SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 26. Mai 2005(1)
Rechtssache C-178/03
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Europäisches Parlament
Rat der Europäischen Union
„Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien – Verordnung (EG) Nr. 304/2003 – Wahl der Rechtsgrundlage – Gemeinsame Handelspolitik, Umweltpolitik“
I – Einleitung
1. Im vorliegenden Verfahren streitet die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union über die Wahl der richtigen Rechtsgrundlage für die Verordnung (EG) Nr. 304/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien(2) (im Folgenden: Verordnung Nr. 304/2003 oder auch die Verordnung).
2. Während die Kommission den Standpunkt einnimmt, dass Rechtsgrundlage für diese Verordnung die Gemeinsame Handelspolitik (Artikel 133 EG) sein müsste, verteidigen das Parlament und der Rat ihren Erlass auf der Grundlage der Umweltpolitik (Artikel 175 Absatz 1 EG) und werden dabei von drei Mitgliedstaaten unterstützt.
3. In dem parallel verhandelten Verfahren in der Rechtssache C-94/03(3) steht die Wahl der Rechtsgrundlage für das Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel(4) (im Folgenden: Rotterdamer Übereinkommen) auf dem Prüfstand.
II – Rechtlicher Rahmen
4. Die Verordnung Nr. 304/2003 ersetzt die Verordnung (EWG) Nr. 2455/92 des Rates vom 23. Juli 1992 betreffend die Ausfuhr und Einfuhr bestimmter gefährlicher Chemikalien(5).
A – Auszug aus der Präambel der Verordnung
5. Wie sich aus ihrer dritten und vierten Begründungserwägung ergibt, wird mit der Verordnung Nr. 304/2003 zweierlei bezweckt. Einerseits dient diese Verordnung der Umsetzung des Rotterdamer Übereinkommens, andererseits geht sie aber inhaltlich ausdrücklich über dessen Bestimmungen hinaus:
„(3) Die Gemeinschaft sollte die Bestimmungen des Übereinkommens umsetzen …, wobei im Vergleich zur Verordnung (EWG) Nr. 2455/92 keine Abstriche am Niveau des Schutzes von Umwelt und Öffentlichkeit in einführenden Ländern gemacht werden dürfen.
(4) Unter Berücksichtigung dieses Ziels müssen einige Bestimmungen weiter gehen als die Bestimmungen des Übereinkommens. Gemäß Artikel 15 Absatz 4 des Übereinkommens können die Vertragsparteien Maßnahmen treffen, die die menschliche Gesundheit und die Umwelt strenger schützen als die Vorgaben des Übereinkommens, sofern diese Maßnahmen mit dem Übereinkommen und dem Völkerrecht vereinbar sind.“
B – Zusammenfassung der wesentlichen Bestimmungen der Verordnung
6. Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 304/2003 lautet wie folgt:
„(1) Mit dieser Verordnung werden folgende Ziele verfolgt:
a) das Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel umzusetzen,
b) die gemeinsame Verantwortung und die gemeinschaftlichen Bemühungen im internationalen Verkehr mit gefährlichen Chemikalien zu fördern, um die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor möglichem Schaden zu bewahren, und
c) zu einer umweltverträglichen Verwendung dieser Chemikalien beizutragen.
Diese Ziele werden erreicht durch Erleichterung des Austauschs von Informationen über die Merkmale dieser Chemikalien, durch Schaffung eines gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses über ihre Ein- und Ausfuhr sowie durch Weitergabe dieser Entscheidungen an die Vertragsparteien des Übereinkommens und sonstige Länder.“
7. Gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 2 soll durch die Verordnung Nr. 304/2003 zudem gewährleistet werden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen(6) für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von für Mensch oder Umwelt gefährlichen Chemikalien, die in der Europäischen Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden, auch dann gelten, wenn solche Chemikalien aus einem Mitgliedstaat in eine Vertragspartei des Rotterdamer Übereinkommens oder in ein sonstiges Land ausgeführt werden, „es sei denn, diese Bestimmungen stehen im Widerspruch zu etwaigen spezifischen Anforderungen der Vertragspartei oder des sonstigen Landes“.
8. Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 304/2003 definiert deren sachlichen Anwendungsbereich wie folgt:
„Diese Verordnung gilt für:
a) bestimmte gefährliche Chemikalien, die dem Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (PIC-Verfahren) des Rotterdamer Übereinkommens unterliegen,
b) bestimmte gefährliche Chemikalien, die in der Gemeinschaft oder einem Mitgliedstaat verboten sind oder strengen Beschränkungen unterliegen, und
c) alle ausgeführten Chemikalien im Hinblick auf ihre Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung.“
9. Im Übrigen lassen sich die wichtigsten Bestimmungen der Verordnung Nr. 304/2003 – vereinfachend – wie folgt zusammenfassen:
10. In ihrem Artikel 6 trifft die Verordnung Nr. 304/2003 eine grundlegende Unterscheidung zwischen drei Kategorien gefährlicher Chemikalien, welche in den drei Teilen ihres Anhangs I im Einzelnen aufgelistet sind und sich im Hinblick auf die jeweils angeordneten Rechtsfolgen teilweise überschneiden(7).
11. Eine dieser Kategorien (Anhang I Teil 3) enthält eine Liste bestimmter als besonders gefährlich eingestufter Chemikalien, die – wie im Rotterdamer Übereinkommen vorgesehen – einem so genannten Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (Prior Informed Consent Verfahren, im Folgenden: PIC-Verfahren) unterworfen werden (Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Verordnung Nr. 304/2003). Dieses Verfahren, das in den Artikeln 12 und 13 der Verordnung(8) näher beschrieben ist, sieht im Kern eine gegenseitige Unterrichtung der Gemeinschaft und der anderen Vertragsparteien des Rotterdamer Übereinkommens über ihre jeweilige Einfuhrpraxis für die betreffenden Chemikalien vor. Mit ihr korrespondiert gemeinschaftsintern die Unterrichtung der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer über die jeweilige Einfuhrpraxis von Drittstaaten(9).
12. Die dem PIC-Verfahren unterliegenden Chemikalien können nur ausgeführt werden, wenn dafür die vorherige Zustimmung des Ziellandes(10) vorliegt; über die Existenz solcher Zustimmungserklärungen informiert das Sekretariat des Rotterdamer Übereinkommens in regelmäßigen Abständen alle Vertragsparteien (Artikel 13 Absatz 6 Buchstabe b der Verordnung Nr. 304/2003).
13. Der vorherigen Zustimmung des Ziellandes bedarf auch die Ausfuhr einer weiteren Kategorie von Chemikalien, namentlich solcher Chemikalien, die zwar noch nicht dem PIC-Verfahren unterliegen, aber aus Sicht der Gemeinschaft Kandidaten für ein PIC-Verfahren im Sinne des Rotterdamer Übereinkommens sind (Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 6 Buchstabe a der Verordnung Nr. 304/2003). Die betreffenden Chemikalien sind in Anhang I Teil 2 der Verordnung aufgelistet.
14. Für all diejenigen Chemikalien, die nicht dem PIC-Verfahren unterliegen, besteht eine Pflicht zur Ausfuhrnotifikation (Artikel 6 Absatz 2 Unterabsätze 2 und 3 in Verbindung mit Artikel 7 und Anhang I Teil 1 bzw. Teil 2 der Verordnung Nr. 304/2003)(11). Selbst für solche Chemikalien, die dem PIC-Verfahren unterliegen, findet eine Ausfuhrnotifikation statt, wenn das Zielland dies verlangt (Artikel 7 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Verordnung).
15. Eine solche Ausfuhrnotifikation muss bestimmte, im Anhang III der Verordnung näher bezeichnete Informationen über die Art des auszuführenden Stoffes enthalten, insbesondere über seine physikalisch-chemischen, toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften sowie über etwa erforderliche Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit diesem Stoff. Sie wird durch die Kommission an die Behörden desjenigen Drittstaats übermittelt, in den die Chemikalie ausgeführt werden soll, und außerdem von ihr in einer öffentlich zugänglichen Datenbank eingetragen. Im Gegenzug veröffentlicht die Kommission diejenigen Ausfuhrnotifikationen, die sie von Drittstaaten im Hinblick auf das Verbringen von Chemikalien in die Gemeinschaft erhält, in ihrer Datenbank und informiert die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten (Artikel 8 der Verordnung Nr. 304/2003).
16. Untersagt ist gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 304/2003 die Ausfuhr von Chemikalien und Artikeln, deren Verwendung in der Gemeinschaft zum Schutz der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt verboten ist; diese Chemikalien sind im Anhang V der Verordnung aufgeführt.
17. Artikel 16 der Verordnung Nr. 304/2003 erklärt die in der Gemeinschaft geltenden Verpackungs- und Kennzeichnungsbestimmungen(12) auch auf die Ausfuhr von Chemikalien für anwendbar und verpflichtet Exporteure zur Übermittlung bestimmter Begleitinformationen. Chemikalien müssen nach Artikel 13 Absatz 7 der Verordnung spätestens sechs Monate vor ihrem Verfallsdatum ausgeführt werden. Bei der Ausfuhr von Pestiziden haben die Exporteure gemäß Artikel 13 Absatz 8 der Verordnung sicherzustellen, dass das Etikett spezifische Informationen über Lagerbedingungen und Lagerstabilität unter den klimatischen Bedingungen des Ziellandes enthält. Sie sorgen ferner dafür, dass die ausgeführten Pestizide den Reinheitsspezifikationen der Gemeinschaftsvorschriften entsprechen.
18. Über den Regelungsbereich des Rotterdamer Übereinkommens hinaus sieht Artikel 15 der Verordnung Nr. 304/2003 auch für die Durchfuhr von dem PIC-Verfahren unterliegenden Chemikalien durch Drittstaaten bestimmte Informationspflichten vor.
19. Artikel 20 der Verordnung Nr. 304/2003 beschäftigt sich mit der Gewährung technischer Hilfe, v. a. für Entwicklungsländer und Länder mit im Übergang befindlichen Wirtschaftssystemen, um die Entwicklung der für den ordnungsgemäßen Umgang mit Chemikalien während ihrer gesamten Lebensdauer erforderlichen Infrastruktur, Kapazitäten und Fachkenntnisse zu fördern.
20. Daneben enthält die Verordnung insbesondere Verfahrensbestimmungen für die Beteiligung der Gemeinschaft am Rotterdamer Übereinkommen, eine Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Ein- und Ausfuhrkontrolle, eine Verpflichtung von Exporteuren zur jährlichen Übermittlung von Informationen über bestimmte im Vorjahr getätigte Chemikalienexporte und Vorschriften über den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über den Handel mit Chemikalien.
III – Vorgeschichte, Anträge und Verfahren
A – Vorgeschichte des Rechtsstreits
21. Das Übereinkommen wurde am 10. September 1998 in Rotterdam angenommen und am 11. September 1998 im Namen der Gemeinschaft unterzeichnet(13).
22. Am 24. Januar 2002 unterbreitete die Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien, wobei sie diesen Vorschlag auf Artikel 133 EG stützte(14).
23. Abweichend vom Vorschlag der Kommission beschloss der Rat jedoch in seiner Sitzung vom 19. Dezember 2002 einstimmig und nach fakultativer Anhörung des Europäischen Parlaments, als Rechtsgrundlage für die Verordnung die Vorschrift des Artikel 133 EG durch Artikel 175 Absatz 1 EG zu ersetzen. Die Verordnung wurde letztlich von Parlament und Rat im Mitentscheidungsverfahren (Artikel 251 EG) beschlossen.
B – Anträge und Verfahren vor dem Gerichtshof
24. Mit ihrer Nichtigkeitsklage vom 23. April 2003 beantragt die Kommission gemäß Artikel 230 EG,
– die Verordnung (EG) Nr. 304/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien für nichtig zu erklären,
– festzustellen, dass die Verordnung wirksam bleibt, bis der Rat eine neue Verordnung erlassen hat und
– dem Europäischen Parlament und dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
25. Das Parlament und der Rat beantragen jeweils,
– die Klage abzuweisen und
– der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
26. Als Streithelfer auf Seiten des Parlaments und des Rates wurden mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 15. September 2003 die französische Republik, die Republik Finnland sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland zugelassen.
27. Alle Beteiligten haben im schriftlichen Verfahren zur Sache Stellung genommen, die Kommission, das Parlament, der Rat und das Vereinigte Königreich auch in der gemeinsam mit der Rechtssache C-94/03 durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 7. April 2005.
IV – Würdigung
28. Mit ihrer Klage macht die Kommission einen einzigen Nichtigkeitsgrund geltend, nämlich die Wahl der falschen Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung. Damit rügt die Kommission eine Verletzung des EG-Vertrags im Sinne von Artikel 230 Absatz 2 EG.
29. Die Wahl der richtigen Rechtsgrundlage ist von erheblicher praktischer und institutioneller, ja verfassungsrechtlicher Bedeutung(15). Von ihr hängt bekanntlich nicht nur das anwendbare Rechtsetzungsverfahren ab (Mitwirkungsrechte des Parlaments, Einstimmigkeit oder qualifizierte Mehrheit im Rat(16)), sondern auch, ob die Zuständigkeit der Gemeinschaft zur Rechtsetzung ausschließlicher Natur ist oder aber mit den Mitgliedstaaten geteilt werden muss(17).
A – Kriterien für die Wahl der Rechtsgrundlage
30. Nach ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Gemeinschaft auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören(18).
31. Ergibt die Prüfung eines Gemeinschaftsrechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf diejenige, welche die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert(19).
32. In diesem Sinne kann die Genehmigung eines Gemeinschaftsrechtsakts selbst dann auf die Gemeinsame Handelspolitik (Artikel 133 EG) gestützt werden, wenn er neben seinem handelspolitischen Schwerpunkt auch noch andere Ziele verfolgt, etwa entwicklungspolitische Ziele(20), außen- und sicherheitspolitische Ziele(21), Belange des Umweltschutzes(22) oder solche des Gesundheitsschutzes(23). Dies gilt umso mehr, als den Bestimmungen über die Gemeinsame Handelspolitik ein offenes und dynamisches Konzept zugrunde liegt, das sich keineswegs nur auf die herkömmlichen Aspekte des Außenhandels beschränkt(24). Was speziell den Umweltschutz und den Gesundheitsschutz betrifft, so zeigen schon die Artikel 6 EG und 152 Absatz 1 Unterabsatz 1 EG, dass es sich bei ihnen um Querschnittsaufgaben handelt, die bei allen anderen Politiken der Gemeinschaft und somit auch in der Gemeinsamen Handelspolitik mit zu berücksichtigen sind.
33. Umgekehrt können aber auch Gemeinschaftsrechtsakte mit Schwerpunkt im umweltpolitischen Bereich sich nebenbei auf den Handel auswirken. Solange nur ihre umweltpolitische Ausrichtung überwiegt, ist die Genehmigung solcher Abkommen auf Artikel 175 Absatz 1 EG und nicht auf Artikel 133 EG zu stützen(25).
34. Im Hinblick auf ein internationales Abkommen hat der Gerichtshof zur Abgrenzung zwischen der Gemeinsamen Handelspolitik (Artikel 133 EG) und der Umweltpolitik (Artikel 175 EG) als möglichen Rechtsgrundlagen für Rechtsakte der Gemeinschaft das Kriterium der unmittelbaren und sofortigen Wirkung geprägt(26). Diese Erwägung lässt sich auch auf andere Arten von Rechtsakten der Gemeinschaft übertragen. Fehlt es also einem Gemeinschaftsrechtsakt mit umweltpolitischer Zielsetzung an unmittelbaren und sofortigen Auswirkungen auf den Handel, so ist dieser Rechtsakt auf Artikel 175 EG zu stützen; im umgekehrten Fall ist er auf Artikel 133 EG zu stützen(27). Dabei müssen die unmittelbaren und sofortigen Auswirkungen auf den Handel nicht notwendigerweise in einer Förderung oder Erleichterung des Handelsverkehrs bestehen. Um einen Gemeinschaftsrechtsakt in den Anwendungsbereich des Artikels 133 EG einbeziehen zu können, reicht es vielmehr aus, dass ein solcher Rechtsakt „ein im Wesentlichen … zur Förderung, Erleichterung oder Regelung des Handelsverkehrs bestimmtes Instrument“ ist(28).
35. Vor diesem Hintergrund ist nunmehr zu prüfen, wo im vorliegenden Fall nach ihrem Inhalt, Zweck und Zusammenhang der Schwerpunkt der Verordnung liegt und ob etwaige Auswirkungen der Verordnung auf den Handel unmittelbarer und sofortiger Natur sind (dazu unten, Teil B). Der Vollständigkeit halber wird auch zu erörtern sein, warum die Verordnung nicht auf eine doppelte Rechtsgrundlage gestützt werden konnte (dazu unten, Teil C).
B – Inhalt, Ziele und Zusammenhang der Verordnung
36. Die Parteien streiten darüber, welchem Politikbereich die Verordnung nach ihrem Inhalt, ihren Zielen und ihrem Zusammenhang zuzuordnen ist. Während die Kommission die These vertritt, dass die Verordnung schwerpunktmäßig in den Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik falle, sieht der Rat, unterstützt von seinen Streithelfern, darin ein Instrument überwiegend umweltpolitischer Natur. Damit beziehen beide Seiten im vorliegenden Verfahren im Wesentlichen dieselben Standpunkte wie in der parallel verhandelten Rechtssache C-94/03.
37. Für die korrekte Zuordnung der Verordnung Nr. 304/2003 zu einem der beiden Politikbereiche ist zuallererst ihr enger Zusammenhang mit dem Rotterdamer Übereinkommen von Bedeutung, dessen Umsetzung die Verordnung ausweislich ihres Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a und ihrer dritten Begründungserwägung dient. Wie ich in meinen Schlussanträgen vom heutigen Tage in der Rechtssache C-94/03 ausführe(29), liegt der Schwerpunkt jenes Übereinkommens nicht im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik, sondern im Bereich der Umweltpolitik; es handelt sich um ein Umweltabkommen mit handelspolitischen Bezügen, nicht um ein handelspolitisches Abkommen mit Umweltbezügen.
38. Darüber hinaus ist gemeinschaftsintern die Nähe der Verordnung Nr. 304/2003 zum Sechsten Umweltaktionsprogramm vom 22. Juli 2002 von Belang(30); dieses Programm, das seinerseits auf Artikel 175 EG gestützt wurde, weist thematisch zahlreiche Berührungspunkte mit der Verordnung auf(31) und zählt die Änderung der bis dahin geltenden Verordnung Nr. 2455/92 zu den prioritären Aktionen der Umweltpolitik der Gemeinschaft(32).
39. Bereits dieser Zusammenhang, in dem die Verordnung Nr. 304/2003 steht, legt also den Schluss nahe, dass es sich bei ihr schwerpunktmäßig um ein umweltpolitisches und nicht um ein handelspolitisches Instrument handelt. Bestätigt wird diese erste Einschätzung auch bei einer näheren Betrachtung der Ziele und des Inhalts der Verordnung.
40. Was zunächst die Ziele der Verordnung anbelangt, so stehen ausweislich ihres Artikels 1 Absatz 1 Buchstaben b und c umweltpolitische Belange, namentlich die gemeinsame Verantwortung und die gemeinschaftlichen Bemühungen zur Bewahrung der Umwelt (und auch der menschlichen Gesundheit) vor möglichem Schaden durch gefährliche Chemikalien im Vordergrund, ebenso der Beitrag der Gemeinschaft zu einer umweltverträglichen Verwendung dieser Chemikalien. Den Handel(33) mit gefährlichen Chemikalien erwähnt die Verordnung in ihrem Artikel 1 weniger im Sinne eines eigenständigen Zieles denn als Anknüpfungspunkt für ihre eigentlichen umweltpolitischen Ziele. Es handelt sich um ein umweltpolitisches Instrument mit handelspolitischen Bezügen, nicht um ein handelspolitisches Instrument mit Umweltbezügen. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass es dem Gemeinschaftsgesetzgeber ein Anliegen war, keine Abstriche am bestehenden Niveau des Umweltschutzes zu machen und zum Schutz der Umwelt sowie der menschlichen Gesundheit über die Vorgaben des Rotterdamer Übereinkommens hinaus zu gehen(34).
41. Zwar trifft es zu, dass – auch über die Zielbestimmungen des Artikels 1 hinaus – der Wortlaut der Verordnung nicht frei von Bezügen zur Handelspolitik ist. Sowohl der Titel als auch die Präambel(35) als auch mancher Artikel der Verordnung verwenden Begriffe wie Einfuhr und Ausfuhr, Exporteure und Importeure sowie internationaler Handel. Mindestens ebenso starke Bezüge weist aber der Wortlaut der Verordnung zur Umweltpolitik auf. So befassen sich die Präambel(36) und insbesondere Artikel 1 der Verordnung mit Umweltschutz und dem Schutz der menschlichen Gesundheit; an anderer Stelle(37) ist auch von der Förderung des ordnungsgemäßen Umgangs mit Chemikalien während ihrer gesamten Lebensdauer die Rede.
42. In inhaltlicher Hinsicht ist zwar der Kommission zuzustimmen, dass die Artikel 6 bis 17 der Verordnung, in denen nicht zuletzt das PIC-Verfahren und das Verfahren der Ausfuhrnotifikation in innergemeinschaftliches Recht umgesetzt werden, den Kern der Verordnung darstellen. Entgegen der Auffassung der Kommission ist aber ein PIC-Verfahren keineswegs primär ein Instrument der Handelspolitik, sondern im Gegenteil, wie der Gerichtshof bereits in seinem Gutachten 2/00 festgestellt hat, ein typisches Instrument der Umweltpolitik(38). Anders als die Kommission behauptet, lässt sich die im Gutachten 2/00 für das PIC-Verfahren im Protokoll von Cartagena getroffene Einschätzung auf das PIC-Verfahren im vorliegenden Fall übertragen. Denn auch in Bezug auf die hier relevanten gefährlichen Chemikalien dient das PIC-Verfahren „vorrangig de[m] Austausch von Informationen über die mit dem Gebrauch von Chemikalien verbundenen Nutzen und Risiken und [ist] darauf ausgerichtet, durch den Austausch wissenschaftlicher, technischer, wirtschaftlicher und juristischer Daten die umweltverträgliche Nutzung toxischer Stoffe zu fördern.“(39)
43. So ist der internationale Handel mit bestimmten, von den Vertragsparteien des Rotterdamer Übereinkommens übereinstimmend als gefährlich eingestuften Chemikalien(40) lediglich der äußere Anknüpfungspunkt des PIC-Verfahrens. Denn der eigentliche Gegenstand dieses im Rotterdamer Übereinkommen vorgesehenen Verfahrens ist nicht in erster Linie die Förderung, Erleichterung oder auch nur die Regelung des Handelsverkehrs mit gefährlichen Chemikalien, sondern vielmehr die gegenseitige Unterrichtung der Vertragsparteien über ihre jeweilige Einfuhrpraxis (Artikel 10 Absätze 7 und 10 des Rotterdamer Übereinkommens(41)), verbunden mit der Weitergabe der so gewonnenen Informationen an die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer (Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a des Rotterdamer Übereinkommens sowie Artikel 13 Absätze 1 und 3 der Verordnung).
44. Durch das PIC-Verfahren, wie auch durch die Ausfuhrnotifikationen für bestimmte Chemikalien (Artikel 12 des Rotterdamer Übereinkommens und Artikel 7 der Verordnung), soll vor allen Dingen verhindert werden, dass ein Drittstaat – insbesondere ein Entwicklungsland – sich mit der Einfuhr gefährlicher Chemikalien konfrontiert sieht, ohne zuvor Gelegenheit gehabt zu haben, die nötigen Vorkehrungen für den Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit zu treffen(42).
45. Allenfalls mittelbar kann das mit der Verordnung Nr. 304/2003 eingeführte PIC-Verfahren durch die schon erwähnte Unterrichtung der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer (Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a des Rotterdamer Übereinkommens sowie Artikel 13 Absätze 1 und 3 der Verordnung) zu einer erhöhten Transparenz der in den verschiedenen Ländern geltenden Vorschriften beitragen und so möglicherweise den Außenhandel mit gefährlichen Chemikalien erleichtern. Andererseits kann die Verordnung den Handel für den jeweiligen Exporteur auch verteuern, beispielsweise, wenn ihm die Erfüllung der erforderlichen Formalitäten für eine Ausfuhrnotifikation (Artikel 7 in Verbindung mit Anhang III der Verordnung) abverlangt wird.
46. Abgesehen von solchen mittelbaren Auswirkungen auf den Handel hat die Verordnung Nr. 304/2003 aber im Wesentlichen keine handelspolitischen Regelungen zum Gegenstand. Insbesondere ergibt sich aus der Verordnung nicht, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen die Einfuhr einer bestimmten Chemikalie in die Gemeinschaft erlaubt oder verboten ist. Die Verordnung macht hierzu keinerlei inhaltliche Vorgaben. Vielmehr werden die im Rahmen des PIC-Verfahrens an die Vertragsparteien des Rotterdamer Übereinkommens zu übermittelnden materiellen Entscheidungen der Gemeinschaft über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Einfuhr gefährlicher Chemikalien „gemäß den geltenden Gemeinschaftsvorschriften“ getroffen(43). Die Verordnung Nr. 304/2003 legt in Artikel 12 lediglich die Zuständigkeit der Kommission für solche Entscheidungen und für die Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Sekretariat des Rotterdamer Übereinkommens fest. Gemäß Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung wird dabei die Kommission von einem Beratenden Ausschuss unterstützt(44).
47. Ebenso wenig enthält die Verordnung eigenständige, inhaltliche Vorschriften darüber, ob und unter welchen Bedingungen eine Chemikalie aus der Gemeinschaft ausgeführt werden darf. Mit der Verordnung unterstützt die Gemeinschaft lediglich, im Einklang mit Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b des Rotterdamer Übereinkommens, die anderen Vertragsparteien jenes Übereinkommens bei der Durchsetzung ihrer jeweiligen Einfuhrpolitik im Hinblick auf die dem PIC-Verfahren unterliegenden Chemikalien. Dazu wird Exporteuren, die solche Chemikalien aus der Gemeinschaft in Drittstaaten ausführen wollen, die Verpflichtung auferlegt, den Vorgaben der jeweiligen Zielländer nachzukommen und insbesondere deren vorherige ausdrückliche Zustimmung abzuwarten (Artikel 13 Absatz 4 und Absatz 6 der Verordnung(45)).
48. Allein Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung enthält ein eigenständiges Ausfuhrverbot der Gemeinschaft. Es betrifft Chemikalien, deren Verwendung innerhalb der Gemeinschaft zum Schutz der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt verboten ist. Jene Vorschrift kehrt also gemeinschaftsinterne gesundheits- und umweltschutzrechtliche Vorschriften nach außen, um zu verhindern, dass innerhalb der Gemeinschaft verbotene Produkte außerhalb der Gemeinschaft Schaden anrichten. Sowohl das Verbot innerhalb der Gemeinschaft als auch seine Erstreckung auf Exporte aus der Gemeinschaft sind im Kern umweltpolitischer Natur.
49. Bezieht man auch die weiteren Bestimmungen der Verordnung in die Überlegungen mit ein, so bestätigt sich der Eindruck, dass es sich im Schwerpunkt um ein umweltpolitisches und nicht um ein handelspolitisches Instrument handelt. Sowohl der Informationsaustausch mit Drittstaaten (Artikel 19 der Verordnung) als auch die gegenseitige technische Hilfe (Artikel 20 der Verordnung) als auch der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen (Artikel 6 Absatz 3, 7 Absatz 1 Unterabsatz 4, 8 Absatz 1, 9 Absatz 3 Satz 2, 13 Absatz 1 Satz 2 und 21 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung) dienen nicht der Förderung, der Erleichterung oder auch nur der Regelung des Handelsverkehrs mit gefährlichen Chemikalien. Wie sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt, bezwecken sie vielmehr in erster Linie den Schutz der Umwelt, daneben auch der menschlichen Gesundheit.
50. Entgegen dem ersten Anschein stellen sich übrigens auch die in Artikel 16 der Verordnung enthaltenen Bestimmungen zu Kennzeichnung und zu Begleitinformationen für Chemikalien nicht in erster Linie als handelspolitische, sondern als umweltpolitische Bestimmungen dar. Zwar mögen die Richtlinien, auf welche die Artikel 16 Absatz 1 und Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Bezug nehmen, innerhalb der Gemeinschaft eine Rechtsangleichung bewirken sowie der gegenseitigen Anerkennung von Produktverpackungen und Begleitinformationen im Handel zwischen Mitgliedstaaten dienen. Anders verhält es sich aber im Verhältnis der Gemeinschaft zu Drittstaaten: Dort geht es gerade nicht um Rechtsangleichung oder gegenseitige Anerkennung zur Verbesserung der Verkehrsfähigkeit von Chemikalien oder ihres Marktzugangs(46); dies zeigen auch Artikel 16 Absatz 1 Satz 2 sowie der letzte Halbsatz von Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung(47), wonach etwaige spezifische Anforderungen der einführenden Vertragspartei an die Produktverpackung und die Begleitinformationen unberührt bleiben. Vielmehr soll mit Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung lediglich dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit über Risiken und Gefahren im Umgang mit den betreffenden Chemikalien Genüge getan werden. Die Vorschrift dehnt im Wesentlichen nur die bestehenden Kennzeichnungsvorschriften der Gemeinschaft auf Exporte aus, sie trägt aber nicht zur Rechtsangleichung zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten oder zur gegenseitigen Anerkennung von Produkten zwischen ihnen bei.
51. Zusammenfassend gilt damit: Berücksichtigt man den Zusammenhang, in dem die Verordnung Nr. 304/2003 steht, sowie ihren Inhalt und ihre Ziele, so ist ihr Schwerpunkt nicht im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik, sondern im Bereich der Umweltpolitik zu sehen. Die – durchaus möglichen – Auswirkungen der Verordnung auf den internationalen Handel mit gefährlichen Chemikalien sind eher mittelbarer als unmittelbarer Natur(48). In diesem Sinne teile ich die Auffassung des Rates, des Parlaments und ihrer Streithelfer, dass es richtig war, die Verordnung auf Artikel 175 Absatz 1 EG und nicht auf Artikel 133 EG zu stützen(49).
52. Dass der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 304/2003 ausweislich ihrer vierten Begründungserwägung über den des Rotterdamer Übereinkommens hinausgeht(50), führt zu keiner anderen Einschätzung. Denn die Verordnung erstreckt im Wesentlichen das, was sie ohnehin für den Anwendungsbereich des Rotterdamer Übereinkommens vorsieht, auch auf die anderen von ihr abgedeckten Bereiche. Dabei verfolgt sie dieselben, im Schwerpunkt umweltpolitischen Ziele. Die vorstehenden Ausführungen lassen sich also vollumfänglich übertragen.
53. Die Kommission wendet noch ein, dass eine schwere Beeinträchtigung des Binnenmarkts und Handelsverzerrungen zu befürchten seien, würde man Artikel 175 Absatz 1 EG und nicht Artikel 133 EG als Rechtsgrundlage gelten lassen. Dann nämlich könnten die Mitgliedstaaten mangels ausschließlicher Zuständigkeit der Gemeinschaft einseitig strengere Vorschriften über die Einfuhr und Ausfuhr gefährlicher Chemikalien erlassen und auch bereits die auf Gemeinschaftsebene bestehenden Bestimmungen über Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe umgehen.
54. Dazu ist zunächst festzustellen, dass im Bereich der Umweltpolitik nach der „AETR-Rechtsprechung“ durchaus eine ausschließliche Außenkompetenz der Gemeinschaft bestehen kann(51). Ob dies im Hinblick auf den Erlass der hier fraglichen Verordnung der Fall war, kann aber letztlich dahinstehen. Denn selbst im Bereich der geteilten Kompetenzen müssen sich die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der ihnen verbleibenden Befugnisse an das bestehende Gemeinschaftsrecht halten. Sie dürfen dabei weder gegen bestehendes Sekundärrecht verstoßen, noch gegen das Primärrecht, insbesondere nicht gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags und gegen Artikel 95 Absätze 4 bis 10 EG. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts. Der Einwand der Kommission ist somit unbegründet.
55. Insgesamt komme ich also zu dem Schluss, dass die Klage der Kommission unbegründet und folglich abzuweisen ist.
C – Keine doppelte Rechtsgrundlage
56. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall keine Verbindung der beiden denkbaren Rechtsgrundlagen, d. h. Artikel 133 EG und Artikel 175 EG, in Betracht gekommen wäre, und zwar selbst dann nicht, wenn man unterstellen würde, dass in der Verordnung handelspolitische und umweltpolitische Aspekte gleichgewichtig vertreten sind und sich die Verordnung folglich – entgegen der oben vertretenen Auffassung – keiner der beiden Politiken eindeutig zuordnen ließe.
57. Zwar ist es in der Tat möglich, einen Rechtsakt auf mehrere einschlägige Rechtsgrundlagen zu stützen. Dies trifft dann zu, wenn ausnahmsweise feststeht, dass gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass das eine gegenüber dem anderen nur zweitrangig und mittelbar ist(52).
58. Eine Häufung verschiedener Rechtsgrundlagen ist jedoch ausgeschlossen, wenn die für sie jeweils vorgesehenen Verfahren miteinander unvereinbar sind(53).
59. So liegt der Fall hier: Während das Parlament im Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik allenfalls fakultativ konsultiert wird, ohne dass ihm nach dem Vertrag irgendein formelles Beteiligungsrecht zustünde (Artikel 133 Absatz 4 EG(54)), übt es in der Umweltpolitik durch das Mitentscheidungsverfahren gemeinsam mit dem Rat die Gesetzgebungsfunktion aus (Artikel 175 Absatz 1 EG in Verbindung mit Artikel 251 EG). Wenngleich der Rat selbst in beiden Politikbereichen im Regelfall mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Artikel 133 Absatz 4 EG bzw. – für das Mitentscheidungsverfahren – Artikel 251 EG(55)), zeigen die fundamentalen Unterschiede im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte des Parlaments, dass die Rechtsetzungsverfahren nach Artikel 133 EG und nach Artikel 175 EG nicht miteinander vereinbar sind und deshalb auch nicht kombiniert werden können(56).
60. Denn einerseits versteht es sich von selbst, dass auf die Mitentscheidung des Parlaments im Bereich des Artikels 175 EG nicht verzichtet werden kann; das Mitentscheidungsverfahren ist seit dem Vertrag von Maastricht eines der zentralen Mitwirkungsrechte des Parlaments und leistet einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Legitimation der Gemeinschaftsgesetzgebung. Ebenso wenig könnte aber andererseits das Verfahren des Artikels 133 Absatz 4 EG kurzerhand durch ein dort nicht vorgesehenes Mitentscheidungsrecht des Parlaments ergänzt werden. In beiden Fällen bestünde die Gefahr, dass der in der jeweiligen Rechtsgrundlage vorgesehene Entscheidungsfindungsprozess und damit auch das im Vertrag vorgesehene institutionelle Gleichgewicht verfälscht werden könnten: Eine Änderung des Rechtsetzungsverfahrens kann sich nämlich stets auch auf den Inhalt des erlassenen Rechtsakts auswirken(57).
61. Darin unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache auch von dem parallel verhandelten Verfahren in der Rechtssache C-94/03(58). Dort würde nämlich eine Kombination der beiden in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen (Artikel 133 EG und Artikel 175 Absatz 1 EG, jeweils in Verbindung mit Artikel 300 EG) lediglich zu einer – stets problemlos möglichen – Konsultation des Parlaments auch im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik führen; das Ergebnis einer solchen Anhörung des Parlaments ist für den Rat bekanntlich nicht bindend. Hier hingegen würde dem Rat durch eine Ausdehnung des Mitentscheidungsverfahrens in den Bereich des Artikels 133 EG hinein seine alleinige Rechtsetzungsbefugnis genommen, und er müsste sie mit dem Parlament teilen. Ein solches Ergebnis widerspräche der bewussten und in mehreren Regierungskonferenzen bestätigten Festlegung der Mitgliedstaaten zum Rechtsetzungsverfahren in der Gemeinsamen Handelspolitik(59).
62. Weder dem Urteil Swedish Match(60) noch dem Urteil British American Tobacco(61) kann übrigens etwas Gegenteiliges entnommen werden. Denn in keinem der beiden Urteile beschäftigt sich der Gerichtshof näher mit den unterschiedlichen, vom Vertrag vorgesehenen Zuständigkeiten der Organe und dem institutionellen Gleichgewicht im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens einerseits und des Verfahrens nach Artikel 133 EG andererseits(62).
63. Wegen der Unvereinbarkeit der in Artikel 133 EG und in Artikel 175 EG vorgesehenen Rechtsetzungsverfahren hätte also der Gemeinschaftsgesetzgeber, auch im Falle eines unterstellten Gleichgewichts umwelt- und handelspolitischer Gesichtspunkte in der Verordnung, doch einer der beiden Rechtsgrundlagen den Vorzug geben müssen. Er hätte die Verordnung wegen der Unvereinbarkeit der jeweiligen Verfahren nicht nebeneinander auf die Gemeinsame Handelspolitik und auf die Umweltpolitik stützen können.
64. In einer solchen Situation hätte sich die Umweltpolitik mit Artikel 175 EG als Rechtsgrundlage durchsetzen müssen. Denn im Hinblick auf das Rechtsetzungsverfahren stellt das Mitentscheidungsrecht des Parlaments den Normalfall dar, während Rechtsgrundlagen wie Artikel 133 EG ohne formelle parlamentarische Mitwirkungsrechte verfahrenstechnisch einen Ausnahmefall bilden. Im Übrigen entspricht es auch dem Grundsatz der Transparenz (Artikel 1 Absatz 2 EU)(63) und dem Demokratieprinzip (Artikel 6 Absatz 1 EU), von zwei gleichermaßen in Frage kommenden und gleich stark berührten, aber miteinander unvereinbaren Rechtsgrundlagen im Zweifel diejenige zu wählen, bei deren Anwendung die Beteiligungsrechte des Parlaments am größten sind.
65. Selbst wenn man also unterstellte, dass in der streitigen Verordnung handels- und umweltpolitische Gesichtspunkte gleich stark zum Ausdruck kommen, würden verfahrenstechnische Gründe gegen die Wahl einer doppelten Rechtsgrundlage und für die Wahl einer umweltpolitischen Bestimmung als alleiniger Rechtsgrundlage sprechen. Die Entscheidung des Parlaments und des Rates, die Verordnung auf der Grundlage von Artikel 175 Absatz 1 EG im Mitentscheidungsverfahren zu erlassen, wäre also auch unter diesem Blickwinkel nicht zu beanstanden.
V – Kosten
66. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des Europäischen Parlaments und des Rates die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
67. Abweichend davon ergibt sich aus Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung, dass die drei Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.
VI – Ergebnis
68. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die französische Republik, die Republik Finnland sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen jeweils ihre eigenen Kosten. Im Übrigen trägt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Kosten des Verfahrens.