Language of document : ECLI:EU:T:2007:287

Verbundene Rechtssachen T‑125/03 und T‑253/03

Akzo Nobel Chemicals Ltd und Akcros Chemicals Ltd

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Während einer Nachprüfung beschlagnahmte Schriftstücke – Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant – Zulässigkeit“

Leitsätze des Urteils

1.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Handlungen, die die Rechtsstellung des Klägers verändern

(Art. 230 Abs. 4 EG)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Weigerung eines Unternehmens, Einsicht in einen Schriftwechsel mit einem Anwalt zu gewähren, unter Berufung auf dessen Vertraulichkeit – Befugnisse der Kommission

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation – Ziele

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation – Reichweite

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation – Reichweite

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

6.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation – Gemeinschaftliche Konzeption der Vertraulichkeit

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 14)

1.      Widerspricht ein Unternehmen unter Berufung auf den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant der Beschlagnahme eines Schriftstücks im Rahmen einer Nachprüfung gemäß Art. 14 der Verordnung Nr. 17, so erzeugt eine Entscheidung, mit der die Kommission diesen Antrag zurückweist, Rechtswirkungen gegenüber diesem Unternehmen und verändert in eindeutiger Weise dessen Rechtsstellung. Diese Entscheidung, deren mögliche Rechtswidrigkeit keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Anordnung der Nachprüfung hat, in deren Rahmen sie ergangen ist, verweigert ihm nämlich einen vom Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Schutz und ist endgültig und unabhängig von der abschließenden Entscheidung, die einen Wettbewerbsverstoß feststellt.

Die für das Unternehmen bestehende Möglichkeit, gegen eine etwaige Entscheidung Klage zu erheben, mit der ein Wettbewerbsverstoß festgestellt wird, ist für einen angemessenen Schutz seiner Rechte nicht ausreichend. Zum einen ist es möglich, dass das Verwaltungsverfahren nicht zu einer Entscheidung führt, mit der ein Verstoß festgestellt wird. Zum anderen gibt eine Klage gegen diese Entscheidung, falls sie ergeht, dem Unternehmen nicht die Möglichkeit, die unumkehrbaren Wirkungen zu verhindern, die eine rechtswidrige Kenntnisnahme von Schriftstücken mit sich brächte, die durch die Vertraulichkeit geschützt sind.

Somit beendet die Entscheidung der Kommission, mit der ein Antrag auf Schutz eines bestimmten Schriftstücks, der auf der Vertraulichkeit beruht, abgelehnt – und gegebenenfalls die Herausgabe des betreffenden Schriftstücks angeordnet –wird, ein besonderes Verfahren, das sich von dem unterscheidet, das der Kommission die Entscheidung über das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes ermöglichen soll, und diese Entscheidung stellt daher eine Maßnahme dar, die mit einer Nichtigkeitsklage anfechtbar ist, falls notwendig begleitet von einem Antrag auf einstweilige Anordnung, um insbesondere die Aussetzung des Vollzugs dieser Maßnahme bis zur Entscheidung des Gerichts über die Klage zu erreichen.

Ebenso hat, wenn die Kommission bei einer Nachprüfung ein Schriftstück, für das Schutz wegen Vertraulichkeit beansprucht wird, beschlagnahmt und es zu den Untersuchungsakten gibt, ohne es in einen versiegelten Umschlag zu legen und ohne eine förmliche Ablehnungsentscheidung getroffen zu haben, diese tatsächliche Maßnahme notwendig als stillschweigende Entscheidung der Kommission zu gelten, den vom Unternehmen beanspruchten Schutz abzulehnen, und sie gestattet der Kommission, unmittelbar von dem betreffenden Schriftstück Kenntnis zu nehmen. Diese stillschweigende Entscheidung muss daher ebenfalls mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden können.

(vgl. Randnrn. 46-49, 55)

2.      Falls ein Unternehmen, bei dem eine Nachprüfung gemäß Art. 14 der Verordnung Nr. 17 durchgeführt wird, sich unter Berufung auf den Schutz der Vertraulichkeit weigert, Einsicht in den mit seinem Rechtsanwalt geführten Schriftverkehr zu gewähren, der sich unter den von der Kommission verlangten Geschäftsunterlagen befindet, hat es den beauftragten Kommissionsbediensteten, ohne allerdings den Inhalt der betreffenden Korrespondenz offenbaren zu müssen, alle zweckdienlichen Angaben zu machen, mit denen dargelegt werden kann, dass der Schriftverkehr die Voraussetzungen für den vorstehend definierten rechtlichen Schutz erfüllt. Wenn die Kommission diesen Beweis für nicht erbracht hält, hat sie gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 die Vorlage des streitigen Schriftwechsels anzuordnen und, wenn nötig, gegen das Unternehmen eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld nach dieser Verordnung festzusetzen, wenn das Unternehmen sich weigert, entweder von der Kommission für erforderlich gehaltene zusätzliche Beweismittel zu liefern oder Einsicht in den nach Ansicht der Kommission nicht als vertraulich geschützten Schriftverkehr zu gewähren. Das überprüfte Unternehmen kann dann gegen eine solche Entscheidung der Kommission Nichtigkeitsklage erheben und gegebenenfalls daneben Antrag auf einstweilige Anordnungen gemäß Art. 242 und 243 EG stellen.

Somit reicht die bloße Beanspruchung der Vertraulichkeit eines Schriftstücks durch ein Unternehmen nicht aus, um die Kommission daran zu hindern, von diesem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, wenn dieses Unternehmen darüber hinaus keine sachdienlichen Aufschlüsse gibt, um zu beweisen, dass das Schriftstück tatsächlich durch die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützt ist. Das betroffene Unternehmen kann der Kommission insbesondere mitteilen, wer Verfasser und Empfänger des Schriftstücks ist, Funktionen und Verantwortlichkeiten der Betroffenen erläutern und darlegen, zu welchem Zweck und in welchem Zusammenhang das Schriftstück erstellt wurde. Ebenso kann es den Kontext, in dem das Schriftstück gefunden wurde, die Art und Weise seiner Einordnung oder andere Unterlagen aufzeigen, mit denen es in Verbindung stehen soll.

In zahlreichen Fällen kann nur eine summarische Prüfung der allgemeinen Aufmachung des Schriftstücks oder seines Kopfes, Titels oder anderer oberflächlicher Merkmale durch die Kommissionsbediensteten diesen die Möglichkeit verschaffen, die Richtigkeit der Begründungen des Unternehmens zu prüfen und sich der Vertraulichkeit der betreffenden Unterlagen zu versichern, um sie dann beiseite zu lassen. Gleichwohl bringt in bestimmten Fällen auch eine nur summarische Prüfung die Gefahr mit sich, dass die Kommissionsbediensteten trotz des oberflächlichen Charakters der Einsichtnahme Kenntnis von Informationen erlangen, die durch die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützt sind. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn der vertrauliche Charakter des Schriftstücks nicht klar aus seinem förmlichen Erscheinungsbild hervorgeht.

Das Unternehmen hat den beauftragten Kommissionsbediensteten, ohne allerdings den Inhalt der betreffenden Unterlagen offenbaren zu müssen, alle zweckdienlichen Angaben zu machen, mit denen dargelegt werden kann, dass diese Unterlagen tatsächlich vertraulich sind und dadurch ihr Schutz gerechtfertigt ist. Somit ist ein Unternehmen, das gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 überprüft wird, berechtigt, den Kommissionsbediensteten eine auch nur summarische Prüfung eines oder mehrerer konkreter Schriftstücke zu versagen, die seiner Aussage nach unter den Vertraulichkeitsschutz fallen, sofern seiner Meinung nach eine solche summarische Prüfung nicht möglich ist, ohne den Inhalt dieser Schriftstücke offen zu legen, und es dies den Kommissionsbediensteten gegenüber begründet.

Ist die Kommission indessen bei einer Nachprüfung nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 der Auffassung, dass durch die vom Unternehmen vorgetragenen Gesichtspunkte nicht der Nachweis der Vertraulichkeit der betreffenden Schriftstücke erbracht werden kann, so können die Kommissionsbediensteten, insbesondere wenn ihnen das Unternehmen die summarische Nachprüfung eines Schriftstücks verweigert, eine Kopie der betreffenden Unterlagen in einen versiegelten Umschlag legen und diesen im Hinblick auf eine spätere Lösung des Konflikts mitnehmen. Diese Verfahrensweise erlaubt es nämlich, die Risiken einer Verletzung der Vertraulichkeit auszuschließen, belässt der Kommission eine gewisse Kontrolle über die zu überprüfenden Unterlagen und vermeidet zugleich das Risiko einer späteren Entziehung oder Manipulation der betreffenden Schriftstücke.

Auf jeden Fall ist die Kommission, wenn sie sich durch die von den Vertretern des überprüften Unternehmens zum Nachweis des Schutzes des betreffenden Schriftstücks wegen Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant vorgetragenen Gesichtspunkte und Erläuterungen nicht überzeugen lässt, nicht berechtigt, vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis zu nehmen, bevor sie eine Entscheidung erlassen hat, die es dem betreffenden Unternehmen ermöglicht, in zweckdienlicher Weise das Gericht anzurufen.

Die Kommission hat insoweit abzuwarten, bis die Frist für die Erhebung einer Klage gegen ihre Ablehnungsentscheidung abgelaufen ist, ehe sie Kenntnis vom Inhalt dieser Unterlagen nimmt. Da eine solche Klage keine aufschiebende Wirkung hat, ist es auf jeden Fall Sache des betroffenen Unternehmens, einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung zu stellen, mit der der Antrag auf diesen Schutz abgelehnt wurde.

Wenn ein Unternehmen das vorstehend beschriebene Verfahren missbraucht, indem es, nur um Zeit zu gewinnen, offensichtlich unbegründete Anträge auf Schutz der Vertraulichkeit stellt oder sich ohne objektive Rechtfertigung einer etwaigen summarischen Prüfung der Unterlagen bei einer Nachprüfung widersetzt, verfügt die Kommission über Mittel, um von solchen Praktiken abzuschrecken oder sie zu ahnden. Solche Verhaltensweisen könnten nämlich gemäß Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 (und zuvor gemäß Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17) geahndet oder als erschwerender Umstand bei der Bemessung einer Geldbuße im Rahmen einer Entscheidung zur Ahndung von Wettbewerbsverstößen berücksichtigt werden.

(vgl. Randnrn. 79-83, 85, 88-89)

3.      Angesichts der besonderen Natur des Grundsatzes des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant, der nicht nur die volle Ausübung der Verteidigungsrechte des Einzelnen sicherstellen, sondern auch dem Erfordernis dienen soll, dass es dem Einzelnen möglich ist, sich völlig frei an einen Rechtsanwalt zu wenden, verletzt die Kommission, wenn sie vom Inhalt eines vertraulichen Schriftstücks Kenntnis nimmt, bereits damit diesen Grundsatz.

Der Schutz der Vertraulichkeit greift nämlich weiter als das Erfordernis, dass Informationen, die das Unternehmen seinem Rechtsanwalt anvertraut, oder der Inhalt von dessen Stellungnahme bei einer Entscheidung zur Ahndung von Wettbewerbsverstößen nicht gegen dieses Unternehmen verwendet werden können. Dieser Schutz soll erstens das öffentliche Interesse an einer geordneten Rechtspflege sicherstellen und bewirken, dass jeder Mandant sich frei an seinen Rechtsanwalt wenden kann, ohne befürchten zu müssen, dass seine vertraulichen Mitteilungen später offen gelegt werden. Er soll zweitens die Nachteile vermeiden helfen, die durch die Kenntnisnahme des Inhalts eines vertraulichen Schriftstücks durch die Kommission und dessen rechtswidrige Aufnahme in die Untersuchungsakte für die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens entstehen können.

Das Unternehmen kann nämlich, selbst wenn dieses Schriftstück in einer Entscheidung zur Ahndung von Wettbewerbsverstößen nicht als Beweismittel benutzt wird, doch Schäden erleiden, die nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können. Zum einen könnte die wegen der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützte Information von der Kommission unmittelbar oder mittelbar benutzt werden, um neue Informationen oder neue Beweismittel zu erhalten, ohne dass das betreffende Unternehmen stets in der Lage wäre, diese zu ermitteln und zu verhindern, dass sie gegen es verwendet werden. Zum anderen wäre der Schaden, den das betroffene Unternehmen bei einer Weitergabe wegen Vertraulichkeit geschützter Informationen an Dritte erleidet, nicht wieder gutzumachen, wenn z. B. diese Information im Verwaltungsverfahren bei der Kommission in einer Mitteilung der Beschwerdepunkte verwendet würde. Der bloße Umstand, dass die Kommission die geschützten Unterlagen in einer Sanktionsentscheidung nicht als Beweismittel verwenden darf, reicht mithin nicht aus, die Schäden wieder gutzumachen oder zu beseitigen, die sich daraus ergeben würden, dass die Kommission Kenntnis vom Inhalt dieser Unterlagen erhält.

(vgl. Randnrn. 86-87)

4.      Die Verordnung Nr. 17 ist dahin auszulegen, dass sie die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant schützt, wenn der Schriftwechsel zum einen im Rahmen und im Interesse des Rechts des Mandanten auf Verteidigung und zum anderen von unabhängigen Rechtsanwälten geführt wird. Bei der ersten dieser beiden Voraussetzungen muss sich der Schutz, wenn er wirksam sein soll, ohne Weiteres auf den gesamten Schriftwechsel beziehen, der nach Eröffnung des Verwaltungsverfahrens gemäß der Verordnung Nr. 17, das eine Entscheidung über die Anwendung der Art. 81 EG und 82 EG oder über die Verhängung einer Geldstrafe gegen das Unternehmen zur Folge haben kann, geführt worden ist. Dieser Schutz kann sich aber auch auf den früheren Schriftwechsel ausdehnen, der mit dem Gegenstand dieses Verfahrens im Zusammenhang steht. Der vorgenannte Schutz hat im Hinblick auf seinen Zweck auch für interne Aufzeichnungen im Unternehmen zu gelten, in denen nur der Wortlaut oder der Inhalt einer Kommunikation mit einem unabhängigen Rechtsanwalt, die eine rechtliche Beratung beinhaltet, wiedergegeben wird.

Damit es einem Rechtssuchenden möglich ist, sich zweckentsprechend völlig frei an einen Rechtsanwalt zu wenden, und dieser seine Funktion als Mitgestalter der Rechtspflege und Rechtsbeistand im Sinne einer vollen Ausübung der Verteidigungsrechte wirksam wahrnehmen kann, kann es sich außerdem unter bestimmten Umständen als notwendig erweisen, dass der Mandant Arbeits- oder Überblicksunterlagen anfertigt, insbesondere um Informationen zusammenzustellen, die für diesen Rechtsanwalt nützlich, ja unerlässlich sind, um den Kontext, die Natur und die Bedeutung des Sachverhalts zu begreifen, für den sein Beistand gesucht wird. Die Erstellung solcher Unterlagen kann sich besonders in den Bereichen als notwendig erweisen, die zahlreiche und komplexe Informationen ins Spiel bringen, was üblicherweise bei den Verfahren zutrifft, mit denen Verstöße gegen die Art. 81 EG und 82 EG geahndet werden sollen. Wenn die Kommission bei einer Nachprüfung Kenntnis von derartigen Unterlagen nimmt, könnten somit die Verteidigungsrechte des überprüften Unternehmens sowie das öffentliche Interesse, das sicherstellen soll, dass jeder Mandant sich völlig frei an einen Rechtsanwalt wenden kann, beeinträchtigt werden.

Mithin können solche vorbereitenden Unterlagen, auch wenn sie nicht mit einem Rechtsanwalt gewechselt oder nicht erstellt worden sind, um als solche einem Rechtsanwalt übermittelt zu werden, trotzdem unter die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant fallen, wenn sie ausschließlich erstellt worden sind, um im Rahmen der Ausübung der Verteidigungsrechte eine rechtliche Beratung eines Rechtsanwalts anzufordern. Hingegen kann der Umstand allein, dass ein Schriftstück Gegenstand einer Besprechung mit einem Rechtsanwalt war, ihm diesen Schutz nicht verleihen.

Der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant stellt bekanntlich eine Ausnahme von den Untersuchungsbefugnissen der Kommission dar, die unerlässlich sind, um ihr die Ermittlung, die Abstellung und die Ahndung von Wettbewerbsverstößen zu ermöglichen. Solche Verstöße werden im Übrigen häufig sorgfältig verdeckt und sind in der Regel sehr gefährlich für das reibungslose Funktionieren des Gemeinsamen Marktes. Aus diesem Grund muss die Möglichkeit, dass ein vorbereitendes Schriftstück als vertraulich geschützt wird, eng ausgelegt werden. Es ist Sache des Unternehmens, das sich auf diesen Schutz beruft, zu beweisen, dass die betreffenden Schriftstücke allein zu dem Zweck erstellt worden sind, die rechtliche Beratung eines Rechtsanwalts anzufordern. Dies muss sich unzweideutig aus dem Inhalt der Schriftstücke selbst oder aus dem Zusammenhang ergeben, in dem die Schriftstücke verfasst und aufgefunden wurden.

Was die Programme zur Einhaltung des Wettbewerbsrechts betrifft, so kann der bloße Umstand, dass ein Schriftstück im Rahmen eines solchen Programms erstellt worden ist, nicht ausreichen, um diesem Schriftstück den Schutz der Vertraulichkeit zukommen zu lassen. Diese Programme schließen wegen ihrer Breite Arbeiten und Informationen ein, die häufig die Ausübung der Verteidigungsrechte weit überschreiten. Insbesondere kann der Umstand, dass ein externer Rechtsanwalt ein Anpassungsprogramm entwickelt und/oder koordiniert haben mag, nicht ohne Weiteres alle Unterlagen, die im Rahmen dieses Programms oder im Zusammenhang mit diesem erarbeitet worden sind, unter den Schutz der Vertraulichkeit stellen.

(vgl. Randnrn. 117, 122-124, 127)

5.      Der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und Mandanten nach Gemeinschaftsrecht gilt im Rahmen der Verordnung Nr. 17 nur insoweit, als diese Rechtsanwälte unabhängig sind, d. h. zu ihrem Mandanten nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Diese Anforderung beruht auf der Vorstellung von der Funktion des Anwalts als eines Mitgestalters der Rechtspflege, der in völliger Unabhängigkeit und in deren vorrangigem Interesse dem Mandanten die rechtliche Unterstützung zu gewähren hat, die dieser benötigt.

Der Begriff des unabhängigen Rechtsanwalts wird demnach negativ definiert, da dieser Rechtsanwalt nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zu seinem Mandanten stehen darf, und nicht positiv auf der Grundlage der Zugehörigkeit zur Rechtsanwaltschaft oder der Unterwerfung unter die Berufs- und Standesregeln. Das somit verankerte Kriterium ist das eines rechtlichen Beistands, eines Rechtsanwalts, „in völliger Unabhängigkeit“, der strukturell, hierarchisch und funktional im Verhältnis zu dem von ihm beratenen Unternehmen ein Dritter ist.

Mithin ist der Schriftwechsel mit unternehmensangehörigen Juristen, d. h. Rechtsberatern, die in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Mandanten stehen, vom Schutz des Grundsatzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant ausdrücklich ausgeschlossen.

Da sich unternehmensangehörige Juristen und unabhängige Rechtsanwälte offensichtlich in einer unterschiedlichen Lage befinden, insbesondere wegen der funktionalen, strukturellen und hierarchischen Zugehörigkeit der Ersteren zum Unternehmen, bei dem sie beschäftigt sind, liegt eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht vor, wenn diese Juristen in Bezug auf den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant anders behandelt werden.

(vgl. Randnrn. 166-168, 174)

6.      Der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant stellt eine Ausnahme von den Ermittlungsbefugnissen der Kommission dar. Dieser Schutz hat somit einen unmittelbaren Einfluss auf die Bedingungen, unter denen die Kommission auf einem für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes so wesentlichen Gebiet, wie es die Beachtung der Wettbewerbsregeln darstellt, vorgehen kann. Daher haben der Gerichtshof und das Gericht eine gemeinschaftliche Konzeption der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant entwickelt, die ausschließt, dass sich der persönliche Geltungsbereich des Gemeinschaftsbegriffs der Vertraulichkeit nach dem nationalen Recht richtet.

(vgl. Randnr. 176)