Language of document : ECLI:EU:C:2023:32

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

19. Januar 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2006/123/EG – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Art. 2 Abs. 2 Buchst. d – Sachlicher Anwendungsbereich – Verkehrsdienstleistung – Erteilung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis – Konzession für eine öffentliche Dienstleistung – Art. 15 – Anforderungen – Aufteilung des relevanten Hoheitsgebiets in fünf Lose – Mengenmäßige und territoriale Beschränkung des Zugangs zur betreffenden Tätigkeit – Zwingende Gründe des Allgemeininteresses – Rechtfertigung – Sicherheit des Straßenverkehrs – Verhältnismäßigkeit – Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“

In der Rechtssache C‑292/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidung vom 6. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2021, in dem Verfahren

Administración General del Estado,

Confederación Nacional de Autoescuelas (CNAE),

UTE CNAEITTFORMASTERECT

gegen

Asociación para la Defensa de los Intereses Comunes de las Autoescuelas (Audica),

Ministerio Fiscal

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Confederación Nacional de Autoescuelas (CNAE) und der UTE CNAE‑ITT‑FORMASTER‑ECT, vertreten durch A. Jiménez‑Blanco Carrillo de Albornoz und J. Machado Cólogan, Abogados, und A. R. de Palma Villalón, Procurador,

–        der Asociación para la Defensa de los Intereses Comunes de las Autoescuelas (Audica), vertreten durch J. Cremades García, S. Rodríguez Bajón und A. Ruiz Ojeda, Abogados,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde und S. Jiménez García als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. H. S. Gijzen und M. J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, É. Gippini Fournier, M. Mataija und P. Němečková als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. September 2022

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Administración General del Estado (Allgemeine staatliche Verwaltung, Spanien) (im Folgenden: Allgemeine Verwaltung), der Confederación Nacional de Autoescuelas (CNAE) und der durch die CNAE‑ITT‑FORMASTER‑ECT gebildeten befristeten Bietergemeinschaft (im Folgenden zusammen: CNAE) einerseits sowie dem Ministerio fiscal (Staatsanwaltschaft, Spanien) und der Asociación para la Defensa de los Intereses Comunes de las Autoescuelas (Audica) andererseits über die rechtliche Regelung für die Erteilung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2006/123

3        In den Erwägungsgründen 33, 40 und 70 der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„(33)      Die von dieser Richtlinie erfassten Dienstleistungen umfassen einen weiten Bereich von Tätigkeiten, die einem ständigen Wandel unterworfen sind … Die von dieser Richtlinie erfassten Dienstleistungen umfassen ferner Dienstleistungen, die sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher angeboten werden, wie etwa … Dienstleistungen von Architekten, Handel, die Veranstaltung von Messen, die Vermietung von Kraftfahrzeugen und Dienste von Reisebüros. … Hierbei handelt es sich sowohl um Tätigkeiten, die die räumliche Nähe zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger oder aber auch den Ortswechsel des einen oder anderen erfordern, als auch um Leistungen, die im Fernabsatz, beispielsweise über das Internet, erbracht werden können.

(40)      Der Begriff der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, auf den sich einige Bestimmungen dieser Richtlinie beziehen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 43 und 49 [AEUV] entwickelt worden und kann sich noch weiterentwickeln. Der Begriff umfasst entsprechend der Auslegung des Gerichtshofes zumindest folgende Gründe: … Straßenverkehrssicherheit …

(70)      Für die Zwecke dieser Richtlinie und unbeschadet des Artikels 16 [EG] können Dienstleistungen nur dann als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse angesehen werden, wenn sie der Erfüllung eines besonderen Auftrags von öffentlichem Interesse dienen, mit dem der Dienstleistungserbringer von dem betreffenden Mitgliedstaat betraut wurde. Diese Beauftragung sollte durch einen oder mehrere Akte erfolgen, deren Form von dem betreffenden Mitgliedstaat selbst bestimmt wird; darin sollte die genaue Art des besonderen Auftrags angegeben werden.“

4        Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.

(2)      Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:

a)      nicht‑wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse;

d)      Verkehrsdienstleistungen einschließlich Hafendienste, die in den Anwendungsbereich von Titel V des [EG‑]Vertrags fallen;

…“

5        In Art. 4 dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

1.      ‚Dienstleistung‘ jede von Artikel 50 [EG] erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird;

5.      ‚Niederlassung‘ die tatsächliche Ausübung einer von Artikel 43 [EG] erfassten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Dienstleistungserbringer auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Infrastruktur, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird;

8.      ‚zwingende Gründe des Allgemeininteresses‘ Gründe, die der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als solche anerkannt hat, einschließlich folgender Gründe: … öffentliche Sicherheit …;

…“

6        Kapitel III der Richtlinie 2006/123 trägt die Überschrift „Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer“. Die Art. 9 bis 13 dieser Richtlinie gehören zu Abschnitt 1 („Genehmigungen“) dieses Kapitels.

7        Art. 9 („Genehmigungsregelungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      die Genehmigungsregelungen sind für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend;

b)      die Genehmigungsregelungen sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt;

c)      das angestrebte Ziel kann nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.

(3)      Dieser Abschnitt gilt nicht für diejenigen Aspekte der Genehmigungsregelungen, die direkt oder indirekt durch andere Gemeinschaftsrechtsakte geregelt sind.“

8        Art. 15 dieser Richtlinie gehört zu Kapitel III Abschnitt 2 („Unzulässige oder zu prüfende Anforderungen“). Dieser Artikel betrifft die Anforderungen, die von den Mitgliedstaaten zu prüfen sind, und sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.

(2)      Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:

a)      mengenmäßigen oder territorialen Beschränkungen, insbesondere in Form von Beschränkungen aufgrund der Bevölkerungszahl oder bestimmter Mindestentfernungen zwischen Dienstleistungserbringern;

(3)      Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a)      Nicht‑Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b)      Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)      Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.

(4)      Die Absätze 1, 2 und 3 gelten für Rechtsvorschriften im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nur insoweit, als die Anwendung dieser Absätze die Erfüllung der anvertrauten besonderen Aufgabe nicht rechtlich oder tatsächlich verhindert.

…“

 Richtlinie 2014/23/EU

9        Die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) enthält gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 Bestimmungen für die Verfahren von öffentlichen Auftraggebern und Auftraggebern zur Beschaffung im Wege von Konzessionen, deren geschätzter Wert mindestens dem in Artikel 8 dieser Richtlinie festgelegten Schwellenwert entspricht.

10      Art. 5 dieser Richtlinie bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚Konzession‘ eine Bau- oder Dienstleistungskonzession im Sinne der Buchstaben a und b:

b)      ‚Dienstleistungskonzession‘ einen entgeltlichen, schriftlich geschlossenen Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen nach Buchstabe a bestehen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der vertragsgegenständlichen Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht.

…“

11      Art. 8 dieser Richtlinie legt den Schwellenwert und die Methoden zur Berechnung des geschätzten Werts von Konzessionen fest. Gemäß Abs. 1 gilt diese Richtlinie für Konzessionen, deren Vertragswert mindestens 5 186 000 Euro beträgt.

12      Nach Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 mussten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 18. April 2016 nachzukommen.

13      Aus Art. 54 Abs. 2 dieser Richtlinie geht hervor, dass sie keine Anwendung auf vor dem 17. April 2014 ausgeschriebene oder vergebene Konzessionen findet.

 Spanisches Recht

14      Die Richtlinie 2006/123 wurde durch die Ley 17/2009 sobre el libre acceso a las actividades de servicios y su ejercicio (Gesetz 17/2009 über die freie Aufnahme von Dienstleistungstätigkeiten und ihre Ausübung) vom 23. November 2009 (BOE Nr. 283 vom 24. November 2009, S. 99570) in das spanische Recht umgesetzt. Gemäß Art. 3 dieses Gesetzes ist unter einer „Dienstleistung“ „jede von Art. 50 [EG] erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird“, zu verstehen. Außerdem geht aus Art. 5 dieses Gesetzes hervor, dass die Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit einer Genehmigungsregelung unterworfen werden darf, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Nichtdiskriminierung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.

15      Gemäß der Ley 17/2005 por la que se regula el permiso y la licencia de conducción por puntos y se modifica el texto articulado de la ley sobre tráfico, circulación de vehículos a motor y seguridad vial (Gesetz 17/2005 über die punktebasierte Fahrerlaubnis und ‑lizenz und zur Neufassung des Gesetzes über Verkehr, Kraftfahrzeugverkehr und Straßenverkehrssicherheit) vom 19. Juli 2005 (BOE Nr. 172 vom 20. Juli 2005, S. 25781) muss die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis als Verwaltungskonzession erfolgen.

16      Der Orden INT/2596/2005 por la que se regulan los cursos de sensibilización y reeducación vial para los titulares de un permiso o licencia de conducción (Erlass INT/2596/2005 über Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr für Inhaber einer Fahrerlaubnis oder ‑lizenz) vom 28. Juli 2005 (BOE Nr. 190 vom 10. August 2005, S. 28083) dient der Durchführung des in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Gesetzes. Gemäß Abs. 12 sind die Kontrolle und die Prüfung dieser Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr nach den im betreffenden Vertrag über eine Verwaltungskonzession festgelegten fachlichen Vorgaben durchzuführen. Dieser Abs. 12 legt jedoch fest, dass die Dirección General de Tráfico (Generaldirektion Verkehr, Spanien) unmittelbar oder über ihre Dienststellen die Kurse zur teilweisen Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis und die Kurse zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis oder ‑lizenz sowie die Einrichtungen prüfen kann, die diese Kurse anbieten.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

17      Die Generaldirektion Verkehr schrieb die Vergabe einer „Konzession zur Organisation und Durchführung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis: 5 Lose“ aus. Dabei handelte es sich um die Kurse, die Autofahrer belegen müssen, um die Punkte ihrer Fahrerlaubnis, die sie aufgrund von Verkehrsverstößen verloren haben, wiederzuerlangen.

18      Der Vertrag, der Gegenstand dieser Ausschreibung war, wurde als Konzessionsvertrag für eine öffentliche Dienstleistung geschlossen. Zu diesem Zweck wurde das gesamte nationale Hoheitsgebiet – ausgenommen Katalonien und das Baskenland – in fünf Gebiete eingeteilt, denen jeweils eines der fünf Ausschreibungslose entsprach. Am Ende des Verfahrens war der in der Ausschreibung hinsichtlich eines Loses erfolgreiche Bieter die einzige Stelle, die berechtigt war, diese Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr in dem entsprechenden geografischen Gebiet anzubieten.

19      Audica focht die betreffende Ausschreibung beim Tribunal Administrativo Central de Recursos Contractuales (Zentrales Verwaltungsgericht für Vergabeangelegenheiten, Spanien) an, weil die Vergabe dieser Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr anhand von Konzessionsverträgen für eine öffentliche Dienstleistung gegen den freien Dienstleistungsverkehr verstoße.

20      Mit Entscheidung vom 23. Januar 2015 wies das Zentrale Verwaltungsgericht für Vergabeangelegenheiten die Klage von Audica ab. Diese erhob daraufhin gegen diese Entscheidung eine verwaltungsgerichtliche Klage bei der Sala de lo Contencioso‑Administrativo de la Audiencia Nacional (Senat für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten des Nationalen Gerichtshofs, Spanien).

21      In dem Verfahren waren die Allgemeine Verwaltung und die CNAE die Beklagten, wobei die CNAE am betreffenden Ausschreibungsverfahren teilgenommen hatte und die Staatsanwaltschaft dem Verfahren zur Unterstützung von Audica beitrat.

22      Mit Urteil vom 28. November 2018 gab dieses Gericht dieser verwaltungsgerichtlichen Klage statt und hob die Entscheidung des Zentralen Verwaltungsgerichts für Vergabeangelegenheiten vom 23. Januar 2015 sowie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ausschreibung auf. Obwohl die Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis einen Dienst von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Art. 14 AEUV darstellten, sei die Verpflichtung, eine Konzession für eine öffentliche Dienstleistung zu vergeben, unverhältnismäßig und könne nicht gerechtfertigt werden. Es gebe u. a. andere Mittel, mit denen das gleiche Ergebnis erzielt werden könnte, ohne den Wettbewerb zwischen den Dienstleistungserbringern, die die betreffende Tätigkeit ausüben könnten, zu gefährden.

23      Die Allgemeine Verwaltung und die CNAE legten gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien), dem vorlegenden Gericht, ein.

24      Das vorlegende Gericht teilt die von der Staatsanwaltschaft vor ihm geäußerten Zweifel, ob die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis mittels einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung insbesondere mit der Richtlinie 2006/123 vereinbar sei. Das Vorbringen der Allgemeinen Verwaltung, wonach es nicht möglich sei, die von Fahrschulen angebotene Erstschulung mit diesen Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr sinnvoll zu vergleichen, sei jedoch nicht relevant. Zwischen diesen beiden Kursen bestehe ein qualitativer Unterschied. Im Gegensatz zu diesen Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr richte sich die Erstschulung nicht an Personen, die gegen die Straßenverkehrsregeln verstoßen hätten. Der Erwerb der Fahrerlaubnis setze außerdem das Bestehen einer Prüfung voraus, die nicht von den Fahrschulen selbst organisiert werde.

25      Nach geltendem spanischen Recht sei für Fahrschulen lediglich eine behördliche Genehmigung erforderlich. Diese Kontrolle der Fahrschulen durch die Verwaltung beschränke aber weder den Zugang zu dieser Tätigkeit noch die Zahl der Fahrschulen. Würde eine Vergleichbarkeit zwischen der Erstschulung und diesen Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr anerkannt, könnte somit die Frage gestellt werden, weshalb der spanische Gesetzgeber die Erteilung dieser Kurse nicht einfach einem System der behördlichen Genehmigung unterworfen habe, statt diese Tätigkeit als öffentliche Dienstleistung einzustufen, die nur im Rahmen einer Konzession ausgeübt werden könne.

26      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die nationale Regelung, wonach die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Wege einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erfolgen muss, mit der Richtlinie 2006/123 – oder gegebenenfalls mit anderen Vorschriften oder Grundsätzen des Unionsrechts – vereinbar?

 Zur Vorlagefrage

27      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 15 der Richtlinie 2006/123, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Wege einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erfolgen muss.

28      Um diese Frage zweckdienlich zu beantworten, ist erstens zu prüfen, ob die Erteilung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123 fällt.

29      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2006/123 für Dienstleistungen gilt, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden. Gemäß Art. 4 Nr. 1 dieser Richtlinie stellt eine „Dienstleistung“ für die Zwecke dieser Richtlinie jede selbstständige Tätigkeit dar, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird.

30      Im vorliegenden Fall ist in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht davon auszugehen, dass die Erteilung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Wege einer Konzession unter diesen Begriff der „Dienstleistung“ fällt, da es ein Konzessionsvertrag dem Konzessionär erlaubt, die betreffenden Kurse gegen Entgelt anzubieten. Diese Tätigkeit bezieht sich im Übrigen auf eine feste Einrichtung, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird.

31      Insofern fällt diese Tätigkeit gemäß der Definition des Begriffs der „Niederlassung“ in Art. 4 Nr. 5 der Richtlinie 2006/123, wie der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, in den Anwendungsbereich der Bestimmungen dieser Richtlinie über die Niederlassungsfreiheit.

32      Sodann sind nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 Verkehrsdienstleistungen vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen, wobei gemäß Art. 58 Abs. 1 AEUV für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs speziell Titel VI des AEU-Vertrags gilt.

33      Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Begriff „Verkehrsdienstleistung“ nicht nur jede körperliche Handlung der Beförderung von Personen oder Waren von einem Ort zum anderen mittels eines Land‑, Luft- oder Wasserfahrzeugs, sondern auch jede Dienstleistung, die naturgemäß mit einer solchen Handlung verbunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Asociación Profesional Elite Taxi, C‑434/15, EU:C:2017:981, Rn. 41, und vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a., C‑168/14, EU:C:2015:685, Rn. 46).

34      In diesem Rahmen ist daher, wie der Generalanwalt in Nr. 31 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zwischen Dienstleistungen, die naturgemäß mit einer körperlichen Handlung der Beförderung von Personen oder Waren von einem Ort zum anderen mittels eines Verkehrsmittels verbunden sind, und Dienstleistungen zu unterscheiden, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, da sie in erster Linie nicht der Beförderung von Personen oder Waren dienen.

35      Um diese Unterscheidung vornehmen zu können, ist der Hauptgegenstand der betreffenden Dienstleistung zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2015, Trijber und Harmsen, C‑340/14 und C‑341/14, EU:C:2015:641, Rn. 51).

36      So fallen gemäß dem 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 u. a. Dienstleistungen der Vermietung von Kraftfahrzeugen, Dienste von Reisebüros und Verbraucherdienstleistungen im Bereich des Fremdenverkehrs einschließlich Leistungen von Fremdenführern unter diese Richtlinie.

37      Im Übrigen geht aus Nr. 2.1.2 des Handbuchs zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie hervor, dass sich die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 vorgesehene Ausnahme u. a. nicht auf Dienstleistungen von Fahrschulen erstrecken sollte.

38      Wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht der Hauptzweck von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis wie bei den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils erwähnten Dienstleistungen von Fahrschulen darin, den Dienstleistungsempfänger in einer sicheren und verantwortungsbewussten Fahrweise zu schulen, und nicht darin, ihn zu befördern.

39      Zwar hat der Gerichtshof, wie u. a. von der niederländischen Regierung ausgeführt, entschieden, dass die Tätigkeiten von Stellen zur technischen Überwachung zur in Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 vorgesehenen Ausnahme gehören (Urteil vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a., C‑168/14, EU:C:2015:685, Rn. 54).

40      Diese Tätigkeiten stellen aber eine vorgelagerte und unverzichtbare Bedingung für die Ausübung der Haupttätigkeit, nämlich den Transport, dar. Im Unterschied zu diesen Tätigkeiten, die unmittelbar an einem Fahrzeug als Beförderungsmittel ausgeübt werden, legen die Rechtsvorschriften, die die Erlangung oder den weiteren Besitz einer Fahrerlaubnis regeln, jedoch die Voraussetzungen fest, unter denen eine Person ein bestimmtes Fahrzeug führen kann, und stellen somit als solche auf die Person anstatt auf das Fahrzeug selbst ab.

41      Daher ist festzustellen, dass die Erteilung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis nicht unter die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 vorgesehene Ausnahme fallen kann.

42      Zweitens ist zu prüfen, ob sich ein anderer Unionsrechtsakt wie die Richtlinie 2014/23, deren Anwendbarkeit von den Parteien des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, auf die Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/123 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auswirkt.

43      Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 gelten nämlich deren Art. 9 bis 13 nicht für diejenigen Aspekte der Genehmigungsregelungen, die direkt oder indirekt durch andere Unionsrechtsakte wie die Richtlinie 2014/23 geregelt sind.

44      Die Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/23 setzt aber voraus, dass mehrere kumulative Voraussetzungen erfüllt sind.

45      Was zunächst den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/23 betrifft, muss die betreffende Dienstleistung gemäß Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie Gegenstand einer Konzession sein. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b dieser Richtlinie definiert eine „Dienstleistungskonzession“ als einen „entgeltlichen, schriftlich geschlossenen Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, … wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der vertragsgegenständlichen Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht“.

46      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Rahmen einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erteilt werden müssen, die ein geografisches Gebiet und die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung in diesem Gebiet betrifft. Außerdem soll mit einer solchen Konzession das Recht zur Erteilung der betreffenden Kurse vom Auftraggeber auf jeden Konzessionär übertragen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Konzessionen für eine öffentliche Dienstleistung in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/23 fallen.

47      Was sodann die zeitliche Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/23 betrifft, ergibt sich aus deren Art. 54 Abs. 2, dass es sich bei der betreffenden Konzession um eine nach dem 17. April 2014 ausgeschriebene oder vergebene Konzession handeln muss.

48      Es ist darauf hinzuweisen, dass die CNAE und die spanische Regierung vortragen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Konzessionen vor dem 18. April 2016 ausgeschrieben worden seien. Bei diesem Datum handele es sich gemäß Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23 um das Ende der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie in das nationale Recht. Diese Ausschreibung sei daher zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die zuvor anwendbare nationale Regelung noch in Kraft gewesen sei und zu dem diese Richtlinie nicht in das nationale Recht umgesetzt gewesen sei.

49      Hierzu hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der ein Angebot vom Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossen worden war, bevor die Frist für die Umsetzung der maßgeblichen Richtlinie abgelaufen war und diese Richtlinie in das nationale Recht umgesetzt wurde, entschieden, dass es gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde, diese Richtlinie anzuwenden, da die Entscheidung, durch die gegen Unionsrecht verstoßen worden sein soll, vor diesem Zeitpunkt getroffen worden war (Urteil vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde‑Kca‑Dresden, C‑138/08, EU:C:2009:627, Rn. 28 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Unter diesen Umständen scheint die Richtlinie 2014/23 vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung auf den Ausgangsrechtsstreit in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar zu sein, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Konzessionen offenbar ausgeschrieben wurden, bevor die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie abgelaufen war, und da diese Richtlinie noch nicht in spanisches Recht umgesetzt worden war.

51      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der betreffende Konzessionsvertrag, selbst wenn die Richtlinie 2014/23 in zeitlicher Hinsicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sein sollte, nach Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie außerdem einen Vertragswert von mindestens 5 186 000 Euro aufweisen müsste.

52      Auch wenn es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist, ist darauf hinzuweisen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertragswert nach den Angaben der CNAE, der spanischen Regierung und der Europäischen Kommission in der mündlichen Verhandlung niedriger als der genannte Vertragswert zu sein scheint.

53      Daher ist von der Prämisse auszugehen, dass die Richtlinie 2014/23 nicht auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbar ist. Daraus folgt, dass Kapitel III der Richtlinie 2006/123 auch dann anwendbar ist, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – um einen rein internen Sachverhalt handelt, d. h. einen Sachverhalt, bei dem sämtliche erheblichen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2020, Cali Apartments, C‑724/18 und C‑727/18, EU:C:2020:743, Rn. 55 und 56).

54      Daher ist drittens zu prüfen, ob eine nationale Regelung, nach der die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Wege einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erfolgen muss, mit Art. 15 der Richtlinie 2006/123 vereinbar ist.

55      Dieser Artikel, der zu Kapitel III dieser Richtlinie gehört, betrifft die Anforderungen, die die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats vorsieht und die durch den Mitgliedstaat geprüft werden. Daher ist zunächst zu prüfen, ob eine solche Regelung unter eine der in diesem Artikel genannten Kategorien von „Anforderungen“ fällt.

56      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung in jedem der fünf zuvor für das gesamte betreffende Hoheitsgebiet festgelegten geografischen Gebiete mit Ausnahme Kataloniens und des Baskenlands ein einziger Konzessionär berechtigt ist, Kurse zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis anzubieten. Sobald der betreffende Auftrag vergeben ist, hat der Konzessionär die ausschließliche Kontrolle über das Gebiet, für das ihm eine Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erteilt wurde, und kein anderer Dienstleister ist zur Erbringung solcher Dienstleistungen in diesem Gebiet zugelassen.

57      Aus Art. 15 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 geht hervor, dass mengenmäßige oder territoriale Beschränkungen der Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit Anforderungen im Sinne dieser Richtlinie darstellen, wenn sie u. a. Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl der Wirtschaftsteilnehmer, die sich in einem bestimmten Mitgliedstaat niederlassen dürfen, oder eine Beschränkung zur Einhaltung bestimmter Mindestentfernungen zwischen Dienstleistungserbringern vorsehen.

58      In Anbetracht der in Rn. 56 des vorliegenden Urteils angeführten Beschreibung der betreffenden nationalen Rechnung ist davon auszugehen, dass diese Regelung sowohl eine mengenmäßige als auch eine territoriale Beschränkung im Sinne von Art. 15 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 darstellt.

59      Eine solche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nur zulässig, wenn sie mit den in Art. 15 Abs. 3 dieser Richtlinie festgelegten Voraussetzungen vereinbar ist. Sie muss nicht diskriminierend, erforderlich und verhältnismäßig sein.

60      Was erstens die Beachtung der Voraussetzung der „Nicht‑Diskriminierung“ gemäß Art. 15 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2006/123 betrifft, genügt in Übereinstimmung mit allen Parteien, die Erklärungen abgegeben haben, der Hinweis, dass die betreffende nationale Regelung ohne Diskriminierung auf alle Dienstleister anwendbar ist, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung erbringen möchten.

61      Was zweitens die Frage betrifft, ob diese Maßnahme durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 15 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 gerechtfertigt ist, geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass diese Maßnahme die Straßenverkehrssicherheit verbessern soll, indem Fahrzeugführern, die Punkte hinsichtlich ihrer Fahrerlaubnis verloren haben, der Zugang zu den Ausbildungseinrichtungen erleichtert wird. Dabei handelt es sich gemäß Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2006/123 im Licht des 40. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie und nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs um einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a., C‑168/14, EU:C:2015:685, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Drittens ist zur Frage, ob eine solche Maßnahme im Hinblick auf das verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig im Sinne von Art. 15 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 ist, festzustellen, dass eine die Niederlassungsfreiheit einschränkende nationale Maßnahme, die ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt, nur dann zugelassen werden kann, wenn sie geeignet ist, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. entsprechend Urteil vom 1. Oktober 2015, Trijber und Harmsen, C‑340/14 und C‑341/14, EU:C:2015:641, Rn. 70).

63      Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits zuständig ist, darüber zu befinden, ob eine Maßnahme diesen beiden Anforderungen entspricht. Der Gerichtshof kann aber dem vorlegenden Gericht, um ihm zweckdienliche Antworten geben zu können, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2015, Trijber und Harmsen, C‑340/14 und C‑341/14, EU:C:2015:641, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Was zum einen die Eignung der Maßnahme zur Erreichung des Ziels betrifft, die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern, geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen hervor, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme gewährleistet werden soll, dass es in jedem der fünf im gesamten relevanten Hoheitsgebiet gelegenen Gebiete zumindest einen Wirtschaftsteilnehmer gibt, der mit der Ausübung der betreffenden Tätigkeit betraut ist.

65      Eine solche Maßnahme scheint geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen, da sie für Fahrzeugführer den Zugang zu Ausbildungseinrichtungen im gesamten relevanten Hoheitsgebiet, einschließlich in geografisch isolierten oder weniger attraktiven Regionen, gewährleisten soll (vgl. entsprechend Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C‑169/07, EU:C:2009:141, Rn. 51 und 52, sowie vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez, C‑570/07 und C‑571/07, EU:C:2010:300, Rn. 70).

66      Was zum anderen die Frage betrifft, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist, ist darauf hinzuweisen, dass diese Maßnahme eine erhebliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, da mit ihr das relevante Hoheitsgebiet in fünf große Gebiete aufgeteilt wird, in denen die betreffende Dienstleistung jeweils nur von einem einzigen Dienstleister erbracht werden darf.

67      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 84 bis 86 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, scheint es aber weniger einschneidende Maßnahmen als diese Maßnahme zu geben, die zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind. Außerdem ist, wie vor dem vorlegenden Gericht dargelegt wurde, auch nicht ausgeschlossen, dass dieses Ziel durch ein System der behördlichen Genehmigung erreicht werden kann, anstatt eine öffentliche Dienstleistung vorzusehen, die im Wege einer Konzession zu erbringen ist.

68      Viertens kann nicht ausgeschlossen werden, dass das vorlegende Gericht am Ende seiner Prüfung feststellt, dass die Erteilung von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis einen mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse verbundenen Auftrag darstellt. Dies ist nach dem 70. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 der Fall, wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung der Erfüllung eines besonderen Auftrags von öffentlichem Interesse dient, mit dem der Dienstleistungserbringer von dem betreffenden Mitgliedstaat betraut wurde.

69      In diesem Fall würde somit hinsichtlich dieser Dienstleistung Art. 15 Abs. 4 dieser Richtlinie zur Anwendung kommen. Folglich wäre die Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme mit dem Unionsrecht im Licht der besonderen Vorschriften dieser Bestimmung zu beurteilen.

70      Diese besonderen Vorschriften sehen vor, dass die in Art. 15 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2006/123 aufgestellten Regeln für die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nur insoweit gelten, als die Anwendung dieser Absätze die Erfüllung der anvertrauten besonderen Aufgabe nicht rechtlich oder tatsächlich verhindert.

71      Der Gerichtshof hat insoweit klargestellt, dass Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie einer nationalen Regelung, die eine territoriale Beschränkung vorsieht, nicht entgegensteht, soweit diese Beschränkung erforderlich ist, damit die Erbringer der betreffenden Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ihren besonderen Auftrag unter ihre wirtschaftliche Lebensfähigkeit ermöglichenden Bedingungen erfüllen können, und im Hinblick auf diese Aufgabenerfüllung verhältnismäßig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2015, Hiebler, C‑293/14, EU:C:2015:843, Rn. 73).

72      Wie der Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist aber nicht ausgeschlossen, dass dargelegt werden kann, dass eine Aufteilung des relevanten Hoheitsgebiets in eine größere Anzahl geografischer Gebiete als die fünf festgelegten dazu beitrüge, die Erbringung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen in weniger attraktiven Gegenden zu erleichtern. Unter diesen Umständen scheinen die Gebietsaufteilung und die mengenmäßige Beschränkung durch eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht erforderlich, um die betreffende spezielle Aufgabe unter die wirtschaftliche Lebensfähigkeit ermöglichenden Bedingungen zu erfüllen.

73      Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, den genauen Umfang der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, die den Konzessionären von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis gegebenenfalls auferlegt werden, zu prüfen und zu berücksichtigen sowie zu entscheiden, ob eine weniger einschneidende Regelung dazu führen könnte, dass die betreffende öffentliche Dienstleistung nicht unter die wirtschaftliche Lebensfähigkeit ermöglichenden Bedingungen angeboten werden kann.

74      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Wege einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erfolgen muss, soweit diese Regelung über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels von allgemeinem Interesse, nämlich der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, erforderlich ist.

 Kosten

75      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt

ist dahin auszulegen, dass

diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Vergabe von Kursen zur Sensibilisierung und Nachschulung für den Straßenverkehr zur Wiedererlangung von Punkten für die Fahrerlaubnis im Wege einer Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erfolgen muss, soweit diese Regelung über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels von allgemeinem Interesse, nämlich der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, erforderlich ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.