Language of document : ECLI:EU:T:2024:34

Rechtssache T409/21

Bundesrepublik Deutschland

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Achte erweiterte Kammer) vom 24. Januar 2024

„Staatliche Beihilfen – Beihilfen durch bestimmte Vorschriften des geänderten deutschen Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes – Reform der Regelung zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung – Beschluss, mit dem die Beihilfen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden – Begriff der ‚staatlichen Beihilfe‘ – Staatliche Mittel“

1.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“ – Gelder, die nach den nationalen Rechtsvorschriften aus einer Steuer oder anderen obligatorischen Abgaben stammen und im Einklang mit diesen Rechtsvorschriften verwaltet und verteilt werden – Beträge, die stets unter staatlicher Kontrolle und den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen – Alternative Kriterien

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 34‑36)

2.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“ – Gesetzliche Verpflichtung der Stromnetzbetreiber, den Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen eine finanzielle Förderung zu zahlen – Bloße Möglichkeit für die Netzbetreiber, die durch diese Verpflichtung entstandenen Mehrkosten im Wege einer Umlage auf ihre Kunden abzuwälzen – Einbeziehung – Voraussetzungen – Finanzielle Förderung, die nach den nationalen Rechtsvorschriften aus einer Steuer oder anderen obligatorischen Abgaben stammt und im Einklang mit diesen Rechtsvorschriften verwaltet und verteilt wird – Voraussetzung nicht erfüllt

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 56‑90)

3.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“ – Gesetzliche Verpflichtung der Stromnetzbetreiber, den Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen eine finanzielle Förderung zu zahlen – Einbeziehung – Voraussetzungen – Beträge, die stets unter staatlicher Kontrolle und den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen – Voraussetzung nicht erfüllt

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 95‑100)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“ – Gesetzliche Verpflichtung der Stromnetzbetreiber, den Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen eine finanzielle Förderung zu zahlen – Gelder, die von privaten Stellen an private Stellen fließen und auf ihrem gesamten Weg einen privatrechtlichen Charakter behalten – Keine Übertragung staatlicher Mittel

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 101‑118)

5.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“ – Gesetzliche Verpflichtung der Stromnetzbetreiber, den Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen eine finanzielle Förderung zu zahlen – Bloße Möglichkeit für die Netzbetreiber, die durch diese Verpflichtung entstandenen Mehrkosten im Wege einer Umlage auf ihre Kunden abzuwälzen – Begrenzung der Umlage für Wasserstoffhersteller – Kein Verzicht auf staatliche Mittel

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 121‑126)

Zusammenfassung

Das mit einer Nichtigkeitsklage der Bundesrepublik Deutschland befasste Gericht erklärt den Beschluss der Europäischen Kommission für nichtig, mit dem verschiedene Maßnahmen dieses Mitgliedstaats zur Förderung der Energieerzeugung durch Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (im Folgenden: KWK) als staatliche Beihilfen qualifiziert wurden(1). Dabei präzisiert das Gericht die in Art. 107 Abs. 1 AEUV aufgestellte Voraussetzung, wonach nur staatliche Maßnahmen oder Maßnahmen unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel als Beihilfen im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden können.

In den Jahren 2019 bis 2021 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission Gesetzesänderungen mit, die zum einen Maßnahmen zur finanziellen Förderung von Betreibern von KWK-Anlagen und anderen mit der Kraft-Wärme-Kopplung verbundenen Anlagen (im Folgenden zusammen: Betreiber von KWK-Anlagen) und zum anderen die mögliche Begrenzung einer Umlage für Wasserstoffhersteller in diesem Zusammenhang vorsahen.

Im angefochtenen Beschluss kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass diese Maßnahmen staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, die jedoch nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar seien.

Zur Begründung der Einstufung der notifizierten Maßnahmen als staatliche Beihilfen stellte die Kommission insbesondere fest, dass sie aus staatlichen Mitteln gewährt worden seien. Mit ihrer Nichtigkeitsklage wendet sich die Bundesrepublik Deutschland gegen diese Feststellung der Kommission.

Würdigung durch das Gericht

Das Gericht weist darauf hin, dass die Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV voraussetzt, dass mehrere Voraussetzungen erfüllt sind. Unter anderem muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln.

Nach der Rechtsprechung können zum einen Gelder, die nach den nationalen Rechtsvorschriften aus einer Steuer oder anderen obligatorischen Abgaben stammen und im Einklang mit diesen Rechtsvorschriften verwaltet und verteilt werden (erstes Kriterium), und zum anderen Beträge, die stets unter staatlicher Kontrolle bleiben und somit den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen (zweites Kriterium), als staatliche Mittel eingestuft werden. Bei diesen beiden Kriterien handelt es sich um alternative Kriterien des Begriffs „staatliche Mittel“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV.

Was erstens die Maßnahmen zur finanziellen Förderung von Betreibern von KWK-Anlagen betrifft, hat die Kommission im angefochtenen Beschluss den Standpunkt eingenommen, dass diese Maßnahmen durch die Einnahmen aus einem vom Staat auferlegten rechtlich obligatorischen Beitrag finanziert würden, die gemäß den gesetzlichen Bestimmungen verwaltet und zugewiesen würden (erstes Kriterium).

Hierzu stellt das Gericht fest, dass sich die von der Bundesrepublik Deutschland notifizierten Maßnahmen zur Förderung von Betreibern von KWK-Anlagen durch die Existenz von „zwei Ebenen“ in der Elektrizitätsversorgungskette kennzeichnen, wobei die „erste Ebene“ das Verhältnis zwischen den Betreibern von KWK-Anlagen und den Netzbetreibern betrifft und die „zweite Ebene“ das Verhältnis zwischen den Netzbetreibern und ihren Kunden.

Auf der „ersten Ebene“ der Versorgungskette verpflichten die notifizierten Maßnahmen die Netzbetreiber, bei denen es sich um private Stellen handelt, gesetzlich dazu, den Betreibern von KWK-Anlagen eine finanzielle Förderung zu zahlen. Auf der „zweiten Ebene“ können die Netzbetreiber, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein, die finanzielle Belastung, die sich aus dieser Verpflichtung ergibt, über eine Umlage auf ihre Kunden abwälzen.

Vor diesem Hintergrund stellt das Gericht fest, dass die Kommission einen Rechtsfehler begangen hat, indem sie davon ausgegangen ist, dass die den Netzbetreibern obliegende Verpflichtung, auf der „ersten Ebene“ der Versorgungskette den Betreibern von KWK-Anlagen Zahlungen zu leisten, ausreiche, um das Vorliegen einer Steuer oder einer anderen obligatorischen Abgabe zu bejahen, die sich als Inanspruchnahme staatlicher Mittel charakterisieren ließe, ohne dass ein weiterer obligatorischer Beitrag auf einer anderen „Ebene“ der Versorgungskette festgestellt werden müsse. Denn die Umlage auf der „zweiten Ebene“ der Versorgungskette stellt keine rechtlich obligatorische Abgabe dar.

Das Vorliegen einer Steuer oder anderer nach dem Gesetz obligatorischer Abgaben stellt nämlich insofern auf die Herkunft der für die Gewährung eines Vorteils verwendeten Gelder ab, als diese Herkunft die Feststellung ermöglicht, dass staatliche Gelder zur Finanzierung dieses Vorteils verwendet wurden. Das Vorliegen einer solchen Steuer oder anderer nach dem Gesetz obligatorischer Abgaben fällt nicht mit der gesetzeskonformen Verwendung dieser Gelder zusammen. Die den Netzbetreibern auf der „ersten Ebene“ der Versorgungskette obliegende rechtliche Verpflichtung bezieht sich indessen nur auf die gesetzeskonforme Verwendung der Gelder, gibt aber keinen Aufschluss über die Herkunft der Gelder, die von den Netzbetreibern zur Erfüllung dieser Verpflichtung verwendet werden.

In diesem Zusammenhang kann die Kommission nicht geltend machen, dass sich der Staat die Mittel der Netzbetreiber zu eigen mache, da diese Betreiber nicht zwangsläufig die endgültigen Zahlungsverpflichteten in Bezug auf die finanzielle Last sind, die durch die Maßnahmen zur Förderung von Betreibern von KWK-Anlagen entstanden ist.

Außerdem lässt sich damit, dass das deutsche Gesetz die Modalitäten der Verwendung der finanziellen Förderung für Betreiber von KWK-Anlagen im Einzelnen regelt, nicht eine Übertragung staatlicher Mittel bejahen, sondern nur die Zurechenbarkeit dieser Fördermaßnahmen an den Staat.

Das Gericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass sich die Kommission zu Unrecht auf das erste oben angeführte Kriterium des Vorliegens einer Steuer oder anderer obligatorischer Abgaben gestützt hat, um davon auszugehen, dass die Maßnahmen zur finanziellen Förderung von Betreibern von KWK-Anlagen aus staatlichen Mitteln finanziert worden seien.

Das Gericht stellt ferner fest, dass die Kommission einen Rechtsfehler begangen hat, indem sie die Anwendung der auf das Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra, zurückgehenden Rechtsprechung ausgeschlossen hat(2).

Im angefochtenen Beschluss hat die Kommission die Anwendung dieser Rechtsprechung mit der Begründung ausgeschlossen, dass es sich bei den Maßnahmen zur Förderung von Betreibern von KWK-Anlagen nicht um eine „bloße Preisregulierung“ handele. Entgegen der Auffassung der Kommission kommt es jedoch für den Ausschluss einer Übertragung staatlicher Mittel nach der auf das Urteil PreussenElektra zurückgehenden Rechtsprechung nicht entscheidend darauf an, ob die in Rede stehenden Maßnahmen eine Maßnahme der „bloßen Preisregulierung“ darstellen, sondern vielmehr auf den Umstand, ob die in Rede stehenden privaten Unternehmen vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel betraut wurden.

Um die Anwendung der auf das Urteil PreussenElektra zurückgehenden Rechtsprechung auszuschließen, hätte die Kommission somit feststellen müssen, dass der den Betreibern von KWK-Anlagen gewährte Vorteil von den Netzbetreibern nicht aus ihren eigenen finanziellen Mitteln gewährt wurde, sondern dass diese vom Staat mit der Verwaltung staatlicher Mittel betraut wurden, was sie nicht nachgewiesen hat.

Im Übrigen durfte sich die Kommission nicht auf die praktische Wirksamkeit von Art. 107 Abs. 1 AEUV berufen, um die Anwendung der auf das Urteil PreussenElektra zurückgehenden Rechtsprechung auf die Fälle einer „bloßen Preisregulierung“ zu beschränken, da dieser Artikel nicht auf staatliche Handlungen angewandt werden kann, die nicht in seinen Anwendungsbereich fallen, wie im vorliegenden Fall auf eine vom Staat beschlossene Maßnahme, die aber von privaten Unternehmen finanziert wird.

Zweitens war die Kommission in Bezug auf die Begrenzung der Umlage, die Wasserstoffherstellern von den Netzbetreibern auferlegt werden kann, der Ansicht, dass diese Begrenzung einen Verzicht auf staatliche Mittel darstelle, der als Übertragung staatlicher Mittel eingestuft werden könne.

Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass es sich bei der in Rede stehenden Umlage nach dem ersten oben genannten Kriterium nicht um staatliche Mittel handelt, da diese Umlage rechtlich nicht verpflichtend ist. Daraus folgt, dass die Begrenzung dieser Umlage für die Wasserstoffhersteller auch keinen Verzicht auf staatliche Mittel darstellen kann.

Nach alledem gibt das Gericht der Nichtigkeitsklage statt, soweit die Kommission zu Unrecht festgestellt hat, dass alle von der Bundesrepublik Deutschland notifizierten Maßnahmen aus staatlichen Mitteln finanzierte staatliche Beihilfen darstellten.


1      Beschluss C(2021) 3918 final der Kommission vom 3. Juni 2021 über die staatliche Beihilfe SA.56826 (2020/N) – Deutschland – Reform 2020 der Regelung zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und über die staatliche Beihilfe SA.53308 (2019/N) – Deutschland – Änderung der Förderregelung für bestehende KWK-Anlagen (§ 13 des Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes vom 21. Dezember 2015 [BGBl. 2015 I S. 2498]) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).


2      Urteil vom 13. März 2001, PreussenElektra (C‑379/98, EU:C:2001:160).