Language of document : ECLI:EU:T:2023:716

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

15. November 2023(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren wurden – Aufnahme des Namens des Klägers in die Listen und Belassung auf den Listen – Begriff ‚führender Geschäftsmann‘ – Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Beschlusses 2014/145/GASP – Einrede der Rechtswidrigkeit – Begründungspflicht – Beurteilungsfehler – Recht auf Anhörung – Eigentumsrecht – Unternehmerische Freiheit – Verhältnismäßigkeit – Befugnismissbrauch“

In der Rechtssache T‑193/22,

OT, vertreten durch Rechtsanwalt J.‑P. Hordies und Rechtsanwältin C. Sand,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch V. Piessevaux, A. Boggio-Tomasaz und M.‑C. Cadilhac als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann (Berichterstatter), des Richters R. Mastroianni, der Richterin M. Brkan sowie der Richter I. Gâlea und T. Tóth,

Kanzlerin: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,

aufgrund des Beschlusses vom 30. Mai 2022, OT/Rat (T‑193/22 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:307),

aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere

–        der am 15. April 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

–        der Entscheidung vom 2. Juni 2022, mit der dem Antrag des Klägers auf Wahrung seiner Anonymität stattgegeben und sein Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens abgelehnt worden ist,

–        der Entscheidung vom 25. August 2022, mit der das Königreich Belgien als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden ist,

–        des am 11. November 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Anpassungsschriftsatzes,

–        der am 19. Dezember 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen und zu den Akten genommenen Unterlagen des Klägers,

–        der Entscheidung vom 6. Februar 2023, neue, vom Kläger am 24. Januar 2023 vorgelegte Schriftstücke nicht zu den Akten zu nehmen,

auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2023

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage nach Art. 263 AEUV beantragt der Kläger, OT, zum einen die Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2022/429 des Rates vom 15. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 87 I, S. 44), und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/427 des Rates vom 15. März 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 87 I, S. 1) (im Folgenden zusammen: die ursprünglichen Rechtsakte), und zum anderen, nach Anpassung der Klageschrift, die Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2022/1530 des Rates vom 14. September 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 239, S. 149), und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1529 des Rates vom 14. September 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 239, S. 1) (im Folgenden zusammen: die Fortsetzungsrechtsakte), soweit diese Rechtsakte (im Folgenden zusammen: die angefochtenen Rechtsakte) ihn betreffen.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger ist ein Geschäftsmann russischer Staatsangehörigkeit.

3        Am 17. März 2014 erließ der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage von Art. 29 EUV den Beschluss 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16). Am selben Tag erließ er auf der Grundlage von Art. 215 AEUV die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6).

4        Am 21. Februar 2022 unterzeichnete der Präsident der Russischen Föderation ein Dekret, mit dem die selbstproklamierte Unabhängigkeit und Souveränität der „Volksrepublik Donezk“ und der „Volksrepublik Lugansk“ anerkannt sowie die Entsendung russischer Streitkräfte in diese Gebiete angeordnet wurden.

5        Am 22. Februar 2022 veröffentlichte der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: Hoher Vertreter) im Namen der Europäischen Union eine Erklärung, mit der diese Handlungen verurteilt wurden, da sie einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Völkerrecht darstellten. Er kündigte an, dass die Union auf diese jüngsten Verstöße der Russischen Föderation reagieren werde, indem sie so schnell wie möglich zusätzliche restriktive Maßnahmen erlassen werde.

6        Am 23. Februar 2022 erließ der Rat eine erste Reihe restriktiver Maßnahmen. Diese betrafen erstens Beschränkungen der Wirtschaftsbeziehungen zu den nicht von der Regierung kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk, zweitens Beschränkungen des Zugangs zum Kapitalmarkt, insbesondere durch das Verbot von Finanzierungen für die Russische Föderation, ihre Regierung und ihre Zentralbank, und drittens die Aufnahme von Regierungsmitgliedern, Banken, Geschäftsleuten und Generälen sowie von 336 Mitgliedern der Gosudarstvennaya Duma Federal’nogo Sobrania Rossiskoï Federatsii (Staatsduma der Föderationsversammlung der Russischen Föderation) in die Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt werden.

7        Am 24. Februar 2022 kündigte der Präsident der Russischen Föderation eine Militäroperation in der Ukraine an, und die russischen Streitkräfte griffen die Ukraine an.

8        Ebenfalls am 24. Februar 2022 veröffentlichte der Hohe Vertreter im Namen der Union eine Erklärung, in der er die „unbegründete Invasion“ der Ukraine durch die russischen Streitkräfte auf das Schärfste verurteilte und ankündigte, dass die Reaktion der Union sowohl sektorspezifische als auch individuelle restriktive Maßnahmen umfassen werde.

9        Auf seiner außerordentlichen Sitzung am selben Tag verurteilte der Europäische Rat die russische Militärintervention in der Ukraine und stimmte grundsätzlich der Annahme von restriktiven Maßnahmen und Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation im Hinblick auf die Vorschläge der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters zu.

10      Am 25. Februar 2022 erließ der Rat eine zweite Reihe restriktiver Maßnahmen. Am selben Tag erließ er angesichts der sehr ernsten Lage in der Ukraine einerseits den Beschluss (GASP) 2022/329 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 50, S. 1) und andererseits die Verordnung (EU) 2022/330 zur Änderung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 51, S. 1), um insbesondere die Kriterien zu ändern, nach denen natürliche oder juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen den betreffenden restriktiven Maßnahmen unterworfen werden konnten.

11      Art. 2 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung sieht vor:

„(1)      Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum stehen oder gehalten oder kontrolliert werden von:

d)      natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim oder die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, materiell oder finanziell unterstützen oder von diesen profitieren;

g)      führenden Geschäftsleuten oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die eine wesentliche Einnahmequelle für die Regierung der Russischen Föderation, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist, darstellen,

und den mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Anhang aufgeführt sind, werden eingefroren.

(2)      Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“

12      Die Modalitäten dieses Einfrierens von Geldern werden in Art. 2 Abs. 3 bis 6 des Beschlusses 2014/145 festgelegt.

13      Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und e des Beschlusses 2014/145 in der geänderten Fassung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um natürlichen Personen, die Kriterien entsprechen, die im Wesentlichen mit den in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und g dieses Beschlusses aufgeführten identisch sind, die Einreise in oder die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet zu verweigern.

14      Die Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung sieht die Annahme von Maßnahmen des Einfrierens von Geldern vor und regelt die Modalitäten dieses Einfrierens im Wesentlichen wortgleich mit dem geänderten Beschluss 2014/145. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a bis g dieser Verordnung in der geänderten Fassung übernimmt im Wesentlichen Art. 2 Abs. 1 Buchst. a bis g des genannten Beschlusses.

15      In diesem Zusammenhang nahm der Rat mit den ursprünglichen Rechtsakten den Namen des Klägers in die im Anhang des Beschlusses 2014/145 in der geänderten Fassung und in Anhang I der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung aufgeführten Listen der von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen, Organisationen und Einrichtungen (im Folgenden: streitige Listen) auf.

16      Die Gründe für die Aufnahme des Namens des Klägers in die streitigen Listen sind folgende:

„[Der Kläger] ist ein Großaktionär des Konzerns Alfa Group, zu dem mit der Alfa Bank auch einer der größten Steuerzahler Russlands gehört. Er gilt als eine der einflussreichsten Personen in Russland. Er unterhält gute Beziehungen zum russischen Präsidenten. Vladimir Putins älteste Tochter Maria hat das Wohltätigkeitsprojekt ‚Alfa-Endo‘ geleitet, das durch die Alfa Bank finanziert wurde. Vladimir Putin dankte der Alfa Group ihre Loyalität gegenüber der Regierung Russlands mit politischer Unterstützung für ausländische Investitionspläne der Gruppe.

Dadurch hat [er] russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim oder die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, materiell oder finanziell aktiv unterstützt und von diesen profitiert. Er ist auch einer der führenden Geschäftsleute, die in Bereichen der Wirtschaft tätig sind, die der Regierung der Russischen Föderation, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist, als wichtige Einnahmequelle dienen.“

17      Am 16. März 2022 veröffentlichte der Rat im Amtsblatt der Europäischen Union eine Mitteilung an die Personen, Organisationen und Einrichtungen, die den restriktiven Maßnahmen nach dem Beschluss 2014/145, geändert durch den Beschluss 2022/429, und nach der Verordnung Nr. 269/2014, durchgeführt durch die Durchführungsverordnung 2022/427, unterliegen (ABl. 2022, C 121 I, S. 1). In dieser Mitteilung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die betreffenden Personen beim Rat unter Vorlage von entsprechenden Nachweisen die Überprüfung des Beschlusses, sie in die Listen im Anhang der genannten Rechtsakte aufzunehmen, beantragen konnten.

18      Mit Schreiben vom 5. und 8. April 2022 beantragte der Kläger beim Rat die Übermittlung der Akte, auf die sich die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen stützte.

19      Am 13. April 2022 übermittelte der Rat dem Kläger die gesamte Akte WK 3073/2022 (im Folgenden: Beweisakte), auf die er seine Entscheidung gestützt hatte.

20      Am 14. April, 30. Mai, 7. Juni, 5. Juli und 18. August 2022 übermittelte der Kläger seine Stellungnahmen an den Rat und beantragte insbesondere, die Entscheidung, seinen Namen in die streitigen Listen aufzunehmen, zu überprüfen und ihn anzuhören.

21      Am 14. September 2022 erließ der Rat die Fortsetzungsrechtsakte. Aus diesen Rechtsakten geht hervor, dass die für den Kläger geltenden individuellen restriktiven Maßnahmen aus denselben Gründen wie in den ursprünglichen Rechtsakten bis zum 15. März 2023 verlängert wurden (siehe oben, Rn. 16).

22      Mit Schreiben vom 15. September 2022 teilte der Rat dem Kläger u. a. mit, dass die in seinen Schreiben vom 14. April, 30. Mai, 7. Juni, 5. Juli und 18. August 2022 enthaltenen Stellungnahmen seine Einschätzung nicht in Frage stellten, dass die Aufrechterhaltung der betreffenden restriktiven Maßnahmen erforderlich sei. Der Rat wies auch darauf hin, dass er sich aufgrund der Ähnlichkeit der Argumente auf seine Ausführungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und in der vorliegenden Sache beziehe. Er schloss daraus, dass der Name des Klägers auf den streitigen Listen verbleiben müsse.

23      Am 15. September 2022 veröffentlichte der Rat im Amtsblatt der Europäischen Union die Mitteilung an die von den restriktiven Maßnahmen nach dem Beschluss 2014/145, geändert durch den Beschluss 2022/1530, und nach der Verordnung Nr. 269/2014, durchgeführt durch die Durchführungsverordnung 2022/1529, betroffenen Personen und Organisationen (ABl. 2022, C 353 I, S. 1).

24      Am 1. November 2022 stellte der Kläger beim Rat einen Antrag auf Überprüfung.

 Anträge der Parteien

25      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

26      Der Rat beantragt,

–        die Nichtigkeitsklage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

27      Das Königreich Belgien beantragt, die Nichtigkeitsklage abzuweisen.

 Rechtliche Würdigung

28      Zur Begründung der Klage macht der Kläger im Wege der Einrede die Rechtswidrigkeit von Art. 1 Buchst. d und g der Verordnung 2022/330 geltend. Zudem macht er einen Verstoß gegen die Art. 7 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, gegen die Art. 2 und 3 des am 20. November 1989 unterzeichneten New Yorker Übereinkommens über die Rechte des Kindes und gegen Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, eine Verletzung der Begründungspflicht, eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf Anhörung, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und eine Verletzung des Eigentumsrechts, der unternehmerischen Freiheit und des Rechts auf Ausübung eines Berufs als Klagegründe geltend. Im Rahmen des Anpassungsschriftsatzes führt er zudem einen Ermessensmissbrauch als Klagegrund an.

29      In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, dass er sich nicht mehr auf einen Verstoß gegen die Art. 7 und 24 der Charta der Grundrechte, die Art. 2 und 3 des New Yorker Übereinkommens über die Rechte des Kindes und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie auf das Vorbringen zum Privat- und Familienleben berufe, was entsprechend vermerkt worden ist.

 Zur im Wege der Einrede geltend gemachten Rechtswidrigkeit von Art. 1 Buchst. d und g der Verordnung 2022/330, die einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung zur Folge habe

30      Der Kläger macht in erster Linie geltend, dass die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen in Anwendung einer rechtswidrigen Vorschrift erfolgt sei, da die Verordnung Nr. 269/2014 in ihrer geänderten Fassung dem Rat erlaube, die Namen von Personen mit russischer Staatsangehörigkeit, die keine Verbindung zu dem Regime hätten, gegen das sich die fraglichen restriktiven Maßnahmen richteten, mit der Behauptung in die streitigen Listen aufzunehmen, dass sie durch ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten eine Einnahmequelle für die russische Regierung darstellten. Er macht einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung geltend. Die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen, die sich aus der Anwendung einer rechtswidrigen Vorschrift ergebe, müsse daher für nichtig erklärt werden. In der Erwiderung macht er geltend, dass der Rat sein Ermessen selektiv und somit diskriminierend aufgrund der Staatsangehörigkeit oder der betroffenen Wirtschaftssektoren ausgeübt habe. Darüber hinaus müsse der Rat in der Lage sein, zu begründen, inwiefern die Einführung der in Art. 1 Buchst. d und g der Verordnung 2022/330 genannten Kategorien es bewirkt habe, die Wirkungslosigkeit der seit 2014 erlassenen Maßnahmen zu beheben, und zu belegen, dass diese Kategorien erforderlich, angemessen und nicht austauschbar seien. Im Anpassungsschriftsatz macht er geltend, dass bei den seit 2022 festgelegten Kriterien kein Zusammenhang mehr zwischen der Lage in der Ukraine und der Rolle der sanktionierten natürlichen Personen bestehe und dass daher eine stärkere gerichtliche Kontrolle erforderlich sei.

31      Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

32      Nach Art. 277 AEUV kann jede Partei in einem Rechtsstreit, bei dem die Rechtmäßigkeit eines von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union erlassenen Rechtsakts mit allgemeiner Geltung angefochten wird, vor dem Gerichtshof der Europäischen Union die Unanwendbarkeit dieses Rechtsakts aus den in Art. 263 Abs. 2 AEUV genannten Gründen geltend machen.

33      Art. 277 AEUV ist Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, der jeder Partei das Recht gewährleistet, zum Zweck der Aufhebung einer an sie gerichteten Entscheidung inzident die Gültigkeit derjenigen Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu bestreiten, die die Rechtsgrundlage für die Entscheidung bilden, falls die Partei nicht das Recht hatte, gemäß Art. 263 AEUV unmittelbar gegen diese Rechtsakte zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne dass sie ihre Aufhebung hätte beantragen können. Der allgemeine Rechtsakt, dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird, muss unmittelbar oder mittelbar auf den streitgegenständlichen Fall anwendbar sein, und es muss ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der angefochtenen Einzelentscheidung und dem betreffenden allgemeinen Rechtsakt bestehen (vgl. Urteil vom 17. Februar 2017, Islamic Republic of Iran Shipping Lines u. a./Rat der Europäischen Union, T‑14/14 und T‑87/14, EU:T:2017:102, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Hinsichtlich der Intensität der gerichtlichen Kontrolle müssen die Unionsgerichte nach ständiger Rechtsprechung im Einklang mit den Befugnissen, die ihnen aufgrund des AEU-Vertrags zustehen, eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten. Dieses Erfordernis ist in Art. 275 Abs. 2 AEUV ausdrücklich verankert (vgl. Urteile vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, C‑280/12 P, EU:C:2013:775, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Gleichwohl verfügt der Rat bei der allgemeinen und abstrakten Bestimmung der rechtlichen Kriterien und der Einzelheiten des Erlasses restriktiver Maßnahmen über ein weites Ermessen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2015, Anbouba/Rat, C‑605/13 P, EU:C:2015:248, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher sind allgemeine Regeln über diese Kriterien und Einzelheiten, wie die Bestimmungen der angefochtenen Rechtsakte, die die mit diesem Klagegrund beanstandeten Kriterien vorsehen, Gegenstand einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, die sich auf die Prüfung beschränkt, ob die Verfahrensvorschriften und die Begründungspflicht beachtet worden sind, der Sachverhalt richtig ermittelt wurde, kein Rechtsfehler vorliegt und weder ein offensichtlicher Fehler in der Beurteilung der Tatsachen noch Ermessensmissbrauch vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juli 2009, Melli Bank/Rat, T‑246/08 und T‑332/08, EU:T:2009:266, Rn. 44 und 45, und vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 149 [nicht veröffentlicht]).

36      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 Buchst. d und g der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung, dass Gelder und wirtschaftliche Ressourcen von „natürliche[n] oder juristische[n] Personen, Einrichtungen oder Organisationen, die russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim oder die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, materiell oder finanziell unterstützen oder von diesen profitieren“ (Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung) (im Folgenden: unter Buchst. d genanntes Kriterium), und von „führende[n] Geschäftsleute[n] oder juristische[n] Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist, eine wesentliche Einnahmequelle darstellen“ (Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung) (im Folgenden: unter Buchst. g genanntes Kriterium), eingefroren werden.

37      Der Kläger macht geltend, dass die im vorliegenden Fall angewandten Kriterien d und g (im Folgenden zusammen: streitige Kriterien) gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung verstießen.

38      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung, der einen fundamentalen Rechtsgrundsatz darstellt, das Verbot enthält, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleichzubehandeln, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt wäre (Urteil vom 9. Juli 2009, Melli Bank/Rat, T‑246/08 und T‑332/08, EU:T:2009:266, Rn. 135).

39      Im vorliegenden Fall erfassen die streitigen Kriterien jedoch nicht nur russische Staatsangehörige oder bestimmte Wirtschaftssektoren, sondern alle Personen, die russische Entscheidungsträger materiell oder finanziell unterstützen, sowie jede im Sinne der geltenden Kriterien führende natürliche Person. Wie vom Rat dargelegt, können auch Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten von restriktiven Maßnahmen betroffen sein.

40      Soweit der Kläger geltend macht, dass der Rat es unterlassen habe, restriktive Maßnahmen gegenüber bestimmten Personen oder Einrichtungen zu erlassen, die die streitigen Kriterien erfüllten, dass er seine Befugnisse in diskriminierender Weise ausgeübt und dass er es unterlassen habe, alle diese Personen oder Einrichtungen betreffenden Gesichtspunkte sorgfältig und unparteiisch zu prüfen, fällt dieses Vorbringen des Weiteren unter die Prüfung der individuellen Situation des Klägers. Es ist daher als nicht relevant für die Rechtmäßigkeit des fraglichen Kriteriums außer Betracht zu lassen.

41      Diese Rüge ist somit zurückzuweisen.

42      Zweitens erfordert der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsakte der Union klar und präzise sind und dass ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar ist (vgl. Urteile vom 5. März 2015, Europäisch‑Iranische Handelsbank/Rat, C‑585/13 P, EU:C:2015:145, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 17. Februar 2017, Islamic Republic of Iran Shipping Lines u. a./Rat, T‑14/14 und T‑87/14, EU:T:2017:102, Rn. 192 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im vorliegenden Fall macht der Kläger geltend, dass die streitigen Kriterien das Erfordernis der Vorhersehbarkeit nicht erfüllten, und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, dass sie zu allgemein gefasst seien.

44      Es ist darauf hinzuweisen, dass zum einen in Bezug auf das unter Buchst. d genannte Kriterium aus dem Wortlaut der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung selbst eindeutig hervorgeht, dass dieses Kriterium gezielt und selektiv natürliche und juristische Personen erfasst, die, auch wenn sie selbst nicht mit der Destabilisierung der Ukraine in Verbindung stehen, den dafür verantwortlichen russischen Entscheidungsträgern materielle oder finanzielle Unterstützung gewähren oder von diesen Entscheidungsträgern profitieren. Das unter Buchst. d genannte Kriterium besteht somit aus zwei Aspekten, nämlich der materiellen oder finanziellen Unterstützung der russischen Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim oder die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, und der Tatsache, dass von diesen Entscheidungsträgern profitiert wird, wobei diese beiden Aspekte nicht kumulativ sind. Zudem erfordert dieses Kriterium nicht, dass die betreffenden Personen oder Organisationen persönlich von der Annexion der Krim oder der Destabilisierung der Ukraine profitieren. Es ist ausreichend, wenn sie von einem der „russischen Entscheidungsträger“ profitieren, die für diese Ereignisse verantwortlich sind, ohne dass eine Verbindung zwischen den Vorteilen, die diese benannten Personen ziehen, und der Annexion der Krim oder der Destabilisierung der Ukraine bestehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 87).

45      Was zum anderen das unter Buchst. g genannte Kriterium betrifft, bezieht sich sein Wortlaut in hinreichend klarer und präziser Weise insbesondere auf führende Geschäftsleute, die in Sektoren tätig sind, die eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellen. Im Hinblick auf den Wortlaut dieses Kriteriums ist festzustellen, dass die erfassten Personen aufgrund ihrer Bedeutung in dem Sektor, in dem sie tätig sind, und der Bedeutung, die dieser Sektor für die russische Wirtschaft hat, als führend betrachtet werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Rosneft u. a./Rat, T‑715/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:544, Rn. 157).

46      Darüber hinaus verortet sich das unter Buchst. g genannte Kriterium in einem rechtlichen Rahmen, der durch die Ziele, die mit den Vorschriften für die fraglichen restriktiven Maßnahmen verfolgt werden, klar abgesteckt ist, nämlich die angesichts des Ernstes der Lage bestehende Notwendigkeit, größtmöglichen Druck auf die russischen Behörden auszuüben, damit sie ihre Handlungen und ihre Politiken, die die Ukraine destabilisieren, sowie den militärischen Angriff auf dieses Land beenden. Unter diesem Blickwinkel entsprechen die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen der in Art. 21 Abs. 2 Buchst. c EUV genannten Zielsetzung, im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der am 26. Juni 1945 in San Francisco (USA) unterzeichneten Charta der Vereinten Nationen den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 115 und 123, vom 25. Juni 2020, VTB Bank/Rat, C‑729/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:499, Rn. 59, und vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 163).

47      Außerdem wird der dem Rat durch die streitigen Kriterien eingeräumte Ermessensspielraum durch eine Begründungspflicht und durch gestärkte Verfahrensrechte ausgeglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2014, National Iranian Oil Company/Rat, T‑578/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:678, Rn. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Folglich erfüllen die streitigen Kriterien den vom Unionsrecht geforderten Grad an Vorhersehbarkeit.

49      Was darüber hinaus das unter Buchst. g genannte Kriterium angeht, besteht entgegen der Behauptung des Klägers ein logischer Zusammenhang einerseits zwischen der Ausrichtung auf führende Geschäftsleute in Wirtschaftssektoren, die aufgrund ihrer Bedeutung für die russische Wirtschaft eine wesentliche Einnahmequelle für die Regierung darstellen, und andererseits dem im vorliegenden Fall verfolgten Ziel der restriktiven Maßnahmen, das darin besteht, den Druck auf die Russische Föderation zu erhöhen und die Kosten für ihre Handlungen zur Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine in die Höhe zu treiben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Rosneft u. a./Rat, T‑715/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:544, Rn. 157 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Daher kann dem Vorbringen des Klägers, dass kein Zusammenhang zwischen der Lage in der Ukraine und der Rolle der von den fraglichen restriktiven Maßnahmen betroffenen natürlichen Personen mehr bestehe, nicht gefolgt werden.

51      Die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit ist daher zurückzuweisen.

52      Drittens wird die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung, der die Pflicht des zuständigen Organs umfasst, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Juni 2016, Al Matri/Rat, T‑545/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:376, Rn. 58, und vom 6. Juni 2018, Arbuzov/Rat, T‑258/17, EU:T:2018:331, Rn. 61), nicht näher substantiiert und ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

53      Viertens wirft der Kläger in seiner Erwiderung dem Rat vor, dass er nicht habe begründen können, inwiefern die in Art. 1 Buchst. d und g der Verordnung 2022/330 genannten Kategorien es bewirkt hätten, die Wirkungslosigkeit der seit 2014 erlassenen Maßnahmen zu beheben, und nicht habe belegen können, dass die genannten Kategorien erforderlich, angemessen und nicht austauschbar seien.

54      Wie der Rat jedoch anmerkt, ohne dass dies vom Kläger in der mündlichen Verhandlung entkräftet worden wäre, handelt es sich hierbei um ein Argument, das in der Klageschrift nicht vorgebracht worden ist. Gemäß Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts, wonach das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig ist, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind, ist diese Rüge als unzulässig zurückzuweisen.

55      Im Übrigen hängt die Rechtmäßigkeit der restriktiven Maßnahmen nicht von der Feststellung ihrer unmittelbaren Auswirkungen ab, sondern erfordert lediglich, dass sie im Hinblick auf das Ziel, das das zuständige Organ damit verfolgen will, nicht offensichtlich ungeeignet sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2020, Rosneft u. a./Rat, C‑732/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:727, Rn. 97). Daher war der Rat keinesfalls verpflichtet, nachzuweisen, dass die streitigen Kriterien geeignet waren, die angebliche Wirkungslosigkeit der seit 2014 erlassenen Maßnahmen zu beheben.

56      Hinsichtlich der Rüge des Klägers, mit der er Erforderlichkeit und Angemessenheit der streitigen Kriterien in Abrede stellt, ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, verlangt, dass die von einer unionsrechtlichen Bestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (Urteil vom 13. März 2012, Melli Bank/Rat, C‑380/09 P, EU:C:2012:137, Rn. 52).

57      Darüber hinaus verfügt der Rat in Bereichen, in denen er politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen treffen und komplexe Würdigungen vornehmen muss, über ein weites Ermessen, und eine in diesen Bereichen erlassene Maßnahme ist nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist (Urteil vom 1. März 2016, National Iranian Oil Company/Rat, C‑440/14 P, EU:C:2016:128, Rn. 77).

58      Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die streitigen Kriterien, wie sie sich in dem rechtlichen und historischen Kontext darstellen, in dem sie angenommen wurden, im Hinblick auf das oben in Rn. 46 genannte Ziel der restriktiven Maßnahmen, im Hinblick auf die überragende Bedeutung der Friedenserhaltung sowie im Hinblick auf die Sicherheit und Stabilität Europas und der Welt offensichtlich ungeeignet wären.

59      Die Rügen des Klägers schließlich, mit denen er behauptet, dass sein Name nur deshalb in die streitigen Listen aufgenommen worden sei, weil er Aktionär der Alfa Bank sei und die Alfa Bank als bedeutender Steuerzahler Russlands eingestuft werde, was er bestreitet, gehören zur Prüfung seiner individuellen Situation und somit zur Prüfung des Klagegrundes, der sich auf einen Beurteilungsfehler stützt.

60      Die Einrede der Rechtswidrigkeit ist daher zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht

61      Der Kläger macht erstens geltend, dass die Begründung der angefochtenen Rechtsakte ihm weder ermöglicht habe, genau zu bestimmen, welche „streitigen Geschäfte“ in Rede stünden, noch die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen. Zweitens lasse die Begründung nicht erkennen, dass der Rat die Gründe für die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen sorgfältig geprüft habe; in Wirklichkeit handele es sich um eine rein formale Begründung. In der Erwiderung fügt er hinzu, die Begründung der Rechtsakte sei nicht substantiiert und zudem unzutreffend. Im Anpassungsschriftsatz macht der Kläger geltend, dass die Rechtsakte, durch die sein Name auf den streitigen Listen belassen worden sei, die Gründe für eine solche Belassung im September 2022 nicht hätten erkennen lassen, obwohl sich die Lage im Vergleich zu derjenigen der ursprünglichen Verordnung von 2014 geändert habe. Zudem seien weder die Auswirkungen der Maßnahmen überprüft noch sei eine erneute Beurteilung durchgeführt worden. Auch enthalte das Schreiben vom 15. September 2022, mit dem der Rat seinen Antrag auf Überprüfung abgelehnt habe, keine Begründung, aus der hervorgehe, warum sein Name auf den streitigen Listen belassen worden sei.

62      Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

63      Nach der Rechtsprechung dient die Pflicht zur Begründung eines beschwerenden Rechtsakts, die aus dem Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte folgt, dem Zweck, zum einen den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der seine Anfechtung vor dem Unionsrichter zulässt, und zum anderen dem Unionsrichter die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts zu ermöglichen (Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 49).

64      Die nach Art. 296 AEUV erforderliche Begründung muss der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen wurde, angepasst sein. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt dieses Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen insbesondere weder alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden noch muss auf die Erwägungen des Betroffenen bei seiner Anhörung vor Erlass des Rechtsakts im Einzelnen eingegangen werden, da die Frage, ob eine Begründung ausreichend ist, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Ein beschwerender Rechtsakt ist folglich hinreichend begründet, wenn er in einem Kontext ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 53; vgl. auch Urteil vom 22. April 2021, Rat/PKK, C‑46/19 P, EU:C:2021:316, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Somit ist ein beschwerender Rechtsakt zum einen hinreichend begründet, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen. Zum anderen müssen die an die Genauigkeit der Begründung eines Rechtsakts zu stellenden Anforderungen den tatsächlichen Möglichkeiten sowie den technischen und zeitlichen Bedingungen angepasst werden, unter denen der Rechtsakt zu ergehen hat (vgl. Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66      Nach der Rechtsprechung muss überdies in der Begründung eines Rechtsakts des Rates, mit dem eine restriktive Maßnahme verhängt wird, nicht nur die Rechtsgrundlage dieser Maßnahme genannt werden, sondern es müssen auch die besonderen und konkreten Gründe angegeben werden, aus denen der Rat es in Ausübung seines Ermessens für angebracht hielt, den Betroffenen einer solchen Maßnahme zu unterwerfen (vgl. Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Im vorliegenden Fall wurden die streitigen Maßnahmen auf der Grundlage der angefochtenen Rechtsakte erlassen, die sowohl hinsichtlich der ursprünglichen Rechtsakte als auch hinsichtlich der Fortsetzungsrechtsakte in ihren jeweiligen Erwägungsgründen den Kontext und die zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen angeben.

68      Darüber hinaus stellt die Angabe der tatsächlichen Umstände, wie oben in Rn. 16 angeführt, eine hinreichend klare und eindeutige Begründung dar, die es dem Kläger ermöglicht, zu verstehen, warum sein Name in die streitigen Listen aufgenommen und sodann dort belassen wurde.

69      Das Vorbringen des Klägers, die Begründung der angefochtenen Rechtsakte habe es ihm nicht ermöglicht, genau zu bestimmen, welche „streitigen Geschäfte“ in Rede stünden, entkräftet hierbei diese Feststellung nicht, da in der Begründung nicht alle einschlägigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte genannt zu werden brauchen, bevor ein Rechtsakt zur Belassung seines Namens auf der streitigen Liste erlassen wird. Ebenso muss im Hinblick auf die erteilte Begründung auch das Vorbringen, dass diese rein formal sei, zurückgewiesen werden. Denn die Begründung enthält im vorliegenden Fall hinreichende Sachverhaltsangaben und Erläuterungen, um es dem Kläger zu ermöglichen, die Tragweite der gegen ihn ergriffenen Maßnahme zu verstehen, und um es dem Gericht zu ermöglichen, seine Kontrolle auszuüben.

70      Das Vorbringen des Klägers, dass die Begründung des Rates unzutreffend oder nicht substantiiert sei, betrifft die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit und ist im Hinblick auf die Begründungspflicht nicht relevant. Das Gleiche gilt für das Vorbringen, dass die Auswirkungen der Maßnahmen nicht überprüft worden seien bzw. dass eine erneute Beurteilung nicht durchgeführt worden sei.

71      Schließlich macht der Kläger im Anpassungsschriftsatz geltend, dass die Fortsetzungsrechtsakte keine Gründe für eine solche weitere Listung erkennen ließen.

72      Wie jedoch aus den vorstehenden Rn. 20 und 22 hervorgeht, war der Rat nach Prüfung der vom Kläger übermittelten Stellungnahmen der Auffassung, dass in Anbetracht der Ähnlichkeit der Argumente seine früheren Ausführungen im Rahmen des vorliegenden Falls gälten.

73      Daraus geht hinreichend deutlich hervor, dass die Gründe für die Belassung des Namens des Klägers auf den streitigen Listen dieselben sind wie die für seine ursprüngliche Aufnahme, ohne dass im Abstand von sechs Monaten eine zusätzliche Begründung erforderlich wäre. Darüber hinaus ist es auch nicht erforderlich, dass die Begründung von Fortsetzungsrechtsakten detailliert auf die Ausführungen eingeht, die der Betroffene bei seiner Anhörung vor dem Erlass desselben Rechtsakts gemacht hat.

74      Im Übrigen bezieht sich das Vorbringen, dass die Durchführungsverordnung 2022/1529 auf die Verordnung Nr. 269/2014 verweise, obwohl sich nach Ansicht des Klägers die Situation geändert habe, auf die Stichhaltigkeit der Begründung und ist im Hinblick auf die Begründungspflicht nicht relevant. Jedenfalls ist das Vorbringen zurückzuweisen. Denn die Erwägungsgründe des Beschlusses 2022/1530 stützen sich auf die anhaltende militärische Aggression Russlands in der Ukraine, und mit der Durchführungsverordnung 2022/1529 wurde Anhang I der Verordnung Nr. 269/2014 lediglich angepasst, um ihn mit dem Anhang des Beschlusses 2014/145 in Einklang zu bringen, nachdem dieser durch den Beschluss 2022/1530 geändert worden war.

75      Aus alledem lässt sich folgern, dass in den angefochtenen Rechtsakten die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, auf die sie sich ihrem Urheber zufolge gründen, rechtlich hinreichend angegeben werden.

76      Daher ist der Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Begründungspflicht geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund der Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf Anhörung

77      Der Kläger macht eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte geltend, da ihm nicht rechtzeitig die Gründe für die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen mitgeteilt worden seien. Der Rat habe ihm die angefochtenen Rechtsakte nicht individuell bekannt gegeben, sondern eine Mitteilung im Amtsblatt veröffentlicht, obwohl seine Adresse den französischen Behörden bekannt gewesen sei. Sein Antrag auf Anhörung in seinem Schreiben vom 7. Juni 2022 sei unbeantwortet geblieben. Im Anpassungsschriftsatz führt er weiter aus, der Rat habe ihm die Gründe für die Belassung seines Namens auf den streitigen Listen zur Kenntnis bringen müssen. Zudem verletze die Vorlage eines neuen Schriftstücks in der Gegenerwiderung seine Verteidigungsrechte.

78      Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

79      Das in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte vorgesehene Recht, in jedem Verfahren gehört zu werden, ist integraler Bestandteil der Wahrung der Verteidigungsrechte und garantiert jeder Person, dass sie die Möglichkeit hat, in einem Verwaltungsverfahren in sachdienlicher und wirksamer Weise ihren Standpunkt vorzutragen, bevor ihr gegenüber eine Entscheidung ergeht, die für ihre Interessen nachteilig sein kann (vgl. Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte lässt jedoch Einschränkungen der Ausübung der in ihr verankerten Rechte zu, sofern die betreffende Einschränkung gesetzlich vorgesehen ist, den Wesensgehalt des fraglichen Grundrechts achtet sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und tatsächlich den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      Hierzu hat der Gerichtshof mehrfach entschieden, dass für die Verteidigungsrechte Beschränkungen oder Ausnahmen gelten können, und zwar insbesondere im Bereich restriktiver Maßnahmen im Kontext der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82      Ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, ist anhand der besonderen Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen, insbesondere anhand der Natur des betreffenden Rechtsakts, des Kontexts seines Erlasses sowie der Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass der Unionsrichter zwischen der erstmaligen Aufnahme des Namens einer Person in die in Rede stehenden Listen zum einen und dem Verbleib des Namens dieser Person auf den Listen zum anderen unterscheidet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2015, Al-Chihabi/Rat, T‑593/11, EU:T:2015:249, Rn. 40).

84      Im Licht dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist der vorliegende Klagegrund zu prüfen.

 Die ursprünglichen Rechtsakte

85      Erstens macht der Kläger geltend, der Rat habe ihm die ursprünglichen Rechtsakte durch unmittelbare Zustellung mitteilen müssen.

86      Im vorliegenden Fall war die Bekanntgabe der Gründe für die Aufnahme des Namens des Klägers in die streitigen Listen Gegenstand einer Mitteilung, die im Amtsblatt vom 16. März 2022 veröffentlicht wurde (siehe oben, Rn. 17).

87      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 2 des Beschlusses 2014/145 in der geänderten Fassung einerseits und Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung andererseits vorsehen, dass der Rat die betreffende natürliche Person, gegen die sich die restriktiven Maßnahmen richten, „entweder auf direktem Weg, falls ihre Anschrift bekannt ist, oder durch die Veröffentlichung einer Bekanntmachung von [seinem] Beschluss [und dessen Begründung]… in Kenntnis [setzt] … und dabei dieser Person … Gelegenheit zur Stellungnahme [gibt]“.

88      Sodann lässt sich der Rechtsprechung entnehmen, dass eine individuelle Mitteilung dieser Art von Beschlüssen zwar grundsätzlich notwendig und die bloße Veröffentlichung im Amtsblatt nicht ausreichend ist, dass aber das Unionsgericht in jeder Rechtssache prüfen muss, ob der Umstand, dass dem Kläger die Gründe des streitigen Beschlusses nicht individuell bekannt gegeben wurden, ihn daran hinderte, von der Begründung des streitigen Beschlusses rechtzeitig Kenntnis zu erlangen und die Berechtigung der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme des Einfrierens von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen zu prüfen (Urteile vom 13. September 2013, Makhlouf/Rat, T‑383/11, EU:T:2013:431, Rn. 48, und vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 102; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 16. November 2011, Bank Melli Iran/Rat, C‑548/09 P, EU:C:2011:735, Rn. 56).

89      Zudem kann nach der Rechtsprechung davon ausgegangen werden, dass es dem Rat nicht möglich ist, einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Organisation einen Rechtsakt, der restriktive Maßnahmen beinhaltet, die sie betreffen, individuell mitzuteilen, wenn die Adresse der fraglichen Person oder Organisation nicht allgemein bekannt ist und ihm nicht mitgeteilt wurde oder wenn die Mitteilung an die ihm vorliegende Adresse versandt wurde und nicht zugestellt werden kann, obwohl er mit der gebotenen Sorgfalt alle Anstrengungen zur Übermittlung einer solchen Mitteilung unternommen hat (Urteile vom 5. November 2014, Mayaleh/Rat, T‑307/12 und T‑408/13, EU:T:2014:926, Rn. 61, und vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 103).

90      Im vorliegenden Fall trägt der Rat vor, dass ihm die Adresse des Klägers nicht vorgelegen habe.

91      Der Kläger hat auch keine Anhaltspunkte dafür vorgelegt, dass dem Rat seine Privat- oder Geschäftsadresse zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte entweder deshalb bekannt gewesen sei, weil ihm diese Adresse mitgeteilt worden sei, oder deswegen, weil sie allgemein bekannt gewesen sei. In dieser Hinsicht muss das Vorbringen des Klägers, den französischen Behörden sei seine Adresse bekannt gewesen, zurückgewiesen werden. Denn der Umstand, dass den französischen Behörden seine Adresse möglicherweise vorlag, ändert nichts daran, dass sie dem Rat bei Erlass der genannten Rechtsakte nicht bekannt war.

92      Daher ist das Vorbringen, der Rat habe dem Kläger die ursprünglichen Rechtsakte durch unmittelbare Zustellung mitteilen müssen, zurückzuweisen.

93      Im Übrigen ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung die fehlende individuelle Mitteilung der ursprünglichen Rechtsakte zwar für den Beginn der Klagefrist von Bedeutung ist, für sich allein jedoch nicht die Nichtigerklärung der fraglichen Rechtsakte rechtfertigt. Der Kläger hat indessen keine Argumente zum Nachweis dafür angeführt, dass im vorliegenden Fall die fehlende individuelle Mitteilung dieser Rechtsakte zu einer Verletzung seiner Rechte geführt hat, die die Nichtigerklärung der Rechtsakte, soweit sie ihn betreffen, rechtfertigen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, VTB Bank/Rat, T‑734/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:542, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung).

94      Zweitens macht der Kläger geltend, dass ihm die Gründe für die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen nicht rechtzeitig mitgeteilt worden seien.

95      Aus den Akten geht jedoch hervor, dass der Kläger im Nachgang zu der am 16. März 2022 veröffentlichten Mitteilung den Rat mit Schreiben vom 5. April 2022 um Übermittlung der Dokumente ersucht hat, auf die diese Listung gestützt wurde, was der Rat mit Schreiben vom 13. April 2022 getan hat. Mit Schreiben vom 14. April 2022 hat der Kläger seine Stellungnahmen an den Rat übermittelt.

96      Daher ist die Bekanntgabe der Gründe im vorliegenden Fall insofern als rechtzeitig erfolgt anzusehen, als sie es dem Kläger ermöglichte, seinen Standpunkt zu den in Bezug auf ihn herangezogenen Gründen in sachdienlicher Weise vorzutragen.

97      Drittens verleiht weder die fragliche Regelung noch der allgemeine Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte den Betroffenen ein Recht auf eine förmliche Anhörung, da die Möglichkeit, schriftliche Erklärungen einzureichen, genügt (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 23. Oktober 2008, People's Mojahedin Organization of Iran/Rat, T‑256/07, EU:T:2008:461, Rn. 93, vom 6. September 2013, Bank Melli Iran/Rat, T‑35/10 und T‑7/11, EU:T:2013:397, Rn. 105, und vom 10. November 2021, Alkattan/Rat, T‑218/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:765, Rn. 64).

98      Im vorliegenden Fall hat der Kläger, nachdem er am 13. April 2022 die vollständige Beweisakte erhalten hatte, dem Rat am 14. April, 30. Mai, 7. Juni, 5. Juli und 18. August 2022 seine Stellungnahmen übermittelt. Er hat auch eine Klage vor dem Gericht erheben sowie einen substantiierten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stellen können.

99      Daher ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die fehlende förmliche Anhörung des Klägers durch den Rat seine Verteidigungsrechte nicht verletzt hat.

 Die Fortsetzungsrechtsakte

100    Der Kläger macht im Anpassungsschriftsatz geltend, dass der Rat ihm vorab hätte mitteilen müssen, weswegen sein Name weiterhin in den streitigen Listen aufgeführt werde.

101    Es ist darauf hinzuweisen, dass vor Erlass eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern, infolge dessen eine bereits in die Liste der Personen und Organisationen, deren Gelder eingefroren werden, aufgenommene Person oder Organisation dort verbleibt, grundsätzlich die belastenden Umstände mitgeteilt werden müssen und der betroffenen Person oder Organisation Gelegenheit zur Anhörung gegeben werden muss (Urteil vom 15. September 2021, Boshab/Rat, T‑107/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:583, Rn. 78; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People's Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 62).

102    Das Recht, vor dem Erlass von Rechtsakten, mit denen der Name einer Person oder Organisation auf einer Liste von restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen oder Organisationen belassen wird, gehört zu werden, muss gewahrt werden, wenn der Rat in dem Beschluss, den Namen einer Person auf dieser Liste zu belassen, ihr gegenüber neue Umstände anführt, d. h. solche, die im ursprünglichen Beschluss über ihre Aufnahme in diese Liste nicht enthalten waren (vgl. Urteil vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

103    Wenn jedoch der Name der betreffenden Person oder Organisation auf einer Liste von restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen oder Organisationen aufgrund derselben Gründe belassen wird, mit denen der Erlass des ursprünglichen Rechtsakts gerechtfertigt wurde, ohne dass ihr gegenüber neue Umstände angeführt werden, ist der Rat nicht gehalten, ihr zur Wahrung ihres Rechts auf Anhörung erneut die belastenden Umstände mitzuteilen (Urteile vom 7. April 2016, Central Bank of Iran/Rat, C‑266/15 P, EU:C:2016:208, Rn. 32 und 33, und vom 22. Juni 2022, Haswani/Rat, T‑479/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:383, Rn. 85).

104    Im vorliegenden Fall hat der Rat mit Schreiben vom 15. September 2022 den Antrag auf Überprüfung mit der Begründung abgelehnt, die Stellungnahmen des Klägers entkräfteten nicht seine Beurteilung, dass es hinreichende Gründe für den Verbleib seines Namens auf den streitigen Listen gebe. Darüber hinaus hat der Rat in Anbetracht der Ähnlichkeit der Argumente auf seine Ausführungen in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die den Kläger betreffen (Rechtssachen T‑193/22 R und C‑526/22 P[R]), und auf die Klagebeantwortung in der vorliegenden Rechtssache verwiesen.

105    Damit hat der Rat dem Kläger mitgeteilt, dass sein Name aus denselben Gründen, aus denen die ursprünglichen Rechtsakte erlassen worden seien, auf den streitigen Listen belassen werde, ohne dass in Bezug auf ihn neue Umstände herangezogen worden wären.

106    Unter diesen Umständen war der Rat zur Wahrung seines Rechts auf Anhörung nicht verpflichtet, ihm die belastenden Umstände erneut mitzuteilen.

107    Darüber hinaus ist zu beachten, dass, wie der Rat vorträgt, der Artikel aus der Zeitung Le Monde diplomatique vom September 2019 über Korruption in Russland in der Gegenerwiderung als Antwort auf ein Vorbringen in der Klageerwiderung und nicht als nachträgliche Begründung vorgelegt worden ist. Daher kann in dieser Hinsicht keine Verletzung der Verteidigungsrechte festgestellt werden.

108    Somit ist der Klagegrund der Verletzung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf Anhörung zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers und einer nicht stichhaltigen Begründung

109    Aus der Begründung für die Aufnahme und die Belassung des Namens des Klägers auf den streitigen Listen geht hervor, dass er aufgrund der streitigen Kriterien von den betreffenden restriktiven Maßnahmen erfasst wird.

110    Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes bestreitet der Kläger erstens den Beweiswert der zur Begründung der Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen vorgelegten Beweise und macht zweitens geltend, die in der Begründung der angefochtenen Rechtsakte enthaltenen Beurteilungen seien offensichtlich unzutreffend.

111    Das Gericht hält es für sachdienlich, mit der Prüfung dieser beiden Teile hinsichtlich des Kriteriums zu g zu beginnen.

 Zum ersten Teil: fehlender Beweiswert der für das unter Buchst. g genannte Kriterium vorgelegten Beweise

112    Der Kläger bestreitet den Beweiswert der Dokumente, aus denen die Beweisakte des Rates besteht. Die vom Rat vorgelegten Presseartikel seien nicht datiert bzw. älter als 17 Jahre, oder ihr Autor sei unbekannt. Er stellt ihre Glaubhaftigkeit in Frage und weist darauf hin, dass ihre Plausibilität nicht durch Abgleiche mit anderen Quellen offizieller Stellen überprüft worden sei.

113    Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

114    Es ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung für den Unionsrichter der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt und für die Würdigung der vorgelegten Beweise allein ihre Glaubhaftigkeit maßgeblich ist. Insoweit ist zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments die Plausibilität der darin enthaltenen Informationen zu untersuchen, wobei insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung und sein Adressat zu berücksichtigen sind und die Frage zu beantworten ist, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft erscheint (vgl. Urteile vom 31. Mai 2018, Kaddour/Rat, T‑461/16, EU:T:2018:316, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 95 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

115    Die Unionsbehörden müssen sich, da ihnen in Drittstaaten keine Ermittlungsbefugnisse zustehen, bei ihrer Beurteilung de facto auf öffentlich zugängliche Informationsquellen, Berichte, Presseartikel, Geheimdienstberichte oder andere ähnliche Informationsquellen stützen (Urteile vom 14. März 2018, Kim u. a./Rat und Kommission, T‑533/15 und T‑264/16, EU:T:2018:138, Rn. 107, und vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 59).

116    Darüber hinaus macht es die Konfliktsituation, in der sich die Russische Föderation und die Ukraine befinden, praktisch ausgesprochen schwierig, Zugang zu bestimmten Quellen zu erhalten, die Primärquelle bestimmter Informationen ausdrücklich anzugeben und etwaige Zeugenaussagen von Personen einzuholen, die bereit sind, namhaft gemacht zu werden. Die daraus sich ergebenden Schwierigkeiten bei der Ermittlung können somit dazu beitragen, die Erbringung präziser Beweise und objektiver Informationen zu behindern (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 21. April 2015, Anbouba/Rat, C‑605/13 P, EU:C:2015:248, Rn. 46, und vom 24. November 2021, Al Zoubi/Rat, T‑257/19, EU:T:2021:819, Rn. 73).

117    Im vorliegenden Fall hat der Rat hinsichtlich des unter Buchst. g genannten Kriteriums die Aufnahme des Namens des Klägers in die streitigen Listen mit einem am 6. April 2018 auf der US-Nachrichtenseite Daily Beast von einer amerikanischen Historikerin verfassten Artikel (Beweisstück Nr. 1) begründet. Das Vorbringen des Klägers, diese Kolumnen seien ein neues Betätigungsfeld für satirische und populäre Blogs im Vorfeld der Wahlen in den USA, vermag dem Beweiswert dieses Dokuments nicht vollends Abbruch zu tun.

118    Der von der Website „astral.ru“ stammende Artikel (Beweisstück Nr. 2) ist zwar nicht datiert, enthält aber einen Untertitel, der deutlich macht, dass der Artikel die größten russischen Steuerzahler im Jahr 2020 betrifft. Auch wenn es sich, wie der Kläger anmerkt, um die kommerzielle Internetseite eines russischen Anbieters digitaler Dienste handelt, bezieht sich der Artikel außerdem auf eine Anordnung der russischen föderalen Steuerbehörde und nennt die Kriterien, nach denen ein Unternehmen zu den größten Steuerzahlern gezählt wird. Sodann folgt eine Liste der größten Steuerzahler Russlands im Jahr 2020. Folglich kann der Beweiswert dieses Artikels, in dem die ihm zugrunde liegenden Quellen und nachprüfbaren Angaben genannt werden, nicht ausgeschlossen werden.

119    Der am 30. August 2018 auf der Internetseite „banki.ru“ veröffentlichte Artikel (Beweisstück Nr. 3) bezieht sich auf die von der Zeitschrift Forbes erstellte Rangliste der einflussreichsten Russen. Auch wenn es sich um eine Sekundärquelle handelt, so nennt der Artikel doch die Forbes-Rangliste der einflussreichsten Personen 2018 als seine Quelle, so dass sein Beweiswert nicht angezweifelt werden kann.

120    Nach alledem kann unter Berücksichtigung des Kontexts der Situation in Russland und in Ermangelung von Ermittlungsbefugnissen des Rates in Drittländern (siehe die oben in den Rn. 115 und 116 zitierte Rechtsprechung) der Beweiswert der Dokumente in der Beweisakte nicht ausgeschlossen werden.

 Zum zweiten Teil: „offensichtlich“ unzutreffende Beurteilung der Tatsachen hinsichtlich des unter Buchst. g genannten Kriteriums

121    Zunächst ist hervorzuheben, dass davon auszugehen ist, dass mit diesem Klagegrund ein Beurteilungsfehler und nicht ein offensichtlicher Beurteilungsfehler gerügt wird. Denn es trifft zwar zu, dass der Rat ein gewisses Ermessen hat, um im Einzelfall festzustellen, ob die rechtlichen Kriterien, auf die die betreffenden restriktiven Maßnahmen gestützt werden, erfüllt sind, doch müssen die Unionsgerichte eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122    Weiterhin erfordert die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte gewährleistete Effektivität der gerichtlichen Kontrolle u. a., dass sich der Unionsrichter vergewissert, ob die Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen erlassen oder aufrechterhalten werden und die eine individuelle Betroffenheit der betroffenen Person oder Organisation begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der tatsächlichen Umstände voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119).

123    Im Streitfall ist es Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person oder Organisation angeführten Gründe nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den negativen Nachweis zu erbringen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 121, und vom 3. Juli 2014, National Iranian Tanker Company/Rat, T‑565/12, EU:T:2014:608, Rn. 57).

124    Bei der Beurteilung der Stichhaltigkeit der Gründe sind die Beweise und Informationen nicht isoliert, sondern in dem Zusammenhang zu prüfen, in dem sie stehen. Denn der Rat genügt der ihm obliegenden Beweislast, wenn er vor dem Unionsgericht auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Person, die einer restriktiven Maßnahme unterworfen ist, und dem bekämpften Regime oder ganz allgemein den bekämpften Situationen besteht (vgl. Urteil vom 20. Juli 2017, Badica und Kardiam/Rat, T‑619/15, EU:T:2017:532, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

125    Anhand dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist zu entscheiden, ob der Rat einen Beurteilungsfehler begangen hat, indem er annahm, dass es im vorliegenden Fall eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gebe, die zum einen die ursprüngliche Aufnahme und zum anderen die Belassung des Namens des Klägers auf den streitigen Listen rechtfertigen könne.

126    Zuvor ist über die Zulässigkeit der vom Kläger zusätzlich vorgelegten Unterlagen zu entscheiden.

–       Zur Zulässigkeit der vom Kläger zusätzlich vorgelegten Unterlagen

127    Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung bestimmt, dass, sofern die Verspätung der Vorlage gerechtfertigt ist, die Hauptparteien ausnahmsweise noch vor Abschluss des mündlichen Verfahrens oder vor einer Entscheidung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, Beweise oder Beweisangebote vorlegen können.

128    Im vorliegenden Fall hat der Kläger am 19. Dezember 2022 fünf zusätzliche Unterlagen vorgelegt und die Verspätung damit begründet, dass er täglich die Untersuchung seines Falls verfolge und auf die Argumente des Rates antworte.

129    Der Rat trägt vor, dass diese Beweise verspätet und daher unzulässig sowie jedenfalls unerheblich seien.

130    Das erste zusätzliche Dokument ist eine auf den 9. Dezember 2022 datierte Bescheinigung der Rechnungsprüfer der ABH Holdings SA, und das zweite zusätzliche Dokument ist eine auf den 16. Dezember 2022 datierte Bescheinigung der Anwaltskanzlei der genannten Gesellschaft. Diese Dokumente verweisen insbesondere auf die Eigenschaft des Klägers als Minderheitsaktionär, auf eine Vereinbarung über die Veräußerung seiner Anteile an ABH Holdings am Tag vor Erlass der angefochtenen Rechtsakte im März 2022 sowie auf die Beteiligungsstruktur dieser Gesellschaft. Diese Beweisstücke geben somit Informationen wieder, die dem Kläger zwangsläufig bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt waren. Der Kläger hat indessen nicht angegeben, dass und warum er nicht in einem früheren Stadium des Verfahrens in der Lage gewesen wäre, sie beizubringen. Dass er angegeben hat, täglich die Untersuchung seines Falls zu verfolgen, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der ihre verspätete Vorlage im Sinne von Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung rechtfertigt.

131    Das dritte zusätzliche Dokument enthält eine Zeugenaussage vom 28. März 2022, während das vierte und fünfte zusätzliche Dokument Zeugenaussagen vom 1. April 2022 enthalten. Diese Unterlagen hätten jedoch als Anlage zur Erwiderung vom 19. August 2022 oder sogar als Anlage zur Klageschrift vom 15. April 2022 vorgelegt werden können.

132    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Kläger die verspätete Vorlage dieser zusätzlichen Beweise nicht im Sinne von Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung gerechtfertigt hat. Diese Beweise sind daher unzulässig und werden vom Gericht bei der Prüfung des vorliegenden Klagegrundes nicht berücksichtigt.

–       Zur ursprünglichen Aufnahme

133    Der Kläger macht geltend, dass er die Voraussetzungen des unter Buchst. g genannten Kriteriums nicht erfülle, das seiner Meinung nach einen begrenzten Kreis führender Geschäftsleute erfasse, die in der Gunst von Präsident Putin stünden und dem russischen Regime Unterstützung gewährten, was auf ihn nicht zutreffe. Keines der in der Beweisakte enthaltenen Dokumente lasse den Schluss zu, dass er ein führender Geschäftsmann sei. Er rügt auch den vom Rat gewählten Begriff der „einflussreichen Person“, der nicht allein auf die Bedeutung der Person gestützt werden dürfe, ohne dass ihre engen Verbindungen zu dem betreffenden politischen Regime berücksichtigt würden. Er stellt die Rangliste der russischen Ausgabe von Forbes in Frage und führt dazu aus, dass einige Geschäftsleute darin erwähnt würden, die jedoch nicht sanktioniert würden. Auch entspreche er nicht der Definition eines Oligarchen nach ukrainischem Recht.

134    Darüber hinaus rügt er die Vermengung seiner Person mit dem Unternehmen Alfa Bank, obwohl er nie eine Exekutivfunktion in diesem Unternehmen bekleidet habe; mit einem Anteil von 16,3 % sei er Minderheitsaktionär des Unternehmens, habe nicht einmal eine Sperrminorität und sei beim Erlass der ursprünglichen Rechtsakte aus dem Unternehmen ausgeschieden. Die Alfa Bank gehe in Russland einer regulären Tätigkeit nach, ohne jedoch die Handlungen des Regimes zu unterstützen. Der Begriff „Einfluss“ sei nicht allein auf das Halten einer Beteiligung an einer Gesellschaft in dem betreffenden Land beschränkt, sondern müsse auch eine Exekutivfunktion oder eine Mehrheitsbeteiligung berücksichtigen. Er übe indes in keinem Unternehmen der Alfa Group Kontrolle aus oder sei wirtschaftlicher Eigentümer.

135    [Vertraulich](1).

136    Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

137    Es ist darauf hinzuweisen, dass der Name des Klägers auf der Grundlage des unter Buchst. g genannten Kriteriums in die streitigen Listen aufgenommen wurde, weil der Kläger „ein Großaktionär des Konzerns Alfa Group [ist], zu dem mit der Alfa Bank auch einer der größten Steuerzahler Russlands gehört, [und weil e]r … als eine der einflussreichsten Personen in Russland [gilt]“.

138    Das unter Buchst. g genannte Kriterium verwendet den Begriff „führende Geschäftsleute“ in Verbindung mit der Ausübung einer „[Tätigkeit] in Wirtschaftssektoren …, die eine wesentliche Einnahmequelle für die [russische] Regierung … darstellen“, ohne weitere Bedingungen bezüglich einer direkten oder indirekten Verbindung zu dieser Regierung aufzustellen. Denn der Zweck, der mit diesem Kriterium verfolgt wird, besteht darin, größtmöglichen Druck auf die russischen Behörden auszuüben, damit sie ihre Handlungen und ihre Politiken, die die Ukraine destabilisieren, sowie den militärischen Angriff auf dieses Land beenden.

139    In dieser Hinsicht besteht, wie bereits erwähnt (siehe oben, Rn. 49), ein logischer Zusammenhang einerseits zwischen der Ausrichtung auf führende Geschäftsleute in Wirtschaftssektoren, die eine wesentliche Einnahmequelle für die Regierung darstellen, und andererseits dem im vorliegenden Fall verfolgten Ziel der restriktiven Maßnahmen, das darin besteht, den Druck auf die Russische Föderation zu erhöhen und die Kosten für ihre Handlungen zur Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine in die Höhe zu treiben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Rosneft u. a./Rat, T‑715/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:544, Rn. 157).

140    Jedoch lassen weder die Erwägungsgründe noch die Bestimmungen des Beschlusses 2014/145 und der Verordnung Nr. 269/2014 in der jeweils geänderten Fassung darauf schließen, dass es dem Rat obläge, eine enge Verbindung oder wechselseitige Abhängigkeit zwischen der Person, deren Name auf den streitigen Listen steht, und der russischen Regierung oder ihren Handlungen nachzuweisen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben.

141    Entgegen dem Vorbringen des Klägers kann aus der Rechtsprechung zum Kriterium des „führenden Geschäftsmanns“, das im Rahmen der restriktiven Maßnahmen gegen die Arabische Republik Syrien angewandt wird, nicht abgeleitet werden, dass der Begriff „führende Geschäftsleute“, der im Rahmen des hier angewandten Kriteriums verwendet wird, die Verpflichtung des Rates beinhaltet, das Bestehen enger Verbindungen zu oder einer wechselseitigen Abhängigkeit gegenüber der russischen Regierung nachzuweisen.

142    Einer solchen Auslegung stünde nicht nur der Wortlaut des unter Buchst. g genannten Kriteriums entgegen, sondern auch das damit verfolgte Ziel.

143    Denn zum einen ist im Hinblick auf den Wortlaut des unter Buchst. g genannten Kriteriums, wie oben in Rn. 44 dargelegt, davon auszugehen, dass die erfassten Personen aufgrund ihrer Bedeutung in dem Sektor, in dem sie tätig sind, und in Anbetracht der Bedeutung, die dieser Sektor für die russische Wirtschaft hat, als führend betrachtet werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Rosneft u. a./Rat, T‑715/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:544, Rn. 157 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit ist der Begriff „führende Geschäftsleute“ mithin so zu verstehen, dass er auf deren Bedeutung abstellt, und zwar insbesondere im Hinblick auf ihren beruflichen Status, auf die Bedeutsamkeit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten, auf das Ausmaß ihres Besitzes an Kapital oder auf ihre Funktionen innerhalb eines oder mehrerer Unternehmen, in denen sie diese Tätigkeiten ausüben.

144    Zum anderen besteht das Ziel der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen nicht darin, bestimmte Personen oder Organisationen aufgrund ihrer Verbindung zur Lage in der Ukraine oder ihrer Verbindungen zur russischen Regierung mit Sanktionen zu belegen, sondern, wie oben in Rn. 46 dargelegt, Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation zu verhängen, um den Druck auf diese zu erhöhen, die Kosten für ihre Handlungen zur Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine in die Höhe zu treiben und die gegen die Ukraine gerichtete Aggression schnellstmöglich zu beenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Rosneft u. a./Rat, T‑715/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:544, Rn. 160).

145    Daher erfordert das unter Buchst. g genannte Kriterium entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht, dass der Rat das Bestehen enger Verbindungen zu oder einer wechselseitigen Abhängigkeit gegenüber der russischen Regierung nachweisen muss. Es ist auch nicht, wie im Anpassungsschriftsatz vorgebracht wird, davon abhängig, ob die Entscheidung, die militärische Aggression gegen die Ukraine fortzusetzen, dem Kläger zugerechnet werden kann oder ob ein direkter oder indirekter Zusammenhang mit der Annexion der Krim oder der Destabilisierung der Ukraine besteht.

146    Anhand dieser Erwägungen ist zu beurteilen, ob dem Rat ein Beurteilungsfehler bei seiner Entscheidung unterlaufen ist, den Kläger als führenden Geschäftsmann eines Wirtschaftssektors einzustufen, der eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellte.

147    Im vorliegenden Fall ist zum Ersten hinsichtlich der Einstufung des Klägers als führenden Geschäftsmann darauf hinzuweisen, dass er, wie sich insbesondere aus Beweisstück Nr. 1 ergibt, Mitbegründer der Alfa Group ist, einer großen privaten Industrie- und Finanzgruppe in Russland, die, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, Interessen in verschiedenen Sektoren wie Öl, Gas, Handel, Versicherungen, Telekommunikation sowie im Handels- und Geschäftsbankwesen hat.

148    Aus Beweisstück Nr. 3 geht außerdem hervor, dass die Zeitschrift Forbes eine Rangliste der einflussreichsten russischen Frauen und Männer erstellt hat, darunter Politiker, Parlamentsmitglieder, Gouverneure und Direktoren der größten Unternehmen, und dass der Kläger unter den 100 einflussreichsten russischen Personen gelistet wird. Wie der Rat ausführt, kann man zwar unterschiedlicher Meinung über die zur Erstellung der fraglichen Rangliste verwendeten Kriterien sein, doch ist die Rangliste nichtsdestoweniger ein Indikator dafür, welche Personen in Russland eine wichtige wirtschaftliche, politische oder administrative Position innehaben. Im Übrigen wird dies auch durch den als Anlage zur Klageschrift vorgelegten Artikel von Insider vom 13. April 2022 bestätigt, der sich auf die internationale Forbes-Rangliste von 2022 bezieht und den Kläger als „eine der einflussreichsten Personen Russlands“ bezeichnet. Das Vorbringen des Klägers, dass bestimmte Geschäftsleute darin genannt würden, ohne jedoch den restriktiven Maßnahmen unterworfen zu sein, ist zurückzuweisen, da eine etwaige divergierende Praxis des Rates in dieser Hinsicht in seinen Ermessensspielraum fällt und bei den betreffenden Personen und Organisationen kein berechtigtes Vertrauen begründen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2012, Melli Bank/Rat, C‑380/09 P, EU:C:2012:137, Rn. 62).

149    Darüber hinaus geht aus den Akten hervor, dass der Kläger von Oktober 2018 bis zum 15. März 2022 eines von acht Mitgliedern des Aufsichtsrats (Supervisory Board) der A 1 Investment Holding SA, einer Investitionsgesellschaft des Alfa-Group-Konsortiums, war.

150    Aus den Akten und den Erläuterungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung geht schließlich hervor, dass die Alfa Group mit ABH Holdings eine Bankgesellschaft umfasst, die u. a. die Alfa Bank hält, und dass der Kläger mit 16,3 % an ABH Holdings beteiligt war.

151    Daraus folgt, dass der Rat, obwohl der Kläger seit 2010 keine Exekutivfunktionen bei ABH Holdings oder ihren Tochtergesellschaften mehr bekleidete, keinen Beurteilungsfehler begangen hat, als er ihn aufgrund seiner Beteiligung in Höhe von 16,3 % an ABH Holdings als „Großaktionär des Konzerns Alfa Group“ einstufte. Zwar handelt es sich um eine Minderheitsbeteiligung, doch ist sie angesichts der Tatsache, dass diese Gesellschaft ihrerseits mit der Alfa Bank die größte private Geschäfts- und Handelsbank Russlands besitzt, nicht weniger signifikant.

152    Zwar geht aus der Bescheinigung des Direktors von ABH Holdings vom 6. April 2022 hervor, dass der Kläger seine Anteile an dieser Gesellschaft am 14. März 2022 veräußert und keine Beteiligung (ownership interest) mehr an ihr habe.

153    Abgesehen davon, dass der Beweiswert dieser Bescheinigung, die vom Direktor der Gesellschaft stammt, an der der Kläger beteiligt war, in Anwendung der oben genannten Rechtsprechung zu relativieren ist (siehe oben, Rn. 114), ist dennoch festzustellen, dass aus dieser Bescheinigung hervorgeht, dass der Kläger bis zum Tag vor dem Erlass der ursprünglichen Rechtsakte Aktionär der ABH Holdings war. Diese angebliche Änderung der Sachlage, die am Tag vor dem Erlass der ursprünglichen Rechtsakte eingetreten sein soll, ist, sofern sie als erwiesen unterstellt wird, nicht hinreichend, um die Eigenschaft des Klägers als führender Geschäftsmann auszuschließen und insoweit einen Beurteilungsfehler des Rates zu bejahen.

154    Zudem bezieht sich der Begriff „führende Geschäftsleute“ gemäß dem unter Buchst. g genannten Kriterium auf Tatsachen, die sowohl in die Vergangenheit reichen als auch langfristig angelegt sind. Daher bedeutet der Umstand, dass sich die Gründe für die Aufnahme des Namens des Klägers in die streitigen Listen auf eine tatsächliche Sachlage beziehen, die vor dem Erlass der ursprünglichen Rechtsakte bestand und sich vor sehr kurzer Zeit geändert haben soll, nicht notwendigerweise, dass die mit diesen Rechtsakten gegen ihn erlassenen restriktiven Maßnahmen obsolet wären (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 83).

155    Nach alledem hat der Rat daher zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte beurteilungsfehlerfrei die Auffassung vertreten, dass für den Kläger die Voraussetzungen eines führenden Geschäftsmanns im Sinne des unter Buchst. g genannten Kriteriums gegeben seien.

156    Zum Zweiten ist in Bezug auf den betreffenden Wirtschaftssektor festzustellen, dass die von ABH Holdings gehaltene Alfa Bank eine Privatbank ist, die, wie der Kläger angibt, in Russland einer regulären Tätigkeit nachgeht, die größte private russische Handels- und Geschäftsbank ist und zur Alfa Group, einem großen privaten Industrie- und Finanzkonzern in Russland, gehört. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass aus dem unter Buchst. g genannten Kriterium hervorgeht, dass der Wirtschaftssektor und nicht die natürliche oder juristische Person, deren Name auf den streitigen Listen steht, eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellen muss. Der betreffende Wirtschaftssektor ist im vorliegenden Fall der Bankensektor, der unbestritten eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellt.

157    Darüber hinaus beruht die Feststellung, dass die Alfa Bank einer der größten Steuerzahler Russlands ist, auf den vom Rat vorgelegten übereinstimmenden Beweisen. Insbesondere wird in Beweisstück Nr. 1 die Alfa Bank als eine der größten Privatbanken Russlands genannt, und Beweisstück Nr. 2 listet die 24 größten russischen Steuerzahler aus dem Jahr 2020 auf, darunter auch die Alfa Bank.

158    Das Vorbringen des Klägers, mit dem er bestreitet, dass die Alfa Bank zu den 24 größten Steuerzahlern Russlands gehöre, ist zurückzuweisen. Der Kläger bestreitet nämlich die in diesem Dokument vorgenommene Einstufung mit der Begründung, dass die Eigenschaft als Steuerzahler nicht überprüft und nachgewiesen werden könne, ohne dass von der Steuerbehörde des betreffenden Landes genaue Informationen über den steuerlichen Rang des betreffenden Steuerzahlers erteilt worden wären, es sei denn, die Unternehmen veröffentlichten ihren Finanzstatus. Der Kläger bestreitet zwar die Zuverlässigkeit und Genauigkeit dieser Einstufung, stellt jedoch nicht in Frage, dass diese Gesellschaft ein bedeutender Steuerzahler ist.

159    Daraus folgt, dass der Rat durch hinreichend konkrete, genaue und übereinstimmende Indizien nachgewiesen hat, dass die Alfa Group, zu der auch die Alfa Bank gehört, in einem Wirtschaftssektor, in diesem Fall dem Bankensektor, tätig ist, der eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellt.

160    Nach alledem hat der Rat zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte beurteilungsfehlerfrei die Auffassung vertreten, dass der Kläger die Voraussetzungen zur Anwendung des unter Buchst. g genannten Kriteriums erfülle.

161    Das übrige Vorbringen des Klägers steht dieser Feststellung nicht entgegen.

162    Erstens sind die vom Kläger vorgetragenen Punkte, nämlich dass die Alfa Group, die nicht vom russischen Staat kontrolliert werde und keine Unterstützung von diesem erhalte, sich von der Politik ferngehalten habe, „westliche Ethikstandards“ befolge und eine bedeutende Rolle in der ukrainischen Wirtschaft spiele, im Hinblick auf das unter Buchst. g genannte Kriterium unerheblich. Das Gleiche gilt für die Behauptung, die Alfa Bank gehe in Russland einer regulären Tätigkeit nach, ohne jedoch die gegen die Ukraine gerichteten Handlungen der russischen Regierung zu unterstützen. Denn das unter Buchst. g genannte Kriterium besagt, dass der Sektor eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellen muss, ohne dass eine Verbindung zwischen dieser Einnahmequelle und den Handlungen der Regierung in der Ukraine oder die nachweisliche Absicht vorausgesetzt wird, diese Handlungen zu unterstützen. Im Übrigen wird die Alfa Bank, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, seit dem 25. Februar 2022 in den europäischen Listen für restriktive Maßnahmen aufgeführt (siehe Anhang V des Beschlusses [GASP] 2022/327 des Rates vom 25. Februar 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren [ABl. 2022, L 48, S. 1]).

163    Zweitens macht der Kläger geltend, dass die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen im Hinblick auf die multilaterale Sanktionspolitik fehlerhaft sei. Das Vorbringen des Klägers, sein Name stehe nicht auf den Sanktionslisten der Ukraine oder der Vereinigten Staaten, kann jedoch nicht ausschlaggebend für die Auslegung der der Unionsrechtsordnung eigenen Kriterien für die Benennung sein. Auch müssen die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, Pantochim, C‑19/19, EU:C:2020:456, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist die Definition eines Oligarchen im ukrainischen Recht für die Auslegung des unter Buchst. g genannten Kriteriums nicht relevant, das unabhängig davon ist, ob der Kläger persönlich in den Krieg verwickelt ist oder ob es direkte oder enge Verbindungen zu oder ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit gegenüber dem betreffenden politischen Regime gibt.

164    [Vertraulich].

165    Aus alledem folgt, dass der Rat in den ursprünglichen Rechtsakten beurteilungsfehlerfrei die Auffassung vertreten hat, dass der Kläger die Voraussetzungen des unter Buchst. g genannten Kriteriums erfülle.

–       Zur Belassung des Namens des Klägers auf den streitigen Listen

166    Der Kläger macht im Anpassungsschriftsatz geltend, er habe dem Rat Angaben unterbreitet, die nicht berücksichtigt worden seien, wie z. B. die Tatsache, dass er nur Minderheitsaktionär sei, keinen Einfluss auf die Geschäfte oder die Strategie der Bank ausübe und daher kein in dem betreffenden Sektor tätiger Geschäftsmann sei. Er führt außerdem an, dass die Maßnahmen ineffizient seien, dass sie nicht überprüft oder ausgewertet worden seien und dass ohne Rücksicht auf seine individuelle Situation nur der im September 2022 gegebene Sachzusammenhang berücksichtigt worden sei.

167    Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

168    Es ist darauf hinzuweisen, dass restriktive Maßnahmen Sicherungscharakter haben und definitionsgemäß vorläufiger Natur sind, so dass ihre Gültigkeit immer von der Fortdauer der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die ihrem Erlass zugrunde gelegen haben, sowie von der Notwendigkeit abhängig ist, sie zur Erreichung des mit ihnen verbundenen Ziels aufrechtzuerhalten. Daher hat der Rat bei der regelmäßigen Überprüfung dieser restriktiven Maßnahmen eine aktualisierte Bewertung der Lage vorzunehmen und eine Bilanz der Auswirkungen dieser Maßnahmen zu ziehen, um festzustellen, ob sie es ermöglicht haben, die mit der ursprünglichen Aufnahme der Namen der betreffenden Personen und Einrichtungen in die streitige Liste verfolgten Ziele zu erreichen, oder ob im Hinblick auf diese Personen und Einrichtungen nach wie vor dieselbe Schlussfolgerung gezogen werden kann (vgl. Urteile vom 27. April 2022, Ilunga Luyoyo/Rat, T‑108/21, EU:T:2022:253, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 67).

169    Es ist dem Rat nicht verwehrt, sich zur Rechtfertigung der Belassung des Namens einer Person auf der in Rede stehenden Liste auf die gleichen Beweise zu stützen, die die erste Aufnahme, die erneute Aufnahme oder die frühere Belassung des Namens der betroffenen Person auf dieser Liste gerechtfertigt haben, sofern zum einen die Gründe für die Aufnahme unverändert sind und sich zum anderen der Kontext nicht in einer Weise weiterentwickelt hat, dass diese Beweise obsolet geworden wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2020, Kaddour/Rat, T‑510/18, EU:T:2020:436, Rn. 99). Der genannte Kontext umfasst nicht nur die Situation des Landes, gegenüber dem das System restriktiver Maßnahmen errichtet wurde, sondern auch die besondere Situation der betroffenen Person (Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 78; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 2021, Borborudi/Rat, T‑580/19, EU:T:2021:330, Rn. 60 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung). Auch ist die Belassung auf der streitigen Liste in Anbetracht aller relevanten Umstände und insbesondere der Tatsache gerechtfertigt, dass die mit den restriktiven Maßnahmen angestrebten Ziele nicht erreicht worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 83 und 84, vom 27. April 2022, Boshab/Rat, T‑103/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:248, Rn. 121, und vom 27. April 2022, Ilunga Luyoyo/Rat, T‑108/21, EU:T:2022:253, Rn. 56).

170    Im vorliegenden Fall geht aus Art. 6 des Beschlusses 2014/145 in der geänderten Fassung hervor, dass dieser fortlaufend überprüft und gegebenenfalls verlängert oder geändert wird, wenn der Rat der Auffassung ist, dass seine Ziele nicht erreicht wurden. Art. 14 Abs. 4 der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung sieht seinerseits vor, dass die in seinem Anhang befindliche Liste in regelmäßig, mindestens jedoch alle zwölf Monate, überprüft wird.

171    Im Rahmen der Fortsetzungsrechtsakte sind die Gründe für die Aufnahme des Namens die gleichen geblieben wie in den ursprünglichen Rechtsakten.

172    Daher muss unter Heranziehung der oben genannten Rechtsprechung (Rn. 169) geprüft werden, ob der Kontext, die Ziele und die individuelle Situation des Klägers es zuließen, seinen Namen auf Basis unveränderter Gründe auf den Listen zu belassen.

173    In Bezug auf den allgemeinen Kontext im Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine ist festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Rechtsakte, mit denen der Name des Klägers auf den Listen belassen wurde, die Lage in der Ukraine weiterhin ernst blieb.

174    Auch sind restriktive Maßnahmen immer noch im Hinblick auf das angestrebte Ziel gerechtfertigt, nämlich größtmöglichen Druck auf die russischen Behörden auszuüben, damit sie ihre Handlungen und ihre Politiken, die die Ukraine destabilisieren, sowie den militärischen Angriff auf dieses Land beenden, und die Kosten für die Handlungen der Russischen Föderation zur Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine in die Höhe zu treiben.

175    In Bezug auf die individuelle Situation des Klägers ist festzustellen, dass seine Schreiben, insbesondere das vom 30. Mai 2022 und sein Antrag auf Überprüfung vom 1. November 2022, sich auf Argumente beziehen, die bereits im Rahmen der Stellungnahmen zu den ursprünglichen Rechtsakten vorgebracht worden sind. Insbesondere weist der Kläger darin darauf hin [vertraulich], dass nur die Alfa Bank in Russland steuerpflichtig und er lediglich ein Minderheitsaktionär der Alfa Bank ohne Leitungsfunktion sei.

176    Daher konnte der Rat die Aspekte, die der Kläger in seinen an den Rat gerichteten Unterlagen zur Überprüfung der restriktiven Maßnahmen vorgebracht hat, zu Recht als weder neu noch als entscheidend im Hinblick auf den im Rahmen des vorliegenden Falls erfolgten Austausch über die ursprünglichen Rechtsakte ansehen.

177    Angesichts dessen hat der Rat folglich beurteilungsfehlerfrei festgestellt, dass sich die individuelle Situation des Klägers nicht geändert habe, und sich auf die gleichen Umstände gestützt, um seinen Namen auf den streitigen Listen zu belassen.

178    Das im Anpassungsschriftsatz vorgebrachte Argument des Klägers, dass ihm die Entscheidung, die Invasion der Ukraine fortzusetzen, nicht zugerechnet werden könne, ist zurückzuweisen, da das unter Buchst. g genannte Kriterium dies nicht zur Bedingung macht.

179    Ebenso ist das weitere Vorbringen des Klägers zurückzuweisen, wonach keine Überprüfung oder Auswertung dieser Maßnahmen stattgefunden habe und die Maßnahmen ineffizient seien. Denn es ist nicht geeignet, einen Beurteilungsfehler bei der Bewertung seiner individuellen Situation im Hinblick auf das anwendbare Kriterium nachzuweisen.

180    Schließlich ist in Bezug auf das Vorbringen des Klägers, er habe seine Anteile an ABH Holdings veräußert, darauf hinzuweisen, dass diese Veräußerung im Verfahren vor dem Gericht nicht mit hinreichend überzeugenden Beweisen belegt worden ist. Wie oben in Rn. 114 dargelegt, sind nämlich zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments insbesondere seine Herkunft, die Umstände seiner Erstellung und sein Adressat zu berücksichtigen und die Frage zu beantworten, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft erscheint.

181    Im vorliegenden Fall stammt die Bescheinigung vom 19. August 2022, die als Anlage zur Erwiderung vorgelegt worden ist, vom Geschäftsführer von ABH Holdings und gibt an, dass der Kläger am 14. März 2022 seine Anteile an dieser Gesellschaft an einen Dritten veräußert habe und keine Beteiligung (ownership interest) mehr an der genannten Gesellschaft besitze.

182    Es ist jedoch festzustellen, dass diese Bescheinigung nicht durch ein anderes offizielles Dokument belegt wird und insbesondere keine Angaben zum Erwerber der Anteile des Klägers oder zu den Modalitäten der Veräußerung dieser Anteile enthält. Zudem hat der Kläger sowohl im Rahmen des am 1. November 2022 an den Rat gerichteten Antrags auf Überprüfung als auch im Rahmen seiner Schriftsätze vor dem Gericht weiterhin seine Eigenschaft als „Minderheitsgesellschafter“ oder „Minderheitsaktionär der Alfa Bank“ angeführt.

183    Unter den Umständen des vorliegenden Falls ist davon auszugehen, dass der Rat mangels eines Beweises für die vom Kläger behauptete Veräußerung der Anteile an eine dritte, nicht mit ihm verbundene Person zu Recht der Ansicht war, dass sich die individuelle Situation des Klägers nicht in einer Weise entwickelt habe, dass die Belege in der Beweisakte im Zusammenhang mit der ursprünglichen Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen obsolet geworden wären.

184    Angesichts der nach wie vor ernsten Lage in der Ukraine, in Anbetracht der Tatsache, dass die mit den restriktiven Maßnahmen verfolgten Ziele nicht erreicht worden sind, und in Ermangelung von Beweisen dafür, dass sich die individuelle Situation des Klägers geändert hat, hat der Rat daher beurteilungsfehlerfrei die fraglichen restriktiven Maßnahmen aufrechterhalten.

185    Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Grund für die Aufnahme des Namens des Klägers in die streitigen Listen, der auf seiner Stellung als führender Geschäftsmann beruht, der in Wirtschaftssektoren tätig ist, die eine wesentliche Einnahmequelle für die russische Regierung darstellen – was dem unter Buchst. g genannten Kriterium entspricht –, hinreichend belegt ist, so dass im Hinblick darauf die Aufnahme und die Belassung seines Namens in bzw. auf den streitigen Listen durch die ursprünglichen Rechtsakte und die Fortsetzungsrechtsakte begründet sind.

186    Nach der Rechtsprechung kann bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen erlassen werden, dann, wenn der Unionsrichter zu der Auffassung gelangt, dass zumindest einer der angeführten Gründe hinreichend präzise und konkret ist, dass er nachgewiesen ist und für sich genommen eine hinreichende Grundlage für diese Entscheidung darstellt, der Umstand, dass dies auf andere der Gründe nicht zutrifft, die Nichtigerklärung der Entscheidung in Anbetracht des präventiven Charakters der genannten Maßnahmen nicht rechtfertigen (vgl. Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

187    Daher ist der vierte Klagegrund sowohl in Bezug auf die ursprünglichen Rechtsakte als auch in Bezug auf die Fortsetzungsrechtsakte als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die weiteren vom Kläger erhobenen Rügen begründet sind, mit denen die Beurteilung des Rates im Hinblick auf das unter Buchst. d genannte Kriterium in Frage gestellt wird.

 Zu den Klagegründen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und einer Verletzung des Eigentumsrechts, der unternehmerischen Freiheit und des Rechts auf Ausübung eines Berufs

188    Der Kläger macht geltend, die angefochtenen Rechtsakte seien insofern unverhältnismäßig, als sie ihn an der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit hinderten. Die gegen ihn verhängten restriktiven Maßnahmen stellten auch eine unverhältnismäßige Verletzung seines Eigentumsrechts, seiner unternehmerischen Freiheit und seines Rechts auf Ausübung eines Berufs dar, zumal die Beweise, auf die sich der Rat gestützt habe, offensichtlich unzureichend seien.

189    Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

190    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört und in Art. 5 Abs. 4 EUV übernommen wurde, verlangt, dass die von einer unionsrechtlichen Bestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele geeignet sind und nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen (Urteile vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 122, und vom 1. Juni 2022, Prigozhin/Rat, T‑723/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:317, Rn. 133).

191    Das Eigentumsrecht gehört zudem zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und ist in Art. 17 der Charta der Grundrechte verankert. Auch wird gemäß Art. 16 der Charta „[d]ie unternehmerische Freiheit … nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt“.

192    Im vorliegenden Fall führen die in den angefochtenen Rechtsakten enthaltenen restriktiven Maßnahmen dazu, dass die Ausübung des Eigentumsrechts und des Rechts auf unternehmerische Freiheit durch den Kläger eingeschränkt wird.

193    Jedoch gelten die vom Kläger geltend gemachten Grundrechte nicht uneingeschränkt, und ihre Ausübung kann Beschränkungen unterworfen werden, die durch die dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen der Union gerechtfertigt sind, sofern die Beschränkungen tatsächlich diesen dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten würde (Urteile vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 148, und vom 25. Juni 2020, VTB Bank/Rat, C‑729/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:499, Rn. 80).

194    Um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, muss eine Beeinträchtigung der betreffenden Grundrechte gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt dieser Freiheit achten, einer als solcher von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entsprechen und verhältnismäßig sein (vgl. Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 222 und die dort angeführte Rechtsprechung).

195    Es ist festzustellen, dass diese vier Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

196    Erstens sind die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen „gesetzlich vorgesehen“, da sie in Rechtsakten festgelegt sind, die insbesondere allgemeine Geltung haben, für die es eine eindeutige Rechtsgrundlage im Unionsrecht gibt und die hinreichend vorhersehbar sind, was der Kläger nicht bestreitet.

197    Zweitens gelten die angefochtenen Rechtsakte für sechs Monate und unterliegen, wie in Art. 6 des Beschlusses 2014/145 vorgesehen, einer fortlaufenden Überprüfung. Daher ist, da die genannten Maßnahmen befristet und reversibel sind, davon auszugehen, dass sie den Wesensgehalt der geltend gemachten Freiheiten nicht verletzen. Darüber hinaus sehen die angefochtenen Rechtsakte die Möglichkeit vor, Ausnahmen von den geltenden restriktiven Maßnahmen zu gewähren. Insbesondere hinsichtlich des Einfrierens von Geldern ist es nach Art. 2 Abs. 3 und 4 des Beschlusses 2014/145 in der geänderten Fassung sowie Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 269/2014 in der geänderten Fassung zum einen möglich, die Verwendung eingefrorener Gelder zur Deckung von Grundbedürfnissen oder zur Erfüllung bestimmter Verpflichtungen zu genehmigen, und zum anderen, spezifische Genehmigungen zu erteilen, um eingefrorene Gelder, sonstiges Finanzvermögen oder sonstige wirtschaftliche Ressourcen freizugeben.

198    Drittens entsprechen die fraglichen restriktiven Maßnahmen einem dem Gemeinwohl dienenden Ziel, das von der Union als solches anerkannt wird und geeignet ist, selbst erhebliche negative Konsequenzen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 150). Denn mit den fraglichen Maßnahmen soll Druck auf die russischen Behörden ausgeübt werden, damit sie ihre Handlungen und Politiken beenden, die die Ukraine destabilisieren. In diesem Zusammenhang beabsichtigte der Rat im Februar 2022, die russische Wirtschaft strategisch zu schwächen, indem er einerseits namentlich die Finanzierung der Russischen Föderation, ihrer Regierung und ihrer Zentralbank verbot und andererseits entsprechende Maßnahmen insbesondere in den Bereichen Finanzen, Verteidigung und Energie traf. Darüber hinaus geht aus dem elften Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/329 hervor, dass der Rat der Ansicht war, angesichts der sehr ernsten Lage in der Ukraine sollten die Kriterien für die Benennung geändert werden. Daher ist es offensichtlich, dass die Union bestrebt ist, die russischen Staatseinnahmen zu schmälern und Druck auf die russische Regierung auszuüben, um deren Fähigkeit zur Finanzierung von Handlungen zu verringern, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und um diese Handlungen im Hinblick auf die Wahrung der Stabilität Europas und der Welt zu beenden. Es handelt sich hierbei um eines der Ziele, die im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt werden und auf die in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b und c EUV Bezug genommen wird, wie etwa den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken.

199    Was viertens die Geeignetheit der fraglichen restriktiven Maßnahmen betrifft, so ist im Hinblick auf dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen, die für die Völkergemeinschaft derart grundlegend sind wie die in Rn. 198 genannten, darauf hinzuweisen, dass diese Maßnahmen für sich genommen nicht als unangemessen angesehen werden können (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 2. Dezember 2020, Kalai/Rat, T‑178/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:580, Rn. 171 und die dort angeführte Rechtsprechung).

200    Was des Weiteren ihre Erforderlichkeit angeht, so ermöglichen es andere, weniger belastende Maßnahmen, z. B. ein System einer vorherigen Erlaubnis – namentlich in Anbetracht der Möglichkeit einer Umgehung der auferlegten Beschränkungen – nicht, das angestrebte Ziel, nämlich die Ausübung von Druck auf die Unterstützer der russischen Regierung oder auf führende Geschäftsleute, ebenso wirksam zu erreichen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 2. Dezember 2020, Kalai/Rat, T‑178/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:580, Rn. 172 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem handelt es sich, wie bereits ausgeführt, um befristete und reversible Beschränkungen, die Möglichkeiten für von den Mitgliedstaaten gewährte Ausnahmen vorsehen.

201    Hinsichtlich des dem Kläger entstandenen Schadens wird zwar sein Eigentumsrecht durch die angefochtenen Rechtsakte beschränkt, da er insbesondere nicht über ihm gehörende Gelder im Unionsgebiet verfügen oder ihm gehörende Gelder in die Union transferieren kann, außer auf der Grundlage einer besonderen Genehmigung.

202    Die dem Kläger entstandenen Nachteile sind jedoch im Vergleich zur Bedeutung des mit den angefochtenen Rechtsakten verfolgten Ziels nicht unverhältnismäßig. Denn diese Rechtsakte sehen vor, dass die Aufnahme in die streitigen Listen in regelmäßigen Abständen überprüft wird, um sicherzustellen, dass die Namen von Personen und Organisationen, die nicht mehr die Kriterien für diese Listungen erfüllen, gestrichen werden. Darüber hinaus sehen die angefochtenen Rechtsakte, wie oben in Rn. 197 dargelegt, die Möglichkeit vor, die Verwendung eingefrorener Gelder zur Deckung von Grundbedürfnissen oder zur Erfüllung bestimmter Verpflichtungen zu genehmigen und spezifische Genehmigungen zu erteilen, um eingefrorene Gelder, sonstiges Finanzvermögen oder sonstige wirtschaftliche Ressourcen freizugeben. In dieser Hinsicht obliegt es den nationalen Behörden, gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Angemessenheit und den Umfang der erforderlichen Genehmigungen und Ausnahmen zu beurteilen und sich darüber zu vergewissern, dass sie auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

203    Schließlich ist das Vorbringen des Klägers, wonach die Beweise für die Begründetheit der fraglichen restriktiven Maßnahmen unzureichend seien, Gegenstand der materiell-rechtlichen Prüfung dieser Maßnahmen und nicht ihrer Verhältnismäßigkeit.

204    Aus dem Vorstehenden folgt, dass die angefochtenen Rechtsakte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben und das Eigentumsrecht, die unternehmerische Freiheit und das Recht des Klägers auf Ausübung eines Berufs nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt haben.

205    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen sind die Klagegründe eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und einer Verletzung des Eigentumsrechts, der unternehmerischen Freiheit und des Rechts auf Ausübung eines Berufs zurückzuweisen.

 Zu dem im Rahmen der Anpassung der Klageschrift vorgebrachten Klagegrund eines Befugnismissbrauchs

206    Der Kläger macht geltend, dass der Rat durch die Aufnahme seines Namens in die streitigen Listen ihn u. a. für die Lage in der Ukraine verantwortlich mache, obwohl es keinen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen ihm und der Destabilisierung dieses Landes gebe. Dadurch, dass der Rat restriktive Maßnahmen erlassen habe, deren Ziel nicht die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, der Souveränität und der Unabhängigkeit der Ukraine sein könne, da sie völlig ohne Bezug zu den für die Destabilisierung der Ukraine tatsächlich Verantwortlichen und ohne jeglichen direkten oder indirekten Zusammenhang mit dieser Situation seien, habe der Rat gegenüber dem ursprünglich verfolgten Ziel seine Zielsetzung geändert, ohne daraus die notwendigen Konsequenzen im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der individuellen restriktiven Maßnahmen zu ziehen. Damit habe er seine Befugnisse missbraucht: Der Missbrauch bestehe darin, dass er, ohne zuvor eine Prüfung vorzunehmen, die die Aufrechterhaltung der restriktiven Maßnahmen gegen den Kläger rechtfertige, ein anderes Ziel an die Stelle des vorherigen gesetzt habe.

207    Der Rat, unterstützt vom Königreich Belgien, tritt diesem Vorbringen entgegen.

208    Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Befugnismissbrauch nur dann vor, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass ein Rechtsakt ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen Zwecken als denen, zu denen die betreffende Befugnis eingeräumt wurde, oder mit dem Ziel erlassen wurde, ein Verfahren zu umgehen, das die Verträge speziell vorsehen, um die konkrete Sachlage zu bewältigen (Urteile vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 135, und vom 25. Juni 2020, Vnesheconombank/Rat, C‑731/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:500, Rn. 63).

209    Hierzu genügt die Feststellung, dass der Kläger im vorliegenden Fall keine solchen Indizien vorgelegt hat. Wie der Rat betont, ist das verfolgte Ziel, nämlich größtmöglichen Druck auf die Russische Föderation auszuüben, damit sie den Krieg in der Ukraine beendet, in keiner Weise geändert worden.

210    Daher ist der Klagegrund eines Befugnismissbrauchs zurückzuweisen, und demzufolge ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

211    Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Rates seine eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten aufzuerlegen.

212    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich trägt das Königreich Belgien seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      OT trägt seine eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates der Europäischen Union einschließlich der durch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entstandenen Kosten.

3.      Das Königreich Belgien trägt seine eigenen Kosten.

Spielmann

Mastroianni

Brkan

Gâlea

 

      Tóth

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. November 2023.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.


1Nicht wiedergegebene vertrauliche Daten.