigen allgemein zugänglichen Informationenüber den italienischen Markt angehe, so habe die Kommission nicht dieAnmerkungen am Ende der Seite des von ihr herangezogenen Schriftstückswiedergegeben, wo ausdrücklich der lebhafte Wettbewerb auf dem Markt erwähntwerde.

896.
    Drittens beweise das Alcudia-Dokument nicht die Teilnahme an einerAusgleichsregelung. Die Klägerin bestreitet, daß eine solche Regelung jemalsangewandt worden sei; kein italienisches Unternehmen sei einer solchen Regelungeinzeln beigetreten, wie die Tatsache belege, daß das streitige Schriftstück dieitalienischen Hersteller nur allgemein erwähne. Selbst wenn eine solche Regelungtatsächlich angewandt worden wäre, hätte es sich nur um eine dieser aufgrundzweiseitiger Vereinbarungen getroffenen Rationalisierungsmaßnahmen gehandelt,die die Kommission selbst anstelle des Krisenkartells empfohlen habe.

897.
    Viertens betreffe keine der von der Kommission festgestellten PreisinitiativenMontedipe, die damalige Eigentümerin des Unternehmens. Jedenfalls hätten diebegangenen Zuwiderhandlungen nur darin bestanden, einen Idealpreis zu finden,der die Verluste der Hersteller habe verringern sollen. Tatsächlich sei der vonMontedipe tatsächlich verlangte Preis stets eindeutig niedriger als der Zielpreisgewesen und sei auch stets vom Marktpreis abgewichen, was offenkundig belege,daß die Klägerin völlig selbständig gehandelt habe.

Würdigung durch das Gericht

898.
    Tatsächlich wird, wie die Klägerin ausgeführt hat, Montedison weder in denPlanungsdokumenten noch in der Atochem-Tabelle genannt. Letztere betrifft einenZeitraum, in dem Montedison den PVC-Markt bereits verlassen hatte. Dies ergibtsich namentlich aus den Randnummern 7 und 13 der Entscheidung.

899.
    Montedison ist von ICI als Teilnehmer an den informellen Herstellersitzungengenannt worden (vgl. vorstehend, Randnr. 675). Die Klägerin hat diese Sitzungenbestätigt, und die Kommission hat nachgewiesen, daß deren Zweck gegen Artikel85 Absatz 1 EG-Vertrag verstieß (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

900.
    Die Anwesenheit von Montedison bei diesen Sitzungen ist von BASF bestätigtworden (vgl. vorstehend, Randnr. 677).

901.
    Zwar haben ICI und BASF Montedison und nicht Montedipe angeführt, die diePVC-Produktion von Montedison vom 1. Januar 1981 an übernommen hatte. Diesrechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß sich Montedison schon vom 1. Januar1981 an von der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung ferngehalten hat.

902.
    Auch wenn Montedison ihre Produktionstätigkeit auf Montedipe im Januar 1981übertragen hatte, stellte sie doch erst 1983 jede Tätigkeit im PVC-Bereich ein (vgl.namentlich Randnr. 13, erster Absatz, der Entscheidung). Die Klägerin hat zudemauf eine Frage des Gerichts eingeräumt, daß sie in diesem gesamten Zeitraumunmittelbar oder über von ihr kontrollierte Gesellschaften das gesamteGesellschaftskapital von Montedipe in Besitz hatte. Schließlich ist der Vermerk vonICI vom 15. April 1981, der zusätzlich ein Beleg für die Regelungen zurÜberwachung der Verkaufsmengen der Hersteller ist, die Abschrift einer Mitteilungdes Leiters des petrochemischen Geschäftsbereichs von Montedison (vgl.vorstehend, Randnrn. 599 bis 601), was bestätigt, daß dieses Unternehmenentgegen seiner Behauptung der ihm vorgeworfenen Zuwiderhandlung nichtferngeblieben ist.

903.
    Aus den bereits dargestellten Gründen (vgl. vorstehend, Randnr. 788) führt dasAlcudia-Dokument, das einer der Belege für die Durchführung einerAusgleichsregelung der PVC-Hersteller ist, indirekt Montedison an. Die Klägerinkann nicht mit Erfolg behaupten, daß die Kommission eine solche Regelung im Juli1982 bei Gesprächen mit neun europäischen Herstellern über die Umstrukturierungdes petrochemischen Sektors empfohlen habe. Die Kommission hat bei dieserGelegenheit nämlich nicht nur jede Preis- oder Verkaufsquotenregelung derHersteller abgelehnt, sondern diese Gespräche haben darüber hinaus stattgefunden,nachdem die von der Kommission im vorliegenden Fall nachgewieseneAusgleichsregelung angewandt worden war.

904.
    Zudem wird in dem Vermerk von ICI vom 15. April 1981 auf die Quotenregelungverwiesen. Dieser Vermerk ist die Abschrift einer Mitteilung von Herrn Diaz, dem

ehemaligen Generaldirektor des Geschäftsbereichs Petrochemie von Montedison,an ICI (vgl. vorstehend, Randnrn. 599 bis 601).

905.
    Was die Solvay-Tabellen bezüglich des italienischen Marktes betrifft (Anlagen 33bis 41 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte), kann die Klägerin aus den bereitsgenannten Gründen (vgl. vorstehend, Randnrn. 629 bis 635) nicht behaupten, daßdie dort enthaltenen Verkaufszahlen anhand allgemein zugänglicher Informationenhätten bestimmt werden können. Zwar weist die zweite Fußnote in der Anlage 34auf einen lebhaften Wettbewerb hin, doch erklärt dies noch nicht, wie Solvay dieVerkaufszahlen jedes ihrer Konkurrenten kennen konnte. In der ersten Fußnotein diesem Schriftstück heißt es: „Die Aufteilung des nationalen Marktes unter dieverschiedenen Hersteller für 1980 wurde auf der Grundlage einesInformationsaustauschs mit unseren Kollegen vorgenommen“ (vgl. vorstehend,Randnr. 629).

906.
    Bezüglich der Preisinitiativen, die, wie die Kommission nachgewiesen hat, unterVerstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag abgesprochen waren (vgl.vorstehend, Randnrn. 637 bis 661), hat die Klägerin eine Tabelle vorgelegt, in derdie von der Kommission behaupteten Zielpreise mit den tatsächlich vonMontedison verlangten Preisen verglichen werden (Nr. 10 der Klageschrift). DieKlägerin schließt aus dem Unterschied zwischen diesen, daß sie an denPreisinitiativen nicht habe beteiligt sein können. Sie gibt jedoch weder die Quelleder Zahlen, die angeblich die tatsächlich von ihr verlangten Preise darstellen, nochden genauen Zeitpunkt an, für den diese tatsächlich verlangten Preise belegt sind.Jedenfalls zeigt diese Tabelle, daß die tatsächlich von der Klägerin verlangtenPreise, selbst wenn man sie als richtig unterstellt, unter den Zielpreisen lagen; dieKommission hat aber stets eingeräumt, daß es den Unternehmen nicht gelungenist, die Zielpreise auch zu erreichen. Schließlich wird der Klägerin ebenso wieanderen Herstellern nicht die Durchführung der Preisinitiativen vorgeworfen, dadie Kommission von ihr keine Unterlagen über die Preise hat erlangen können,sondern die Beteiligung an den informellen Herstellersitzungen, auf denen dieFestsetzung von Zielpreisen beschlossen wurde (vgl. vorstehend, Randnrn. 774 bis777).

907.
    Im übrigen zeigen die Anlagen P1 bis P70, daß die italienischen Hersteller diesenMaßnahmen des Kartells nicht ferngeblieben sind. So wird, abgesehen von denSchriftstücken, wie den Anlagen P1, P6, P15, P19, P22, P26, P29, P32, P45 und P48,in denen auf „allgemeine Initiativen“ zur Anhebung „sämtlicher europäischerPreise“ oder auch auf „Initiativen der Branche“ Bezug genommen wird, in einigenAnlagen speziell der italienische Markt aufgeführt, so daß der Schluß zulässig ist,daß die Preisinitiativen in Italien durchgeführt werden sollten, selbst wenn dieseAnlagen zeigen, daß die vorgesehene Erhöhung gelegentlich ausblieb, was zukritischen Äußerungen der Konkurrenten führte. Dies ergibt sich namentlich ausden Anlagen P9, P24, P26 und P28.

908.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin sich an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat.

j) Hüls

Vorbringen der Klägerin

909.
    Die Klägerin macht erstens geltend, es lasse sich nicht die geringste Verbindungzwischen ihr und den Planungsdokumenten herstellen. So sei nicht bewiesen, daßdie „checklist“, die von einem Dritten erstellt worden sei, die Klägerin erreichthabe oder daß diese an der Ausarbeitung der „response to proposals“ mitgewirktund damit den angeblichen Planungen zugestimmt habe. Die Abkürzung „H“ aufdiesen Schriftstücken bedeute nicht zwangsläufig „Hüls“: Zum einen seien Hüls undHoechst 1984 zwei ungefähr gleich große deutsche Hersteller gewesen, und zumanderen sei der Buchstabe H 1980 der Anfangsbuchstabe von fünf PVC-Herstellerngewesen. Die Vermutung der Kommission falle somit in sich zusammen, zumal bis1985 die Firma der Klägerin nicht Hüls AG, sondern Chemische Werke Hüls AG,allgemein bekannt unter der Abkürzung CWH, gewesen sei.

910.
    Zweitens sei der Beweis für die Teilnahme der Klägerin an rechtswidrigenSitzungen und für die Regelmäßigkeit dieser Beteiligung nicht erbracht, da es keineProtokolle gebe. Die Erklärungen von ICI und BASF seien nicht beweiskräftig, dadiese beiden Unternehmen stets einen rechtswidrigen Zweck der Sitzungenbestritten hätten.

911.
    Drittens sei die Beteiligung der Klägerin an den Preisinitiativen nicht bewiesen, dakeine unternehmensinternen Preisunterlagen vorlägen. Eine solche Beteiligungkönne auch nicht aus der Beteiligung an den Sitzungen hergeleitet werden, da dieKlägerin an den rechtswidrigen Sitzungen gerade nicht teilgenommen habe.

912.
    Viertens sei der Vermerk von ICI vom 15. April 1981 kein Beleg für dieBeteiligung der Klägerin an einem Quotensystem. Die Beteiligung an derangeblichen Ausgleichsregelung zur Verstärkung der Quotenregelung sei ebenfallsnicht bewiesen. Im übrigen sei die Atochem-Tabelle nicht beweiskräftig, da die dortaufgeführten Zahlen erheblich von den tatsächlichen Verkäufen abwichen.

913.
    Schließlich habe die Kommission nicht den Beweis erbracht, daß die Klägerin andem angeblichen Informationsaustausch beteiligt gewesen sei. Die Solvay-Tabellenseien nämlich nicht beweiskräftig.

Würdigung durch das Gericht

914.
    Hüls ist von ICI als Teilnehmer an den informellen Herstellersitzungen genanntworden (vgl. vorstehend, Randnr. 675), deren wettbewerbswidrigen Zweck dieKommission nachgewiesen hat (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

915.
    Die Anwesenheit von Vertretern der Klägerin bei den Sitzungen ist von BASFbestätigt worden (vgl. vorstehend, Randnr. 677).

916.
    Nach den Planungsdokumenten sollte die „Planungsgruppe der 6“ sich aus „S“,„ICI“, „W“, „H“ und „der neuen französischen Gesellschaft“ zusammensetzen.Nach dem Hinweis, daß ICI es abgelehnt habe, die Identität der auf diese Weisebezeichneten Unternehmen zu bestätigen, führt die Kommission in derEntscheidung (Randnr. 7) aus, daß „sich aus dem Kontext und aus der Liste dervoraussichtlichen Teilnehmer [ergab], daß ... .H' aller Wahrscheinlichkeit nachHüls, der größte westdeutsche PVC-Hersteller (Hoechst als der einzige andere inFrage kommende Hersteller war nur ein unbedeutender PVC-Produzent)“,bedeute.

917.
    Die Klägerin bestreitet zunächst, daß „H“ Hüls bedeuten kann. Bis 1985 seinämlich die vollständige Bezeichnung der Klägerin Chemische Werke Hüls AG unddie entsprechende Abkürzung CWH gewesen. Dieses Argument greift nicht durch.In den Planungsdokumenten werden nämlich die voraussichtlichen Teilnehmer andem „neuen Rahmen für die Sitzungen“ mit bloßen Anfangsbuchstaben und nichtunter der offiziellen, anerkannten Abkürzung genannt. Zudem beziehen sich sowohldie Atochem-Tabelle als auch die Antwort von ICI auf ein Auskunftsverlangen, dieaus dem Jahr 1984 stammen, auf Hüls. Ebenso zeigen mehrere Anlagen zurKlageschrift, die vom Beginn der achtziger Jahre stammen, ein Geschäftspapier, aufdem in Großbuchstaben der Name Hüls und in Kleinbuchstaben die Abkürzung„CWH“ stehen. Wenn „Hüls“ somit nicht die offizielle Bezeichnung der Klägerinwar, war sie offenkundig doch die gebräuchliche.

918.
    Wie die Kommission in ihrer Entscheidung ausgeführt hat, war Hüls zum Zeitpunktder Ausarbeitung der Planungsdokumente der wichtigste deutsche Hersteller undVerkäufer von PVC und einer der größten Hersteller in Europa. Dies wird durchdie Antworten der Klägerinnen auf eine Frage des Gerichts bestätigt. Zudem warendie vier anderen als mögliche Teilnehmer an der „Planungsgruppe“ genanntenUnternehmen ebenfalls die wichtigsten europäischen PVC-Hersteller im Jahr 1980.

919.
    Aus den bereits genannten Gründen (vgl. vorstehend, Randnummer 788) führt dasAlcudia-Dokument über die Ausgleichsregelungen indirekt Hüls an.

920.
    Die Klägerin wird in der Atochem-Tabelle genannt, die, wenn auchzusammengefaßt, die Absatzdaten und die prozentualen Verkaufsziele der vierdeutschen Hersteller enthält (vgl. vorstehend, Randnr. 612).

921.
    Hüls wird auch in den Solvay-Tabellen genannt. Von den angeführtenVerkaufszahlen, die die Kommission überprüfen konnte, betreffen drei dieKlägerinnen und sind zutreffend (vgl. vorstehend, Randnr. 627).

922.
    Wenn die Kommission auch keine Preislisten von Hüls hat erlangen können, diedie Feststellung erlaubt hätten, daß dieses Unternehmen die gemeinsamenPreisinitiativen durchgeführt hat, zeigen die Anlagen P1 bis P70 doch, daß diedeutschen Hersteller dieser Maßnahme des Kartells nicht ferngeblieben sind. Sowird, abgesehen von den Schriftstücken, wie den Anlagen P1, P3, P15, P19, P22,P26, P29, P32, P45 und P48, in denen auf „allgemeine Initiativen“ zur Anhebung„sämtlicher europäischer Preise“ oder auf „Initiativen der Branche“ Bezuggenommen wird, in einigen Anlagen speziell der deutsche Markt angeführt, so daßder Schluß zulässig ist, daß die Preisinitiativen dort angekündigt und angewandtwurden. Dies ergibt sich namentlich aus den Anlagen P23, P24, P26, P29, P30, P41und P58.

923.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin sich an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt hat.

k) Enichem

Vorbringen der Klägerin

924.
    Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission nicht bewiesen, daß sie an einer derMaßnahmen des Kartells beteiligt gewesen sei.

925.
    Erstens könne der Klägerin keinerlei Verantwortung für den Ursprung des Kartellsangelastet werden. Sie habe nämlich an der Abfassung der Planungsdokumentenicht mitgewirkt. Allein die Tatsache, daß sie ohne ihr Wissen von drittenUnternehmen, die sie zur Teilnahme an den Sitzungen hätten einladen wollen,genannt worden sei, könne eine solche Verantwortung nicht begründen. Schließlichsei nicht bewiesen, daß die „response to proposals“ tatsächlich die Antwort derAdressaten der „checklist“ gewesen sei.

926.
    Was zweitens die Herstellersitzungen angehe, so hätten ICI und BASF die Namenvon Anic oder Enichem angeführt. Von Oktober 1981 bis Februar 1983 habe eskeine Produktionsgesellschaft gegeben, die vollständig oder teilweise so geheißenhabe. Jedenfalls hätte die Kommission noch nachweisen müssen, wer dieTeilnehmer gewesen seien und mit welcher Regelmäßigkeit siezusammengekommen seien.

927.
    Drittens gebe es keinen Beweis dafür, daß die Klägerin an den Preisinitiativenbeteiligt gewesen sei. Das Fehlen interner Preisunterlagen von Enichem brauchenicht, wie die Kommission meine, zu bedeuten, daß diese Unterlagen, weilbelastend, versteckt oder zerstört worden seien. Dieses Argument, das reineSpekulation sei, verstoße gegen den Grundsatz, nach dem die Kommission dieBeweislast trage. Im übrigen gebe es nicht einmal einen Anhaltspunkt für eineBeteiligung der Klägerin an den Sitzungen, die nach Meinung der Kommission denPreiserhöhungen vorangegangen seien. Vielmehr zeigten mehrere Schriftstücke, daßEnichem auf dem italienischen Markt eine aggressive Preispolitik verfolgt habe.

928.
    Was viertens die Quoten betreffe, so würden Enichem oder Anic nur in derAtochem-Tabelle erwähnt. Dieses Schriftstück allein sei aber nicht nurunzureichend, um die Beteiligung der Klägerin zu belegen, sondern darüber hinausauch ohne Beweiswert, wenn man den erheblichen Unterschied zwischen den dortgenannten Verkaufszahlen (alle über 14 %) und den tatsächlichen Zahlen (12,3 %)betrachte. Unter diesen Umständen zeige die Feststellung, wonach während desUntersuchungszeitraums sich die Marktanteile erheblich geändert hätten, daß eskein Quotenkartell gegeben habe.

929.
    Fünftens seien das einzige Beweismittel für die Beteiligung von Enichem an derAbsatzkontrolle die Solvay-Tabellen. Diese seien aber nicht beweiskräftig.

930.
    Da es keine Beweise gegen Enichem gebe, sei es ohne Bedeutung, daß dieseBeweise in ihrer Gesamtheit und nicht einzeln zu würdigen seien. Jedenfalls seiendie vier Schriftstücke, in denen der Name der Klägerin auftauche (Anlagen 3, 10und 34 sowie die Erklärungen von BASF und ICI) zu vereinzelt, um die anhaltendeBeteiligung der Klägerin an einem komplexen Kartell zu belegen, zumal dieaggressive Politik von Enichem bewiesen sei.

Würdigung durch das Gericht

931.
    Sowohl Anic als auch Enichem, der das Verhalten von Anic zugerechnet wordenist, sind von ICI als Teilnehmer an den Sitzungen genannt worden (vgl. vorstehend,Randnr. 675). Die Kommission hat nachgewiesen, daß diese Sitzungen einenwettbewerbswidrigen Zweck verfolgten (vgl. vorstehend, Randnrn. 679 bis 686).

932.
    Die Anwesenheit von Anic und Enichem bei den Sitzungen ist von BASF bestätigtworden (vgl. vorstehend, Randnr. 677).

933.
    Enichem trägt jedoch vor, daß es zwischen Oktober 1981 und Februar 1983 keinePVC-Produktionsgesellschaft mit dem Namen Anic oder Enichem gegeben habe,so daß die Antworten von ICI und BASF einen Schluß auf die Teilnahme derKlägerin in dieser Zeit nicht zuließen. Dieses Argument ist zurückzuweisen.Tatsächlich hatte, wie die Kommission ausgeführt hat, die Gruppe, zu der dieKlägerin gehört, den PVC-Bereich in dieser Zeit nicht verlassen, sondern ihreTätigkeiten in diesem Sektor auf ein gemeinsames Unternehmen übertragen.Sämtliche Tätigkeiten dieses Unternehmens im PVC-Bereich stammten von derGruppe ENI und wurden von dieser im Februar 1983 wieder übernommen. Imübrigen zeigen die Solvay-Tabellen für das Jahr 1982 für den italienischen Markt,daß dieses gemeinsame Tochterunternehmen die Teilnahme an der beanstandetenZuwiderhandlung fortgesetzt hat. Schließlich war Anic selbst nicht verschwunden,da sie erst Ende 1982 das Kapital einer anderen Gesellschaft der Gruppe ENI,nämlich SIL, die selbst Produktionsanlagen für PVC in Italien besaß, auf dasbetreffende Gemeinschaftsunternehmen übertragen hatte.

934.
    Anic ist eines der Unternehmen, die in den Planungsdokumenten genannt werden.Angesichts der engen Korrelation zwischen den in diesen Dokumentenbeschriebenen Verhaltensweisen und den in den darauf folgenden Wochen auf demPVC-Markt festgestellten sind diese Schriftstücke, auch wenn es sich, wie dieKlägerinnen behaupten, um interne Unterlagen von ICI handeln sollte, ein Indizfür die Beteiligung der Klägerin an der beanstandeten Zuwiderhandlung.

935.
    In der Atochem-Tabelle, die ein zusätzlicher Beleg für eine Quotenregelung ist,sind sowohl der Name der Klägerin als auch ihre Verkaufszahlen für das ersteQuartal 1984 sowie ein ihr zugewiesenes prozentuales Verkaufsziel angegeben. DieBehauptung der Klägerin, daß die sie betreffenden Verkaufszahlen nicht richtigseien, ist bereits geprüft und zurückgewiesen worden (vgl. vorstehend,Randnr. 615).

936.
    Aus den bereits dargelegten Gründen (vgl. vorstehend, Randnr. 788) führt dasAlcudia-Dokument über die Ausgleichsregelungen der Hersteller indirekt Enicheman.

937.
    Das Argument, daß die Marktanteile der Hersteller sich im Untersuchungszeitraumgrundlegend geändert hätten, was gegen eine Quotenregelung spreche, wird auf denbloßen Hinweis auf die „tatsächlichen Gegebenheiten“ gestützt (Erwiderung, S. 23),ohne daß ein Beweismittel hierfür angeführt wird. Jedenfalls lassen, wie sich ausder Entscheidung selbst ergibt, die Schriftstücke, die Ausgleichsregelungen derHersteller belegen, auch die Schlußfolgerung zu, daß diese Regelungen nicht richtigfunktioniert haben (vgl. vorstehend, Randnr. 588 und 597). Schließlich ist dieEntwicklung der Marktanteile in dem besonderen Fall von Enichem ohneBedeutung, da die Gruppe in dem Zeitraum der Zuwiderhandlung durch denErwerb der Geschäftstätigkeiten von Konkurrenten im PVC-Sektor oftumstrukturiert worden ist.

938.
    In den Solvay-Tabellen werden der Name der Klägerin und ihr Absatz auf demitalienischen Markt genannt. Zudem enthält die Tabelle, die als Anlage 34 derMitteilung der Beschwerdepunkte beigefügt war, folgenden Kommentar: „DieAufteilung des nationalen Marktes unter die verschiedenen Hersteller für 1980wurde auf der Grundlage eines Informationsaustauschs mit unseren Kollegenvorgenommen ...“ Da das Kartell seinen Ursprung in den Planungsdokumenten hat,die vom August 1980 stammen, konnte der Austausch gerade für dieses Jahr 1980erstmals wirksam werden (vgl. vorstehend, Randnr. 629).

939.
    Die Klägerin macht noch geltend, die Kommission hätte angeben müssen, welcheUnternehmen an den einzelnen Sitzungen teilgenommen hätten, und folglich dartunmüssen, mit welcher Regelmäßigkeit jedes Unternehmen daran teilgenommenhabe. Die Feststellung, mit welcher Regelmäßigkeit ein Unternehmen an denHerstellersitzungen teilgenommen hat, berührt nicht dessen Beteiligung an derZuwiderhandlung, sondern den Grad seiner Beteiligung. Zu verlangen, daß dieKommission nachweist, mit welcher Regelmäßigkeit ein Unternehmen an derartigen

Sitzungen teilgenommen hat, würde die Ahndung eines Unternehmenskartellspraktisch unmöglich machen, wenn nicht gerade Protokolle oder Berichte überrechtswidrige Sitzungen gefunden würden, in denen die Teilnehmer namentlichaufgeführt sind. Schließlich trifft es zwar zu, daß ICI und BASF in ihren Antwortenauf die Auskunftsverlangen angegeben haben, daß die von ihnen genanntenUnternehmen teils regelmäßiger, teils weniger regelmäßig an den Sitzungenteilgenommen hätten (vgl. vorstehend, Randnrn. 675 und 677), doch hat dieKommission dem gebührend Rechnung getragen (namentlich Randnr. 8, dritterAbsatz, und Randnr. 26, dritter Absatz, der Entscheidung). Sie hat diesen Umstandauch bei der Bemessung der Geldbußen berücksichtigt (Randnr. 53 derEntscheidung), unbeschadet der Prüfung der Lage der Unternehmen, derenführende oder umgekehrt begrenzte Rolle zutage getreten ist. Hätte dieKommission den Beweis für die Teilnahme jedes Unternehmens an sämtlichenHerstellersitzungen erlangen können, in denen fast vier Jahre lang abgestimmtePreisinitiativen und Quotenregelungen festgelegt wurden, erschienen die verhängtenGeldbußen, die 3 200 000 ECU nicht übersteigen, verhältnismäßig gering angesichtsder Schwere der Zuwiderhandlung.

940.
    Schließlich zeigen die Anlagen P1 bis P70, daß die italienischen Hersteller denPreisinitiativen nicht ferngeblieben sind. So wird, abgesehen von den Schriftstücken,wie den Anlagen P1, P6, P15, P19, P22, P26, P29, P32, P45 und P48, in denen auf„allgemeine Initiativen“ zur Anhebung „sämtlicher europäischer Preise“ oder aberauf „Initiativen der Branche“ Bezug genommen wird, in einigen Anlagen speziellder italienische Markt aufgeführt, so daß der Schluß zulässig ist, daß diePreisinitiativen in Italien durchgeführt werden sollten, selbst wenn die Anlagenzeigen, daß die vorgesehene Erhöhung gelegentlich ausblieb, was zu kritischenÄußerungen der Konkurrenten führte. Dies ergibt sich namentlich aus den AnlagenP9, P24, P26, P28 und P58.

941.
    Aufgrund all dessen ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dieKlägerin an der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung beteiligt war.

D — Zur Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung und zur Frage des richtigen Adressatender Entscheidung

1. Zur Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Klägerinnen

942.
    Elf Atochem wendet sich gegen die Begründung der Entscheidung für ihre fehlendeVerantwortlichkeit für die Handlungen von PCUK, deren Tätigkeit imChemiebereich zum größten Teil auf Atochem bei deren Gründung im Jahr 1983übertragen wurde. Diese Begründung gehe nämlich davon aus, daß Elf Atochem„für ATO Chimie, Chloe, Orgavyl verantwortlich ist“ (Randnr. 42, sechster Absatz,der Entscheidung), und nicht von dem Grundsatz, daß dann, wenn das eine

Tätigkeit veräußernde Unternehmen nach der Übertragung als getrennte Einheitfortbestehe, der Erwerber für eventuelle wettbewerbswidrige Handlungen desVeräußerers vor der Übertragung nicht hafte.

943.
    DSM verweist darauf, daß die PVC-Tätigkeiten von DSM NV zum 1. Januar 1983auf LVM übertragen worden seien, eine gemeinsame Tochtergesellschaft der DSMNV und der EMC Belgique SA, und daß LVM als für ihre Handlungenverantwortlich angesehen worden sei. Im vorliegenden Fall stelle sich somit nur fürdie Zeit davor die Frage der Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung. Mit Urkundevom 19. Dezember 1984 sei die DSM Kunststoffen BV, eine 100%igeTochtergesellschaft der DSM NV, gegründet worden. Die bis dahin demGeschäftszweig „Kunststoffe“ von DSM zugeordneten Rechte und Pflichten seienauf DSM Kunststoffen übertragen worden. Obwohl diese eine selbständigeTochtergesellschaft von DSM NV sei, sei letzterer die Zuwiderhandlungzugerechnet worden.

944.
    Damit habe die Kommission die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft unzutreffendangewendet. Grundsätzlich müsse, wenn die Rechte und Pflichten sowie dieWirtschaftstätigkeiten, auf die sich die Zuwiderhandlung beziehe, auf ein anderesUnternehmen übertragen worden seien, die Zuwiderhandlung diesem anderenUnternehmen zugerechnet werden, das Rechtsnachfolger des ersten und damitAdressat der Entscheidung sei (CRAM und Rheinzink/Kommission, Randnrn. 6 bis9; Urteil des Gerichts vom 28. April 1994 in der Rechtssache T-38/92, AWSBenelux/Kommission, Slg. 1994, II-211, Randnr. 30). Entscheidend für dieZurechnung einer Zuwiderhandlung sei das selbständige Marktverhalten desUnternehmens und nicht seine rechtliche Struktur (Urteil vom 14. Juli 1972,ICI/Kommission, Randnr. 133, Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in derRechtssache T-11/89, Shell/Kommission, Slg. 1992, II-757, Randnrn. 311 und 312).Die Klägerinnen hätten stets das selbständige Verhalten von DSM Kunststoffenherausgestellt, ohne daß die Kommission, die die Beweislast trage (UrteilAEG/Kommission, Randnr. 50), dem widersprochen hätte. Für den Zeitraum vomBeginn der Zuwiderhandlung bis zum Beginn des Jahres 1983 hätte dieZuwiderhandlung somit DSM Kunststoffen zugerechnet werden müssen.

945.
    Montedison erklärt, sie sei eine Einheit, die nur eine Vermittlerrolle zwischen derHoldinggesellschaft und der Produktionsgesellschaft gespielt habe, da sie ihre PVC-Produktion zum 31. Dezember 1980 eingestellt habe. In den folgenden beidenJahren sei die Tochtergesellschaft Montedipe für diese Produktionstätigkeitzuständig gewesen, und 1983 sei dieser Unternehmenszweig endgültig der Kontrollevon Enichem unterstellt worden. Die Kommission habe niemals nachgewiesen, daßMontedipe bei ihrer Geschäftsführung nicht autonom gegenüber Montedisongewesen sei.

946.
    Enichem macht geltend, daß nach Ansicht der Kommission für die Frage, wer füreine Zuwiderhandlung verantwortlich sei, zunächst das zuwiderhandelndeUnternehmen zu bestimmen und dann zu ermitteln sei, was aus ihm geworden sei;

wenn das Unternehmen, das die Zuwiderhandlung begangen habe, seinen PVC-Geschäftsbereich einfach auf einen Dritten übertrage, als unabhängigesRechtssubjekt aber fortbestehe, bleibe es weiterhin für die Zuwiderhandlungverantwortlich; wenn dagegen das zuwiderhandelnde Unternehmen in einemanderen Unternehmen aufgehe und damit zu bestehen aufhöre, dann müsse derErwerber die Verantwortung für die vergangenen Zuwiderhandlungen übernehmen.Dieses Konzept hat nach Ansicht der Klägerin zwei Seiten, da es je nach Lage desFalles eine rechtliche oder eine wirtschaftliche Prüfung verlange.

947.
    Sowohl der PVC-Geschäftsbereich von Enichem als auch allgemein der PVC-Sektorin Italien seien während und nach dem Untersuchungszeitraum tiefgreifendenÄnderungen unterworfen gewesen.

948.
    So habe das Unternehmen, das derzeit die Firma Enichem Anic führe und derAdressat der Entscheidung hätte sein müssen, bis Ende 1981 und dann erneut vonAnfang 1983 bis zur Übertragung der Geschäftstätigkeiten auf EVC, eine imOktober 1986 gegründete gemeinsame Tochtergesellschaft von Enichem und ICI,PVC produziert. In der Zwischenzeit sei Enoxy, eine gemeinsameTochtergesellschaft von ENI und der amerikanischen Firma Occidental, auf demPVC-Markt tätig gewesen.

949.
    Enichem habe dagegen in diesem gesamten Zeitraum unter verschiedenenFirmennamen nur die Rolle einer Holdinggesellschaft für die Beteiligungen desitalienischen Staates an den einzelnen Produktionsgesellschaften, die einander imPVC-Sektor abgelöst hätten, gespielt.

950.
    Schließlich seien die Unternehmenstätigkeiten im PVC-Bereich, die 1986 auf EVCübertragen worden seien, in dem von der Kommission berücksichtigten Zeitraumvon mehreren selbständigen Unternehmen verwaltet worden (Anic; Occidental;Montedison, deren von ihrer Tochtergesellschaft Montedipe betriebenes PVC-Geschäft im März 1983 auf Enoxy übergegangen sei, ein Unternehmen, das nachder Veräußerung der Anteile von Occidental ebenfalls im März 1983 ganz in denBesitz von Enichem übergegangen sei; Sir, deren Tätigkeiten im Dezember 1981auf die Gruppe ENI übergegangen seien, und Rumianca, einer Tochtergesellschaftvon Sir, deren Chemiegeschäft ebenfalls auf die Gruppe ENI übertragen wordensei), die alle als Rechtssubjekte fortbestünden.

951.
    Die Kommission habe jedoch in Randnummer 43 der Entscheidung die Klägerin,Enichem, für die im Untersuchungszeitraum begangenen Zuwiderhandlungenverantwortlich gemacht, also für die Handlungen aller Unternehmen einschließlichvon Sir, Rumianca und Enoxy (mit Ausnahme von Montedipe). Sir und Rumiancagehörten zur Gruppe Sir Finanziaria, die auch heute noch bestehe und die folglichweiterhin die Verantwortung für die Teilnahme ihrer ehemaligenTochtergesellschaften tragen müsse. Ebenso müsse Occidental, die es als juristischePerson immer noch gebe, die Mitverantwortung für die Zuwiderhandlung in der

Zeit von Dezember 1981 bis Februar 1983 tragen, in der sie Enoxygemeinschaftlich geleitet habe; statt dessen werde Occidental in der Entscheidungüberhaupt nicht als verantwortlich angesehen, was gegen dasDiskriminierungsverbot verstoße. Tatsächlich könne Enichem Anic nur für dieZuwiderhandlungen verantwortlich gemacht werden, die Anic bis Ende 1981 undEnoxy Chimica seit Februar 1983 begangen hätten (Urteile Suiker Unieu. a./Kommission, Randnrn. 74 bis 88, CRAM und Rheinzink/Kommission, undEnichem Anic/Kommission, Randnrn. 228 ff.).

Würdigung durch das Gericht

952.
    Elf Atochem wendet sich nicht gegen das Ergebnis, zu dem die Kommission gelangtist, nämlich sie für Handlungen von PCUK nicht verantwortlich zu machen, sondernrügt nur die Begründung hierfür. Somit kann die Prüfung dieses Klagegrundes nichtzu einer — auch nur teilweisen — Nichtigerklärung einer Bestimmung derEntscheidung führen. Daher ist der Klagegrund mangels Rechtschutzinteresseszurückzuweisen.

953.
    Nach der Rechtsprechung ist, wenn eine Zuwiderhandlung bewiesen ist, dienatürliche oder juristische Person zu ermitteln, die für den Betrieb desUnternehmens zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung verantwortlich war, damit siezur Rechenschaft gezogen werden kann. Hat jedoch zwischen dem Zeitpunkt derZuwiderhandlung und dem Zeitpunkt, zu dem das betreffende Unternehmen zurRechenschaft gezogen werden soll, die für den Betrieb dieses Unternehmensverantwortliche Person aufgehört, rechtlich zu existieren, so ist zunächst dieGesamtheit der materiellen und personellen Faktoren festzustellen, die an derZuwiderhandlung beteiligt waren, um sodann zu ermitteln, wem die Verantwortungfür den Betrieb dieser Gesamtheit übertragen worden ist, damit sich dasUnternehmen seiner Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung nicht deshalbentziehen kann, weil die zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung für seinen Betriebverantwortliche Person nicht mehr besteht.

954.
    Die von der Kommission in Randnummer 41, zweiter Absatz ff., der Entscheidunggenannten Regeln entsprechen offensichtlich diesen Grundsätzen.

955.
    Somit ist nacheinander im Fall von DSM, Montedison und Enichem zu prüfen, wiedie Kommission diese Grundsätze angewandt hat.

956.
    Das Vorbringen von DSM bezieht sich nur darauf, daß die beanstandeteZuwiderhandlung DSM zugerechnet worden ist, betrifft also nur die Zeit vor derGründung von LVM (vgl. vorstehend, Randnr. 943).

957.
    Anders als in den Fällen, die in den von der Klägerin angeführten Urteilen geprüftworden sind, ist im vorliegenden Fall nicht bestritten, daß DSM das Unternehmenist, das die beanstandete Zuwiderhandlung vor der Gründung von LVM begangenhat, und daß sie trotz ihrer Umstrukturierung, die sie nach den ihr vorgeworfenen

Handlungen durch die Verlagerung ihres Geschäftsbereichs „Kunststoffe“ auf eineTochtergesellschaft vorgenommen hat, rechtlich fortbesteht. Daher ist dieKommission nach den vorstehend genannten Grundsätzen zu Recht von derVerantwortlichkeit von DSM für den streitigen Zeitraum ausgegangen.

958.
    Somit hat die Übertragung des Geschäftsbereichs keine Bedeutung für dieBestimmung des für die Zuwiderhandlung verantwortlichen Unternehmens.

959.
    Daher ist der Klagegrund von DSM zurückzuweisen.

960.
    Nach ständiger Rechtsprechung genügt der Umstand, daß eine Tochtergesellschafteine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, nicht, um auszuschließen, daß ihrVerhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann, namentlich, wenn dieTochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nichtselbständig bestimmt, sondern im wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaftbefolgt (Urteil vom 14. Juli 1972, ICI/Kommission, Randnrn. 132 und 133).

961.
    Im vorliegenden Fall hat Montedison bestätigt, daß sie das gesamte Kapital anMontedipe und Montepolimeri hielt, so daß davon auszugehen ist, daß dieseTochtergesellschaften zwangsläufig eine Politik verfolgten, die von densatzungsmäßigen Organen vorgezeichnet wurde, die auch die Politik derMuttergesellschaft festlegten (Urteil AEG/Kommission, Randnr. 50).

962.
    Daher ist der Klagegrund von Montedison zurückzuweisen.

963.
    Der von Enichem geltend gemachte Klagegrund besteht hinsichtlich derZurechenbarkeit der beanstandeten Zuwiderhandlung aus zwei Teilen. Der erstebetrifft die Zurechenbarkeit der Handlungen, die die beiden Firmen Sir undRumianca vor ihrer Eingliederung in den Konzern, dem die Klägerin angehört,begangen hatten. Der zweite betrifft die Zurechenbarkeit der Handlungen, dieEnoxy von Januar 1982 bis Februar 1983 begangen hat.

964.
    Erstens rügt die Klägerin, die Kommission habe sie für Handlungen von Sir undRumianca verantwortlich gemacht, deren PVC-Geschäft von der Gruppe ENI imDezember 1981 über Anic erworben worden sei; da die ehemaligeMuttergesellschaft dieser beiden Unternehmen fortbestehe, hätte diese dieVerantwortung für die Zuwiderhandlung tragen müssen. Zur Stützung ihrerAuffassung beruft sich die Klägerin auf Randnummer 43 der Entscheidung, wo esheißt: „Enichem stellt einen Zusammenschluß des staatseigenen italienischenChemiesektors dar, der zuvor unter der Bezeichnung Anic tätig war ... Enichemträgt daher für die Aktivitäten von Anic [und damit aller anderen mit dieserGesellschaft verbundenen Unternehmen] die Verantwortung.“

965.
    Daraus folgt aber nicht, daß die Kommission die Verantwortlichkeit von Enichemmit den Handlungen begründet hat, die Sir und Rumianca vor ihrer Eingliederungin den Konzern begangen haben, zu dem die Klägerin gehört.

966.
    Sir und Rumianca sind von der Entscheidung nämlich nicht betroffen. Da gegen siekeine Vorwürfe erhoben worden sind, kann die Verantwortung für von ihnenbegangene Zuwiderhandlungen nicht der Klägerin aufgebürdet worden sein.Randnummer 43 der Entscheidung bedeutet allenfalls, daß namentlich für dieBerechnung des Marktanteils zum Zweck der Bemessung der Geldbußen dieTätigkeiten im PVC-Bereich von Sir und Rumianca der Klägerin erst von dem Tagan zugerechnet werden können, an dem die beiden genannten Unternehmen in dasUnternehmen Anic eingegliedert wurden. Dagegen läßt sich dieser Randnummernicht entnehmen, daß Enichem für eventuelle Zuwiderhandlungen, die Sir undRumianca vor ihrer Eingliederung begangen haben, verantwortlich gemacht wordenist.

967.
    Was den zweiten Teil betrifft, so ergibt sich aus den Akten und den Antworten derKlägerin auf die Fragen des Gerichts in der Sitzung, daß ENI und Occidental am29. Dezember 1981 ein Gemeinschaftsunternehmen, Enoxy, gegründet haben, aufdas — über Anic — das gesamte von ENI kontrollierte PVC-Geschäft übertragenwurde; Occidental übertrug auf Enoxy andere Tätigkeiten als den PVC-Bereich. ImFebruar 1983 übernahm ENI die Beteiligung von Occidental an Enoxy; einige Tagespäter veräußerte ENI ihre sämtlichen Anteile an der Gruppe Enoxy an dieEnichimica SpA (heute Enichem SpA).

968.
    Die Klägerin wirft der Kommission zunächst vor, sie für Handlungen vonOccidental, der anderen Muttergesellschaft von Enoxy, verantwortlich gemacht zuhaben. Diese Rüge ist jedoch eine bloße Behauptung, die durch nichts in derEntscheidung gestützt wird.

969.
    Sodann wirft die Klägerin der Kommission vor, daß sie nicht auch Occidental fürdie Handlungen von Enoxy zur Verantwortung gezogen habe, obwohl diese eineder beiden Muttergesellschaften dieses Unternehmens gewesen sei. Da jedoch dieGruppe, zu der die Klägerin gehört, von Januar 1982 bis Oktober 1983 auf demPVC-Markt über ein Gemeinschaftsunternehmen, dem Enichem ihr PVC-Geschäftübertragen hatte, verblieben war, schließt der Umstand, daß die Kommission nichtauch Occidental verfolgt hat, die Verantwortlichkeit der Gruppe, zu der dieKlägerin gehört, nicht aus (Urteil Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission,Randnr. 197).

970.
    Somit ist der Klagegrund von Enichem ebenfalls zurückzuweisen.

2. Zur Frage des richtigen Adressaten der Entscheidung

Vorbringen der Klägerinnen

971.
    Erstens macht DSM geltend, die Kommission habe einen Rechtsfehler begangen,indem sie die Entscheidung an DSM NV statt an DSM Kunststoffen gerichtet habe.Für die vor 1983 von DSM NV begangene Zuwiderhandlung sei allein DSMKunststoffen, eine mit Urkunde vom 19. Dezember 1984 gegründete 100%igeTochtergesellschaft von DSM NV, verantwortlich zu machen. Diese Gesellschafthätte daher Adressat der Entscheidung sein müssen.

972.
    Zweitens tragen die Klägerinnen vor, daß sie diskriminiert worden seien. DieKommission habe nämlich ein dem ihren vergleichbares Argument im Falle vonShell akzeptiert (Entscheidung, Randnr. 46). Dagegen habe die KommissionEnichem und Montedison gleich behandelt, obwohl die Sachverhalte verschiedengewesen seien (Entscheidung, Randnr. 45).

973.
    Drittens hat die Kommission nach Ansicht der Klägerinnen gegen ihreBegründungspflicht verstoßen. Auch wenn sie nicht auf alle tatsächlichenArgumente der beschuldigten Unternehmen eingehen müsse (Urteil ACFChemiefarma/Kommission, Randnr. 77), habe sie doch auf ähnliche Rügen andererUnternehmen geantwortet (Entscheidung, Randnrn. 45 und 46). Die Begründunghätte im Fall der Klägerinnen im übrigen um so ausführlicher ausfallen müssen, alsdiese diesen Klagegrund im Verwaltungsverfahren ausdrücklich vorgetragen hätten(Urteil AWS Benelux/Kommission, Randnr. 27).

974.
    Enichem macht geltend, daß eine Unternehmensgruppe nur dann der richtigeAdressat einer Entscheidung sei, wenn sie eine einzige einheitliche Organisationpersönlicher, materieller und immaterieller Mittel darstelle, die dauerhaft u. a. denZweck verfolge, ein bestimmtes Erzeugnis herzustellen und zu verkaufen (UrteilShell/Kommission, Randnrn. 312 und 313). Im vorliegenden Fall gebe es keinenBeweis dafür, daß Enichem an der Spitze all dieser Gesellschaften gestanden habe(Entscheidung, Randnr. 45 a. E.).

975.
    In Wirklichkeit habe Enichem als Holdinggesellschaft keine Verantwortung für dieTätigkeit des thermoplastischen Sektors, darunter PVC, getragen. DieRandnummern 43 und 45 der Entscheidung seien insoweit widersprüchlich, da nichtbehauptet werden könne, daß Enichem als Holdinggesellschaft einer Gruppe undzugleich als Nachfolger der Produktionsgesellschaft derselben Gruppeverantwortlich sei.

976.
    In Wirklichkeit sei Enichem Anic, wie die Firma seit dem 27. Mai 1985 laute, daseinzige Rechtssubjekt, das die Kontinuität zwischen den einzelnenKonzerngesellschaften verkörpern könne, die unter verschiedenen Firmen im PVC-Sektor tätig gewesen seien, bis dieser Bereich 1986 auf die mit ICI gegründetegemeinsame Tochtergesellschaft EVC übertragen worden sei. Enichem Anic (unterihren verschiedenen Firmen) habe den gesamten Produktionszyklus imthermoplastischen Bereich und den unmittelbaren Vertrieb in Italien geleitet undsei dabei gegenüber Enichem selbständig gewesen. Im übrigen seien sämtliche

Gesellschaften, die für den Vertrieb der Erzeugnisse von Enichem Anic im Auslandzuständig gewesen seien, einschließlich der Tochtergesellschaften von EnichemInternational, die keine 100%ige Tochtergesellschaft von Enichem sei, auf derGrundlage von Vertriebs- oder Vertretungsverträgen mit Enichem Anic tätiggewesen. Nur Enichem Anic hätte daher Adressat der Entscheidung sein können.

977.
    Zur Unterstützung ihrer Auffassung verweist die Klägerin darauf, daß dieEntscheidung vom 24. November 1987, die nach Artikel 11 Absatz 5 derVerordnung Nr. 17 ergangen sei, an Enichem Anic (seinerzeit Enichem Base)gerichtet gewesen sei. Die Nachprüfung vom 21. Januar 1987 sei in denGeschäftsräumen dieses Unternehmens erfolgt. Wenn die Mitteilung derBeschwerdepunkte an Enichem gerichtet worden sei, so nur deshalb, weil dieKommission geglaubt habe, daß dieses Unternehmen die Produktionsgesellschaftder Gruppe gewesen sei, und nicht, weil es die Holdinggesellschaft gewesen sei.Schließlich sei die Entscheidung 86/398 vom 23. April 1986 in der Polypropylen-Sache an Anic SpA, d. h. Enichem Anic, gerichtet gewesen, da dies die Firma derGesellschaft seit dem 27. Mai 1985 gewesen sei.

Würdigung durch das Gericht

978.
    Wie die Kommission in Randnummer 44 der Entscheidung ausgeführt hat, fällt derBegriff des Unternehmens im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zwarnicht unbedingt mit dem Begriff der rechtsfähigen Gesellschaft zusammen, dochmuß für die Anwendung und den Vollzug der Entscheidungen eine Einheit mitRechtspersönlichkeit bestimmt werden, die Adressat der Handlung ist.

979.
    Da DSM die Zuwiderhandlung allein begangen hat und daher die einzigeGesellschaft mit Rechtspersönlichkeit ist, der die Zuwiderhandlung zugerechnetworden ist, stellt sich die Frage der Bestimmung des Adressaten nicht einmal.Adressat konnte nur die DSM NV sein, die allein die Zuwiderhandlung begangenhat.

980.
    Dies ergibt sich aus der unmittelbaren Anwendung der in Randnummer 44 derEntscheidung angeführten Grundsätze; der Hinweis auf diese stellt im Falle derKlägerin eine ausreichende Begründung dar.

981.
    Im Falle von DSM hat ein einziges Unternehmen, das rechtlich fortbesteht, dieZuwiderhandlung begangen. Weder Shell noch Enichem noch Montedison befindensich in der gleichen Lage. Daher kann die andere Behandlung, die die Kommissiondiesen drei Unternehmen bei der Bestimmung des Adressaten der Entscheidungangeblich hat zuteil werden lassen, keine Diskriminierung von DSM darstellen.

982.
    Die Klagegründe und Argumente von DSM sind daher zurückzuweisen.

983.
    In Randnummer 45 der Entscheidung hat die Kommission festgestellt: „Enichemund Montedison machen geltend, daß der Adressat einer Entscheidung die

Gesellschaft innerhalb des Konzerns sein soll, die zu der Zeit für die Thermoplast-Aktivitäten verantwortlich ist. Die Kommission stellt jedoch fest, daß sich in beidenFällen andere Konzernunternehmen die Verantwortung für den PVC-Absatzteilten. Während beispielsweise Enichem Anic SpA für den PVC-Absatz vonEnichem in Italien verantwortlich ist, leitet eine in Zürich ansässige Gesellschaft,Enichem International S.A., die internationalen Marketingaktivitäten desUnternehmens. In jedem Mitgliedstaat bestehen darüber hinaus entsprechendenationale Tochtergesellschaften von Enichem, die PVC vertreiben. Die Kommissionhält es für sachgerecht, diese Entscheidung an die Holdinggesellschaft zu richten,die an der Spitze der Konzerne Enichem und Montedison steht.“

984.
    Montedison hat bestätigt, daß sie in dem Zeitraum der Zuwiderhandlung dasgesamte Kapital an Montedipe und Montepolimeri hielt. Somit erübrigt sich diePrüfung, ob die Klägerin das geschäftliche Verhalten ihrer Tochtergesellschaftenentscheidend beeinflussen konnte (Urteil AEG/Kommission, Randnr. 50).

985.
    Die Kommission hat daher die Entscheidung zu Recht an Montedison gerichtet.

986.
    Wie Enichem einräumt, stellt der von ihr geltend gemachte Klagegrund „keinenZweck an sich dar, sondern ist die entscheidende Grundlage für die späterenAusführungen zur Höhe der Geldbuße, die offenkundig nach Maßgabe desUmsatzes der Holdinggesellschaft berechnet worden ist, der weit höher als der derProduktionsgesellschaft ist“ (Erwiderung, S. 15). Im vorliegenden Fall hat dieKommission, wozu sie berechtigt ist (namentlich Urteile des Gerichtshofes vom 15.Juli 1970, Boehringer/Kommission, Randnr. 55, und vom 8. November 1983 in denRechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZu. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 51 bis 53), vorab den Gesamtbetragder Geldbußen bestimmt, den sie dann auf die einzelnen Unternehmenentsprechend dem durchschnittlichen Marktanteil jedes Herstellers und unterBerücksichtigung der im Einzelfall vielleicht gegebenen mildernden odererschwerenden Umstände aufgeteilt hat. Daher ist unbeschadet der Anwendung desArtikels 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 über die Höchstgrenze der Geldbuße,die von der Kommission verhängt werden kann, der Umsatz derHoldinggesellschaft bei der Bemessung der gegen die Klägerin verhängtenindividuellen Geldbuße nicht berücksichtigt worden. Folglich fehlt der Klägerin dasInteresse an der Geltendmachung dieses Klagegrundes.

987.
    Wie sich aus Randnummer 45 der Entscheidung ergibt, war Enichem Anic imübrigen nur eine der Produktionsgesellschaften für PVC innerhalb der GruppeENI. Als solche kontrollierte sie Produktionsbetriebe in Italien und war für denVertrieb in Italien zuständig. Andere Konzerngesellschaften, die über die EnichemInternational SA, eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, kontrolliert wurden,waren dagegen für den Vertrieb außerhalb dieses geographischen Markteszuständig. Daher ist die Ansicht nicht haltbar, daß eine Gesellschaft wie Enichem

Anic, die nur für einen Teil des PVC-Geschäfts der Gruppe zuständig war, alleinder Adressat der Entscheidung hätte sein müssen.

988.
    Zudem ist unbestritten, daß die Klägerin nur eine Holdinggesellschaft ohneoperative Aufgaben ist. Die Klägerin hat bestätigt, daß „während des gesamtenUntersuchungszeitraums Enichem SpA [unter verschiedenen Firmennamen] stetsnur die Rolle einer Holdinggesellschaft für die staatlichen Beteiligungen an deneinzelnen Produktionsgesellschaften, die einander im PVC-Sektor abgelöst haben,gespielt hat“ (vgl. Klageschrift, S. 57).

989.
    In einem solchen Fall, in dem es eine Vielzahl operativer Gesellschaften sowohl imProduktions- als auch im Vertriebsbereich gibt, die zudem auf bestimmtegeographische Märkte verteilt sind, begeht die Kommission keinen Rechtsfehler,wenn sie ihre Entscheidung an die Holdinggesellschaft der Gruppe und nicht, wiedie Klägerin will, an eine der Produktionsgesellschaften der Gruppe richtet.

990.
    Es ist richtig, daß die Kommission in der Polypropylen-Sache die Entscheidung anEnichem Anic und nicht an die Klägerin gerichtet hat. Diese Feststellung alleinrechtfertigt jedoch nicht die Schlußfolgerung, daß die Wahl der Klägerin als derRechtsperson, an die die Entscheidung zu richten war, unbedingt falsch ist. Zumeinen steht nämlich nicht fest, daß die Gruppe ENI seinerzeit im Polypropylen-Sektor genauso organisiert war wie im PVC-Sektor. Zum anderen kann jedenfallsdie Tatsache, daß die Kommission in einer Sache die Entscheidung an einebestimmte Gesellschaft gerichtet hat, sie in anderen Sachen nicht binden.

991.
    Der Umstand, daß eine Entscheidung über die Anforderung von Auskünften anEnichem Anic gerichtet und eine Nachprüfung am Sitz dieses Unternehmensdurchgeführt worden ist, ist für die Bestimmung des Adressaten der Entscheidungnicht ausschlaggebend, da nach den Artikeln 11 und 14 der Verordnung Nr. 17 vonjedem Unternehmen Auskünfte angefordert oder dort auch Nachprüfungendurchgeführt werden können.

992.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

III — Zu den Klagegründen, die die Akteneinsicht betreffen

A — Zu den Bedingungen, unter denen die Kommission im VerwaltungsverfahrenEinsicht in ihre Akten gewährt hat

Vorbringen der Parteien

993.
    Einige Klägerinnen werfen der Kommission vor, ihnen keine Einsicht in einen Teilihrer Verfahrensakten gewährt zu haben.

994.
    Diese Klägerinnen bekräftigen in ihrer Erwiderung unter Berufung auf die Urteiledes Gerichts vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91 (Solvay/Kommission,

Slg. 1995, II-1775) und T-36/91 (ICI/Kommission) ihren in der Klageschriftvertretenen Standpunkt, daß die begrenzte Akteneinsicht ein Verstoß gegen einewesentliche Formvorschrift sei und sie in ihren Verteidigungsrechten verletzte.Allein die Möglichkeit, daß entlastende Unterlagen vorhanden seien, genügenämlich für die Feststellung einer Verletzung der Verteidigungsrechte, die vomGericht im Rahmen seiner richterlichen Kontrolle nicht mehr geheilt werden könne(Urteile vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission,Randnr. 98, und T-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 108). Daher sei dieEntscheidung für nichtig zu erklären.

995.
    Die Kommission hat in ihrer Klagebeantwortung in den einzelnen Rechtssachen aufRandnummer 27 der Entscheidung verwiesen, in der sie erläutert habe, warum sieden Anträgen der Unternehmen im Verwaltungsverfahren auf vollständigeAkteneinsicht nicht stattgegeben habe.

996.
    Unter Bekräftigung der dort angeführten Gründe macht die Kommission geltend,den Unternehmen ordnungsgemäß Einsicht in ihre Verfahrensakten gewährt zuhaben.

997.
    So gebe es nach der Rechtsprechung kein uneingeschränktes Recht auf Einsicht indiese Akten (Urteile des Gerichtshofes VBVB und VBBB/Kommission, vom 3. Juli1991 in der Rechtssache C-62/86, AKZO/Kommission, Slg. 1991, I-3359, Urteil desGerichts vom 1. April 1993 in der Rechtssache T-65/89, BPB Industries und BritishGypsum/Kommission, Slg. 1993, II-389). Soweit die Klägerinnen mit ihremKlagegrund vollständige Akteneinsicht verlangten, sei dieser nicht begründet.

998.
    Die Kommission sei nur verpflichtet, Einsicht in all diejenigen Schriftstücke zugewähren, auf die sie ihre Feststellungen gründe. Sie habe im vorliegenden Fallnicht nur dies getan, sondern sei über diese Anforderungen noch hinausgegangen,indem sie diesen Unternehmen am 3. Mai 1988 zusätzliche Unterlagen, die sie fürdie Verteidigung für hilfreich angesehen habe, übersandt habe (Entscheidung,Randnr. 27, letzter Absatz a. E.).

999.
    In einigen Rechtssachen zieht die Kommission den Grundsatz in Zweifel, den dasGericht in dem Urteil vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89 (HerculesChemicals/Kommission, Slg 1991 II-1711) aufgestellt hat und nach dem sieverpflichtet ist, die von ihr im Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik selbstfestgelegten Grundsätze zu beachten und folglich über die belastendenSchriftstücke hinaus die in ihren Verfahrensakten enthaltenen Schriftstücke — mitgewissen Einschränkungen — zu übermitteln.

1000.
    Die Klägerinnen hätten eine Bösgläubigkeit der Bediensteten der Kommission nichtdargetan.

1001.
    Wenn für die Verteidigung nützliche Unterlagen in den Akten der anderenUnternehmen vorhanden gewesen wären, hätte sich das Unternehmen, von demsie stammten, auf sie berufen.

1002.
    Zudem sei den Unternehmen erlaubt worden, auf der Grundlage einesgegenseitigen Verzichts auf die Vertraulichkeit Schriftstücke untereinanderauszutauschen, jedoch unter dem Vorbehalt, daß dieser Austausch keine sensiblenGeschäftsinformationen umfasse, deren Weitergabe eine Wettbewerbsbeschränkungdarstellen könnte (vgl. Entscheidung, Randnr. 27, dritter Absatz).

1003.
    Schließlich seien die Schriftstücke in den Verfahrensakten der Kommissionvertraulich. Da es sich um interne Geschäftspapiere der einzelnen Unternehmenhandele, sei die Kommission sowohl nach Artikel 214 EG-Vertrag als auch nachArtikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 gehalten gewesen, sie nicht zuübermitteln. Im übrigen habe die Kommission im Verwaltungsverfahren einVerzeichnis der in den Akten enthaltenen Schriftstücke vorgelegt.

1004.
    Die Unternehmen müßten zumindest die Schriftstücke angeben, die sie als für ihreVerteidigung möglicherweise nützlich ansähen.

1005.
    In ihrer Gegenerwiderung trägt die Kommission vor, daß die Urteile vom 29. Juni1995 in den Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission, und T-36/91,ICI/Kommission, bestätigten, daß ein uneingeschränktes Recht auf Akteneinsichtnicht bestehe. Insbesondere hätten die Unternehmen kein Recht auf Einsicht inSchriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse oder andere vertrauliche Informationenenthielten, oder in kommissionsinterne Schriftstücke. Somit habe die Kommissionzu Recht den Klägerinnen die Geschäftsunterlagen der einzelnen Unternehmennicht übermittelt.

1006.
    Die Unterscheidung zwischen belastenden und entlastenden Schriftstücken sei vongrundlegender Bedeutung. Während der etwaige Nichtzugang zu belastendenSchriftstücken nur zum Ausschluß der betreffenden Schriftstücke als Beweismittelführe (Urteil vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-37/91, ICI/Kommission,Randnr. 71), ziehe die Verweigerung des Zugangs zu entlastenden Schriftstückendie Rechtswidrigkeit der Entscheidung nach sich, da das Gericht die Verletzung derVerteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren nicht heilen könne (Urteil vom 29.Juni 1995 in der Rechtssache T-30/91, Solvay/Kommission, Randnr. 98).

1007.
    Um jedoch zu entscheiden, ob in den nicht übermittelten Dokumenten entlastendeSchriftstücke enthalten gewesen seien, genüge es nicht, daß eine derartigeMöglichkeit behauptet werde, sondern es sei eine Art Plausibilitätsprüfunganzustellen. Da die Umstände, die für die Urteile vom 29. Juni 1995 in denRechtssachen T-30/91 und T-36/91 maßgebend gewesen seien — die Feststellung derVerstöße habe sich auf das Parallelverhalten und nicht auf unmittelbare Beweisegestützt, und den nach Artikel 85 EG-Vertrag betroffenen Unternehmen seizusätzlich ein Mißbrauch ihrer beherrschenden Stellung vorgeworfen worden —, hier

nicht vorlägen, spreche nichts dafür, daß sich in den nicht übermittelten Unterlageneventuell entlastende Schriftstücke finden könnten.

1008.
    Die Tatsache, daß Schriftstücke im Verwaltungsverfahren nicht übermittelt wordenseien, könne somit allein nicht zur Nichtigerklärung der Entscheidung führen.

Würdigung durch das Gericht

1009.
    Montedison hat in ihrer Klageschrift keinen die Akteneinsicht betreffendenKlagegrund geltend gemacht.

1010.
    Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Kommission den Unternehmen imVerwaltungsverfahren Einsicht nur in einen Teil ihrer Verfahrensakten gewährt hat.So verfügte jede Klägerin neben den aus ihrem eigenen Unternehmen stammendenUnterlagen über sämtliche Schriftstücke, auf die die Kommission ihreFeststellungen gestützt hat, sowie über eine Reihe anderer, mit Schreiben vom 3.Mai 1988 übermittelter Schriftstücke.

1011.
    In Wettbewerbssachen soll die Akteneinsicht den Adressaten der Mitteilung derBeschwerdepunkte in die Lage versetzen, von den in den Akten der Kommissionvorhandenen Beweisstücken Kenntnis zu nehmen, um aufgrund dieser Beweisstückein zweckmäßiger Weise zu den Schlußfolgerungen Stellung nehmen zu können, zudenen die Kommission in der Mitteilung ihrer Beschwerdepunkte gelangt ist. DieAkteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechteschützen sollen. Die Wahrung dieser Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren,die zu Sanktionen führen können, einen fundamentalen Grundsatz desGemeinschaftsrechts dar, der unter allen Umständen, auch in einemVerwaltungsverfahren, beachtet werden muß. Die tatsächliche Beachtung diesesallgemeinen Grundsatzes erfordert es, dem betroffenen Unternehmen bereits imVerwaltungsverfahren Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeitder von der Kommission angeführten Tatsachen, Rügen und Umstände gebührendStellung zu nehmen (Urteile des Gerichts vom 29. Juni 1995 in den RechtssachenT-30/91, Solvay/Kommission, Randnr. 59, T-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 69,T-37/91, ICI/Kommission, Randnr. 49, und die dort zitierte Rechtsprechung).

1012.
    Im Rahmen eines nach der Verordnung Nr. 17 durchgeführten kontradiktorischenVerfahrens kann die Kommission nicht allein entscheiden, welche Schriftstücke derVerteidigung dienlich sind (Urteile vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91,Solvay/Kommission, Randnr. 81, und T-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 91).Angesichts des allgemeinen Grundsatzes der Waffengleichheit kann nichtzugelassen werden, daß die Kommission allein entscheidet, ob sie Schriftstückegegen die Klägerinnen verwendet, während diese keinen Zugang zu denSchriftstücken haben und somit die entsprechende Entscheidung, ob sie von ihnenfür ihre Verteidigung Gebrauch machen sollen, nicht treffen können (Urteile vom

29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission, Randnr. 83, undT-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 93).

1013.
    Eine eventuelle Verletzung der Verteidigungsrechte stellt einen objektivenTatbestand dar und hängt nicht von der Gut- oder Bösgläubigkeit der Beamten derKommission ab (Urteile vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91,Solvay/Kommission, Randnr. 84, und T-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 94).

1014.
    Die Verteidigung eines Unternehmens kann nicht vom guten Willen eines anderenUnternehmens abhängen, das als sein Konkurrent gilt und gegen das dieKommission gleichartige Vorwürfe erhebt. Die ordnungsgemäße Durchführungeines Wettbewerbsverfahrens ist Aufgabe der Kommission, und sie kann diese nichtden Unternehmen übertragen, deren wirtschaftliche und verfahrensrechtlicheInteressen oft entgegengesetzt sind. Infolgedessen ist es im Hinblick auf einenVerstoß gegen die Verteidigungsrechte ohne Bedeutung, daß den beschuldigtenUnternehmen ein Austausch von Unterlagen erlaubt wurde. Eine solche im übrigenzufallsbedingte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen kann die Kommissionnicht von ihrer Pflicht entbinden, im Rahmen der Aufklärung eineswettbewerbsrechtlichen Verstoßes die Einhaltung der Verteidigungsrechte derbetroffenen Unternehmen selbst zu gewährleisten (Urteile Solvay/Kommission inden Rechtssachen T-30/91, Randnrn. 85 und 86, und T-36/91, ICI/Kommission,Randnrn. 95 und 96).

1015.
    Die Akteneinsicht kann sich jedoch, wie die Kommission hervorgehoben hat, nichtauf interne Schriftstücke des Organs, auf Geschäftsgeheimnisse andererUnternehmen oder auf andere vertrauliche Informationen erstrecken (Urteil BPBIndustries und British Gypsum/Kommission, Randnr. 29).

1016.
    Nach einem allgemeinen Grundsatz, der auf das Verwaltungsverfahren Anwendungfindet und in Artikel 214 EG-Vertrag sowie in verschiedenen Bestimmungen derVerordnung Nr. 17 zum Ausdruck kommt, haben die Unternehmen ein Recht aufSchutz ihrer Geschäftsgeheimnisse. Dieses Recht muß jedoch mit derGewährleistung der Verteidigungsrechte in Einklang gebracht werden (Urteile vom29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission, Randnr. 88 undT-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 98).

1017.
    Somit kann die Kommission die völlige Verweigerung der Übermittlung derSchriftstücke in ihren Akten nicht mit dem allgemeinen Hinweis auf dieVertraulichkeit rechtfertigen. Im vorliegenden Fall behauptet sie zudem nichternsthaft, daß sämtliche Informationen in diesen Schriftstücken vertraulich seien.Daher hätte die Kommission eine nichtvertrauliche Fassung der betreffendenSchriftstücke anfertigen oder anfertigen lassen oder, wenn dies zu schwieriggewesen wäre, ein hinreichend genaues Verzeichnis der betreffenden Schriftstückeerstellen können, um das Unternehmen in die Lage zu versetzen, in Kenntnis derSachlage zu entscheiden, ob die angeführten Schriftstücke für seine Verteidigungvon Bedeutung sein könnten (Urteile vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen

T-30/91, Solvay/Kommission, Randnrn. 89 bis 95, und T-36/91, ICI/Kommission,Randnrn. 99 bis 105).

1018.
    Im vorliegenden Fall ist keine nichtvertrauliche Fassung der betreffendenSchriftstücke angefertigt worden. Zwar hat die Kommission den Klägerinnentatsächlich ein Verzeichnis der in ihren Akten enthaltenen Schriftstücke übermittelt,doch war dieses Verzeichnis für die Klägerinnen völlig wertlos. Die Kommission hatsich nämlich mit dem pauschalen Hinweis auf das Unternehmen begnügt, von demdie entsprechenden Seiten der Verfahrensakte stammten.

1019.
    Nach alledem ist festzustellen, daß die Kommission den Unternehmen imVerwaltungsverfahren der vorliegenden Rechtssache keine ordnungsgemäßeAkteneinsicht gewährt hat.

1020.
    Dieser Umstand kann jedoch allein nicht zur Nichtigerklärung der Entscheidungführen.

1021.
    Ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, ist vielmehr anhand derUmstände jedes einzelnen Falles zu prüfen, da dies im wesentlichen von denVorwürfen abhängt, die die Kommission bei der Feststellung einer den betroffenenUnternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlung erhoben hat. Somit ist zu prüfen,ob die Verteidigungsmöglichkeiten der Klägerinnen durch die Bedingungenbeeinträchtigt worden sind, unter denen sie Einsicht in die Verfahrensakte derKommission erhalten haben. Für die Feststellung einer Verletzung derVerteidigungsrechte genügt der Nachweis, daß die Nichtübermittlung derbetreffenden Schriftstücke den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidungzuungunsten der Klägerin hat beeinflussen können (Urteile vom 29. Juni 1995 inden Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission, Randnrn. 60 und 68, und T-36/91,ICI/Kommission, Randnrn. 70 und 78; vgl. auch für staatliche Beihilfen Urteil vom11. November 1987, Frankreich/Kommission, Randnr. 13).

1022.
    Wäre dies der Fall, wäre das Verwaltungsverfahren rechtswidrig und dieEntscheidung müßte für nichtig erklärt werden. Die Verletzung derVerteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren kann nämlich im gerichtlichenVerfahren nicht mehr geheilt werden, das sich auf eine richterliche Kontrollebeschränkt, die nur im Rahmen der geltend gemachten Angriffs- undVerteidigungsmittel erfolgt, und das daher eine vollständige Aufklärung des Fallesim Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nicht ersetzen kann. Wenn dieKlägerinnen im Verwaltungsverfahren sich auf möglicherweise entlastendeSchriftstücke hätten berufen können, hätten sie nämlich eventuell dieFeststellungen des Kollegiums der Kommissionsmitglieder beeinflussen können(Urteile vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission,Randnr. 98, und T-36/91, ICI/Kommission, Randnr. 108).

1023.
    Mit Schreiben vom 7. Mai 1997 hat das Gericht im Rahmen prozeßleitenderMaßnahmen und vorbehaltlich der Würdigung der von den Klägerinnenangeführten Angriffsmittel entschieden, jeder Klägerin Zugang zu den Akten derKommission mit Ausnahme der kommissionsinternen Schriftstücke und derSchriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse oder andere vertrauliche Angabenenthalten, zu gewähren. Es hat die Parteien aufgefordert, jede vertraulicheInformation anzugeben, die in den Akten verbleiben kann. Schließlich ist denKlägerinnen Gelegenheit gegeben worden, bis zum 31. Juli 1997 in einer genauen,begründeten und möglichst kurzen Stellungnahme darzutun, inwiefern sie ihreVerteidigung durch die Nichtübermittlung dieser Schriftstücke beeinträchtigt sehen.Die Klägerinnen sollten eine Kopie der Schriftstücke vorlegen, auf die sie sichbeziehen.

1024.
    Keine der Klägerinnen hat wegen der Vertraulichkeit Bedenken geäußert.

1025.
    Um der Kommission die erforderliche Zeit zu geben, sich bei Drittunternehmenzu vergewissern, daß die von diesen stammenden Schriftstücke nicht vertraulichwaren, und unter Berücksichtigung des auf zwingende persönliche Gründegestützten Antrags des Prozeßbevollmächtigten von BASF hat das Gericht die Fristvom 31. August 1997, die es den Klägerinnen für die Abgabe ihrer Stellungnahmenzu den von ihnen eingesehenen Schriftstücken gesetzt hatte, bis zum 22. September1997 verlängert.

1026.
    Wie bereits festgestellt, haben nur Wacker und Hoechst auf die Aufforderung desGerichts nicht geantwortet und somit keine Stellungnahme bei der Kanzlei desGerichts eingereicht. In der Sitzung hat der Prozeßbevollmächtigte dieser beidenKlägerinnen angegeben, daß zwingende Gründe persönlicher Art ihn darangehindert hätten, Einsicht in die Akten der Kommission zu nehmen und eineStellungnahme abzugeben. Beim Gericht ist jedoch ein entsprechender Antrag aufFristverlängerung nicht eingegangen, und Wacker und Hoechst haben keineStellungnahme eingereicht. Unter diesen Umständen haben diese beidenKlägerinnen nicht nachweisen können, daß die Nichtübermittlung vonSchriftstücken im Verwaltungsverfahren ihre Verteidigungsrechte verletzt hat.

1027.
    Die Kommission hat ihre Stellungnahme am 12. Dezember 1997 eingereicht.

1028.
    Montedison hatte, wie bereits festgestellt, keinen die Einsicht in dieVerfahrensakten betreffenden Klagegrund geltend gemacht. Daher ist die vondieser Klägerin eingereichte Stellungnahme nicht zu berücksichtigen.

1029.
    Unter diesen Umständen ist zu prüfen, welche Bedeutung den Stellungnahmenzukommt, die die neun anderen Klägerinnen auf die vom Gericht verfügteprozeßleitende Maßnahme hin eingereicht haben.

B — Zu den im Rahmen der prozeßleitenden Maßnahme eingereichten Stellungnahmen

Vorbringen der Parteien

1030.
    Die neun Klägerinnen, deren Stellungnahmen zulässig sind, haben eine Reihe vonSchriftstücken vorgelegt, deren Nichtmitteilung nach ihrer Ansicht ihreVerteidigungsrechte möglicherweise verletzt hat.

1031.
    Einige Klägerinnen machen geltend, daß die Kommission ihnen imVerwaltungsverfahren nicht nur Einsicht in die Akten verweigert habe, sonderndarüber hinaus einige Stellen in den von ihr übermittelten Schriftstücken vorsätzlichgeschwärzt habe. Diese Stellen enthielten Bemerkungen, die die Auffassung derKlägerinnen hätten stützen können.

1032.
    Einige Klägerinnen machen ebenfalls geltend, daß wegen der Länge desverstrichenen Zeitraums eine sachgerechte Prüfung der eingesehenen Schriftstückenicht mehr möglich gewesen sei.

1033.
    Andere tragen vor, daß die von ihnen angeführten Schriftstücke bereits hinreichendbewiesen, inwiefern ihre Verteidigungsrechte möglicherweise verletzt worden seien,daß aber auch andere Schriftstücke zur Stützung dieser Feststellung hättenvorgelegt werden können.

1034.
    DSM und LVM haben zudem beantragt, die Vorlage der Berichte über dieNachprüfungen anzuordnen, die die Kommission am Sitz der Unternehmendurchgeführt hat.

Würdigung durch das Gericht

1035.
    Vorab ist darauf hinzuweisen, daß mit dieser Prüfung festgestellt werden soll, obdie Nichtübermittlung von Schriftstücken oder Auszügen daraus dieVerteidigungsmöglichkeiten der Klägerinnen hat beeinträchtigen können. DieTatsache, daß nunmehr offen gelegte Stellen in den Schriftstücken ursprünglich imVerwaltungsverfahren von der Kommission geschwärzt waren, ändert nichts amUmfang der Prüfung durch das Gericht. Eine eventuelle Verletzung derVerteidigungsrechte ist ein objektiver Tatbestand, der nicht von der Gut- oderBösgläubigkeit der Beamten der Kommission abhängt.

1036.
    Die Klägerinnen haben über eine Frist von fast drei Monaten verfügt, um Einsichtin die Akten der Kommission zu nehmen und ihre Stellungnahme abzugeben. Dadie Unternehmen, die eine unzureichende Einsicht in die Verfahrensakten gerügthaben, dartun müssen, inwiefern ihre Verteidigungsrechte beeinträchtigt wordensind, und da sie hierfür hinreichend Zeit gehabt haben, sind nur die von ihnenvorgelegten Schriftstücke zu berücksichtigen. Die Klägerinnen können sich nicht mitErfolg auf den Hinweis beschränken, daß die Zahl der von ihnen in ihrerStellungnahme angegebenen und auch beigefügten Schriftstücke nicht abschließendsei.

1037.
    Schließlich hat die vorzunehmende Prüfung im Hinblick auf die Feststellungen, diedie Kommission in ihrer Entscheidung getroffen hat, objektiven Charakter. DasAlter der fraglichen Schriftstücke kann daher für die Ermittlung einer eventuellenVerletzung der Verteidigungsrechte kein Hindernis sein.

1038.
    Im vorliegenden Fall sind die Stellungnahmen der Klägerinnen zusammen zuuntersuchen.

1039.
    Erstens können sich die Klägerinnen nicht auf Schriftstücke oder Auszüge darausberufen, über die sie schon im Verwaltungsverfahren verfügten. Dies giltinsbesondere für die Schriftstücke in der Anlage zur Mitteilung derBeschwerdepunkte oder zum Schreiben der Kommission vom 3. Mai 1988. Zweckder vom Gericht verfügten prozeßleitenden Maßnahme war nämlich die Prüfung,ob Schriftstücke, die den Klägerinnen im Verwaltungsverfahren nicht übermitteltworden sind, die Feststellungen der Kommission, wenn sie denn übermittelt wordenwären, hätten beeinflussen können. Dieser Vorbehalt gilt jedoch nicht für diebereits übermittelten Schriftstücke, soweit die Klägerinnen sich auf Stellen berufen,die geheimgehalten worden waren. Somit sind auszuschließen die Anlagen 9, 10,11, 15, 21 und 23 zur Stellungnahme von DSM und LVM, 4 und 6 zu der von ElfAtochem, 134 zu der von BASF, 10 zu der von SAV, 13 zu der von ICI, 12, 15 und26 zu der von Hüls sowie 9, 26 und 28 zu der von Enichem.

1040.
    Zweitens müssen für die vorliegende Prüfung auch die von den Klägerinnen geltendgemachten Schriftstücke und Auszüge daraus unberücksichtigt bleiben, die einenZeitraum betreffen, der vor dem Beginn des Kartells oder nach dem Zeitpunkt derBeendigung der Zuwiderhandlung liegt, den die Kommission für die Bemessung derGeldbuße zugrunde gelegt hat. Dabei ist nicht das Datum des Schriftstücksmaßgeblich, sondern die Bedeutung der von den Klägerinnen angeführten Stellefür den Zeitraum der Zuwiderhandlung. Somit müssen unberücksichtigt bleiben dieAnlagen 8, 16 bis 18 und 23 bis 29 zur Stellungnahme von DSM und LVM, 2 und3 zu der von Elf Atochem, 132 bis 138, 141 und 142 zu der von BASF, 1, 2, 6 bis9 und 11 zu der von SAV, 18, 25, 27 und 34 zu der von Hüls sowie 1, 11, 15, 26,32 (4), 40, 45, 54 (2) und (3) zu der von Enichem.

1041.
    Drittens haben einige der von den Klägerinnen angeführten Schriftstücke keinenBezug zu den von der Kommission erhobenen Vorwürfen. Die Nichtübermittlungdieser Schriftstücke kann daher die Verteidigungsmöglichkeiten der Unternehmennicht beeinflußt haben. Dies gilt für die Unterlagen, die die Drittlandsmärkte (vgl.Entscheidung, Randnr. 39, Fußnote 1) oder die Verkäufe von Nebenproduktenbetreffen (namentlich Anlagen 7 zu der Stellungnahme von Elf Atochem sowie 3und 4 zu der von SAV).

1042.
    Die Klägerinnen führen auch einige Schriftstücke an, in denen auf mündlich erteiltePreisanweisungen verwiesen wird. Dies widerlege die Behauptung der Kommission,gerade die Tatsache, daß bei mehreren Herstellern schriftliche Anweisungenfehlten, beweise, daß diese „etwas“ zu verbergen hätten. Zwar hat die Kommission

tatsächlich festgestellt, daß bei einigen Unternehmen keine Preisunterlagenvorhanden waren, und bezweifelt, daß kein Preisziel schriftlich festgesetzt werdenkonnte, doch hat sie daraus nicht den Schluß gezogen, daß das Fehlen solcherAnweisungen die Beteiligung dieser Unternehmen an den Preisinitiativen beweist(vgl. Entscheidung, Randnr. 20). Die von den Klägerinnen in diesemZusammenhang angeführten Schriftstücke sind somit nicht erheblich. Im übrigengeben die Klägerinnen diese Schriftstücke nur unvollständig wieder, da dortausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß die mündlichen Anweisungen durch dieÜbersendung schriftlicher Listen ergänzt würden (insbesondere Anlagen 30 zu derStellungnahme von DSM und LVM und 41 zu der von Enichem).

1043.
    Somit sind die übrigen von den Klägerinnen vorgelegten Schriftstücke zu prüfen.

1044.
    Allgemein weisen einige Klägerinnen darauf hin, daß die von ihnen vorgelegtenSchriftstücke keinen Hinweis auf eine Vereinbarung oder abgestimmteVerhaltensweise zwischen den Unternehmen enthielten (Anlagen 19 und 31 zu derStellungnahme von DSM und LVM und 135 zu der von BASF). Daß Schriftstückekeinen solchen Hinweis enthalten, kann jedoch an den Schlußfolgerungen derKommission, die auf schriftliche Beweise gestützt sind, nichts ändern. Dies giltinsbesondere für Pressekomminiqués oder Schreiben eines Herstellers an seineKunden zur Ankündigung einer Preiserhöhung. In solchen Schriftstücken istnämlich ein Hinweis, daß diese Erhöhung in Absprache mit anderen Herstellernerfolgt, nicht zu erwarten.

1045.
    Die Klägerinnen beziehen sich weiterhin auf drei interne Schriftstücke von Shellvom 12. Juli 1982, 19. April 1983 und 4. November 1983, die mit „business plans“überschrieben sind und die Zeiträume 1982/86, 1983/87 und 1984/87 erfassen(Anlagen 1 bis 3 zu der Stellungnahme von DSM und LVM sowie 1 und 2 zu dervon ICI). Unabhängig davon, daß diese Schriftstücke zur Zeit desVerwaltungsverfahrens vertraulich waren, kann die Tatsache, daß in diesenSchriftstücken von einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag nicht dieRede ist, die von der Kommission vorgelegten schriftlichen Beweise nichterschüttern. Diese Schriftstücke betreffen ihrem Wesen nach Marktprognosen fürdie Zukunft. Die Hinweise auf einen zu erwartenden „Konkurrenzdruck“ oder dieAnnahme („underlying assumption“) einer ganz auf Wettbewerb ausgerichtetenPreispolitik können die Schlußfolgerungen der Kommission nicht beeinträchtigen,die sich auf spätere Unterlagen stützen, die aus der Zeit der beanstandetenHandlungen stammen und für 1983 und 1984 Preisinitiativen belegen, an denenu. a. Shell teilgenommen hat.

1046.
    Einige Klägerinnen verweisen darauf, daß einige Schriftstücke die durchÜberkapazität gekennzeichnete Marktlage, die den Herstellern imentscheidungserheblichen Zeitraum entstandenen Verluste und dieUmstrukturierung einiger Unternehmen veranschaulichten (z. B. Anlagen 139 zuder Stellungnahme von BASF und 13 zu der von Hüls).

1047.
    Die Kommission hat jedoch der Lage des Marktes und der Unternehmen in vollemUmfang Rechnung getragen (Entscheidung, Randnrn. 5 und 36), auch bei derBemessung der Geldbuße (Entscheidung, Randnr. 52, zweiter Absatz). Wie bereitsfestgestellt, sind diese Umstände als solche nicht geeignet, die Anwendung desArtikels 85 EG-Vertrag auszuschließen (vgl. vorstehend, Randnr. 740).

1048.
    LVM und DSM berufen sich auf ein handschriftliches Dokument von 1983, das dieAbschrift der handschriftlichen Anmerkungen auf den Planungsdokumentenenthalte (Anlage 6 zu ihrer Stellungnahme). Sie führen aber nicht näher aus,inwiefern diese Anmerkungen, die den Klägerinnen bei der Anhörung vor derKommission im September 1988 übergeben wurden (vgl. vorstehend, Randnrn. 503bis 505), den Sinn der Planungsdokumente verändern.

1049.
    Die Klägerinnen berufen sich sodann auf Schriftstücke, die den von derKommission zur Stützung ihrer Feststellungen vorgelegten Schriftstückenunmittelbar die Beweiskraft nähmen.

1050.
    So sei einigen Schriftstücken zu entnehmen, daß der Begriff „Ausgleich“ nicht denSinn habe, den die Kommission ihm in der Entscheidung beimesse (namentlichAnlage 5 zu der Stellungnahme von Elf Atochem und 11 zu der von ICI). DieVerwendung desselben Begriffes in offenkundig anderen Zusammenhängen kannjedoch die Feststellungen der Kommission nicht erschüttern. Das Vorliegen einerAusgleichsregelung, wie sie die Kommission in der Entscheidung angeführt hat,ergibt sich ausdrücklich aus dem Schriftstück „sharing the pain“ und dem Alcudia-Dokument (vgl. vorstehend, Randnrn. 588 bis 593). Es ergibt sich auch aus demDSM-Dokument und aus dem Vergleich dieses Dokuments mit den beidenvorangegangenen (vgl. vorstehend, Randnrn. 594 bis 598).

1051.
    Elf Atochem verweist auf ein Schriftstück, das die Entwicklung der Marktanteilevon Shell 1981 zeige, die mit einem Ausgleichssystem der Hersteller nicht vereinbarsei (Anlage 1 zu der Stellungnahme der Klägerin). Aus der Entscheidung ergibt sichjedoch, daß Shell gerade der einzige Hersteller gewesen ist, der nicht an dieserRegelung teilgenommen hat, und daß die Kommission eine Beteiligung von Shellan der Zuwiderhandlung erst von 1982 an angenommen hat.

1052.
    DSM, LVM und Enichem berufen sich auch auf Tabellen in der Anlage zu derAntwort von ICI auf ein Auskunftsverlangen (Anlagen 37 zu der Stellungnahmevon DSM und LVM sowie 37 bis 39 zu der von Enichem). Zwar sei diese Antwortvom 5. Juni 1984 als Anlage 4 der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügtgewesen, jedoch ohne die betreffenden Tabellen, die die internen Zielpreise vonICI von September 1980 bis Dezember 1983 für den jeweiligen nationalen Marktenthielten. Diese Tabellen zeigten andere Zielpreise, als sie die Kommission inihrer Entscheidung ermittelt habe. Die Unterschiede zwischen diesen Preisensprächen gegen eine Absprache der Preisinitiativen.

1053.
    Diese Tabellen waren jedoch für das Verfahren zur Feststellung derZuwiderhandlung erstellt worden. Die Behauptung von ICI, daß es sich umunternehmensinterne Preisinitiativen handele, kann daher die Feststellungen derKommission bezüglich der von ihr vorgelegten Schriftstücke nicht beeinträchtigen.Unabhängig von der Frage der Wechselkurse, die Enichem für die Umrechnungder von ICI mitgeteilten Preisziele, die in nationaler Währung ausgedrückt waren,in Deutsche Mark, die Währung, in der die Preisinitiativen in den Tabellen in derAnlage zur Entscheidung ausgedrückt sind, zugrunde gelegt hat, ist festzustellen,daß die Klägerinnen die Anmerkungen und Vorbehalte von ICI selbst zu diesenTabellen außer acht lassen. So hat ICI erklärt, daß es sich um die Preise handele,die für „zweitrangige“ Kunden gegolten hätten, und daß das Fehlen einesHinweises auf eine Preisinitiative für einen bestimmten Monat nicht bedeute, daßes eine solche nicht gegeben habe, sondern daß hierüber keine schriftlichenAufzeichnungen vorlägen. Tatsächlich enthalten diese Tabellen keinen Hinweis aufPreisinitiativen, die sich aber ausdrücklich aus Unterlagen dieses Unternehmensergeben, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte als Anlage beigefügt waren. Dievon Enichem angeführten Unterschiede beruhen darauf, daß ICI die Preise für die„zweitrangigen“ Kunden angegeben hat, bestehen aber nicht mehr, wenn man diePreise für die Hauptkunden berücksichtigt, wie sie in den Anlagen zur Mitteilungder Beschwerdepunkte angegeben sind.

1054.
    Hüls führt ein Schreiben von ICI vom 7. März 1983 an, das die Auslegung derAnlage P45 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 6. April 1983 über die inzwei Phasen, zum 1. April und zum 1. Mai 1983, erfolgte Preisinitiative in Fragestelle (Anlage 11 zur Stellungnahme von Hüls). Dieses Schreiben zeige nämlich,daß ICI ihre Preise individuell entsprechend der Nachfrage auf dem Markt selbstauf die Gefahr des Verlustes von Kunden festgesetzt habe.

1055.
    Die streitige gemeinsame Initiative wird durch mehrere Schriftstücke (u. a. dieAnlagen 42 und P42 bis P53 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) und nicht nurdurch die Anlage P45 belegt. Die Kommission hat bewiesen, daß am 2. März 1983eine Herstellersitzung in Paris stattgefunden hat, auf der sowohl die Absatzmengenals auch die Höhe der Preise erörtert wurden. Im übrigen hat Hüls auch einFernschreiben von ICI vom 4. März 1983 (Anlage 10 zur Stellungnahme dieserKlägerin) vorgelegt, aus dem sich ergibt, daß ICI ein energisches Vorgehen zurAnhebung der Preise auf 1,50 DM/kg zum 1. April beschlossen hatte. Zwei Tagenach der Sitzung in Paris hatte ICI also eine Preisanhebung beschlossen, derenZeitpunkt und Höhe mit der von der Kommission in der Entscheidungfestgestellten Initiative übereinstimmten. Schließlich bezieht sich ein anderesFernschreiben von ICI von Anfang März 1983 (Anlage 19 zur Stellungnahme vonHüls) nicht nur auf die Preisinitiative vom 1. April 1983, sondern auch auf die vom1. Mai 1983 zur Anhebung der Preise auf mindestens 1,65 DM/kg. Dies ist auch imZusammenhang mit der Anlage P43 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte zusehen, die zwar kein Datum trägt, ihrem Inhalt nach aber vor Montag, dem 7. März1983, verfaßt worden sein muß. In diesem Schriftstück wird bereits der Beschluß

einer Anhebung der Preise zum 1. April und 1. Mai 1983 unter Angabe derZielpreise angeführt.

1056.
    Unter diesen Umständen stellt das Schreiben von ICI vom 7. März 1983, das vondem Vertreter von ICI auf den Herstellersitzungen unterzeichnet ist, nicht nur dieFeststellungen der Kommission nicht in Frage, sondern bestätigt sie vielmehr.Wenn sich der Verfasser angesichts des Scheiterns der vorangegangenen Initiativevom 1. Januar 1983, die ebenfalls von der Kommission in der Entscheidungangeführt worden ist, fragt, ob diese neue Initiative Erfolg haben werde, sprichtdies nicht gegen die Tatsache, daß sie das Ergebnis einer Abstimmung derHersteller fünf Tage früher in Paris war.

1057.
    DSM, LVM (Anlage 30 zu ihrer Stellungnahme) und Hüls (Anlage 20 zu ihrerStellungnahme) führen auch ein Schriftstück von ICI vom 19. April 1983 an, dasbelege, daß ICI von der Preisinitiative erst aufgrund von Informationen erfahrenhabe, die sie auf dem Markt erlangt habe. Die Klägerinnen lassen aber dieTatsache außer acht, daß ICI schon in den ersten Tagen des März, d. h.unmittelbar nach der Herstellersitzung vom 2. März 1983 in Paris, über denZeitpunkt und die Höhe der Preisinitiative vom 1. Mai 1983 unterrichtet war (vgl.vorstehend, Randnr. 1055). Das Schriftstück vom 19. April 1983 verweist im übrigenselbst auf ein früheres Schreiben vom 10. März 1983.

1058.
    Enichem legt zudem eine Reihe von Schriftstücken vor, die die Feststellung derKommission in Frage stellten, daß die Initiativen in Deutscher Mark festgesetzt undanschließend in die nationale Währung umgerechnet worden seien. Dieser Streithat jedoch keine Bedeutung. Zum einen ergibt sich aus den Anlagen P1 bis P70,daß die europäischen Zielpreise tatsächlich in Deutscher Mark vereinbart wurden.Die Klägerin hat sich im übrigen selbst auf Auszüge zahlreicher Schriftstückebezogen, die diesen Sachverhalt bestätigen (z. B. Anlagen 2 und 36 zu ihrerStellungnahme). Zum anderen ist offenkundig, daß diese Preise zu ihrerDurchsetzung in die nationale Währung umgerechnet werden mußten. Schließlichhat die Kommission niemals behauptet, daß die Preisinitiativen die völligeÜbereinstimmung der auf den nationalen Märkten tatsächlich angewandten Preisegewährleistet hätten.

1059.
    Einige Schriftstücke sollen belegen, daß die Unternehmen von ihren Kunden oderder Fachpresse über die Preisinitiativen der anderen Hersteller unterrichtet wordenseien (Anlagen 31 und 33 zu der Stellungnahme von DSM und LVM, 140 zu dervon BASF, 9 und 33 zu der von Hüls, 3 bis 6 und 10 bis 12 zu der von Enichem).Diese Unterlagen lassen jedoch nicht den Schluß zu, daß die Unternehmen nurüber diese Kanäle von einer Preisinitiative erfahren haben. Dagegen ist mit ihnendie Auffassung vereinbar, daß die Klägerinnen bei den Kunden oder über dieFachpresse zu überprüfen versuchten, ob die Konkurrenten eine Preiserhöhungtatsächlich angekündigt und zum vorgesehenen Zeitpunkt durchgeführt hatten —was sich auch aus Schriftstücken ergibt, die bereits in den Anlagen P1 bis P70übermittelt wurden. Da diese Initiativen oft nicht in dem verlangten Umfang

befolgt wurden, erlaubte diese Information vor allem jedem Unternehmen, sichüber die Folgen einer Initiative zu vergewissern und seine Politik je nach demErfolg oder dem völligen oder teilweisen Mißerfolg einer Initiative anzupassen.

1060.
    Die anderen von den Klägerinnen angeführten Schriftstücke sollen beweisen, daßin der Zeit der Zuwiderhandlung auf dem PVC-Markt ein lebhafter Wettbewerbgeherrscht habe, was in völligem Gegensatz zu den Folgerungen der Kommissionstehe. Die Klägerinnen beziehen sich insbesondere auf Schriftstücke, die„aggressive“ Konkurrenten anführen oder auf für eine Preiserhöhung günstige oderungünstige wirtschaftliche Bedingungen hinweisen, was nach Ansicht derUnternehmen bedeutet, daß die Initiativen nicht abgesprochen, sondern einseitigentsprechend der Marktlage beschlossen worden seien.

1061.
    Diese Unterlagen sollen nicht unmittelbar die von der Kommission zur Stützungihrer Schlußfolgerungen vorgelegten Schriftstücke widerlegen, sondern einenlebhaften Wettbewerb beweisen, der im Gegensatz zu diesen Folgerungen steht.

1062.
    Wie sich jedoch aus der Entscheidung ergibt, sind diese Umstände in vollemUmfang berücksichtigt worden. So behauptet die Kommission nicht, daß die Preisein dem Zeitraum der Zuwiderhandlung ständig gestiegen oder auch nur stabilgeblieben seien. Die Tabellen in der Anlage zu der Entscheidung zeigen vielmehr,daß die Preise ständig geschwankt und ihren Tiefststand im ersten Quartal 1982erreicht haben. Die Kommission hat somit ausdrücklich anerkannt, daß diePreisinitiativen einen gemischten Erfolg hatten und gelegentlich als gescheitertangesehen wurden (Entscheidung, Randnrn. 22 und 36 bis 38). Sie hat auch einigeGründe hierfür genannt: Neben den nicht von den Herstellern beeinflußtenFaktoren (vorgezogene Käufe der Verbraucher, Einfuhren aus Drittländern,Rückgang der Nachfrage insbesondere 1981 und 1982, Sonderrabatte) hat dieKommission darauf hingewiesen, daß einige Hersteller gelegentlich ihremAuftragsvolumen den Vorrang vor den Preisen eingeräumt haben (Entscheidung,Randnrn. 22 und 38) und daß es angesichts der Besonderheiten des Marktesaussichtslos gewesen wäre, konzertierte Preisinitiativen zu vereinbaren, wenn dieBedingungen für einen Preisanstieg ungünstig gewesen wären (Entscheidung,Randnr. 38). Die Kommission hat zudem das „aggressive“ Verhalten einigerUnternehmen nicht außer acht gelassen (Entscheidung, Randnr. 22). Ebenso hatsie festgestellt, daß das Schriftstück „sharing the pain“ sowie die Dokumente vonAlcudia und DSM zwar eine Ausgleichsregelung der Hersteller belegten, aber auchdie Schlußfolgerung erlaubten, daß diese Regelungen nicht richtig funktionierthätten (Entscheidung, Randnr. 11). Die Kommission hat die Höhe der gegen dieKlägerinnen verhängten Geldbußen aufgrund all dieser Erwägungen festgesetzt.

1063.
    Sowohl die Anlagen P1 bis P70 als auch die von der Kommission den Parteien imMai 1988 übermittelten Unterlagen lieferten bereits eine Fülle von Informationen,auf deren Grundlage die Klägerinnen, wie sie es im übrigen auch getan haben, dieUmstände geltend machen konnten, auf die sie sich heute berufen.

1064.
    Beschränkt man sich bei einigen der vorgelegten Schriftstücke nicht auf die von denKlägerinnen angeführten Stellen, sondern liest sie als Ganzes oder in Verbindungmit anderen Anlagen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, so bestätigen dieseSchriftstücke sogar die Schlußfolgerungen der Kommission.

1065.
    So unterstützten Konkurrenten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als aggressivbezeichnet wurden, im Gegensatz dazu eine frühere oder folgende Preisinitiative.ICI beruft sich z. B. auf ein Schriftstück von Shell vom Juli 1982, in dem sie alsvoraussichtlich aggressiver Wettbewerber beschrieben wird (Anlage 4 zurStellungnahme); die Anlage P37 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, die von ICIstammt, bezeugt jedoch deren starke Unterstützung für die Preisinitiative vonSeptember 1982. Gleiches ist festzustellen, wenn man die Anlage 12 derStellungnahme von ICI mit den Anlagen P38 und P40 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte vergleicht. Die gleiche Schlußfolgerung ergibt sich auch fürDSM namentlich aus den Anlagen P5, P13, P28 und P41 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte.

1066.
    In einem internen Vermerk von Wacker vom 7. Juni 1982 (Anlagen 7 zu derStellungnahme von Shell, 5 zu der von SAV und 14 zu der von ICI) heißt es nachdem Hinweis auf den katastrophalen Preisverfall an einer Stelle, auf die sich dieKlägerinnen beziehen: „Starke Marktanteilgewinne [in Deutschland für denZeitraum Januar bis Mai 1982]: Shell und Enoxy; mittlere Marktanteilgewinne:DSM, SAV, PCUK; überdurchschnittliche Verluste neben Wacker — Hoechst,Orgavyl und CWH sowie BASF.“ In der folgenden Zeile fährt der Verfasser jedochfort: „Seit Mai sind Bestrebungen im Gange, die Preise für homopolymeres PVCzu sanieren.“ Diese angeblich individuellen Bestrebungen auf einem vomWettbewerb geprägten Markt bestanden in der Festlegung eines Zielpreises für den1. Mai 1982, der um 35 % über dem Marktpreis lag, und eines neuen Zielpreisesfür den 1. Juni 1982, der um mehr als 10 % über dem vorangegangenen Zielpreislag (d. h. Preise von 1,35 DM/kg bzw. 1,50 DM/kg, die den Zielpreisenentsprechen, die die Kommission zu dem jeweiligen Zeitpunkt ermittelt hat). Diesist im Zusammenhang mit der ebenfalls von Wacker stammenden Anlage P25 zurMitteilung der Beschwerdepunkte zu sehen, in der der Verfasser trotz diesererheblichen Erhöhung in der von den Klägerinnen beschriebenenWettbewerbssituation bemerkt: „Dadurch dürften die Lieferungen im Mai gut ...sein.“ Ebenso heißt es in der Anlage P23 zur Mitteilung der Beschwerdepunktenach der Feststellung, daß die Preise im April auf 1 DM/kg gesunken seien: „[D]erPreisrutsch ist Ende des Monats aufgrund der Ankündigung einer allgemeinenErhöhung der europäischen Preise auf 1,35 DM/kg zum 1. Mai zum Stehengekommen.“ Sowohl aufgrund des Vermerks von Wacker vom 3. März 1982, dendie Kommission den Parteien am 3. Mai 1988 übermittelt hatte, als auch aufgrundder Anlage P25 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte hätte das gleiche Argumentgeltend gemacht werden können, das die Klägerinnen aufgrund des Vermerks vonWacker vom 7. Juni 1982 angeführt haben.

1067.
    Ebenso enthält ein Vermerk von Solvay vom 22. März 1983 (Anlage 43 zurStellungnahme von Enichem) nach dem Hinweis auf die besorgniserregendePreissituation und die Aggressivität einiger Hersteller folgenden Kommentar:„Heute stehen wir wieder einmal kurz vor dem Versuch einer Preiserhöhung.“ Indiesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß die Kommission aufgrund vonSchriftstücken, die von anderen Unternehmen stammen, eine Initiative festgestellthat, die am 1. April 1983 erfolgt ist. Das genannte Schriftstück erwähnt darüberhinaus die Preisinitiativen von Mai, Juni und September 1982, die alle drei von derKommission in der Entscheidung angeführt worden sind.

1068.
    Schließlich verweisen sehr viele von den Klägerinnen vorgelegte Schriftstückeausdrücklich auf „Preisinitiativen“, deren Zeitpunkt und Höhe genau mit denenübereinstimmen, die die Kommission in der Entscheidung angeführt hat.

1069.
    Shell beruft sich auch auf Unterlagen von ICI, die bestätigten, was sie stets geltendgemacht habe, nämlich daß sie als Dienstleistungsgesellschaft nicht in der Lagegewesen sei, den Vertriebsgesellschaften der Gruppe in den verschiedenenMitgliedstaaten irgendein Verhalten vorzuschreiben (Anlagen 2 und 3 zu derStellungnahme von Shell). Darauf hat die Kommission in der Entscheidung jedochausdrücklich hingewiesen (Randnr. 46), auch wenn sie trotzdem die Meinungvertreten hat, daß die Entscheidung vor allem deshalb an die Klägerin zu richtensei, weil diese die Einheit gewesen sei, die mit dem Kartell in Verbindunggestanden habe. In einem dieser Schriftstücke (Anlage 3 zu der Stellungnahme vonShell), einem Bericht über die Sitzung von ICI und Shell, hat letztere angegeben,„welchen Weg ICI innerhalb von Shell gehen muß“, um eine Koordinierunginnerhalb der Gruppe zu erreichen.

1070.
    Speziell zu den Herstellersitzungen und der Regelung zur Überwachung derVerkäufe sind keine Unterlagen vorgelegt worden.

1071.
    Die Berichte über die am Sitz der Unternehmen durchgeführten Nachprüfungen,deren Vorlage einige Klägerinnen beantragt haben, sind kommissionsinterneSchriftstücke. Als solche sind sie den Klägerinnen nicht zugänglich (vgl. vorstehend,Randnr. 1015). Die Tatsache, daß zwei Berichte trotzdem übermittelt worden sind,kann hieran nichts ändern.

1072.
    Diese beiden Berichte müssen ungeachtet ihres Inhalts unberücksichtigt bleiben, dasie zu Recht bei der Akteneinsicht nicht vorgelegt worden wären, wenn diese 1988stattgefunden hätte. Im übrigen sind diese Schriftstücke, die am nächsten Tag odereinige Tage später nach der am 20. und 21. Januar 1987 in den Geschäftsräumenvon BASF durchgeführten Nachprüfung verfaßt wurden und aus denen sich ergibt,daß keine Indizien für eine abgestimmte Verhaltensweise gefunden werdenkonnten, nicht geeignet, den Beweiswert der Unterlagen zu erschüttern, die dieKommission zur Stützung ihrer endgültigen Schlußfolgerungen zusammengetragenhat.

1073.
    Hüls und Enichem haben darauf hingewiesen, daß neben den kommissionsinternenSchriftstücken und Schriftstücken, auf deren vertrauliche Behandlung dasUnternehmen, von dem sie stammten, nicht verzichtet habe, einige Seiten derAkten den Klägerinnen nicht mitgeteilt worden seien; sie haben jedoch keinenförmlichen Antrag auf Vorlage dieser Schriftstücke gestellt. Dabei handelt es sichum ein Auskunftsverlangen, das im Untersuchungsverfahren an die Kemanordgestellt wurde; ein solches Verlangen kann seinem Wesen nach keine für dieVerteidigung der Klägerinnen nützlichen Hinweise enthalten. Die anderenUnterlagen bestehen in Anschreiben oder Deckblättern von Fernkopien, dieDrittunternehmen an die Kommission oder umgekehrt gesandt haben. Wie dieKommission ausgeführt hat, stand es ihr nicht zu, diese Unterlagen herauszugeben,da die betreffenden Unternehmen auf die vertrauliche Behandlung nicht verzichtethatten. Im übrigen spricht nichts dafür, daß diese Unterlagen im Rahmen dervorliegenden Prüfung irgendwie nützlich sein könnten. Enichem hat ebenfalls aufein Schreiben von Wacker verwiesen, das ihr nicht mitgeteilt worden sei. Aus demSchreiben der Kommission an die Kanzlei des Gerichts vom 17. Juli 1997 ergibtsich jedoch, daß dieses Schriftstück den Klägerinnen zugänglich war und blieb.

1074.
    Aus der erschöpfenden Prüfung der von den Klägerinnen angeführten Schriftstückedurch das Gericht ergibt sich, daß keine Klägerin den Nachweis erbracht hat, daßdurch die Nichtübermittlung eines Schriftstücks, das sie hätten kennen müssen, derAblauf des Verfahrens und die Entscheidung zu ihren Ungunsten beeinflußtwerden konnte.

1075.
    Nach alledem sind die Klagegründe bezüglich der Einsicht in die Verfahrensaktender Kommission zurückzuweisen.

Geldbußen

1076.
    Alle Klägerinnen haben hilfsweise beantragt, die verhängten Geldbußen für nichtigzu erklären oder herabzusetzen. Ihre Argumentation gliedert sich in fünf Teile.Erstens führen sie Klagegründe an, die mit der Länge des verstrichenen Zeitraumsund den Verjährungsvorschriften der Verordnung Nr. 2988/74 zusammenhängen (I).Zweitens rügen sie einen Verstoß gegen Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr.17 (II). Drittens werfen sie der Kommission eine unzureichende Begründung vor(III). Viertens machen sie geltend, die Kommission habe verschiedeneBeurteilungsfehler begangen (IV). Fünftens rügen sie den Verstoß gegen einigeallgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts (V).

I — Zu den Klagegründen, die sich auf die Länge des verstrichenen Zeitraums und dieVerjährung stützen

1077.
    Zur Stützung ihrer Anträge auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbußentragen die Klägerinnen zunächst die gleichen Klagegründe vor, die sie zur Stützungihres Antrags auf Nichtigerklärung der Entscheidung (vgl. vorstehend, Randnrn. 100bis 119) wegen der Länge des verstrichenen Zeitraums angeführt haben.

1078.
    Aus den bereits dargelegten Gründen (vgl. vorstehend, Randnrn. 120 bis 136) sinddiese Klagegründe zurückzuweisen.

1079.
    Somit sind die Klagegründe zu prüfen, mit denen ein Verstoß gegen dieVerordnung Nr. 2988/74 gerügt wird.

Vorbringen der Parteien

1080.
    Die Klägerinnen machen geltend, daß die Befugnis zur Festsetzung von Geldbußennach der Verordnung Nr. 2988/74 verjährt sei. Dazu tragen sie acht Argumente vor.

1081.
    Erstens konnten nach Ansicht von BASF die verschiedenen Abschnitte desVerwaltungsverfahrens vor dem Erlaß der Entscheidung von 1988 die Verjährungnicht unterbrechen, da diese Abschnitte durch das Urteil vom 15. Juni 1994 fürunwirksam erklärt worden seien.

1082.
    Zweitens waren nach der Ansicht von drei Klägerinnen in ihrem Fall dieHandlungen bei Erlaß der Entscheidung 1988 — zumindest teilweise — bereitsverjährt. So führen Montedison und Hüls aus, daß die Handlungen vor November1982 für erstere und vor Dezember 1982 für letztere verjährt seien, da die ersteHandlung, die das Verfahren gegen sie unterbrochen habe, im November bzw. imDezember 1987 vorgenommen worden sei. Um zu beweisen, daß sie am 1.November 1982 keine Verbindung mehr zu dem Kartell gehabt hat, hatMontedison beantragt, das geschäftsführende Mitglied des Verwaltungsrats und denfür ihre Tochtergesellschaft Montedipe zuständigen Manager, die am 1. November1982 diese Funktionen innegehabt hätten, als Zeugen zu vernehmen. DSM meint,ihre Handlungen seien seit Januar 1988 verjährt, da sie sich im Januar 1983 vomMarkt zurückgezogen habe.

1083.
    Drittens machen BASF und ICI geltend, die Entscheidung 1988 sei keineverjährungsunterbrechende Handlung im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 derVerordnung Nr. 2988/74. Jedenfalls sei sie für nichtig erklärt worden und habefolglich keine Rechtswirkungen mehr, auch nicht im Bereich der Verjährung.

1084.
    Viertens tragen LVM, BASF, DSM, ICI und Hüls vor, die Klagen gegen dieEntscheidung 1988 hätten nicht zum Ruhen der Verjährung geführt. EineEntscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt und eine Geldbußeverhängt werde, falle nicht unter Artikel 3 der Verordnung Nr. 2988/74.

1085.
    Fünftens machen ICI und Hüls geltend, selbst wenn die Klagen gegen eineEntscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt und eine Geldbußeverhängt werde, zum Ruhen der Verjährung führen könnten, sei dies bei denKlagen gegen die Entscheidung 1988 nicht der Fall. Die Länge des verstrichenenZeitraums könne nur der Kommission angelastet werden, die allein für dieNichtigkeit der Entscheidung von 1988 verantwortlich sei.

1086.
    Sechstens tragen LVM und DSM vor, wenn die Klage gegen die Entscheidung 1988zum Ruhen der Verjährung geführt haben sollte, ergebe sich daraus eineUngleichbehandlung von Solvay und Norsk Hydro auf der einen und den anderenUnternehmen auf der anderen Seite. Da die Entscheidung 1988 vom Gerichtshofmit Wirkung erga omnes für nichtig erklärt worden sei, könne sie gegenüber denbeiden erstgenannten Unternehmen nicht mehr vollzogen werden.

1087.
    Siebtens konnte nach Ansicht von LVM, DSM und ICI die Klage von Solvay gegenein Auskunftsverlangen, über die mit Urteil vom 18. Oktober 1989 in derRechtssache Solvay/Kommission entschieden worden sei, nicht zum Ruhen derVerjährung im Falle der anderen Unternehmen führen.

1088.
    LVM, BASF, DSM und ICI machen achtens geltend, daß die Befugnis derKommission zur Verhängung der Geldbußen aufgrund der unbedingten Frist inArtikel 2 Absatz 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/74 jedenfalls zum Zeitpunkt desErlasses der zweiten Entscheidung am 27. Juli 1994 verjährt gewesen sei.

Würdigung durch das Gericht

1089.
    Nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 2988/74 verjährt die Befugnis der Kommission,wegen Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Geldbußenfestzusetzen, in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem dieZuwiderhandlung begangen worden ist, bei dauernden oder fortgesetztenZuwiderhandlungen mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist. Siekann jedoch nach den Artikeln 2 und 3 der Verordnung Nr. 2988/74 unterbrochenwerden oder ruhen.

1090.
    Wie bereits festgestellt (vorstehend, Randnrn. 183 bis 193), ist die Rechtsgültigkeitder Handlungen zur Vorbereitung des Erlasses der Entscheidung 1988 durch dieNichtigerklärung aufgrund des Urteils des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 nichtin Frage gestellt worden. Daher haben diese Handlungen die Verjährung wirksamim Sinne des Artikels 2 der Verordnung Nr. 2988/74 unterbrochen.

1091.
    Wie sich aus der Entscheidung ergibt (Randnr. 6), wurden am 21., 22. und 23.November 1983 in den Geschäftsräumen von ICI und Shell und am 6. Dezember1983 in denen von DSM Nachprüfungen durchgeführt. Ein schriftlichesAuskunftsverlangen wurde aufgrund einer Entscheidung vom 30. April 1984 an ICIgerichtet. Nachprüfungen wurden am 20. und 21. Januar 1987 in denGeschäftsräumen u. a. von Atochem, Enichem und Solvay und später im selbenJahr in denen von Hüls, Wacker und LVM durchgeführt. Schließlich wurde denUnternehmen am 5. April 1988 die Mitteilung der Beschwerdepunkte zugestellt.

1092.
    Erstens hat jede dieser Handlungen gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b undd der Verordnung Nr. 2988/74 die Verjährung unterbrochen. Zweitens hat dieVerjährung nach jeder Unterbrechung gemäß Artikel 2 Absatz 3 Satz 1 dieserVerordnung von neuem begonnen. Drittens wirkt die Verjährung gemäß Artikel 2

Absatz 2 der Verordnung gegenüber allen an der Zuwiderhandlung beteiligtenUnternehmen.

1093.
    Daher war die Befugnis der Kommission, Geldbußen für Handlungen zu verhängen,die frühestens im August 1980 begangen wurden, nicht verjährt, als sie dieEntscheidung 1988 erließ. Unter diesen Umständen besteht kein Grund, demAntrag von Montedison auf Zeugenvernehmung stattzugeben.

1094.
    Die Klägerinnen bestreiten weiter, daß die Klagen gegen die Entscheidung 1988,die alle erhoben hatten, zum Ruhen der Verjährung geführt hätten.

1095.
    Artikel 3 der Verordnung Nr. 2988/74 lautet: „Die Verfolgungsverjährung ruht,solange wegen der Entscheidung der Kommission ein Verfahren vor demGerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig ist.“

1096.
    Nach Ansicht der Klägerinnen bezeichnet der Begriff „Entscheidung“ in Artikel 3die in Artikel 2 dieser Verordnung aufgezählten Handlungen. Da die endgültigeEntscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt und eine Geldbußefestgesetzt werde, dort nicht aufgezählt sei, hätten die Klagen gegen dieEntscheidung 1988 nicht zum Ruhen der Verjährung führen können.

1097.
    Nicht alle in Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung aufgeführten Handlungen sindjedoch als Entscheidung zu qualifizieren. Dies gilt insbesondere für die schriftlichenAuskunftsverlangen nach Artikel 11, die Prüfungsaufträge nach Artikel 14 derVerordnung Nr. 17 oder auch die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die nurvorbereitende Handlungen sind. Daher läßt sich nicht die Ansicht vertreten, daßder Begriff „Entscheidung“ in Artikel 3 der Verordnung auf die in Artikel 2 dieserVerordnung aufgezählten Handlungen verweist.

1098.
    Der eigentliche Zweck des Artikels 3 ist vielmehr, die Verjährung ruhen zu lassen,wenn die Kommission aus einem objektiven, von ihr nicht zu vertretenden Grundwegen der Anhängigkeit einer Klage an einem Tätigwerden gehindert ist. EineEntscheidung, mit der die Kommission eine Geldbuße festsetzt, kann nämlichsolange nicht als bestandskräftig angesehen werden, als die gesetzliche Frist zurEinlegung eines Rechtsbehelfs gegen diese Entscheidung läuft oder solangegegebenenfalls eine Klage anhängig ist. Endet diese Klage mit der Nichtigerklärungder Entscheidung, kann sich die Kommission veranlaßt sehen, eine neueEntscheidung zu erlassen. Artikel 2 der Verordnung über die Unterbrechung undArtikel 3 über das Ruhen der Verjährung verfolgen insoweit unterschiedliche Ziele.Während die erstgenannte Bestimmung die Konsequenz aus dem Erlaß von Ermittlungs- und Verfolgungshandlungen der Kommission ist, soll die zweite demgegenübereinen Ausgleich in einer Situation schaffen, in der die Kommission am Handelngehindert ist.

1099.
    Die Klägerinnen können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Klagengegen die Entscheidung 1988 nicht zum Ruhen der Verjährung hätten führenkönnen, weil die genannte Entscheidung wegen eines der Kommissionanzulastenden Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften für nichtig erklärtworden sei.

1100.
    Artikel 3 der Verordnung, wonach die Verjährung ruht, solange ein Verfahren vordem Gerichtshof anhängig ist, hat nämlich nur Sinn, wenn eine mit einer Klageangefochtene Entscheidung über die Feststellung einer Zuwiderhandlung undFestsetzung einer Geldbuße für nichtig erklärt wird. Wie die Kommissionausgeführt hat, ist die Nichtigerklärung eines von ihr erlassenen Rechtsakts ihrzwangsläufig in dem Sinne zuzurechnen, daß dadurch zum Ausdruck gebracht wird,daß sie einen Fehler begangen hat. Würde man der Auffassung der Klägerinnenfolgen, daß eine Klage die Verjährung nicht zum Ruhen bringe, wenn sie zurFeststellung eines der Kommission zuzurechnenden Fehlers führe, hätte Artikel 3der Verordnung keinen Sinn mehr. Allein die Anhängigkeit einer Klage vor demGericht oder dem Gerichtshof und nicht das Ergebnis, zu dem dieseRechtsprechungsorgane in ihrem Urteil kommen, rechtfertigt das Ruhen derVerjährung.

1101.
    Somit hat die Verjährung solange geruht, wie die Entscheidung 1988 Gegenstandeines Verfahrens vor dem Gericht und dem Gerichtshof war, an dem dieKlägerinnen beteiligt waren. Selbst wenn nur der Zeitpunkt der letzten, am 24.April 1989 beim Gericht eingereichten Klage zu berücksichtigen wäre und derZeitraum zwischen der Verkündung des Urteils des Gerichts und der Anrufung desGerichtshofes außer Betracht bleiben müßte, hätte die Verjährung mindestens vierJahre elf Monate und zweiundzwanzig Tage geruht. Daher wäre selbst dann, wenndie am 5. April 1988 zugestellte Mitteilung der Beschwerdepunkte, wie dieKlägerinnen meinen, die letzte verjährungsunterbrechende Handlung gemäß Artikel2 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung Nr. 2988/74 gewesen wäre, die Befugnisder Kommission zur Verhängung der Geldbußen am 27. Juli 1994, dem Zeitpunktdes Erlasses der Entscheidung, nicht verjährt gewesen.

1102.
    Die Klägerinnen machen allerdings geltend, daß sie gegenüber Solvay und NorskHydro diskriminiert würden, wenn die Klagen gegen die Entscheidung 1988 dieVerjährung zum Ruhen gebracht hätten.

1103.
    Diese Argumentation beruht jedoch auf der Annahme, daß die Nichtigerklärungder Entscheidung 1988 durch den Gerichtshof erga omnes wirkt. Dazu genügt derHinweis, daß dies, wie bereits entschieden (vorstehend, Randnrn. 167 bis 174), nichtder Fall ist.

1104.
    Selbst wenn die Auffassung der Klägerinnen zuträfe, würde dies nichts an derobjektiven Feststellung ändern, daß die Befugnis der Kommission, gegen sieGeldbußen festzusetzen, nicht verjährt war.

1105.
    Die in Artikel 2 Absatz 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/74 vorgeseheneHöchstfrist von zehn Jahren für die Verjährung verlängert sich um den Zeitraum,in dem die Verjährung aufgrund der Anhängigkeit von Klagen vor dem Gerichtoder Gerichtshof ruht (Artikel 2 Absatz 3 a. E. der Verordnung). Wie bereitsfestgestellt, ruhte die Verjährung mindestens vier Jahre elf Monate undzweiundzwanzig Tage. Daher war die Befugnis der Kommission zur Festsetzung vonGeldbußen für die höchstens bis August 1980 zurückreichenden Handlungen nachArtikel 2 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2988/74 am 27. Juli 1994, dem Zeitpunktdes Erlasses der Entscheidung, noch nicht verjährt.

1106.
    Nach alledem ist festzustellen, daß die Befugnis der Kommission zur Festsetzungder Geldbußen nicht verjährt war, als sie die Entscheidung erließ. Daher erübrigtsich die Prüfung, ob der Erlaß der Entscheidung 1988 ebenfalls die Verjährungunterbrochen hat oder ob die Klage von Solvay gegen eine an sie gerichteteEntscheidung über die Anforderung von Auskünften die Verjährung gegenüber denanderen Unternehmen zum Ruhen gebracht hat. Selbst wenn dies alles zuträfe,würde dadurch nämlich nur das Ergebnis bestätigt, daß keine Verjährungeingetreten war.

II — Zu den Klagegründen, mit denen ein Verstoß gegen Artikel 15 Absatz 2 derVerordnung Nr. 17 gerügt wird

1107.
    Die Klägerinnen wenden sich gegen die Feststellung der Vorsätzlichkeit und derDauer der Zuwiderhandlung. Sie bestreiten auch den Umsatz, der für dieBemessung der Geldbuße zugrunde gelegt worden ist. Schließlich werfen sie derKommission vor, verschiedene mildernde Umstände nicht berücksichtigt zu haben.

Zur Vorsätzlichkeit der Zuwiderhandlung

1108.
    LVM, DSM, Wacker, Hoechst und Enichem bestreiten, daß die Kommission einevorsätzlich begangene Zuwiderhandlung im Sinne des Artikels 15 Absatz 2 derVerordnung Nr. 17 nachgewiesen habe.

1109.
    Diese Bestimmung lautete in der bei Erlaß der Entscheidung geltenden Fassung:„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungendurch Entscheidung Geldbußen in Höhe von eintausend bis zu einer Million ECUoder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnenan der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahrerzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig ... gegen Artikel85 Absatz 1 ... des Vertrages verstoßen.“

1110.
    Im vorliegenden Fall ist die Kommission unstreitig von der Vorsätzlichkeit undnicht von einer bloßen Fahrlässigkeit der Zuwiderhandlung ausgegangen (Randnr.51, zweiter Absatz, der Entscheidung).

1111.
    Für eine vorsätzlich begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln desVertrages ist es nicht erforderlich, daß sich das Unternehmen des Verstoßes gegendiese Regeln bewußt gewesen ist, sondern es genügt, daß es sich nicht inUnkenntnis darüber befinden konnte, daß sein Verhalten eine Einschränkung desWettbewerbs bezweckte (Urteil des Gerichtshofes vom 6. April 1995 in derRechtssache T-143/89, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1995, II-917, Randnr. 41).

1112.
    Im vorliegenden Fall ist angesichts der besonderen Schwere des in diesem Urteilbeschriebenen und untersuchten wiederholten Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz1 EG-Vertrag, insbesondere dessen Buchstaben a und c, offenkundig, daß dieKlägerinnen nicht nur unüberlegt und auch nicht fahrlässig, sondern sehr wohlvorsätzlich gehandelt haben.

1113.
    Daher ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zur Dauer der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

1114.
    Die Klägerinnen machen geltend, die Entscheidung sei, zumindest teilweise, fürnichtig zu erklären oder die Geldbuße sei für nichtig zu erklären oderherabzusetzen, da bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlungverschiedene Fehler unterlaufen seien (Urteile Hoffmann-La Roche/Kommission,Randnrn. 140 und 141, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn.129 und 130, Petrofina/Kommission, Randnrn. 249 ff., vom 17. Dezember 1991,BASF/Kommission, Randnrn. 64 bis 72 und 259 bis 262, und DunlopSlazenger/Kommission).

1115.
    LVM und DSM werfen der Kommission vor, den Zeitpunkt des Beginns und derBeendigung der ihnen vorgeworfenen Zuwiderhandlung nicht hinreichend genauangegeben zu haben (Randnrn. 48 bzw. 54 der Entscheidung).

1116.
    Konkret rügt DSM, daß die Randnummern 42, 48 und 54 der Entscheidung überdie Beendigung der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung widersprüchlich seien, dadie Verantwortlichkeit von DSM nach dem Wortlaut der Entscheidung mit derGründung von LVM am 1. Januar 1983 geendet habe.

1117.
    Nach Ansicht von Elf Atochem ist die Kommission nicht in der Lage gewesen, dieDauer der angeblichen Zuwiderhandlung nachzuweisen. Weder der Beginn nochdie Beendigung der Zuwiderhandlung seien genau belegt.

1118.
    BASF ist der Ansicht, daß es keinen Beweis dafür gebe, daß sie dem Kartell 1980beigetreten sei. Ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung bis Mai 1984 steheebenfalls nicht fest. Diese Behauptung beruhe nämlich auf der Atochem-Tabelle,deren Beweiswert bereits entkräftet sei. Jedenfalls habe die Klägerin nicht anSitzungen nach Oktober 1983, dem Zeitpunkt der ersten Ermittlungen der

Kommission im Polypropylen-Bereich, teilgenommen. Zumindest hätte dies zu einerHerabsetzung der Geldbuße führen müssen.

1119.
    Wacker und Hoechst machen in der Erwiderung geltend, die Entscheidung enthaltekeine ausreichende Begründung für die Feststellung der Dauer derZuwiderhandlung. Entgegen dem Grundsatz der individuellen Schuld sei die Dauerder Beteiligung jedes einzelnen Adressaten der Entscheidung — mit Ausnahme vonShell und ICI — nicht angegeben worden. Tatsächlich gebe es keinen Anhaltspunktdafür, daß beide Klägerinnen an der Zuwiderhandlung schon im August 1980, demangeblichen Kartellbeginn, bis zum Mai 1984, dem angeblichen Kartellende,beteiligt gewesen seien.

1120.
    Für Montedison enthält die Entscheidung eine widersprüchliche Begründung. InRandnummer 43, letzter Absatz, der Entscheidung räume die Kommission nämlichein, daß die Klägerin sich im März 1983 vom PVC-Markt zurückgezogen habe. Wiesich jedoch aus den Randnummern 26 und 51 der Entscheidung ergebe, habe dieKommission den Zeitraum nach dem März 1983 berücksichtigt.

1121.
    Nach Ansicht von Hüls werden in der Entscheidung nicht die Gründe dargelegt, diedie festgesetzte Geldbuße rechtfertigten. Insbesondere habe die Kommission nichtdargelegt, von welchem Zeitpunkt an die Klägerin sich an dem Kartell beteiligt undwann sie ihre Teilnahme beendet habe, da die Kommission nur die für dieMehrzahl der Unternehmen zutreffende Dauer des Kartells angegeben habe. DieKommission habe somit gegen ihre Begründungspflicht verstoßen.

1122.
    Enichem macht im Rahmen eines Klagegrundes, der sich auf die unzureichendeBegründung bezieht, geltend, daß die Kommission unter Verstoß gegen Artikel 15Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 weder die Dauer der Zuwiderhandlung noch dieDauer der Beteiligung jedes einzelnen Unternehmens daran nachgewiesen habe.

Würdigung durch das Gericht

1123.
    Zunächst sind die vorstehend wiedergegebenen Argumente zu untersuchen, dieallein die Frage betreffen, ob gegen die Begründungspflicht verstoßen worden ist.

1124.
    Abgesehen vom Fall von DSM, der anschließend zu prüfen sein wird (Randnr.1127 ff.), hat die Kommission in den Randnummern 48 und 54 der Entscheidungzum einen die Dauer der Zuwiderhandlung, die sie jeder einzelnen Klägerinangelastet hat, und zum anderen die Schriftstücke oder Grundlagen, auf die sie sichzum Nachweis dieser Dauer stützt, klar angegeben. Somit sind sowohl dieKlägerinnen als auch das Gericht in der Lage, zu überprüfen, ob die Feststellungender Kommission richtig sind.

1125.
    Die Verordnung Nr. 17 schreibt der Kommission zwar vor, die Dauer derZuwiderhandlung zu bestimmen, die für die Bemessung der Geldbuße zu

berücksichtigen ist, verlangt aber nicht, daß die Kommission bestimmt, zu welchemspäteren Zeitpunkt die Zuwiderhandlung tatsächlich beendet worden ist. Somitkann der Kommission keine unzureichende Begründung hinsichtlich des Zeitpunktsder tatsächlichen Beendigung der Zuwiderhandlung vorgeworfen werden.Unterstellt, daß die Zuwiderhandlung tatsächlich beendet worden ist, würde diesnicht zur Nichtigerklärung des Artikels 2 der Entscheidung führen, sondern dieseBestimmung lediglich insoweit wirkungslos machen, als den Unternehmen dortaufgegeben wird, die ihnen vorgeworfenen Verhaltensweisen abzustellen.

1126.
    Bei der Untersuchung der Dauer der Zuwiderhandlung hat die Kommissionfestgestellt, daß Montedison seine Tätigkeiten im März 1983 auf Enichemübertragen hatte (Randnr. 43, letzter Absatz, der Entscheidung). Diese Feststellungsteht nicht im Gegensatz zu den Randnummern 26, vierter Absatz, und 51, dritterAbsatz, der Entscheidung. Die beiden letztgenannten betreffen nämlich spätereZeiträume und nur die Unternehmen, die auf dem PVC-Markt noch tätig waren,d. h. offenkundig nicht die Klägerin. Der Klagegrund einer widersprüchlichenBegründung ist insoweit zurückzuweisen.

1127.
    Als Zeitpunkt, der für die Beendigung der Teilnahme von DSM an der ihrvorgeworfenen Zuwiderhandlung zugrunde gelegt worden ist, wird in derEntscheidung „Anfang 1983“ (Randnr. 42, siebter Absatz), „April 1983“ (Randnr.48, vierter Absatz) und „Mitte 1983“ (Randnr. 54, zweiter Absatz a. E.) genannt.Auch wenn der Standpunkt der Kommission nicht klar erkennbar ist, wobei abernur die Randnummern 48 und 54 die gleiche Frage betreffen, ist jedenfalls derApril 1983 der einzige Zeitpunkt, der in dem ausdrücklich der „Dauer derZuwiderhandlung“ gewidmeten Abschnitt der Entscheidung genannt wird.

1128.
    Die Kommission hat in ihren Schriftsätzen in dieser Rechtssache bestätigt, daß sieden Monat April 1983 zugrunde gelegt habe, da kaum vorstellbar sei, daß DSMihre Bedeutung im PVC-Sektor am 1. Januar 1983 von einem Tag auf den anderenvöllig verloren habe.

1129.
    Im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidungstellt das Gericht fest, daß EMC Belgique (für SAV handelnd) und DSM mitVereinbarung vom 22. Februar 1983 ihre jeweilige PVC-Produktion mit Wirkungzum 1. Januar 1983 auf LVM übertragen haben.

1130.
    Wie sich aus der von DSM stammenden Anlage P41 zur Mitteilung derBeschwerdepunkte ergibt, wollte dieses Unternehmen „den Versuch einerAnhebung der Preise ... zum 1. Januar [1983] unterstützen“, und es war eineweitere Erhöhung für den Fall vorgesehen, daß die vorangegangene erfolgreich seinsollte. Dieses Schriftstück bestätigt die Auffassung der Kommission, daß dieEntscheidungen von DSM vor ihrem Rückzug vom Markt noch in den Monatennach diesem Zeitpunkt Wirkungen entfalten konnten. Da die zweite von derKommission für 1983 festgestellte Preisinitiative am 1. April 1983 erfolgte, ist für

die Bemessung der Geldbuße davon auszugehen, daß die Wirkungen derBeteiligung von DSM an dem Kartell bis zu diesem Zeitpunkt fortgedauert haben.

1131.
    Daher sind die Klagegründe, die sich auf Begründungsmängel der Entscheidungbezüglich der Dauer der Zuwiderhandlung stützen, zurückzuweisen.

1132.
    Einige Klägerinnen machen geltend, daß die Kommission die Dauer ihrerBeteiligung an der beanstandeten Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen habe.

1133.
    Wie jedoch festgestellt, werden in der Entscheidung die Dauer der den einzelnenKlägerinnen vorgeworfenen Zuwiderhandlung und die zum Nachweis hierfür vonder Kommission herangezogenen Schriftstücke hinreichend genau angegeben.Offensichtlich wollen die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen den Beweiswert dieserSchriftstücke anzweifeln, der bereits eingehend im Teil „Sachverhalt“ dieses Urteils(Randnrn. 535 ff.) geprüft worden ist.

1134.
    In den Planungsdokumenten wurden verschiedene Unternehmen, darunter die„neue französische Gesellschaft“, BASF und Wacker, als Teilnehmer an dem neuenRahmen für die Sitzungen genannt. Der in diesen Dokumenten enthaltene Plan fürdas Kartell wurde in den folgenden Wochen namentlich durch eine allgemeinePreisinitiative zum 1. November 1980 durchgeführt, die sich in denPlanungsdokumenten abgezeichnet hat. Sowohl ICI als auch BASF habeneingeräumt, daß von August 1980 an Herstellersitzungen stattgefunden haben,deren wettbewerbswidrigen Zweck die Kommission nachgewiesen hat. DieKommission hat in Randnummer 48, dritter Absatz, der Entscheidung festgestellt,daß Hoechst in den Planungsdokumenten nicht genannt war. Schon für Beginn1981 enthalten die Solvay-Tabellen jedoch Angaben über die Absatzzahlen dieserKlägerin für den deutschen Markt im Jahr 1980.

1135.
    Ebenso hat das Gericht den Beweiswert der Atochem-Tabelle bestätigt, und dieletzte Preisinitiative, die die Kommission in dem für die Bemessung der Geldbußezugrunde gelegten Zeitraum festgestellt hat, erfolgte am 1. April 1984. MitAusnahme von ICI und Shell (vgl. Randnr. 54, dritter Absatz, der Entscheidungund vorstehend, Randnr. 613) waren sämtliche Unternehmen im ersten Quartal1984 im PVC-Sektor noch aktiv, darunter Elf Atochem, BASF, Wacker undHoechst, die in der Atochem-Tabelle aufgeführt werden.

1136.
    Nach alledem sind die Klagegründe bezüglich der Dauer der Zuwiderhandlungzurückzuweisen.

1137.
    Die Solvay-Tabellen können jedoch gegenüber SAV nicht als beweiskräftigangesehen werden (vgl. vorstehend, Randnr. 888).

1138.
    Somit ist das letzte Schriftstück, das die Klägerin als Teilnehmer an derbeanstandeten Zuwiderhandlung nennt, das Alcudia-Dokument (vgl. vorstehend,

Randnr. 887). Die dort ebenso wie in anderen Schriftstücken beschriebeneAusgleichsregelung betrifft konkret nur das erste Halbjahr 1981 (vgl. vorstehend,Randnrn. 587 bis 601).

1139.
    Die vorstehend in Randnummer 889 angeführten Preisunterlagen können als solchenicht als ausreichend angesehen werden, um die Beteiligung der Klägerin an derZuwiderhandlung über das erste Halbjahr 1981 hinaus zu belegen. Zwar könnendiese Schriftstücke ein zusätzliches Indiz sein und zusammen mit anderenSchriftstücken die Schlußfolgerung bestätigen, daß ein Unternehmen an derZuwiderhandlung teilgenommen hat, doch sind sie für den Zeitraum, für den sienicht durch zusätzliche Beweismittel bestätigt werden, nicht ausreichend, um dieBeteiligung eines Unternehmens an der Zuwiderhandlung nachzuweisen.

1140.
    Somit ist festzustellen, daß der Beweis nicht erbracht ist, daß SAV an derZuwiderhandlung nach dem ersten Halbjahr 1981 beteiligt war, da die Solvay-Tabellen im Falle dieses Unternehmens nicht beweiskräftig sind.

1141.
    Folglich ist die Beteiligung der Klägerin an der Zuwiderhandlung im Hinblick aufdie Bemessung der Geldbuße nur für die Zeit von August 1980 bis Juni 1981 undnicht bis April 1983, wie es in der Entscheidung heißt, nachgewiesen.

1142.
    Artikel 1 der Entscheidung ist daher für nichtig zu erklären, soweit SAV dort unterHinweis auf die Gründe der Entscheidung vorgeworfen wird, an der streitigenZuwiderhandlung nach dem ersten Halbjahr 1981 beteiligt gewesen zu sein.

1143.
    Die Geldbuße ist folglich unter Berücksichtigung der auf diese Weise festgestelltenDauer und Schwere der Zuwiderhandlung, an der dieses Unternehmen beteiligtwar, herabzusetzen. Ausgedrückt in Euro gemäß Artikel 2 Absatz 1 derVerordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmteVorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro (ABl. L 162, S. 1)ist die gegen SAV festgesetzte Geldbuße auf 135 000 Euro herabzusetzen.

Zum berücksichtigten Umsatz

Vorbringen der Parteien

1144.
    Enichem macht geltend, Umsatz im Sinne des Artikels 15 Absatz 2 der VerordnungNr. 17 sei der Umsatz in dem der Entscheidung vorangegangenen Steuerjahr, d. h.im Jahr 1993. Obwohl das Verhältnis zwischen Geldbuße und diesem Umsatzzwangsläufig ein anderes sei als das zwischen der Geldbuße und dem Umsatz imJahr 1987, habe die Kommission eine Geldbuße in absolut gleicher Höhefestgesetzt. Dabei sei der Umstand, daß die festgesetzte Geldbuße unterhalb derin Artikel 15 festgelegten Höchstgrenze von 10 % bleibe, ohne Bedeutung.

1145.
    Da Enichem 1986 alle ihre PVC-Tätigkeiten eingestellt habe, so daß sie weder 1987noch 1993 Umsätze in diesem Bereich erzielt habe, sei es ungerecht, den

Gesamtumsatz von Enichem zugrunde zu legen, auch wenn dies möglich sei (UrteilParker Pen/Kommission, Randnr. 94). Dies gelte um so mehr, als der Umsatz vonEnichem, die der falsche Adressat der Entscheidung sei, und nicht der Umsatz derProduktionsgesellschaft Enichem Anic zugrunde gelegt worden sei.

Würdigung durch das Gericht

1146.
    Der in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 (zitiert vorstehend, Randnr.1109) genannte Umsatz dient der Bestimmung des Höchstbetrags der Geldbuße,die gegen ein Unternehmen wegen Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag festgesetzt werden kann.

1147.
    Somit führt die Tatsache allein, daß das Verhältnis zwischen der mit derEntscheidung 1988 festgesetzten Geldbuße und dem in dem Geschäftsjahr zuvor,also 1987, erzielten Umsatz ein anderes gewesen ist als das Verhältnis zwischen dermit der zweiten Entscheidung in gleicher Höhe in Ecu festgesetzten Geldbuße unddem in dem Geschäftsjahr zuvor, also 1993, erzielten Umsatz, nicht zu einemVerstoß gegen Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17. Dies wäre nur der Fall,wenn die 1994 festgesetzte Geldbuße aufgrund dieser Veränderung die in dieserBestimmung festgelegte Höchstgrenze überschritten hätte. Es ist aber unstreitig,daß die festgesetzte Geldbuße erheblich unter diesem Höchstsatz liegt.

1148.
    Die Kommission hat für die Bemessung der gegen die Klägerin tatsächlichfestgesetzten Geldbuße insbesondere der jeweiligen Bedeutung jedes an derZuwiderhandlung beteiligten Unternehmens auf dem PVC-Markt (Randnr. 53,erster Absatz, der Entscheidung) Rechnung getragen. Diese Bedeutung ist anhanddes durchschnittlichen Marktanteils und nicht des Umsatzes der einzelnenKlägerinnen allein im Zeitraum der Zuwiderhandlung beurteilt worden.

1149.
    Somit sind die Klagegründe zurückzuweisen.

Zur fehlenden Berücksichtigung einer Reihe mildernder Umstände

Vorbringen der Klägerinnen

1150.
    Zur Begründung ihres Antrags auf Herabsetzung der gegen sie festgesetztenGeldbuße berufen sich die Klägerinnen auf folgende Umstände, die dieKommission außer Betracht gelassen habe.

1151.
    BASF und ICI heben die Verzögerung beim Erlaß der Entscheidung und die vonder Kommission zu vertretende Untätigkeit hervor, die erst 1987 die 1983eingeleiteten Ermittlungen fortgeführt habe. Wäre die Kommission eher tätiggeworden, wären die Zuwiderhandlungen zweifellos vor dem Mai 1984 eingestelltworden (Urteile Istituto Chemioterapico und Commercial Solvents/Kommission,Randnr. 51, und Dunlop Slazenger/Kommission, Randnr. 167).

1152.
    Wacker, Hoechst und SAV verweisen auf die Krise, in der sich der PVC-Sektorbefunden habe, und die erheblichen Verluste in dem von der Entscheidungerfaßten Zeitraum.

1153.
    Wacker und Hoechst führen ihr seit 1988 untadeliges Verhalten, diePräventivwirkung, die bereits mit der ursprünglichen Entscheidung verbundengewesen sei, und ihren Rückzug vom Markt im Jahr 1993 an.

1154.
    Hoechst und SAV weisen darauf hin, daß sie zur Zeit der beanstandetenHandlungen eine geringe Bedeutung für den Markt gehabt hätten undAuswirkungen ihres Verhaltens auf dem Markt nicht spürbar gewesen seien.

1155.
    SAV beruft sich darauf, daß sie ein Neuling auf dem PVC-Markt gewesen sei undvorher keine Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft begangenhabe.

1156.
    ICI hebt hervor, daß sich Auswirkungen auf den Markt nicht gezeigt hätten(namentlich Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnrn. 612 ff.), daß sie durchdie Beantwortung der Fragen der Kommission gemäß Artikel 11 der VerordnungNr. 17 ihren Willen zur Zusammenarbeit gezeigt habe und daß sie sichentsprechend verhalten habe, um die zukünftige Beachtung des Wettbewerbsrechtsder Gemeinschaft sicherzustellen (vgl. namentlich Entscheidung 88/86/EWG derKommission vom 18. Dezember 1987 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85EWG-Vertrag (V/31.017 — Fisher-Price/Quaker Oats Ltd — Toyco) (ABl. 1988,L 49, S. 19).

Würdigung durch das Gericht

1157.
    Die Schwere der Zuwiderhandlung ist anhand einer Vielzahl von Gesichtspunktenzu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontextund die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es einezwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fallberücksichtigt werden müßten (Beschluß des Gerichtshofes vom 25. März 1996 inder Rechtssache C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54).

1158.
    Erstens hat der Gerichtshof festgestellt, daß zwar die Schwere des Verstoßes eineerhebliche Geldbuße rechtfertigt, daß aber berücksichtigt werden muß, daß dieDauer der Zuwiderhandlung hätte kürzer sein können, wenn die Kommissionschneller eingeschritten wäre (Urteil Istituto Chemioterapico und CommercialSolvents/Kommission, Randnr. 51). Im vorliegenden Fall hat die Kommission ersteBedenken wegen eines Verstoßes im Oktober 1983 gehabt. Für die Zeit nach Mai1984 ist keine Geldbuße verhängt worden. Somit ist zu prüfen, ob die Kommissionwegen der angeblich schleppenden Behandlung der Sache in dieser Zeitmöglicherweise indirekt dazu beigetragen hat, daß die Zuwiderhandlung längergedauert hat. Die Kommission hat schon im November 1983 Nachprüfungendurchgeführt und im Dezember 1983 ein Auskunftsverlangen sowie im April 1984

eine Entscheidung über die Anforderung von Auskünften an ICI gerichtet. Unterdiesen Umständen kann der Kommission keine schleppende Behandlung der Sachevorgeworfen werden, die dazu hätte beitragen können, daß die für die Bemessungder Geldbußen berücksichtigte Zuwiderhandlung länger gedauert hat. Dies gilt erstrecht im Fall von ICI, in dem sogar für die Zeit nach Oktober 1983 keineGeldbuße festgesetzt wurde.

1159.
    Zweitens hat die Kommission in Randnummer 52, zweiter Absatz, derEntscheidung als mildernden Umstand angesehen, daß die Unternehmen in demvon dieser Entscheidung erfaßten Zeitraum wegen der damaligen Krise derBranche erhebliche Verluste im PVC-Sektor hinnehmen mußten. Dies genügt, umdas Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, das auf die Krise des PVC-Marktes und die erheblichen Verluste der Hersteller in dieser Zeit gestützt wird(vgl. Urteil DSM/Kommission, Randnr. 304).

1160.
    Drittens machen die Klägerinnen, wie bereits festgestellt (vorstehend, Randnrn. 744bis 749), zu Unrecht geltend, daß die Zuwiderhandlung keine Auswirkungenentfaltet habe, selbst wenn die Preisinitiativen nur teilweise zum Erfolg geführthaben, wie die Kommission in der Entscheidung selbst eingeräumt hat. DieKlägerinnen können daher nicht behaupten, daß das Fehlen von Auswirkungen einmildernder Umstand sei.

1161.
    Viertens ist die Mitwirkung von ICI im Verwaltungsverfahren nicht über dashinausgegangen, wozu dieses Unternehmen nach Artikel 11 Absätze 4 und 5 derVerordnung Nr. 17 verpflichtet war. Daher kann ihre Mitwirkung kein mildernderUmstand sein (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89,Solvay/Kommission, Slg. 1992, II-907, Randnr. 341). Im übrigen hat ICI mit ihrenArgumenten in der Sache im wesentlichen nachzuweisen versucht, daß dieKommission ihre Antworten auf die Auskunftsverlangen falsch verstanden habe.

1162.
    Fünftens ist zwar die Tatsache, daß ICI Maßnahmen getroffen hat, um neueVerstöße ihrer Angestellten gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zuverhindern, bedeutsam, doch ändert dies nichts daran, daß im vorliegenden Fall diefestgestellte Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. Allein der Umstand,daß die Kommission in einigen Fällen in ihrer früheren Entscheidungspraxis dieAufstellung eines Informationsprogramms als mildernden Umstand angesehen hat,verpflichtet sie nicht dazu, im vorliegenden Fall ebenso zu verfahren. Dies gilt vorallem deshalb, weil die betreffende Zuwiderhandlung ein offenkundiger Verstoßgegen Artikel 85 Absatz 1 Buchstaben a und c EG-Vertrag war. Wie dieKommission in Randnummer 51, zweiter Absatz, der Entscheidung festgestellt hat,gehörte ICI im übrigen zu den Unternehmen, gegen die bereits wegen Absprachenim Chemiebereich Geldbußen festgesetzt worden waren (Entscheidung69/243/EWG der Kommission vom 24. Juli 1969 über ein Verfahren nach Artikel85 des EWG-Vertrags [IV/26.267 — Farbstoffe] [ABl. L 195, S. 11]).

1163.
    Sechstens wirkt sich weder das seit Erlaß der Entscheidung 1988 nicht zubeanstandende Verhalten eines Unternehmens noch das Fehlen frühererZuwiderhandlungen mildernd gegenüber der Begehung und der Schwere derZuwiderhandlung aus. Tatsächlich handelt es sich dabei nicht um besondereUmstände, die die Kommission als mildernd berücksichtigen müßte (namentlichUrteil DSM/Kommission, Randnr. 317).

1164.
    Siebtens ändert die Tatsache, daß ein Unternehmen sich vor Erlaß derEntscheidung vom PVC-Markt zurückgezogen hat, nichts an der Begehung, derSchwere oder der Dauer der ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlung. Sie rechtfertigtdaher keine Herabsetzung der Geldbuße.

1165.
    Achtens kann der Umstand, daß ein Unternehmen ein Neuling auf einem Marktist, sich nicht mildernd auf die Schwere der vorstehend beschriebenenZuwiderhandlung, an der es beteiligt war, auswirken (Urteil vom 10. März 1992,Solvay/Kommission, Randnr. 339).

1166.
    Neuntens hat der Erlaß der Entscheidung 1988 als solcher keine abschreckendeWirkung. Abschreckend und vorbeugend wirkt allein die Geldbuße. DieEntscheidung 1988 ist aber für nichtig erklärt worden, und dies erfaßt auch die dortfestgesetzten Geldbußen.

1167.
    Schließlich ergibt sich aus Randnummer 53, erster Absatz, der Entscheidung, daßdie Kommission bei der Bemessung der gegen die einzelnen Unternehmenfestzusetzenden Geldbußen deren jeweiliger Bedeutung auf dem PVC-MarktRechnung getragen hat. Daher können sich die Klägerinnen nicht auf ihre geringeBedeutung für den Markt berufen, um eine Herabsetzung der Geldbuße zuerreichen.

1168.
    Nach alledem werfen die Klägerinnen der Kommission zu Unrecht vor, diebehaupteten mildernden Umstände nicht berücksichtigt zu haben.

III — Zu den Klagegründen, mit denen ein Verstoß gegen die Begründungspflicht gerügtwird

Vorbringen der Parteien

1169.
    LVM, Elf Atochem, DSM, Wacker, Hoechst, Hüls und Enichem sind der Meinung,daß die Entscheidung keine besonderen Gesichtspunkte enthalte, die die Höhe dergegen sie festgesetzten Geldbuße verständlich mache (Urteile ACFChemiefarma/Kommission, Randnr. 176, und Suiker Unie u. a./Kommission,Randnrn. 622 und 623).

1170.
    Die Kommission habe zudem weder mitgeteilt, welche objektiven Parameter sie fürdie Beurteilung der Verantwortlichkeit der Unternehmen herangezogen habe, noch,welche Bedeutung sie ihnen beigemessen habe. Weder die allgemeine Aufzählung

der verwendeten Kriterien noch das Vorliegen unterschiedlicher Geldbußen für dieeinzelnen Unternehmen genügten, um diese Lücke zu füllen.

1171.
    Nach Ansicht der Klägerinnen ist die Mitteilung dieser Angaben nicht nurwünschenswert (Urteil Enichem Anic/Kommission, Randnr. 274, undTréfilunion/Kommission, Randnr. 142), sondern geboten. Andernfalls werde gegenArtikel 6 MRK verstoßen, der jedem Angeklagten das Recht garantiere, dieBegründung der gegen ihn festgesetzten Sanktion einschließlich der für derenBemessung herangezogenen Kriterien und der „Berechnungsschlüssel“ genau unddetailliert zu erfahren.

Würdigung durch das Gericht

1172.
    Nach ständiger Rechtsprechung muß die nach Artikel 190 EG-Vertragvorgeschriebene Begründung, die eine wesentliche Formvorschrift im Sinne desArtikels 173 EG-Vertrag darstellt, der Natur des betreffenden Rechtsakts angepaßtsein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassenhat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr dieGründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständigeGericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis istnach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts,der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das dieAdressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuellbetroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchennicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zuwerden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen desArtikels 190 EG-Vertrag genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist,sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dembetreffenden Gebiet (namentlich Urteil des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in derRechtssache C-367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink's France, Slg. 1998, I-1719,Randnr. 63).

1173.
    Im Fall einer Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen Verstoßesgegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbußen verhängt werden, istder Umfang der Begründungspflicht unter Berücksichtigung des Erfordernisses zubeurteilen, die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl vonGesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände derRechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören,ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die aufjeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr.54). Zudem verfügt die Kommission bei der Bemessung der einzelnen Geldbußeüber einen Ermessensspielraum und kann nicht als verpflichtet angesehen werden,dabei eine genaue mathematische Formel anzuwenden (Urteil des Gerichts vom6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995,II-1165, Randnr. 59).

1174.
    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Randnummern 51 bis 54 derEntscheidung erläutert, welchen Gesichtspunkten sie bei der Bemessung derGeldbuße Rechnung getragen hat. Insbesondere aus den Randnummern 52 und 53der Entscheidung ergibt sich, daß die Kommission bei der von ihr im vorliegendenFall angewandten Methode in zwei Schritten vorgeht, wie die einleitendeFormulierung dieser Randnummern und die Aufzählung der dort aufgeführten,zunächst allgemeinen und dann individuellen Kriterien zeigen.

1175.
    In einem ersten Schritt hat die Kommission einen Gesamtbetrag festgesetzt, wozusie berechtigt ist (namentlich Urteile vom 15. Juli 1970, Boehringer/Kommission,Randnr. 55, und IAZ u. a./Kommission, Randnrn. 51 bis 53). Für die Bemessungder festzusetzenden Geldbußen hat die Kommission, wie sich aus Randnummer 52der Entscheidung ergibt, verschiedene Kriterien berücksichtigt, nämlich die Art unddie Schwere der beanstandeten Zuwiderhandlung, die Bedeutung des betreffendenIndustrieerzeugnisses, den Wert des damit erzielten Umsatzes — nahezu 3Milliarden ECU jährlich in Westeuropa — und die Gesamtgröße der betroffenenUnternehmen.

1176.
    Als mildernde Umstände hat sie ebenfalls berücksichtigt, daß die Unternehmen indem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum erhebliche Verluste hinnehmenmußten und daß gegen die Mehrheit der Unternehmen wegen ihrer Beteiligung aneiner Zuwiderhandlung im Sektor Thermoplastik (Polypropylen) im praktischgleichen Zeitraum bereits erhebliche Geldbußen verhängt worden waren.

1177.
    Der auf diese Weise ermittelte Gesamtbetrag der Geldbußen belief sich in derEntscheidung 1988, d. h. unter Einbeziehung von Solvay und Norsk Hydro, auf23 500 000 ECU.

1178.
    In einem zweiten Schritt hat die Kommission diesen Gesamtbetrag auf dieUnternehmen aufgeteilt, gegen die eine Geldbuße verhängt worden ist. Bei derBemessung der gegen die einzelnen Unternehmen festzusetzenden Geldbußen hatdie Kommission, wie sich aus den Randnummern 53 und 54 der Entscheidungergibt, den Grad der Beteiligung jedes Unternehmens, dessen Rolle dabei (soweitsich dies feststellen ließ) und seine jeweilige Bedeutung auf dem PVC-Marktberücksichtigt. Sie hat sich dabei bemüht, festzustellen, inwieweit bestimmteUnternehmen als Hauptverantwortliche angesehen werden können, was ihr nichtgelungen ist, oder umgekehrt, ob andere, wie z. B. Shell, nur am Rande an derZuwiderhandlung beteiligt waren; sie hat ebenfalls bei jedem Unternehmen dieDauer seiner Beteiligung an der beanstandeten Zuwiderhandlung berücksichtigt,wie sich aus Randnummer 54 der Entscheidung ergibt.

1179.
    Sieht man die Randnummern 51 bis 54 der Entscheidung im Zusammenhang mitder eingehenden Darstellung der tatsächlichen Feststellungen, die in derEntscheidung im Falle eines jeden Adressaten der Entscheidung getroffen wordensind, so geben diese Randnummern ausreichend und schlüssig dieBeurteilungskriterien wieder, die für die Bestimmung der Schwere und Dauer der

von den betreffenden einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlungherangezogen worden sind.

1180.
    Sicherlich ist es wünschenswert, daß die Unternehmen — um ihren Standpunkt involler Kenntnis der Sache festlegen zu können — nach jedem von der Kommissionals angemessen betrachteten System die Berechnungsweise der gegen sie in einerEntscheidung wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaftverhängten Geldbuße in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweckgerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen (UrteilTréfilunion/Kommission, Randnr. 142).

1181.
    Solche rechnerischen Daten sind jedoch keine zusätzliche Begründung nach Erlaßder Entscheidung, sondern die Umsetzung der in der Entscheidung aufgeführtenKriterien, soweit diese quantifizierbar sind, in Zahlen.

1182.
    Dabei ist es Sache des Gerichts, wenn es dies für die Prüfung der Klagegründe fürerforderlich hält, nach den Artikeln 64 und 65 der Verfahrensordnung von derKommission im einzelnen eine Erläuterung der verschiedenen Kriterien zuverlangen, die sie in der Entscheidung zugrunde gelegt und dargestellt hat.

1183.
    Tatsächlich hatte das Gericht im Zusammenhang mit den Klagen gegen dieEntscheidung 1988 der Kommission aufgegeben, in der Sitzung die Berechnung derverhängten Geldbußen im einzelnen darzulegen. Die Kommission hatte zu diesemZweck eine Tabelle vorgelegt, die den Klageschriften im vorliegenden Verfahrenbeigefügt worden sind.

1184.
    Somit sind die Klagegründe, mit denen die unzureichende Begründung derEntscheidung bezüglich der für die Bemessung der Geldbuße herangezogenenKriterien gerügt wird, zurückzuweisen.

IV — Zu den Rechtsfehlern und den offenkundigen Beurteilungsfehlern

Vorbringen der Klägerinnen

1185.
    Erstens machen LVM und DSM geltend, unter den in der Entscheidung für dieBemessung der Geldbuße aufgezählten Kriterien seien die der Bedeutung desbetreffenden Erzeugnisses und der Marktstellung aller Unternehmen zusammen(Entscheidung, Randnr. 52) schwer zu verstehen und erst recht schwer zu messen.Das Kriterium der wirtschaftlichen Bedeutung des Zuwiderhandelnden seiunzulässig. Dies würde nämlich dazu führen, daß die Höhe der Geldbuße nach denRessourcen des einzelnen Unternehmens und nicht nach der Schwere seinesVerhaltens festgesetzt würde.

1186.
    Zweitens verweisen die Klägerinnen darauf, daß die Kommission in der mündlichenVerhandlung vor dem Gericht im Rahmen der gegen die Entscheidung 1988

erhobenen Klagen eine Tabelle vorgelegt habe, um zu erläutern, wie sie dieGeldbußen berechnet habe. Diese Tabelle zeige, daß die Kommission dendurchschnittlichen Marktanteil des einzelnen Unternehmens im PVC-Sektor in derZeit von 1980 bis 1984 zugrunde gelegt habe. Die für einige Klägerinnenangenommenen Marktanteile seien offenkundig falsch. Die Geldbußen müßtenentsprechend herabgesetzt werden.

1187.
    Elf Atochem führt aus, daß die Kommission bei der Bemessung der gegen siefestgesetzten Geldbuße bei ihr für die Zeit von 1980 bis 1984 einendurchschnittlichen Marktanteil von 13 % angesetzt habe, d. h. einen höheren alsden tatsächlichen Anteil.

1188.
    ICI macht geltend, ihr durchschnittlicher Marktanteil in der Zeit von 1980 bis 1984habe 8,1 % oder sogar 7,4 % betragen, wenn nur die Zeit von 1980 bis 1983berücksichtigt werde, für die allein Vorwürfe gegen sie erhoben worden seien. Dievon der Kommission vorgelegte Tabelle setzte für das Unternehmen dagegen einendurchschnittlichen Marktanteil von 11 % an.

1189.
    Schließlich trägt Enichem vor, die Kommission habe bei ihr für die Zeit von 1980bis 1984 einen durchschnittlichen Marktanteil von 15 % angesetzt, der erheblichüber dem tatsächlichen Durchschnittsanteil und sogar noch über dem Marktanteilvon 1984 (12,3 %) liege.

Würdigung durch das Gericht

1190.
    Entgegen den Ausführungen von LVM und DSM ist festzustellen, daß dieKommission sowohl den Umsatz und den Wert der Waren, auf die sich dieZuwiderhandlung bezieht, als auch die Größe und die wirtschaftliche Macht derbetroffenen Unternehmen berücksichtigen kann (Urteile vom 15. Juli 1970,Boehringer/Kommission, Randnr. 55, und IAZ u. a./Kommission, Randnr. 52).

1191.
    Die Kommission hatte auf eine Frage des Gerichts bei der Prüfung der Klagengegen die ursprüngliche Entscheidung in der mündlichen Verhandlung eine Tabellemit den Zahlen für die Bemessung der Geldbußen vorgelegt. Aus dieser Tabelle,die von den Klägerinnen im vorliegenden Verfahren vorgelegt worden ist, ergibtsich, daß für die Aufteilung der Gesamtgeldbuße zwischen den Unternehmen dasin der Entscheidung (Randnr. 53) genannte Kriterium der Bedeutung des einzelnenUnternehmens auf dem PVC-Markt zahlenmäßig entsprechend dessendurchschnittlichem Marktanteil von 1980 bis 1984 auf dem westeuropäischen PVC-Markt im Sinne von Fides ausgedrückt wurde. Tatsächlich war dieser Marktanteildas entscheidende Kriterium, da gegen ein Unternehmen mit einem bestimmtenMarktanteil ein gleich hoher Teil an der Gesamtgeldbuße festgesetzt wurde. Andiesem „Leitkurs“ nahm die Kommission — nach oben oder unten — Änderungenvor, die in der Entscheidung z. B. entsprechend der Dauer der Beteiligung oder derFeststellung der geringeren Rolle einer Klägerin festgelegt wurden. So wurde gegenein Unternehmen, das während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung

Vollmitglied des Kartells war, ein Anteil an der Gesamtgeldbuße festgesetzt, deretwa 110 % seines durchschnittlichen Marktanteils betrug.

1192.
    Die Argumente der Klägerinnen sind unter diesen Gesichtspunkten zu prüfen.

1193.
    Atochem hat auf eine Frage des Gerichts seinen durchschnittlichen Marktanteil inder Zeit von 1980 bis 1984 mit 10,5 % angegeben.

1194.
    ICI hat Zahlen vorgelegt, nach denen ihr durchschnittlicher Marktanteil für denZeitraum 1980 bis 1983, für den allein ihre Beteiligung in der Entscheidungfestgestellt worden ist, 7 % betrug.

1195.
    Die Kommission hat diese Zahlen nicht ernsthaft bestritten. Sie hat daher, indemsie bei Elf Atochem von einem Marktanteil von 13 % und bei ICI von einem Anteilvon 11 % ausgegangen ist, die Marktanteile dieser beiden Unternehmen zu hochangesetzt und diesen Klägerinnen folglich einen zu hohen Anteil an der Geldbußeauferlegt.

1196.
    Daher ist der Anteil der Geldbuße, der gegen Elf Atochem und ICI festgesetztworden ist, herabzusetzen.

1197.
    Die gegen Elf Atochem verhängte Geldbuße ist auf einen Teil der Gesamtgeldbußeherabzusetzen, der ihrem durchschnittlichen Marktanteil entspricht, erhöht umeinen Zuschlag, weil die Klägerin während der von der Kommission festgestelltenGesamtdauer des Kartells an der Zuwiderhandlung beteiligt war und keinebesonderen mildernden Umstände vorliegen. Die Geldbuße ist folglich auf 11 %der Gesamtgeldbuße, d. h. abgerundet auf 2 600 000 Euro, herabzusetzen.

1198.
    Die gegen ICI verhängte Geldbuße ist auf einen Teil der Gesamtgeldbußeherabzusetzen, der ihrem durchschnittlichen Marktanteil entspricht, vermindert umeinen Abschlag, weil die Klägerin sich von Oktober 1983 an nicht mehr an derZuwiderhandlung beteiligt hat. Die Geldbuße ist daher auf 6,6 % derGesamtgeldbuße, d. h. abgerundet auf 1 550 000 Euro, festzusetzen.

1199.
    Enichem macht geltend, daß ihr Marktanteil 1980 und 1981 2,7 %, 1982 5,5 %,1983 12,8 % und 1984 12,3 % betragen habe, so daß sich ihr durchschnittlicherMarktanteil für den gesamten Zeitraum auf etwas mehr als 7 % belaufe.

1200.
    Erstens sind aber, wie bereits festgestellt (vorstehend, Randnr. 615), die von derKlägerin vorgelegten Zahlen nicht hinreichend zuverlässig.

1201.
    Zweitens hat die Kommission im Falle der Klägerin entgegen deren Behauptungenkeinen durchschnittlichen Marktanteil von 15 % für die Zeit von 1980 bis 1984angesetzt. In der von der Kommission vorgelegten Tabelle wird ausdrücklich daraufhingewiesen, daß sich dieser Marktanteil auf 1984 bezieht. Zudem heißt es in einer

Fußnote, daß dieser Anteil durch den Erwerb des PVC-Geschäfts von Montedisonim März 1983 erzielt worden sei, durch den sich der Marktanteil der Klägerinunstreitig erheblich erhöht hat. Hätte die Kommission für den gesamten Zeitraumeinen durchschnittlichen Marktanteil von 15 % angenommen, hätte die gegen dieKlägerin verhängte Geldbuße höher sein müssen als die gegen Elf Atochem undSolvay verhängten Geldbußen, die sich sowohl bezüglich der Dauer derZuwiderhandlung als auch ihrer Beteiligung daran in einer vergleichbaren Situationwie die Klägerin befanden, aber einen Marktanteil, wie ihn die Kommissionzugrunde gelegt hatte, von unter 15 % besaßen; die gegen Enichem verhängteGeldbuße ist jedoch erheblich niedriger als die dieser beiden Unternehmen.

1202.
    Drittens steht der in der Anlage „Individuelle Besonderheiten“ zur Mitteilung derBeschwerdepunkte angegebene Marktanteil von 12 % nicht im Widerspruch zudem Anteil, der in der von der Kommission vorgelegten Tabelle genannt wird. Dererstgenannte Marktanteil betrifft nämlich das Jahr 1983 insgesamt, während derzweite nur den Marktanteil nach dem Erwerb des PVC-Geschäfts von Montedisonbetrifft.

1203.
    Schließlich ist gegen die Klägerin eine Geldbuße verhängt worden, die 10,6 % derGesamtgeldbuße ausmacht. Unter Berücksichtigung der von der Kommissionzugrunde gelegten Art und Weise der Berechnung ergibt sich somit, daß im Falleder Klägerin ein durchschnittlicher Marktanteil in Westeuropa von weniger als10 % angesetzt worden ist.

1204.
    Da die Klägerin einen solchen Marktanteil nicht ernsthaft bestritten hat, bestehtkein Grund, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen.

1205.
    Unter diesen Umständen sind die von den Klägerinnen geltend gemachtenKlagegründe unbeschadet dessen, was vorstehend im Fall von Elf Atochem und ICI(vgl. vorstehend, Randnrn. 1193 bis 1198) entschieden worden ist, zurückzuweisen.

1206.
    Das Gericht ist sich der Tatsache bewußt, daß, da die Kommission zuvor einenGesamtbetrag festgelegt hatte, den sie dann auf die Unternehmen aufgeteilt hat,die Herabsetzung der gegen einige Unternehmen verhängten Geldbuße zu einerentsprechenden Erhöhung der gegen die anderen Unternehmen verhängtenGeldbußen führen müßte, um zu demselben Gesamtbetrag zu gelangen. Unter denUmständen des vorliegenden Falles hält das Gericht in Ausübung der ihm nachArtikel 172 EG-Vertrag eingeräumten Befugnis zu unbeschränkterErmessensnachprüfung eine solche Erhöhung jedoch für nicht angebracht.

V — Zum Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze

1207.
    Die Klägerinnen rügen einen Verstoß gegen verschiedene allgemeine Grundsätze,nämlich den der individuellen Strafzumessung, den der Verhältnismäßigkeit undschließlich den der Gleichbehandlung.

Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der individuellenStrafzumessung

1208.
    Nach Ansicht von Elf Atochem, Wacker, Hoechst, SAV, Hüls und Enichem hat dieKommission mit der Feststellung, daß jeder Hersteller nicht nur für die ihmzuzurechnenden individuellen Entscheidungen, sondern auch für die Durchführungdes Kartells insgesamt verantwortlich sei, einen Grundsatz der kollektivenVerantwortlichkeit aufgestellt. Damit habe sie gegen den Grundsatz derindividuellen und auf die Person des Handelnden bezogenen Strafe verstoßen.

1209.
    Wie bereits entschieden (vorstehend, Randnrn. 768 bis 778) ist jede Klägerin nurfür die Handlungen zur Verantwortung gezogen worden, die ihr individuell zur Lastgelegt worden sind.

1210.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zu den Klagegründen wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Vorbringen der Klägerinnen

1211.
    Shell weist erstens auf die Randnummern 48 und 53 der Entscheidung hin, indenen ausdrücklich festgestellt werde, daß Shell nur am Rande an denVereinbarungen beteiligt gewesen sei, und macht zweitens geltend, daß ihreangebliche Beteiligung nur von Januar 1982 bis Oktober 1983, also 21 Monate,gedauert habe. Unter diesen Umständen sei die gegen sie verhängte Geldbußeunverhältnismäßig.

1212.
    Montedison macht geltend, die Geldbuße sei angesichts der kurzen Dauer derZuwiderhandlung unverhältnismäßig.

1213.
    Enichem verweist darauf, daß die in der zweiten Entscheidung in gleicher Höhe wiein der ersten gegen sie festgesetzte Geldbuße in Ecu ausgedrückt worden sei.Angesichts der starken Abwertung der italienischen Lira zwischen dem Erlaß derersten und dem der zweiten Entscheidung sei die von der Klägerin in italienischenLire geschuldete Geldbuße in Wirklichkeit erheblich höher als die 1988 gegen siefestgesetzte. Wenn man davon ausgehe, daß Dauer und Schwere derZuwiderhandlung sich gegenüber der Entscheidung 1988 offenkundig nicht geänderthätten und die seinerzeit festgesetzte Geldbuße als angemessen gelte, folge daraus,daß die heute von Enichem zu tragende Geldbuße, ausgedrückt in derLandeswährung, unverhältnismäßig sei.

1214.
    Außerdem habe für die Klägerin kein Grund bestanden, Vorsorge gegenüber einemWechselkursrisiko zu treffen, da das Urteil des Gerichts und später auch das desGerichtshofes sie von jeder Verpflichtung zur Zahlung einer Geldbußefreigesprochen hätten. In ihrem Fall sei die einzige Referenzwährung die Währung

des Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz habe (Urteil des Gerichtshofesvom 9. März 1977 in den Rechtssachen 41/73, 43/73 und 44/73, Société anonymeGénérale sucrière u. a./Kommission, Slg. 1977, 445, Randnrn. 12 und 13, undTatbestand, S. 455). Durch eine vorherige Umrechnung der ursprünglichenGeldbuße in italienische Lire wäre es z. B. leicht möglich gewesen, die nachteiligenAuswirkungen der Abwertung dieser Währung zu vermeiden.

Würdigung durch das Gericht

1215.
    Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 ist bei der Festsetzung der Höheder Geldbuße die Dauer und die Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.Somit ist die Verhältnismäßigkeit der Geldbuße anhand sämtlicher Umstände derZuwiderhandlung zu beurteilen.

1216.
    Im vorliegenden Fall hat Montedison nicht dargetan, inwiefern die gegen sieverhängte Geldbuße im Hinblick auf die Schwere und die Dauer derZuwiderhandlung unverhältnismäßig ist.

1217.
    Die Argumentation von Shell beruht auf Erwägungen, denen die Kommission beider Bemessung der Geldbuße Rechnung getragen hat und die zur Verhängungeiner Geldbuße geführt haben, die verhältnismäßig niedriger ist als die gegen dieanderen Unternehmen festgesetzte (Entscheidung, Randnr. 53 a. E.). Es gibtkeinen Anhaltspunkt dafür, daß die Höhe der auf diese Weise festgesetztenGeldbuße unverhältnismäßig ist.

1218.
    Zu den Ausführungen von Enichem ist festzustellen, daß die gegen dieUnternehmen verhängten Geldbußen nach Artikel 3 der Entscheidung auf Eculauten. Nach Artikel 4 der Entscheidung sind die verhängten Geldbußen in Ecuzahlbar.

1219.
    Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die in Ecu festgesetzte Geldbuße imHinblick auf Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung unangemessen ist.

1220.
    Zudem ist die Kommission berechtigt, die Höhe der Geldbuße in Ecuauszudrücken, einer in Landeswährung konvertiblen Währungseinheit. DieKonvertibilität des Ecu in Landeswährung unterscheidet diese Währungseinheit vonder ursprünglich in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 genanntenRechnungseinheit, zu der der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt hat, daß siekeine Währung ist, in der Zahlungen vorgenommen werden können, und die daherzwangsläufig die Bestimmung der Höhe der Geldbuße in Landeswährungerforderlich macht (Urteil Société anonyme Générale sucrière u. a./Kommission,Randnr. 15).

1221.
    Im übrigen steht fest, daß die gegen die Klägerin in Artikel 3 der Entscheidung inEcu festgesetzte Geldbuße mit der in Artikel 3 der Entscheidung 1988 festgesetztenübereinstimmt. Ziel der Kommission war nämlich gerade der Erlaß einer

Entscheidung, die in der Sache mit derjenigen von 1988 übereinstimmte, die wegeneines Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften für nichtig erklärt worden war.

1222.
    Da die Geldbußen bei Erlaß der Entscheidung 1988 in Ecu ausgedrückt waren undes keine gemeinsame einheitliche Währung, in der die Kommission die Geldbußenhätte ausdrücken können, oder feste Wechselkurse zwischen den Devisen derMitgliedstaaten gab, war schon deshalb das Risiko einer Änderung derWechselkurse unvermeidlich. Enichem hätte sich gegen solche Risiken schützenkönnen, solange die Rechtssache beim Gericht und anschließend imRechtsmittelverfahren beim Gerichtshof anhängig war. Schließlich hatte dieKommission bereits am Tag der Verkündung des Urteils vom 15. Juni 1994 ineinem Pressekommuniqué ihre Absicht bekanntgegeben, die Entscheidung neu zuerlassen, was einen Monat später geschah.

1223.
    Schließlich ist nicht bestritten worden, daß die verhängte Geldbuße, selbst wenn siein Landeswährung ausgedrückt wird, erheblich unter der Höchstgrenze des Artikels15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 bleibt.

1224.
    Nach alledem sind die Klagegründe zurückzuweisen.

Zu den Klagegründen wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

Vorbringen der Klägerinnen

1225.
    Die Klägerinnen machen vier Arten von Verstößen gegen denGleichbehandlungsgrundsatz geltend.

1226.
    Erstens machen LVM, Shell, DSM, ICI und Enichem geltend, daß jede von ihnenim Verhältnis zu einigen anderen Klägerinnen ungleich behandelt worden sei.

1227.
    Zweitens trägt Enichem vor, die gegen sie verhängte Geldbuße sei höher als die,die mit anderen Entscheidungen verhängt worden sei, die Sektoren betroffenhätten, die sich in einer weniger schweren Krise als der PVC-Sektor befundenhätten (Entscheidung 84/405/EWG der Kommission vom 6. August 1984 betreffendein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/30.350 — Zinc Producer Group][ABl. L 220, S. 27]).

1228.
    Drittens rügt Enichem, daß sie wegen der Entwicklung des Wechselkurses zwischenEcu und italienischer Lira zwischen dem Erlaß der Entscheidung 1988 und dem derzweiten Entscheidung diskriminiert worden sei. In Ecu ausgedrückt seien dieGeldbußen zwar mit denen von 1988 identisch, nicht aber wegen der seithererfolgten Wechselkursschwankungen in Landeswährung. Die Klägerin, deren inLandeswährung umgerechnete Geldbuße sich erheblich erhöht habe, sei somitgegenüber den anderen Adressaten der Entscheidung diskriminiert worden.

Tatsächlich werde sie dafür bestraft, daß sie mit Erfolg den Rechtsweg beschrittenhabe, der ihr gegen die ursprüngliche Entscheidung offengestanden habe.

1229.
    Viertens rügen LVM, DSM, ICI und Enichem, daß sie gegenüber Solvay und NorskHydro diskriminiert worden seien, die rechtlich jeder finanziellen Sanktionentgangen seien. Zum einen seien nämlich gegen Solvay und Norsk Hydro in derzweiten Entscheidung keine Geldbußen festgesetzt worden. Zum anderen würdendiese Unternehmen nicht von der in der Entscheidung 1988 verhängten Sanktionerfaßt, da diese Entscheidung gemäß dem mit Wirkung erga omnes ergangenenUrteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 gegenüber allen Unternehmen fürnichtig erklärt worden sei. Selbst wenn die Entscheidung 1988 nicht gegenüberSolvay und Norsk Hydro für nichtig erklärt worden wäre, könnte die Kommissionderen Vollstreckung nicht durchsetzen: zum einen, weil nach Artikel 192 EG-Vertrag die nationale Behörde die Echtheit der Entscheidung 1988 prüfen müsse,was nicht möglich sei, da diese Entscheidung mangels Feststellung für nichtigerklärt worden sei; zum anderen, weil die Verjährungsfrist für die Vollstreckung derSanktionen jetzt abgelaufen sei (Artikel 4 der Verordnung Nr. 2988/74).

Würdigung durch das Gericht

1230.
    Erstens ist, wie bereits ausgeführt, die Bestimmung der Höhe der individuellenGeldbußen das Ergebnis einer Gewichtung verschiedener Gesichtspunkte,insbesondere der Bedeutung des Unternehmens auf dem Markt, der Dauer seinerBeteiligung oder auch, insbesondere im Fall von Shell, der von ihm gespieltenRolle.

1231.
    Die Klägerinnen haben nicht den Beweis erbracht, daß die Kommission gleicheSachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelthätte. In Wirklichkeit beruhen alle Fälle, die die Klägerinnen für ihreDiskriminierung anführen, auf dem Vergleich ihrer eigenen Lage mit der einer odermehrerer anderer Klägerinnen, deren Bedeutung auf dem Markt oder derenBeteiligung an der Zuwiderhandlung hinsichtlich der Dauer oder ihrer Rolleunterschiedlich waren.

1232.
    Zweitens hängt die Bemessung der Geldbußen von einer Vielzahl von Kriterien ab,die in jedem Einzelfall nach sämtlichen konkreten Umständen zu würdigen sind.Zudem ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmteArten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in einer bestimmten Höhe verhängt hat,nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführungder gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (namentlich UrteilMusique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 109). Somit ist nicht derBeweis erbracht, daß die Kommission im vorliegenden Fall im Verhältnis zu ihrerfrüheren Praxis gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen hat.

1233.
    Drittens ist, was die angebliche Diskriminierung aufgrund der Abwertung oderWertminderung einiger nationaler Devisen gegenüber anderen betrifft, festzustellen,daß die gegen die einzelnen Klägerinnen verhängten Geldbußen in Ecu ausgedrücktsind. Durch die Festlegung in dieser Währung steht außer Frage, daß die gegen dieeinzelnen Klägerinnen in Artikel 3 der Entscheidung verhängten Geldbußen mitdenen in der Entscheidung 1988 übereinstimmen.

1234.
    Die Wechselkursrisiken sind untrennbar mit dem Bestehen unterschiedlichernationaler Währungen verbunden, deren Parität sich jederzeit ändern kann.Enichem behauptet im übrigen nicht, daß die Festsetzung der Geldbußen inLandeswährung die Wirkungen solcher Schwankungen neutralisieren könnte, wennwie im vorliegenden Fall Unternehmen betroffen sind, die ihren Sitz inverschiedenen Mitgliedstaaten haben und gegen die die Geldbußen in derLandeswährung dieser jeweiligen Staaten festgesetzt würden.

1235.
    Wie bereits festgestellt, kann die Kommission die Geldbußen in Ecu festsetzen,wodurch die Unternehmen im übrigen die Höhe der gegen sie festgesetztenGeldbußen leichter vergleichen können. Zudem war Ziel der Kommission geradeder Erlaß einer Entscheidung, die in der Sache mit der von 1988 übereinstimmteund durch die nur der Formfehler berichtigt werden sollte, der zu derenNichtigerklärung durch den Gerichtshof geführt hatte. Da die Geldbußen bereitsin der Entscheidung 1988 in Ecu ausgedrückt und Wechselkursrisikenunvermeidlich waren, hätte die Klägerin, wie bereits festgestellt (Randnr. 1222),Vorsorge gegen solche Risiken treffen können.

1236.
    Viertens beruht die angebliche Diskriminierung der Klägerinnen gegenüber Solvayund Norsk Hydro auf der Annahme, daß die Nichtigerklärung der Entscheidung1988 durch den Gerichtshof erga omnes wirke. Dazu genügt der Hinweis, daß dies,wie bereits festgestellt (vgl. vorstehend, Randnrn. 167 bis 174), nicht der Fall ist.

1237.
    Wenn ein Unternehmen durch sein Verhalten gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßen hat, kann es jedenfalls nicht deshalb jeder Sanktion entgehen,weil gegen einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, mit dessen Situation das Gerichtnicht befaßt ist, keine Geldbuße verhängt worden ist (namentlich Urteil AhlströmOsakeyhtiö u. a./Kommission, Randnr. 197).

1238.
    Somit sind sämtliche Klagegründe wegen Verstoßes gegen allgemeineRechtsgrundsätze zurückzuweisen.

1239.
    Nach alledem sind sämtliche Klagegründe, die die Klägerinnen zur Stützung ihresAntrags auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße vorgetragen haben,mit folgenden Einschränkungen zurückzuweisen.

1240.
    Gemäß den Randnummern 1143, 1197 und 1198 sind die gegen Elf Atochem, SAVund ICI verhängten Geldbußen auf 2 600 000 Euro, 135 000 Euro bzw. 1 550 000Euro herabzusetzen.

Zu den übrigen Anträgen

1241.
    Neben den vorstehend untersuchten Anträgen sowie den Kostenanträgen haben dieKlägerinnen einige andere Anträge gestellt (vgl. vorstehend, Randnrn. 27 bis 30).

1242.
    Von diesen sind einige wegen ihres engen Zusammenhangs mit den Klagegründen,die zur Stützung der Anträge auf Nichtigerklärung der Entscheidung oder aufNichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße vorgetragen worden sind, bereitsgeprüft und zurückgewiesen worden (vgl. vorstehend, Randnrn. 268, 365 bis 371,375 bis 377 und 1091).

1243.
    Die Anträge auf Beiziehung der Unterlagen, die im Rahmen der gegen dieEntscheidung 1988 erhobenen Klagen vorgelegt worden sind, sind aus den bereitsdargelegten Gründen (Randnr. 39) zurückzuweisen.

1244.
    Somit sind der Antrag auf Nichtigerklärung des Artikels 2 der Entscheidung (I) undder Antrag von Montedison auf Schadensersatz (II) zu prüfen.

I — Zum Antrag auf Nichtigerklärung des Artikels 2 der Entscheidung

Vorbringen der Klägerinnen

1245.
    Hoechst macht in ihrer Erwiderung, ohne dies förmlich in ihren Antrageinzubeziehen, geltend, daß Artikel 2 des verfügenden Teils der Entscheidung, derdie Verpflichtung zur Abstellung der Zuwiderhandlung ausspreche, ihr gegenüberrechtswidrig sei. Diese Bestimmung trage nämlich nicht der Tatsache Rechnung,daß die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung nicht mehr imPVC-Sektor tätig gewesen sei.

1246.
    DSM verweist darauf, daß die Kommission nach Artikel 3 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17 die Unternehmen verpflichten könne, die festgestellteZuwiderhandlung abzustellen. Im vorliegenden Fall werde den PVC-Herstellern inArtikel 2 der Entscheidung u. a. aufgegeben, jeden Austausch vertraulicherInformationen untereinander abzustellen. Weder Artikel 1 der Entscheidung nochderen Begründung erlaube den Schluß, daß eine solche Zuwiderhandlungfestgestellt worden sei. Die Kommission habe somit die ihr in diesem Artikel derVerordnung Nr. 17 eingeräumten Befugnisse überschritten.

Würdigung durch das Gericht

1247.
    Zu dem Klagegrund von Hoechst genügt, ohne daß die Frage seiner Zulässigkeitnach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung geprüft zu werden braucht, der

Hinweis, daß Artikel 2 der Entscheidung ausdrücklich an die Unternehmengerichtet ist, „die nach wie vor auf dem PVC-Sektor ... tätig sind“. Somit ist dasVorbringen zur Stützung dieses Antrags offenkundig nicht haltbar.

1248.
    Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission, wenn sieu. a. eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag feststellt, die beteiligtenUnternehmen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlungabzustellen. Wie sich aus Randnummer 50 der Entscheidung ergibt, stützt sichderen Artikel 2 auf diese Bestimmung. Nach der inhaltlichen Wiedergabe dieserBestimmung führt die Kommission aus: „[Es] ist nicht bekannt, ob die Sitzungenoder zumindest ein gewisser Informationsaustausch zwischen den Unternehmenüber Preise und Mengen tatsächlich je aufgehört haben. Es ist daher angebracht,in jeder Entscheidung die Unternehmen, die noch auf dem PVC-Sektor tätig sind,formell aufzufordern, den Verstoß abzustellen und sich in Zukunft [aller]Absprachen mit ähnlichen Zielen oder Wirkungen zu enthalten.“

1249.
    Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17 das Verbot beinhalten, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oderZustände, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist, fortzuführen (Urteile desGerichtshofes, Istituto Chemioterapico und Commercial Solvents/Kommission,Randnr. 45, und vom 6. April 1995 in den Rechtssachen C-241/91 P undC-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Randnr. 90), sie kann aberauch das Verbot eines künftigen gleichartigen Verhaltens umfassen (Urteil desGerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission,Slg. 1994, II-755, Randnr. 220).

1250.
    Da sich die Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 nach derfestgestellten Zuwiderhandlung richten muß, ist die Kommission befugt, denUmfang der Verpflichtungen festzulegen, die den Unternehmen zur Abstellungdieser Zuwiderhandlung auferlegt werden. Solche den Unternehmen auferlegteVerpflichtungen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zurErreichung des angestrebten Zieles, d. h. der Wiederherstellung der Legalität imHinblick auf die verletzten Vorschriften, angemessen und erforderlich ist (UrteilRTE und ITP/Kommission, Randnr. 93).

1251.
    Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Artikel 2 der Entscheidung die aufdem PVC-Sektor noch tätigen Unternehmen verpflichtet, die in der Entscheidungfestgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen.

1252.
    Sodann hat sie den Unternehmen aufgegeben, in Zukunft in dem betreffendenSektor von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmtenVerhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken können,Abstand zu nehmen.

1253.
    Derartige Anordnungen gehören offenkundig zu den Befugnissen, über die dieKommission nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 verfügt.

1254.
    Zu diesen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe wiedie in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen bezwecken oderbewirken, hat die Kommission jeden „Austausch von Informationen, dienormalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die Teilnehmerdirekt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kostenoder Investitionspläne anderer Hersteller informiert“ werden, gerechnet. Da dieKommission berechtigt ist, für die Zukunft jede Vereinbarung oder abgestimmteVerhaltensweise mit einem gleichen oder ähnlichen Zweck wie dem der in derEntscheidung festgestellten Verhaltensweise zu untersagen, hat sie den Austauschder betreffenden Informationen zu Recht mit einbezogen. Zum einen enthält dieEntscheidung nämlich insbesondere einen Vorwurf, der gerade auf den Austauschvon Absatzdaten gestützt wird. Zum anderen beruhten die Herstellersitzungen aufdem Austausch von Informationen über Preise und Verkaufsmengen, da dortgemeinsam die in diesen Bereichen zu verfolgende Politik festgelegt werden sollte.Ebenso ist die Kommission berechtigt, den in der Entscheidung genanntenInformationsaustausch über Absatz- und Verkaufspreise, allerdings auch denAustausch von Informationen anderer Art zu verbieten, die „indirekt“ zu einem„gleichen oder ähnlichen“ Ergebnis führen können. Insbesondere läßt sich aus demAustausch individualisierter Daten über Produktion und Lagerbestände leicht derAbsatz des einzelnen Unternehmens ableiten. Würde man der Kommission nichtdie Befugnis zum Verbot eines solchen Austauschs einräumen, könnten dieUnternehmen die ihnen auferlegte Verpflichtung, Verhaltensweisen wie die in derEntscheidung festgestellte nicht fortzuführen oder zu wiederholen, leicht umgehen.

1255.
    Das Verbot des Austauschs von Informationen, die normalerweise demGeschäftsgeheimnis unterliegen und „aufgrund deren [die Unternehmen] in dieLage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis-oder Marktaufteilungsabsprachen ... zu kontrollieren“, steht in unmittelbaremZusammenhang mit den in der Entscheidung festgestellten Verhaltensweisen; dortwird den Unternehmen vorgeworfen, gemeinsam Regelungen zur Kontrolle desAbsatzes und der Preisinitiativen durchgeführt zu haben.

1256.
    In Artikel 2 Satz 3 der Entscheidung heißt es eingangs: „Ein Verfahren zumAustausch von den PVC-Sektor betreffenden allgemeinen Informationen, dem sichdie Hersteller anschließen, muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführtwerden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten läßt ...“Die Entscheidung stellt die Systeme, denen sich die Hersteller zum Austauschallgemeiner Daten anschließen, nicht in Frage, da sich aus ihnen nicht dasVerhalten bestimmter Hersteller ableiten läßt; diese Systeme beschränken sichvielmehr auf die Mitteilung zusammengefaßter Daten (vgl. Randnr. 12, dritterAbsatz, der Entscheidung). Artikel 2 Satz 3 soll somit lediglich verhindern, daß dieHersteller das Verbot, Verhaltensweisen wie die in der Entscheidung festgestelltenfortzuführen oder zu wiederholen, umgehen können, indem sie an die Stelle des

Systems regelmäßiger Sitzungen ein System des Austauschs individualisierter Datensetzen, das zu demselben Ergebnis führen würde. Dieser Satz präzisiert somit nurden davor angeführten Begriff der Vereinbarung oder abgestimmtenVerhaltensweise, die ähnliches bezweckt oder bewirkt.

1257.
    Der zweite Teilsatz des Artikels 2 Satz 3 der Entscheidung enthält gegenüber demersten Teilsatz keine neue Aussage. Er soll lediglich klarstellen, daß das Verbot desAustauschs individualisierter Daten, aus denen sich das Verhalten des einzelnenHerstellers ableiten läßt, im Rahmen eines Systems, dem sich die Herstellerangeschlossen haben, nicht dadurch umgangen werden darf, daß die Hersteller dieDaten unmittelbar untereinander austauschen.

1258.
    Schließlich läßt sich Artikel 2 Satz 3 der Entscheidung klar entnehmen, daß imUnterschied zu dem Fall, mit dem das Gericht aufgrund der Klagen gegen dieEntscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahrennach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton) (ABl. L 243, S. 1) befaßt war,die Kommission kein Verbot mit in die Entscheidung aufgenommen hat, das unterbestimmten Voraussetzungen auch den Austausch von Daten in zusammengefaßterForm erfaßt.

1259.
    Nach alledem überschreiten die den Unternehmen in Artikel 2 der Entscheidungauferlegten Verpflichtungen offensichtlich nicht die Grenzen dessen, was zurWiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriftenangemessen und erforderlich ist. Somit hat die Kommission mit Erlaß des Artikels2 der Entscheidung nicht die Befugnisse überschritten, die ihr nach Artikel 3Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 eingeräumt sind.

1260.
    Infolgedessen ist der Antrag auf Nichtigerklärung des Artikels 2 der Entscheidungzurückzuweisen.

II — Zum Antrag auf Schadensersatz

1261.
    Montedison beantragt, die Kommission zum Ersatz des Schadens zu verurteilen,der der Klägerin wegen der Kosten für die Stellung einer Bankbürgschaft sowiewegen aller anderen Kosten im Zusammenhang mit der Entscheidung entstandenist.

1262.
    Der Klageschrift läßt sich nicht entnehmen, auf welche Rechtsgrundlage dieKlägerin diesen Antrag stützen will.

1263.
    Damit entspricht die Klageschrift insoweit nicht den Mindestanforderungen an dieZulässigkeit einer Klage nach Artikel 19 der Satzung des Gerichtshofes und Artikel44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung. Dieser Antrag ist daher als unzulässigzurückzuweisen (Urteil Parker Pen/Kommission, Randnrn. 99 und 100).

1264.
    Selbst wenn der der Kommission vorgeworfene Fehler im Zusammenhang mit denverschiedenen Rügen stände, die die Klägerin zur Stützung ihres vom Gerichtzurückgewiesenen Nichtigkeitsantrags vorgetragen hat, wäre derSchadensersatzantrag auf jeden Fall für unbegründet zu erklären.

Ergebnis

1265.
    Aus der gesamten vom Gericht vorgenommenen Prüfung ergibt sich, daß Artikel1 der Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären ist, als dort festgestellt wird,daß SAV nach dem ersten Halbjahr 1981 an der beanstandeten Zuwiderhandlungbeteiligt war. Die gegen Elf Atochem, SAV und ICI verhängten Geldbußen sind auf2 600 000 Euro, 135 000 Euro bzw. 1 550 000 Euro herabzusetzen. Im übrigen sinddie Klagen abzuweisen.

Kosten

1266.
    Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antragzur Tragung der Kosten zu verurteilen. Besteht der unterliegende Teil ausmehreren Personen, so entscheidet das Gericht über die Verteilung der Kosten.

1267.
    Da LVM, BASF, Shell, DSM, Wacker, Hoechst, Montedison, Hüls und Enichemmit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten der Kommissionentsprechend deren Antrag aufzuerlegen.

1268.
    Da Elf Atochem und ICI mit ihrem Vorbringen teilweise unterlegen sind, tragendie Klägerinnen und die Kommission jeweils ihre eigenen Kosten.

1269.
    Da SAV mit ihrem Vorbringen zu einem Teil unterlegen ist, zu einem erheblichenTeil aber obsiegt hat, sind ihr zwei Drittel ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen, unddie Kommission ist außer zur Tragung ihrer eigenen Kosten zur Tragung einesDrittels der Kosten der Klägerin zu verurteilen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Rechtssachen T-305/94, T-306/94, T-307/94, T-313/94, T-314/94, T-315/94,T-316/94, T-318/94, T-325/94, T-328/94, T-329/94 und T-335/94 werden zugemeinsamer Entscheidung verbunden.

2.    Artikel 1 der Entscheidung 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli 1994betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags (IV/31.865, PVC)wird insoweit für nichtig erklärt, als dort festgestellt wird, daß die Sociétéartésienne de vinyle nach dem ersten Halbjahr 1981 an der beanstandetenZuwiderhandlung beteiligt gewesen ist.

3.    Die gegen die Elf Atochem SA, die Société artésienne de vinyle und dieImperial Chemical Industries plc in Artikel 3 dieser Entscheidungverhängten Geldbußen werden auf 2 600 000 Euro, 135 000 Euro bzw.1 550 000 Euro herabgesetzt.

4.    Im übrigen werden die Klagen abgewiesen.

5.    Jede Klägerin trägt in ihrer jeweiligen Rechtssache ihre eigenen Kostensowie die Kosten der Kommission. In den Rechtssachen T-307/94 undT-328/94 tragen jedoch die Elf Atochem SA, die Imperial ChemicalIndustries plc und die Kommission jeweils ihre eigenen Kosten. In derRechtssache T-318/94 trägt die Société artésienne de vinyle zwei Drittelihrer eigenen Kosten und die Kommission neben ihren eigenen Kosten einDrittel der Kosten der Klägerin.

Tiili
Lenaerts
Potocki

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. April 1999.

Der Kanzler

Die Präsidentin

H. Jung

V. Tiili

Inhaltsverzeichnis

    Sachverhalt

II -

    Verfahren

II -

    Anträge der Parteien

II -

    Zur Zulässigkeit der Klagegründe im Hinblick auf die Artikel 44 § 1, 46 § 1 und 48 § 2 derVerfahrensordnung

II -

        I — Zu den Einreden der Unzulässigkeit, die auf Artikel 44 § 1 Buchstabe c derVerfahrensordnung gestützt sind

II -

            Vorbringen der Parteien

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

        II — Zur Einrede der Unzulässigkeit, die auf Artikel 46 § 1 der Verfahrensordnunggestützt wird

II -

            Vorbringen der Parteien

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

        III — Zu den Einreden der Unzulässigkeit, die auf Artikel 48 § 2 derVerfahrensordnung gestützt werden

II -

            Vorbringen der Parteien

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

    Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung

II -

        I — Zu den Klagegründen, die Form- und Verfahrensmängel betreffen

II -

            A — Die Wirkungen des Urteils vom 15. Juni 1994, mit dem die Entscheidung1988 für nichtig erklärt worden ist

II -

                1.    Zur Befugnis der Kommission, nach dem Urteil vom 15. Juni 1994 eineneue Entscheidung zu erlassen

II -

                    a) Zu den Klagegründen, nach denen die Kommission die Entscheidungnicht erlassen konnte

II -

                    Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Rechtskraft

II -

                    — Vorbringen der Parteien

II -

                    — Würdigung durch das Gericht

II -

                    Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem

II -

                    — Vorbringen der Parteien

II -

                    — Würdigung durch das Gericht

II -

                    b) Zu den auf die Länge des verstrichenen Zeitraums gestütztenKlagegründen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    — Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz derSachbehandlung innerhalb angemessener Frist

II -

                    — Zum Klagegrund des Rechtsmißbrauchs

II -

                    — Zum Klagegrund des Verstoßes gegen die Grundsätze eines fairenVerfahrens

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    c) Zu den Klagegründen, die sich auf einen Ermessensfehlgebrauch derKommission stützen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                2. Zur Tragweite des Urteils vom 15. Juni 1994

II -

                    a) Zu den Rügen, die sich auf die Wirkung „erga omnes“ des Urteilsvom 15. Juni 1994 stützen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    b) Zu den Rügen, die die Ungültigkeit der Verfahrenshandlungen vordem Erlaß der Entscheidung betreffen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                3. Zur Art und Weise des Erlasses der zweiten Entscheidung nach derNichtigerklärung der Entscheidung 1988

II -

                    Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerinnen

II -

                    — Zu den nach dem Sekundärrecht vorgeschriebenenVerfahrensabschnitten

II -

                    — Zu dem von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch aufrechtliches Gehör

II -

                    Vorbringen der Kommission

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

            B — Unregelmäßigkeiten bei Erlaß und Feststellung der Entscheidung

II -

                1. Zu den Klagegründen, die die Rechtswidrigkeit der Geschäftsordnung derKommission vom 17. Februar 1993 betreffen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    — Zur Zulässigkeit der Einrede der Rechtswidrigkeit

II -

                    — Rechtswidrigkeit des Artikels 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung wegenVerstoßes gegen das Erfordernis der Rechtssicherheit

II -

                2. Zu den Klagegründen eines Verstoßes gegen das Kollegialprinzip undgegen die Geschäftsordnung der Kommission

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                3. Zu dem Klagegrund bezüglich des Inhalts der dem Kollegium derKommissionsmitglieder zur Beratung vorgelegten Akte

II -

                4. Zu den Klagegründen, die den Verstoß gegen den Grundsatz der Identitätvon beratendem und beschlußfassendem Organ und den Grundsatz derUnmittelbarkeit betreffen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

            C — Mängel des Verwaltungsverfahrens

II -

                1. Zu den Klagegründen, die angebliche Mängel bei der Mitteilung derBeschwerdepunkte betreffen

II -

                    a) Zu dem Klagegrund, mit dem Formfehler bei der Mitteilung derBeschwerdepunkte geltend gemacht werden

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    b) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 3 der VerordnungNr. 1 des Rates

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    c) Zum Klagegrund einer unzureichenden Frist für die Vorbereitung derAntwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                2. Zu den Klagegründen, mit denen Mängel bei der Anhörung gerügtwerden

II -

                    a) Zum Klagegrund einer für die Vorbereitung der Anhörungunzureichenden Frist

II -

                    b) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 3 der VerordnungNr. 1

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    c) Zum Klagegrund der Unvollständigkeit des Anhörungsprotokolls

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    d) Zum Klagegrund der Nichtvorlage des Berichts desAnhörungsbeauftragten

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

            D — Verstoß gegen Artikel 190 EG-Vertrag

II -

                Vorbringen der Parteien

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

        II — Zu den materiell-rechtlichen Klagegründen

II -

            A — Zu den Beweisen

II -

                1. Zur Zulässigkeit der Beweise

II -

                    a) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz derUnverletzlichkeit der Wohnung

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    i) Zur Zulässigkeit des Klagegrundes

II -

                    ii) Zur Begründetheit des Klagegrundes

II -

                    — Zur ersten Rüge bezüglich der Gültigkeit derNachprüfungsanordnungen

II -

                    — Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes betreffend die Durchführungder Nachprüfungsanordnungen

II -

                    b) Zum Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Recht, „dieAussage zu verweigern“ und sich nicht selbst zu belasten, gerügtwird

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    — Zur Zulässigkeit des Klagegrundes

II -

                    — Zur Begründetheit des Klagegrundes

II -

                    c) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 20 Absatz 1 derVerordnung Nr. 17

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    — Sachverhalt

II -

                    — Zur Begründetheit des Klagegrundes

II -

                    d) Zu dem Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß dieWeigerung, auf Auskunftsverlangen zu antworten oder Unterlagenvorzulegen, nicht als Beweis gewertet werden dürfe

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    — Nachweis der Zuwiderhandlung

II -

                    — Nachweis der Beteiligung an der Zuwiderhandlung

II -

                    e) Zum Klagegrund der fehlenden Übermittlung von Schriftstücken

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    f) Zum Klagegrund der verspäteten Übermittlung der Schriftstücke

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                2. Zur Beweisführung

II -

                    a) Zum Klagegrund des fehlenden Beweiswerts bestimmter von derKommission angeführter Gruppen von Beweisen

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    b) Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen die Regeln derBeweisführung

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

            B — Zum Vorliegen eines Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag

II -

                1. Zum Sachverhalt

II -

                    Zusammenfassung der Entscheidung

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    — Zum Ursprung des Kartells

II -

                    — Zu den Herstellersitzungen

II -

                    — Zu den Quoten- und Ausgleichsregelungen

II -

                    — Zur Überwachung der Verkäufe auf den nationalen Märkten

II -

                    — Zu den Preisinitiativen

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    — Zu den Quotenregelungen

II -

                    — Zur Überwachung der Verkäufe auf den nationalen Märkten

II -

                    — Zu den Zielpreisen und den Preisinitiativen

II -

                    — Zum Ursprung des Kartells

II -

                    — Zu den Herstellersitzungen

II -

                2. Rechtliche Würdigung

II -

                    a) Zur Qualifizierung als Vereinbarung „und/oder“ abgestimmteVerhaltensweise

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    b) Zu der im vorliegenden Fall vorgenommenen Qualifizierung als„Vereinbarung“ und/oder „abgestimmte Verhaltensweise“

II -

                    Vorbringen der Klägerinnen

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    c) Zur Qualifizierung des Zweckes oder der Wirkung alswettbewerbswidrig

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    d) Zur Feststellung einer Beeinträchtigung des Handels zwischenMitgliedstaaten

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    e) Zu den anderen Klagegründen rechtlicher Art

II -

                    Zum Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs

II -

                    Zum Klagegrund der fehlenden Übereinstimmung zwischen demverfügenden Teil und der Begründung der Entscheidung

II -

            C — Zur Beteiligung der Klägerinnen an der festgestellten Zuwiderhandlung

II -

                1. Zu der angeblichen Zurechnung einer kollektiven Verantwortlichkeit

II -

                    Vorbringen der Parteien

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                2. Zur individuellen Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

II -

                    a) DSM

II -

                    Vorbringen der Klägerinnen

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    b) Atochem

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    c) BASF

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    d) Shell

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    e) LVM

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    f) Wacker

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    g) Hoechst

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    h) SAV

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    i) Montedison

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    j) Hüls

II -

                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                    k) Enichem

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                    Vorbringen der Klägerin

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

            D — Zur Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung und zur Frage des richtigenAdressaten der Entscheidung

II -

                1. Zur Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung

II -

                    Vorbringen der Klägerinnen

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

                2. Zur Frage des richtigen Adressaten der Entscheidung

II -

                    Vorbringen der Klägerinnen

II -

                    Würdigung durch das Gericht

II -

        III — Zu den Klagegründen, die die Akteneinsicht betreffen

II -

            A — Zu den Bedingungen, unter denen die Kommission im VerwaltungsverfahrenEinsicht in ihre Akten gewährt hat

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                Vorbringen der Parteien

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

            B — Zu den im Rahmen der prozeßleitenden Maßnahme eingereichtenStellungnahmen

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                Vorbringen der Parteien

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

    Geldbußen

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        I — Zu den Klagegründen, die sich auf die Länge des verstrichenen Zeitraums und dieVerjährung stützen

II -

            Vorbringen der Parteien

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

        II — Zu den Klagegründen, mit denen ein Verstoß gegen Artikel 15 Absatz 2 derVerordnung Nr. 17 gerügt wird

II -

            Zur Vorsätzlichkeit der Zuwiderhandlung

II -

            Zur Dauer der Zuwiderhandlung

II -

                Vorbringen der Parteien

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

            Zum berücksichtigten Umsatz

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                Vorbringen der Parteien

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

            Zur fehlenden Berücksichtigung einer Reihe mildernder Umstände

II -

                Vorbringen der Klägerinnen

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

        III — Zu den Klagegründen, mit denen ein Verstoß gegen die Begründungspflichtgerügt wird

II -

            Vorbringen der Parteien

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

        IV — Zu den Rechtsfehlern und den offenkundigen Beurteilungsfehlern

II -

            Vorbringen der Klägerinnen

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

        V — Zum Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze

II -

            Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der individuellenStrafzumessung

II -

            Zu den Klagegründen wegen Verstoßes gegen denVerhältnismäßigkeitsgrundsatz

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                Vorbringen der Klägerinnen

II -

                Würdigung durch das Gericht

II -

            Zu den Klagegründen wegen Verstoßes gegen denGleichbehandlungsgrundsatz

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                Vorbringen der Klägerinnen

II -

                Würdigung durch das Gericht

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    Zu den übrigen Anträgen

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        I — Zum Antrag auf Nichtigerklärung des Artikels 2 der Entscheidung

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            Vorbringen der Klägerinnen

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            Würdigung durch das Gericht

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        II — Zum Antrag auf Schadensersatz

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    Ergebnis

II -


1: Verfahrenssprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch.