Language of document : ECLI:EU:T:2023:149

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

22. März 2023(*)

„Wirtschafts- und Währungspolitik – Aufsicht über Kreditinstitute – Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 – Verordnung (EU) Nr. 468/2014 – Beaufsichtigtes Unternehmen – Mehrteiliges Verwaltungsverfahren – Verweigerung der Akteneinsicht – Beschluss 2004/258/EG – Zugang zu Dokumenten der EZB“

In der Rechtssache T‑72/20,

Satabank plc mit Sitz in St. Julian's (Malta), vertreten durch Rechtsanwalt O. Behrends,

Klägerin,

gegen

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch G. Buono, A. Lefterov und E. Koupepidou als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer),

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen, des Richters M. Jaeger sowie der Richterinnen N. Półtorak (Berichterstatterin), O. Porchia und M. Stancu,

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere des Beschlusses vom 9. März 2021, die Entscheidung über die Einrede dem Endurteil vorzubehalten,

auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die Satabank plc, die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 26. November 2019 für nichtig zu erklären, mit der ihr Antrag auf Einsicht in die sie betreffende Akte abgelehnt wurde (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und Ereignisse nach Klageerhebung

2        Zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage war die Klägerin ein Kreditinstitut nach maltesischem Recht, das als weniger bedeutendes Institut im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63, im Folgenden: SSM-Verordnung) eingestuft worden war, und unterlag der direkten Aufsicht der Malta Financial Services Authority (MFSA, maltesische Finanzdienstleistungsbehörde).

3        Am 16. November 2019 beantragte der Anwalt der Klägerin bei der EZB Einsicht in die die Klägerin betreffende Akte (im Folgenden: Antrag auf Einsichtnahme). Da die Klägerin über keinen Vorstand mehr verfügte, war er von ihren Gesellschaftern beauftragt worden.

4        Mit der angefochtenen Entscheidung lehnte die EZB den Antrag auf Einsichtnahme mit der Feststellung ab, dass in Bezug auf die Klägerin kein Verfahren im Sinne von Art. 22 der SSM-Verordnung anhängig sei und ihr daher keine Akteneinsicht auf der Grundlage von Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (ABl. 2014, L 141, S. 1, im Folgenden: SSM-Rahmenverordnung) gewährt werden könne.

5        Am 12. Februar 2020 übermittelte die MFSA der EZB gemäß Art. 14 Abs. 5 der SSM-Verordnung und Art. 80 der SSM-Rahmenverordnung einen Entwurf eines Beschlusses, mit dem sie den Entzug der Zulassung der Klägerin vorschlug. Am 17. Februar 2020 übermittelte sie der EZB eine überarbeitete Fassung ihres Entwurfs.

6        Am 16. März 2020 stellte die EZB dem Anwalt der Klägerin und der zuständigen Person, die von der MFSA benannt worden war, um die Klägerin bei der ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Tätigkeiten zu beraten und zu beaufsichtigen, den Entwurf eines Beschlusses über den Entzug der Zulassung zu und gab ihnen Gelegenheit, sich schriftlich zu diesem Entwurf zu äußern.

7        Am 24. März 2020 stellte der Anwalt der Klägerin einen Antrag auf Akteneinsicht.

8        Die EZB gewährte die Akteneinsicht am 30. April, 4. Mai und 3. Juni 2020.

9        Am 30. Juni 2020 erließ die EZB einen Beschluss, mit dem sie der Klägerin die Zulassung als Kreditinstitut entzog (im Folgenden: Entzugsbeschluss), dessen Erhalt die Klägerin am 1. Juli 2020 bestätigte. Der Anwalt der Klägerin beantragte mit einer am 9. September 2020 eingereichten und unter dem Aktenzeichen T‑563/20 registrierten Klage die Nichtigerklärung des Entzugsbeschlusses. Mit am 18. Februar 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz teilte die Klägerin dem Gericht gemäß Art. 125 der Verfahrensordnung des Gerichts mit, dass sie die Klage zurücknehme. Mit Beschluss vom 8. April 2022, Satabank/EZB (T‑563/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:240), wurde die Rechtssache aus dem Register des Gerichts gestrichen.

 Anträge der Parteien

10      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        der EZB die Kosten aufzuerlegen.

11      Die EZB beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Entscheidungsgründe

 Zur Zulässigkeit der Klage und zum Rechtsschutzinteresse der Klägerin

12      Erstens hat die EZB in einem gesonderten Schriftsatz die Einrede der Unzulässigkeit in Bezug auf die vorliegende Klage erhoben.

13      Die EZB ist als Erstes der Ansicht, dass die angefochtene Entscheidung die Rechtsstellung der Klägerin nicht berühre. Wenn es um Handlungen oder Entscheidungen gehe, deren Ausarbeitung in mehreren Phasen erfolge, insbesondere am Ende eines internen Verfahrens, stellten grundsätzlich nur solche Maßnahmen eine anfechtbare Handlung dar, die den Standpunkt des Organs am Ende dieses Verfahrens abschließend festlegten, nicht aber Zwischenmaßnahmen, die der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienten. Daher habe die Bescheidung eines Antrags auf Einsicht in eine Aufsichtsakte durch die EZB keine eigenständige Wirkung auf die Rechtsstellung der betroffenen Personen.

14      Als Zweites macht die EZB geltend, dass die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die vorliegende Klage dargetan habe. Hinsichtlich des von der EZB eingeleiteten Entzugsverfahrens sei der Klägerin Gelegenheit gegeben worden, sich zum Beschlussentwurf der EZB zu äußern. Daher wäre jedes Interesse an einer Nichtigkeitsklage, das sich aus dem Vorbringen in der Klageschrift ergebe, hypothetisch und jedenfalls ohne jeden Bezug zu den Verteidigungsrechten der Klägerin. Folglich bringe die vorliegende Klage der Klägerin keine Vorteile.

15      Die Klägerin widerspricht dieser Argumentation.

16      Zum ersten Argument der EZB, wonach die angefochtene Entscheidung eine vorbereitende Handlung sei, die die Rechtsstellung der Klägerin nicht berühre, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nur Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein können (vgl. Urteil vom 26. Januar 2010, Internationaler Hilfsfonds/Kommission, C‑362/08 P, EU:C:2010:40, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Erfolgt die Ausarbeitung eines Rechtsakts in mehreren Phasen, insbesondere am Ende eines internen Verfahrens, stellen grundsätzlich nur diejenigen Maßnahmen eine anfechtbare Handlung dar, die den Standpunkt des Organs am Ende dieses Verfahrens abschließend festlegen, nicht aber Zwischenmaßnahmen, die der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienen. Handlungen zur Vorbereitung einer Entscheidung sind nicht beschwerend, und der Kläger kann erst im Rahmen einer Klage gegen die am Ende des Verfahrens erlassene Entscheidung die Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Handlungen geltend machen, die mit dieser Entscheidung eng zusammenhängen (vgl. Beschluss vom 31. März 2020, ZU/SEAE, T‑499/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:134, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die EZB, wie aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, angegeben hat, sie sei zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Einsichtnahme nicht in ein konkretes Aufsichtsverfahren in Bezug auf die Klägerin involviert gewesen.

19      Die EZB kann jedoch nicht einerseits geltend machen, dass sie die Akteneinsicht der Klägerin mangels eines anhängigen Verfahrens verweigere, und andererseits, dass eine solche Verweigerung als Vorbereitungshandlung nur im Rahmen einer Klage gegen eine Entscheidung, mit der dieses nicht existente Verfahren abgeschlossen werde, angefochten werden könne. Da die EZB in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass kein Verfahren gegen die Klägerin eröffnet worden sei, musste auf diese Entscheidung keine spätere Maßnahme zur Beendigung eines Aufsichtsverfahrens folgen, gegen die die Klägerin hätte vorgehen und bei dieser Gelegenheit eben diese Entscheidung hätte angreifen können.

20      Somit ist die angefochtene Entscheidung als abschließende Festlegung des Standpunkts der EZB zu betrachten.

21      Zum zweiten Argument der EZB, wonach das Interesse der Klägerin an der Klage hypothetisch und ohne Bezug zu ihren Verteidigungsrechten sei, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass zum einen eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person nur zulässig ist, wenn diese ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat. Ein solches Interesse setzt voraus, dass die Nichtigerklärung dieser Handlung als solche Rechtswirkungen haben kann und der Rechtsbehelf der Partei, die ihn eingelegt hat, damit im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Urteil vom 20. Dezember 2017, Binca Seafoods/Kommission, C‑268/16 P, EU:C:2017:1001, Rn. 44). Zum anderen ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf das Rechtsschutzinteresse auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 1963, Forges de Clabecq/Hohe Behörde, 14/63, EU:C:1963:60, Rn. 719, und Beschluss vom 30. November 1998, N/Kommission, T‑97/94, EU:T:1998:270, Rn. 23).

22      Die von der EZB erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist mithin zurückzuweisen, da am Tag der Klageerhebung die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung der Klägerin einen Vorteil verschaffen konnte, der darin bestand, dass sie den Zugang zu bestimmten Dokumenten erhielt, der ihr von der EZB verweigert wurde.

23      Zweitens ist die EZB der Ansicht, dass das Gericht gemäß Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Erledigung der Hauptsache feststellen könne, da die Klage aufgrund der späteren Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen des Aufsichtsverfahrens in Bezug auf den Entzugsbeschluss gegenstandslos geworden sei.

24      Das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Hinblick auf den Klagegegenstand muss bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen; andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl. Urteil vom 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T‑42/06, EU:T:2010:102, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall räumt die EZB selbst ein, dass sie der Klägerin bei der späteren Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen des Aufsichtsverfahrens nicht alle sie betreffenden Dokumente übermittelt hat.

26      Die Klägerin hat im vorliegenden Fall weiterhin ein Rechtsschutzinteresse, da die EZB mit der angefochtenen Entscheidung die Herausgabe bestimmter Dokumente verweigerte, die sie betreffen und nicht in der Akte über das Verfahren zum Entzug ihrer Zulassung als Kreditinstitut enthalten sind (vgl. entsprechend Urteile vom 9. September 2011, LPN/Kommission, T‑29/08, EU:T:2011:448, Rn. 55 ff. und vom 23. September 2015, ClientEarth und International Chemical Secretariat/ECHA, T‑245/11, EU:T:2015:675, Rn. 119 ff.).

27      Somit ist das Vorbringen der EZB zur Erledigung der Hauptsache zurückzuweisen.

28      Drittens ist festzustellen, dass die EZB, ohne förmlich eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, die Zulässigkeit der Klageschrift im Hinblick auf Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung in Frage stellt. Die EZB macht nämlich geltend, dass, obwohl die Klageschrift im vorliegenden Fall auf den ersten Blick die Angabe von acht Klagegründen enthalte, die Elemente, die diese stützen sollten, zu knapp seien, um der EZB die Vorbereitung ihrer Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage zu ermöglichen. Insbesondere würden der vierte, der fünfte, der sechste, der siebte und der achte Klagegrund durch keine genauen Argumente gestützt und seien nicht strukturiert.

29      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und nach Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung die Klageschrift u. a. den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss.

30      Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Klageschrift nach der Rechtsprechung in dem Bestreben, ihr zu praktischer Wirksamkeit zu verhelfen, im Wege einer Gesamtwürdigung auszulegen ist. Die Klageschrift erfüllt die in den Verfahrensvorschriften festgelegten Anforderungen, wenn die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich aus dem Text der Klageschrift selbst hervorgehen und wenn sie es sowohl dem Gericht als auch dem Beklagten ermöglicht, das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten und die Tatsachen und Umstände, die dem Rechtsstreit zugrunde liegen, festzustellen. Die Darstellung der Klagegründe im Sinne der Verfahrensordnung ist nicht an eine bestimmte Formulierung gebunden. Es kann ausreichen, wenn das Vorbringen des Klägers seinem Inhalt nach die Klagegründe erkennen lässt, ohne sie rechtlich einzuordnen, sofern die Klagegründe mit hinreichender Deutlichkeit aus der Klageschrift hervorgehen (Urteil vom 29. April 2020, Intercontact Budapest/CdT, T‑640/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:167, Rn. 25).

31      Im vorliegenden Fall ist entgegen dem Vorbringen der EZB festzustellen, dass die Klageschrift problemlos die Feststellung des Streitgegenstands sowie der Klagegründe ermöglicht. Diese werden so zusammenhängend und verständlich geltend gemacht, dass der EZB die Vorbereitung ihrer Verteidigung und dem Gericht die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe möglich ist.

32      Daher ist das Vorbringen der EZB zur mangelnden Klarheit der Klageschrift zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit der Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 22 der SSM-Verordnung sowie der Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung

33      Die EZB trägt vor, dass die Klägerin im Stadium der Erwiderung neue Klagegründe vorbringe, mit denen die Rechtswidrigkeit von Art. 22 der SSM-Verordnung sowie der Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung geltend gemacht werde und die sowohl unzulässig als auch völlig unbegründet seien.

34      Die Klägerin hat in der Klageschrift nicht ausdrücklich die Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben. In ihrer Erwiderung macht sie jedoch geltend, dass Art. 22 der SSM-Verordnung sowie die Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung rechtswidrig wären, wenn sie im Einklang mit dem Standpunkt der EZB auszulegen wären, weil sie dann mit Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) unvereinbar wären.

35      In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin bestätigt, dass sie die Einrede der Rechtswidrigkeit hinsichtlich von Art. 22 der SSM-Verordnung sowie der Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung erhebe.

36      Nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist das Vorbringen neuer Klage- oder Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Eine Rüge, die eine Erweiterung eines bereits vorher – ausdrücklich oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen Klagegrundes darstellt und einen engen Zusammenhang mit diesem aufweist, ist jedoch für zulässig zu erklären (Urteil vom 26. Juni 2008, Alferink u. a./Kommission, T‑94/98, EU:T:2008:226, Rn. 38).

37      Um als Erweiterung eines zuvor vorgetragenen Klagegrundes angesehen werden zu können, muss ein neues Argument zu den ursprünglich in der Klageschrift angeführten Argumenten einen so engen Zusammenhang aufweisen, dass es als Bestandteil der üblichen sich in einem streitigen Verfahren entwickelnden Erörterung angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2013, Groupe Gascogne/Kommission, C‑58/12 P, EU:C:2013:770, Rn. 31).

38      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das angeblich neue Vorbringen der Klägerin in Bezug auf Art. 22 der SSM-Verordnung sowie die Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung als eine Erweiterung ihres Vorbringens im zweiten Klagegrund der Klageschrift anzusehen ist, mit dem eine zu enge Auslegung des Rechts auf Akteneinsicht gemäß Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung geltend gemacht wird. Mit diesem Klagegrund wendet sich die Klägerin nämlich gegen die restriktive Haltung der EZB in Bezug auf die Behandlung ihres Antrags auf Einsichtnahme und stellt die Rechtmäßigkeit einer solchen Auslegung in Frage. Insoweit ist zum einen die Auslegung von Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung unmittelbar Gegenstand des zweiten Klagegrundes der Klageschrift. Zum anderen fügt die Klägerin mit der in der Erwiderung erhobenen Einrede der Rechtswidrigkeit lediglich hinzu, dass Art. 22 der SSM-Verordnung sowie die Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung in der Auslegung der EZB im Hinblick auf Art. 41 der Charta rechtswidrig seien.

39      Daher ist das Vorbringen der EZB zur Unzulässigkeit der Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 22 der SSM-Verordnung sowie der Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit

40      Die Klägerin stützt ihre Klage auf acht Klagegründe: erstens die fehlende Berücksichtigung des Bestehens eines primären materiellen Rechts auf Akteneinsicht, zweitens eine zu enge Auslegung des Rechts auf Akteneinsicht gemäß Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung, drittens, in zwei Teile untergliederbar, zum einen die unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Anwendung von Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung und zum anderen die unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Rechts auf Akteneinsicht aus Art. 15 Abs. 3 AEUV, Art. 42 der Charta, Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) und Art. 2 des Beschlusses 2004/258/EG der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2004 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Europäischen Zentralbank (ABl. 2004, L 80, S. 42) in der durch den Beschluss (EU) 2015/529 der Europäischen Zentralbank vom 21. Januar 2015 (ABl. 2015, L 84, S. 64) geänderten Fassung (im Folgenden in der geänderten Fassung: Beschluss 2004/258), viertens die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör, fünftens die Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, sechstens die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, siebtens die Verletzung des nemo-auditur-Grundsatzes und achtens die Verletzung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

41      Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den ersten Teil des dritten Klagegrundes sowie den zweiten, den fünften, den sechsten, den siebten und den achten Klagegrund zu prüfen.

 Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes und zum zweiten, zum fünften, zum sechsten, zum siebten und zum achten Klagegrund

42      Mit dem ersten Teil des dritten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, dass es an einer Begründung für die Anwendung von Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung auf den vorliegenden Sachverhalt fehle. Mit dem zweiten, dem fünften, dem sechsten, dem siebten und dem achten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die EZB die Akteneinsicht auf der Grundlage einer falschen Auslegung von Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung verweigert habe.

–       Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes

43      Mit dem ersten Teil des dritten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, dass die Verweigerung der Akteneinsicht nach Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung unzureichend begründet sei. Die EZB erkläre weder ihre äußerst restriktive Haltung, noch, wie diese auf der Grundlage von Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung gerechtfertigt werden könne.

44      Die EZB widerspricht dieser Argumentation.

45      Nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta ist die Verwaltung verpflichtet, ihre Entscheidungen zu begründen. Diese Begründungspflicht bedeutet nach gefestigter Rechtsprechung, dass nach Art. 296 AEUV der Urheber eines Rechtsakts die diesem Rechtsakt zugrunde liegenden Überlegungen klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, damit die Betroffenen die Gründe für die getroffene Maßnahme erkennen können, um ihre Rechte geltend zu machen, und das Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 4. Juli 2017, Systema Teknolotzis/Kommission, T‑234/15, EU:T:2017:461, Rn. 126 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Im vorliegenden Fall besteht die Begründung der angefochtenen Entscheidung darin, dass in Bezug auf die Klägerin kein Verfahren im Sinne von Art. 22 der SSM-Verordnung anhängig sei und dass sie deshalb unter die Regel falle, wonach keine Einsicht in Akten der EZB gemäß Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung gewährt werden dürfe.

47      Somit ist festzustellen, dass die Formulierung des eindeutigen Grundes für die Verweigerung der Akteneinsicht durch die EZB ausreichend war, um der Klägerin zu ermöglichen, die angefochtene Entscheidung zu verstehen, wie die in der vorliegenden Klage enthaltenen Argumente zeigen, und dem Gericht, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen.

48      Daher ist der erste Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

–       Zum zweiten Klagegrund

49      Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die angefochtene Entscheidung auf einer zu engen Auslegung von Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung beruhe.

50      Die EZB widerspricht dieser Argumentation.

51      Als Erstes macht die Klägerin geltend, dass die EZB ein dauerhaftes Aufsichtsverhältnis zu allen Banken in der Eurozone unterhalte und dass diese Banken alle einer kontinuierlichen Aufsicht unterlägen, was bedeute, dass ein fortlaufendes EZB-Aufsichtsverfahren existiere.

52      Die Klägerin trägt vor, Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung sei dahin auszulegen, dass er jeder Bank allein auf der Grundlage des fortlaufenden Aufsichtsverhältnisses zur EZB ein Recht auf Einsicht in ihre Akte verleihe.

53      Außerdem setze die Gewährung von Akteneinsicht nicht voraus, dass die EZB gerade eine bestimmte Maßnahme prüfe.

54      In ihrer Erwiderung macht die Klägerin zum einen geltend, dass es vom Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung bis zu ihrem Entzug ein fortlaufendes Aufsichtsverfahren gebe. Die Bankenaufsicht sei daher ein fortlaufendes Verwaltungsverfahren, in dessen Rahmen eine Behörde prüfe, ob ein Unternehmen die Anforderungen der Zulassung erfülle oder aber nicht, so dass ihm die Zulassung entzogen werden müsse.

55      Zum anderen macht die Klägerin geltend, dass von einem Aufsichtsverfahren jedenfalls dann auszugehen sei, wenn die EZB objektiv gefordert sei, eine Entscheidung zu erwägen und vorzubereiten. Unabhängig vom genauen Zeitpunkt, zu dem das Verfahren zum Entzug der Zulassung begonnen habe, gebe es keinen vernünftigen Zweifel daran, dass dieses Verfahren lange vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung begonnen habe.

56      Die Klägerin fügt hinzu, dass Art. 22 der SSM-Verordnung und die Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung rechtswidrig wären, wenn sie in dem von der EZB vorgeschlagenen Sinne ausgelegt werden müssten.

57      Erstens ist daran zu erinnern, dass es in Art. 4 („Der EZB übertragene Aufgaben“) Abs. 1 der SSM-Verordnung heißt: „Im Rahmen des Artikels 6 ist die EZB … ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben zur Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute zuständig“. Es folgt eine Liste von neun Aufgaben.

58      Art. 6 („Zusammenarbeit innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus“) Abs. 1 der SSM-Verordnung hebt hervor, dass „[d]ie EZB … ihre Aufgaben im Rahmen eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus wahr[nimmt], der aus der EZB und den nationalen zuständigen Behörden besteht“, und dass „[d]ie EZB … dafür verantwortlich [ist], dass der einheitliche Aufsichtsmechanismus wirksam und einheitlich funktioniert“. Aus der Struktur von Art. 6 Abs. 4 bis 6 der SSM-Verordnung ergibt sich, dass innerhalb des SSM in Bezug auf sieben der neun Aufgaben, die in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung aufgelistet werden, zwischen der Aufsicht über „bedeutende“ und der Aufsicht über als „weniger bedeutend“ eingestufte Unternehmen unterschieden wird (Urteil vom 16. Mai 2017, Landeskreditbank Baden-Württemberg/EZB, T‑122/15, EU:T:2017:337, Rn. 21).

59      Daraus folgt zum einen, dass die Aufsicht über die „bedeutenden“ Unternehmen allein der EZB zufällt. Ebenso verhält es sich mit der Aufsicht über die „weniger bedeutenden“ Unternehmen, was die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c der SSM-Verordnung aufgezählten Aufgaben anbelangt (Urteil vom 16. Mai 2017, Landeskreditbank Baden-Württemberg/EZB, T‑122/15, EU:T:2017:337, Rn. 22).

60      Zum anderen geht in Bezug auf die „weniger bedeutenden“ Unternehmen und die anderen in Art. 4 Abs. 1 der SSM-Verordnung genannten Aufgaben aus Art. 6 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 6 dieser Verordnung hervor, dass deren Umsetzung unter Aufsicht der EZB den nationalen Behörden übertragen ist, die somit die unmittelbare Aufsicht über diese Unternehmen ausüben. In Art. 6 Abs. 6 der SSM-Verordnung heißt es nämlich, dass „[u]nbeschadet des Absatzes 5 dieses Artikels … die nationalen zuständigen Behörden in Bezug auf die in Absatz 4 Unterabsatz 1 dieses Artikels genannten Kreditinstitute innerhalb des in Absatz 7 dieses Artikels genannten Rahmenwerks und vorbehaltlich der darin festgelegten Verfahren die … Aufgaben wahr[nehmen] und … für diese sowie für die Annahme aller einschlägigen Aufsichtsbeschlüsse … verantwortlich [sind]“ (Urteil vom 16. Mai 2017, Landeskreditbank Baden-Württemberg/EZB, T‑122/15, EU:T:2017:337, Rn. 23).

61      Zweitens geht aus Art. 22 Abs. 2 der SSM-Verordnung hervor, dass „[d]ie Verteidigungsrechte der betroffenen Personen … während des Verfahrens in vollem Umfang gewahrt werden [müssen]“ und dass diese Personen ein „Recht auf Einsicht in die EZB-Akten [haben]“. Diese Bestimmung wird in der SSM-Rahmenverordnung präzisiert.

62      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 32 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der SSM-Rahmenverordnung „[i]n EZB-Aufsichtsverfahren … die Verteidigungsrechte der betroffenen Parteien in vollem Umfang gewahrt [werden]“ und dass „[z]u diesem Zweck und nach der Eröffnung eines EZB-Aufsichtsverfahrens … die Parteien das Recht [haben,] die Akten der EZB einzusehen, vorbehaltlich der berechtigten Interessen anderer juristischer und natürlicher Personen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse“.

63      Ein Antrag auf Akteneinsicht findet seine Grundlage in der Ausübung der Verteidigungsrechte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 98 und 99; vom 15. September 2016, Yanukovych/Rat, T‑348/14, EU:T:2016:508, Rn. 68, und vom 2. Dezember 2020, Kalai/Rat, T‑178/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:580, Rn. 73). Ein solcher Antrag ist gegenstandslos, wenn es kein Verwaltungsverfahren gibt, das die rechtlichen Interessen der die Einsichtnahme beantragenden Person berührt, und folglich keine Akte existiert, die sie betrifft (Urteil vom 6. Oktober 2021, OCU/EZB, T‑15/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:661, Rn. 94).

64      Entsprechend wird in Art. 32 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung ausdrücklich der Begriff „Aufsichtsverfahren“ und nicht „Aufsicht“ verwendet. Art. 2 Nr. 24 der SSM-Rahmenverordnung definiert das „EZB-Aufsichtsverfahren“ als „eine Tätigkeit der EZB, die auf die Vorbereitung des Erlasses eines EZB-Aufsichtsbeschlusses gerichtet ist, wozu auch gemeinsame Verfahren und die Verhängung von Verwaltungsgeldbußen gehören“, und stellt klar, dass „[j]edes EZB-Aufsichtsverfahren … Teil III dieser Verordnung unterliegt“.

65      Folglich kann die Aufsicht im Hinblick auf die Aufgaben der EZB nicht mit einem Aufsichtsverfahren gleichgesetzt werden, das darauf gerichtet ist, eine bestimmte Aufsichtsaufgabe zu erfüllen und eine Entscheidung darüber zu treffen. Wenn der Umfang der Aufsicht mit dem des Aufsichtsverfahrens identisch wäre, würde Titel 2 („Allgemeine Bestimmungen für ein ordnungsgemäßes Verfahren zum Erlass von Aufsichtsbeschlüssen“) der SSM-Rahmenverordnung, dessen Kapitel 1 (einschließlich Art. 32) mit der Überschrift „EZB-Aufsichtsverfahren“ die einzelnen Stufen des Aufsichtsverfahrens vorsieht, seine praktische Wirksamkeit genommen. In einem solchen Zusammenhang gäbe es nämlich nie ein Aufsichtsverfahren, da es zwangsläufig immer im Rahmen einer laufenden Aufsicht anhängig wäre.

66      Das bloße Fortbestehen einer Aufsicht ohne konkretes anhängiges Aufsichtsverfahren kann jedoch nicht als Rechtfertigung für eine Akteneinsicht nach Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung angesehen werden.

67      Darüber hinaus kann entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, dass das Verfahren zum Entzug der Zulassung bereits nach der Erteilung der Zulassung anhängig ist, da Art. 14 Abs. 5 der SSM-Verordnung eindeutig sagt, dass die EZB ein solches Verfahren von sich aus oder auf Vorschlag einer nationalen zuständigen Behörde einleiten kann.

68      Im vorliegenden Fall gibt es keinen Hinweis darauf, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihren Antrag auf Einsichtnahme eingereicht hat, d. h. am 16. November 2019, bei der EZB ein Aufsichtsverfahren in Bezug auf sie anhängig war. Zum einen hatte nämlich die EZB zu diesem Zeitpunkt keine Aufsichtsmaßnahmen in Bezug auf die Klägerin ergriffen, und zum anderen wurde der Entwurf eines Beschlusses, mit dem der Entzug der Zulassung der Klägerin vorgeschlagen wurde, der EZB von der MFSA am 12. Februar 2020 vorgelegt. Die Klägerin wurde von der EZB am 16. März 2020 über deren Absicht informiert, einen Beschluss über den Entzug der Zulassung zu erlassen.

69      Zum anderen macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass zum Zeitpunkt ihres Antrags auf Einsichtnahme das Verfahren zum Entzug ihrer Zulassung als Kreditinstitut bereits auf nationaler Ebene, d. h. bei der MFSA, anhängig gewesen sei, was bedeute, dass ein Aufsichtsverfahren bei der EZB eröffnet worden sei.

70      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das Verfahren zum Entzug der Zulassung ein mehrteiliges Verwaltungsverfahren ist, das zunächst bei der zuständigen nationalen Behörde und dann bei der EZB stattfindet.

71      Zwar kann nach der Rechtsprechung eine etwaige Beteiligung nationaler Behörden im Lauf des Verfahrens, das zur Vornahme von Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union führt, deren Einstufung als Handlungen der Union nicht in Frage stellen, wenn die Handlungen der nationalen Behörden eine Stufe in einem Verfahren darstellen, in dem eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union die Befugnis zur endgültigen Entscheidung allein ausübt, ohne durch vorbereitende Handlungen oder Vorschläge nationaler Behörden gebunden zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, C‑219/17, EU:C:2018:1023, Rn. 42 und 43, und Urteil vom 3. Dezember 2019, Iccrea Banca, C‑414/18, EU:C:2019:1036, Rn. 37 und 38).

72      In einem solchen Fall, in dem das Unionsrecht die ausschließliche Entscheidungsbefugnis einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union festlegt, hat der Unionsrichter gemäß seiner auf der Grundlage von Art. 263 AEUV bestehenden ausschließlichen Zuständigkeit für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union über die Rechtmäßigkeit der von der betreffenden Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union erlassenen endgültigen Entscheidung zu entscheiden und zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes der Beteiligten die etwaigen Mängel der vorbereitenden Handlungen oder Vorschläge der nationalen Behörden zu prüfen, die die Gültigkeit der endgültigen Entscheidung beeinträchtigen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, C‑219/17, EU:C:2018:1023, Rn. 44, und Urteil vom 3. Dezember 2019, Iccrea Banca, C‑414/18, EU:C:2019:1036, Rn. 39).

73      Erstens betrifft diese Rechtsprechung jedoch nicht die Frage, welche Stufe des mehrteiligen Verwaltungsverfahrens das Recht auf Einsicht in die Akten von Kreditinstituten bei der EZB eröffnet.

74      Zweitens ist im vorliegenden Fall zum einen festzustellen, dass sich aus Art. 14 Abs. 5 der SSM-Verordnung nicht ergibt, dass das Verfahren zum Entzug der Zulassung bei der EZB mit dem Erlass einer Entscheidung einer zuständigen nationalen Behörde eröffnet wird, die einem Kreditinstitut die Einstellung jeglicher Tätigkeit auferlegt. Folglich konnte der von der Klägerin vorgetragene Umstand, dass die MFSA im Oktober 2018 eine Entscheidung erlassen hat, mit der die Klägerin zur Einstellung jeglicher Tätigkeit verpflichtet wurde, nicht bewirken, dass zu diesem Zeitpunkt das Verfahren zum Entzug ihrer Zulassung bei der EZB eröffnet wurde.

75      Zum anderen übermittelte die MFSA der EZB den Entwurf eines Beschlusses, mit dem sie den Entzug der Zulassung der Klägerin vorschlug, erst am 12. Februar 2020, d. h. nach der Beantragung der Akteneinsicht und nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung. Dieser Umstand kann daher in der vorliegenden Rechtssache nicht zur Feststellung herangezogen werden, ob am Tag des Erlasses der angefochtenen Entscheidung ein Verfahren zum Entzug der Zulassung eröffnet war.

76      Die Klägerin hat folglich nicht bewiesen, dass die EZB einen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie in der angefochtenen Entscheidung feststellte, dass am Tag des Erlasses kein Aufsichtsverfahren eröffnet war.

77      Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, dass Art. 22 der SSM-Verordnung sowie die Art. 31 und 32 der SSM-Rahmenverordnung ein Recht auf Akteneinsicht gewährten, das enger gefasst sei als das Recht, das Art. 41 der Charta gewähre; daher seien diese Bestimmungen rechtswidrig.

78      Die Klägerin fügt hinzu, dass Art. 31 der SSM-Rahmenverordnung eine offensichtlich willkürliche, unverhältnismäßige und damit rechtswidrige Regelung enthalte, wonach die Frist für das Recht auf Anhörung eines beaufsichtigten Instituts in den in den Art. 14 und 15 der SSM-Verordnung genannten Fällen auf drei Arbeitstage verkürzt werde.

79      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 41 („Recht auf eine gute Verwaltung“) Abs. 1 der Charta jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Nach Art. 41 Abs. 2 umfasst dieses Recht insbesondere das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses.

80      Zu beachten ist, dass Art. 41 Abs. 2 der Charta ein Recht auf Akteneinsicht vorsieht, das mit dem Recht der jeweiligen Person darauf verbunden ist, dass ihre Angelegenheiten von der Verwaltung unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Dieses Recht gilt für den Zugang zu den Akten der von diesen Angelegenheiten betroffenen Person und nicht für alle Dokumente, die sich im Besitz eines bestimmten Organs befinden. Es unterscheidet sich somit von dem Recht nach Art. 42 der Charta, der den Zugang zu jedem Dokument eines Organs unabhängig davon vorsieht, ob eine Akte zur betroffenen Person vorliegt und ob diese ein rechtliches Interesse hat.

81      Darüber hinaus impliziert der Inhalt des in Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta verankerten Grundrechts auf Akteneinsicht, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, den betreffenden Entscheidungsprozess zu beeinflussen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2018, KF/SATCEN, T‑286/15, EU:T:2018:718, Rn. 230). Nach der oben in Rn. 63 dargelegten Rechtsprechung findet ein Antrag auf Akteneinsicht seine Grundlage in der Ausübung der Verteidigungsrechte und ist gegenstandslos, wenn es kein Verwaltungsverfahren gibt, das die rechtlichen Interessen der die Akteneinsicht beantragenden Person berührt, und folglich keine Akte existiert, die ihn betrifft.

82      Art. 22 der SSM-Verordnung und Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung, die die Akteneinsicht von der Eröffnung eines administrativen Aufsichtsverfahrens durch die EZB abhängig machen, geben den Kreditinstituten die Möglichkeit, ihren Standpunkt in dem betreffenden Entscheidungsprozess, der ihre rechtlichen Interessen berührt, durch Einsichtnahme in die für die Zwecke dieses Verfahrens angelegte Akte, die die in Art. 32 Abs. 2 der SSM-Rahmenverordnung aufgeführten Dokumente umfasst, zum Ausdruck zu bringen.

83      Somit ist das Vorbringen der Klägerin, dass die Bestimmungen, die die Akteneinsicht während eines Aufsichtsverfahrens vorsehen, im Hinblick auf Art. 41 der Charta rechtswidrig seien, zurückzuweisen.

84      Was das Argument der Klägerin betrifft, die Rechtswidrigkeit von Art. 31 der SSM-Rahmenverordnung ergebe sich auch daraus, dass das dort verankerte Recht in den in den Art. 14 und 15 der SSM-Verordnung genannten Fällen auf drei Arbeitstage verkürzt werden könne, ist nach ständiger Rechtsprechung eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung, zu dem die angefochtene Einzelentscheidung keine Durchführungsmaßnahme darstellt, unzulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2020, Kommission/Carreras Sequeros u. a., C‑119/19 P und C‑126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 68 bis 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Art. 14 und 15 der SSM-Verordnung zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht anwendbar waren. Sie stehen daher in keinem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit dieser, und die Klägerin kann sich im Rahmen der vorliegenden Klage folglich nicht auf ihre Rechtswidrigkeit berufen.

86      Als Zweites macht die Klägerin geltend, aus dem Standpunkt der EZB ergebe sich, dass eine Bank nur dann Einsicht in ihre Akte nehmen könne, wenn eine konkrete Entscheidung der EZB zu erwarten sei. Es sei jedoch eine fortlaufende Akteneinsicht erforderlich, damit die Klägerin ihre Akte prüfen und sich entsprechend äußern oder die EZB auffordern könne, bestimmte Entscheidungen zu treffen oder von bestimmten Eingriffen abzusehen.

87      In dieser Hinsicht gewährleistet einerseits Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung die Akteneinsicht vor dem Erlass einer Maßnahme am Ende eines EZB-Aufsichtsverfahrens und ermöglicht es somit, sich zum Erlass bestimmter Entscheidungen oder zum Absehen von bestimmten Eingriffen zu äußern.

88      Andererseits ergibt sich aus der Prüfung des vorliegenden Klagegrundes lediglich, dass die Klägerin keine Akteneinsicht nach den Bestimmungen über das Aufsichtsverfahren erhalten konnte, da kein konkretes Aufsichtsverfahren in Bezug auf sie anhängig war. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Zugang zu den Dokumenten, die sich auf die Klägerin beziehen und im Besitz der EZB befinden, nicht nach den allgemeinen Bestimmungen, die das Recht auf Zugang zu Dokumenten vorsehen, möglich ist. Dieser Aspekt wird im Rahmen des ersten Klagegrundes geprüft.

89      Als Drittes behauptet die Klägerin, dass es im Interesse der EZB liege, dass eine betroffene Bank jederzeit die Richtigkeit der in ihrer Akte enthaltenen Informationen überprüfen könne, und dass eine fortlaufende Akteneinsicht die Qualität der Akten der EZB und damit auch die Qualität der Aufsicht verbessern würde.

90      Hierzu genügt zum einen die Feststellung, dass, wie aus der obigen Prüfung hervorgeht, die Akteneinsicht nach der SSM-Rahmenverordnung in Ermangelung eines konkreten anhängigen Aufsichtsverfahrens nicht gerechtfertigt war. Zum anderen ist in Bezug auf das Argument, eine solche Einsichtnahme würde die Qualität der Akten der EZB verbessern, anzumerken, dass dies rein spekulativ ist, da die Klägerin keinerlei Beweise zur Stützung dieser Behauptung vorlegt.

91      Als Viertes macht die Klägerin geltend, dass der Begriff „Akte“ im vorliegenden Fall keine eigenständige Relevanz habe. Eine Akte werde in Art. 32 Abs. 2 der SSM-Rahmenverordnung als Gesamtheit der Dokumente definiert, die sich auf einen bestimmten Fall bezögen. Die EZB sei daher verpflichtet, auf einen Antrag auf Akteneinsicht hin alle relevanten Dokumente zusammenzustellen, selbst wenn sie diese nicht zuvor schon zusammengestellt habe und sie physisch oder elektronisch an verschiedenen Orten verwahrt bzw. gespeichert seien.

92      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass sich der in Art. 32 Abs. 2 der SSM-Rahmenverordnung verwendete Begriff „Akte“ direkt auf die von der EZB im Rahmen des Aufsichtsverfahrens gesammelten Dokumente bezieht. Nach dieser Bestimmung bestehen die Akten aus sämtlichen Dokumenten, die von der EZB während des Aufsichtsverfahrens erlangt, erstellt oder zusammengestellt wurden. Daher bedeutet das Nichtvorhandensein eines laufenden EZB-Aufsichtsverfahrens, dass die im Besitz der EZB befindlichen Dokumente in Bezug auf die Klägerin nicht mit ihrer „Akte“ im Sinne von Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung gleichgesetzt werden können.

93      Der zweite Klagegrund ist folglich insgesamt zurückzuweisen.

–       Zum fünften Klagegrund

94      Mit ihrem fünften Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die von der EZB in der angefochtenen Entscheidung eingenommene Position gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße, da es für beaufsichtigte Institute nicht möglich sei, festzustellen, wann die EZB einen möglichen Beschluss aktiv prüfe und wann somit Akteneinsicht zu gewähren sei. Darüber hinaus bedeute die Aufsicht, dass die Aufsichtsbehörde die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen fortwährend überwache und daher fortwährend mögliche Maßnahmen zur Behebung entsprechender Mängel in Betracht ziehe.

95      Die EZB widerspricht dieser Argumentation.

96      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit es gebietet, dass Rechtsvorschriften vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sind (Urteil vom 22. April 2015, Polen/Kommission, T‑290/12, EU:T:2015:221, Rn. 50).

97      Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung sieht klar und bestimmt ein Recht auf Akteneinsicht nach der Eröffnung eines konkreten Aufsichtsverfahrens vor. Die genannte Bestimmung sieht mithin keine Möglichkeit der Einsichtnahme vor, wenn die EZB „die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen fortwährend überwacht“.

98      Im vorliegenden Fall übte die EZB, da die Klägerin ein weniger bedeutendes Institut ist, keine ständige Aufsicht aus, denn dies war Aufgabe der zuständigen nationalen Behörden. Der Beschluss, die Zulassung der Klägerin zu entziehen, fiel hingegen in den Aufgabenbereich der EZB, die auch das entsprechende Verfahren in Bezug auf die Klägerin einleitete, nachdem sie von der MFSA den Beschlussentwurf zum Entzug der Zulassung erhalten hatte.

99      Die Verweigerung der Akteneinsicht vor Eröffnung des genannten Verfahrens durch die EZB kann daher nicht als Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit angesehen werden.

100    Der fünfte Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

–       Zum sechsten Klagegrund

101    Mit ihrem sechsten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die angefochtene Entscheidung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße, da sie ihr eine unangemessene Belastung auferlege, die durch kein legitimes Aufsichtsziel gerechtfertigt sei. Der Standpunkt der EZB führe in der Praxis zu einer relativ intransparenten Verwaltung. Der EZB zufolge gebe es nur ein sehr eingeschränktes Recht auf Akteneinsicht, nämlich nur während eines relativ kurzen Zeitraums zwischen der Mitteilung der EZB an das beaufsichtigte Institut, in der sie dieses darüber informiere, dass sie eine bestimmte Maßnahme in Erwägung ziehe, und dem Erlass der Maßnahme selbst.

102    Die EZB widerspricht dieser Argumentation.

103    Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen (vgl. Urteil vom 16. Mai 2017, Landeskreditbank Baden-Württemberg/EZB, T‑122/15, EU:T:2017:337, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Im vorliegenden Fall genügt es, festzustellen, dass der sechste Klagegrund, auch wenn seine Überschrift die Behauptung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit impliziert, sich im Wesentlichen auf die Begründetheit der Anwendung von Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung durch die EZB bezieht. Wie sich aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes oben ergibt, kann eine solche Argumentation keinen Erfolg haben.

105    Der sechste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

–       Zum siebten Klagegrund

106    Mit ihrem siebten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die angefochtene Entscheidung gegen den nemo-auditur-Grundsatz verstoße, wonach niemand sich auf sein eigenes rechtswidriges Handeln berufen könne. Die EZB habe die Gesamtverantwortung für den einheitlichen Aufsichtsmechanismus. Sie könne jederzeit eingreifen, auch im Rahmen der Aufsicht über ein weniger bedeutendes Institut. Die EZB könne sich nicht auf das Argument berufen, dass bei ihr kein Verfahren anhängig sei, obwohl es eines geben müsste, da die Handlungen der zuständigen nationalen Behörde faktisch einen Entzug der Zulassung und damit eine Maßnahme darstellten, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EZB falle.

107    Die EZB widerspricht dieser Argumentation.

108    Im vorliegenden Fall trägt die Klägerin zum einen spekulative Behauptungen über die Art der direkten Aufsicht der EZB über weniger bedeutende Institute vor, ohne zu erläutern, wie sich diese angeblichen Verstöße auf den vorliegenden Fall auswirken sollen. Zum anderen wurden die zur Unterstützung des siebten Klagegrundes vorgebrachten Behauptungen, die sich auf die Begründetheit der Anwendung von Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung durch die EZB beziehen, bereits im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes zurückgewiesen.

109    Der siebte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

–       Zum achten Klagegrund

110    Die Klägerin macht geltend, dass die angefochtene Entscheidung gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 der Charta verstoße. Das deutsche Verwaltungsrecht erkenne ein allgemeines Recht auf angemessene Ermessensausübung als Reaktion auf jeden Antrag auf Akteneinsicht an. Die Einsichtnahme müsse zwingend gewährt werden, wenn sie notwendig sei oder auch nur rasch erfolgen könne und potenziell hilfreich sei, damit eine Person ihre Rechte verteidigen und geltend machen könne.

111    Die EZB widerspricht dieser Argumentation.

112    Es ist daran zu erinnern, dass die Europäische Union eine Rechtsunion ist, in der ihre Organe der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob ihre Handlungen insbesondere mit dem AEU-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Einklang stehen, und dass mit diesem Vertrag ein umfassendes System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen worden ist, das dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane zuweist (vgl. Urteil vom 5. November 2019, EZB u. a./Trasta Komercbanka u. a., C‑663/17 P, C‑665/17 P und C‑669/17 P, EU:C:2019:923, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

113    Darüber hinaus ist der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, auf den sich auch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bezieht, ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt. Dieser Grundsatz ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert. Er ist nunmehr in Art. 47 der Charta bekräftigt (vgl. Urteil vom 5. November 2019, EZB u. a./Trasta Komercbanka u. a., C‑663/17 P, C‑665/17 P und C‑669/17 P, EU:C:2019:923, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

114    Im vorliegenden Fall stellt die angefochtene Entscheidung eine Handlung eines Unionsorgans dar, die der gerichtlichen Kontrolle durch den Unionsrichter unterliegt, so dass jede Bezugnahme auf das deutsche Recht irrelevant ist, da dieses Recht auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar ist.

115    Im Übrigen betrifft das Vorbringen im Rahmen dieses Klagegrundes im Wesentlichen die Begründetheit der Anwendung von Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung durch die EZB und wurde bereits im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes zurückgewiesen.

116    Daher ist der achte Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum ersten Klagegrund

117    Mit ihrem ersten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die EZB verpflichtet gewesen sei, ihren Antrag auf Einsichtnahme auf der Grundlage der allgemeinen Grundsätze über den Zugang zu Dokumenten zu behandeln. Die EZB habe weder ihr materielles Grundrecht auf Zugang zu Dokumenten gemäß Art. 15 Abs. 3 AEUV, Art. 42 der Charta, Art. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 und Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2004/258 noch die Tatsache berücksichtigt, dass ein Antrag auf Einsichtnahme nicht nach besonderen Bestimmungen abgelehnt werden dürfe, wenn die Einsichtnahme nach anderen Bestimmungen gewährt werden müsse.

118    Demnach sei das Vorliegen eines Aufsichtsverfahrens irrelevant, da ihr unabhängig davon jedenfalls Einsichtnahme auf der Grundlage des Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten hätte gewährt werden müssen. Dieser Aspekt hätte berücksichtigt werden müssen.

119    Die EZB widerspricht dieser Argumentation und stützt sich dabei auf die Rechtsprechung, die zwischen der allgemeinen Regelung des Zugangs zu Dokumenten, die Transparenz gewährleisten solle, und der Möglichkeit der Einsichtnahme in Akten eines laufenden Verwaltungsverfahrens, die die Wahrung der Verteidigungsrechte im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens gewährleisten solle, unterscheide.

120    Nach Ansicht der EZB hat die Klägerin ihren Antrag auf Einsichtnahme auf Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung gestützt, da sie die Formulierung „Akteneinsicht“ verwendet habe. In diesem Sinne könne der Antrag der Klägerin daher nicht unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Regelung des Zugangs zu Dokumenten betrachtet werden.

121    Vorab ist klarzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Verordnung Nr. 1049/2001 unerheblich ist, da die auf Anträge der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der EZB anzuwendende Regelung im Beschluss 2004/258 festgelegt ist, dessen Bestimmungen im Übrigen denen der Verordnung Nr. 1049/2001 entsprechen. Zudem trägt die Klägerin nichts Konkretes zu einem möglichen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1049/2001 vor.

122    Zunächst ist daran zu erinnern, dass zwar rechtlich ein Unterschied zwischen dem Recht auf Einsicht in die Verwaltungsakte im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens und dem Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe besteht, in funktioneller Hinsicht beide jedoch zu einer vergleichbaren Situation führen. Denn unabhängig von der Rechtsgrundlage, auf der die Akteneinsicht gewährt wird, ermöglicht sie den Beteiligten, die bei einem Organ von den betroffenen Parteien und Dritten eingereichten Erklärungen und Dokumente zu erhalten (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 28. Juni 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob, C‑404/10 P, EU:C:2012:393, Rn. 120).

123    Die Akteneinsicht verfolgt in diesem Bereich andere Ziele als die allgemeine Zugangsregelung, da sie die Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Parteien und eine sorgfältige Behandlung der Beschwerden unter gleichzeitiger Gewährleistung der Wahrung des Berufsgeheimnisses in Verwaltungsverfahren sicherstellen soll. Sie soll nicht die Ausübung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten so weit wie möglich erleichtern und eine gute Verwaltungspraxis durch die Gewährleistung der größtmöglichen Transparenz des Entscheidungsprozesses öffentlicher Stellen und der Informationen, auf denen deren Entscheidungen beruhen, fördern (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 83).

124    Ferner ist zu beachten, dass Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2004/258 jedem Unionsbürger sowie jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat vorbehaltlich der in diesem Beschluss festgelegten Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der EZB verleiht (Urteil vom 29. November 2012, Thesing und Bloomberg Finance/EZB, T‑590/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:635, Rn. 40).

125    Gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses 2004/258 ist die Person, die Zugang beantragt, nicht verpflichtet, Gründe für ihren Antrag anzugeben, und braucht daher kein wie auch immer geartetes Interesse nachzuweisen, um Zugang zu den angeforderten Dokumenten zu erhalten. Daraus folgt, dass ein Antrag auf Einsichtnahme, der in den Anwendungsbereich des Beschlusses 2004/258 fällt und von einer Person gestellt wird, die sich auf bestimmte besondere Umstände beruft, die sie von jedem anderen Unionsbürger unterscheiden sollen, dennoch in der gleichen Weise geprüft werden muss wie der Antrag einer beliebigen anderen Person (Urteil vom 6. Oktober 2021, OCU/EZB, T‑15/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:661, Rn. 105).

126    Im vorliegenden Fall hat die Klägerin mit dem Antrag auf Einsichtnahme die Einsicht in die sie betreffende „Akte“ begehrt, ohne sich für ihren Antrag auf irgendeine Rechtsgrundlage zu beziehen.

127    Es steht fest, dass keine Bestimmung des Beschlusses 2004/258 die Person, die die Einsichtnahme beantragt, zur Angabe der Rechtsgrundlage ihres Antrags verpflichtet. Dass keine Pflicht besteht, in einem Antrag auf Zugang zu Dokumenten ausdrücklich auf die Verordnung Nr. 1049/2001 oder den Beschluss 2004/258 Bezug zu nehmen, steht im Übrigen im Einklang mit dem Ziel, das mit diesen Rechtsakten verfolgt wird und das darin besteht, einen größtmöglichen Zugang zu Dokumenten zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Januar 2022, Dragnea/Kommission, C‑351/20 P, EU:C:2022:8, Rn. 71).

128    Auf die Tatsache, dass sich ein Antragsteller in einem Antrag auf Einsichtnahme auf die Einsicht in seine Akte bezogen hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Januar 2022, Dragnea/Kommission, C‑351/20 P, EU:C:2022:8, Rn. 74).

129    Selbst wenn die Klägerin in ihrem Antrag tatsächlich die Bezeichnung „Akte“ verwendet hat, konnte die EZB daher nicht davon ausgehen, dass der Antrag auf Einsichtnahme nur auf Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung gestützt war.

130    Darüber hinaus geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Tatsache, dass der Antrag auf Einsichtnahme eine „Akte“ der EZB zu einem Kreditinstitut betraf, d. h. einen durch die SSM-Verordnung und die SSM-Rahmenverordnung geregelten Bereich, nicht ausschließt, dass dieser Antrag von vornherein auf die allgemeinen Bestimmungen über den Zugang zu Dokumenten gestützt war, da feststeht, dass diese als Rechtsgrundlage für einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten eines Verwaltungsverfahrens dienen können, das durch einen anderen Unionsrechtsakt geregelt ist (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 13. Januar 2022, Dragnea/Kommission, C‑351/20 P, EU:C:2022:8, Rn. 75).

131    Da im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt des Antrags auf Einsichtnahme kein Aufsichtsverfahren gegen die Klägerin anhängig war und somit keine „Akte“ im Sinne von Art. 32 der SSM-Rahmenverordnung existierte, müsste der Antrag als Antrag auf Zugang zu den sie betreffenden Dokumenten auf der Grundlage der allgemeinen Bestimmungen und insbesondere des Beschlusses 2004/258 geprüft werden.

132    Die EZB argumentiert auch, dass der Antrag auf Einsichtnahme jedenfalls nicht die Anforderungen an einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten erfüllt habe. In dieser Hinsicht sei der Antrag auf Einsichtnahme sehr allgemeiner Natur gewesen und habe nicht einmal die konkreten Dokumente angegeben, die umfasst seien. Darüber hinaus sei es offensichtlich, dass der Antrag auf Einsichtnahme nicht einmal die grundlegendsten Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses 2004/258 erfülle.

133    Da die EZB im vorliegenden Fall den Antrag auf Einsichtnahme nicht auf der Grundlage des Beschlusses 2004/258 geprüft hat, kann sie sich nicht darauf berufen, dass der Antrag auf der Grundlage des Beschlusses 2004/258 unpräzise gewesen sei.

134    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die EZB einen Rechtsfehler begangen hat, indem sie den Antrag der Klägerin nicht auf der Grundlage der im Beschluss 2004/258 enthaltenen Bestimmungen über den Zugang zu Dokumenten geprüft hat.

135    In Anbetracht dieser Erwägungen ist dem ersten Klagegrund stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne dass auf den behaupteten Verstoß gegen Art. 15 Abs. 3 AEUV und Art. 42 der Charta sowie den zweiten Teil des dritten Klagegrundes oder den vierten Klagegrund eingegangen werden muss.

 Kosten

136    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die EZB unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 26. November 2019, mit dem die EZB den Antrag der Satabank plc auf Einsicht in die sie betreffende Akte abgelehnt hat, wird für nichtig erklärt.

2.      Die EZB trägt die Kosten.

Kanninen

Jaeger      Półtorak

Porchia

 

      Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. März 2023.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.