Language of document : ECLI:EU:T:2020:444

URTEIL DES GERICHTS (Zehnte Kammer)

23. September 2020(*)(1)

„Humanarzneimittel – Arzneimittel für seltene Leiden – Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Trecondi‑Treosulfan – Beschluss, mit dem ein Arzneimittel aus dem Register für Arzneimittel für seltene Leiden gestrichen wird – Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 – Begriff ‚zufriedenstellende Methode‘ – Art. 5 Abs. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 – Rechtsfehler“

In der Rechtssache T‑549/19,

Medac Gesellschaft für klinische Spezialpräparate mbH mit Sitz in Wedel (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. von Czettritz,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf teilweise Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2019) 4858 final der Kommission vom 20. Juni 2019 über die Erteilung einer Zulassung für das Humanarzneimittel Trecondi-Treosulfan

erlässt

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov (Berichterstatter) sowie der Richter J. Passer und G. Hesse,

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Mit Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Februar 2004 (im Folgenden: Ausweisungsentscheidung von 2004) wurde ein potenzielles Arzneimittel auf Treosulfan-Basis, dessen Investor die Klägerin, die Medac Gesellschaft für klinische Spezialpräparate mbH, ist, als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen und gemäß der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. 2000, L 18, S. 1) für folgendes therapeutisches Anwendungsgebiet in das Register der Europäischen Union für Arzneimittel für seltene Leiden eingetragen: „Konditionierungstherapie vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation“.

2        Am 13. Oktober 2017 legte die Klägerin der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), genauer dem in Art. 4 der Verordnung Nr. 141/2000 vorgesehenen Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden (im Folgenden: COMP), einen Bericht über die Aufrechterhaltung der Ausweisung von Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Zulassung) vor.

3        Am 12. Dezember 2017 beantragte die Klägerin gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1) bei der EMA, genauer beim Ausschuss für Humanarzneimittel, eine Zulassung des Arzneimittels auf Treosulfan-Basis unter dem Handelsnamen Trecondi-Treosulfan.

4        Am 8. November 2018 übermittelte der COMP der Klägerin im Rahmen des Verfahrens, das durch den Bericht der Klägerin vom 13. Oktober 2017 über die Aufrechterhaltung der Ausweisung von Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung ausgelöst worden war, ein vorläufiges Gutachten über die Aufrechterhaltung dieser Ausweisung (im Folgenden: vorläufiges Gutachten vom 8. November 2018). In diesem Gutachten stellte der COMP fest, dass das in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 141/2000 festgelegte Prävalenzkriterium erfüllt sei, d. h., dass das Arzneimittel für die Behandlung eines Leidens bestimmt sei, das lebensbedrohend sei oder eine chronische Invalidität nach sich ziehe und von dem zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Europäischen Union nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen seien. Zum Vorliegen eines erheblichen Nutzens im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 vertrat der COMP die Auffassung, dass die Klägerin einen solchen Nutzen in Bezug auf die Arzneimittel Busulfan (Busilvex) und Thiotepa (Tepadina) sowie die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis, die auf nationaler Ebene zugelassen seien, nachweisen müsse.

5        Am 23. November 2018 legte die Klägerin dem COMP ihre Stellungnahme vor, und am 4. Dezember 2018 fand eine Besprechung zur Erörterung dieser Stellungnahme statt.

6        Am 13. Dezember 2018 empfahl der Ausschuss für Humanarzneimittel der Kommission im Rahmen des durch den Zulassungsantrag eingeleiteten Verfahrens, das Inverkehrbringen von Trecondi-Treosulfan für folgendes therapeutisches Anwendungsgebiet zu genehmigen: „Treosulfan in Kombination mit Fludarabin ist angezeigt als Teil der Konditionierungstherapie vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation … bei erwachsenen Patienten mit malignen und nicht malignen Erkrankungen sowie bei pädiatrischen Patienten älter als einen Monat mit malignen Erkrankungen.“

7        Am 19. Dezember 2018 erstattete der COMP ein Gutachten über die Aufrechterhaltung der Ausweisung von Trecondi-Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung, in dem er zu dem Schluss kam, dass die Klägerin zwar einen erheblichen Nutzen von Trecondi-Treosulfan im Vergleich zu Busulfan (Busilvex) und Thiotepa (Tepadina) nachgewiesen habe, nicht aber im Vergleich zu den Arzneimitteln auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis.

8        Am 19. März 2019 ersuchte die Klägerin den COMP gemäß Art. 5 Abs. 7 der Verordnung Nr. 141/2000 um Überprüfung seines Gutachtens vom 19. Dezember 2018. Zu diesem Zweck legte sie neue Analysen vor, in denen Trecondi-Treosulfan mit Behandlungen auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis verglichen wurde.

9        Am 8. Mai 2019 erstattete der COMP sein abschließendes Gutachten über die Aufrechterhaltung der Ausweisung von Trecondi-Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung (im Folgenden: abschließendes Gutachten des COMP). Darin bestätigte er die Schlussfolgerungen seines Gutachtens vom 19. Dezember 2018. Insbesondere vertrat er die Auffassung, dass die von der Klägerin in ihrem Überprüfungsantrag vom 19. März 2019 vorgelegten Analysen nicht ausreichend robust seien, und hielt daher an seinem Standpunkt fest, dass sie das Vorhandensein eines erheblichen Nutzens von Trecondi-Treosulfan im Vergleich zu den Arzneimitteln auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis nicht nachgewiesen habe. Somit waren nach dem abschließenden Gutachten des COMP die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung nicht erfüllt. Der COMP empfahl der Kommission deshalb, die Ausweisung von Trecondi-Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung nicht aufrechtzuerhalten.

10      Am 20. Juni 2019 erließ die Kommission den Beschluss C(2019) 4858 final über die Erteilung einer Zulassung für das Humanarzneimittel Trecondi-Treosulfan gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 (im Folgenden: angefochtener Beschluss). In Art. 1 dieses Beschlusses heißt es: „Für das Arzneimittel ‚Trecondi-Treosulfan‘, dessen Merkmale in Anhang I dieses Beschlusses zusammengefasst sind, wird eine Zulassung gemäß Artikel 3 der Verordnung … Nr. 726/2004 erteilt. ‚Trecondi-Treosulfan‘ wird mit folgender Nummer in das Arzneimittelregister der Union eingetragen: EU/1/18/1351.“

11      Auf der Grundlage des abschließenden Gutachtens des COMP entschied die Kommission jedoch, dass Trecondi-Treosulfan die Ausweisungskriterien gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 nicht mehr erfülle und daher nicht als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen werden könne (vierter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Folglich heißt es in Art. 5 des angefochtenen Beschlusses, dass das „Arzneimittel ‚Trecondi-Treosulfan‘ … nicht als Arzneimittel für seltene Leiden eingestuft [wird]“ und dass das „[Unionsregister] für Arzneimittel für seltene Leiden … entsprechend aktualisiert werden [sollte]“.

 Verfahren und Anträge der Parteien

12      Mit Klageschrift, die am 8. August 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

13      Am selben Tag hat die Klägerin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, der mit Beschluss vom 26. September 2019, Medac Gesellschaft für klinische Spezialpräparate/Kommission (T‑549/19 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:695), bestätigt durch Beschluss vom 26. Februar 2020, Medac Gesellschaft für klinische Spezialpräparate/Kommission (C‑832/19 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:112), zurückgewiesen wurde.

14      Am 18. Oktober 2019 hat die Kommission ihre Klagebeantwortung eingereicht.

15      Am 23. April 2020 hat das Gericht die Parteien im Rahmen der in Art. 89 seiner Verfahrensordnung vorgesehenen prozessleitenden Maßnahmen aufgefordert, einige Fragen zu beantworten (im Folgenden: erste prozessleitende Maßnahme).

16      Am 12. Mai 2020 hat die Klägerin dem Gericht mitgeteilt, dass sie nicht mehr in einer mündlichen Verhandlung gehört werden wolle, und beantragt, ihr die Einreichung schriftlicher Erklärungen zu gestatten.

17      Am 8. Juni 2020 haben die Parteien ihre Antworten auf die im Rahmen der ersten prozessleitenden Maßnahme gestellten Fragen eingereicht (im Folgenden: Antworten auf die erste prozessleitende Maßnahme).

18      Am 18. Juni 2020 hat das Gericht die Parteien im Rahmen der in Art. 89 seiner Verfahrensordnung vorgesehenen prozessleitenden Maßnahmen aufgefordert, ihre Erklärungen einzureichen, und zwar auch zu den Antworten auf die erste prozessleitende Maßnahme. Die Klägerin ist dieser Aufforderung am 2. Juli 2020 nachgekommen, die Kommission am 15. Juli 2020.

19      Die Klägerin beantragt,

–        Art. 5 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

20      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

21      Da keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens am 17. Juli 2020 einen entsprechenden Antrag gestellt hat, hat das Gericht, das sich für durch die Aktenstücke der Rechtssache hinreichend unterrichtet hält, gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden.

22      Mit Schriftsatz, der am 18. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin nach Art. 85 der Verfahrensordnung neue Beweisangebote zur Stützung des dritten und des fünften Klagegrundes vorgelegt und, hilfsweise, gemäß Art. 84 der Verfahrensordnung einen neuen Klagegrund vorgebracht. Sie hat außerdem beantragt, das mündliche Verfahren nach Art. 113 Abs. 2 der Verfahrensordnung wiederzueröffnen. Das Gericht hat beschlossen, das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen, da im vorliegenden Fall keine der in Art. 113 Abs. 2 der Verfahrensordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist. Insbesondere sind die neuen Beweisangebote und das neue Vorbringen der Klägerin aus den nachstehend erläuterten Gründen für die Entscheidung des Gerichts nicht von maßgeblicher Bedeutung.

 Rechtliche Würdigung

23      Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin fünf Klagegründe vor, mit denen sie geltend macht: erstens einen offensichtlichen Rechtsfehler bei der Auslegung des Begriffs „zufriedenstellende Methode“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000, zweitens einen Ermessensmissbrauch und einen Verstoß gegen die Bekanntmachung der Kommission vom 18. November 2016 betreffend die Anwendung der Artikel 3, 5 und 7 der Verordnung Nr. 141/2000 (ABl. 2016, C 424, S. 3) (im Folgenden: Bekanntmachung der Kommission von 2016), drittens einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes, da die Kommission eine Definition des seltenen Leidens, das mit dem Arzneimittel Trecondi-Treosulfan behandelt werden solle, zugrunde gelegt habe, die weiter gefasst sei als die ursprünglich angenommene, viertens einen offensichtlichen Ermessensmissbrauch durch Nichtakzeptanz und Verwerfung der von ihr vorgelegten Vergleichsdaten und fünftens einen Ermessensmissbrauch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch Zurückweisung indirekter Vergleichsdaten.

24      Zunächst ist der dritte Klagegrund zu prüfen, da er eine der Prüfung der anderen Klagegründe vorgelagerte Frage aufwirft.

 Zum dritten Klagegrund

25      Die Klägerin trägt vor, der COMP habe in seinem vorläufigen Gutachten vom 8. November 2018 (siehe oben, Rn. 4) die Definition des mit Trecondi-Treosulfan behandelten seltenen Leidens erweitert, indem er sie nunmehr als „Behandlung bei hämatopoetischer Stammzelltransplantation“ und nicht – wie in der Ausweisungsentscheidung von 2004 – als „Konditionierung vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation“ definiert habe. Dadurch habe der COMP zu Unrecht von der Klägerin verlangt, einen erheblichen Nutzen nicht nur gegenüber Busulfan (Busilvex) und Thiotepa (Tepadina), sondern auch gegenüber den Arzneimitteln auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis nachzuweisen. Diese einseitige Änderung des seltenen Leidens, das mit Trecondi-Treosulfan behandelt werden solle, verstoße gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung, da zum einen das ursprünglich zugrunde gelegte seltene Leiden ein anderes gewesen sei und zum anderen dieses ursprüngliche seltene Leiden in vergleichbaren früheren Zulassungsverfahren zugrunde gelegt worden sei.

26      Die Kommission entgegnet, dass der COMP in seinem vorläufigen Gutachten vom 8. November 2018 nicht die Absicht gehabt habe, das seltene Leiden, das mit Trecondi-Treosulfan behandelt werden solle, zu ändern, sondern es leicht umzuformulieren und genauer zu umschreiben.

27      Zur Stützung ihres dritten Klagegrundes bezieht sich die Klägerin auf eine Passage in Nr. 3 des vorläufigen Gutachtens vom 8. November 2018 (S. 4 a. E.):

„Zum Zeitpunkt der Ausweisung war die seltene Erkrankung die ‚Konditionierung vor hämatopoetischer Stammzelltransplantation‘. Der COMP erkennt [die hämatopoetische Stammzelltransplantation] im Allgemeinen als eine Behandlungsmodalität für die Abgrenzung einer seltenen Erkrankung an, die nur in Ausnahmefällen verwendet wird … Angesichts dieser Ausnahme bleibt die anfängliche seltene Erkrankung ‚Konditionierung vor hämatopoetischer Stammzelltransplantation‘ für den Zweck der Aufrechterhaltung der Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden akzeptabel. Gleichwohl sollte jedoch hervorgehoben werden, dass der COMP zum Zeitpunkt dieser Überprüfung und bei künftigen Ausweisungen generell eine leicht umformulierte seltene Indikation ‚Behandlung bei [hämatopoetischer Stammzelltransplantation]‘ ausweisen wird. Die daraus resultierende seltene Erkrankung ist die ,Behandlung bei hämatopoetischer Stammzelltransplantation‘.“

28      Erstens geht aus dieser Passage hervor, dass das ursprüngliche seltene Leiden in der Definition der Ausweisungsentscheidung von 2004, nämlich die Konditionierungstherapie vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (im Folgenden: HSZT), für die Aufrechterhaltung der Ausweisung von Trecondi-Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden „akzeptabel bleibt“. Somit hatte der COMP, wie die Kommission vorträgt, nicht die Absicht, die ursprünglich zugrunde gelegte Definition des betreffenden seltenen Leidens zu ändern.

29      Jedenfalls hat sich der COMP zweitens sowohl in anderen Passagen des vorläufigen Gutachtens vom 8. November 2018 als auch in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2018 und in seinem abschließenden Gutachten systematisch auf das in der Ausweisungsentscheidung von 2004 zugrunde gelegte ursprüngliche Leiden bezogen, nämlich die „Konditionierungstherapie vor einer allogenen [HSZT]“ – ohne Änderung oder Neuformulierung.

30      Der COMP hat nämlich in seinem vorläufigen Gutachten vom 8. November 2018 in Nr. 3 unter der Überschrift „Vorhandene Methoden“ geprüft, ob es Arzneimittel gab, die auf Unionsebene für die „Konditionierungstherapie vor einer allogenen [HSZT]“ zugelassen waren. In derselben Nummer verweist der COMP unter der Überschrift „Erheblicher Nutzen“ auf die verschiedenen Behandlungsregimes, die für die „Konditionierungstherapie vor [einer allogenen HSZT]“ verwendet werden, sowie auf die Notwendigkeit, einen erheblichen Nutzen für Patienten nachzuweisen, die sich einer „Konditionierungstherapie vor einer allogenen [HSZT]“ unterziehen. Diese Definition des seltenen Leidens hat er im Gutachten vom 19. Dezember 2018 und im abschließenden Gutachten beibehalten (siehe u. a. abschließendes Gutachten, Anlage A.16, S. 3; S. 195 der Akten).

31      Drittens – und vor allem – wird im angefochtenen Beschluss keine Änderung des seltenen Leidens, das mit Trecondi-Treosulfan behandelt werden soll, gegenüber dem in der Ausweisungsentscheidung von 2004 angegebenen Leiden vorgenommen. Die Zusammenfassung der Merkmale (im Folgenden: Merkmalszusammenfassung) des Arzneimittels, die dem angefochtenen Beschluss beigefügt ist, sieht nämlich in Nr. 4.1 vor, dass „Treosulfan … in Kombination mit Fludarabin … im Rahmen einer Konditionierungstherapie vor einer allogenen [HSZT] bei erwachsenen Patienten mit malignen und nicht malignen Erkrankungen sowie bei malignen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen älter als 1 Monat [angewendet wird]“.

32      Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass aus den Akten sowie insbesondere aus dem abschließenden Gutachten des COMP und dem angefochtenen Beschluss, die den endgültigen Standpunkt des COMP und der Kommission zum Ausdruck bringen, nicht hervorgeht, dass diese das seltene Leiden, das mit Trecondi-Treosulfan behandelt werden soll, geändert hätten.

33      Demnach ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

34      Der erste und der zweite Klagegrund sind sodann zusammen zu prüfen, da zwischen den von der Klägerin zu ihrer Stützung vorgebrachten Argumenten ein enger Zusammenhang besteht.

 Zum ersten und zum zweiten Klagegrund

35      Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes macht die Klägerin einen ihrer Ansicht nach „offensichtlichen“ Rechtsfehler bei der Auslegung des Begriffs „zufriedenstellende Methode“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 und der Bekanntmachung der Kommission von 2016 geltend. Der COMP habe die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis auf der Grundlage einer nicht zugelassenen Anwendung (im Folgenden: Off-Label-Gebrauch) dieser Arzneimittel zu Unrecht als „zufriedenstellende Methoden“ angesehen. Ein Off-Label-Gebrauch könne jedoch nicht als „zufriedenstellende Methode“ angesehen werden und dürfe daher vom COMP nicht berücksichtigt werden. Somit habe der COMP auf einer falsch definierten Vergleichsbasis von der Klägerin für die Aufrechterhaltung der aus der Ausweisungsentscheidung von 2004 resultierenden Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden den Nachweis eines erheblichen Nutzens von Trecondi-Treosulfan im Vergleich zu diesen beiden Arzneimitteln verlangt. Der COMP sei daher in seinem abschließenden Gutachten, das im angefochtenen Beschluss bestätigt worden sei, zu der rechtlich unzutreffenden Schlussfolgerung gekommen, dass Trecondi-Treosulfan im Vergleich zu den Arzneimitteln auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis keinen erheblichen Nutzen biete.

36      Die Klägerin weist insbesondere darauf hin, dass die Arzneimittel auf Melphalan-Basis im Gegensatz zu Trecondi-Treosulfan nicht für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT zugelassen seien, sondern nur für die chemotherapeutische Behandlung bestimmter abschließend aufgeführter Krebserkrankungen. Darüber hinaus seien diese Arzneimittel nur sehr eingeschränkt zur Anwendung bei pädiatrischen Patienten zugelassen, nämlich nur bei solchen mit Neuroblastom. Sie verweist insoweit auf die Merkmalszusammenfassungen der in Deutschland und Frankreich zugelassenen Arzneimittel auf Melphalan-Basis (Merkmalszusammenfassung der Arzneimittel, die in Deutschland unter den Namen Melphalan ratiopharm und Alkeran 2 mg [Anlage A.20 zur Klageschrift] und in Frankreich unter dem Namen Alkeran 50 mg [Anlage A.21 zur Klageschrift] zugelassen sind).

37      Die Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis seien nur für die Konditionierungstherapie vor einer Knochenmarktransplantation und nur in begrenztem Umfang, d. h. nur bei bestimmten Erkrankungen, zugelassen. Im Gegensatz zu Trecondi-Treosulfan seien also die Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis nicht für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT mittels „Stammzellapherese“ zugelassen. Zudem seien diese Arzneimittel zur Anwendung bei pädiatrischen Patienten nur eingeschränkt zugelassen, nämlich nur als Chemotherapie für solche mit Rhabdomyosarkom. Die Klägerin verweist insoweit auf die Merkmalszusammenfassungen dieser in Deutschland zugelassenen Arzneimittel (Merkmalszusammenfassung der Arzneimittel, die unter den Namen Endoxan und ENDOXAN Lyophilisat [Anlage A.22 zur Klageschrift] zugelassen sind).

38      Demgegenüber sei Trecondi-Treosulfan generell und ohne Einschränkung für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT zugelassen, die bei erwachsenen Patienten uneingeschränkt maligne und nicht maligne Erkrankungen umfasse sowie bei pädiatrischen Patienten älter als einen Monat uneingeschränkt jedwede maligne Erkrankung.

39      Die Kommission macht geltend, dass die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis „zumindest teilweise“ die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT umfassten. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass eine solche teilweise Überschneidung ausreiche, um sie als „zufriedenstellende Methoden“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 anzusehen. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung sei nämlich weder ein Bezug auf die Zulassung noch auf den in der Merkmalszusammenfassung des Referenzarzneimittels umschriebenen Anwendungsbereich zu erkennen. Der Ausdruck „in der Union … zugelassen wurde“ in dieser Bestimmung lasse darauf schließen, dass alle zugelassenen Arzneimittel und alle gängigen Diagnose‑, Verhütungs- und Behandlungsmethoden zu berücksichtigen seien, um den erheblichen Nutzen festzustellen. Auch sei Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 847/2000 der Kommission vom 27. April 2000 zur Festlegung von Bestimmungen für die Anwendung der Kriterien für die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden und von Definitionen für die Begriffe „ähnliches Arzneimittel“ und „klinische Überlegenheit“ (ABl. 2000, L 103, S. 5) dahin auszulegen, dass eine zufriedenstellende Methode jeder zugelassene Anwendungsbereich eines Arzneimittels sei, sofern dieser auch nur teilweise das betreffende seltene Leiden erfasse. Diese Auslegung werde durch die Bekanntmachung der Kommission von 2016 gestützt, die besage, dass „[e]in Arzneimittel, das in einem EU-Mitgliedstaat zugelassen ist, … in der Regel als ‚in der [Europäischen Union] zugelassen‘ [gilt]“. Dass in dieser Bekanntmachung ausgeführt werde, dass zur Beurteilung des Vorliegens einer zufriedenstellenden Methode in der Union auch Arzneimittel in Erwägung gezogen würden, die „zumindest genau dieselbe Gruppe von Symptomen behandeln“, stelle klar, dass es nicht notwendig sei, dass die Zulassung des Arzneimittels genau denselben Anwendungsbereich wie das vorgeschlagene Arzneimittel habe.

40      Insbesondere würden die Arzneimittel auf Melphalan-Basis zur Zerstörung des blutbildenden Systems des Patienten in Vorbereitung auf die Behandlung des Multiplen Myeloms durch allogene HSZT eingesetzt. Dies ergebe sich sowohl aus der Merkmalszusammenfassung des in Deutschland zugelassenen Arzneimittels, wonach dieses Arzneimittel „in hoher intravenöser Dosierung mit oder ohne [HSZT] … angewendet wird“, als auch aus der Merkmalszusammenfassung des in Frankreich zugelassenen Arzneimittels, wonach auch für das Multiple Myelom ab einer Dosis von 140 mg für jeden Quadratmeter Körperoberfläche eine Stammzelltransplantation jedenfalls erforderlich sei. Dieser Einsatz bei der Behandlung des Multiplen Myeloms diene somit wie die allgemeine Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT dazu, das erkrankte blutbildende System des Patienten zu zerstören, so dass davon auszugehen sei, dass Melphalan zumindest teilweise eine Konditionierungstherapie umfasse. In ihrer Antwort auf die erste prozessleitende Maßnahme stellt die Kommission klar, dass zwar die Konditionierungstherapie vor einer HSZT nicht ausdrücklich genannt werde, der Zusammenhang mit der nachfolgenden HSZT jedoch aus den entsprechenden Passagen der jeweiligen Merkmalszusammenfassungen zu erkennen sei.

41      Die Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis seien zwar nur für die Konditionierungstherapie vor einer Knochenmarktransplantation zugelassen, doch dienten sowohl diese Behandlung als auch die allgemeine Konditionierungstherapie für die allogene HSZT dazu, das erkrankte blutbildende System des Patienten zu zerstören. Daher könnten diese Arzneimittel und Trecondi-Treosulfan für dasselbe Anwendungsgebiet verwendet werden. In ihrer Antwort auf die erste prozessleitende Maßnahme stellt die Kommission klar, dass die Merkmalszusammenfassung der in Deutschland zugelassenen Arzneimittel die Konditionierungstherapie vor einer allogenen Knochenmarktransplantation bei bestimmten Krankheiten angebe. Zudem sei die Knochenmarktransplantation eine Form der allogenen HSZT, bei der die Stammzellen für die Transplantation aus Knochenmark stammten. Zum Zeitpunkt der Zulassung der Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis sei dies die einzige Methode zur Gewinnung hämatopoetischer Stammzellen gewesen. Diese Methode sei jedoch durch einen Prozess, der als „Apherese“ bezeichnet werde, ersetzt worden, bei der Stammzellen aus dem Blut oder Blutplasma gewonnen werden könnten, so dass bei diesen Arzneimitteln heute davon auszugehen sei, dass sie für die Konditionierungstherapie vor jeder Art der HSZT verwendet werden könnten.

42      Ferner habe die Klägerin selbst in ihrem Bericht vom 13. Oktober 2017 über die Beibehaltung der Ausweisung von Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung auf Melphalan und Cyclophosphamid verwiesen. Auch die „Guidelines for Hematopoietic Stern Cell Transplantation (HSCT) in Childhood Myelodysplastic Syndrome (MDS) and Juvenile Myelomonocytic Leukaemia (JMML) for Patients enrolled in EWOG-MDS Studies“ (Leitlinien für die hämatopoetische Stammzelltransplantation [HSZT] bei kindlichem Myelodysplastischem Syndrom [MDS] und juveniler Myelomonozytärer Leukämie (JMML) für Patienten, die an EWOG-MDS-Studien teilnehmen), die auf einer medizinischen Konferenz am 25. und 26. Oktober 2016 in Freiburg (Deutschland) angenommen worden seien, empfählen Melphalan und Cyclophosphamid für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT.

 Vorbemerkungen

43      Das Verfahren für die Zulassung von Arzneimitteln für seltene Leiden läuft in zwei verschiedenen Phasen ab. Die in Art. 5 der Verordnung Nr. 141/2000 geregelte erste Phase betrifft die Ausweisung des Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden, die in den Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 141/2000 geregelte zweite Phase die Zulassung des für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittels und das damit verknüpfte Marktexklusivitätsrecht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Mai 2019, GMPO/Kommission, T‑733/17, EU:T:2019:334, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Die zweite Phase des Verfahrens, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, wird gegebenenfalls nach der Ausweisung des betreffenden Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden durchgeführt. Nach Art. 5 Abs. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 ist im Zuge der Prüfung eines Antrags auf Zulassung zu überprüfen, ob die in Art. 3 dieser Verordnung festgelegten Kriterien nach wie vor erfüllt sind. Gemäß Art. 5 Abs. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 wird ein als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesenes Arzneimittel nämlich aus dem Register für Arzneimittel für seltene Leiden gestrichen, wenn vor Erteilung der Zulassung festgestellt wird, dass diese Kriterien bei diesem Arzneimittel nicht mehr erfüllt sind (Urteil vom 16. Mai 2019, GMPO/Kommission, T‑733/17, EU:T:2019:334, Rn. 33).

45      Stellt ein Investor einen Antrag auf Zulassung eines für seltene Leiden ausgewiesenen Arzneimittels, löst er also damit zugleich ein Verfahren der erneuten Prüfung der Ausweisungskriterien aus. Für die Beurteilung, ob die Ausweisungskriterien erfüllt sind, ist der COMP zuständig, der insoweit ein Gutachten abgibt (Urteil vom 16. Mai 2019, GMPO/Kommission, T‑733/17, EU:T:2019:334, Rn. 34).

46      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission nicht vom abschließenden Gutachten des COMP abgewichen ist, so dass sie sich die darin getroffenen Feststellungen zu eigen gemacht hat. Daher ist davon auszugehen, dass sich die dem Gericht obliegende gerichtliche Kontrolle auf alle Erwägungen in diesem Gutachten, die Bestandteil des angefochtenen Beschlusses sind, und insbesondere auf Art. 5 des Beschlusses, dessen Nichtigerklärung die Klägerin beantragt, erstrecken muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Mai 2019, GMPO/Kommission, T‑733/17, EU:T:2019:334, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Zum Umfang und zur Tragweite der gerichtlichen Kontrolle auf diesem Gebiet ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Kommission, wenn sie komplexe technische oder wissenschaftliche Bewertungen vorzunehmen hat, über ein weites Ermessen verfügt. In einem solchen Fall beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, zu prüfen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen. Jedoch ist die gerichtliche Kontrolle durch das Gericht in Bezug auf die Schlussfolgerungen des COMP und der Kommission, in denen keine komplexen technischen oder wissenschaftlichen Bewertungen vorgenommen werden, umfassend (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Mai 2019, GMPO/Kommission, T‑733/17, EU:T:2019:334, Rn. 56 und 57). Auch hinsichtlich der Rechtsfragen kann die gerichtliche Kontrolle durch das Gericht nur umfassend sein.

48      Das Vorbringen der Parteien ist anhand dieser Grundsätze zu prüfen.

 Zur Begründetheit

49      Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 sieht alternative Kriterien für die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden vor, nämlich, dass in der Union noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde (erste Alternative) oder dass das betreffende Arzneimittel – sofern eine solche Methode besteht – für diejenigen, die von diesem Leiden betroffen sind, im Vergleich zu den bereits bestehenden zufriedenstellenden Methoden von erheblichem Nutzen sein wird (zweite Alternative).

50      Der Begriff „Leiden“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 ist der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung definierte Begriff, d. h. ein Leiden, das lebensbedrohend ist oder eine chronische Invalidität nach sich zieht und von dem zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Union nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen sind.

51      Wie oben in Rn. 9 ausgeführt, kam der COMP im vorliegenden Fall zu dem Schluss, dass die Klägerin zwar einen erheblichen Nutzen von Trecondi-Treosulfan im Vergleich zu den Arzneimitteln auf Busulfan-Basis (Busilvex) und auf Thiotepa-Basis (Tepadina) nachgewiesen habe, nicht aber im Vergleich zu den Arzneimitteln auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis. In diesem Zusammenhang vertritt die Klägerin im Wesentlichen die Auffassung, dass die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis angesichts ihrer jeweiligen Merkmalszusammenfassungen keine „zufriedenstellenden Methoden“ für die Behandlung des seltenen Leidens, das mit Trecondi-Treosulfan behandelt werden solle, seien und dass der COMP daher zu Unrecht das Ausweisungskriterium des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b erste Alternative der Verordnung Nr. 141/2000 ausgeschlossen habe.

52      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Arzneimittel nur dann als „zufriedenstellende Methode“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 eingestuft werden kann, wenn es in der Union oder in einem Mitgliedstaat der Union für dasselbe seltene „Leiden“ „zugelassen“ ist wie das, das mit dem Arzneimittel behandelt werden soll, für das die Zulassung als Arzneimittel für seltene Leiden beantragt wird.

53      Nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 847/2000 können die „[zufriedenstellenden] Methoden in der [Union] zugelassene Arzneimittel, Medizinprodukte oder sonstige in der [Union] gängige Diagnose‑, Verhütungs- oder Behandlungsmethoden umfassen“. Außerdem muss mit ihnen das „betreffende Leiden“ oder „[das] Leiden“ behandelt werden sollen.

54      Um den Geltungsbereich der Zulassung eines Arzneimittels in der Union zu bestimmen, ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) „[e]in Arzneimittel … in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden [darf], wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine [Zulassung] erteilt hat oder wenn eine [Zulassung] nach der Verordnung [Nr. 726/2004] … erteilt wurde“. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie sieht für ein Arzneimittel, für das eine Erstzulassung gemäß Unterabs. 1 erteilt worden ist, vor:

„[A]uch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen gemäß Unterabsatz 1 [müssen] [zugelassen] oder in die [Erstzulassung] einbezogen werden. Alle diese [Zulassungen] werden insbesondere für den Zweck der Anwendung des Artikels 10 Absatz 1 als Bestandteil derselben umfassenden [Zulassung] angesehen.“

55      Zweitens muss für die Erteilung einer Zulassung auf nationaler Ebene ein Antrag bei der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats gestellt werden. Dieser Antrag umfasst nach Art. 8 Abs. 3 Buchst. j der Richtlinie 2001/83 eine Merkmalszusammenfassung. Nach Art. 11 dieser Richtlinie enthält die Merkmalszusammenfassung eine Reihe von Angaben über das betreffende Arzneimittel in der in dieser Bestimmung genannten Reihenfolge, wie die Anwendungsgebiete (Nr. 4.1), die Dosierung und Art der Anwendung bei Erwachsenen und – soweit erforderlich – bei Kindern (Nr. 4.2) und das „Datum der Überarbeitung des Textes“ der Zusammenfassung (Nr. 10). Gemäß Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 teilt die zuständige Behörde des betroffenen Mitgliedstaats bei der Erteilung einer Zulassung dem Inhaber die von ihr genehmigte Merkmalszusammenfassung des Erzeugnisses mit.

56      Drittens verpflichtet Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 nach der Erteilung einer Zulassung den Inhaber, sicherzustellen, dass die Produktinformationen auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gehalten werden, zu dem auch die Schlussfolgerungen aus Bewertungen und die Empfehlungen gehören, die auf dem nach Art. 26 der Verordnung Nr. 726/2004 eingerichteten europäischen Internetportal für Arzneimittel veröffentlicht werden.

57      Demnach wird der Geltungsbereich der Zulassung des vorhandenen Arzneimittels im Beschluss über die Zulassung definiert, zu dem die Merkmalszusammenfassung des betreffenden Arzneimittels in der eventuell zum Zeitpunkt des Antrags auf Zulassung des Arzneimittels für seltene Leiden aktualisierten Fassung gehört.

58      Daraus folgt erstens, dass der Off-Label-Gebrauch eines Arzneimittels nach den vorstehenden Erwägungen nicht als „zugelassen“ angesehen werden kann und dass daher ein Arzneimittel im Off-Label-Gebrauch keine in der Union zugelassene „zufriedenstellende Methode“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 sein kann.

59      Diese Schlussfolgerung wird durch die Bekanntmachung der Kommission von 2016 bestätigt, in deren Abschnitt B.4 („Zufriedenstellende, in der EU zugelassene Methode“) es in den Abs. 3 und 4 heißt:

„… Arzneimittel, die in Erwägung gezogen werden, sollten … für die Behandlung der Krankheit als solche zugelassen werden oder zumindest genau dieselbe Gruppe von Symptomen behandeln.

Jedwede Bezugnahme auf ein bereits zugelassenes Arzneimittel kann nur die Bestimmungen der Zulassung betreffen. Deshalb kann ein Arzneimittel, das nicht im Einklang mit der genehmigten Fachinformation verabreicht oder verwendet wird (Off-Label-Gebrauch), nicht als zufriedenstellende Methode im Sinn von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b angesehen werden.“

60      Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen von den Parteien nicht bestritten. Insbesondere räumt die Kommission in ihrer Klagebeantwortung ein, dass der Off-Label-Gebrauch nicht als zufriedenstellende Methode angesehen werden könne.

61      Zweitens sind bei der Prüfung, ob die geltend gemachte bestehende Methode für dasselbe „Leiden“ vorgesehen ist wie das, das mit dem vom Antrag erfassten Arzneimittel für seltene Leiden behandelt werden soll, alle wesentlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für die zugelassene Anwendung der bestehenden Methode gelten, insbesondere ihr therapeutisches Anwendungsgebiet und ihre Zielpopulation, wie sie in der Merkmalszusammenfassung definiert sind.

62      Insoweit ist zu beachten, dass die Merkmalszusammenfassung eines Arzneimittels nur eng ausgelegt werden kann. Die zuständige Behörde muss sich nämlich vor Erteilung einer Zulassung und auch im Zusammenhang mit der Änderung oder Erweiterung einer bestehenden Zulassung auf der Grundlage der vom Investor vorgelegten Unterlagen und Angaben vergewissern, dass der mit der Wirksamkeit verbundene Nutzen des Arzneimittels höher zu bewerten ist als die potenziellen Risiken (vgl. den siebten Erwägungsgrund und Art. 26 der Richtlinie 2001/83). Ebenso sollte es nach dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 726/2004 möglich sein, „[anhand der] Kriterien der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit nach den Richtlinien 2001/83/EG und 2001/82/EG … das Nutzen-Risiko-Verhältnis aller Arzneimittel beim Inverkehrbringen, bei der Verlängerung der Genehmigung und wenn die zuständige Behörde dies für zweckmäßig hält, zu analysieren“.

63      Zu diesem Zweck sieht Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83, wie oben in Rn. 54 ausgeführt, vor, dass auch alle Änderungen und Erweiterungen einer bestehenden Zulassung gemäß Unterabs. 1 zugelassen oder in die Erstzulassung einbezogen werden müssen, während Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 den Inhaber eines bereits zugelassenen Arzneimittels dazu verpflichtet, die Produktinformationen dieses Arzneimittels auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu halten.

64      Daraus folgt, dass eine Änderung der Merkmalszusammenfassung keineswegs eine Formalität darstellt und jede solche Änderung einer zusätzlichen Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sowie der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit des Arzneimittels für das vorgeschlagene neue Anwendungsgebiet zu unterziehen ist, gegebenenfalls begleitet von klinischen Studien.

65      Somit erstreckt sich die Zulassung eines Arzneimittels nicht auf die Diagnose, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten oder Patientengruppen, die nicht in der Merkmalszusammenfassung dieses Arzneimittels aufgeführt sind.

66      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass, wenn das vom Antrag auf Zulassung als Arzneimittel für seltene Leiden erfasste Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten oder Patientengruppen bestimmt ist, für die die Referenzarzneimittel nach ihren jeweiligen Merkmalszusammenfassungen – sei es auch nur teilweise – nicht zugelassen sind, diese Referenzarzneimittel nicht als „zufriedenstellende Methoden“ für diese Krankheiten oder Patientengruppen angesehen werden können.

67      Da nämlich bestimmte Krankheiten so selten auftreten, dass die pharmazeutische Industrie wenig geneigt ist, Arzneimittel für ihre Diagnose, Verhütung oder Behandlung unter normalen Marktbedingungen zu entwickeln (erster Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 141/2000), und da das Ziel der Verordnung Nr. 141/2000, das in ihrem Art. 1 festgelegt ist, gerade darin besteht, Anreize für die Erforschung, Entwicklung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu schaffen, die zur Behandlung solcher Krankheiten bestimmt sind, liefe es dem verfolgten Ziel zuwider, ein potenzielles Arzneimittel von den in der Verordnung Nr. 141/2000 vorgesehenen Vorteilen allein deshalb auszuschließen, weil für einen Teil der seltenen Leiden, die mit diesem Arzneimittel behandelt werden sollen, „zufriedenstellende Methoden“ vorliegen.

68      Ferner erlaubt es Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 gerade im Stadium der Erteilung der Zulassung eines Arzneimittels für seltene Leiden, den Fall einer teilweisen Überschneidung mit der Zulassung anderer Arzneimittel zu berücksichtigen, wenn er vorsieht, dass „[f]ür Arzneimittel für seltene Leiden erteilte [Zulassungen] … ausschließlich für solche therapeutische Anwendungsgebiete [gelten], die den Kriterien des Art. 3 entsprechen“, und dass „[d]ie Möglichkeit, für andere Anwendungsgebiete außerhalb des Geltungsbereichs dieser Verordnung eine getrennte [Zulassung] zu beantragen, … davon unberührt [bleibt]“. Soweit also bestimmte therapeutische Anwendungsgebiete eines Arzneimittels die Ausweisungskriterien des Art. 3 der Verordnung Nr. 141/2000 erfüllen, kann dieses Arzneimittel grundsätzlich für diese Anwendungsgebiete als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen werden, während für die Anwendungsgebiete, für die es die Kriterien des Art. 3 dieser Verordnung nicht erfüllt, eine getrennte Zulassung außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung Nr. 141/2000 erteilt werden kann.

69      Vor diesem Hintergrund ist daher zu prüfen, ob im vorliegenden Fall auch die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis gemäß ihren jeweiligen Merkmalszusammenfassungen für die Behandlung des seltenen Leidens und für die Patientengruppen vorgesehen sind, die mit Trecondi-Treosulfan behandelt werden sollen.

70      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Nr. 4.1 der dem angefochtenen Beschluss beigefügten Merkmalszusammenfassung von Trecondi-Treosulfan „Treosulfan … in Kombination mit Fludarabin … im Rahmen einer Konditionierungstherapie vor einer allogenen [HSZT] bei erwachsenen Patienten mit malignen und nicht malignen Erkrankungen sowie bei malignen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen älter als 1 Monat [angewendet wird]“.

71      Nach den Erläuterungen der Klägerin in den Rn. 6 bis 9 der Klageschrift, die von der Kommission nicht beanstandet werden, wird unter einer „Stammzelltransplantation“ die Übertragung von Blutstammzellen von einem Spender zu einem Empfänger verstanden, die bei malignen hämatologischen Erkrankungen, die das blutbildende System des Patienten betreffen, und bei bestimmten nicht malignen Erkrankungen durchgeführt wird. Es gibt drei Arten der Blutstammzellentnahme beim Spender, nämlich aus Knochenmark, aus peripherem Blut oder aus Nabelschnurblut. Der Begriff „Konditionierungstherapie“ bezeichnet die der Blutstammzelltransplantation vorgeschaltete Behandlung. Ziele der Konditionierung vor einer Stammzelltransplantation sind erstens die Induktion einer Immunsuppression beim Patienten, um die Regenerationsphase der Blutbildung nach allogener Transplantation zu sichern und ein primäres Transplantatversagen zu verhindern, zweitens die anti-leukämische Wirksamkeit, um möglichst viele maligne Zellen zu eliminieren, und drittens die Induktion einer Myeloablation (Myelosuppression oder Knochenmarkdepression), um „Platz zu schaffen“ für die zu transplantierenden Spenderstammzellen. Ferner ist zu unterscheiden zwischen der autologen Stammzelltransplantation, bei der Spender und Empfänger dieselbe Person sind, und der allogenen Stammzelltransplantation, bei der der Empfänger Zellen von einer anderen gesunden Person erhält.

72      Dies vorausgeschickt, ist festzustellen, dass die Merkmalszusammenfassungen der verglichenen Arzneimittel deutliche Unterschiede aufweisen, von denen einige von den Parteien nicht bestritten werden.

73      Was nämlich als Erstes die mit Trecondi-Treosulfan bzw. mit den Arzneimitteln auf Melphalan-Basis behandelten Erkrankungen anbelangt, ist erstens festzustellen, dass Trecondi-Treosulfan nach Nr. 4.1 seiner Merkmalszusammenfassung für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT ohne Einschränkung in Bezug auf die Krankheiten, die mit dieser Behandlung geheilt werden sollen, zugelassen ist. Hingegen dient das in Deutschland zugelassene Arzneimittel auf Melphalan-Basis nach seiner Merkmalszusammenfassung, die von der Klägerin zu den Akten gegeben wurde, nur der Behandlung – „mit oder ohne [HSZT]“ – von Patienten, die an bestimmten dort abschließend aufgezählten Erkrankungen leiden. Ebenso enthält die Merkmalszusammenfassung dieses Arzneimittels, wie es in Frankreich zugelassen ist, eine abschließende Aufzählung von Erkrankungen und bestimmt, dass ab einer bestimmten Dosis eine „autologe Blutstammzelltransplantation unverzichtbar“ sei.

74      Während also die Arzneimittel auf Melphalan-Basis nur für die Behandlung von Patienten mit den Erkrankungen, die in den Merkmalszusammenfassungen abschließend aufgeführt sind, zugelassen sind, ist Trecondi-Treosulfan nicht nur für Patienten mit diesen Erkrankungen, wie z. B. dem Multiplen Myelom oder dem Neuroblastom bei Kindern, sondern auch für Patienten mit anderen, nicht von der Merkmalszusammenfassung der Arzneimittel auf Melphalan-Basis erfassten Erkrankungen zugelassen. Das hat die Kommission nicht bestritten. In ihrer Antwort auf die erste prozessleitende Maßnahme hat die Kommission nämlich bestätigt, dass die Zulassung von Trecondi-Treosulfan nicht nur die Behandlung der in den Merkmalszusammenfassungen der Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis angegebenen Erkrankungen abdecke, sondern auch von darin nicht angegebenen Erkrankungen wie dem Myelodysplastischen Syndrom, einer Krankheit, die im Übrigen zu denjenigen gehört, die in der klinischen Studie mit der Referenz MC‑FludT.14/L, auf die die Klägerin ihren Zulassungsantrag gestützt hat, untersucht werden.

75      Zweitens bestreitet die Kommission auch nicht, dass sich die in Rede stehenden Arzneimittel hinsichtlich der Zielpopulationen unterscheiden. So ist Trecondi-Treosulfan, wie die Klägerin vorträgt, gemäß seiner Merkmalszusammenfassung für die Behandlung vor einer allogenen HSZT bei pädiatrischen Patienten mit malignen Erkrankungen, die älter als einen Monat sind, indiziert. Die Arzneimittel auf Melphalan-Basis sind hingegen nach ihren Merkmalszusammenfassungen bei Kindern nur für eine einzige Erkrankung indiziert, nämlich für das Neuroblastom.

76      Insoweit ist hervorzuheben, dass der Unionsgesetzgeber der Verfügbarkeit von Kinderarzneimitteln in der Union besondere Bedeutung beimisst. Zu diesem Zweck hat er die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung Nr. 726/2004 (ABl. 2006, L 378, S. 1) erlassen, deren Ziele, wie sich aus ihrem vierten Erwägungsgrund ergibt, darin bestehen, erstens die Entwicklung und die Zugänglichkeit von Arzneimitteln zur Verwendung bei der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe zu erleichtern, zweitens zu gewährleisten, dass diese Arzneimittel im Rahmen ethisch vertretbarer und qualitativ hochwertiger Forschungsarbeiten entwickelt und eigens für die pädiatrische Verwendung genehmigt werden, sowie drittens die über die Verwendung von Arzneimitteln bei den verschiedenen pädiatrischen Bevölkerungsgruppen verfügbaren Informationen zu verbessern. Zur Erreichung dieser Ziele sieht die Verordnung Nr. 1901/2006 einen Mechanismus vor, mit dem die Pharmaunternehmen gezwungen werden sollen, regelmäßig die Möglichkeit einer pädiatrischen Verwendung der von ihnen entwickelten Arzneimittel in Betracht zu ziehen (Urteil vom 14. Dezember 2011, Nycomed Danmark/EMA, T‑52/09, EU:T:2011:738, Rn. 43). Folglich sind die Informationen zu den pädiatrischen Zielpopulationen in den Merkmalszusammenfassungen der verglichenen Arzneimittel von besonderer Bedeutung, und zwar auch im Rahmen der Prüfung, ob eine „zufriedenstellende Methode“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 vorliegt.

77      Was als Zweites den Vergleich zwischen Trecondi-Treosulfan und den Arzneimitteln auf Cyclophosphamid-Basis anbelangt, ist erstens festzustellen, dass die letztgenannten Arzneimittel nach den von der Klägerin zu den Akten gereichten Merkmalszusammenfassungen dieser Arzneimittel, wie sie in Deutschland zugelassen sind, außer bei der chemotherapeutischen Behandlung bestimmter Krankheiten zur „Konditionierung vor einer Knochenmarktransplantation“ bei bestimmten erschöpfend aufgezählten Erkrankungen (schwere Aplastische Anämie, akute Myeloische und akute Lymphoblastische Leukämie, chronische Myeloische Leukämie) indiziert sind, im Gegensatz zur Merkmalszusammenfassung von Trecondi-Treosulfan, die eine Konditionierungstherapie vor einer HSZT für alle Arten von malignen und nicht malignen Krankheiten bei Erwachsenen vorsieht. So sind z. B. in den Merkmalszusammenfassungen der Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis, anders als bei Trecondi-Treosulfan, das Myelodysplastische Syndrom oder nicht maligne Erkrankungen bei Erwachsenen nicht aufgeführt. Die Kommission bestreitet diese Unterschiede nicht.

78      Zweitens bestreitet die Kommission auch nicht, dass sich die in Rede stehenden Arzneimittel hinsichtlich ihrer Zielpopulationen unterscheiden. Während die Merkmalszusammenfassungen der Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis nämlich nur die Behandlung des Rhabdomyosarkoms bei Kindern erwähnen, sind von der Merkmalszusammenfassung von Trecondi-Treosulfan alle malignen Erkrankungen bei Kindern älter als einen Monat erfasst.

79      Aus den vorstehenden Rn. 69 bis 78 geht hervor, dass die Merkmalszusammenfassung von Trecondi-Treosulfan Erkrankungen und Zielpopulationen erfasst, die nicht von den Merkmalszusammenfassungen der Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis erfasst sind.

80      Demnach können für diese Erkrankungen und Zielpopulationen Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis nicht als zufriedenstellende Methoden im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 angesehen werden.

81      Zwar gibt es, wie die Kommission hervorhebt, eine teilweise Überschneidung zwischen den Krankheiten und Zielpopulationen, die mit den verglichenen Arzneimitteln behandelt werden sollen. Das ändert jedoch nichts daran, dass Trecondi-Treosulfan für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT bei bestimmten Erkrankungen und Patientengruppen indiziert ist, für deren Behandlung die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis es nicht sind. Für diese Erkrankungen und Patienten sind diese Arzneimittel nicht zugelassen, so dass sie nach den Erwägungen in den vorstehenden Rn. 69 bis 78 nicht als „zufriedenstellende Methoden“ angesehen werden können.

82      Das übrige Vorbringen der Kommission stellt die vorstehenden Ausführungen nicht in Frage.

83      Erstens macht die Kommission in ihren Antworten auf die erste prozessleitende Maßnahme geltend, dass einige der von der Klägerin angeführten Unterschiede sich damit erklären ließen, dass die Zulassungen der Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis in den 1950er und 1960er Jahren erteilt worden seien, so dass ihre Merkmalszusammenfassungen nicht der heutigen wissenschaftlichen Terminologie entsprächen. Auf dieser Grundlage befürwortet die Kommission eine „Gesamtbewertung“ der jeweiligen Merkmalszusammenfassungen, um darzutun, dass diese Arzneimittel für Anwendungsgebiete eingesetzt werden könnten, die in ihnen nicht ausdrücklich erwähnt seien, ohne dass es sich dabei um einen „Off-Label-Gebrauch“ handele.

84      Abgesehen von den oben in den Rn. 69 bis 78 festgestellten Unterschieden, die von der Kommission nicht bestritten werden, trägt die Kommission insbesondere zum einen vor, dass die Arzneimittel auf Melphalan-Basis, da sie für eine Behandlung zugelassen seien, die das blutbildende System des Patienten zerstöre, auch als für eine Konditionierungstherapie vor einer HSZT zugelassen anzusehen seien. Zum anderen erkläre sich der von der Klägerin geltend gemachte Unterschied, wonach das in Rede stehende Arzneimittel auf Cyclophosphamid-Basis nur für die Konditionierung vor einer „Knochenmarktransplantation“ zugelassen sei, während die übrigen Methoden zur Entnahme hämatopoetischer Stammzellen, nämlich mittels der sogenannten Apherese, in der Merkmalszusammenfassung dieses Arzneimittels – anders als in der Merkmalszusammenfassung von Trecondi-Treosulfan – nicht erwähnt würden, dadurch, dass die auf der Apherese basierenden Methoden relativ neu seien. Bei den Arzneimitteln auf Cyclophosphamid-Basis handele es sich jedoch um eine Konditionierungstherapie für alle Arten von Transplantationen.

85      Dieses Vorbringen kann nur zurückgewiesen werden. Wie sich aus den Erwägungen in den vorstehenden Rn. 61 bis 65 ergibt, kann nämlich das Alter der Merkmalszusammenfassungen der in Rede stehenden Referenzarzneimittel eine evolutive oder weite Auslegung ihrer jeweiligen Zulassungen nicht rechtfertigen.

86      Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Vortrag der Kommission, für den sie dem Gericht im Übrigen keine wissenschaftlichen Beweise vorgelegt hat, medizinisch korrekt ist, was zu beurteilen im vorliegenden Fall nicht Sache des Gerichts ist, lässt nichts in den dem Gericht zur Verfügung stehenden Akten darauf schließen, dass der COMP diese Fragen geprüft hätte.

87      Jedenfalls betrifft die von der Kommission vorgeschlagene evolutive und weite Auslegung der Zulassungen der in Rede stehenden Referenzarzneimittel nur einige der von der Klägerin angeführten Unterschiede zwischen Trecondi-Treosulfan und diesen Arzneimitteln und nicht die in den vorstehenden Rn. 69 bis 78 festgestellten Unterschiede, die von der Kommission nicht bestritten werden. Es ist nämlich z. B. festzustellen, dass im Gegensatz zu Trecondi-Treosulfan die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis nicht für die Konditionierungstherapie vor einer HSZT bei Patienten mit Myelodysplastischem Syndrom oder bei pädiatrischen Patienten, die älter als einen Monat sind und an anderen Erkrankungen als den in den jeweiligen Merkmalszusammenfassungen dieser Arzneimittel erwähnten und in den vorstehenden Rn. 75 und 78 genannten Erkrankungen leiden, zugelassen sind.

88      Zweitens genügt zum Argument der Kommission, die Klägerin selbst habe u. a. in ihrem Bericht vom 13. Oktober 2017 über die Beibehaltung der Ausweisung von Treosulfan als Arzneimittel für seltene Leiden zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung Melphalan und Cyclophosphamid als zufriedenstellende Methoden erwähnt, die Feststellung, dass aus diesem Dokument und insbesondere aus dessen Nr. 3.5 („Bestehende Methoden“) nicht hervorgeht, dass die Klägerin diese Stoffe als zugelassene zufriedenstellende Methoden betrachtet hätte. Vielmehr hat sie sich darauf beschränkt, die Anwendungsgebiete der Arzneimittel auf Basis dieser Stoffe aufzulisten, ohne sie als „zufriedenstellende Methoden“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b erste Alternative der Verordnung Nr. 141/2000 einzustufen. Hingegen hat die Klägerin insbesondere in Nr. 3.7.2 dieses Berichts ausgeführt, dass nur Busulfan und Treosulfan vergleichbar seien, und einen erheblichen Nutzen des potenziellen Arzneimittels auf Treosulfan-Basis im Vergleich zu dem auf Busulfan-Basis nachzuweisen versucht.

89      Schließlich ist zum Argument der Kommission, auf einer medizinischen Konferenz am 25. und 26. Oktober 2016 in Freiburg seien die Arzneimittel auf Melphalan- und Cyclophosphamid-Basis für die Konditionierungstherapie vor einer allogenen HSZT empfohlen worden, zum einen darauf hinzuweisen, dass die auf dieser Konferenz beschlossenen Leitlinien nicht rechtsverbindlich sind und daher keinen Einfluss auf die Auslegung des Begriffs „zufriedenstellende Methode“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 141/2000 haben. Zum anderen könnten diese Leitlinien nicht zu einer Änderung oder Erweiterung der in den Merkmalszusammenfassungen wiedergegebenen Zulassungen dieser Arzneimittel führen.

90      Nach alledem ist dem ersten und dem zweiten Klagegrund stattzugeben und, ohne dass es einer Prüfung des vierten und des fünften Klagegrundes sowie der Zulässigkeit oder Begründetheit eines von der Klägerin am 18. August 2020 vorgetragenen etwaigen neuen Klagegrundes und der am selben Tag vorgelegten neuen Beweisangebote (siehe oben, Rn. 22) bedürfte, Art. 5 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären.

 Kosten

91      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zehnte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Art. 5 des Durchführungsbeschlusses C(2019) 4858 final der Europäischen Kommission vom 20. Juni 2019 über die Erteilung einer Zulassung für das Humanarzneimittel Trecondi-Treosulfan wird für nichtig erklärt.

2.      Die Kommission trägt die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

Kornezov

Passer

Hesse

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. September 2020.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.


1      Das vorliegende Urteil wird in Auszügen veröffentlicht.