Language of document : ECLI:EU:T:1998:222

BESCHLUSS DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

17. September 1998 (1)

„Kostenfestsetzung“

In der Rechtssache T-271/94 (92)

Eugénio Branco Ld.a, Gesellschaft portugiesischen Rechts mit Sitz in Lissabon, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Bolota Belchior, Vila Nova de Gaia, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Jacques Schroeder, 6, rue Heine, Luxemburg,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Ana Maria Alves Vieira und Knut Simonsson, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Antragsgegnerin,

wegen Kostenfestsetzung im Anschluß an das Urteil des Gerichts vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache T-271/94 (Branco/Kommission, Slg. 1996, II-749)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter R. García-Valdecasas und M. Jaeger,

Kanzler: H. Jung

folgenden

Beschluß

Sachverhalt

1.
    Die Eugénio Branco Ld.a, eine Gesellschaft portugiesischen Rechts mit Sitz in Lissabon, hat mit Klageschrift vom 22. Juli 1994 Klage erhoben auf Aufhebung einer angeblichen Entscheidung der Kommission, erstens einem von der Klägerin im Rahmen von Zuschüssen des Europäischen Sozialfonds (ESF) gestellten Antrag auf Restzahlung nicht stattzugeben und zweitens diese Zuschüsse zu kürzen und vom ESF und vom portugiesischen Staat gezahlte Vorschüsse zurückzufordern (Rechtssache T-271/94).

2.
    Mit Urteil vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache T-271/94 (Branco/Kommission, Slg. 1996, II-749) hat das Gericht die Klage als unzulässig abgewiesen, der Kommission jedoch die Verfahrenskosten auferlegt.

3.
    Mit nicht datiertem Schreiben hat die Antragstellerin von der Kommission die Erstattung ihrer Auslagen und Anwaltshonorare in Höhe von 2 633 319 ESC beantragt.

4.
    Sie hat ihren Antrag in einem Schreiben vom 18. April 1997 wiederholt.

5.
    Die Kommission hat auf diese Schreiben nicht geantwortet.

Anträge der Parteien und Verfahren

6.
    Mit am 9. Oktober 1997 eingegangener Antragsschrift hat die Antragstellerin einen Kostenfestsetzungsantrag gemäß Artikel 92 § 1 der Verfahrensordnung eingereicht, mit dem sie beantragt,

-    die erstattungsfähigen Kosten auf 2 633 319 ESC festzusetzen;

-    der Kommission die Kosten des vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahrens aufzuerlegen.

7.
    Am 11. Dezember 1997 hat die Kommission ihre Erklärungen eingereicht und beantragt,

-    den Antrag als unzulässig zurückzuweisen;

-    der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen.

8.
    Mit Schreiben vom 18. Februar 1998 hat das Gericht die Kommission aufgefordert, sich dazu zu äußern, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen sie die Höhe der Kosten, deren Erstattung von der Antragstellerin beantragt werde, bestreite.

9.
    Mit Schreiben vom 10. März 1998 hat die Kommission geantwortet, sie bestreite diesen Betrag, weil er überhöht sei. Sie macht geltend, erstens wiesen die Schriftsätze in der Rechtssache T-271/94 und in der Rechtssache T-85/94, in der ebenfalls ein Kostenfestsetzungsantrag gestellt worden sei, Übereinstimmungen auf und zweitens belaufe sich die Anzahl der Stunden, die der Kommissionsbedienstete in der Rechtssache T-271/94 aufgewandt habe, auf etwa die Hälfte der von der Antragstellerin genannten Stundenzahl.

Zur Zulässigkeit

10.
    Die Kommission erhebt die Einrede der Unzulässigkeit gegen den Kostenfestsetzungsantrag, da es an einer vorherigen Streitigkeit über die geforderten Kosten und „einem effektiven Beweis für eine solche Streitigkeit bei der zuständigen Stelle“ fehle.

11.
    Sie führt aus, die Antragstellerin habe ihren Antrag auf Kostenerstattung an die Generaldirektion Finanzkontrolle (DG XX) gerichtet. Diese Generaldirektion sei jedoch für die Zahlung der Kosten nicht zuständig. Tatsächlich zuständig sei die Finanzstelle des Juristischen Dienstes. Die Antragstellerin wisse dies aus Erfahrung, wie sich aus dem Schriftwechsel im Rahmen der Verfahren T-89/94 (92) und T-89/94 (122) (92) ergebe.

12.
    Aus dem Umstand, daß die Kommission weder auf die Anträge auf Kostenerstattung geantwortet noch ihnen stattgegeben hat, ist im Lichte ihrer Antwort vom 10. März 1998 auf die Frage des Gerichts vom 18. Februar 1998 abzuleiten, daß eine Streitigkeit über die erstattungsfähigen Kosten im Sinne des Artikels 92 § 1 der Verfahrensordnung besteht.

13.
    Das Argument, der Erstattungsantrag sei nicht bei der zuständigen Dienststelle gestellt worden, ist zu verwerfen. Es oblag der Dienststelle der Kommission, die diesen Antrag erhielt, ihn an die zuständige Stelle weiterzuleiten; die Zulässigkeit eines Kostenfestsetzungsantrags kann nicht von der internen Organisation des Organs abhängig sein, dem diese Kosten auferlegt worden sind.

14.
    Die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist folglich zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

15.
    Die Antragstellerin führt aus, der von ihr geforderte Betrag von 2 633 319 ESC setze sich aus 293 319 ESC Reise- und Aufenthaltskosten, 1 170 000 ESC Anwaltshonorar und 1 170 0000 ESC Honorar eines von ihr hinzugezogenen Wirtschaftswissenschaftlers zusammen.

16.
    Sie bemerkt zu den Reise- und Aufenthaltskosten, da die Sitzung morgens stattgefunden habe, habe ihr Anwalt am Vortag anreisen und in Luxemburg übernachten müssen. Die billigste Strecke zwischen Porto und Luxemburg sei ein Flug Porto-Paris mit anschließender Bahnfahrt Paris-Luxemburg. Außerdem habe die Rückreise eine Übernachtung in einem Hotel in Paris erforderlich gemacht, da der Zug Luxemburg-Paris erst um 18 Uhr in Paris ankomme und das erste Flugzeug von Paris nach Porto erst um 7 Uhr am nächsten Tag abfliege.

17.
    Zum Anwaltshonorar (1 000 000 ESC zuzüglich Mehrwertsteuer zum gesetzlichen Satz von 17 %) trägt die Antragstellerin vor, ihr Anwalt habe für diese Rechtssache mehr als 70 Stunden ohne Reisezeiten aufgewandt. Der geltend gemachte Betrag sei insbesondere angesichts der aufgewandten Zeit, der Schwierigkeit der Rechtssache und der Bedeutung der streitigen Summen gerechtfertigt. Insbesondere habe ihr Anwalt die beiden Akten über das betreffende Bildungsvorhaben studieren müssen (etwa 100 Bände mit Tausenden von Seiten), an verschiedenen Sitzungen mit Wirtschaftswissenschaftlern teilnehmen müssen, die die Bildungsmaßnahmen geplant, entwickelt, begleitet und abgeschlossen hätten, die gemeinschaftsrechtliche Rechtsprechung und Lehre zu der Frage erfassen und untersuchen müssen, die Klageschrift erstellen, die Klagebeantwortung prüfen, die Erwiderung ausarbeiten, verschiedene Anträge im Verfahren prüfen und die mündliche Verhandlung vorbereiten müssen.

18.
    Die Arbeit des hinzugezogenen Wirtschaftswissenschaftlers sei für die Erhebung der Nichtigkeitsklage unerläßlich gewesen. Die entsprechenden Honorare seien angesichts der geleisteten Arbeit und der hierfür aufgewendeten Zeit gerechtfertigt.

19.
    Nach Artikel 91 Buchstabe b der Verfahrensordnung gelten als erstattungsfähige Kosten „Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren notwendig waren, insbesondere Reise- und Aufenthaltskosten sowie die Vergütung der Bevollmächtigten, Beistände oder Anwälte“.

20.
    Im vorliegenden Fall sind in dem Betrag von 293 319 ESC nicht nur die Reise- und Aufenthaltskosten des Anwalts, sondern auch die von Herrn João Branco enthalten. Die Reise- und Aufenthaltskosten anderer Personen als des Anwalts des betreffenden Klägers sind jedoch nur erstattungsfähig, wenn ihre Teilnahme an der Sitzung für das Verfahren notwendig ist (Beschluß des Gerichtshofes vom 17. September 1981 in der Rechtssache 24/79, Oberthür/Kommission, Slg. 1981, 2229, Randnr. 2). Da die Teilnahme von Herrn João Branco an der Sitzung nicht notwendig war, gehören seine Reise- und Aufenthaltskosten nicht zu den notwendigen Aufwendungen im Sinne des Artikels 91 Buchstabe b der Verfahrensordnung. Da diese Auslagen von Herrn João Branco die Hälfte des verlangten Betrages ausmachen, ist im vorliegenden Fall nur die Hälfte dieses Betrages erstattungsfähig, nämlich der aufgerundete Betrag von 146 660 ESC einschließlich Mehrwertsteuer.

21.
    Was das Honorar des von der Antragstellerin hinzugezogenen Wirtschaftswissenschaftlers angeht, ist aus den Akten nicht ersichtlich, daß dessen Heranziehung unerläßlich gewesen wäre. Das entsprechende Honorar stellt also keine „Aufwendungen“ dar, die im Sinne des Artikels 91 Buchstabe b der Verfahrensordnung „notwendig waren“.

22.
    Zum Honorar des Beistands der Antragstellerin ist daran zu erinnern, daß der Gemeinschaftsrichter nicht die von den Parteien ihren eigenen Anwälten geschuldeten Vergütungen festzusetzen, sondern den Betrag zu bestimmen hat, bis zu dem die Erstattung dieser Vergütungen von der zur Tragung der Kosten verurteilten Partei verlangt werden kann (Beschlüsse des Gerichtshofes vom 26. November 1985 in der Rechtssache 318/82, Leeuwarder Papierwarenfabrik/Kommission, Slg. 1985, 3727, Randnr. 2, und des Gerichts vom 25. Februar 1992 in den Rechtssachen T-18/89 und T-24/89, Slg. 1992, II-153, Randnr. 13). Da das Gemeinschaftsrecht keine Gebührenordnung kennt, hat das Gericht die Gegebenheiten des Einzelfalls frei zu würdigen und dabei den Gegenstand und die Art des Rechtsstreits, seine Bedeutung aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht sowie seinen Schwierigkeitsgrad, den Arbeitsaufwand der tätig gewordenen Bevollmächtigten oder Beistände im Zusammenhang mit dem Verfahren und das wirtschaftliche Interesse zu berücksichtigen, das die Parteien am Ausgang des Rechtsstreits haben (Beschlüsse des Gerichtshofes vom 30. November 1994 in der Rechtssache C-294/90 DEP, British Aerospace/Kommission, Slg. 1994,I-5423, Randnr. 13, und des Gerichts vom 17. April 1996 in der Rechtssache T-2/93 (92), Air France/Kommission, Slg. 1996, II-235, Randnr. 21).

23.
    Im vorliegenden Fall konnte die Rechtssache keine besonderen Schwierigkeiten aufwerfen, und ihre Bedeutung aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht war begrenzt.

24.
    Bei der Bestimmung der Höhe der erstattungsfähigen Anwaltshonorare ist folgendes zu berücksichtigen:

-    die erforderliche Zeit für die Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Falles und die Abfassung der Schriftsätze, wobei erstens der Umstand, daß es sich bei der in der Erwiderung vorgetragenen Argumentation um Wiederholungen des Vorbringens in den Erklärungen zur Einrede der Unzulässigkeit handelt, und zweitens die mangelnde Deutlichkeit der Argumentation der Beklagten zu berücksichtigen ist;

-    die zur Vorbereitung der Sitzung erforderliche Arbeit;

-    die vom Anwalt auf die Reise zur Sitzung verwendete Zeit;

-    die betroffenen wirtschaftlichen Interessen.

25.
    Angesichts dieser Beurteilungskriterien werden die in der Rechtssache T-271/94 erstattungsfähigen Anwaltskosten auf 1 170 000 ESC einschließlich Mehrwertsteuer zum Satz von 17 % festgesetzt.

26.
    Da dieser Betrag alle Umstände der Rechtssache bis zum Zeitpunkt des Erlasses des vorliegenden Beschlusses berücksichtigt, ist über den Antrag auf Erstattung der Auslagen der Parteien für das Kostenfestsetzungsverfahren nicht getrennt zu entscheiden.

27.
    Die erstattungsfähigen Kosten belaufen sich demgemäß auf 1 316 660 ESC einschließlich Mehrwertsteuer.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

beschlossen:

Der Gesamtbetrag der erstattungsfähigen Kosten in der Rechtssache T-217/94 wird auf 1 316 660 ESC einschließlich Mehrwertsteuer festgesetzt.

Luxemburg, den 17. September 1998

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

J. Azizi


1: Verfahrenssprache: Portugiesisch.