Language of document : ECLI:EU:T:2023:618

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)

11. Oktober 2023(*)

„Öffentlicher Dienst – Personal der EIB – Dienstbezüge – Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder – Erziehungszulagen – Rückforderung zu viel gezahlter Beträge – Unzuständigkeit des Urhebers der Handlung – Verletzung der Verjährungsfrist“

In der Rechtssache T‑529/22,

QT, vertreten durch Rechtsanwältin L. Levi,

Klägerin,

gegen

Europäische Investitionsbank (EIB), vertreten durch G. Faedo und J. Pawlowicz als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte A. Glavasevic und V. Wellens,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen, der Richter C. Mac Eochaidh, J. Laitenberger und J. Martín y Pérez de Nanclares (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Stancu,

Kanzler: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer auf Art. 270 AEUV und Art. 50a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gestützten Klage beantragt die Klägerin, QT, zum einen die Aufhebung der Entscheidung der Europäischen Investitionsbank (EIB) vom 28. September 2021 über die Rückforderung eines im Zeitraum von Juli 2014 bis Juni 2017 zu Unrecht als Erziehungszulagen, Zulagen für unterhaltsberechtigte Kinder und damit zusammenhängende Leistungen gezahlten Betrags von 61 186,61 Euro (im Folgenden: Rückforderungsentscheidung) sowie der Entscheidung der EIB vom 20. Mai 2022 über die Zurückweisung ihrer Verwaltungsbeschwerde (im Folgenden: Entscheidung über die Zurückweisung der Verwaltungsbeschwerde) und zum anderen den Ersatz des Schadens, der ihr aufgrund dieser Entscheidungen entstanden sein soll.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Klägerin ist seit dem 16. März 2006 Bedienstete der EIB. Von Juli 2014 bis einschließlich Juni 2017 erhielt sie u. a. Zulagen für unterhaltsberechtigte Kinder und Erziehungszulagen (im Folgenden: streitige Zulagen) für ihren Sohn im Rahmen einer von ihm in diesem Zeitraum an der Apnea Academy West Europe in Adeje (Spanien) absolvierten Ausbildung zum Apnoetauchen.

3        Nachdem das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) von einem Bediensteten der EIB Informationen über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Gewährung von Erziehungszulagen und abgeleiteten Rechten innerhalb der EIB erhalten hatte, leitete es im November 2017 eine Untersuchung ein, die 70 Bedienstete der EIB, darunter die Klägerin, betraf.

4        Am 16. April 2018 informierte das OLAF die Klägerin über die Einleitung einer sie betreffenden Untersuchung.

5        Am 7. Dezember 2020 übermittelte das OLAF der EIB seinen am 4. Dezember 2020 erstellten Abschlussbericht, in dem der EIB empfohlen wurde, zum einen ein Disziplinarverfahren gegen die Klägerin und zum anderen ein Verfahren zur Rückforderung der streitigen Zulagen und der daraus abgeleiteten Leistungen für den Zeitraum von Juli 2014 bis Juni 2017 einzuleiten.

6        Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 29. Januar 2021 darüber informiert, dass das OLAF seinen Bericht, mit dem seine Untersuchung abgeschlossen worden war, und seine Empfehlungen an die EIB übermittelt hatte und dass die beiden Verfahren von der EIB getrennt durchgeführt würden.

7        Mit E‑Mail vom 21. Juni 2021 erläuterte die EIB im Einzelnen die Beträge, aus denen sich der Gesamtbetrag von 61 186,61 Euro zusammensetzte, den sie zurückzufordern beabsichtigte, und forderte die Klägerin auf, dazu Stellung zu nehmen, was sie am 17. August 2021 tat.

8        Am 28. Juni 2021 übermittelte die EIB der Klägerin den Abschlussbericht des OLAF und lud sie zu einer vordisziplinarischen Anhörung.

9        Mit E‑Mail vom 28. September 2021 erließ die EIB die Rückforderungsentscheidung im Wege eines Tilgungsplans, nach dem vom monatlichen Gehalt der Klägerin ab September 2021 bis Dezember 2030 ein Betrag von 565,79 Euro einbehalten wird.

10      Am 20. Mai 2022 erließ die EIB die Entscheidung über die Zurückweisung der von der Klägerin am 29. November 2021 eingelegten Verwaltungsbeschwerde.

 Anträge der Parteien

11      Die Klägerin beantragt,

–        die Rückforderungsentscheidung und die Entscheidung über die Zurückweisung der Verwaltungsbeschwerde (im Folgenden zusammen: angefochtene Entscheidungen) aufzuheben;

–        die EIB zur Zahlung der einbehaltenen Beträge zuzüglich Verzugszinsen in Höhe des um zwei Prozentpunkte erhöhten Zinssatzes der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verurteilen;

–        der EIB die Kosten aufzuerlegen.

12      Die EIB beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die gesamten Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zum Gegenstand der Aufhebungsanträge

13      Nach ständiger Rechtsprechung bewirken Aufhebungsanträge, die formal gegen die Entscheidung über die Zurückweisung eines vorgerichtlichen Antrags gerichtet sind, mit dem eine beschwerende Maßnahme angefochten wird, dass das Gericht mit dieser Maßnahme befasst wird, wenn die Anträge als solche keinen eigenständigen Inhalt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2022, KL/EIB, T‑651/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:512, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

14      Gleichwohl kann es sein, dass eine ausdrückliche Entscheidung über die Zurückweisung eines vorgerichtlichen Antrags in Anbetracht ihres Inhalts die angefochtene Maßnahme nicht lediglich bestätigt. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung über die Zurückweisung des vorgerichtlichen Antrags eine Überprüfung der Lage des Betroffenen aufgrund neuer rechtlicher oder tatsächlicher Umstände enthält oder die ursprüngliche Entscheidung ändert oder vervollständigt. In diesen Fällen stellt die Zurückweisung des vorgerichtlichen Antrags eine Handlung dar, die der Kontrolle durch das Gericht unterliegt, das diese Handlung bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme berücksichtigt oder sie sogar als eine beschwerende Maßnahme ansieht, die an die Stelle der angefochtenen Maßnahme tritt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. April 2017, HF/Parlament, T‑584/16, EU:T:2017:282, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      Im vorliegenden Fall macht die Klägerin geltend, dass ihr gegen die Entscheidung über die Zurückweisung der Verwaltungsbeschwerde gerichteter Antrag zulässig sei, da ihr ein neues, dieser Entscheidung beigefügtes Schriftstück, nämlich der Aktenvermerk vom 26. April 2022, als Antwort auf die Rüge der Unzuständigkeit der Urheberin der Rückforderungsentscheidung übermittelt worden sei.

16      Auch wenn die Entscheidung über die Zurückweisung der Verwaltungsbeschwerde den verfügenden Teil der Rückforderungsentscheidung in Bezug auf den Betrag und die Modalitäten der Rückforderung nicht ändert, fehlt ihr doch nicht jeder eigenständige Gehalt. Die Entscheidung über die Zurückweisung der Verwaltungsbeschwerde enthält nämlich, auch wenn sie die Rückforderungsentscheidung bestätigt, in Beantwortung dieser Beschwerde zusätzliche Gründe, mit denen Klarstellungen vorgenommen werden und zu den von der Klägerin erhobenen Rügen Stellung genommen wird, insbesondere zur Rüge der Unzuständigkeit der Urheberin der Rückforderungsentscheidung.

17      Unter diesen Umständen – und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin bei ihrem Vorbringen nicht nach Maßgabe der einzelnen angefochtenen Entscheidungen differenziert – sind diese zusammen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. September 2018, Dreute/Parlament, T‑732/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:582, Rn. 42).

 Zur Begründetheit

 Zum ersten Antrag der Klägerin

18      Die Klägerin stützt ihren Aufhebungsantrag auf vier Gründe. Mit dem ersten Grund rügt sie die Unzuständigkeit der Urheberin der Rückforderungsentscheidung, mit dem zweiten eine Verletzung der in Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften für das Personal der EIB (im Folgenden: Verwaltungsvorschriften) vorgesehenen fünfjährigen Verjährungsfrist, mit dem dritten einen Verstoß gegen diese Bestimmung in Bezug auf die Voraussetzungen für eine Rückforderung und mit dem vierten einen Verstoß gegen die Art. 2.2.3 und 2.2.4 der Verwaltungsvorschriften sowie einen offensichtlichen Beurteilungsfehler.

–       Zum ersten Grund: Unzuständigkeit der Urheberin der Rückforderungsentscheidung

19      Der erste Grund besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Mit dem ersten wird geltend gemacht, es habe an einer ordnungsgemäßen Weiterübertragung der Befugnis zum Erlass der Rückforderungsentscheidung auf die Leiterin des Referats „Individuelle Rechte und Zahlungen“ (im Folgenden: Referatsleiterin) gefehlt, und mit dem zweiten, diese Entscheidung sei nicht mit zwei Unterschriften versehen.

20      Die EIB macht erstens geltend, die Rückforderungsentscheidung sei von der Referatsleiterin tatsächlich auf der Grundlage einer Weiterübertragung von Befugnissen erlassen worden, die nachträglich durch den Aktenvermerk vom 26. April 2022 bestätigt worden sei. Zweitens trägt sie vor, die E‑Mail, die diese Entscheidung enthalte, sei außerhalb des Rahmens der Weiterübertragung versandt worden, der in ihren Vorschriften festgelegt sei, in denen Rückforderungsentscheidungen im Anschluss an Untersuchungen des OLAF nicht erwähnt würden.

21      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Parteien darüber einig sind, dass die innerhalb der EIB für den Erlass von Entscheidungen über die Rückforderung ohne rechtlichen Grund gezahlter Beträge zuständige Behörde grundsätzlich die Generaldirektorin für Personal ist. Ferner steht fest, dass die streitige Rückforderungsentscheidung nicht von der Generaldirektorin für Personal, sondern von der Referatsleiterin erlassen wurde. Die EIB trägt indessen vor, die Generaldirektorin für Personal habe der Referatsleiterin die entsprechenden Befugnisse ordnungsgemäß weiterübertragen.

22      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Übertragung von Befugnissen nicht vermutet wird und dass die übertragende Behörde, selbst wenn sie zur Übertragung ihrer Befugnisse ermächtigt ist, eine ausdrückliche Entscheidung treffen muss, mit der diese Befugnisse übertragen werden, und dass sich die Übertragung nur auf genau definierte Durchführungsbefugnisse beziehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juni 1958, Meroni/Hohe Behörde, 9/56, EU:C:1958:7, S. 42 bis 44, 46 und 47, und vom 26. Mai 2005, Tralli/EZB, C‑301/02 P, EU:C:2005:306, Rn. 43).

23      Im vorliegenden Fall hat die EIB in der mündlichen Verhandlung präzisiert, dass die Weiterübertragung von Befugnissen, auf deren Grundlage die Referatsleiterin die Rückforderungsentscheidung erlassen habe, eine ungeschriebene Weiterübertragung gewesen sei. Diese Weiterübertragung ergebe sich jedoch aus dem Schreiben der Generaldirektorin für Personal an die Klägerin vom 29. Januar 2021, in dem dieser ihre Absicht mitgeteilt worden sei, die Rückforderung vorzunehmen, sowie aus der in der Rückforderungsentscheidung ausdrücklich erwähnten Zustimmung der Direktorin.

24      Es ist jedoch festzustellen, dass der Akteninhalt das Vorliegen einer solchen Weiterübertragung nicht belegen kann.

25      Der Inhalt des Schreibens der Generaldirektorin für Personal vom 29. Januar 2021 belegt nämlich nicht, dass diese beschlossen hätte, die tatsächliche Durchführung der Rückforderung der streitigen Zulagen auf die ihrer Leitung unterstehenden Dienststellen, zu denen das Referat „Individuelle Rechte und Zahlungen“ gehört, weiter zu übertragen. Dieses Schreiben beschränkt sich darauf, die Klägerin über die Empfehlungen des OLAF im Anschluss an seine sie betreffende Untersuchung sowie über die Absicht der EIB zu informieren, diesen Empfehlungen so schnell wie möglich Folge zu leisten und sie getrennt umzusetzen.

26      Dass in der Rückforderungsentscheidung eine Zustimmung der Generaldirektorin für Personal zu dieser Entscheidung erwähnt wird, kann zudem nicht als gleichbedeutend mit einer ausdrücklichen Entscheidung der Generaldirektorin im Sinne der oben in Rn. 22 angeführten Rechtsprechung angesehen werden, der Referatsleiterin die Befugnis zur Durchführung des vom OLAF empfohlenen Rückforderungsverfahrens zu übertragen. Darüber hinaus gehört diese Generaldirektorin nicht zu den Adressaten, die die E‑Mail, mit der die Rückforderungsentscheidung erlassen wurde, in Kopie erhielten.

27      Was den Aktenvermerk vom 26. April 2022 betrifft, mit dem die Generaldirektorin für Personal bestätigt hat, der Referatsleiterin die Befugnis zum Erlass der Rückforderungsentscheidung weiterübertragen zu haben, hat die EIB in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass er keine ordnungsgemäße Weiterübertragung von Befugnissen darstellen könne, da er nach dieser Entscheidung vorgenommen worden sei.

28      Daher ist, da die Weiterübertragung von Befugnissen nicht erwiesen ist, der Schluss zu ziehen, dass die Rückforderungsentscheidung von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde.

29      Zweitens ergibt sich zwar aus der Rechtsprechung, dass eine Entscheidung, die von einer unzuständigen Behörde aufgrund der Nichtbeachtung der Regeln über die Verteilung der ihr übertragenen Befugnisse getroffen wird, nur dann aufgehoben werden kann, wenn durch die Nichtbeachtung dieser Regeln eine der den Beamten durch das Statut der Beamten der Europäischen Union gewährten Garantien oder die Regeln einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Personalwesen beeinträchtigt werden (Urteile vom 30. Mai 1973, Drescig/Kommission, 49/72, EU:C:1973:58, Rn. 13, vom 7. Februar 2007, Caló/Kommission, T‑118/04 und T‑134/04, EU:T:2007:37, Rn. 68, und vom 17. November 2017, Teeäär/EZB, T‑555/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:817, Rn. 52).

30      Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass die Regeln einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Personalwesen u. a. verlangen, dass die Verteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Organe klar definiert und veröffentlicht wird. Die gleiche Verpflichtung gilt für die Organe der EIB, die sich in keiner anderen Situation befinden als die Leitungsorgane der anderen Einrichtungen und Organe der Union in ihren Beziehungen zu ihren Bediensteten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. November 2017, Teeäär/EZB, T‑555/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:817, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Wie sich aus den vorstehenden Rn. 22 bis 28 ergibt, war die geltend gemachte Zuständigkeit der Urheberin der Rückforderungsentscheidung jedoch weder klar definiert noch veröffentlicht worden.

32      Daraus folgt, dass die Rückforderungsentscheidung mit einem Mangel der Unzuständigkeit behaftet ist, der die Regeln einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Personalwesen beeinträchtigt hat, und dass diese Entscheidung insgesamt aufzuheben ist. Folglich ist die Entscheidung über die Zurückweisung der Verwaltungsbeschwerde der Klägerin ebenfalls rechtsfehlerhaft, soweit darin der Schluss gezogen wurde, dass die Referatsleiterin für den Erlass der Rückforderungsentscheidung zuständig gewesen sei.

33      Folglich ist dem ersten Teil des ersten Grundes stattzugeben, ohne dass der die doppelte Unterschrift betreffende zweite Teil geprüft zu werden braucht.

34      Das Gericht hält es jedoch zur Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege für angebracht, auch den zweiten Grund zu prüfen.

–       Zum zweiten Grund: Verletzung der fünfjährigen Verjährung

35      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die EIB habe durch die Rückforderung der streitigen Zulagen, die ihr von Juli 2014 bis Juni 2017 gezahlt worden seien, die in Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften vorgesehene Verjährungsfrist von fünf Jahren verletzt. Nach der genannten fünfjährigen Verjährungsfrist hätte sich die Rückforderung nämlich nicht auf Beträge beziehen können, die vor dem 28. September 2016, d. h. fünf Jahre vor dem Zeitpunkt des Erlasses der Rückforderungsentscheidung, gezahlt worden seien.

36      Die EIB macht demgegenüber geltend, dass die Einleitung einer Untersuchung durch das OLAF zwangsläufig zur Unterbrechung der Verjährungsfrist für die Rückforderung der streitigen Zulagen geführt habe, und zwar ab dem Zeitpunkt – 16. April 2018 –, zu dem die Klägerin von der Einleitung einer sie betreffenden Untersuchung in Kenntnis gesetzt worden sei, und bis zum Abschlussbericht des OLAF vom 4. Dezember 2020, der ihr am 7. Dezember 2020 übermittelt worden sei.

37      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften entsprechend Art. 85 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) bestimmt:

„16.3 Rückforderung zu viel gezahlter Beträge

Beträge, die nach diesen [Verwaltungsvorschriften] ohne rechtlichen Grund an einen Bediensteten oder seine Rechtsnachfolger gezahlt wurden, sind zurückzufordern, wenn der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung kannte oder der Mangel so offensichtlich war, dass er ihn hätte kennen müssen.

Die Rückforderung kann über mehrere Monate verteilt werden. Sie darf monatlich ein Fünftel des Grundgehalts des Bediensteten nicht übersteigen.

Die Rückforderung muss innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Betrag ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde, es sei denn, die [EIB] kann nachweisen, dass der Empfänger die Verwaltung bewusst getäuscht hat, um den betreffenden Betrag zu erlangen. In diesem Fall kann die Rückforderung selbst nach Ablauf der Fünfjahresfrist nicht für ungültig erklärt werden.“

38      Im vorliegenden Fall ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die EIB nicht geltend macht, dass dieser Fall unter die in Art. 16.3 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsvorschriften vorgesehene Ausnahme von der Anwendung der Verjährungsfrist fällt. Zum anderen trägt die EIB in ihren Schriftsätzen vor, dass die Frage, ob die Klägerin sie bewusst getäuscht habe, um die streitigen Zulagen zu erlangen, im Rahmen eines etwaigen Disziplinarverfahrens geklärt werden müsse, das getrennt von dem Rückforderungsverfahren geführt werde. In der mündlichen Verhandlung hat sie dem Gericht mitgeteilt, dass sie ein solches Verfahren eingeleitet habe, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei.

39      Die EIB ist dagegen der Ansicht, dass die im vorliegenden Fall anwendbare fünfjährige Verjährungsfrist während der Dauer der Untersuchung des OLAF unterbrochen worden sei. Eine solche Unterbrechung lasse sich aus den Bestimmungen der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des [OLAF] und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates (ABl. 2013, L 248, S. 1) herleiten, insbesondere aus ihrem Art. 5 Abs. 3. Nach dieser Bestimmung leiteten die betroffenen Einrichtungen und Stellen, solange das OLAF eine interne Untersuchung durchführe, keine parallele Untersuchung zu demselben Sachverhalt ein. Außerdem habe das OLAF ihr mit E‑Mail vom 14. Juni 2018 förmlich aufgegeben, keine Paralleluntersuchungen durchzuführen, solange diese Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei. Daher sei sie völlig außerstande gewesen, tätig zu werden, so dass die Verjährung ihr gegenüber nicht habe laufen können.

40      Die EIB macht ferner geltend, dass die Unterbrechung der fünfjährigen Verjährung durch die Einleitung einer Untersuchung des OLAF nach dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung und dem sich aus Art. 13 EUV ergebenden Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit geboten sei. Andernfalls würde ihr immer dann, wenn ohne rechtlichen Grund an ihre Bediensteten gezahlte Beträge Gegenstand einer langen und komplexen Untersuchung des OLAF seien, jede Möglichkeit genommen, diese Beträge zurückzufordern.

41      Schließlich ist die EIB der Auffassung, dass der Grundsatz einer Unterbrechung der fünfjährigen Verjährung im Fall einer Untersuchung des OLAF in der Rechtsprechung auf der Grundlage der Bestimmungen der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) anerkannt worden sei. Es komme daher nicht darauf an, ob sie eine positive Rechtsnorm erlassen habe, die eine solche Unterbrechung vorsehe.

42      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung eine Verjährungsfrist die Rechtssicherheit gewährleisten soll und die Verwaltung durch dieses grundlegende Erfordernis daran gehindert ist, unbegrenzt lange zu warten, ehe sie von ihren Befugnissen Gebrauch macht (Urteil vom 9. Juni 2021, DI/EZB, T‑514/19, EU:T:2021:332, Rn. 58).

43      Eine Verjährungsfrist kann aber ihrer Funktion, die Rechtssicherheit zu wahren, nur gerecht werden, wenn sie im Voraus festgelegt ist; dabei fällt die Festlegung der Frist und der Einzelheiten ihrer Anwendung in die Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers (Urteil vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, EU:C:1970:71, Rn. 19 und 20; vgl. auch Urteil vom 17. März 2021, EJ/EIB, T‑585/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:142, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Verjährung, die verhindert, dass Lagen, die sich durch Zeitablauf verfestigt haben, unbegrenzt in Frage gestellt werden können, dient nämlich der Rechtssicherheit, kann aber auch die Verfestigung von Lagen erlauben, die zumindest ursprünglich rechtswidrig waren. In welchem Umfang Verjährung vorgesehen wird, ergibt sich daher aus einer Abwägung zwischen den Erfordernissen der Rechtssicherheit und jenen der Rechtmäßigkeit nach Maßgabe der geschichtlichen und sozialen Umstände, die in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit überwiegen. Sie beruht daher auf der Entscheidung allein des Gesetzgebers, und das Gericht kann, sobald er eine Verjährungsfrist festgelegt hat, diese in einer bestimmten Rechtssache nicht durch eine andere Frist ersetzen (vgl. entsprechend Urteil vom 23. März 2022, ON/Kommission, T‑730/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:155, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften, dass die EIB Beträge, die einem ihrer Bediensteten ohne rechtlichen Grund gezahlt wurden, innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Zahlung zurückfordern muss, es sei denn, sie weist die Absicht des betreffenden Bediensteten nach, sie zu täuschen, um diese Zahlung zu erhalten.

45      Dagegen enthält Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften keine Bezugnahme auf die Unterbrechung oder die Hemmung der Verjährungsfrist für die Rückforderung in dem Fall, dass das OLAF eine Untersuchung des der Rückforderung zugrunde liegenden Sachverhalts einleitet.

46      Daher steht die Rechtssicherheit dem entgegen, dass sich die EIB auf die Einleitung der Untersuchung des OLAF gegenüber einem Bediensteten berufen kann, um geltend zu machen, dass die Verjährungsfrist unterbrochen oder gehemmt worden sei.

47      Was Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2013 betrifft, so heißt es dort: „[S]olange das [OLAF] eine interne Untersuchung durchführt, leiten die betroffenen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen keine parallele Untersuchung zu demselben Sachverhalt ein, soweit mit dem [OLAF] nichts Gegenteiliges vereinbart wurde“.

48      Der Erlass einer Entscheidung über die Rückforderung ohne rechtlichen Grund gezahlter Beträge kann aber nicht einer Untersuchung gleichkommen.

49      Zum Vorbringen der EIB, das auf die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der loyalen Zusammenarbeit und insbesondere auf die angebliche Anordnung des OLAF gegenüber der EIB in der E‑Mail vom 14. Juni 2018 gestützt wird, ist festzustellen, dass der Inhalt dieser E‑Mail nicht den Schluss zulässt, dass das OLAF die EIB ausdrücklich aufgefordert hat, die streitigen Zulagen nicht zurückzufordern. Außerdem hat die EIB in der mündlichen Verhandlung auf eine Frage des Gerichts erklärt, dass sie das OLAF insoweit nicht konsultiert habe.

50      Unter diesen Umständen war die EIB durch nichts daran gehindert, die Beträge, die sie ihrer Ansicht nach ohne rechtlichen Grund an die Klägerin gezahlt hatte, vor Abschluss der die Klägerin betreffenden Untersuchung des OLAF zurückzufordern.

51      Dass Untersuchungen des OLAF keine Unterbrechung oder Hemmung der in Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Verjährungsfrist bewirken, hat somit entgegen dem Vorbringen der EIB nicht zur Folge, dass der EIB jede Möglichkeit genommen wird, ohne rechtlichen Grund gezahlte Beträge im Fall einer langen und komplexen Untersuchung des OLAF zur Ordnungsmäßigkeit solcher Zahlungen zurückzufordern, und verstößt nicht gegen das Gebot des Schutzes der finanziellen Interessen der Union.

52      Jedenfalls oblag es der EIB, eine Vorschrift zu erlassen, die in ihrem rechtlichen Rahmen eine solche Unterbrechung oder Hemmung vorsieht.

53      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Vorbringen der EIB, dass die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung es rechtfertigten, die streitigen Zulagen nach Ablauf der in Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Frist von fünf Jahren zurückzufordern, keinen Erfolg haben kann, da andernfalls gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde.

54      Folglich war die EIB am Tag des Erlasses der Rückforderungsentscheidung grundsätzlich nicht mehr berechtigt, die Beträge zurückzufordern, die der Klägerin bis zum 28. September 2016 im Rahmen der streitigen Zulagen gezahlt worden waren. Das übrige Vorbringen der EIB ist nicht geeignet, dieses Ergebnis in Frage zu stellen.

55      Das Vorbringen der EIB, der Klägerin sei vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist bewusst gewesen, dass ihr Anspruch auf die streitigen Zulagen von der Verwaltung in Frage gestellt worden sei, ist nämlich zurückzuweisen, da Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften in einem solchen Fall keine Unterbrechung oder Hemmung der Verjährungsfrist vorsieht. Im Übrigen geht aus dieser Bestimmung eindeutig hervor, dass die Frist von fünf Jahren für die Rückforderung ohne rechtlichen Grund gezahlter Beträge mit deren Zahlung beginnt und nicht mit dem Zeitpunkt, zu dem der Empfänger von dem Mangel des rechtlichen Grundes Kenntnis erlangt hat.

56      Gleiches gilt für die Analogie, die die EIB zu den Bestimmungen der Haushaltsordnung zieht. Mit diesem Vorbringen bezieht sich die EIB auf das Urteil vom 19. Juli 2016, HG/Kommission (F‑149/15, EU:F:2016:155), in dem der Grundsatz einer Unterbrechung der fünfjährigen Verjährung im Fall einer Untersuchung des OLAF anerkannt worden sei, ohne dass das Gericht ihn in seinem Urteil vom 15. Dezember 2021, HG/Kommission (T‑693/16 P RENV-RX, EU:T:2021:895), unmittelbar in Frage gestellt hätte. Es ist jedoch festzustellen, dass das Gericht entschieden hat, dass die in Art. 85 des Statuts vorgesehene Verjährungsfrist auf jenen Rechtsstreit nicht anwendbar war. Ursache des Rechtsstreits war nämlich nicht die Zahlung nicht geschuldeter Beträge an den betreffenden Beamten, sondern der finanzielle Schaden, den er der Verwaltung durch sein Verhalten zugefügt hatte. Außerdem geht aus jenem Urteil eindeutig hervor, dass das Gericht der Ansicht war, dass die nach der Haushaltsordnung für Forderungen der Union gegenüber Dritten geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren, die mit der Feststellung einer solchen Forderung beginnt und durch jede auf deren Einziehung gerichtete Handlung unterbrochen wird, weder durch unmittelbare Anwendung noch als Parameter für eine angemessene Frist angewandt werden kann. Diese Feststellung beruht darauf, dass die in diesen Bestimmungen vorgesehene Verjährung nur eine Phase nach der Feststellung der Forderung betreffen kann und nicht eine davor liegende Phase wie den Zeitraum, in dem die die betreffende Forderung begründenden Ereignisse eingetreten sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2021, HG/Kommission, T‑693/16 P RENV-RX, EU:T:2021:895, Rn. 129 und 130).

57      Daher ist festzustellen, dass die angefochtenen Entscheidungen in Bezug auf die bis zum 28. September 2016 an die Klägerin gezahlten Beträge unter Verletzung der in Art. 16.3 der Verwaltungsvorschriften vorgesehenen fünfjährigen Verjährungsfrist erlassen wurden.

58      Nach alledem ist auch dem zweiten Grund stattzugeben. Folglich sind die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben.

 Zum zweiten Antrag der Klägerin

59      Mit ihrem zweiten Antrag begehrt die Klägerin die Zahlung der aufgrund der angefochtenen Entscheidungen einbehaltenen Beträge zuzüglich Verzugszinsen in Höhe des um zwei Prozentpunkte erhöhten EZB-Zinssatzes. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, dass ihr Antrag darauf gerichtet sei, dass das Gericht die ihm durch Art. 91 Abs. 1 des Statuts verliehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ausübe.

60      Die EIB bestreitet die Erforderlichkeit der Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch das Gericht, da die Maßnahmen, die eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen nach sich ziehe, zur Zahlung der aufgrund dieser Entscheidungen einbehaltenen Beträge führten.

61      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Gericht die ihm durch Art. 91 Abs. 1 des Statuts übertragene Befugnis nicht ausüben kann, ohne der Verpflichtung der EIB nach Art. 266 Abs. 1 AEUV, die sich aus dem vorliegenden Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Infolge der Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen obliegt es nämlich der EIB, eine neue Entscheidung zu treffen, die verschiedene Formen annehmen könnte, was das Gericht nicht vorwegnehmen kann, indem es über den zweiten Antrag der Klägerin entscheidet.

62      Unter diesen Umständen ist der Schadensersatzantrag der Klägerin zurückzuweisen.

 Kosten

63      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

64      Da die EIB mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Europäischen Investitionsbank (EIB) vom 28. September 2021 über die Rückforderung eines QT im Zeitraum von Juli 2014 bis Juni 2017 zu Unrecht als Erziehungszulagen, Zulagen für unterhaltsberechtigte Kinder und damit zusammenhängende Leistungen gezahlten Betrags von 61 186,61 Euro sowie die Entscheidung der EIB vom 20. Mai 2022 über die Zurückweisung ihrer Verwaltungsbeschwerde werden aufgehoben.

2.      Der Antrag auf Schadensersatz wird zurückgewiesen.

3.      Die EIB trägt die Kosten.

Svenningsen

Mac Eochaidh

Laitenberger

Martín y Pérez de Nanclares

 

      Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Oktober 2023.

Unterschriften


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