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Rechtssachen T-227/01 bis T-229/01, T-265/01, T-266/01 und T-270/01

Territorio Histórico de Álava – Diputación Foral de Álava u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Staatliche Beihilfen – Steuervorteile, die von einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats gewährt werden – Steuergutschrift in Höhe von 45 % der Investitionen – Entscheidungen, mit denen die Beihilferegelungen für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt werden und die Rückforderung der gewährten Beihilfen angeordnet wird – Berufsverband – Zulässigkeit – Qualifizierung als neue oder als bestehende Beihilfen – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Grundsatz der Rechtssicherheit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

Leitsätze des Urteils

1.      Verfahren – Streithilfe – Zulässigkeit – Erneute Prüfung nach Erlass eines früheren Zulassungsbeschlusses

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 2)

2.      Verfahren – Streithilfe – Personen, die ein berechtigtes Interesse haben – Repräsentative Vereinigung, die den Schutz der Interessen ihrer Mitglieder bezweckt – Zulässigkeit in Rechtssachen, die Grundsatzfragen aufwerfen, die sich auf diese Mitglieder auswirken können

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 2 und 53 Abs. 1)

3.      Verfahren – Antrag auf Zulassung als Streithelfer – Formerfordernisse

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 116 § 4 Abs. 2)

4.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Entscheidung der Kommission, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird – Klage einer berufsständischen Vereinigung, die die Interessen ihrer Mitglieder verteidigt und vertritt

(Art. 230 Abs. 4 EG)

5.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Gewährung einer Abgabenbefreiung durch staatliche Stellen an bestimmte Unternehmen – Einbeziehung

(Art. 87 Abs. 1 EG)

6.      Staatliche Beihilfen – Prüfung von Beschwerden – Verpflichtungen der Kommission – Begründung

(Art. 87 Abs. 2 EG und 253 EG)

7.      Staatliche Beihilfen – Beeinträchtigung des Handelsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Prüfung einer Beihilferegelung in ihrer Gesamtheit

(Art. 87 EG)

8.      Staatliche Beihilfen – Beeinträchtigung des Handelsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beihilfen geringen Umfangs – Zeitlich begrenzte Beihilfen – Unbeachtlich

(Art. 87 Abs. 1 EG)

9.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Selektiver Charakter der Maßnahme – Nationale Regelung, mit der eine Steuergutschrift eingeführt wird

(Art. 87 Abs. 1 EG)

10.    Staatliche Beihilfen – Begriff – Von regionalen oder lokalen Einrichtungen gewährte Beihilfen – Einbeziehung

(Art. 87 Abs. 1 EG)

11.    Staatliche Beihilfen – Begriff – Spezifische steuerliche Maßnahme – Selektiver Charakter der Maßnahme – Begründung mit der Natur oder der Struktur des Steuersystems – Ausschluss

(Art. 87 Abs. 1 EG)

12.    Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können – Ermessen der Kommission

(Art. 87 Abs. 3 EG)

13.    Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Qualifizierung als bestehende Beihilfe – Kriterien – Maßnahme, die eine wesentliche Änderung einer bestehenden Beihilferegelung vorsieht – Ausschluss

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b Ziff. ii)

14.    Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Qualifizierung als bestehende Beihilfe – Kriterien – Entwicklung des Gemeinsamen Marktes

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b Ziff. v)

15.    Staatliche Beihilfen – Verwaltungsverfahren – Recht der Beteiligten zur Stellungnahme

(Art. 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

16.    Verfahren – Streithilfe – Antrag, der auf die Unterstützung der Anträge einer Partei gerichtet ist

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 4; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 116 § 3)

17.    Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Prüfungsverfahren vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 659/1999 – Keine einzuhaltenden spezifischen Fristen – Grenze – Beachtung der Erfordernisse der Rechtssicherheit – Verpflichtung, die infolge einer Beschwerde eingeleitete Vorprüfung innerhalb einer angemessenen Frist abzuschließen

(Art. 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates)

18.    Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährte Beihilfe – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Empfänger – Schutz – Voraussetzungen und Grenzen

(Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 1 EG)

19.    Staatliche Beihilfen – Beihilfevorhaben – Prüfung durch die Kommission – Vorprüfungsphase und kontradiktorische Prüfungsphase – Einhaltung einer angemessenen Frist

(Art. 88 Abs. 2 und 3 EG)

20.    Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

(Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 1 EG)

1.      Die Tatsache, dass das Gericht mit einem früheren Beschluss eine Person als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge einer Partei zugelassen hat, steht einer erneuten Prüfung der Zulässigkeit der Streithilfe dieser Person nicht entgegen.

(vgl. Randnr. 81)

2.      Eine weite Auslegung des Beitrittsrechts repräsentativer Vereinigungen, die den Schutz ihrer Mitglieder bezwecken, in Rechtssachen, die Grundsatzfragen aufwerfen, die sich auf diese Mitglieder auswirken können, soll es ermöglichen, den Rahmen der Rechtssachen besser zu beurteilen und zugleich eine Vielzahl individueller Beitritte, die die Wirksamkeit und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens beeinträchtigen könnten, zu vermeiden.

Ein sektorübergreifender Unternehmensverband, der u. a. die Vertretung und Wahrnehmung der Interessen von Unternehmen bezweckt, von denen einige aufgrund einer Steuerbefreiungsregelung tatsächlich Beihilfen erhalten haben, und der im Übrigen an dem Verwaltungsverfahren teilgenommen hat, das zum Erlass von Entscheidungen der Kommission geführt hat, mit denen die Steuerbefreiungsregelung für rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und die Rückforderung der nach dieser Regelung gezahlten Beihilfen angeordnet wurde, macht ein Interesse daran glaubhaft, auf die Nichtigerklärung dieser Entscheidungen gerichteten Klagen als Streithelfer beizutreten.

(vgl. Randnrn. 83-90)

3.      Der Streithilfeantrag, der gemäß Art. 116 § 4 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts eine kurze Darlegung der Angriffs‑ und Verteidigungsmittel sowie der Argumente des Streithelfers enthalten muss, hat ebenso wie die Klageschrift so klar und genau zu sein, dass dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, ermöglicht wird.

Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es ebenso wie bei der Klageschrift erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich der Streithilfeantrag stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich, aus seinem Wortlaut selbst heraus ergibt. Zwar kann der Text des Antrags zu bestimmten Punkten durch Bezugnahmen auf als Anlage beigefügte Aktenauszüge untermauert und ergänzt werden, doch kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie dem Antrag als Anlagen beigefügt sind, nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der Rechtsausführungen ausgleichen, die im Antrag enthalten sein müssen. Außerdem ist es nicht Sache des Gerichts, die Angriffs‑ und Verteidigungsmittel sowie die Argumente, auf die sich der Antrag möglicherweise stützen lässt, in den Anlagen zu suchen und zu bestimmen, denn die Anlagen haben eine bloße Beweis‑ und Hilfsfunktion.

Ein Streithilfeantrag, der pauschal auf Klageschriften in Rechtssachen verweist, die mit derjenigen verbunden sind, für die der Antrag gestellt wird, erfüllt nicht diese Anforderungen, wenn sich nicht aus ihm selbst, zumindest in gedrängter Form oder in Grundzügen, die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände ergeben, auf denen er beruht.

(vgl. Randnrn. 94-97, 100-101)

4.      Ein Verband, der mit der Wahrnehmung der Kollektivinteressen von Unternehmen betraut ist, ist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen eine abschließende Entscheidung der Kommission über staatliche Beihilfen grundsätzlich nur dann befugt, wenn diese Unternehmen oder einige von ihnen auch einzeln klagebefugt sind oder wenn der Verband ein eigenes Interesse dartun kann.

Eine natürliche oder juristische Person kann nur dann geltend machen, individuell betroffen zu sein, wenn sie von der streitigen Maßnahme wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wird wie der Adressat. Die potenziell Begünstigten einer Beihilferegelung sind zwar nicht allein aufgrund dieser Eigenschaft als von der Entscheidung der Kommission über die Feststellung der Unvereinbarkeit der entsprechenden Regelung mit dem Gemeinsamen Markt individuell betroffen anzusehen, jedoch befindet sich ein Unternehmen, das nicht nur als ein durch die streitige Beihilferegelung potenziell Begünstigter, sondern auch in seiner Eigenschaft als tatsächlich Begünstigter einer nach dieser Regelung gewährten individuellen Beihilfe, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat, von der fraglichen Entscheidung betroffen ist, in einer anderen Lage. Sofern der Mitgliedstaat in der Entscheidung verpflichtet wird, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um von den Begünstigten die fraglichen Beihilfen zurückzufordern, sind im Übrigen die begünstigten Unternehmen als von der Entscheidung unmittelbar betroffen anzusehen.

Demzufolge ist ein Verband, der mit der Wahrnehmung der Interessen von Unternehmen betraut ist, von denen feststeht – sei es auch aufgrund der mündlichen Verhandlung –, dass sie tatsächlich Begünstigte einer nach Beihilferegelungen gewährten individuellen Beihilfe sind und als solche ihrerseits klagebefugt wären, in Bezug auf Entscheidungen der Kommission, mit denen die Rechtswidrigkeit dieser Regelungen und deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt und die Aufhebung der Regelungen sowie die Rückforderung der gezahlten Beihilfen angeordnet wird, klagebefugt.

(vgl. Randnrn. 107-118)

5.      Der Begriff der Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Lasten verringern, die ein Unternehmen sonst zu tragen hätte, und die somit, ohne Subventionen im strengen Sinne des Wortes darzustellen, diesen nach Art und Wirkung gleichstehen.

Eine Maßnahme, mit der die staatlichen Stellen eines Mitgliedstaats bestimmten Unternehmen eine Steuerbefreiung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, aber die Begünstigten besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, ist eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG.

Dies ist bei Steuergutschriften zur Investitionsförderung, mit denen den begünstigten Unternehmen eine steuerliche Entlastung in Höhe eines Prozentsatzes des förderfähigen Investitionsbetrags gewährt wird, so dass sie nicht den gesamten Steuerbetrag zu entrichten brauchen, der Fall, denn sie werden durch diese Steuergutschriften besser gestellt als die übrigen Abgabepflichtigen. Die Tatsache, dass die Steuergutschriften Investitionen fördern sollen, um letztlich Einnahmen zu erzeugen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da eine Maßnahme nicht wegen des mit ihr verfolgten Zwecks der Einstufung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG entgehen kann.

(vgl. Randnrn. 124-126, 130, 184)

6.      Die nach Art. 253 EG erforderliche Begründung muss der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können.

Eine Entscheidung der Kommission, mit der eine Beihilferegelung in Form von Steuergutschriften für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird, enthält eine hinreichende Begründung in Bezug auf die Auswirkungen der genannten Beihilfen auf Handel und Wettbewerb, wenn darin festgestellt wird, dass die Beihilfen – aufgrund der Öffnung der Wirtschaft des fraglichen Mitgliedstaats nach außen und ihrer starken Ausrichtung auf den Export – zum einen die Position der begünstigten Unternehmen gegenüber anderen konkurrierenden Unternehmen im innergemeinschaftlichen Handel stärken und diesen dadurch beeinträchtigen und zum anderen die Rentabilität der begünstigten Unternehmen durch die Erhöhung ihres Nettoergebnisses (Gewinn nach Steuern) verbessern und sie in die Lage versetzen, im Wettbewerb mit anderen Unternehmen mitzuhalten, die die genannten Steuergutschriften nicht erhalten.

(vgl. Randnrn. 136-138)

7.      Der innergemeinschaftliche Handel muss als durch eine Beihilfe beeinflusst angesehen werden, die von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährt wurde, wenn sie die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern in diesem Handel stärkt, und zwar selbst dann, wenn das begünstigte Unternehmen selbst nicht im Export tätig ist. Die Kommission ist nicht verpflichtet, die tatsächliche Auswirkung dieser Maßnahme auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten und eine tatsächliche Wettbewerbsverzerrung nachzuweisen, sondern hat lediglich zu prüfen, ob die Maßnahme geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen.

Im Fall einer Beihilferegelung kann sich die Kommission darauf beschränken, deren allgemeine Merkmale zu untersuchen, ohne dass sie verpflichtet wäre, jeden einzelnen Anwendungsfall zu prüfen, denn wenn diese Regelung nicht notifiziert wurde, braucht die Begründung insoweit keine aktualisierte Würdigung der Auswirkungen der Regelung auf den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu enthalten.

(vgl. Randnrn. 142-143)

8.      Die Tatsache, dass Steuervorteile vorübergehender Art sind, dass ihre Auswirkungen begrenzt oder nicht entscheidend sein mögen oder dass sie möglicherweise nicht das einzige zu berücksichtigende Kriterium sind, steht ihrer Qualifizierung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG nicht entgegen, denn nach der Rechtsprechung ist es nicht erforderlich, dass die Wettbewerbsverzerrung oder deren Gefahr und die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels spürbar oder erheblich waren.

(vgl. Randnr. 148)

9.      Die Spezifität einer staatlichen Maßnahme, nämlich ihr selektiver Charakter, ist eines der Begriffsmerkmale der staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG. Insoweit ist zu prüfen, ob die Maßnahme Vergünstigungen gewährt, die ausschließlich bestimmten Unternehmen oder bestimmten Wirtschaftszweigen zugutekommen.

Steuerregelungen, mit denen Vorteile in Form von Steuergutschriften gewährt werden, in deren Genuss nur Unternehmen kommen, die Investitionen über einen bestimmten Schwellenwert hinaus tätigen und demzufolge über erhebliche finanzielle Ressourcen verfügen, nicht aber alle übrigen Unternehmen, selbst wenn diese investieren, und mit denen außerdem der Verwaltung ein Ermessen eingeräumt wird, das es ihr ermöglicht, den Betrag oder die Anwendungsvoraussetzungen der Steuervergünstigung entsprechend den Merkmalen der von ihr zu beurteilenden Investitionsvorhaben zu ändern, stellen einen selektiven Vorteil „zugunsten bestimmter Unternehmen“ im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG dar.

(vgl. Randnrn. 158-162, 166-168)

10.    Die Tatsache, dass eine innerstaatliche Einrichtung eine durch die Verfassung eines Mitgliedstaats anerkannte und geschützte steuerliche Unabhängigkeit besitzt, entbindet sie gleichwohl nicht von der Pflicht, die Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen einzuhalten. Art. 87 Abs. 1 EG bezieht sich nämlich auf „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art“ und damit auf alle Beihilfen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Folglich fallen Maßnahmen, die von innerstaatlichen (dezentralisierten, föderalen, regionalen oder sonstigen) Einrichtungen der Mitgliedstaaten erlassen werden, unabhängig vom rechtlichen Status und von der Bezeichnung dieser Einrichtungen ebenso wie Maßnahmen des Bundes‑ oder Zentralstaats in den Geltungsbereich von Art. 87 Abs. 1 EG, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind.

(vgl. Randnr. 178)

11.    Im Rahmen der Beurteilung, ob eine staatliche Maßnahme eine staatliche Beihilfe ist, kann ihr selektiver Charakter unter bestimmten Voraussetzungen „durch das Wesen oder den Aufbau der Regelung“ gerechtfertigt sein. Wenn dies der Fall ist, entgeht die Maßnahme der Anwendung des Art. 87 Abs. 1 EG. So fällt eine spezifische steuerliche Maßnahme, die durch die innere Logik des Steuersystems gerechtfertigt wird – wie die Steuerprogression, die durch die Logik der steuerlichen Umverteilung gerechtfertigt wird –, nicht unter Art. 87 Abs. 1 EG.

Die Tatsache, dass Steuermaßnahmen auf objektiven Kriterien beruhen und horizontaler Art sind, reicht nicht aus, um ihren selektiven Charakter in Frage stellen und die Annahme zuzulassen, dass es sich bei ihnen um durch die innere Logik des Steuersystems gerechtfertigte Maßnahmen handelt, wenn in ihren Genuss nur Unternehmen kommen, die Investitionen über einen bestimmten Schwellenwert hinaus tätigen und demzufolge über erhebliche finanzielle Ressourcen verfügen, nicht aber alle übrigen Unternehmen, selbst wenn diese investieren. Außerdem kann das mit den in Rede stehenden Maßnahmen angestrebte Ziel ihrer Qualifizierung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG nicht entgegenstehen, denn andernfalls würde es ausreichen, dass sich die Behörden auf die Legitimität der mit dem Erlass einer Beihilfemaßnahme angestrebten Ziele berufen, um diese als allgemeine Maßnahme der Anwendung von Art. 87 Abs. 1 EG zu entziehen. Diese Vorschrift unterscheidet jedoch nicht nach den Gründen oder Zielen der staatlichen Maßnahmen, sondern beschreibt diese anhand ihrer Wirkungen.

(vgl. Randnrn. 179-180, 184-185)

12.    Die Kommission verfügt im Bereich des Art. 87 Abs. 3 EG über ein weites Ermessen. Die Nachprüfung durch den Gemeinschaftsrichter muss sich deshalb darauf beschränken, ob die Vorschriften über das Verfahren und die Begründungspflicht eingehalten und die Tatsachen richtig ermittelt worden sind und ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler oder Ermessensmissbrauch vorliegt. Der Gemeinschaftsrichter darf die wirtschaftliche Beurteilung der Kommission nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen.

Die Kommission kann sich bei einer Beihilferegelung auf die Untersuchung der allgemeinen Merkmale der betreffenden Regelung beschränken und braucht nicht jeden einzelnen Anwendungsfall zu prüfen.

(vgl. Randnrn. 198-199)

13.    Der EG-Vertrag sieht für bestehende und für neue Beihilfen unterschiedliche Verfahren vor. Während neue Beihilfen gemäß Art. 88 Abs. 3 EG der Kommission vorher zu melden sind und nicht durchgeführt werden dürfen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat, dürfen bestehende Beihilfen gemäß Art. 88 Abs. 1 EG rechtmäßig durchgeführt werden, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit festgestellt hat. Hinsichtlich bestehender Beihilfen kann daher nur eine Entscheidung ergehen, die ihre Unzulässigkeit mit Wirkung für die Zukunft feststellt.

Gemäß Art. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG sind unter einer bestehenden Beihilfe u. a. „alle Beihilfen [zu verstehen], die vor Inkrafttreten des Vertrags in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind“.

Eine in dem betreffenden Mitgliedstaat nach Inkrafttreten des EG-Vertrags eingeführte Regelung über Steuergutschriften, mit der die Voraussetzungen für deren Gewährung und damit der Kreis der Begünstigten, die Besteuerungsgrundlage und der Prozentsatz der Gutschriften sowie die Dauer gegenüber der zuvor geltenden Regelung erheblich geändert wurden, ist nicht als bestehende Beihilfe im Sinne dieser Vorschriften anzusehen.

(vgl. Randnrn. 228-234)

14.    Der Begriff „Entwicklung des Gemeinsamen Marktes“ in Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG kann dahin verstanden werden, dass er eine Änderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten in dem von der fraglichen Maßnahme betroffenen Sektor bezeichnet. Eine solche Änderung kann sich insbesondere durch die Liberalisierung eines Marktes ergeben, der ursprünglich dem Wettbewerb entzogen war.

Dieser Begriff betrifft jedoch nicht den Fall, dass die Kommission ihre Beurteilung allein aufgrund einer strengeren Anwendung der Vorschriften des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen ändert.

Selbst wenn feststünde, dass sich die Meinung der Kommission nach Erlass der fraglichen Maßnahme in Bezug auf die bei ihrer Beurteilung der Maßnahme unter dem Aspekt von Art. 87 Abs. 1 EG angewandten Selektivitätskriterien geändert hat, wäre damit folglich keine „Entwicklung des Gemeinsamen Marktes“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 dargetan.

15.    Gemäß Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG haben die Beteiligten im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens die Möglichkeit, gegenüber der Kommission Stellungnahmen abzugeben. Diese Vorschrift bestimmt, dass die Stellungnahmen innerhalb einer bestimmten Frist einzureichen sind, die in ordnungsgemäß begründeten Fällen verlängert werden kann, sieht jedoch keine Möglichkeit für einen Beteiligten vor, auf eigene Initiative und nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist bei der Kommission weitere Erklärungen einzureichen.

Demzufolge kann die Tatsache, dass die Kommission das ergänzende Vorbringen eines Beteiligten nicht berücksichtigt hat, weil es ihr nach Fristablauf zugegangen ist und dieser Beteiligte zu keiner Zeit um eine Fristverlängerung nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 ersucht hat, mangels konkreter Zusicherungen, dass ergänzendes Vorbringen – sei es auch verspätet – ohne Antrag auf Fristverlängerung berücksichtigt werde, keinen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes oder der ordnungsgemäßen Verwaltung darstellen.

Auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich nämlich jeder berufen, bei dem die Gemeinschaftsverwaltung begründete Erwartungen geweckt hat, und niemand kann eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, wenn ihm die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat.

Im Übrigen gehört zu den Garantien, die die Gemeinschaftsrechtsordnung für Verwaltungsverfahren vorsieht, u. a. der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, an den die Verpflichtung des zuständigen Organs anknüpft, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 stellt im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen eine Ausprägung der genannten Grundsätze dar. Die Beteiligten haben im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen nicht selbst Anspruch auf eine streitige Erörterung mit der Kommission, wie sie zugunsten des für die Gewährung der Beihilfe verantwortlichen Mitgliedstaats eingeleitet wird, und sie können so umfassende Rechte wie die Verteidigungsrechte nicht als solche geltend machen. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze wie der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung erlauben es dem Gemeinschaftsrichter nicht, die Verfahrensrechte auszudehnen, die den Beteiligten im Rahmen der Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen durch den Vertrag und das abgeleitete Recht eingeräumt werden.

(vgl. Randnrn. 259-272)

16.    Art. 40 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs, der nach Art. 53 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, und Art. 116 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts verwehren es einem Streithelfer zwar nicht, andere Argumente als die von ihm unterstützte Partei vorzubringen; dies gilt jedoch nur, soweit diese Argumente nicht den Rahmen des Rechtsstreits ändern und die Streithilfe weiterhin die Unterstützung der Anträge dieser Partei bezweckt.

Die Rüge eines Streithelfers, die sich zwar von den Rügen des Klägers unterscheidet, jedoch mit dem Streitgegenstand, wie er von diesem festgelegt worden ist, zusammenhängt und daher nicht zu einer Änderung des rechtlichen Rahmens der Klage führt, ist zulässig.

(vgl. Randnrn. 292-294)

17.    Bis zum Inkrafttreten der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG hatte die Kommission zwar bei der Prüfung von Beihilfemaßnahmen keine spezifischen Fristen einzuhalten, doch musste sie, um das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu wahren, bestrebt sein, mit der Ausübung ihrer Befugnisse nicht unbegrenzt lange zu warten.

Da die Kommission nämlich für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ausschließlich zuständig ist, ist sie im Interesse einer ordnungsgemäßen Anwendung der grundlegenden Vorschriften des EG-Vertrags auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen verpflichtet, eine Beschwerde, mit der beanstandet wird, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe gewährt worden sei, sorgfältig und unvoreingenommen zu prüfen. Daraus folgt, dass sie die Vorprüfung staatlicher Maßnahmen, gegen die eine Beschwerde erhoben worden ist, nicht unbegrenzt hinausschieben kann. Die angemessene Dauer der Prüfung einer Beschwerde ist anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere seines Kontextes, der verschiedenen Verfahrensabschnitte, die die Kommission abzuschließen hat, und der Komplexität der Angelegenheit zu beurteilen.

Eine Zeitspanne von 38 Monaten zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission von Beihilferegelungen Kenntnis erlangt hat, und dem Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG ist in Anbetracht des Kontexts, in dem die genannten Regelungen zu sehen sind, nicht unangemessen lang und führt nicht dazu, dass das Vorprüfungsverfahren gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und infolgedessen gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstößt, wenn zum einen die in Rede stehenden Maßnahmen eine eingehende Prüfung des fraglichen nationalen Rechts erforderten und zum anderen die Dauer des Verfahrens zumindest teilweise den nationalen Behörden anzulasten ist, die u. a. um Verlängerungen der Frist für die Beantwortung von Auskunftsersuchen der Kommission gebeten haben.

(vgl. Randnrn. 296-309)

18.    Eine Berufung auf ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beihilfe ist nur möglich, wenn diese Beihilfe unter Beachtung des in Art. 88 EG vorgeschriebenen Verfahrens gewährt wurde. Eine sorgfältige regionale Behörde und ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer müssen nämlich regelmäßig in der Lage sein, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde. Diese Grundsätze gelten auch für Beihilferegelungen, da Art. 88 EG nicht zwischen Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen unterscheidet.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich die Empfänger einer nicht notifizierten und daher rechtswidrigen Beihilfe auf außergewöhnliche Umstände berufen können, die bei ihnen ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfe hervorrufen konnten und die sie der Rückforderung der Beihilfe entgegenhalten können.

(vgl. Randnrn. 310-314)

19.    Die Frage der Angemessenheit der Dauer des Verfahrens zur Überprüfung staatlicher Beihilfen – sei es die Vorprüfungsphase oder das förmliche Prüfverfahren – ist anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere seines Kontextes, der verschiedenen Verfahrensabschnitte, die die Kommission abgeschlossen hat, des Verhaltens der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie ihrer Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten zu beurteilen.

Ein Prüfverfahren mit einer Dauer von insgesamt fünf Jahren und einem Monat, davon 38 Monate für die Vorprüfungsphase und 23 Monate für das förmliche Prüfverfahren, ist in Anbetracht des Kontextes, der Komplexität der fraglichen Maßnahmen sowie der Bedeutung der Angelegenheit und angesichts der Tatsache, dass die nationalen Behörden mit ihrem Verhalten zumindest teilweise zur Verlängerung des Prüfverfahrens beigetragen haben, nicht als unangemessen lang anzusehen. Diese Dauer stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfen begründen könnte.

(vgl. Randnrn. 336-342, 347)

20.    Die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung ist die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Infolgedessen kann die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten staatlichen Beihilfe zwecks Wiederherstellung der früheren Lage grundsätzlich nicht als eine Maßnahme betrachtet werden, die zu den Zielen der Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen außer Verhältnis steht.

Durch die Rückzahlung der Beihilfe verliert der Empfänger den Vorteil, den er auf dem Markt gegenüber seinen Mitbewerbern besessen hatte, und die Lage vor der Gewährung der Beihilfe wird wiederhergestellt. Aus dieser Funktion der Rückzahlung ergibt sich auch, dass die Kommission im Allgemeinen, sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, ihr Ermessen nicht fehlerhaft ausübt, wenn sie den Mitgliedstaat zur Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfen auffordert, da damit nur die frühere Lage wiederhergestellt werden soll.

Zwar verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist.

Da die Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfen jedoch die Wiederherstellung der früheren Lage bezweckt, ist sie grundsätzlich nicht als eine Maßnahme anzusehen, die zu den Zielen der Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen außer Verhältnis steht. Eine solche Maßnahme ist, auch wenn sie erst geraume Zeit nach der Gewährung der fraglichen Beihilfen vorgenommen wird, keine vom Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehene Sanktion.

(vgl. Randnrn. 372-375)